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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Sechste Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 29. Juli 1920. (Morgens)
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Balabanoff
Redebeitrag Radek
Redebeitrag Cachin
Redebeitrag Lefèvre
Redebeitrag Graziadei
Redebeitrag Guilbeaux
Redebeitrag Herzog
Redebeitrag Goldenberg
Redebeitrag Bordiga
Redebeitrag Serrati
Anmerkungen
Source


Sechste Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 29. Juli 1920. (Morgens)

(Serrati eröffnet die Sitzung. Es werden die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale besprochen. Bericht erstattet Sinowjew.)

Sinowjew. Wir kommen zu einer der wichtigsten Fragen unserer Tagesordnung, zu der Frage, die bestimmen soll, was wir als Kommunistische Internationale eigentlich sind und was wir sein wollen.

Zunächst einen kurzen formalen Bericht über die Arbeit der Kommission. Die Kommission war, wie Ihr wisst, erweitert durch die Vertreter der USPD und der Sozialistischen Partei Frankreichs. Beide Delegationen haben den Sitzungen beigewohnt und rege an den Diskussionen teilgenommen. Manches ist in den Leitsätzen geändert, aber der ganze Inhalt bleibt der alte. Wir werden sie Euch selbstverständlich mit den neuen Änderungen vorlegen, und Ihr werdet die Möglichkeit haben, darüber zu urteilen. In den Fällen, wo wir die Ratschläge der betreffenden Genossen berücksichtigen konnten, sind wir ihnen selbstverständlich entgegenkommen und haben sie angenommen. In der deutschen Ausgabe fehlt der § 2, der in der französischen Ausgabe enthalten ist. Er lautet:

»Jede Organisation, die sich der Kommunistischen Internationale anschliessen will, muss regelrecht und planmässig von allen mehr oder weniger verantwortlichen Posten der Arbeiterbewegung (Parteiorganisationen, Redaktionen, Gewerkschaften, Parlamentsfraktionen, Genossenschaften, Kommunalverwaltungen) die Reformisten und Zentrumsleute entfernen und sie durch bewährte Kommunisten ersetzen, ohne sich daran zu stossen, dass besonders am Anfang an die Stelle von »erfahrenen« Opportunisten einfache Arbeiter aus der Masse gelangen.«

Dann ist eine wichtige Änderung in der These 7 vorgenommen worden, in der es früher hiess:

»Die Kommunistische Internationale vermag sich nicht damit abzufinden, dass notorische Reformisten, wie Turati, Modigliani u. a. das Recht haben sollen, als Angehörige der Kommunistischen Internationale zu gelten.«

Die Kommission hat es für richtig befunden, dass wir nicht nur italienische Opportunisten nennen, denn wir sind eben eine Kommunistische Internationale und müssen darum auch die Reformisten der anderen Länder brandmarken. Sie hat deshalb beschlossen, aus jedem Lande wenigstens einen dieser Leute zu nennen. Es heisst also statt Turati, Modigliani u. a. »Turati, Modigliani, Kautsky, Hilferding, Longuet, MacDonald, Hillquith, u.a. (Zuruf: Grimm.) Die Liste ist unvollständig, das muss ich anerkennen. Der Kongress kann sie vielleicht vervollständigen.

Dann sind noch § 18 und § 19 hinzugekommen. Sie lauten:

§ 18. Alle führenden Pressorgane der Parteien aller Länder sind verpflichtet, alle wichtigen offiziellen Dokumente des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale abzudrucken.
§ 19. Alle Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören oder einen Antrag auf Beitritt gestellt haben, sind verpflichtet, möglichst schnell, aber spätestens 4 Monate nach dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale, einen ausserordentlichen Kongress einzuberufen, um alle diese Bedingungen zu prüfen. Dabei müssen die Zentralen dafür sorgen, dass allen Lokalorganisationen die Beschlüsse des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale bekannt werden.«

Dann ist ein persönlicher Antrag des Genossen Lenin eingegangen.

Dieser Antrag wurde in der Kommission besprochen und mit 5 gegen 3 Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen angenommen. Ich muss aber im Namen der russischen Delegation erklären, dass wir geneigt sind, ihn in der früheren Form zurückzuziehen und nur als Wunsch zu äussern, nicht als Bedingung und Direktive. Wir sind der Meinung, dass es genügt, wenn der Kongress einen solchen Wunsch äussert.

Dann sind noch einige Abänderungen stilistischer Art vorgenommen worden, besonders in dem Punkte, wo wir von legaler und illegaler Arbeit sprechen. Sie werden Euch noch endgültig vorgelegt werden.

Ich komme jetzt zur Begründung dieser Leitsätze. Früher lautete es auf Seite 79: »Unter gewissen Umständen kann der Kommunistischen Internationale die Gefahr drohen, durch wankelmütige und sich durch Halbheit auszeichnende Elemente, welche die Ideologie der II. Internationale noch nicht endgültig abgestreift haben, verwässert zu werden.«

Die Kommission hat das geändert und beschlossen, hier viel kategorischer zu sein. Es ist beschlossen, nicht »unter gewissen Umständen« zu sagen, sondern »dass jetzt dem Kommunismus Gefahr droht, verwässert zu werden«, und daran hat sie gut getan. Es ist wirklich richtig, dass der Kommunistischen Internationale schon jetzt Gefahr droht, verwässert zu werden durch Parteien, die noch unlängst der II. Internationale angehört haben und die jetzt unter dem Drucke der Massen zu uns. kommen – aus Not zu uns kommen. Sie können ihren kleinbürgerlichen und bürgerlichen Adam, wenn sie es auch wollten, nicht so leicht abstreifen. Als wir unseren Gründungskongress hatten, drohten uns ebenfalls eine Anzahl von Gefahren. Die Gefahr, verwässert zu werden und zu viel verschiedenartige Elemente aufnehmen zu müssen, bestand aber damals nicht. Vor 15 Monaten waren wir noch eine kleine Gruppe, die man auszulachen versuchte, indem man sagte: Eure ganze Kommunistische Internationale kann sich auf 10 Sessel setzen, sie hat keinen Einfluss. Die alten grossen Parteien bleiben in der II. Internationale. Nun ist es anders gekommen. Die alten Parteien wollen jetzt in die Kommunistische Internationale. Sofern sich die Arbeitermassen zum Kommunismus entwickelt haben, müssen wir sie aufnehmen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sie mit der gesamten alten Bagage zu uns kommen, d. h. mit der alten Führerschaft, die während des Krieges und auch nach dem Kriege einen hartnäckigen Kampf gegen den Kommunismus geführt hat.

Was war die Kommunistische Internationale, als sie im März 1919 gegründet wurde? Sie war damals noch nichts als eine Propagandagesellschaft. Das blieb sie auch während des ganzen Jahres ihrer Existenz. Das ist nicht wenig, eine Propagandagesellschaft im internationalen Masstabe zu sein in dem Moment, in dem die Arbeiterschaft nach einem Wege sucht nach dem schrecklichen, verheerenden Kriege, den Europa durchgemacht hat. Aber ich muss es offen aussprechen, dass sie damals nur eine grosszügig organisierte Propagandagesellschaft war, welche den Massen die Ideen des Kommunismus zutragen wollte. Jetzt wollen wir etwas Grösseres und etwas anderes werden. Jetzt wollen wir nicht eine Propagandagesellschaft sein, jetzt wollen wir eine Kampforganisation des internationalen Proletariats werden. Der II. Kongress muss in dieser Beziehung ein neues Kapitel anfangen. Wir wollen uns organisieren als eine Kampforganisation, die nicht nur den Kommunismus propagieren, sondern auch zur Tat machen und sich dazu eine internationale Organisation schaffen will.

Ich habe gerade einen Artikel von Paul Louis gelesen, in dem er erklärt, die I. Internationale sei zusammengebrochen, weil sie dem Krieg von 1870–71 nicht vorbeugen konnte. Dasselbe soll auch mit der II. Internationale geschehen sein. Der Weltkrieg brach aus, man konnte ihn nicht verhindern, darum sei auch sie zusammengebrochen. Die I. Internationale habe sich seinerzeit in derselben Lage befunden wie jetzt die II. Internationale.

Das ist eine vielleicht nur halbbewusste, aber deshalb eine nicht weniger sozialpatriotische Lüge. Die I. Internationale hat den Krieg verhindern wollen. Sie hat gekämpft, und sie ist im Kampf gefallen. Die II. Internationale wollte diesen Kampf vermeiden und hat ihn vermieden. Die I. Internationale ist heldenmütig gefallen; ihre besten Kämpfer sind während der Pariser Kommune im Kampfe gegen die Bourgeoisie hingemordet worden. Die II. Internationale ist auf schändliche Weise zusammengebrochen. Das sollen wir der Arbeiterschaft klipp und klar sagen; darum müssen wir diese Parallele brandmarken; denn sie ist dazu geeignet, den Sozialpatriotismus und Kautskyanismus zu stützen.

Die I. Internationale war eine stark zentralisierte Institution. Sie wollte sogar jeden grossen ökonomischen Streik von einer zentralen Stelle aus leiten. Und das ist ihr gewissermassen auch gelungen, weil die Bewegung noch jung, noch schwach war. Wir können heute nicht eine solche Zentrale haben, die jeden grossen ökonomischen Streik unmittelbar leiten kann. Wir haben jetzt jeden Tag, jede Stunde ökonomische Streiks, von denen wir sogar nicht einmal wissen, dass sie stattgefunden haben. Von einer solchen Zentrale kann für uns keine Rede sein, eben weil die Bewegung so riesig gewachsen ist.

Die II. Internationale war kein Zentralkörper, höchstens eine Konzentrationsstelle. Die I. und II. Internationale waren eine Art These und Antithese. Jetzt, wo wir Bedingungen für neue Verhältnisse aufstellen sollen, kommen wir zur Synthese in sozialem Sinne. Das müssen wir klar erkennen, wenn wir die Bedingungen zur Aufnahme diskutieren wollen.

Eine grosse Anzahl von führenden Genossen, die unlängst noch der II. Internationale angehörten, sind der Meinung, dass die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale ihnen gar keine grossen Pflichten auferlegen wird. Aus der »Berner Tagwacht« (Organ Robert Grimms) habe ich einen Ausschnitt, in dem ein Artikel von Grimm enthalten ist. Er erklärt: die II. Internationale und ihre Exekutive – das war nur ein Briefkasten. Ganz richtig. Was aber schlägt der Verfasser dieses Artikels der Kommunistischen Internationale vor? Ja, die Kommunistische Internationale muss etwas anderes werden, und zwar muss sie »grosse Aktionen« für verschiedene Länder organisieren, nämlich sie muss dafür sorgen, eine Informationsstelle herauszubilden, sie muss dafür sorgen, dass »ein gleichzeitiges Auftreten in den Parlamenten« organisiert werden kann. Nun, Ihr seht: es kommt auf dasselbe heraus. Ein Briefkasten, der etwas tiefer und umfangreicher sein wird, aber doch nur ein Briefkasten.

Eine Informationsstelle brauchen wir; ich bin nicht dagegen. Unsre Informationsstelle ist sehr schlecht, wir müssen sie besser organisieren. Auch in bezug auf die parlamentarische Aktion wird es gut sein, wenn man in den verschiedenen Ländern gleichzeitig auftritt und z. B. den Völkerbund als Räubergesellschaft stempelt oder gegen die Reformisten gleichzeitig einen Antrag formuliert. Aber das ist bei weitem noch keine Kampforganisation in internationalem Masstabe. Auch die Geldunterstützung ist jetzt nicht das Wichtigste. Die Auffassung Grimms und seiner Gesinnungsgenossen von der Kommunistischen Internationale ist eigentlich im Grunde genommen dieselbe wie die von der II. Internationale: also ein umfangreicherer und besser ausgestatteter, mit roter Farbe lackierter Briefkasten. Das darf die Kommunistische Internationale nicht werden!

Ich habe weiter einige Äusserungen verschiedener »linker« Reformisten in der »Revue« der französischen Genossen gelesen, wie z. B. von Claude Trèves [Claudio Treves?]. Trèves ist dafür, dass man sofort in die Kommunistische Internationale eintritt, aber unter der Bedingung, dass man sich nicht binden braucht und keine politischen Losungen für die einzelnen Länder gibt. Der Sinn ist der, dass sie sofort eintreten wollen, aber ohne sich zu binden und mit einer solchen »Autonomie«, dass die Leute weiter machen können, was sie bisher gemacht haben. Am krassesten hat dies Herr Modigliani, ein italienischer »Auch-Sozialist«, ausgedrückt. Er ist jetzt formell Mitglied der Kommunistischen Internationale; aber er ist kein Genosse für uns. Er war unlängst in Paris und wollte Longuet bestimmen, in die Kommunistische Internationale einzutreten, und hat das folgendermassen motiviert: Warum nicht in die Kommunistische Internationale eintreten? Das verpflichtet uns ja zu nichts. Man braucht nur alle zwei Wochen der Exekutive eine Postkarte zu senden. Das ist alles. Warum sollen wir dies nicht tun?

Wer Modigliani mit seinem opportunistischen Zynismus kennt, wird in diesen Worten den ganzen Modigliani erkennen. Sie sind der Meinung, diese Herrschaften aus dem Lager der Reformisten, sie kommen in die Kommunistische Internationale, wie man in ein Gasthaus kommt. Unsere ganze Vergangenheit, unsere kurze, doch bedeutsame fünfzehnmonatige Vergangenheit, hat jedem ernsten Politiker gezeigt, dass in der Kommunistischen Internationale kein Platz ist für Leute, die kommen und weiter machen, was sie wollen. Wir wollen eine Internationale der Tat aufbauen. Wir sind nicht der Meinung wie Kautsky, dass die Internationale nur ein »Friedensinstrument« ist. Nein, sie soll ein Kampfinstrument sein während des Friedens, während des Aufstandes, vor und nach dem Aufstande, ein Sammelpunkt, eine Kampforganisation des Teiles des internationalen Proletariats, der sich seines Ziels bewusst ist und für sein Ziel kämpfen will.

Es wird oft so hingestellt, als ob ein gewisser Gegensatz zwischen dem »Westen« und »Osten« bestände. Man hat den Arbeitern einzupauken versucht, als sei die Kommunistische Internationale eine Organisation der Arbeiterklasse des Ostens, und die des Westens stehe beiseite. Die französischen Führer und die Literaten aus der USPD haben versucht, die Sache so darzustellen: Wir (d. h. die Zentrumsleute) wollen nicht sofort allein in die Kommunistische Internationale eintreten, sondern erst müssen wir die ganze Arbeiterschaft des Westens in die Kommunistische Internationale mit hineinziehen. Dieser Gegensatz zwischen »Ost« und »West« besteht in der Wirklichkeit gar nicht. Es besteht ein anderer Gegensatz, der Gegensatz zwischen Kommunismus und Reformismus, zwischen Sozialpazifismus und Kommunismus; aber der Gegensatz zwischen Ost und West ist aus den Fingern gesogen. Wir haben die gleiche Dreiteilung der Bewegung in jedem Lande: 1. eine ausgesprochen opportunistische Rechte, die jetzt die wichtigste Stütze der Bourgeoisie ist, 2. eine mehr oder weniger ausgesprochene Mitte, der Sumpf, das Zentrum, das auch die Stütze des Bürgertums ist, 3. eine Linke, die mehr oder weniger klar kommunistisch ist oder doch zum Kommunismus neigt. Es ist klar, dass die Arbeiterklasse im Westen, sagen wir z. B. in England, ganz gut weiss, was in Moskau vorgeht. Sie weiss, was die Sowjetregierung bedeutet. Jede Demonstration zeigt, dass sich die englische Arbeiterklasse darüber klar ist. Es ist die höchste Zeit, dass die Legende von der Kluft zwischen »Ost« und »West« einmal aus der Welt geschafft wird und dass man der deutschen Arbeiterklasse nicht mehr predigt, sie solle warten, bis der »Westen« kommt.

Wir wollen vor allem die Lehren der ungarischen Sowjetrepublik nicht vergessen. Der ungarische Genosse hat schon zur Rolle der Partei davon gesprochen. Es ist eine Frage von grosser historischer Bedeutung. Erinnert Euch, wie die Sache lag. Die Kommunistische Partei Ungarns machte den Sozialdemokraten die Aufnahme sehr leicht, es ging wie im Handumdrehen. Als wir in der Kommission über die Aufnahme tagten, sagten einige ungarische Genossen: Wir haben das Gefühl, dass manche Parteien aus der II. Internationale unsere Bedingungen jetzt eben so leicht annehmen, wie es in der ungarischen Sowjetrepublik der Fall war.

Die ungarische Partei nannte sich »sozialistisch-kommunistisch«. Es schien zunächst nur ein Streit über den Namen zu sein. – Die Ungarn befanden sich im Kampfe; wir wollten ihnen nicht in den Rücken fallen. Unsere Exekutive beging die Schwäche und hat der Verschmelzung der Parteien beigestimmt. Es ist ja nicht wichtig, wie sie sich nennen wird, sagte sie sich. Es hat sich aber später gezeigt, dass das eine Frage von historischer Bedeutung war, und es hat vielleicht zu 50 Prozent die Entwicklung der Sowjetrepublik in Ungarn bestimmt, dass die Kommunisten leider den grössten Teil der alten Sozialdemokraten in das eigene Haus auf nahmen und dass diese Herrschaften in entscheidender Stunde zur Bourgeoisie übergelaufen sind. Einige unserer italienischen Parteifreunde sagten, dem nächsten Kongress würden sie vorschlagen, ihre Partei, die sich jetzt sozialistisch nennt, auch sozialistisch-kommunistisch zu nennen. Da wollen wir das ungarische Exempel nicht vergessen. Es handelt sich hier nicht um eine Wortklauberei, sondern darum, ob wir Vertrauen zu diesen alten Herren Sozialisten haben können, die nicht mit der alten Ideologie brechen wollen und das gerne verkleistern möchten. Die Lehre hat die Arbeiterklasse Ungarns und der ganzen Welt Opfer genug gekostet, um zu wissen, dass, wenn man dem Reformismus einen kleinen Finger gibt, er dann die ganze Hand nimmt und später den ganzen Kopf, und schliesslich wird man von ihm zugrunde gerichtet.

Es handelt sich darum, dass wir eine eindeutige Kommunistische Internationale haben müssen. Für den Kommunismus müssen wir kämpfen; er wird nicht in einem Monat gewonnen, sondern nach vielen Kämpfen durch eine Organisation, die so zentralisiert wie möglich ist und eine klare und bestimmte Taktik bat. Die Herren, die uns mit einer Postkarte abspeisen wollen, werden wir schon vor die Tür setzen, bevor sie kommen können.

Es besteht wirklich die Gefahr, dass die Kommunistische Internationale Mode wird, nachdem die II. Internationale schmählich zusammengebrochen ist. Die II. Internationale ist heute nur ein stinkender Sumpf, ein Leichnam, der verwest. Es ist selbstverständlich, dass sich Teile absplittern und versuchen, dasselbe nur mit ein bisschen anderen Worten aus der Kommunistischen Internationale zu machen. Mancher tut es nur halbbewusst, aber objektiv ist es so.

Diese Gefahr besteht, und wir müssen ihr ganz entschieden entgegentreten. Heute habe ich einen Artikel aus der »Freiheit« vom 13. Juli bekommen. Er ist betitelt: »Das Problem der Internationale«. Die »Freiheit« meint, dass, falls wir auf unserem offenen Schreiben an die USPD vom 5. Februar 1920 (von mir gezeichnet) bestehen, eine Verständigung unmöglich sei.

Nun erkläre ich ganz entschieden und ganz offiziell, und das wird hoffentlich auch die Meinung des Kongresses sein, dass wir im grossen und ganzen dieselben Bedingungen, wie wir sie im Schreiben vom 5. Februar aufgestellt haben, auch heute aufstellen werden, und ich sage ganz kategorisch, dass wir jede Zusammenarbeit mit den Führern des rechten Flügels wie Kautsky, Hilferding und Longuet zurückweisen. Man sagt uns von französischer Seite: Longuet wird jetzt vielleicht anderer Meinung sein, er wird seine Auffassung ändern. Sollte er jetzt unserer Auffassung sein, desto besser; wir werden ihn begrüssen, wenn er es aufrichtig und ernst meint. Dasselbe sage ich den deutschen Genossen, die vielleicht umkehren werden. Wir erklären aber ganz offiziell, dass wir mit diesem rechten Flügel und seinen Führern nicht zusammenarbeiten wollen. Nicht als Berichterstatter der Kommission, sondern als Vertreter der russischen Delegation möchte ich noch offiziell erklären: In unserem Zentralkomitee hatten wir eine Besprechung, in der wir zu folgendem Entschluss gelangten: Sollte der Fall eintreten, dass unsere italienischen oder anderen Genossen sagen, sie forderten die Verbindung mit diesen rechten Elementen, dann ist unsere Partei eher bereit, ganz allein zu bleiben, als mit solchen Elementen in Verbindung zu kommen, die wir als bürgerliche Elemente betrachten. Diese Erklärung möchte ich für unsere Partei abgeben.

Ich möchte jetzt konkret die Lage in den Parteien betrachten, die in die Kommunistische Internationale eintreten wollen und sie umwerben, sowie die Lage in den Parteien, die schon zu ihr gehören. Ich werde versuchen, das gesondert Land für Land zu machen.

Also zunächst die Parteien, die bisher nicht zu uns gehörten, aber jetzt zu uns gehören wollen. Ich habe ein umfangreiches Material gesammelt über die französische Partei. Ich kann Euch nicht alles vorlegen; ich werde nur das Wichtigste aufzeigen. Im voraus möchte ich Euch erklären, dass wir keinem aus seinen früheren Äusserungen einen Strick um den Hals drehen wollen. Es ist klar, dass jeder sich irren und später bereuen kann. Nur Prinzipielles wollen wir zitieren und uns nur auf das Wichtigste beschränken.

Cachin, an dessen persönlicher Aufrichtigkeit gar kein Zweifel sein kann – jedermann, der seine Vergangenheit kennt, weiss, dass er sich geirrt hat, dass er aber ein aufrichtiger Kämpfer ist. Ich habe seinen Artikel über den Völkerbund vom 7. Januar 1920. Noch im Januar nannte er Herrn Wilson »den letzten grossen Bourgeois« unserer Zeit. Er erklärte weiter, dass die »amerikanische Demokratie« alles getan hat, um dem, was eingetreten ist, vorzubeugen. Das ist für einen Kommunisten ganz selbstverständlich eine ausgesprochen sozialpazifistische Äusserung. Und Sozialpazifismus ist nicht Sozialismus. Das ist der Geist des verstorbenen Führers Jaurès, der leider auch nur Sozialpazifist war. Das müssen wir sagen bei aller Ehrfurcht, die wir vor seinen grossen Verdiensten haben. Seine Traditionen leben in Frankreich und anderen Ländern. Dieser Pazifismus und Wilsonismus ist eine sehr hartnäckige Erscheinung, die sogar manchen Kommunisten nicht verschont. Auf dem vorigen Kongress hatten wir folgendes Beispiel: Fritz Platten, ein linker schweizerischer Genosse, brachte einen gedruckten stenographischen Bericht über seine Rede, die er im Parlament gehalten hatte, in der er erklärte, dass Wilson doch ein ehrlicher Mann sei, der die Probleme des Krieges friedlich lösen möchte. Also sogar unsere Leute, die sich zum Kommunismus bekennen, werden noch manchmal durch diesen Sozialpazifismus in Versuchung geführt, weil grosse Meister uns jahrzehntelang darin geübt haben. Wir haben nicht genug dagegen gekämpft. Wir müssen dem ein Ende machen und unseren französischen Freunden ganz klar sagen: Es ist sehr viel leichter, die formalen Bedingungen zum Eintritt in die Kommunistische Internationale anzunehmen, als dass man den Sozialpazifismus an den Kragen fasst. Der Sozialpazifismus ist eine gefährliche bürgerliche Ideologie, die uns in unserem Kampf beeinträchtigt. Man kann 18 und sogar 18 000 Bedingungen annehmen, aber wenn man Sozialpazifist bleibt, ist man eben kein Kommunist und gehört nicht in die Kommunistische Internationale. Man muss darum auf- richtig erklären, ob man damit endgültig aufzuräumen gewillt ist oder nicht.

Dann habe ich noch einiges über die französischen Genossen zu sagen. Da ist ein Artikel von Frossard über die Beziehungen zur Kommunistischen Internationale, der am 13. Februar 1920 geschrieben worden ist. Frossard erklärt darin: Was die Politik unserer Partei anbetrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auch nach dem Eintritt in die Kommunistische Internationale die alte bleiben wird. Es kommen die Wahlen, und die Kommunistische Internationale kann uns absolut nicht daran hindern, Bündnisse mit anderen Parteien zu schliessen.

Also Ihr seht, man hat eben die Auffassung, dass die Kommunistische Internationale ein gutes Gasthaus ist, wo Vertreter verschiedener Länder die »Internationale« absingen und sich gegenseitig Komplimente machen. Dann geht man auseinander und übt die alte Praxis weiter. Diese verfluchte Praxis der II. Internationale werden wir niemals zulassen.

Ich will mich mit diesen Zitaten über die Praxis der französischen Genossen begnügen, wenngleich ich auch eine grosse Anzahl anderer Zitate anführen könnte. Es gibt in bezug auf die Leitartikel der »Humanité« eine Art von Proportionalsystem, wie mir Cachin und Frossard erklärt haben. Den Zentrumsleuten sind acht Leitartikel in der Woche erlaubt, der Linken vier und zwei oder drei Renaudel und Konsorten. Sie verstehen, dass eine solche Ordnung ganz unmöglich ist. Es ist eine Art Provokation: acht Tropfen Aqua destillata, drei Tropfen Gift und dann als Gegengift vier Tropfen Milch. (Beifall.) So kann es nicht weiter gehen, Diese Praxis kann vielleicht aus der Geschichte der französischen Bewegung erklärt werden; aber diese alte Tradition muss eben aufgehoben werden. Frossard hat vor seiner Abreise aus Paris erklärt: Ich möchte gerne ohne Renaudel nach Moskau gehen. Wir werden eine schwierige Aussprache mit den russischen Genossen haben; es ist besser, wenn er zu Hause bleibt. Aber in dem betreffenden Brief wird Herr Renaudel von Frossard »unser Freund« genannt. Diese französische Manier sollen wir abschaffen. Sie ist auch nicht ganz französisch. Auch Modigliani schreibt an Serrati und Serrati an Prampolini: Mein Freund. Diese französische und italienische Methode kann nicht unsere Methode sein. Ich hoffe, dass Ihr der Exekutive den Auftrag geben werdet, jeden Monat von jeder Partei Bericht zu verlangen, damit sie einen Spiegel hat und sehen kann, was passiert.

Ich komme jetzt zu den deutschen Unabhängigen.

Ich werde mich begnügen, Euch einige Stellen des letzten offiziellen Antwortschreibens der Zentrale der USPD, das uns von den Vertretern der USPD mitgebracht worden ist, zu zitieren. Der erste Vorwurf lautet:

»Es berührt eigentümlich, dass das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, das schon in Anbetracht seiner Stellung sich der Pflicht bewusst sein sollte, den mit ihm in Verhandlungen tretenden revolutionären Arbeiterorganisationen des Auslandes mit aller gebotenen Loyalität entgegenzukommen, sein Antwortschreiben an uns auf der These auf baut, dass ›die Arbeiter‹, die der U.S.P. angehören, ganz anders gestimmt sind, als der ›rechte Flügel ihrer Führer‹. Ein Satz, der sich wie ein roter Faden durch das ganze Antwortschreiben zieht.«

Es ist wahr, dieser Satz zieht sich wirklich wie ein roter Faden durch unsere Prinzipienerklärung. Wenn sich zum gegebenen Moment der verhältnismässigen politischen Ruhe etwa 10 000 Mitglieder der U.S.P. in den Gefängnissen befinden, so habe ich vollständige Ehrfurcht vor diesen Genossen. Ich sage: Es sind ernste Kämpfer, ernste Arbeiter dabei. Wir müssen versuchen, mit den Arbeitern zusammenzukommen. Das widerspricht aber nicht meiner Erklärung, dass ein rechter Flügel besteht mit Kautsky, Hilferding, Ströbel an der Spitze. Crispien war mit Hilferding in Luzern und wollte nicht aus der II. Internationale austreten. Es gibt einen rechten Flügel.

Man sagt uns: Ja, wer beschäftigt sich jetzt mit Kautsky? Niemand. Darauf antworte ich: das ist nicht wahr. Der Kautskyanismus ist eine internationale Erscheinung, und manche Führer der Zentrale der USPD, die sich von Kautsky emanzipiert zu haben glauben, wiederholen in der Tat die Politik, die Kautsky führt. Das Beste, was wir tun konnten, ist, dass wir in Betracht gezogen haben, dass in den Reihen der USPD Arbeiter sind, die ernstlich kämpfen und im Gegensatz stehen zu der rechten Führerschaft, die den revolutionären Kampf sabotiert und bisher der Bourgeoisie die besten Dienste geleistet hat. Es gibt keine rechten Führer in Deutschland, wird gesagt. Es ist illoyal von seiten der Exekutive, sagt man uns, eine solche Teilung – in rechte und linke Führer – vorzunehmen. Die grösste Loyalität sollen wir haben gegen die Brüder, die in anderen Ländern wirklich gegen die Bourgeoisie kämpfen, aber Loyalität gegenüber Leuten wie Kautsky, Hilferding, Ströbel wäre gleichbedeutend mit Verrat gegen die Arbeiterklasse, und eine solche »Loyalität« werden wir nicht pflegen. Zwischen Hilferding, der es verstanden hat, mit hohen englischen Offizieren kameradschaftlich zu verhandeln, und uns liegt ein Abgrund. Der rote Faden, der sich durch unser Schreiben zieht, besteht eben in diesem Unterschied zwischen den Arbeitern, die mit uns kämpfen, und den rechten Führern, die den Kampf sabotieren. Die Zentrale schreibt weiter: »Völlig rätselhaft ist es uns, worauf sich der Vorwurf der »Ententeorientierung« der »rechten Führer« der U.S.P. stützen soll. Bisher ist dieser Vorwurf meist von rechtsstehenden Parteien gegen uns erhoben worden. Namentlich als wir im vorigen Jahr den Kampf um die Unterzeichnung des Friedens entgegen allen nationalistischen Wühlereien und militaristischen Treibereien zu führen hatten, wurde besonders von bürgerlichen reaktionären Parteien der Vorwurf gegen uns erhoben, dass wir die »Agenten der Ententeregierungen« seien. Der weitere Gang der Ereignisse hat unserer Haltung Recht gegeben, ebenso wie er seinerzeit die Haltung der russischen Kommunisten in der Friedensfrage als von harter Notwendigkeit diktiert erwiesen hat, gegen die bekanntlich wegen dieser Haltung der Vorwurf erhoben wurde, dass sie sich mit dem kaiserlich-deutschen Militarismus verbündet hätten.«

Als wir in Russland vor dem Brester Frieden standen, war die Lage klar. Die Arbeiterklasse hatte in unserem Lande die Macht in den Händen. Sie hungerte, kämpfte aber weiter. Der deutsche Imperialismus fasste uns beim Kragen, und die deutsche Arbeiterklasse war zu schwach, um uns sofort Hilfe zu leisten. Wir sagten uns: Mit diesen Räubern müssen wir, um eine kleine Atempause zu gewinnen – dieses Wort wurde damals geprägt – vorläufig paktieren, um Zeit zu gewinnen. – Wie aber war die Lage in Deutschland im Jahre 1918–1919? Die Macht war in den Händen der Bourgeoisie oder in den Händen der Scheidemänner, was dasselbe ist. In Deutschland ging es nicht wie in Russland. Der Schlaufuchs Scheidemann sagte: Ich werde meine Hände in Unschuld waschen, ich bin gegen die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags. Er hat die heldenmütige deutsche Arbeiterklasse auf das raffinierteste betrogen. Man hat es so hingestellt, als ob Scheidemann gegen den Versailler Frieden ist. Und da kam die U.S.P. und hat sich ins Zeug gelegt, um Scheidemann zu helfen. Und sie hat in allen Tonarten geschrieen: Man muss Frieden schliessen! Jetzt sagt Ihr: Die Lage in Deutschland war dieselbe, wie damals beim Brester Frieden die Lage in Russland! Ihr habt in Deutschland den kleinen Unterschied übersehen, dass bei uns die Arbeiterschaft an der Macht war und die Bourgeoisie am Boden lag und in Deutschland die Bourgeoisie an der Macht war und die Arbeiterschaft am Boden lag, die tausendmal verkauft wurde. Woher kam diese »kleine« Verwechslung? Sie kam daher, dass mancher rechte Führer der U.S.P. sich im März 1919 die Lage so vorstellte: Scheidemann oder ich, das ist kein grosser Unterschied. (Beifall.) Das sind ja Teile einer Arbeiterklasse, das ist ja die alte Sozialdemokratie. Dieser unbewusste Seelenzustand innerhalb der U.S.P. hat dazu geführt, dass man eine so schreiend ungerechte Behauptung aufstellen konnte und eine Lage, wo die Arbeiterschaft die Macht hatte, mit einer Lage, wo die Bourgeoisie die Macht hatte, wo die Hindenburg und Scheidemänner der Arbeiterschaft den Stiefel auf die Brust setzten – und sie unterdrückten, verwechseln konnte. Man hat uns oft erklärt: Wir haben keine grosse Meinungsverschiedenheit mit euch. Kautsky hat keine grosse Bedeutung in unserer Partei. Ist es nicht der Geist Kautskys, der aus dem folgenden Schreiben spricht, das uns jetzt von den Delegierten der U.S.P. gebracht wurde?

»Ebenso wie mit der Frage der Diktatur verhält es sich mit der Frage des Terrors und des Bürgerkrieges. Auch hier wird die spezifisch-russische Form der Diktatur des Proletariats zum Grundgesetz für das internationale Proletariat erhoben. Hierbei erdrückt die Form den Inhalt und erschwert den Gang der Revolution durch ungenügende Berücksichtigung der Umstände, die bei einem anderen soziologischen Inhalt auch eine andere Form der Revolution notwendig machen können. Bei der Prüfung des Gewaltproblems kommt in Betracht, dass zwischen Gewalt und Terror unterschieden werden muss. Wenn auch die Diktatur des Proletariats wie jede andere Diktatur, selbst wenn sie sich in ein demokratisches Gewand hüllt, der Anwendung von Gewaltmitteln nicht entbehren kann, so hängt ihr Ausmass doch von den konterrevolutionären Widerständen ab. Terrorismus als politische Methode bedeutet die Errichtung einer Schreckensherrschaft, bedeutet die Anwendung von staatlichen Gewaltmitteln auch gegen Unschuldige, um durch Einschüchterung und Abschreckung alle Absichten auf Widerstand zu brechen. Dagegen ist zu sagen, dass die internationale Sozialdemokratie diesen Terror nicht nur aus Menschlichkeit und Gerechtigkeit, sondern auch aus Gründen der Zweckmässigkeit abgelehnt hat. Kann von der Gewalt gesagt werden, dass sie nur die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht und dass sie die neue Gesellschaft nicht zutage fördern kann, ehe diese nicht im Schosse der alten gereift ist, so muss vom Terror gesagt werden – und die Geschichte hat das hundertfache bewiesen –, dass seine Anwendung nicht die Stärke einer Bewegung, sondern vielmehr ihre innere Schwäche zum Ausdruck bringt. Unsere Partei handelt deshalb im Einklang mit der marxistischen Lehre und mit den Erfahrungen der Geschichte, wenn sie es ablehnt, den Terror zu verherrlichen. Das Festhalten an diesen Grundsätzen bedeutet nicht, wie uns im Antwortschreiben des Exekutivkomitees vorgeworfen wird, die ›Demoralisierung des revolutionären Bewusstseins der Arbeiter‹. Es bedeutet vielmehr die Sicherung der dauernden Interessen des Sozialismus.«

Das schreibt man nach dem Januaraufstand in Berlin, nachdem die Bourgeoisie uns das Kostbarste, was die Arbeiterschaft besass, genommen hat, das schreibt man nach alledem, was wir über den Bürgerkrieg in Russland, in Finnland, in Georgien, in Ungarn usw. wissen! Eine kleinbürgerliche Maschine hat das geschrieben, anstatt des Herzens eines Revolutionärs! Ich glaube, »der dauernden Interessen der Bourgeoisie« sollte man sagen und nicht »der dauernden Interessen des Sozialismus«. Die Erklärung steht voll und ganz auf dem Boden des Kautskyanismus. Wenn Kautsky, wie Dittmann und Crispien hier erklärten, keine Bedeutung mehr hat, ja, warum hat man dann alle Plattheiten, alle Dummheiten, alles gegenrevolutionäre Zeug, das Kautsky zusammengeschrieben hat, in diesem Antwortschreiben von ihm abgeschrieben?

Als wir die linken Vertreter der U.S.P. hier in Moskau fragten: Habt Ihr das unterzeichnet? da waren sie nicht in der Lage, zu erklären, dass sie es nicht unterzeichnet hätten. Sie sagten, sie hätten keine Zeit gehabt, es sei »im Galopp« gemacht worden. Das sind ganz unpolitische Motive. Es ist eben schlimm, dass in der Zentrale der U.S.P. solche Fragen im Galopp erledigt werden. Wir sehen, wie der tote Kautsky den lebendigen Däumig bei den Haaren tief in das Wasser zieht, statt dass der tatkräftige Däumig den alten Kautsky mit seinem gegenrevolutionären Dreck beiseite schieben sollte.

Das über die U.S.P.

Nun weiter! Wir müssen denselben Massstab anlegen, ob eine Partei schon zu uns gehört oder noch nicht. Die Tatsache, dass sie zu uns gehört, soll sie nicht von Kritik befreien. Wir müssen Kritik üben und aussprechen, was ist.

Ich komme zunächst zu der italienischen Partei. Wir haben immer betont und betonen auch jetzt: Sie ist eine der besten unter den Parteien, die aus der II. Internationale ausgetreten sind. Die italienische Arbeiterklasse ist eine heroische Arbeiterklasse, die von uns allen geliebt wird, da es ihr ernst ist mit der Revolution und dem Kommunismus. Dasselbe können wir aber leider nicht auch von den Führern sagen. Sie kommen immer mit Turati, sagt uns Genosse Serrati, das wird langweilig. Ja, Genosse Serrati, wir werden nicht damit aufhören, solange Leute wie Turati noch zu uns gehören. Momentan ist ja Turati Mitglied der Kommunistischen Internationale, weil er Mitglied der italienischen Partei ist. Ist das nicht eine Schande? Wenn wir eine Karte für jedes Mitglied der Kommunistischen Internationale hätten, würden Turati und Modigliani auch eine Mitgliedskarte der Kommunistischen Internationale haben. Und diese Leute treiben doch gegenrevolutionäre Propaganda in Italien. Turati ist in den letzten Tagen im Parlament aufgetreten mit einer grossen Rede, wie er in seinem Leben schon einige gehalten hat. Turati hielt folgende Rede: Sie, meine Herren Bürgerlichen, sehen, dass Sie in einer schwierigen Lage sind, ebenso wie die Arbeiterklasse. Also wollen wir einander helfen. In der Agrarfrage, in der Wohnungsfrage, in der Verpflegungsfrage schlage ich Ihnen ein konsequentes halbbürgerliches Programm vor. Der »Avanti« teilt nicht mit, wie die italienischen Bürgerlichen das aufgenommen haben. Die italienische Partei hat nachher gegen Turati ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Wenn man solche Zustände in der Partei hat, wird niemand sagen, dass das eine ernste Partei sei. Sie hätte sonst etwas anderes zu tun, als Gerichtsprozesse zu machen gegen Leute, die schon 30 Jahre dasselbe sagen, weil sie konsequente Reformisten sind.

Ich habe auch eine grosse italienische Sammlung von vielleicht 200 bis 300 Zitaten vorliegen. Ich bin nicht in der Lage, alles vorzubringen. Wir werden ein Rotbuch über die Italiener und andere Länder herausgeben. Genosse Serrati wird von mir ein Exemplar dieses Buches bekommen. Ein Bouquet von Zitaten, das gut duftet, und er wird viel Vergnügen an diesem Buch haben. Als man Turati fragte, warum er in der Partei bleibt, sagte er: Weil ich auf diese Weise Einfluss auf die Arbeiterklasse ausüben kann. Turati hat nichts zu verbergen; er erklärt offen, er gehöre zur Partei, weil er als Reformist mit der Aureole eines Sozialisten, als Mitglied der Partei im Parlament, in Versammlungen auftreten könne. Er kann seine Geschäfte innerhalb der Partei besser besorgen. Warum soll er weggehen? Wir raten unseren Freunden, auf das zu achten, was Turati selbst gesagt hat. Man soll diesen Herrschaften nicht erlauben, in unserer Partei zu bleiben und unseren Kampf zu sabotieren. Wir haben zu viel offene Feinde, um unsere verborgenen Feinde in unserer Partei zu lassen.

Nach einer Rede von Bombacci, die er als Vertreter der Partei auf einem Gewerkschaftskongress der chemischen Produktion vor einer Versammlung von Gewerkschaften des ganzen Landes gehalten hat, ist zunächst Turati aufgetreten und hat reformistisches Zeug geschwatzt. Der italienische Kommunist Bombacci ist ziemlich milde aufgetreten. Ich frage. Warum lässt man Turati in eine Versammlung von Gewerkschaften kommen und den Arbeitern eine reformistische Rede halten, zu der sich dann Bombacci in milder Weise äussert? Solange Turati Mitglied der Partei ist, kann Genosse Bombacci natürlich nicht sagen: Das ist unser Klassengegner. Wir haben etwas anderes zu tun, als diesen Herrschaften die Möglichkeit zu geben, vor den einfachen Mitgliedern der Gewerkschaften in unserem Namen ihre reformistischen Anschauungen zu propagieren.

Ich komme zu der schwedischen Partei. Leider sind die Genossen Höglund u. a., die mit uns die Kommunistische Internationale gegründet haben, nicht da. Wir müssen aber auch in dieser Frage aussprechen, was ist. Die schwedische Linke hat sich bisher nicht kommunistische Partei genannt, und jetzt ist es klar, dass es kein Zufall war. Die Genossen geben eine theoretische Schrift heraus, die sich »Zimmerwald« nennt. Weiter als bis Zimmerwald ist man nicht gegangen. In dieser Schrift sind Artikel von rechten deutschen Unabhängigen abgedruckt. Und das ist auch kein Zufall, weil sie miteinander sympathisieren. Das Wichtigste ist, dass ausgesprochene Reformisten in der schwedischen Linken sitzen. Ich will schon nicht von Lindhagen sprechen, obwohl auch er noch Mitglied der Partei ist. Er hat am 12. März 1920 ganz offen vorgeschlagen, dass Schweden in den Völkerbund eintreten solle und hat sorgfältig fünf Abänderungsvorschläge zu den Statuten des Völkerbundes gemacht.

Die Partei hat Herrn Lindhagen in einem Artikel zwar desavouiert, aber trotzdem bleibt Lindhagen in der Partei und ist also formell Mitglied der Kommunistischen Internationale!

Ein Abgeordneter der schwedischen Partei, Einberg, hat in einem Artikel, in dem er die sozialpatriotische Forderung der Abrüstung erhebt, erklärt, man könnte jetzt das Kriegsamt ganz gut liquidieren, d. h. mit Zustimmung der Regierung. Er sagt dann weiter, er hoffe, dass die rechten Sozialdemokraten, d. h. Branting, ihn in dieser Frage weitgehend unterstützen werden.

Ferner ist ein bekannter Abgeordneter oder ein führender Genosse, der Schwede Ivar Vennerström, so aufgetreten, dass Branting erklärte: Es scheint, dass uns die linke sozialdemokratische Partei heiraten möchte. Höglund hat darauf geäussert, wenigstens er persönlich möchte den alten Branting nicht heiraten. Es ist aber in der Parteipresse der Linken erklärt worden, dass es Bedingungen geben kann, wo eine solche Heirat zur Diskussion gestellt werden könne.

Wir müssen die Dienste anerkennen, die die linke schwedische Sozialdemokratie der Kommunistischen Internationale geleistet hat. Es ist eine Bewegung, die aus der Jugendbewegung entstanden ist. Wir wissen, dass wir dort eine Anzahl Leute haben, die wirklich revolutionär sind. Wir müssen ihnen aber klar sagen, dass wir eine kommunistische Partei haben müssen, welche die Heirat mit Branting nicht zur Diskussion stellt und die Abrüstung schon längst über Bord geworfen haben muss, und dass wir nicht dazu berufen sind, die Statuten des Völkerbundes zu verbessern, sondern den Völkerbund selbst zu begraben.

Im Programmentwurf der dänischen Linken wird erklärt: Die Partei stellt fest, dass die Vernichtung des Militarismus die Aussichten einer unblutigen Revolution erhöht. – Ja, gewiss. Sollte der bürgerliche Militarismus vernichtet sein, so haben wir mehr Aussicht auf eine unblutige Revolution. Aber die Frage besteht eben darin, wie wir den Militarismus vernichten können, ohne das Blut der Bourgeoisie und unser eigenes zu vergiessen.

Ich komme zur norwegischen Partei. Die Zentrale duldet eine Rechte innerhalb der Partei. Scheflo hat in der Kommission erklärt: Ein Teil unserer Mitglieder sind Antisozialisten. Wie kam das? Weil sie ganze Gewerkschaften in die Partei aufnehmen. Das geht nicht so. Wir können gute Beziehungen zu den Gewerkschaften haben. Wir können kommunistische Fraktionen in den Gewerkschaften bilden, aber ganze Gewerkschaften mit 10 Prozent christlich-sozialen und anderen antisozialen Elementen aufnehmen, das ist ein Irrtum. Wir müssen unsere norwegische Partei darauf aufmerksam machen.

Die Jugoslawische Partei nennt sich jetzt Kommunistische Partei. Wir lasen aber früher eine ganze Anzahl reformistischer Artikel im Zentralorgan unserer jugoslawischen Genossen. Die Partei opponiert zwar dagegen. Aber das ist ein Zustand, den man nicht dulden soll und darf. Wir müssen unsere jugoslawische Partei darauf aufmerksam machen, dass es unmöglich ist, ausgesprochene Reformisten in der Partei zu haben, ihnen die Presse zur Verfügung zu stellen usw. Im übrigen ist die Kommunistische Partei Jugoslawiens eine prächtige Partei.

Es ist möglich, dass auch andere Parteien uns Russen etwas zu sagen haben. Es ist selbstverständlich, dass jede Partei, die der Kommunistischen Internationale angehört, unserer russischen Partei es sagen muss, wenn wir eine Sünde begehen. Das ist ihre internationale Pflicht. Wir sollen uns als einzige internationale Partei betrachten, die ihre Filialen in allen Ländern hat, und jede Filiale soll das Recht der »Einmischung« haben und sagen, was ist. Wir haben kommunistische Parteien, die wirklich kommunistisch sind und den Kern der Kommunistischen Internationale bilden. Wir haben aber leider noch eine Anzahl Parteien, die den Reformisten die Möglichkeit geben, die Arbeiterklasse zu betrügen und uns einen Teil des Vertrauens, das die Arbeiterklasse zu uns hat, rauben. Es ist klar: Treves raubt uns als Mitglied des Senats jeden Tag einen Teil des Vertrauens der Massen, und Bombacci und Serrati werden durch Turati und Modigliani des Vertrauens der Massen beraubt.

Wir haben Teile grosser alter Parteien, die zu uns kommen wollen. Ein Teil der Arbeiter aus diesen Parteien ist für uns, für die Errichtung der Diktatur, und ein Teil ist noch schwankend. Wir schlagen nicht vor, die französische Partei und die U.S.P. sofort aufzunehmen, sondern der Exekutive die Vollmacht zu geben, weiter zu verhandeln und zu prüfen, ob die Bedingungen erfüllt werden, die Presse Tag für Tag zu studieren und nach einiger Zeit einen Beschluss zu fassen. Die französischen Genossen haben uns in der Kommission erklärt, sie seien im grossen und ganzen mit unseren Bedingungen einverstanden. Die Vertreter der U.S.P. haben ungefähr dasselbe erklärt. Wir werden alles Mögliche tun, um die Annäherung zu erleichtern. Das Wichtigste besteht darin, dass sämtliche Artikel, die verbreitet werden, sorgfältig und gewissenhaft studiert werden, und dass man uns im Namen des Kongresses die offizielle Ermächtigung gibt, für einen gewissen Zeitabschnitt zu verfolgen, ob diese Bedingungen erfüllt werden. Man kann 18 000 Bedingungen annehmen und doch Kautskyaner bleiben. Es handelt sich um Taten. Wir haben diese Bedingungen aufgestellt, um einen Massstab zu haben, um die Möglichkeit einer objektiven Prüfung dessen, was der Kongress will, zu bekommen. Ich hoffe auf jeden Fall, dass der Kongress Klarheit schaffen und uns einen Anhaltspunkt geben wird, damit jeder Arbeiter klar sehen kann, was die Kommunistische Internationale will. Ich erkläre mit voller Sicherheit: Mag die Zentrale der U.S.P. sich verhalten wie sie will, mögen die Führer der Französischen Sozialistischen Partei sich verhalten, wie sie wollen, die Herzen der Arbeiter in allen Ländern gehören doch uns. Jeden Tag werden sie uns mehr gehören, weil die letzte Stunde der Bourgeoisie und der halbbürgerlichen II. Internationale geschlagen hat. Die Stunde des wirklichen Kampfes um den Sozialismus ist gekommen.

Etwas früher oder später werden das alle Arbeiter verstehen. Über die Köpfe ihrer schwankenden Führer hinweg werden sie zu uns kommen, und es wird sich eine wirkliche Kampforganisation der revolutionären Arbeiterklasse bilden. (Grosser, langanhaltender Beifall.)

Balabanoff. Es wird folgender Antrag gestellt: Die Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören, werden veranlasst, die Angehörigen der Freimaurerei als einer kleinbürgerlichen Organisation aus ihren Reihen auszuschliessen, d. h., dass diejenigen Genossen, die der Kommunistischen Internationale angehören, besonders im Westen, kein Recht haben, der Freimaurerei anzugehören. Dieser Antrag ist vom Genossen Serrati gestellt. Die Frage wird noch später besprochen. Wir haben sie hier gestellt, damit die Genossen wissen, dass sie hier zur Diskussion gestellt wird.

Radek. Nach der Sitzung der Kommission, die über die Bedingungen des Eintritts in die Kommunistische Internationale verhandelt hat, nachdem die französischen und deutschen Genossen ihre Zustimmung zu diesen Bedingungen ausgesprochen haben, haben wir, die in der Kommission anwesend waren, uns fast einstimmig die Worte in Erinnerung gerufen, die Béla Kun nach der Einigung mit der ungarischen Sozialdemokratie gesprochen hat. Er sagte, er habe den Eindruck, dass die Sache zu leicht gegangen sei. Dieses Gefühl hatten wir auch in diesem Augen blick, das kann niemand loswerden.

Wer die französische Partei und die USPD nicht nur auf einige Artikel in ihrer Presse hin beurteilt, der wird verstehen, wenn ich mich nicht auf den Standpunkt stellen kann: was vergangen ist, ist vergangen, sondern, dass ich hier auf dem Kongress der deutschen Arbeiterschaft wieder einmal ins Bewusstsein bringen will, wie wir die Entwicklung der U.S.P. ansehen. Es ist unmöglich, dass eine Partei durch die Unterzeichnung eines Stückes Papier, durch Unterzeichnung von Bedingungen, von einem Tag zum andern ihren Charakter ändern kann. Wir haben zwei Tatsachen zu berücksichtigen. Die eine Tatsache ist die dauernde Radikalisierung der deutschen Arbeiterklasse, eine Tatsache, die uns nötigt und zwingt und zur Pflicht macht, mit den unabhängigen Arbeitern Fühlung zu suchen und in ihnen unsere Kampfgenossen zu sehen. Die unabhängigen Arbeiter haben nach den ersten Monaten der Ebert-Scheidemann-Regierung den Kampf gegen diese Regierung aufgenommen. Als ich nach Deutschland kam, war mein erster Eindruck der, dass neun Zehntel der Arbeiter am Kampf gegen die Regierung teilnahmen. Bei den Kämpfen im Januar und März standen die unabhängigen Arbeiter Schulter an Schulter mit den kommunistischen Arbeitern und kämpften mit ihnen, wo es nötig war, mit den Waffen in der Hand. In allen Gefängnissen, wo unsere Genossen sassen, waren sie mit unabhängigen Arbeitern zusammen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass die Mehrheit der Führer der U.S.P., diese Führer, die nach aussen hin als der ausschlaggebende Faktor der Partei auftreten, nicht nur kein vorwärtsstrebender Faktor in dieser Entwicklung waren, sondern ein zurückhaltender Faktor, dass sie nur vorwärts gingen, weil sie von der eigenen Arbeiterschaft gestossen wurden, und dass sie bei jedem Schritt vorwärts die Arbeiter zu verwirren suchten. Von Sinowjew wurden schon ein paar Momente aus dem Antwortschreiben der U.S.P. zitiert. Ich will in kürzester Weise einige Feststellungen vornehmen. Das Antwortschreiben negiert die Tatsache, dass die U.S.P. die Solidarität mit Sowjetrussland gebrochen hat, dass sie für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen, der in der Ausweisung der russischen Botschaft zum Ausdruck kam, mit verantwortlich ist. Die Scheidemann-Regierung unter Prinz Max von Baden hätte zuerst den Bruch vollzogen. Aber die U.S.P. war schon in der Regierung, als sich die russische Gesandtschaft in Borissow unter dem Schutz der deutschen Maschinengewehre befand, und trotz der zahlreichen Telegramme der Gesandtschaft und trotz der Verhandlungen mit ihren Vertretern haben sie nicht einen Finger gerührt. Sie haben gesagt, Joffe solle nach Russland zurückkehren, erst müsse man prüfen, oh er Seine Majestät den Thronsessel nicht beleidigt habe, und dann könne man über die Wiederaufnahme der Beziehungen sprechen. Ich brauche nur folgendes zu zitieren: Hier ist das Protokoll der Sitzung des Rats der Volksbeauftragten vom 19. November 1918. In diesem Protokoll heisst es: Fortsetzung der Besprechung über das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetrepublik. Haase rät, dilatorisch vorzugehen… Kautsky schliesst sich Haase an; die Entscheidung müsse hinausgeschoben werden. Die Sowjetregierung würde sich nicht mehr lange halten, sondern in einigen Wochen erledigt sein...

Das ist ein offizielles Protokoll der Sitzung der Regierung, und dieses Protokoll wird bestätigt durch einen Unabhängigen, der zusammen mit Haase und Dittmann in der Regierung sass, durch Barth in seinen Erinnerungen. Wenn wir den Unabhängigen vorwerfen, dass sie die deutsche Revolution in das Fahrwasser der Entente zu leiten mitgewirkt haben, so wird das durch folgende Tatsache bestätigt: Als die Sowjetregierung den symbolischen Akt beging und die damaligen Volksbeauftragten benachrichtigte, sie sende zwei Züge Getreide, womit wir nicht behaupten wollten, dass wir jeden Tag zwei Züge Getreide senden können, sondern dass es notwendig ist, die Geschicke der beiden Völker zu verbinden, da lief die Antwort Haases ein, in der er sagte, die amerikanische Regierung habe sich verpflichtet, Getreide an Deutschland zu liefern; er danke sehr für die Zusendung, sie möge zur Stillung des Hungers der leidenden Bevölkerung Russlands gebraucht werden. Als wir am Fernapparat standen und dieses Antwortschreiben erhielten, da fühlten wir, dass damit das Band, das trotz der Kritik von Zimmerwald und Stockholm bestanden hatte, schneidend zerrissen wurde. Man gab uns zu verstehen: »Ihr seid Hungerleider; wir setzen unsere Hoffnung deshalb auf den Mächtigen der Welt, auf den amerikanischen Kapitalismus«. Wir werden mit den deutschen unabhängigen Arbeitern zusammenkommen. Es gibt indessen Dinge in der Geschichte einer Arbeiterpartei, die man nicht vergisst. Mit den Führern, die zusammen mit Haase für die Politik des November 1918 verantwortlich sind, wollen wir nichts zu tun haben. Es gibt Dinge, die ein Revolutionär, und mag er noch so sehr irregeführt sein, nicht tut, und dazu gehört der Bruch der Solidarität mit einer Arbeiterklasse, die ihre Hilfe anbietet. Wenn die U.S.P. sagt: wir sind gegen den Völkerbund, so sagen wir: heute ist es keine grosse Kunst, gegen den Völkerbund zu sein. Nach dem Frieden von Versailles, als Hilferding, Dittmann und Longuet in Luzern zusammen kamen, haben sie sogar eine Revision der Verträge vorgeschlagen. Was bedeutet das? Man schreit nach der Weltrevolution und gibt dabei doch niemals die Hoffnung auf, dass Wilson, Lloyd-George und Clemenceau mit sich reden lassen werden. In diesen Tagen trat der Charakter der U.S.P. sehr scharf zutage. Wir dürfe nicht vergessen, dass nach der Niederwerfung der Genossen in Berlin im März, während noch die Kanonen von Noskes Gnaden dröhnten, die U.S.P. die Erkämpfung der Diktatur in ihr Programm aufnahm. Und wo die Arbeiter für die Diktatur eintraten, stellte sich die U.S.P. vor sie, um sie zu verwirren. Wir haben die Pflicht, vorsichtig zu sein und den Arbeitern der U.S.P. Zuzurufen: Seid immer in Bereitschaft, seid immer vorsichtig, denn in eurer Partei stehen Leute an der Leitung, die im entscheidenden Moment den Zug auf falsches Geleise bringen können, die fähig sind, das Vertrauen aus Mangel an revolutionärer Einsicht oder aus Mangel an revolutionärem Willen zu täuschen.

Es wurde die Frage gestellt: Warum gingen die Genossen nicht zur Kommunistischen Internationale, nachdem sie aus der Regierung ausgetreten und eine revolutionäre Partei geworden sind? Ich habe die Debatten aus der Reichskonferenz der U.S.P. vom 10. September 1919, laut Nummer der »Freiheit« vom 11. September 1919 vor mir. In dieser Beratung sagte Hilferding, von dem keiner sagen kann, er sei tot für die Partei wie Kautsky, denn er ist der spiritus rector, der geistige Leiter der Partei: Bei der Frage des Anschlusses an die Moskauer Internationale muss damit gerechnet werden, dass wir vielleicht unseren Nachen an ein sinkendes Schiff ketten; denn der russische Bolschewismus ist die Kommunistische Internationale.

In dem Moment, wo die Heere der Gegenrevolution, besonders die von Denikin und Koltschak, ihren Zug gegen Sowjetrussland unternahmen, wo es für jeden Arbeiter, der mit seinen Gefühlen, mit seiner Seele bei der Revolution stand, klar war, dass man in der gegenwärtigen Stunde Sowjetrussland mit allen Mitteln zu Hilfe eilen müsse, in diesem Moment steht der Mann, der die U.S.P. leitet, auf und sagt: Dieses Schiff wird von Stürmen umdroht, ketten wir um Gottes willen nicht unseren Nachen daran, wir könnten untergehen. Der Kongress hat sich nicht verpflichtet, eine Liste der Genossen aufzustellen, deren Ausschluss wir fordern. Er hat sich aber verpflichtet, von den Arbeitern zu fordern, dass sie als Führer nicht einen Schieber der Revolution haben dürfen, der es wagt, den deutschen Arbeitern zu sagen: Schliesst euch nicht an die russischen Arbeiter an, denn sie sind in Gefahr. Wir sagen den deutschen Arbeitern: Wenn ihr euch auf die geschriebenen Bedingungen verlasst und an die Spitze Leute setzt, die in der Stunde der Gefahr so handeln, dann seid ihr verkauft und verraten. Wann die Stunde der Gefahr schlagen wird, wissen wir nicht, aber wir wissen sehr gut, wie diese Schieber der Revolution handeln werden. Wir rechnen jedoch noch mit dem Selbständigkeitsgefühl der Partei. Sie soll selbst das Haus reinmachen. Reinigt das Haus, aber nicht mit einem Besen, reinigt es mit glühendem Eisen, denn es handelt sich nicht darum, nur Hilferding aus der Partei auszuschliessen, es handelt sich darum, den kleinmütigen Geist, den schwachen revolutionären Willen mit glühendem Eisen aus der Partei zu vertreiben! Wenn die U.S.P. das nicht tut, so wird der Anschluss nur eine Geste sein; dann haben wir tote Seelen für die Kommunistische Internationale gewonnen. Ich habe das feste Vertrauen, dass die Arbeiter der U.S.P. und der linke Flügel anders vorgehen werden, als sie bisher vorgegangen sind. Wir müssen offen sagen, die Sache steht nicht so: auf der einen Seite die rechte U.S.P. und auf der anderen Seite die kampferprobte Masse. Wenn die Linke bisher vermieden hat, vor aller Öffentlichkeit ihr Recht zu erkämpfen, so deshalb, weil sie damit gerechnet hat, durch irgendwelche Operationen die rechte U.S.P. aus der Partei hinauszudrücken.

Wenn Ihr nicht Schulter an Schulter mit den Kommunisten kämpft gegen die Vergangenheit der Partei, die darin besteht, dass man die Revolution fordert und doch an sie nicht glaubt, dass man sagt, jetzt ist sie da, ebenso wie etwas, was einem auf den Kopf fällt, – wenn Ihr diese Vergangenheit der Partei nicht bekämpft, so wird Euer Eintritt in die Kommunistische Internationale nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Es handelt sich nicht darum, dass Stöcker theoretisch für die Kommunistische Internationale ist, dass Däumig Artikel über die Rätediktatur schreibt, sondern es gilt, eine eigene Politik zu treiben gegen die Führer, wenn die Führer die Partei zurückhalten wollen. Die Führer der U.S.P. haben sich in der Kommission bedingungslos für den Anschluss an die Kommunistische Internationale ausgesprochen. Crispien hat aber in der zweiten Ausgabe seiner Broschüre erklärt, »dass die Gründung der Kommunistischen Internationale ein verfrühter Versuch sei«. Und weiter: »Wie leicht erscheint manchem die Lösung der Frage der Kommunistischen Internationale: »Nach Moskau! Gehen wir nach Moskau!« Aber der Weg führt uns nicht zur Lösung, wenn wir nicht als revolutionäre, sozialistische Partei Selbstmord verüben wollen«. (Seite 36.) Es gibt viele lebendige Leichen in der Internationale. Crispien ist unser Gast, und wir freuen uns sehr, ihn hier lebendig zu sehen. Dass er hierher kam, ist ein Resultat des Druckes der Arbeiter. Crispien hat auf dem Parteitag weiter erklärt: »Den Weg nach Moskau haben die Moskauer selbst durch ihre Beschlüsse und durch ihre Basis gegen die Unabhängigen für uns gesperrt. Auf Grund dieser Beschlüsse könnten wir nur in den Kreml gelangen, wenn wir uns blindlings den Kommunisten unterordnen und in die internationale kommunistisch-syndikalistische Organisation aufgehen würden.« (Crispien: »Die Internationale«, Seite 39.) Die U.S.P. war unter dem Druck der Arbeiter gezwungen, nach Moskau zu gehen. Sie kam zu uns, ohne etwas an unserem Programm und unserer Taktik auszusetzen, nachdem sie erfahren hatte, dass die französischen Delegierten schon hierher gesandt worden waren. Daraus sollen die Arbeiter ihre Schlüsse ziehen und die Zustände, die bei ihnen bestehen, ändern; denn es handelt sich bei den Vertretern der U.S.P. nicht um die durch uns, sondern um die durch die revolutionären Arbeiter geschlagenen Führer als die schlechten Führer der deutschen Arbeiterschaft. Wir sehen in der U.S.P. eine gute revolutionäre Partei, insoweit es sich um ihre Arbeitermassen handelt. Die Aufgabe der deutschen Arbeiter ist es, das Werk zu Ende zu führen und die U.S.P. Zu einer revolutionären Partei zu machen, die ihre Grundsätze nicht auf dem Papier stehen lässt, sondern sie auch in der Praxis jeden Tag erfüllt und durchführt.

Cachin. Genossen! Ich werde mich darauf beschränken, Euch eine vom Genossen Frossard und von mir unterzeichnete Deklaration zu verlesen. Sie lautet:

Genossen, da Genosse Frossard und ich zu dem bestimmten und ausschliesslichen Zweck gegenseitiger Information zu Euch gesandt wurden, können wir hier – Ihr werdet es verstehen, Genossen – nur eine kurze Erklärung in unserem eigenen Namen abgeben.
Mit grösster Aufmerksamkeit haben wir die von der zuständigen Kommission im Namen des Exekutivkomitees vorgelegten Leitsätze über die Aufnahmebedingungen gelesen und diese Leitsätze mit zahlreichen massgebenden Genossen erörtert. Soeben haben wir die Erläuterungen des Genossen Sinowjew vernommen. Wir sind nicht beauftragt, sie eingehend zu erörtern. Wir entnehmen diesen verschiedenen Informationsquellen daher nur die wichtigsten, leitenden Gedanken.
Ihr fordert, dass die Parteien, die sich Euch anzuschliessen wünschen, vorerst in Wort und Tat, in ihrer Presse und Propaganda sich von den reformistischen und opportunistischen Ideen lossagen. Ihr wünscht, dass sie die Nichtigkeit dieser Ideen beweisen, deren Kundgebungen auf jedem Gebiet bekämpfen und die Notwendigkeit der revolutionären Tat in allen ihren Formen befürworten. Wir sind voll und ganz damit einverstanden.
Diese wichtige Forderung wird praktische Folgen haben, mit denen die Parteien, die sich Euch anschliessen wollen, rechnen müssen.
In erster Reihe wird jedes Parteimitglied seine Wahl treffen und sich endgültig für den Reformismus oder für die Revolution entscheiden müssen. Es handelt sich hier nicht um Personen, und Ihr habt vollständig recht, auf die gründliche Reinigung der Parteien zu bestehen. Unter den gegenwärtigen geschichtlichen Verhältnissen gehört derjenige, der im Augenblick des überall entbrannten, entscheidenden sozialen Kampfes noch mit der bürgerlichen Gesellschaft zusammenzuarbeiten sucht, nicht in die Reihen der Partei der Arbeiterklasse.
Wir sind bereit, von allen unseren Genossen zu fordern, dass sie in den Gewerkschaften und in der Partei als wahre Sozialisten vorgehen. Wir sind bereit, mit den aktiven Revolutionären der syndikalistischen Organisationen, die die Notwendigkeit der politischen Aktion zugeben, brüderlich zusammenzuarbeiten. Weiter muss die Propaganda gegen die imperialistische Ideologie, gegen deren Anhänger und Stützen mit grösserer Tatkraft denn je betrieben werden.
Seit nunmehr zwei Jahren stimmt unsere sozialistische Gruppe im Parlament gegen die Bewilligung der Kredite und das Budget im allgemeinen. Jegliche Beteiligung an der Regierung hat sie auf das entschiedenste verurteilt. Das hat sie seit dem Friedensschluss getan. Sollte der Weltkrieg eines Tages wiederum entflammen, so wird die gegenwärtige verbrecherische imperialistische Politik der französischen Bourgeoisie daran die Hauptschuld tragen.
Wir werden uns weigern, diese Politik auch nur im geringsten zu unterstützen, sei es in der Form von Kreditbewilligungen oder der Teilnahme am Ministerium. Wir werden uns zu erinnern wissen, dass unter Bedingungen, wenn die nationalen Interessen mit den Interessen der Plutokratie verwechselt werden, die höchste Pflicht des Proletariats seiner Klasse gehört.
Das Programm unserer Partei muss geprüft und mit dem Geist der Kommunistischen Internationale in Einklang gebracht werden. Verstärkte Zentralisation, scharfe Kontrolle der parlamentarischen Tätigkeit und der Parteipresse, strenge Disziplin für alle Mitglieder – das scheinen uns die Grundbedingungen einer erneuten Aktion zu sein, wie sie von der Jetztzeit erheischt werden.
Ihr fordert uns auf, die Sowjetrepubliken in ihrem Kampf mit der Gegenrevolution rückhaltlos zu unterstützen. Mit grösserer Energie als bisher werden wir den Arbeitern die Notwendigkeit klarlegen, die Beförderung von Munition und Ausrüstungen für die Gegenrevolutionäre zu verweigern. Unter den zur Bekämpfung der Sowjetrevolution ausgesandten Truppen werden wir mit allen Mitteln gegen die Intervention agitieren.

Genossen! Das sind die Erklärungen, die wir in Anbetracht des engen Rahmens unserer Mission abgeben können. Wir sind überzeugt, dass unser Freund Longuet, falls er hier sein könnte, nach einigem Nachdenken der gleichen Ansicht sein würde wie wir. Wir werden als Träger Eurer Bedingungen nach Frankreich zurückkehren und sie ebenso wie die gesamte Literatur der Kommunistischen Internationale getreu unserer Partei vorlegen. Zu gleicher Zeit werden wir eine eifrige Kampagne zur Darstellung der Lage der russischen Revolution führen.

Wenn sämtliche Sektionen der Partei von den Tatsachen in Kenntnis gesetzt sein und diese ernsthaft erörtert haben werden, wird – schon nach einigen Wochen – ein Kongress stattfinden. Frossard und ich werden den Anschluss an die Kommunistische Internationale befürworten. Bis dahin ist es überflüssig, unsere Versicherungen und Versprechen zu wiederholen. Wir werden daher endgültig mit der Vergangenheit brechen und entschlossen zur Tat schreiten, deren Beurteilung wir der Kommunistischen Internationale überlassen.

Lefèvre. Genossen! Auf dem Kongress zu Strassburg hat die sozialistische Partei beschlossen, mit einigen sozialistischen Parteien in Verbindung zu treten, um, wie die Mehrheit der französischen Partei sich ausdrückte, die Internationale wieder aufzubauen (reconstruire). Auch der Kommunistischen Internationale sollte ein Besuch gemacht werden, und während dieses Besuchs geschah es, dass die Genossen Frossard und Cachin, geblendet durch die Errungenschaften der russischen Revolution, ihren Standpunkt, wie es scheint, vollständig geändert haben. Ja, neulich sagte unser Genosse Cachin sogar: »Wiederaufbau – welch ein sinnloses Wort«. Das ist eine einfache und brutale Verdammung einer ganzen Vergangenheit. In der Tat, Genossen: seit dem Strassburger Kongress hat sich die Französische Sozialistische Partei, ich spreche von ihrer Mehrheit, mechanisch beständig immer mehr nach links entwickelt. Da die Fraktion der Linken, die sich als die Fraktion der Kommunistischen Internationale erklärt hat, die Fraktion Loriot, wie man sie zu nennen pflegt, immer gewachsen ist und auch jetzt noch unaufhörlich wächst, und da andererseits die alte Fraktion, die Fraktion Renaudels, in demselben Verhältnis zusammengeschmolzen ist, so dass sie praktisch in unserer Partei, wenigstens unter den Kämpfern, nicht mehr mitzählt (in der Parlamentsgruppe und in den Stadtverwaltungen behält sie noch die absolute Mehrheit), war es natürlich, dass die aktive Mehrheit der Partei sich gegen diejenigen wandte, deren zunehmender Einfluss sie beunruhigte. Wir haben in Strassburg die Heirat Renaudels und Paul Faures gesehen und waren zugegen, als die rechte Fraktion und das Zentrum Paul Faure Beifall spendeten, der sich, um den revolutionären Bluff zu erklären, ironisch an die Anhänger der Kommunistischen Internationale wandte mit den Worten: Ihr sprecht die ganze Zeit über die Revolution der Massen. Ihr wisst nicht, was eine Revolution ist, ihr wisst nicht, was notwendig ist, um eine revolutionäre Bewegung in den französischen Massen hervorzurufen, die konservativ gesinnt sind, wie sie es am 10. November gezeigt haben, und die sich vor euch fürchten (denn die Wahlangelegenheiten haben für die Französische Sozialistische Partei eine geradezu religiöse Wichtigkeit). Die Massen werden euch in eurer demagogischen Evolution nicht folgen. Ihr bildet euch ein, Propaganda zu machen, da ihr die alten hergebrachten Versammlungen in den Händen habt, wo immer wieder dieselben Personen dieselben Agitationsreden halten. Fordert aber die Arbeiterklasse zu einer mächtigen und klaren Handlung auf, um die Expedition gegen Russland zu verhindern, oder gar zur Erlangung der Macht, so werdet ihr sehen, wie wenig man euch folgt.

Pressemane, der insbesondere über die französischen Bauern sprach, führte analoge Argumente an. Er hat von den französischen Massen diejenigen, die man in Frankreich noch die »äusserste Linke« nennt, d. h. die Fraktion der Kommunistischen Internationale, den alten Kämpfern als eine Art Besessene gegenübergestellt, eine Art Epileptiker, die nicht wissen, was eine politische Organisation ist. Pressemane hat vergessen hinzuzufügen, dass er selbst und seine Freunde, ihren gesunden demagogischen Traditionen getreu, den Massen nur das Minimum über die Revolution mitteilen, das genügt, ihren Beifall hervorzurufen, ohne indessen etwas zu unternehmen, was sie zum Siege führen könnte.

Ich möchte den Kongress bitten, mir zu gestatten, die Beschuldigung, die ich hier ausspreche, durch ein kurzes Beispiel aus dem inneren Leben der französischen Partei deutlich zu machen. Die Tätigkeit der Französischen Sozialistischen Partei wird in den Augen der Masse durch die Tätigkeit der Parlamentsgruppe bestimmt. Was aber im Innern der Partei vor sich geht, ist nur den Kämpfern selbst bekannt, oder kann, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, während ihrer Propagandareisen erfahren werden. Die Leute aber, die keine Versammlungen besuchen, die keine revolutionären Zeitungen lesen, die Leute der Strasse, wie man sie in England zu nennen pflegt, kennen nur die Parlamentsgruppe und ihre Debatten, und sie ist für sie die Verkörperung des Sozialismus. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass die französische sozialistische Parlamentsgruppe genau so konservativ ist, wie alle übrigen bürgerlichen Gruppen dieser Versammlung. Ich behaupte, dass sich in ihrer Art zu sprechen weder Rache noch die Leidenschaft eines Menschen ausprägt, der beständig gegen eine feindliche Fraktion anzukämpfen hat. Wenn ich genügend Zeit hätte, würde ich versuchen, Euch eine Serie kurzer Biographien von Leuten zu geben wie Paul Boncour, Varenne, Albert Thomas, der der unbestrittene Führer der sozialistischen Parlamentsgruppe ist. Ist es wirklich in der Internationale bekannt, wie weit die Tätigkeit eines Varenne reicht, die journalistische Tätigkeit dieses Herausgebers einer Reihe von bürgerlichen Zeitschriften, die eine nach der anderen erscheinen und wieder verschwinden, aber trotzdem immer finanzielle Quellen besitzen? Albert Thomas ist mit Jouhaux, Mitarbeiter der Zeitschrift »L’Information ouvrière et sociale«, die von Herrn Dulot, dem Redakteur des »Temps«, des offiziellen Organs der französischen Bourgeoisie, unterstützt wird, intim befreundet. Endlich befindet sich jeder dieser Männer im Parlament, und das dank einem besonderen Wahlsystem nicht durch den allgemeinen Willen der sozialistischen Arbeiter, sondern auf Anordnung einiger antiklerikal gesinnter Bourgeois. Daher wird auch von Leuten wie Léon Blum der an und für sich unwichtigen Frage über das Verhältnis zum Vatikan eine so grosse Bedeutung zugeschrieben. Ich möchte Euch eine Reihe von Einzelbeispielen anführen, ich werde jedoch nicht die genügende Zeit dazu haben. Als typisches Beispiel will ich den Fall des Abgeordneten Aubry erzählen, eines jungen Lehrers aus den Reihen der äussersten Linken der Französischen Sozialistischen Partei, der im Laufe von einigen Wochen von dem ansteckenden Verrat dieser Gruppe soweit bekehrt wurde, dass er, kurz nachdem er gewählt worden war, mit dem General de Boissoudy und dem Erzbischof Rennes einen Aufruf zugunsten einer nationalen Anleihe zeichnete, was in der sozialistischen Gruppe eine ganz normale Erscheinung ist, die dort gang und gäbe ist und niemand in Erstaunen setzt. – Ein komischer Vorfall, der die Aufrichtigkeit der revolutionären Gesinnung eines sozialistischen Deputierten zeigt, ereignete sich neulich in der Kammer. Das Untersuchungsgericht von Rouen forderte die Verfolgung eines Deputierten von Pas-de-Calais, Barthélemy, der eine öffentliche Zusammenkunft mit unserem Genossen Méric in Sotteville veranstaltet hatte. Man beschuldigte Barthélemy, gesagt zu haben, dass er sich im Falle der Revolution in die erste Reihe auf die Barrikaden stellen und an der Spitze der proletarischen Truppen sterben würde. Sofort betrat der Abgeordnete Barthélemy die Rednertribüne. »Wie« rief er aus, »ein französischer sozialistischer Abgeordneter wagt es, so etwas zu sagen, wagt es, davon zu sprechen, dass man sich an die Spitze der Revolutionäre stellt und sich töten lässt. Ich habe nie solche Worte in den Mund genommen«. Und das Parlament hat ihm sofort geglaubt. So solid ist das konservative Ansehen der sozialistischen Gruppe. Ich wiederhole, dass täglich Erscheinungen dieser Art zu bemerken sind. Als vor einiger Zeit unser Genosse Maurin von der linken Fraktion des Wiederaufbaus (reconstructeur) in der Verwaltungskommission der Partei über die Art und Weise sprach, in der die Propaganda in Frankreich geführt werden müsse, erklärte er mit einer geradezu zynischen Aufrichtigkeit, die Propaganda müsste gestattet werden, damit die Genossen, die bereits gewählt sind, wiedergewählt werden, und die Wahl der Genossen, die es noch nicht sind, vorbereitet würde. Bevor man eine Rede hielt, musste man also bei den örtlichen Autoritäten anfragen, wer die kleinen Parteibonzen der Gegend sind; man musste irgend etwas Opportunistisches, etwas, was den unmittelbaren materiellen Interessen der Wahlsituation entsprach, vornehmen.

Aber es gibt eine noch wichtigere Sache als das parlamentarische Leben einer bei den Massen Frankreichs diskreditierten Gruppe. Man hält heutzutage einen Deputierten mit wenigen Ausnahmen für einen Verräter, oder für jemand, der nicht mitzählt. Das französische Parlament ist in den Augen der Massen vollständig diskreditiert. Das ist vielleicht das beste Resultat des Verrats der sozialistischen Gruppe im Parlament. Die Munizipalitäten haben eine grössere Bedeutung. Die Französische Sozialistische Partei hat bei den Wahlen grossen Erfolg gehabt. Wir beherrschen den grössten Teil der Gemeindeverwaltungen der grössten Städte Frankreichs. Wir haben 1500 bis 1800 Gemeindeverwaltungen, was eine imposante Gesamtzahl darstellt. Am Tage vor meiner Abreise wurde in Boulogne ein Kongress eröffnet, der übrigens als vornehmsten Zweck verfolgte, die Tätigkeit dieser Gemeindeverwaltungen zu vereinen. Auf ihm sind mehrere Fragen aufgeworfen worden. Es wurde vor allem bestimmt, anstatt den Bankerott der Konzessionsgesellschaften zuzulassen, die in diesen Gemeinden wohnenden Arbeiter mit neuen bedeutenden Steuern zu belasten. Die Forderung, den Krach einer Reihe dieser Konzessionsgesellschaften zuzulassen, wurde für revolutionär erklärt und sofort verworfen. Als die Frage auftauchte, den sozialistischen Gemeinden zu verbieten – (ich bin genötigt, zufällig gewählte Beispiele anzuführen, die der Kommunistischen Internationale die Möglichkeit geben, zu urteilen, welches Geschenk man ihr machen will), ich wollte also sagen, dass, als man diesen Gemeinden verbieten wollte, an den chauvinistischen Feierlichkeiten am 14. Juli teilzunehmen, der Vorschlag zurückgezogen wurde. Und Mistral, der Vertreter der augenblicklichen Mehrheit, hat sich geweigert, diesen Vorschlag vor den Nationalrat (Conseil National) zu bringen. Was die Mehrheit der Versammlung der Gemeinden betrifft, war sie entschieden gegen diesen Vorschlag, und es ist nicht lange her, dass – bald nach dem Streik im Mai, als die Regierung die aktiven Genossen aufs energischste bekämpfte – sich ein Abgeordneter fand, der ehrwürdige Delory, ein alter Parteiarbeiter, den Ihr alle kennt, der selbst um die grosse Ehre bat, in der Stadt Lille, deren Stadthaupt er ist, zwei Minister empfangen zu dürfen, die der Stadt Lille einen militärischen Orden überreichen sollten. So werden in den von der Französischen Sozialistischen Partei beherrschten Gemeinden die Geschäfte erledigt. Endlich, Genossen, ist es nicht befremdend, wenn man, nachdem sich die besten Elemente der Partei mit Abscheu von ihr abgewandt haben, uns, den Anhängern der Kommunistischen Internationale, auf jedem Kongress den Vor- wurf macht, dass wir die Einigkeit zu zerstören suchen? Wir haben stets darauf geantwortet, dass man nicht das zerstören könne, was nicht existiert, und eine Einheit existiere nicht. Sie ist nicht vorhanden, weil es in der Partei Personen gibt, die darin nicht sein dürften, und weil Personen, die darin sein müssten, nicht in der Partei sind. Die Einigkeit wird erst eintreten, wenn eine gründliche Reinigung vorgenommen wird (eine Reinigung, die uns von der Mehrheit der Partei schon längst versprochen ist, auf die wir indes immer noch warten). Ist es weiter nicht befremdend, wenn in einer endlich reinen kommunistischen Partei mit einer strengen Disziplin die revolutionären Syndikalisten, die sich heute noch auf die Seite des anarchistischen Syndikalismus verirren, sich in ihrer Arbeit nach den hier ausgearbeiteten Leitsätzen des Kommunismus richten? Ich wollte Euch gern erzählen, wie der Maistreik bei uns verlaufen ist, was die Folgen dieses Streiks (die übrigens unermesslich waren) sind, und welche Lehren wir daraus ziehen müssen. Ihr sollt nur eins wissen, nämlich, dass die gelogen haben, die in Strassburg behaupteten, die Massen würden nicht gehen. Sie sind gegangen, und zwar gründlich und in grossen Massen, und nur der Mangel an revolutionärem Wollen bei den Führern war die Ursache ihrer Niederlage. Deshalb kann man auch sagen, dass die einzige Schlussfolgerung, die man aus dieser blutigen Erfahrung ziehen kann, die Notwendigkeit der Schaffung einer kommunistischen Partei ist. Die Bekehrung unserer Genossen Cachin und Frossard ist nur eine individuelle Tatsache. Sie werden nach Frankreich zurückkehren, sie werden ihre Erklärungen einer aufmerksam lauschenden Menge vortragen. Es ist zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss einer langen opportunistischen Vergangenheit und der besonderen Denkweise – indem ich das sage, spreche ich keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit unserer Genossen aus – es ist sehr zu befürchten, sage ich, dass sie, indem sie die Partei der Kommunistischen Internationale zutreiben, ihr ein Mindestprogramm aufhalsen werden, das für uns Franzosen den Nachteil hätte, dass unser Beitritt zur Kommunistischen Internationale ein rein platonischer wäre und für Euch, Genossen, den noch viel grösseren Nachteil brächte, dass der Geist des Verrats der II. Internationale in Eure Reihen eindringt. Ich behaupte, dass die Atmosphäre in Frankreich unerträglich ist. Das muss geändert werden. Die Änderung der Meinungen zweier Männer darf keinen Einfluss haben. Wir müssen unerbittlich bleiben, und ich versichere Euch, dass die Massen in Frankreich ohne zu schwanken Euch folgen werden, wenn Ihr selbst fest bleiben werdet. Es darf nicht zugelassen werden, dass an die in Moskau ausgearbeiteten marxistischen Thesen die französische Hypothese aus dem Palais Bourbon angeklebt wird. Die Anwendung dieser Thesen würde nur lächerlich wirken, und zwar deshalb, weil wir Leuten vertrauten, die seit 6 Jahren das Wort »Sozialismus« kompromittieren und dadurch die Proklamierung des Kommunismus nötig machten.

Graziadei. Ich habe ums Wort gebeten, um eine Frage zu berühren, die bereits von dem Genossen Serrati aufgeworfen wurde. Da aber bei der Fassung, die Genosse Serrati ihr gegeben hat, eine Diskussion unmöglich ist, bestehe ich darauf, zu den dem Kongress vorliegenden Leitsätzen die Einfügung folgenden Leitsatzes in Vorschlag zu bringen:

»Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale beitreten will, darf unter keinen Umständen zulassen, dass ihre Mitglieder der Sekte der Freimaurer angehören.« – Die Freimaurer bilden tatsächlich in verschiedenen Ländern politische Organisationen, die durch ihre abstrakte, formalistische und kleinbürgerliche Auffassung der sozialen Beziehungen und durch ihre ganze Zusammensetzung den Interessen des nationalen und internationalen bürgerlichen Systems dienen. Durch den Umstand, dass die Freimaurersekte eine geheime Organisation ist, wird ihr Einfluss um so gefährlicher.

Die blosse Einsichtnahme in die Schriften der Freimaurer genügt, um meinen Antrag zu begründen. Die Frage bietet für die Russen wenig Interesse; um so grösser aber ist ihre Bedeutung für die romanischen Länder, für England und Amerika. Die Freimaurerei übt in diesen Ländern einen ziemlich grossen Einfluss aus. Sie ist eine politische Organisation, die nach der Eroberung und der Erhaltung der Macht strebt. Sie sammelt Beamte, Gelehrte, Geschäftsleute um sich. Die Lehre, auf die sie sich gründet, ist der sozialistisch-marxistischen Auffassung direkt entgegengesetzt. Sie bemüht sich, die nationalen und Klassenunterschiede unter einer abstrakten und formalistischen Auffassung theoretischer Rechte zu verschleiern. Ausserdem ist sie eine geheime Organisation, und da wir selbst in vielen Ländern noch keine geheimen Organisationen haben, sind wir ihrer Meinung nach in einer untergeordneten Stellung.

Die Genossen, die Mitglieder der Freimaurersekte sind, können uns kontrollieren, ohne dass wir die Möglichkeit besitzen, sie unsererseits in ihrer Organisation einer Kontrolle zu unterziehen. Wir haben in Italien eine interessante Erfahrung in dieser Frage gemacht. Auf dem Parteikongress in Ancona, vor dem August 1914, hatten wir bestimmt, es sei unvereinbar, dass die Genossen gleichzeitig Mitglieder der Partei und der Freimaurersekte seien. Nach einigen Monaten brach der Krieg aus. Wir konnten uns jetzt davon überzeugen, dass ohne die erwähnte Bestimmung unsere Partei nie eine derartig feindliche Stellung gegen den Krieg hätte behaupten können. Auf jeden Fall hätte sie sich in diesen schwierigsten Momenten gespalten. Eine der Hauptursachen der augenblicklichen Krise in der Französischen Sozialistischen Partei ist mit der Umstand, dass sich in ihren Reihen eine grosse Anzahl Freimaurer befindet. Ich bitte daher den Kongress, den Antrag des Genossen Serrati wie auch meinen Zusatz in Erwägung zu ziehen und den letzteren zu den von der Kommission vorgeschlagenen Leitsätzen als Ergänzungsthese hinzuzufügen. Der Kongress muss zu dieser Frage, welche viele Länder in höchstem Grade interessiert, eine feste Stellung einnehmen.

Guilbeaux. Das erste Jahr des Bestehens der Kommunistischen Internationale war ein Jahr der Bildung und Errichtung von kommunistischen Parteien und Gruppen. Ich glaube, dass wir jetzt in eine neue Entwicklungsphase der Kommunistischen Internationale eingetreten sind, in die Phase des Kampfes der verschiedenen Tendenzen im Rahmen der Kommunistischen Internationale. Die Debatten, denen wir seit Beginn des Kongresses beiwohnen, sind Beweise für diesen Kampf zwischen den Rechten und den Linken. Ich erblicke darin das Zeichen einer grossen Lebensfähigkeit des Kommunismus. Aber ich glaube, unter den Rechten eine Tendenz zu bemerken, die sehr weit um sich greifen kann und die infolgedessen von den Führern der Linken ohne Zögern bekämpft werden muss.

In dem Manifest des ersten konstituierenden Kongresses der Kommunistischen Internationale hiess es, dass der Zentrismus bekämpft werden müsse, der mit Recht für die gefährlichste Tendenz in der sozialistischen Bewegung gälte. Dieses Manifest verlangte den Bruch mit dem Zentrum und die Bildung von rein kommunistischen Gruppen und Parteien in allen Ländern. Es ist meiner Meinung nach bezeichnend, dass der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale einen neuen Standpunkt vertritt, den man dem Zentrum gegenüber einzuhalten hat. Schon die Tatsache, dass man die Möglichkeit zugibt, dass gewisse zentristische Elemente in die Kommunistische Internationale aufgenommen werden können, bezeichnet den Beginn von Verhandlungen mit den Reformisten und den Zentristen.

In den vorgeschlagenen – Leitsätzen wird einerseits der rechte Flügel der Italienischen Sozialistischen Partei, deren Vertreter Turati ist, verurteilt, andererseits aber wendet man sich an zentristische Parteien, wie z. B. an die USPD und die Französische Sozialistische Partei. Ich erblicke darin einen Widerspruch. Der Unterschied, der zwischen Cachin und Turati besteht, ist nicht gross, ist aber immerhin vorhanden. Die Italienische Sozialistische Partei hat während des Krieges eine einer sozialistischen Partei weit würdigere Stellung eingenommen als die Französische Sozialistische Partei, die sich des gemeinsten Verrats schuldig gemacht hat.

In den hier vorgeschlagenen Leitsätzen wird andererseits wiederholt, dass kein Kommunist die Lehren der ungarischen Sowjetrepublik vergessen darf. Die Vereinigung der Reformisten mit den Kommunisten ist Sowjetungarn teuer zu stehen gekommen.

Es ist äusserst gefährlich, mit Vertretern des Zentrums zu diskutieren. Ich weiss, dass man ihnen immer wieder alle die Fehler vor Augen führt, die sie seit Beginn des Krieges gemacht haben; aber ich weiss auch, dass es in der Kommunistischen Internationale und sogar in der Kommunistischen Partei Russlands eine gewisse Rechte gibt, die sich viel von der Französischen Sozialistischen Partei und der USPD verspricht. Und zwar begründet sie diese Ansicht damit, dass diese Parteien die Massen für sich haben, während die Französische Kommunistische Partei und die KPD, was ihr Verhältnis zur Masse betrifft, eine viel geringere Bedeutung besitzen. Meiner Meinung nach kann man die Massen nicht auf seine Seite herüberziehen, indem man durch die Vermittlung ihrer früheren Führer zu ihnen spricht.

Ich finde nicht, dass man sich besonders darüber freuen soll, dass sich Vertreter gewisser Zentrumsparteien in Moskau unter dem Einfluss der revolutionären Atmosphäre, in die sie von heute auf morgen geraten sind, zum Kommunismus bekennen. Ich hege keine Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit, ich frage mich aber, ob sie, wenn sie sich wieder in Paris, in der verpesteten Luft der sozialistischen Partei oder in der Deputiertenkammer befinden, nicht in ihre alten Irrtümer zurückfallen werden. Denkt daran, dass die Vorbereitung der Gründung der II. Internationale, die im Jahre 1889 geschaffen wurde, mehrere Jahre in Anspruch nahm. Die Genossen, die jetzt mit den sozialistischen Parteien verhandeln, glauben, von heute auf morgen eine den Zwecken der Revolution dienliche Organisation und Presse schaffen zu können. Sie sündigen gegen die Grenzen des Möglichen. Wir müssen zunächst einen Stamm für eine solide kommunistische Partei organisieren. In diese Stammformation müssen wir die Massen hineinziehen, nicht aber sie uns auf künstliche Weise angliedern. Ich bestehe auf einer Tatsache, die auch bereits vom Genossen Lefèvre erörtert worden ist. Die Französische Sozialistische Partei ist im allgemeinen eine parlamentarische Partei, die wir trotz der Erklärungen ihrer Vertreter auf keinen Fall aufnehmen können. Die Spaltung, die vor sich gehen sollte, ist leider noch nicht geschehen; und nur wenn sie wirklich zustande gekommen sein wird, wird es in Frankreich eine kommunistische Partei geben, der die Anhänger des Genossen Loriot und die Syndikalisten, deren Vertreter Rosmer und Monatte sind, beitreten werden. Dann werden auch die Massen auf unserer Seite stehen. Wir werden die französischen Massen aber nie zu uns herüberziehen können, wenn wir die Französische Sozialistische Partei künstlich in eine kommunistische Partei umwandeln wollen. Wenn man nach einer Prüfungszeit von 6 Monaten oder einem Jahr Parteien aufnehmen wollte, die uns im Laufe vieler Jahre verraten haben und irregegangen sind, fürchte ich, dass sie sich zuletzt vielleicht in der Kommunistischen Internationale in der Mehrzahl befinden und das rote Banner der Kommunistischen Internationale durch ein anderes ersetzen werden, das demjenigen der II. Internationale sehr ähnlich ist. Wir dürfen keine Verhandlungen mit Parteien führen, die uns trotz ihrer Erklärungen keinerlei Garantien für die Zukunft bieten.

Herzog (Schweiz). Bei dieser Diskussion ist es auch notwendig, auf die Parteiverhältnisse in der Schweiz kurz einzugehen. Wie Euch bekannt ist, hat der letzte Parteitag der Schweiz beschlossen, aus der II. Internationale auszutreten und in die Kommunistische Internationale einzutreten. Gleichzeitig wurde aber ein Antrag angenommen, wonach dieser Beschluss erst den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in Urabstimmung zur Entscheidung vorgelegt werden müsse. In der Urabstimmung wurde beschlossen, aus der II. Internationale auszutreten, aber nicht in die Kommunistische Internationale einzutreten, sondern im Gegenteil dem Parteivorstand das Recht zu geben und die Pflicht aufzuerlegen, mit allen revolutionären Parteien Verbindungen anzuknüpfen, um eine grosse revolutionäre Internationale, also eine IV. Internationale, zusammenzubringen. Der Parteivorstand hat das Mögliche getan, um diesem Beschluss nachzukommen. In Bern fanden Besprechungen mit den französischen Sozialisten statt. Der Parteivorstand hat auch einen Genossen nach Deutschland geschickt, um Verhandlungen mit der U.S.P. aufzunehmen. Als wir Kommunisten das Manöver aufdeckten, hat besonders der »Basler Vorwärts« das zu vertuschen versucht. Den Parteivorstand hat man in dieser Angelegenheit gedeckt. Diese Hin- und Herpolitik, die wir beim Austritt aus der II. Internationale in der Schweiz sahen, diese schwankende Politik, hat die Sozialdemokratie in der Schweiz in der letzten Zeit ständig durchgeführt. Sie hat, wie bekannt, beschlossen, sich Kienthal und Zimmerwald anzuschliessen, und als wir revolutionäre Arbeiter darauf drängten, dass diese Beschlüsse in der Praxis durchgeführt werden sollten, dass man durch Anschluss an Kienthal und Zimmerwald nicht die Sache erledigt hätte, sondern auch das Programm erfüllen müsse, dass man versuchen müsse, revolutionäre Aktionen durchzuführen, dass man mit der Propaganda an die Armee herangehen solle, die Soldaten revolutionieren müsse, da hat die Partei alles Mögliche getan, um unsere Tätigkeit unmöglich zu machen. Wir wurden gezwungen, die revolutionären Arbeiter zu besonderen Gruppen in der Partei zusammenzuschliessen. Wir haben in allen grösseren Ortschaften versucht, kommunistische Gruppen zu bilden. Wir haben diese zu einer zentralen Organisation ausgebaut und haben uns ein Programm gegeben. Wir sind dabei nicht stehen geblieben. Wir sagten: wir müssen mit Aktionen und Propaganda in der Armee beginnen nach den Leitsätzen, die in Zimmerwald aufgestellt wurden. Wir müssen den Arbeitern sagen, sie sollen selbständig grosse Massenaktionen durchführen und, wenn die Parteiführer dies nicht wollen, gegen deren Willen. Das ist die Grundlage zum Konflikt und zum Ausschluss der Kommunisten aus der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Wir haben diese Propaganda systematisch durchgeführt; wir haben Zehntausende von Flugblättern in die Armee hineingeworfen, was nur unsere Pflicht als revolutionäre Kommunisten war. Das ist die Ursache, weshalb man uns hinausgeworfen hat. – In Zürich war ein grosser Generalstreik. Ich habe gesagt: Der Generalstreik muss durchgeführt werden, und als wir das propagiert haben, hat man uns aus der Partei ausgeschlossen. Die ganze Organisation der alten revolutionären Gruppen wurde ausgeschlossen. Um nicht politisch tot zu sein, waren wir gezwungen, zur Gründung der Kommunistischen Partei zu schreiten. Durch intensive Arbeit war es uns möglich, in allen grösseren Ortschaften kommunistische Sektionen zu gründen. Es ist uns gelungen, die Sympathien grösserer Arbeitermassen zu gewinnen. Das Parteizentrum befürchtet jetzt, dass die grosse Masse der Arbeiter zu uns übertritt. Deshalb das Manöver in Olten, eine Parteikonferenz zusammenzuberufen aus linken Sozialisten und aus dem Zentrum, wo beschlossen wurde, zwei Vertreter nach Moskau zu schicken, damit die Kommunistische Internationale die Schweiz aufnimmt. Dann können die Leute erklären: Wir sind in der Kommunistischen Internationale, wir sind revolutionäre Kommunisten. Sie denken, sie werden durch den Anschluss an die Kommunistische Internationale die Arbeitermasse bei sich behalten. Die Aufgabe dieses Kongresses ist es, auch diesen Leuten von der Sozialdemokratie der Schweiz zu erklären: Ihr müsst es in der Praxis beweisen, dass ihr wirklich revolutionär kämpfen wollt. Erst wenn ihr das bewiesen habt, könnt ihr in die Kommunistische Internationale aufgenommen werden. Es besteht die grosse Gefahr, dass sehr viele opportunistische Zentrumselemente in die Kommunistische Internationale hineinkommen, und es kann leicht geschehen, dass diese Elemente in der Kommunistischen Internationale Oberwasser bekommen. Diese Gefahr muss ganz energisch bekämpft werden, und wir müssen das Prinzip, das wir gegen die Unabhängigen anwenden, dass wir gegen die französische Partei anwenden, auch auf die Sozialdemokratische Partei der Schweiz anwenden. Nur dadurch, dass wir diese Elemente streng sieben, können wir es verhindern, dass Zersetzungskeime in die Kommunistische Internationale hineinkommen, und bewirken, dass die revolutionäre Aktivität, die in der Masse vorhanden ist, in den nächsten Jahren nicht geschwächt wird.

Goldenberg. Ich meinerseits werde für die Leitsätze des Genossen Sinowjew nicht stimmen, und zwar deshalb nicht, weil sie, wie mir scheint, einen grossen Irrtum in der Methode enthalten. Ich will versuchen, diese falsche Methode kurz darzustellen.

Wenn man uns Anhänger der Kommunistischen Internationale danach fragt, aus welchen Gründen wir in der Sozialistischen Partei bleiben, antworten wir: Der Krieg hat das internationale Proletariat in zwei sich gegenüberstehende Lager geteilt, in das gegenrevolutionäre Lager einerseits, das vertreten wird durch die Arbeiteraristokratie, durch die Schicht des Proletariats, welche durch die Entwicklung des Kapitalismus den untersten Schichten der Bourgeoisie immer näher kommt, und das revolutionäre Lager andererseits. Diese beiden Fraktionen bestanden auch vor dem Kriege im Rahmen der einzelnen nationalen sozialistischen Parteien. Der Krieg hat gezeigt, dass die Möglichkeit, eine Vereinigung dieser beiden Fraktionen herbeizuführen, nicht besteht. Wenn damals dieser Gegensatz in Streitigkeiten um die Richtung innerhalb des Rahmens der verschiedenen nationalen sozialistischen Parteien zum Ausdruck kam, so äussert er sich jetzt nach dem Kriege nicht mehr in Tendenzstreitigkeiten, sondern in einem mit den Waffen in der Hand geführten Kampf. Nach den Worten des Genossen Lenin hat die Waffe der Kritik der Kritik durch die Waffen Platz gemacht. Von diesen beiden entgegengesetzten Fraktionen hat die eine gemeinsame Sache mit der Bourgeoisie gemacht, die andere hat sich als der wirkliche Vertreter des revolutionären Proletariats gezeigt. Mit dieser halten wir es.

Es ist noch nicht entschieden, welchen Standpunkt die Kommunistische Internationale, die internationale Organisation des revolutionären Proletariats den sozialistischen Parteien gegenüber oder in der Spaltung zwischen Sozialreformisten, Gegenrevolutionären und revolutionären Sozialisten und Kommunisten einnehmen wird. Das ist eine Frage, die wir heute beantworten müssen.

Die vom Genossen Sinowjew vorgeschlagenen Leitsätze zählen eine Reihe von Bedingungen auf, durch deren Erfüllung der Eintritt der sozialistischen Parteien, der sog. »Zentristen«, in die Kommunistische Internationale möglich wird. Auf diese Art vorzugehen, kann ich mich nicht einverstanden erklären.

Die Kommunistische Internationale, eine internationale Organisation des revolutionären Proletariats, die einzig und allein aus Vertretern des revolutionären Proletariats aller Länder bestehen soll, darf in ihrer Mitte keine nichtkommunistischen Elemente dulden, die sich als gegenrevolutionäre Elemente, als Agenten der Bourgeoisie erwiesen haben.

Die Bedingungen, die den zentristischen Parteien gestellt werden, sind in einer Form gebracht, dass sie der Französischen Sozialistischen Partei, der USPD, der Norwegischen Sozialistischen Partei usw. gestatten, der Kommunistischen Internationale beizutreten, falls sie sich bereit erklären, diese Bedingungen zu erfüllen, oder eine kommunistische Taktik anzuwenden beginnen.

Ich erkläre, dass diese Art vorzugehen die Konfusion, die bereits in diesen Parteien herrscht, nur noch grösser macht. Ich möchte hier besonders von der Französischen Sozialistischen Partei sprechen, die ich besser als die anderen kenne. Die Französische Sozialistische Partei vertritt fast in ihrer Gesamtheit jene besondere Schicht der Arbeiteraristokratie, die sich während des Krieges als ganz reaktionär erwiesen hat. während des Krieges haben sich alle Führer der Französischen Sozialistischen Partei ohne Ausnahme auf die Seite der Bourgeoisie gegen das internationale Proletariat gestellt. Bis zum Ende des Krieges, ja sogar noch einige Monate nach dem Waffenstillstand, haben sie für die Kriegsanleihen gestimmt Wir haben hier einen Vertreter dieser Parlamentsfraktion, der für die Kriegsanleihen gestimmt hat. Wir haben hier auch einen französischen Abgeordneten, der im vorigen Jahr in der französischen Kammer erklärt hat, dass er sich weigere, für die drei provisorischen Budgetzwölftel zu stimmen, die die Regierung von ihr verlangte, aber dass er bereit wäre, für die zwei provisorischen Budgetzwölftel seine Stimme abzugeben. Ein Teil dieser Anleihen war zur Unterstützung der gegenrevolutionären Expeditionen Koltschaks und Denikins bestimmt. während das russische Proletariat verzweifelt gegen diese internationalen Räuber kämpfte, stimmten die Vertreter der Französischen Sozialistischen Partei in der Kammer für die Kriegsanleihen zur Unterstützung gegenrevolutionärer Armeen.

Welche Stellung nimmt die Französische Sozialistische Partei seit dem Kriege ein? Genosse Lefèvre hat eben erklärt, dass auf dem Strassburger Kongress ein Rückschritt zu bemerken war. Ich aber sage, dass kein Rückschritt zu bemerken war, sondern dass dieser Kongress nur gezeigt hat, was die Französische Sozialistische Partei wirklich ist. Die Führer der Französischen Sozialistischen Partei hatten sich, um die Massen zu täuschen, eine revolutionäre Phraseologie angeeignet. Sie hatten sich für die Diktatur des Proletariats gegen die Bourgeoisie erklärt. Sie sagten, sie seien Anhänger des historischen Materialismus; doch als man sie vor das Problem der nationalen Verteidigung stellte, wurde es klar, dass die Verbindung zwischen Paul Faure und Renaudel keine unglaubwürdige war, sondern dass sie die wahre Gesinnung derjenigen widerspiegelte, die sich, sei es rechts, sei es im Zentrum, sei es selbst links in der Partei gruppiert hatten. Die Französische Sozialistische Partei ist eine verfaulte Partei kleinbürgerlicher Reformisten. Ihr Beitritt zur Kommunistischen Internationale wird die Folge haben, dass diese Fäulnis auch in die Kommunistische Internationale hinein geschleppt wird. Die Leitsätze des Genossen Sinowjew enthalten am Anfang eine Reihe von Aufnahmebedingungen. Ihr seht, mit welcher Bereitwilligkeit diese Leitsätze auch von denen angenommen worden sind, die gestern noch ihre entschiedensten Gegner waren.

Die Vertreter der Französischen Sozialistischen Partei, die an diesem Kongress teilnehmen, gehörten zu denen, die mit dem grössten Eifer bestrebt waren, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Kommunistische Internationale zu diskreditieren. Wenn sie auch persönlich unter uns weilen, mit dem Herzen sind sie doch nicht bei uns, und zwar deshalb nicht, weil sie fühlen, dass die Kommunistische Internationale die einzige revolutionäre Macht in der Welt ist und keine andere Organisation ihr standhalten kann.

Sie haben alles getan, um gegenüber dieser Kommunistischen Internationale eine abweichende Organisation zu schaffen, die alle Elemente aufnehmen sollte, die in sie einzutreten wünschten. Die einzige Bedingung war, dass sie sich gegen die Grundsätze der Kommunistischen Internationale erklärten. Sie haben in ganz Europa nach Parteien gesucht, die sie gegen die Kommunistische Internationale ins Feld führen könnten.

Ich erinnere mich noch ihres Verhaltens in der Partei und in der sozialistischen Presse. Sie hatten versucht, nicht nur die Ideen der Kommunistischen Internationale zu bemäkeln, sondern auch die anerkanntesten Kämpfer der Französischen Sozialistischen Partei anzuschwärzen. Ich denke an den Verleumdungsfeldzug, der gegen diejenigen geführt wurde, die in Frankreich die Kommunistische Internationale verteidigten. Diese Leute sollen wir jetzt bitten, in die Kommunistische Internationale einzutreten, weil sie erklären, die Grundsätze der Kommunistischen Internationale annehmen zu wollen und mit diesen Grundsätzen einverstanden zu sein? Es liegt nicht in meiner Absicht, die Aufrichtigkeit Cachins und Frossards zu prüfen. Dieses Gebiet will ich nicht betreten. Ich will einfach erklären, dass Leute, die sich trotz ihrer revolutionären Rederei als entschiedene Gegenrevolutionäre gezeigt haben, nicht im Laufe einiger Wochen Kommunisten geworden sein können. Der Ton der Deklaration, die eben verlesen wurde, zeigt die wahre Tragweite der Annahme der kommunistischen Grundsätze, wie sie von Cachin und Frossard aufgefasst wird. Wie werden sie bei ihrer Rückkehr nach Frankreich sich denen gegenüber verhalten, die dort während einer langen Zeit die Grundsätze der Kommunistischen Internationale verteidigt haben? Es gibt in Frankreich ein Komitee, dem es obliegt, unter den Massen und in der Partei selbst die Ideen der Kommunistischen Internationale zu verbreiten. Welche Stellung sollen Cachin und Frossard gegenüber diesem Komitee und den Parteigenossen, aus denen es zusammengesetzt ist, einnehmen, Cachin und Frossard, die bisher ihre eifrigsten Gegner waren? Ich frage, wie werden wir uns verhalten, wenn Cachin und Frossard, nach Frankreich zurückgekehrt, sagen werden: Wir sind mit den Führern der Kommunistischen Internationale vollkommen einverstanden. Wir haben mit ihnen diskutiert. In Wirklichkeit scheidet uns nichts von ihnen. Ich habe soeben einige Nummern der »Humanité« gelesen, in denen über den Besuch Cachins und Frossards in Russland berichtet wird, wo sie von unseren russischen Freunden auf eine bewunderungswürdige Weise empfangen worden seien. Sie hätten einer Sitzung der Moskauer Sowjets beigewohnt. Dort hätte nur ein freundschaftlicher Gedankenaustausch stattgefunden, ohne dass irgendwelche Meinungsverschiedenheiten bemerkbar wurden. Das ist die Ansicht der »Humanité«, und diese Ansicht werden auch Cachin und Frossard vertreten, wenn sie aus Russland zurückgekehrt sein werden. Sie werden die Behauptungen wiederholen, die sie vor ihrer Abreise nach Frankreich aussprachen, wonach Genosse Lenin, wenn er in Frankreich wäre, ihre und nicht unsere Ansichten teilen würde.

Ich protestiere gegen diese künstliche Art, in die Kommunistische Internationale Elemente aufzunehmen, die nicht einmal für sie sind. Im Namen meiner in der Gefangenschaft schmachtenden Genossen, im Namen der wirklichen Interessen des französischen Proletariats erkläre ich, dass ich mit dieser Art vorzugehen nicht einverstanden bin. Es gibt für das revolutionäre französische Proletariat nur ein Mittel, den Kampf gegen die II. Internationale zu führen, und zwar die Errichtung einer gut organisierten kommunistischen Partei in Frankreich, die nur kommunistische Elemente in sich schliesst. Das Tragische der Lage in Frankreich ist der Umstand, dass es bisher unmöglich gewesen ist, sich an diese Aufgabe zu machen. Wir waren gezwungen, uns auf den Kampf zwischen den Tendenzen innerhalb der Partei zu beschränken. Wir konnten die Aufgabe der Organisation und Erziehung nicht vornehmen, wodurch allein die Schaffung einer gut organisierten Partei möglich ist.

Der Standpunkt, den ich hier verteidige, ist der, dass man der Französischen Sozialistischen Partei nicht sagen darf: Unter diesen Bedingungen ist es euch gestattet, in die Kommunistische Internationale einzutreten. Sondern wir wollen eine Haltung einnehmen, die die reformistischen und die revolutionären Elemente der Partei zwingt, miteinander zu brechen, was bisher nicht geschehen konnte. Dadurch allein ist die Schaffung einer kommunistischen Partei möglich, die nur aus linken Sozialisten bestehen soll. Dann wird die kommunistische Organisations- und Erziehungsarbeit ermöglicht, die wir bisher nicht vornehmen konnten und die allein ein Element der Kraft und des Erfolgs schafft nicht nur für die Kommunistische Internationale, sondern für die ganze proletarische Revolution.

Bordiga. Ich möchte Euch einige Beobachtungen unterbreiten, die ich vorschlage, als Einleitung zu den von der Kommission in Vorschlag gebrachten Leitsätzen zu benutzen, und ausserdem noch eine konkrete Bedingung, die folgendermassen lautet: »Die Parteien, die bis jetzt ihr altes demokratisches Programm aufrechterhalten, sind verpflichtet, dasselbe unverzüglich einer Revision zu unterziehen und ein neues kommunistisches Programm auszuarbeiten, den Bedingungen ihres Landes entsprechend, im Geiste der Kommunistischen Internationale. Es ist Regel, dass die Programme der der Kommunistischen Internationale beigetretenen Parteien durch den internationalen Kongress oder durch das Exekutivkomitee bestätigt werden. Falls dieses letztere einer Partei die Sanktion versagt, ist die Partei berechtigt, sich an den Kongress der Kommunistischen Internationale zu wenden.«

Dieser Kongress hat eine ausserordentliche Bedeutung; er muss die ewigen Grundsätze der Kommunistischen Internationale verteidigen und festigen. Als Genosse Lenin, im April 1917 glaube ich, nach Russland zurückkehrte und einen kurzen Entwurf des neuen Programms der Kommunistischen Partei vorlegte, sprach er auch von der Neubelebung der Internationale. Er sagte, dass diese Arbeit sich auf ewige Grundlagen stützen müsste, dass man einerseits die Sozialpatrioten, andererseits die Sozialdemokraten entfernen müsse, diese Anhänger der II. Internationale, die es für möglich halten, die Befreiung des Proletariats ohne Klassenkampf mit den Waffen in der Hand, ohne die Notwendigkeit, nach dem Siege, in der Zeit des Aufstands, die Diktatur des Proletariats einzuführen, erreichen zu können.

Die Gründung der Kommunistischen Internationale in Russland führte uns zum Marxismus zurück. Die revolutionäre Bewegung, die sich aus den Ruinen der II. Internationale gerettet hatte, machte sich mit seinem Programm bekannt, und die Arbeit, die nun begann, führte zur Bildung eines neuen Staatsorganismus auf der Grundlage der offiziellen Verfassung. Ich glaube, wir befinden uns in einer nicht vom Zufall geschaffenen, sondern vielmehr in einer vom Gang der Geschichte bestimmten Situation. Ich glaube, uns droht die Gefahr, dass rechte und zentristische Elemente sich in unsere Mitte drängen.

Nachdem die Parole »Sowjetordnung« in das russische und das internationale Proletariat der Welt hinausgeschleudert wurde, erhoben sich nach Beendigung des Krieges die Wogen der Revolution, und das Proletariat der ganzen Welt setzte sich in Bewegung. In allen Ländern fand in den alten sozialistischen Parteien eine natürliche Auslese statt. Es entstanden kommunistische Parteien, die den revolutionären Kampf mit der Bourgeoisie aufnahmen.

Die darauffolgende Periode war eine Zeit des Stillstandes, da die Revolution in Deutschland, in Bayern und in Ungarn, durch die Bourgeoisie unterdrückt worden ist.

Der Krieg ist jetzt beendet. Das Kriegsproblem und die Frage der nationalen Verteidigung bieten im Augenblick kein unmittelbares Interesse mehr. Es ist sehr einfach, jetzt zu sagen, dass man in einem neuen Kriege nicht wieder in die alten Irrtümer verfallen wird, d. h. in den Fehler der heiligen Einheit und der nationalen Verteidigung. – Die Revolution sei noch fern, werden unsere Gegner sagen, sie sei für sie kein Problem des Augenblicks, und sie werden die Leitsätze der Kommunistischen Internationale annehmen: die Macht der Sowjets, die Diktatur des Proletariats, den roten Terror.

Wir würden also in grosser Gefahr sein, wenn wir den Fehler machten, diese Leute in unsere Reihen aufzunehmen.

Die Kommunistische Internationale kann den Lauf der Geschichte nicht beschleunigen. Sie kann die Revolution weder schaffen noch gewaltsam hervorrufen. In unserer Macht steht es nur, das Proletariat vorzubereiten. Aber unsere Bewegung muss der Lehren, die der Krieg und die russische Revolution uns gegeben haben, eingedenk sein. Meiner Meinung nach müssen wir ihnen die grösste Aufmerksamkeit schenken.

Die rechten Elemente nehmen unsere Leitsätze an, aber in einer ungenügenden Weise, mit einem gewissen Vorbehalt. Wir Kommunisten müssen verlangen, dass diese Annahme eine vollständige ist und ohne Einschränkungen für die Zukunft.

Wir haben die erste Anwendung der marxistischen Methode und Theorie in Russland gesehen, d. h. in einem Lande, wo die Entwicklung der Klassen noch kein hohes Niveau erreicht hat. Diese Methode muss also in Westeuropa, wo der Kapitalismus besser entwickelt ist, mit grösserer Klarheit und Konsequenz angewandt werden.

Man sprach hier von einem Unterschied zwischen den Reformisten und den Revolutionären. Das ist eine veraltete Ausdrucksweise. Es kann keine Reformisten mehr geben, selbst wenn sie als Anhänger des Sozialismus den Klassenkampf zulassen, dabei aber hoffen, dass die Art dieses Kampfes eine andere sein wird als in Russland. Ich bin der Meinung, Genossen, dass die Kommunistische Internationale fest bleibt, dass sie ihren politisch-revolutionären Charakter ohne zu wanken aufrecht erhält.

Den Reformisten müssen wir unübersteigbare Barrikaden errichten.

Diese Parteien müssen gezwungen werden, eine genaue Erklärung ihrer Prinzipien zu geben. Man müsste ein für alle Parteien der Welt gemeinsames Programm einführen, was leider zur Zeit nicht möglich ist. Die Kommunistische Internationale besitzt keine Mittel, um sich zu überzeugen, dass diese Leute dem kommunistischen Programm Folge leisten.

Wenn man im 16. Leitsatz sagt: »Parteien, die bisher noch ihre alten sozialdemokratischen Programme beibehalten haben, sind verpflichtet, in möglichst kurzer Zeit diese Programme zu ändern und entsprechend den besonderen Verhältnissen ihres Landes ein neues kommunistisches Programm im Sinne der Beschlüsse der Kommunistischen Internationale auszuarbeiten«, müsste man nach den Worten: »diese Programme zu ändern« folgende Worte ausstreichen: »und entsprechend den besonderen Verhältnissen ihres Landes« und »im Sinne der Kommunistischen Internationale« streichen, und sie durch die Worte ersetzen: »in welchem die Grundsätze der Kommunistischen Internationale in einer unzweideutigen und mit den Resolutionen der internationalen Kongresse vollständig übereinstimmenden Weise festgelegt werden. Die Minderheit der Partei, die sich gegen dieses Programm erklärt, muss aus der Parteiorganisation ausgeschlossen werden. Die Parteien, die ihr Programm geändert haben und der Kommunistischen Internationale beigetreten sind und diese Bedingung nicht erfüllt haben, müssen sofort einen ausserordentlichen Kongress einberufen, um sich darüber zu einigen«.

Diese Bedingung, über die die Vertreter der Französischen Sozialistischen Partei sich nicht geäussert und nicht gesagt haben, dass sie Renaudel und andere aus ihrer Partei ausschliessen, muss klar und deutlich gestellt werden.

Alle gegen das neue Programm Stimmenden müsste man aus der Partei ausschliessen. Betreffs des Programms gibt es keine Disziplin: Entweder man nimmt es an, oder aber man nimmt es nicht an; wenn nicht, dann scheidet man aus der Partei aus.

Das Programm ist etwas, was allen gemeinsam ist; es ist nicht etwas, was von der Mehrzahl der Parteikämpfer aufgestellt ist. Es ist das, was den Parteien vorgelegt wird, die in die Kommunistische Internationale aufgenommen werden wollen. Es muss ein Unterschied sein zwischen dem Wunsche, der Kommunistischen Internationale beizutreten und der Tatsache, von ihr aufgenommen zu werden.

Ich meine, man muss dem Exekutivkomitee nach dem Kongress Zeit geben, darauf zu achten, dass alle den Parteien von der Kommunistischen Internationale auferlegten Verpflichtungen auch erfüllt werden. Nach dieser Zeit, nach der sogenannten Organisationsperiode, müsste man die Tür schliessen.

Mein Vorschlag geht dahin, dass die Bedingung des Genossen Lenin, die zurückgezogen worden ist, wieder aufgestellt wird, nämlich die, dass in den Parteien, die aufgenommen werden wollen, eine gewisse Anzahl Kommunisten die Führung der Parteiorgane übernehmen. Ich würde vorziehen, dass alle Kommunisten wären.

Der Opportunismus muss überall bekämpft werden. Aber diese Aufgabe wird uns sehr schwer fallen, wenn in demselben Augenblick, wo man Massnahmen trifft, um die Kommunistische Internationale zu reinigen, die Tür geöffnet wird, um die Draussenstehenden eintreten zu lassen.

Ich habe im Namen der italienischen Delegation gesprochen. Wir verpflichten uns, die Opportunisten in Italien zu bekämpfen. Wir wünschen aber nicht, dass sie von uns fortgehen, um irgendwie anders in die Kommunistische Internationale aufgenommen zu werden. Wir sagen Euch: Nachdem wir mit Euch gearbeitet haben, wollen wir in unser Land zurückkehren und eine einheitliche Front gegen alle Feinde der kommunistischen Revolution bilden.

Serrati. Wir teilen mit, dass die internationale kommunistische Frauenkonferenz morgen, am Freitag, um 6 Uhr im Grossen Theater eröffnet wird. Wir bitten, der Eröffnung beiwohnen zu wollen.

Die Sitzung wird heute um 8 ½ Uhr abends fortgesetzt.

(Die Sitzung wird geschlossen.)



Anmerkungen:
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  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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