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II. WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE



Content:[2]

Fünfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 28. Juli 1920.
Redebeitrag Sultan-Sade
Redebeitrag Graziadei
Redebeitrag Liu Zerong
Redebeitrag Bak Jin-sun
Redebeitrag Connolly
Redebeitrag MacAlpine
Redebeitrag İsmail Hakkı
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Walcher
Redebeitrag Maring
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Losowski
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Maring
Redebeitrag Frumkina
Redebeitrag Murphy
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag McLaine
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Mereshin
Redebeitrag Murphy
Redebeitrag Kohn
Redebeitrag Frumkina
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Roy
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Roy
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Sinowjew
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Levi
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Levi
Redebeitrag Frumkina
Redebeitrag Serrati
Redebeitrag Bombacci
Redebeitrag Wijnkoop
Redebeitrag Pestaña
Redebeitrag Graziadei
Redebeitrag Sinowjew
Leitsätze über die Nationalitäten- und Kolonialfrage.
Redebeitrag Sinowjew
Anmerkungen
Source


Fünfte Sitzung des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale am 28. Juli 1920.

(Die Sitzung wird um 11 Uhr morgens unter dem Vorsitz des Genossen Sinowjew eröffnet. Die Debatten über die Nationalitäten- und Kolonialfrage werden fortgesetzt.)

Sultan-Sade (Persien). Die Zweite Internationale hat auf den meisten ihrer Kongresse die Kolonialfrage studiert und gewählte Resolutionen darüber verfasst, die indessen nie verwirklicht werden konnten. Häufig wurden diese Fragen debattiert und Beschlüsse unter Beteiligung der Vertreter rückständiger Länder angenommen. Ja, noch mehr: als nach der Unterdrückung der ersten persischen Revolution durch die russischen und englischen Henker die persische Sozialdemokratie sich an das europäische Proletariat um Hilfe wandte, das damals durch die Zweite Internationale vertreten war, erhielt sie nicht einmal das Recht, über eine dies bezügliche Resolution abstimmen zu lassen. Es ist heute auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale das erste Mal, dass diese Frage von Grund aus, und zwar mit den Vertretern fast aller kolonisierten oder zur Hälfte kolonisierten Länder des Orients und Amerikas behandelt wird. Die von unserer Kommission angenommene Resolution befriedigt vollständig die Erwartungen der werktätigen Massen der unterdrückten Völker und dient besonders als Ansporn zur Förderung der Sowjetbewegung in diesen Ländern. Auf den ersten Blick mag es sonderbar erscheinen, in abhängigen oder in fast noch abhängigen Ländern von einer Sowjetbewegung zu reden. Indessen, wenn wir der sozialen Lage dieser Länder eine genaue Aufmerksamkeit schenken, müssen unsere Zweifel schwinden. Genosse Lenin hat bereits über die Erfahrungen der Kommunistischen Partei Russlands in Turkestan, in Baschkirien und in Kirgisistan gesprochen. Wenn das Sowjetsystem in diesen Ländern gute Ergebnisse gezeitigt hat, muss die Sowjetbewegung in Persien und Indien, d. h. in Ländern, in denen die Klassendifferenzierung mit Riesenschritten vor sich geht, sich stark verbreitern.

Im Jahre 1870 standen alle diese Länder unter der Herrschaft des Handelskapitals. Die Lage hat sich nur wenig geändert. Die Kolonialpolitik der Grossmächte hat, indem sie die Entwicklung der nationalen Industrie hinderte, diese Länder in Märkte und Rohstoffquellen für die grossen europäischen Zentren verwandelt. Die Einfuhr von europäischen Kleinwaren in die Kolonien hat der einheimischen Industrie den Gnadenstoss versetzt.

Wenn das rasche Wachstum der kapitalistischen Industrie in den europäischen Ländern die alte Handwerkermasse rasch proletarisiert und ihr eine neue Ideologie geschaffen hat, so war das im Orient nicht der Fall, wo die Lage der Dinge Tausende von Unglücklichen gezwungen hat, nach Europa und Amerika auszuwandern. In diesen kolonisierten oder halb kolonisierten Ländern gibt es auch Bauernmassen, die unter fast unmöglichen Existenzbedingungen leben. Im ganzen Orient fällen die Steuern und Abgabenlast in erster Linie auf diesen unglücklichen Teil der Bevölkerung. Da die Bauern fast die einzigen sind, die Lebensmittel erzeugen, müssen sie die Legionen der Kaufleute und der Ausbeuter, der Unternehmer und Tyrannen ernähren. Infolge der auf ihr lastenden Bedrückung kann diese unterdrückte Klasse des Orients keine mächtig organisierte revolutionäre Partei schaffen. Unter den herrschenden Klassen ist eine grosse Mannigfaltigkeit der Forderungen zu bemerken. Die Interessen der Handelskreise verlangen die Fortsetzung der Kolonialpolitik der Grossmächte, die der Bourgeoisie werden dagegen durch die fremdländische Einmischung geschädigt. Wenn die Geistlichkeit gegen die Einfuhr von Waren aus andersgläubigen Ländern protestiert, so zögern andererseits die Kaufleute nicht, mit ihnen in Verbindung zu treten. Einigkeit bei den herrschenden Klassen gibt es nicht und kann es nicht geben. Diese Tatsachen haben eine revolutionäre Atmosphäre geschaffen, und der nächste nationale Gewittersturm kann sich in diesen Ländern rasch in eine soziale Revolution verwandeln. Das ist im allgemeinen die Lage in den meisten Ländern Asiens. Folgt daraus nicht, dass das Schicksal des Kommunismus in der ganzen Welt von dem Siege der sozialen Revolution im Orient abhängt, wie Genosse Roy versichert? Gewiss nicht. Zahlreiche Genossen aus Turkestan sind in diesem Irrtum befangen. Es ist wahr, dass das kapitalistische Treiben in den Kolonien den revolutionären Geist weckt. Es ist aber gleichfalls wahr, dass durch die kapitalistische Ausbeutung im Zentrum unter der Arbeiteraristokratie ein gegenrevolutionärer Geist geschaffen wird. Der Kapitalismus sucht bewusst die Revolution dadurch zu hemmen, dass er kleine bevorzugte Arbeiterschichten durch kapitalistische Brosamen für sich zu gewinnen trachtet. Nehmen wir nur an, in Indien habe die kommunistische Revolution begonnen. Werden die Arbeiter dieses Landes dem Ansturm der Bourgeoisie der ganzen Welt standhalten können ohne die Hilfe einer grossen revolutionären Bewegung in England und in Europa? Natürlich nicht. Die Unterdrückung der Revolution in Persien und China sind deutliche Beweise dafür. Wenn die türkischen und persischen Revolutionäre dem allmächtigen England jetzt ihren Fehdehandschuh zuwerfen, so geschieht das nicht deshalb, weil sie jetzt stärker sind, sondern deswegen, weil die imperialistischen Banditen machtlos geworden sind. Die Revolution, die im Westen begonnen hat, hat auch in Persien und der Türkei den Boden heiss gemacht und den Revolutionären Kraft verliehen. Die Epoche der Weltrevolution hat begonnen.

Der Punkt der Leitsätze, der die Unterstützung der bürgerlich-demokratischen Bewegung in den rückständigen Ländern vorsieht, kann, wie mir scheint, nur auf die Länder, in denen diese Bewegung im Anfangsstadium ist, bezogen werden. Wollte man in Ländern, die bereits eine Erfahrung von 10 oder mehr Jahren hinter sich haben, oder in solchen, in denen die Bewegung bereits die Macht in Händen gehabt hat, wie in Persien, entsprechend den Leitsätzen verfahren, so hiesse das, die Massen der Gegenrevolution in die Arme zu treiben. Es handelt sich darum, im Gegensatz zu den demokratisch-bürgerlichen Bewegungen eine rein kommunistische zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Jede andere Beurteilung der Tatsachen könnte zu bedauerlichen Ergebnissen führen.

Graziadei (Italien). Ich möchte vor allem bemerken, dass ich nur meine persönlichen Ansichten vertreten werde.

Nach den letzten Änderungen, die an den Leitsätzen des Genossen Lenin in ihrer endgültigen Fassung vorgenommen wurden, nach den von der Kommission gemachten Verbesserungen und Erklärungen, vornehmlich betreffend den 2. Leitsatz, der mir in seiner ersten Fassung viel zu schaffen gemacht hat, erkläre ich mich bereit, alles, was Genosse Lenin vorschlägt, zu unterzeichnen.

Wenn ich recht verstanden habe, stellt Genosse Lenin die Frage in folgender Weise: wie es in jeder Nation Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, so gibt es auch in internationalen Beziehungen Nationen, die von anderen Nationen ausgebeutet werden. Die von der II. Internationale angenommene kleinbürgerlich Konzeption und die abstrakte Idee der Rechte des Menschen waren dazu angetan, den Klassenkampf zu maskieren; die Idee der Gleichberechtigung der Nationen läuft darauf hinaus, den ökonomischen und moralischen Gegensatz zu vertuschen, der zwischen den imperialistischen und den unterdrückten Nationen besteht. Man verfiel früher in zwei einander entgegengesetzte Irrtümer. Die II. Internationale hatte die Tendenz, die nationalen Probleme so anzunehmen, wie sie von der Bourgeoisie dargestellt wurden; andererseits glaubte ein anderer Teil Sozialisten, der gegen diesen anfänglichen und fatalen Irrtum ankämpfte, sich von diesem wichtigen Problem befreien zu können, indem er es einfach ignorierte. Genosse Lenin dagegen hat versucht, dieses Problem marxistisch und realistisch zu beleuchten. Ich sage »marxistisch« in dem Sinne, dass Genosse Lenin dem einzigen Teil des Marxismus treu bleibt, an dem nicht gerührt werden darf: der Methode. Tatsächlich entspricht die kritische und materialistische Auffassung des Genossen Lenin der Situation vor dem Kriege und mehr noch der Situation, die am Ende des imperialistischen Krieges vorliegt.

Es ist kein Widerspruch vorhanden zwischen den Leitsätzen des Genossen Lenin und unserer Definition des Krieges 1914. Der Krieg, den wir einen imperialistischen Krieg genannt haben, war nicht für alle Nationen in gleichem Masse imperialistisch; man muss diesen Unterschied machen, da die kleinen Nationen und besonders die Kolonien mit den grossen Mächten zusammen in den Krieg hineingezogen wurden und eher Opfer des Imperialismus waren.

Aus einem so lange andauernden und verheerenden Kriege konnten nur die reichsten und die stärksten Nationen Nutzen ziehen; die kleineren Nationen haben ihre mehr oder weniger vorhandene wirtschaftliche Unabhängigkeit eingebüsst; selbst wenn ihre früheren territorialen Grenzen dieselben geblieben sind, ist ihre Lage eine äusserst schwierige geworden.

Zwei Tatsachen, die sich daraus ergeben, sind zur Zeit vorherrschend: einerseits der Kampf der grossen imperialistischen Mächte gegen Sowjetrussland, gegen das die kleinen Nationen (Polen, Rumänien u. a.) ins Feld geschickt werden, und andererseits die Möglichkeit für Sowjetrussland, aus den Aufständen der kleinen Nationen und der Kolonien gegen den ausbeutenden Imperialismus der kapitalistischen Länder eine mächtige Waffe gegen den Imperialismus zu schmieden.

Wenn das aber auch alles wahr ist, muss ich dennoch bemerken: man darf, wie mir scheint, die Kommunistische Internationale von der Sowjetregierung nicht scheiden; der Sieg der letzteren ist es allein gewesen, der die Gründung und den Erfolg der Kommunistischen Internationale ermöglicht hat, wie der Fall der Pariser Kommune den Untergang der I. Internationale nach sich gezogen hat. Es darf jedoch nicht geleugnet werden, dass die Arbeit, die unsere russischen Genossen mit solch einem Heroismus und solch einem Talent angesichts einer Menge von Feinden leisten, unter dem Drang der Notwendigkeit und gegen ihren Willen zu einem linken Opportunismus führen könnte, den eine Organisation wie die Kommunistische Internationale zu vermeiden suchen sollte. Eine sehr strenge Definition der Prinzipien ist also notwendig. Es ist wichtig, zu betonen, dass die Aktion in Ländern, in denen der richtige imperialistische Kapitalismus besteht, sich von derjenigen in zurückgebliebenen Ländern und Kolonien unterscheiden soll. Ausserdem sollen den örtlichen Parteien gewisse Garantien gegeben werden. Das ist alles, was ich zu den Leitsätzen des Genossen Lenin hinzuzufügen vorschlage. Ich erkläre dabei, dass ich mich nicht an den Buchstaben dieser Zusätze halte, sondern an ihren Sinn.

Ich schlage vor, den 11. Leitsatz folgendermassen zu beginnen: »In den Ländern, in denen die Verhältnisse den herrschenden Klassen gestatten, eine nationale imperialistische Politik zu treiben, und in denen folglich auch ein genügend starkes industrielles Proletariat vorhanden ist, müssen die kommunistischen Parteien einen offenen und unerbittlichen Kampf einleiten.« Weiter folgt der Text: »In bezug auf usw.«.

Weiter in dem 11. Leitsatz, Abschnitt 1, Zeile 1, anstatt »die Notwendigkeit der Unterstützung« – »die Notwendigkeit eines aktiven Interesses«.

Zeile 3–4 anstatt »die Pflicht, ihn zu unterstützen» »die Pflicht des aktiven Interesses«.

Abschnitt 5, Zeile 5, anstatt »nicht unterstützen soll« – »sich nicht interessieren soll«.

Zeile 13, anstatt »muss zeitweilige Verbindungen schliessen«– »muss zeitweilige Beziehungen unterhalten«.

Anstatt Zusatz der Kommission »und die Form muss mit der entsprechenden kommunistischen Partei besprochen werden« –»das jeweilige Interesse der Kommunistischen Internationale an einer solchen Bewegung ist dadurch bedingt, dass die entsprechenden kommunistischen Parteien die Art ihrer Tätigkeit erörtert haben und die nachstehenden und alle übrigen Bedingungen, die die Situation und die Erfahrung fordern, erfüllt werden«.

In dem 12. Leitsatz muss der letzte Teil des vorletzten Satzes von den Worten »und die Pflicht« bis zu den Worten »dieses Misstrauen« weggelassen werden.

Der Begriff des Wortes »Unterstützung«, der in den Leitsätzen angewandt wurde, ist enger als der der Bezeichnung »aktives Interesse«. Er hat nur einen einzigen Fall im Auge, und zwar den allergefährlichsten. Die Notwendigkeit des »aktiven Interesses« bezeichnet die »Unterstützung« aber nur als einen unter allen möglichen Fällen. Es wäre besser, wenn man überall immer nationale Bewegungen rasch ausnützen könnte, um eine revolutionäre Bewegung zu schaffen. Dasselbe kann von den »Verbindungen« gesagt werden. Sie sind nur Einzelfälle, und nicht einmal die wünschenswertesten.

Liu Zerong (China). Das Ende des Jahres 1918 fand China im Zeichen des Bürgerkrieges. Im Süden herrschte zeitweilig eine provisorische revolutionäre Regierung, deren Zweck der erbittertste Kampf mit der Pekinger Regierung war. An der Spitze der südlichen Regierung stand anfangs der berühmte Führer der ersten chinesischen Revolution Sun Yat-sen, der sich indessen bald von der Regierung zurückzog, und zwar infolge von Konflikten, die zwischen ihm und den im Schosse der südlichen Regierung zurückgebliebenen Vertretern der alten Bürokratie ausbrachen. Seitdem beteiligte er sich nicht mehr offiziell an den Regierungsgeschäften. Die südliche Regierung setzt bis jetzt den Kampf mit der Pekinger Regierung fort. Dieser Kampf geht vor sich unter den von der Gruppe Sun Yat-sen proklamierten Losungen, deren grundlegendes Prinzip ist, dem alten Parlament und dem alten Präsidenten ihre Rechte wiederzugeben und die Pekinger Regierung zu veranlassen, ihren Abschied zu nehmen. Dieser Kampf wird mit wechselndem Erfolge geführt, aber zweifellos hat die südliche Regierung mehr Aussichten auf einen siegreichen Ausgang als die nördliche, obwohl letztere durch ihre glänzende Finanzlage eher darauf hoffen könnte. In den letzten Tagen wurde uns mitgeteilt, dass die Truppen der südlichen Regierung Hu-Nan besetzt hätten, d. h. eine der zentralen, an Peking grenzenden Provinzen. Als die alte reaktionäre Pekinger Regierung 1917 zum erstenmal mit den verbündeten Ländern an der Koalition gegen Deutschland teilnahm, versprach sie dem Lande für die Beteiligung am Kriege die verschiedensten Vorteile. Vergeblich protestierten die revolutionären Parteien, der Krieg wurde erklärt. Das chinesische Volk schenkte trotzdem diesen Versprechungen Glauben, und bis zur Einberufung der Versailler Konferenz hegte es Hoffnungen. Wie gross war jedoch seine Enttäuschung, als Versailles China nichts gab, sondern im Gegenteil Japan die Rechte und die territorialen Eroberungen sicherte, die es während des Krieges auf Kosten Chinas erworben hatte. Nach der Rückkehr der Delegation aus Versailles begann eine nicht zu unterschätzende Bewegung gegen die Regierung und gegen Japan. An die Spitze dieser Bewegung stellten sich die Studenten, die sich in Vereinen organisiert hatten, deren Zentrum sich in Shanghai befand. Die Studenten leiteten eine weitgehende Agitation durch Kundgebungen, Streiks, Aufrufe usw. ein. Sie agitierten auch für den Boykott der japanischen Waren. Die Ergebnisse dieser Bewegung waren äusserst gering; sie wurde gewaltsam unterdrückt. In einigen Fällen wurden sogar Manifestanten erschossen. Trotzdem hat die Bewegung insofern eine bedeutende Rolle gespielt, als sie in der Masse das Gefühl der Empörung gegen die Regierung weckte.

In der letzten Zeit begannen die Studenten, als sie begriffen, dass sie allein nichts ausrichten können, die Arbeitermasse mit heranzuziehen. Die chinesischen Arbeiter begannen gleichfalls zu zeigen, was sie vermögen, und zwar als Vertreter eines noch ganz jungen industriellen Proletariats. So haben wir im Laufe des verflossenen Jahres in Shanghai eine Reihe von Streiks erlebt, freilich mit rein ökonomischen Zielen. Die sozialistische Partei von Shanghai gewinnt unter den Arbeitern immer grössere Popularität. Diese Partei ist eine marxistische. Aus der von ihr herausgegebenen Wochenschrift ist ersichtlich, dass diese Bewegung als eine durchaus ernst zu nehmende zu bezeichnen ist. In der Nummer vom ersten Mai finden wir folgende Losungen: »Wer nicht arbeitet, soll nicht essen«. »Die ganze Welt soll dem Proletariat gehören«. Diese Zeitschrift propagiert unausgesetzt die Idee des Sozialismus im Gegensatz zum Nationalismus. Sie besteht auf einem brüderlichen Bund mit Sowjetrussland. Sie protestiert gegen den chinesisch-japanischen Vertrag vom vorigen Jahre, der die Eroberung Sibiriens zum Ziele hatte. In allen Abhandlungen vertritt die Zeitschrift die Ansicht, dass das Proletariat die Bourgeoisie bekämpfen soll und dass das Prinzip des Nationalismus und der Staatlichkeit dem Prinzip des Internationalismus weichen solle. Diese Zeitschrift ist äusserst populär. So sehen wir hier den Beginn einer Organisation, die nicht nur das industrielle Proletariat, sondern auch die Handwerker umfasst. Die Krise der europäischen Industrie fand auch in China einen Widerhall. China ist überschwemmt mit einer ausserordentlichen Menge ausländischer Waren. Die chinesische Industrie entwickelt sich nicht, und das chinesische Proletariat befindet sich in einer bedauernswerten Lage. Kurz gesagt: die Intellektuellen Chinas, die Studenten und die Arbeiter besitzen ein reiches Material für revolutionäre Agitation. Wenn es auch keine grossen Landbesitze in China gibt, so sehen wir doch schon, was die Bauernschaft betrifft, dass die reicheren Bauern sich allmählich Land ankaufen, was das Wachsen der Zahl der armen Bauern zur Folge hat. Selbstverständlich wird dieser Teil der Bevölkerung bereitwillig dem Stadtproletariat in der revolutionären Bewegung folgen.

China besteht zur Zeit aus einer Reihe von fast autonomen Provinzen, an deren Spitze mit allen Rechten versehene Generalgouverneure stehen. Alle diese Gouverneure sind, wie auch die Mitglieder der Regierung, Mitglieder der Militärpartei Anfu, d. h. der Partei der Bürokraten, von denen die meisten zur Zeit der Monarchie wichtige Posten bekleidet haben. Alle diese Gouverneure sind von der Pekinger Regierung fast unabhängig, und wenn sie sich im Kampf gegen den Süden noch halten, so tun sie es nur aus persönlichem Interesse. Das Finanzwesen befindet sich ganz und gar in den Händen der Gouverneure, die die Einkünfte der Zentralregierung nach ihrem Gutdünken bestimmen. Infolgedessen sind die Mittel der Regierung selbstverständlich äusserst gering, so dass sie gezwungen ist, zu Anleihen zu greifen, und zwar hauptsächlich in Japan. Da diese Art von Diensten natürlich nicht gratis geleistet wird, erwirbt Japan dafür immer mehr Rechte und materielle Vorteile in China. In einer Reihe von chinesischen Provinzen herrscht Japan so allmächtig wie in einem eroberten Lande. Andererseits bietet die von uns beschriebene Autokratie der Gouverneure und das Bestehen einer 2 Millionen zählenden undisziplinierten bestechlichen Armee das Bild einer vollständigen Anarchie. Wenn wir dies in Betracht ziehen, wird uns auch die Opposition und die ständige revolutionäre Gärung unter den Massen verständlich.

Gegenwärtig befindet sich die ganze Opposition gegen die beiden in China bestehenden Regierungen in der Person ihrer Hauptvertreter in Shanghai. Dort befindet sich Sun Yat-sen mit den Anhängern der ersten Revolution. Dort befinden sich auch die Zentralföderation der Studenten, die Arbeiterverbände und die sozialistische Partei. In dem Kampfe gegen Japan, gegen die chinesische Regierung und gegen die Bourgeoisie sind alle diese Gruppen von einem einheitlichen revolutionären Bewusstsein durchdrungen.

Um das Gesagte zusammenzufassen, muss nochmals hervorgehoben werden, dass es zur Zeit in China ein weites Gebiet für revolutionäre Propaganda gibt. Der Kongress der Kommunistischen Internationale muss seine Aufmerksamkeit auf diesen Umstand richten. Die Unterstützung der chinesischen Revolution ist nicht nur für China, sondern für die revolutionäre Bewegung der ganzen Welt von Bedeutung, denn augenblicklich gibt es nur einen einzigen Faktor, der sich dem habgierigen japanischen Imperialismus, der in Asien fest Wurzel gefasst hat, entgegenstellen kann. Dieser einzige Faktor ist eine starke und mächtige revolutionäre Bewegung unter den Arbeitermassen Chinas.

Bak Jin-sun (Korea)[3]. Im gegenwärtigen Augenblick erörtern wir hier die Kolonialfrage unter ganz anderen Verhältnissen als bei der Gründung der II. Internationale, vor dreissig Jahren. Die ganze Aufgabe der Kommunistischen Internationale in der Kolonialfrage besteht darin, die Fehler zu verbessern, die die Führer der II. Internationale gemacht haben. Die ganze Geschichte der ruhmlos zugrunde gegangenen II. Internationale hat gezeigt, dass das west-europäische Proletariat im Kampfe mit seiner Bourgeoisie nicht den Sieg davontragen kann, solange die Bourgeoisie in den Kolonien ihre Kraftquellen hat.

Die offiziellen Führer sahen dies ein; jedoch diese Ideologen des Parlamentarismus standen dem heldenhaften Kampfe der Kolonialvölker fremd gegenüber, und immer, wenn sie an das Problem des Ostens, an das Problem der Kolonialvölker herangingen, zitterten sie nicht weniger als die bürgerlichen Ideologen. Aber hier, auf unserem Kongress, hat schon die Arbeit in der Kommission gezeigt, dass alle Delegierten des Ostens wie des westeuropäischen Proletariats sich dessen bewusst sind, dass nur dann der frohe Tag – der Tag des Triumphes der Kommunistischen Internationale, der Tag der sozialen Revolution – anbrechen wird, wenn alle diese Kolonialvölker sich zum Aufstand erheben, wenn das westeuropäische Proletariat seiner Bourgeoisie den Todesstoss versetzt, wenn die Kolonialvölker die Bourgeoisie des Westens ins Herz treffen. Das Bewusstsein der Notwendigkeit gemeinsamen revolutionären Kampfes der Ostvölker und des westeuropäischen Proletariats wuchs immer mehr, und Russland, das Bindeglied zwischen dem ganzen proletarischen Westen und dem revolutionären Osten, hat uns jetzt in Wirklichkeit die Möglichkeit gegeben, jene wunde Frage zu erörtern, die die Ursache des Opportunismus, die Ursache der Unentschlossenheit der II. Internationale war. Ich hoffe, dass unser Kongress jetzt in der Kolonialfrage Beschlüsse fassen wird, die die revolutionäre Gärung, die Revolution im Osten beschleunigen werden.

Jetzt möchte ich von der revolutionären Bewegung sprechen, die sich in unserem Lande, in Korea, vollzieht. Einige Fragen haben wir schon entschieden. Ich möchte mich nur ganz kurz bei der praktischen Verwirklichung einiger hier aufgeworfener Fragen aufhalten, da die revolutionäre Bewegung uns schon einige Fragen gestellt hat, die auch hier aufgeworfen werden. Vor zehn Jahren stand das ganze koreanische Volk der Annexion Koreas teilnahmslos gegenüber. Ebenso teilnahmslos verhielt es sich zu den feurigen Redensarten über die Demokratie, über die Unabhängigkeit Koreas, über ein freies, glückliches Leben. Und plötzlich kämpft es jetzt 18 Monate lang und liefert Beispiele von Hingebung und Opfermut. Wir können nicht sagen, dass sich die allgemeine Kulturstufe des koreanischen Volkes im Laufe dieser 10 Jahre so bedeutend gehoben hätte. Die Japaner konnten während dieser 10 Jahre nicht nur das Klassenbewusstsein der koreanischen Massen, sondern auch das nationale Bewusstsein der Massen nicht heben. Wenn unsere Lehrer hier gesagt haben, dass die Revolution die Lokomotive der Geschichte ist, so müssen wir sagen, dass das Heizmaterial, das die Lokomotive veranlasst, sich auf dem Wege der Revolution zu bewegen, die Ökonomik ist.

Und gegenwärtig, im Zusammenhang mit der Okkupation, ist Korea das unglücklichste Land. Nehmen wir die Bauernschaft. Ihr sind Steuern auferlegt, die um 300–350 Prozent höher sind, als sie vor der Annexion waren. Das ruiniert natürlich die Bauernschaft, und die Politik der japanischen Agrarbank, die eine gewaltsame Übersiedelung aus dem eigentlichen Japan nach Korea wünscht, reizt die Mehrheit der Bauern, besonders der mittleren Bauern. Zudem geben die Japaner den Koreanern nicht die Möglichkeit, eine für das Leben nützliche Bildung zu erlangen, gestatten der lernenden Jugend nicht den Besuch der höheren Lehranstalten, die Ingenieure und gute militärische Instrukteure heranbilden. Deshalb ist nicht nur ein Teil der Intellektuellen, sondern die gesamte lernende Jugend gegen die japanische Okkupation gestimmt. Betrachten wir nun die Bourgeoisie. Durch ihre Kolonialpolitik, die Korea als Kolonie zu behandeln wünscht, berauben die Japaner die koreanische Bourgeoisie der Möglichkeit, in Korea Fabriken und Werke zu bauen. Das ist auch eine der Ursachen, die die koreanische Bourgeoisie von Japan abstösst. Dank diesen Ursachen hat die Bourgeoisie im Bunde mit den werktätigen Massen gekämpft, und in den letzten zwei, drei Jahren war es uns nicht möglich, eine Grenze zwischen beiden zu ziehen. Und solange die wirtschaftlichen Verhältnisse dieses nicht möglich machen, werden wir es auch nicht tun können. Unsere Partei jedoch wird bemüht sein, diese Differenzierung der Klassen durchzuführen und die revolutionäre Bewegung zu leiten, die in Korea das Gepräge einer reinen Agrarbewegung trägt. Jetzt weiss jeder Lehnsherr, jeder Grossgrundbesitzer, was die nationale Freiheitsbewegung in Korea ist. Das ist eine Bewegung, die sich nicht nur gegen den japanischen Imperialismus, nicht nur gegen das Joch der ausländischen Imperialisten richtet, sondern auch gegen die eigene Bourgeoisie, deren Mehrheit aus Grossgrundbesitzern besteht. Schliesslich, wenn für Korea die Zeit gekommen sein wird, das nationale Joch abzuschütteln, werden vielleicht zwei, drei Jahre genügen, damit die Bourgeoisie begreift, dass ein unabhängiges Korea nicht das Glück, das sie erwartet, geben kann. Sie weiss, dass ein unabhängiges Korea die Entziehung aller materiellen Vorteile bedeutet, daher ist sie gegen die koreanische Revolution und bindet ihr Schicksal an den japanischen Imperialismus.

Den Kern der Meinungsverschiedenheiten im revolutionären Denken bildete bei uns im vergangenen Jahre die Versailler Konferenz. Der rechte Flügel, der alle Nationalisten vereint, die grossen politischen Parteien, die einen einheitlichen nationalen Block bilden, die Verbände der kleinbürgerlichen Organisationen, die für den Völkerbund waren und erwarteten, dass Wilson, dieser angebliche Heiland, den geknechteten Völkern des Ostens die Freiheit bringen würde, sie alle bestanden darauf, dass eine Delegation zur Friedenskonferenz abgesandt wurde. Wir wussten sehr gut, dass die Imperialisten Amerikas, Japans und Englands auf keinen Fall so grossmütig sein und auf ihre Vorteile verzichten würden, die ihnen die Kolonien gewähren. Daher stellten wir die Frage: Paris oder Moskau? Unsere geschichtliche Bewertung hat sich als richtig erwiesen. Auf der Versailler Konferenz hatte unsere koreanische Delegation keinen Erfolg, und unser Einfluss unter den Massen begann zu wachsen und wächst immer noch. Unsere Partei ist jetzt eine der grossen Parteien und hat einen bedeutenden Einfluss auf die Massen. Und ich hoffe, dass sie die Leitsätze, die von dem gegenwärtigen Kongress angenommen werden, zu ihrer Richtschnur machen wird. Unsere Partei, die immer unter dem Banner der Kommunistischen Internationale geht, hat jetzt ihr Schicksal unlösbar mit der revolutionären Bewegung des gesamten Weltproletariats verbunden und wird ihre Pflicht erfüllen. Sie wird im Verein mit dem revolutionären Proletariat der ganzen Welt zum Endziel – zum Aufbau des Kommunismus – schreiten. Unsere Partei wird eine der Hauptkräfte sein, die das geknechtete Korea in einen Teil der föderativen Weltsowjetrepublik verwandeln werden.

Connolly (Irland). Die Leitsätze des Genossen Lenin haben die Grundzüge der allgemeinen Taktik der Kommunistischen Internationale gegenüber den national-revolutionären Bewegungen in den unterdrückten Ländern vorgezeichnet. Um diese Leitsätze tatsächlich anwenden zu können, muss die Kommunistische Internationale über die ökonomische und historische Bewegung in diesen Ländern richtig informiert sein und ausserdem die Möglichkeit haben, die revolutionäre Bedeutung der verschiedenen, in dem betreffenden Lande wirkenden Kräfte einschätzen zu können. Deshalb wollen wir, ohne die Leitsätze in ihrer Gesamtheit zu erörtern, einen ausführlichen Bericht über die Lage in Irland geben.

Die irische Frage kann als Frage der unterdrückten Nationalitäten von einem dreifachen Standpunkt aus betrachtet werden: vom Standpunkt der national-revolutionären Bewegung, vom Standpunkt der kleinbürgerlichen Sozialdemokraten und Liberalen und vom Standpunkt der Kommunistischen Internationale. Die erste Richtung betrachtet Irland als eine selbständige nationale Einheit, die seit sieben Jahrhunderten von England wirtschaftlich und politisch unterdrückt wurde, und erblickt die Lösung der Frage einzig und allein in der vollständigen Unabhängigkeit Irlands von Grossbritannien. Dazu muss aber ein bürgerlich-demokratisches irisches Reich nach dem Muster der demokratischen Republiken Westeuropas geschaffen werden. Andernfalls wird es Irland nie gelingen, sich in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht vollständig entwickeln zu können.

Vom Standpunkt der Liberalen aus, der mit geringen Abweichungen auch von den kleinbürgerlichen Sozialdemokraten geteilt wird, ist Irland bereits ökonomisch und politisch ein Teil Grossbritanniens. Daher genügt es, mittels vernünftiger politischer Zugeständnisse, im Rahmen einer beschränkten Selbstverwaltung, die nationalen Forderungen zu befriedigen. Es muss indessen verhütet werden, dass diese Selbständigkeit zu einer Gefahr für die Reichsregierung wird.

Vom Standpunkt der Kommunistischen Internationale aus ist die Sachlage eine ganz andere. In der letzten Phase des Kapitalismus ist die Lage aller nationalen Minderheiten und Kolonien eine überaus verwickelte. Unter den meisten dieser unterdrückten Völker und Rassen gibt es eine gegen den Imperialismus gerichtete revolutionäre Bewegung. Wenn der Kampf der Kommunistischen Internationale auch in einer anderen Richtung vor sich geht, darf sie sich doch nicht ohne weiteres von diesen revolutionären Aufständen abwenden, deren Zweck es auch ist, sich von dem Imperialismus zu befreien. Sie muss vielmehr jede Bewegung unterstützen, die zur Förderung der Weltrevolution beitragen kann. Die Kommunistische Internationale muss jede Bewegung anspornen und unterstützen, die bestrebt ist, die imperialistischen Mächte zu schwächen und die anwachsende Weltrevolution zu fördern. Die Kommunistische Internationale muss alle an solchen Kämpfen beteiligten kommunistischen Gruppen oder Richtungen verstärken und zusammenfassen. Eine solche Politik wird zur Bildung einer kommunistischen Partei führen, in der sich unter dem Druck der Militärdiktatur der Imperialisten eine strenge Zentralisierung und gute Disziplin entwickelt und die dadurch befähigt wird, nach der Befreiung von dem imperialistischen Joch einen erbitterten Kampf um die Macht gegen ihre nationale Bourgeoisie zu führen. In Berücksichtigung dieser Umstände verlangen wir die Unterstützung der nationalen revolutionären Bewegungen durch die Kommunistische Internationale. Das einzige Mittel, von dem man sich Erfolg versprechen kann, ist die aktive Unterstützung der nationalen Bewegungen mit Hilfe der kommunistischen Gruppen in den in Frage kommenden Ländern, wie schwach sie auch sein mögen. Dies gilt besonders für Irland, wo eine Unterstützung der nationalen Bewegung durch die Kommunistische Internationale und ihre britische Sektion ohne Hinzuziehung der kommunistischen Gruppen letztere nur schwächen würde. Die Unterstützung durch die Kommunistische Internationale ist das einzige Mittel, das ihnen gestattet, schon in der ersten Zeit des revolutionären Kampfes eine bedeutende Rolle zu spielen. Die revolutionären Nationalisten werden im Kampf gegen den britischen Imperialismus jedes Mittel ausnützen, und falls der Kampf der Kommunistischen Internationale nur durch die Vermittlung der erwähnten kleinen kommunistischen Gruppen geführt wird, werden die irischen Nationalisten gezwungen sein, den Kommunisten gegenüber neutral zu bleiben, die ihrerseits in der Zwischenzeit neue Kräfte sammeln und sich entwickeln können. Ja, sie werden vielleicht diese kommunistischen Gruppen aktiv unterstützen müssen, wodurch sie unbewusst deren Propaganda erleichtern werden.

Wenn es in Irland keine kommunistische Bewegung geben würde, so wäre die unmittelbare Folge, dass Irland, unabhängig davon, ob es der zur Zeit dort herrschenden militärischen Diktatur unterworfen bleibt oder einen bürgerlichen Staat bildet, in eine Basis für den gegenrevolutionären Angriff auf die kommende soziale Revolution in England verwandelt würde, wobei besonders zu beachten ist, dass in dem englischen Kampfe die Flotte keine geringe Rolle spielen wird und dass Irland prachtvolle Häfen und Unterseebootstützpunkte für eine zur Blockade Englands bestimmte weisse Flotte besitzt. Dies führt uns zum ersten Teil unseres Berichts zurück, in dem die strategische Lage Irlands in ihrer Bedeutung für den Kommunismus betrachtet wird. Wenn wir die internationale Lage als erbitterten Kampf zwischen dem Zentrum der Weltrevolution, Sowjetrussland, mit den sich um Russland gruppierenden kleinen Staaten einerseits und dem Völkerbund mit dem britischen Imperialismus an der Spitze andererseits betrachten, dann ist Irland, dieser ständige Herd der Revolution im Herzen des Reiches, das ein englisches Heer von 200 000 Mann dauernd festhält, von grosser Bedeutung für die internationale revolutionäre Bewegung. Andererseits muss man das Äusserste versuchen, um die Verwendung Irlands als Basis für die Henker der englischen Revolution in oben erwähntem Sinne zu verhindern.

Was die in Amerika lebenden und die im Britischen Reich zerstreuten Iren betrifft, so ist allen das rege Interesse bekannt, das sie an der politischen Entwicklung ihrer Heimat nehmen, wie auch die Geschwindigkeit, mit der sie auf die dortigen Ereignisse reagieren.

Wenn dem so ist, dann wird die Hinneigung der irischen Politik zum Kommunismus die Massen der in den englischen Besitzungen und in den Vereinigten Staaten lebenden Iren mit sich ziehen, die kommunistische Bewegung in diesen Ländern verstärken und die internationale proletarische Bewegung überhaupt kräftigen.

(Genosse Connolly verliest darauf den Bericht, der in Heft 12 der »Kommunistischen Internationale« unverkürzt veröffentlicht ist.)

MacAlpine. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Kongresses auf den 12. Leitsatz:

»Die jahrhundertelange Unterdrückung der kolonialen Bevölkerung und der schwächeren Nationalitäten durch die imperialistischen Mächte hat in den Arbeitermassen der unterdrückten Länder nicht nur ein feindliches Gefühl erweckt, sondern Misstrauen gegen die Unterdrücker im allgemeinen, einschliesslich das Proletariat dieser Nationen«. Als Beispiel dafür kann die Haltung der Arbeitermassen Irlands gegenüber dem englischen Proletariat angeführt werden, die oft keinen Unterschied zwischen den regierenden Klassen Englands und den englischen Arbeitern machen. Durch diese Haltung der irischen Arbeiter lässt sich auch die Tatsache erklären, dass die englische Arbeiterbewegung bisher die durch Irland aufgeworfenen Probleme nicht verstanden hat.

Die meisten polnischen Revolutionäre, mit denen ich über die gegenwärtigen Verhältnisse in Irland gesprochen habe, sind erstaunt über die Ähnlichkeit mit den Verhältnissen in Polen im Jahre 1905. Die Ähnlichkeit ist augenscheinlich, und während die revolutionäre Zeit uns günstig ist, darf die Möglichkeit nicht ausser acht gelassen werden, dass die nationalen Ansprüche Irlands in einer sozialrevolutionären Krise von der englischenBourgeoisie ausgenutzt werden können. Die Haltung der britischen revolutionären Bewegung Irland gegenüber hat sich bisher weder durch Toleranz ausgezeichnet, noch hat sie die Haltung der Sozialdemokraten angenommen, die in Worten die Ansprüche der revolutionären Nationalisten unterstützen. Die Tatsache, dass Irland eine wichtige Waffe gegen den britischen Imperialismus ist und dass es andererseits in ein gefährliches Werkzeug gegen die soziale Revolution verwandelt werden kann, scheint ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Es scheint, dass die Shop-Steward-Bewegung die erste ist, die der Wichtigkeit der irischen Frage und ihrer Beziehung zur britischen revolutionären Bewegung volle Anerkennung zollt. Die auf ihrer Konferenz in London im Anfang dieses Jahres stattgefundenen Diskussionen und ihre Resolutionen haben das Interesse der irischen Arbeiter für diese Bewegung geweckt und dazu beigetragen, bessere Beziehungen zwischen dem Proletariat beider Länder zu schaffen.

Es ist von äusserster Wichtigkeit, dass die englischen Kommunisten Irland aktiv unterstützen, dass sie unter den englischen Truppen in Irland agitieren und verhindern, Truppen und Munition nach Irland zu befördern. Es ist interessant, zu vermerken, dass das Ergebnis der Tätigkeit der britischen Arbeiterbewegung in dieser Frage der Austritt der irischen Eisenbahner aus dem Nationalverband der Eisenbahner war und dass in den letzten paar Monaten die Mechaniker im südlichen Teil Irlands aus dem Vereinigten Verband der Mechaniker ausgetreten sind.

Immerhin darf zwischen den englischen Kommunisten und der irischen nationalistischen Bewegung keine direkte Verbindung bestehen, sondern nur durch die Vermittlung der irischen Kommunisten oder nach einer Beratung mit diesen. Ebenso wichtig ist der Umstand, dass, während die englischen Kommunisten den nationalen Kampf unterstützen, sie immerhin einen strengen Unterschied zwischen der nationalen und der kommunistischen Revolution machen. Sie müssen darauf hinweisen, dass ihre Haltung Irland gegenüber keine bürgerlich-humanitäre Reaktion gegen die Unterdrückung ist, sondern das Ergebnis gemeinsamer Klasseninteressen des Proletariats und der Bauernschaft beider Länder.

»Die Haltung der englischen Arbeiter Irland gegenüber ist das Barometer des sozialrevolutionären Gefühls in Grossbritannien«, sagte neulich Herman Gorter, und es könnte hinzugefügt werden, dass die Haltung der englischen Kommunisten Irland gegenüber das Mass für die Klarheit der kommunistischen Denkweise in England ist. Bezüglich der Behauptung in der Kommission, dass die englischen Arbeiter die Unterstützung des revolutionären Kampfes der Kolonien gegen den britischen Imperialismus als Verrat ansehen, muss gesagt werden, je schneller die englischen Arbeiter solch einen Verrat an dem bürgerlichen Staat ausüben lernen, um so besser für die revolutionäre Bewegung. Eine solche Unterstützung ist sehr notwendig, wenn sie sich auch nur auf die Erziehung der englischen Arbeitermassen beschränken sollte.

Gegen den von unserem italienischen Genossen Graziadei gestellten Antrag, in der Ziffer 11 der Thesen die Worte »aktives Interesse zeigen« anstatt: »Unterstützung leisten« zu setzen, protestiere ich energisch. Dies ist eine Wilsonsche Phrase und bedeutet nichts, wie alle Phrasen dieses Herrn; das ist eine maskierte Methode, diesen Punkt ganz auszuschalten, und erinnert an die Methode, die die II. Internationale gegen die kleinen Nationalitäten anwandte.

Ich wollte noch verschiedene Punkte berühren, aber da mir wenig Zeit zur Verfügung steht, will ich sie nur kurz erwähnen. Die Lage in Ulster oder wenigstens im nordöstlichen Teil dieser Provinz unterscheidet sich von der Lage in den übrigen Teilen Irlands. In mancher Hinsicht bietet sie den Kommunisten ein weniger verwickeltes Problem, als es in den übrigen Teilen Irlands der Fall ist.

Die Mehrzahl der Bevölkerung dieses Teiles von Irland besteht aus Antinationalisten und Gegnern des übrigen Teiles von Irland. Wenn auch auf den ersten Blick die Situation dadurch verwickelter wird, so ist die Notwendigkeit des Klassenkampfes hier klarer. Die politische Unterdrückung wird von den Arbeitern nicht mit der wirtschaftlichen Unterdrückung verwechselt. Der Umstand, dass Ulster das industrielle Zentrum Irlands ist und dass es sich für einen gleichberechtigten Bestandteil des Britischen Reiches hält, bewirkt, dass es sich den grossen Industriezentren Englands gleichstellt.

Ich würde mich gern noch über die Frage des Genossenschaftswesens aussprechen, das sich zu einem wichtigen Teil des irischen Wirtschaftslebens entwickelt, aber aus Zeitmangel kann ich das nicht tun. Durch das Wachstum der Genossenschaften im Lande wird die Ideologie des Privatbesitzes lahmgelegt, die den Kommunisten so viel Schwierigkeiten macht, besonders da sie von der Bauernschaft vertreten wird. Die Genossenschaften entwickeln die Idee einer ganzen Skala der Produktion auf kommunistischer Grundlage, sie kämpfen gegen den Landhunger der Landarbeiter und des Halbproletariats an. Wir unterstützen die Leitsätze samt den vom Genossen Roy vorgeschlagenen Zusätzen.

İsmail Hakkı (Türkei). Ich will über die Leitsätze des Genossen Lenin sprechen, besonders über die Stelle, die den Islamismus behandelt. Gerade diese Frage verlangt, dass man sich näher mit ihr bekannt macht. Von der Zeit an, als die türkischen Sultane Syrien und Assyrien eroberten, als der Weg zu den heiligen Orten des Islam in ihre Hände fiel, von dieser Zeit an haben sich die türkischen Machthaber bemüht, die den ganzen Osten, Afrika und andere Länder bewohnenden Völker, die Anhänger des Islam sind, zu vereinigen. Von der Zeit an, als die heiligen Orte und besonders die Eisenbähnlinie in die Hände der Sultane fielen, von der Zeit an, als das Herz des Islam in ihre Hände fiel, predigten die türkischen Sultane den Panislamismus in jeder Weise und wünschten um die Türkei alle Völkerschaften, alle muselmännischen Länder, die sich im Osten und in Afrika befinden, zu vereinigen.

Aber als im Jahre 1908 die jungtürkische Revolution ausbrach, ging die Gewalt in die Hände der Jungtürken über. Die liberale Bourgeoisie, die die Macht in ihre Hände nahm, fing an, neue Wege für die Vereinigung aller dieser Völkerschaften zu suchen. Zur selben Zeit stöhnten in Russland die Tataren, Turkestaner, Baschkiren, die kaukasischen Türken und eine ganze Reihe anderer Völker unter der Zarenknute, und hier drang zur selben Zeit die Idee des Alltürkentums durch, die der Idee des Panislamismus entgegengestellt wurde. Der Panislamismus war nicht imstande, die verschiedenen Völkerschaften mit ihren verschiedenen Sprachen zu vereinigen. Die Idee des Alltürkentums, der sich im weiteren Verlauf die Jungtürken bemächtigten, diese Idee strebte dahin, alle türkischen Völker, von Kasan bis Turkestan und bis zum Kaukasus mit der ganzen Türkei und einem Teil von Persien zu verschmelzen. Dieses ungeheure Territorium zu vereinigen war das Bestreben der Alltürken. Aber alle diese Träume waren verurteilt, nur auf dem Papier zu bleiben.

Nach der russischen Revolution, nach der Teilung der Türkei durch die europäischen Imperialisten, als das Janusgesicht der englischen und französischen Kapitalisten sich dem türkischen Volke offen zeigte, begann in der Türkei eine neue, eine Freiheitsbewegung. Die anatolische Bewegung, die jetzt von den demokratischen Parteien geleitet wird, ist die beste Antwort auf die schonungslose Ausbeutung, der die Türkei von der Entente unterworfen wurde. Besonders die Besetzung von Konstantinopel goss Öl ins Feuer, und die Bewegung wuchs noch rascher. Jetzt bereitet sich der revolutionäre Staat in Anatolien, der alle ententefeindlichen Kräfte um sich sammelt, die von jahrhunderte altem Hass gegen den Imperialismus getrieben sind, zum Kampf gegen den europäischen Imperialismus vor. Die werktätige Türkei wird sich nicht noch einmal von der Entente knechten lassen, und dank der russischen Revolution, die der beste Freund der werktätigen Türkei ist, wird das türkische Volk in allernächster Zeit völlige Freiheit erlangen und zusammen mit den Werktätigen aller Länder den Kampf gegen die Imperialisten der ganzen Welt aufnehmen.

Serrati. Es wird vorgeschlagen, die Liste zu schliessen. 12 Genossen sind noch vorgemerkt. Liegen andere Anträge vor?

Walcher. Man kann noch sehr viel über die zu erörternde Frage sagen. Ich glaube aber, dass man durch eine solche Art der Diskussion zu keinen positiven Ergebnissen gelangen kann; daher schlage ich vor, die Debatte zu schliessen.

Maring. Ich warne entschieden vor der Annahme des Antrags Walcher. Er hat gar keinen Sinn. Eben hat man beschlossen, den Vertretern der rückständigsten Länder die Möglichkeit zu geben, sich über diese Frage auf dem Kongress auszusprechen. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Vertreter aller Kolonien geäussert haben ausser Java, und dass diese Kolonie die erste nach Britisch-Indien ist, dass nur auf Java eine marxistische Erfahrung vorliegt und die Arbeit im marxistischen Geiste geführt wurde, und ich möchte hoffen, dass die deutsche Delegation sich ein wenig dafür interessiert, Information über Verhältnisse zu bekommen, von denen wir gar nichts wissen.

Ich bitte den Kongress, den Vertretern der Kolonialvölker die Möglichkeit der Aussprache zu gewähren, wie es gestern abend abgemacht wurde.

Serrati. Die Genossin Frumkina beantragt, denen das Wort zu geben, die irgend einen Antrag gestellt haben.

Wijnkoop. Ich bin dagegen, dass man jetzt nur denen das Wort erteilt, die einen Antrag gestellt haben. Wir haben hier schon wichtige Anträge gehört, die noch gar nicht besprochen worden sind. Man muss Gelegenheit haben, die wichtigsten Anträge zu besprechen. Ich glaube, dass man allen Rednern das Wort geben muss.

Serrati. Ich möchte bemerken, dass niemand da von gesprochen hat, den angemeldeten Rednern nicht das Wort zu erteilen.

Losowski. Ich schlage vor, dass das Wort den Vertretern der Länder, die noch nicht gesprochen haben, erteilt sei.

Serrati. Es ist aber ein allgemeiner Vorschlag gemacht worden, d. h. Schluss der Debatte. Wer für den Vorschlag des Schlusses der Diskussion ist, der hebe die Hand. Die Mehrheit ist dagegen. Es wird über den Vorschlag des Genossen Losowski abgestimmt. Er ist mit grosser Stimmenmehrheit angenommen.

Das Wort hat Genosse Maring.

Maring (Holländisch-Indien). Genossen! Eine der wichtigsten Fragen ist die Frage über Holländisch-Indien. Ich möchte hier von drei Punkten sprechen. Ich möchte zuerst einige Erfahrungen mitteilen über die Bewegung in Ostindien, zweitens einige prinzipielle Bemerkungen zu den Leitsätzen und drittens einige praktische Vorschläge für die Arbeit in den Kolonien machen. Ich hoffe, dass auf dem nächsten Kongress einige Javaner und Malayer da sein werden, um an den Debatten teilnehmen zu können. Doch weil meine Arbeit während sieben Jahren aufs engste mit der indischen Bewegung verbunden ist, hoffe ich, dass der Kongress sich für die Erfahrungen interessieren wird, die ich als revolutionärer Marxist in diesen Ländern gemacht babe. Meiner Meinung nach gibt es auf der ganzen Tagesordnung keine andere Frage von so grosser Wichtigkeit für die weitere Entwicklung der Weltrevolution wie die Nationalitäten- und Kolonialfrage. Die anderen Fragen sind nur Streitigkeiten in der Arbeiterbewegung, die immer wieder aufkommen, wenn die Revolution stagniert. Man hat gar keine Zeit zu solchen Diskussionen, wenn die Revolution weiter fortschreitet.

Die holländischen Kolonien kommen nach Britisch-Indien in erster Linie als die wichtigsten in Betracht. Sie gehören zu den reichsten Kolonien der Erde. Ihre Bevölkerung ist grösser als die japanische und fast so gross wie die deutsche. Von den 50 Millionen Einwohnern wohnt der grösste Teil auf den vier Hauptinseln – Java, Sumatra, Bali, Lombok –, die 40 Millionen Einwohner aufweisen. Von den 300 Jahren der kolonialen Ausbeutung dieser Länder ist für uns die letzte Periode die wichtigste. Seit 1870 gibt es dort eine kapitalistische Entwicklung. Seit 1905 hat im Gegensatz zu dem, was der italienische Genosse sagte, in Holland eine imperialistische Periode angefangen, die sich sehr stark fortentwickelte. In zehn Jahren ist die holländische Herrschaft in einem grossen Teil Sumatras, in Borneo, Celebes, Neu-Guinea gefestigt worden. Es trifft hier genau zu, was die Genossin Rosa Luxemburg über diese Sache in ihrer »Akkumulation des Kapitals« gesagt hat und was die Genossin H. Roland-Holst konstatierte, namentlich, dass der Raubhunger des Kapitalismus unbegrenzt ist, dass er unruhig wird, sobald er von neuen Goldfeldern, Erdölgruben usw. hört, die nicht ausgebeutet werden, dass er die Regierung zu neuen Expeditionen aufhetzt und dass er der Meinung ist, dass niemals Geld und Menschen genug angewandt werden zum Weltraub und zur Unterdrückung der Stämme und Völker in den rückständigen Gebieten.

Seit 1905 ist die kapitalistische Entwicklung in diesen asiatischen Ländern eine sehr rasche. Man braucht nur zu betonen, dass jetzt 1,5 Milliarden – ein Drittel des ganzen kapitalistischen Vermögens Hollands – in den Kolonien investiert ist. Wenn man weiss, dass 1917 mindestens 25 Millionen Pfund Sterling aus den Kolonien nach Holland flossen, dass neben dem holländischen Kapital amerikanisches, japanisches, englisches Kapital in den Zucker-, Kakao-, Kaffee- und anderen Plantagen gute Geschäfte macht, dann kann man eine Vorstellung davon bekommen, von wie grosser Bedeutung der neue Kapitalismus im Femen Osten für die ganze Rekonstruktion des Weltkapitalismus ist. Ich möchte darauf hinweisen, dass die vornehmste holländische kapitalistische Zeitung geschrieben hat, dass es, auch wenn es möglich sein wird, in Europa alle Unternehmen zu nationalisieren, wenn wir hier die Privatunternehmen aufheben, in den Kolonien für die ganze kapitalistische Klasse neue Möglichkeiten gibt, reichere und grössere als in Europa.

Zum Schluss dieser kurzen Skizze ein paar Worte über die Lage der Bevölkerung. 150 000 Europäer sind Räuber des Fernen Ostens, für die in der täglichen Praxis nur das gilt, was Rudyard Kipling sagt, nämlich, dass östlich vom Suezkanal die zehn Gebote zu gelten aufhören. Nächst den Europäern gibt es noch eine Million Chinesen und eine Anzahl Japaner, die jetzt auch die Grossindustrie auf Java zur Entwicklung bringen. Man sollte nur die eine Ziffer hören, dass es jetzt auf Java: allein 200 grosse Zuckerfabriken gibt mit einem bedeutenden Proletariat; dann kann man verstehen, dass diese Morgenländer für die Revolution auch einige Bedeutung haben. Die Lage der Bauern, die den grössten Teil der Bevölkerung ausmachen – es gibt deren auf Java allein 25 Millionen einschliesslich ihrer Familienmitglieder –, ist derart, dass sie ein jährliches Budget von 110 holländischen Gulden haben, die mit 20 Prozent besteuert werden, und dass sie für den jährlichen Unterhalt der Wohnung nur sechs Gulden, für ihre Landbauwerkzeuge nur drei Gulden pro Jahr abgeben können. Die Bauern haben ihren Bodenbesitz, doch werden sie in Wirklichkeit ganz und gar proletarisiert, weil sie einen Teil ihres Bodens dem europäischen Kapital verpachten müssen und von den privilegierten Klassen Javas vollständig ausgebeutet werden, so dass sie nicht als Bauern leben können und in die Zuckerfabriken gehen müssen. Wenn man erwägt, dass es auf Java jetzt ein Proletariat von einer Million gibt mit einem Durchschnittseinkommen von ½ Gulden pro Tag, wenn man weiss, dass Java auch in die Teuerung mit einbegriffen ist, dass jetzt die Javaner grösstenteils nicht mehr während des ganzen Jahres einmal täglich ihren Reis bekommen können, dann kann man sich eine Idee davon machen, dass hier der Boden für revolutionäre Propaganda sehr reif ist. Wenn man weiss, dass es dort ein so grosses Analphabetentum gibt, dass von tausend erwachsenen Männern nur 15 lesen und schreiben können, und dass von den Kindern noch keine 10 Prozent in die Schule gehen, so kann man es vielleicht verstehen, wie einem Marxisten zumute ist, wenn er sieht, dass jetzt in Russland eine so gewaltige Arbeit auf dem Gebiete der Erziehung geleistet wird, und wie in seinem Herzen das Verlangen lebt, dass auch die Ostvölker an dieser Kulturarbeit teilhaben mögen.

Ich werde jetzt auf die Lage der Bevölkerung nicht weiter eingehen. Ich habe einen schriftlichen Bericht beim Sekretariat abgegeben, der in der »Kommunistischen Internationale« veröffentlicht werden wird. Ich gebe hier nur diese Tatsachen, weil ich den Eindruck habe, dass auch dieser Kongress der Kommunistischen Internationale mit einigen Ausnahmen die grosse Wichtigkeit der orientalischen Frage nicht voll verstanden hat. Ich möchte etwas von der Bewegung in Java sagen, die 1907 als eine nationalistische Bewegung entstanden ist und anfangs eine revolutionäre Bewegung war. Ein indischer Subatow änderte diesen Charakter, und man kann sagen, dass jetzt der Einfluss der wirklich revolutionären nationalistischen Bewegung in Holländisch-Indien sehr gering ist. Weit wichtiger als diese Bewegung ist die Massenbewegung, die ungefähr 1 ½ Million Mitglieder hat und die seit 1912 Bauern und Proletarier in einem Bunde vereinigt und sehr rasche Fortschritte gemacht hat. Diese Organisation, obgleich ihr Name – Sarekat Islam – ein religiöser ist, hat einen Klassencharakter bekommen. Wenn man sieht, dass in dem Programm dieser Bewegung der Kampf gegen den sündigen Kapitalismus steht, dass der Kampf nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen den javanischen Adel gerichtet ist, dann kann man ermessen, dass es für die sozialistische revolutionäre Bewegung eine Pflicht ist, mit dieser Massenorganisation, mit dem Sarekat-Islam, feste Verbindungen anzuknüpfen. Die Regierung hat 1916 versucht, diese Bewegung für ihre militärische Propaganda zu interessieren, doch das Ergebnis war, dass von Samarang aus sich eine starke Opposition von jungen Mitgliedern entwickelte.

Als die europäischen Sozialisten endlich beschlossen, ihre Pflicht im Fernen Osten zu tun und dort eine Bewegung zu entwickeln, gelang es ihnen, mit den lokalen Sarekat-Islam-Vereinigungen Verbindung zu bekommen. Eine bedeutende Zahl dieser Massenorganisation ist nicht bewusst sozialistisch, doch sie sind in dem Sinne revolutionär, wie Genosse Roy das für Britisch-Indien festgestellt hat.

Ich habe gestern in der Kommission von einem der Engländer gehört, dass die Massenaktion in Indien nur Unglück und Gemetzel geben kann, weil die Massen nicht reif sind. Ich bin der Meinung, dass nur durch die Massenaktion eine wirklich sozialistische Bewegung des revolutionären Widerstandes organisiert werden kann, dass nur auf diese Weise dem Kapitalismus eine wirkliche Kraft gegenübergestellt wird. Wir konstatierten auf Java, dass die Mittelklasse mit ihren Versuchen, die Massen für die nationale Frage zu interessieren, keinen Erfolg hatte. Doch als wir zu den Proletariern in die Städte und in die Zuckerbezirke gingen und von den niedrigen Löhnen, von den Sterblichkeitsziffern, von den schweren Steuern usw. sprachen, da gewann man einiges Vertrauen zu der revolutionären sozialistischen Bewegung. Das Gefühl liegt in den Massen. Sie sind sehr empfindlich für unsere Propaganda. Man kann in Java in jeder malayischen Zeitung von den Fortschritten lesen, die die Ideen Sowjetrusslands in der Welt machen. Das hat eine grosse Bedeutung für einen Kongress wie diesen. während seit Jahren die sozialistische Bewegung die Kolonien vernachlässigte, haben die Kapitalisten besser eingeschätzt, welche Bedeutung die Kolonien haben, als es seitens mancher revolutionärer Sozialisten geschehen ist. Die Kapitalisten begriffen, was die orientalische Entwicklung dem Kapitalismus bringen kann. 1917 hat sich eine starke Bewegung unter den revolutionären Sozialisten entwickelt, in welcher die Reformisten offen die Partei der Regierung gewählt haben, derart, dass sie von unseren Freunden sagten: diese Menschen bringen uns genau dasselbe Unglück, wie Trotzki und Lenin es Russland gebracht haben. Wenn man hört, dass es im Jahre 1918 keine Massenversammlungen in den Städten und in den Gegenden der Zuckerindustrie gegeben hat, bei denen nicht mindestens 3–4000 Arbeiter anwesend waren, so versteht man, dass in diesen braunen Menschen ein neuer Geist erwacht ist, der von grösster Bedeutung für unsere ganze Bewegung ist. Wir haben natürlich auch, wie es sich für revolutionäre Elemente gebührt, unter den Matrosen der Kolonialflotte und den Soldaten gearbeitet: Am Ende dieses Jahres trat eine starke Reaktion auf. Der Führer der Soldaten und Matrosen und ich wurden von der Regierung aus Indien weggejagt, mehrere Freunde verhaftet und verurteilt. Die 13 Mitglieder eines Soldatenrates bekamen 90 Jahre Gefängnis. Nachdem haben wir die Beweise bekommen, dass diese Bewegung sich weiter entfaltet, nicht durch den Willen der Aufwiegler, sondern weil die wirtschaftlichen Verhältnisse sich so weit entwickelt haben, dass eine Massenbewegung möglich ist und der Boden da ist für eine revolutionäre Agitation und Propaganda.

Zum zweiten Punkt möchte ich sagen, dass ich keinen Unterschied mache zwischen den Leitsätzen des Genossen Lenin und des Genossen Roy. Sie sind im Sinne eins. Die Schwierigkeit besteht nur darin, die richtige Einstellung zu finden für die Beziehungen zwischen den revolutionären nationalistischen und den sozialistischen Bewegungen in den zurückgebliebenen Ländern und Kolonien. In der Praxis gibt es diese Schwierigkeit nicht. Da ergibt sich die Notwendigkeit, mit den revolutionären nationalistischen Elementen zusammenzuarbeiten, und wir machen halbe Arbeit, wenn wir diese Bewegung negieren und uns als doktrinäre Marxisten aufspielen. Nicht den sogenannten Marxismus Cunows müssen wir jetzt für die Kolonien akzeptieren, sondern wir müssen begreifen, dass in den Kolonien die kapitalistische Entwicklung übergangen werden kann. Wie Genosse Radek für Japan zeigte, dass die Entwicklung da eine andere war als in Europa, so entwickeln sich auch die Kolonien in anderer Weise. Es hat mich besonders gefreut, dass Genosse Radek gestern abend dem Kongress klarstellte, dass wir nicht nach Indien gehen, um auszubeuten, sondern weil wir ihm das Beste zu bringen haben, was sich das Proletariat erringt, die Hoffnung eines neuen Lebens und kulturelle und ökonomische Freiheit, dass er die englische Arbeiterschaft auf ihre Pflicht hingewiesen hat, dass er gezeigt hat, dass die englische Arbeiterschaft in ihrer politischen und gewerkschaftlichen Agitation die Kolonien nicht vergessen darf, dass sie nur eine Helferin der Kapitalisten ist, wenn sie den revolutionären Kampf in den Kolonien nicht unterstützt. Und, sage ich, solange die englischen Arbeiter das nicht verstehen können, können sie vielleicht viele Stimmen bei den Wahlen bekommen, aber sie leisten keine Arbeit, die wirklich revolutionäre Bedeutung hat. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, lange Resolutionen anzunehmen, wir müssen praktisch etwas im Fernen Osten leisten.

Ich habe die Möglichkeit der Agitation gezeigt. Wir gehen in der nächsten Zeit zu dem Kongress in Baku. Doch wir haben nicht die Illusion, dass dieser Kongress auch für den Fernen Osten grosse Bedeutung haben wird. Das ist unmöglich. Ich möchte vorschlagen, dass die Leitsätze, die hier angenommen worden sind, von der Kommunistischen Internationale in einigen orientalischen Sprachen herausgegeben und unter den chinesischen und indischen Revolutionären besonders verbreitet werden. Weiter möchte ich vorschlagen, auch im Femen Osten und ausserdem für den Mittelosten ein Propagandabüro der Kommunistischen Internationale zu organisieren; da die Bewegung jetzt so grosse Bedeutung hat, ist es sehr nützlich, die Arbeit, die dort schon besteht, in einem Büro zu vereinigen und eine konzentrierte Propaganda zu führen, die von Moskau aus nicht genügend geleitet werden kann.

Zum Schluss habe ich nur noch eine Bitte. Gestern ist hier vom Genossen Reed gesagt worden, die Neger müssten hierherkommen, um sich die Verhältnisse in Russland anzusehen. Ich mache den Vorschlag: die Kommunistische Internationale gibt den Führern aus dem Femen Osten die Möglichkeit, ein halbes Jahr hier zu leben und einige kommunistische Kurse mitzumachen, damit sie richtig verstehen, was hier geschieht, und die Idee der Leitsätze ausführen können, damit sie die Sowjetorganisation verwirklichen und kommunistische Arbeit in den Kolonien leisten können. Ich verlange das deswegen, weil Moskau und Petrograd ein neues Mekka für den Osten bilden und die kapitalistischen Regierungen alles versuchen werden, unseren kommunistischen Hadjis die Übersiedelung nach Moskau und Petrograd zu verhindern. Wir müssen hier in Russland den orientalischen Revolutionären Gelegenheit geben, sich theoretisch auszubilden, damit der Feme Osten ein lebendiges Mitglied der Kommunistischen Internationale werden kann.

Frumkina. Ich denke, dass man auch mit den nationalen Minderheiten rechnen muss, d. h. mit Minderheiten, die ein gewisses Territorium bewohnen. Ich bin erstaunt, zu sehen, dass hier der Irrtum wiederholt wird, den sich die Zweite Internationale zuschulden kommen liess. Man spricht von einer territorialen Autonomie, und man rechnet nicht mit den nationalen Minderheiten. Ich möchte, dass man den nationalen Minderheiten in den verschiedenen Ländern Rechnung trägt. Ich schlage vor, einen Zusatz zum Punkt 9 einzufügen. Vorher möchte ich aber, dass man sich an die Erfahrungen der Kommunistischen Partei und der Sowjetordnung in Russland erinnert. Die Organisationen der Kommunistischen Partei Russlands und die Sowjetinstitution besitzen besondere Abteilungen für nationale Minderheiten, die sich mit den nationalen Minderheiten und mit allem, was sich z. B. auf die Judenfrage etc. bezieht, befassen.

Ich schlage folgenden Zusatz vor, Seite 43, am Ende des Leitsatzes, vor dem 10. Punkt:

»Gleichzeitig müssen die kommunistischen Parteien aller Länder sowohl in ihrer allgemeinen Politik als auch in ihrer Propaganda einen entschiedenen Kampf führen gegen die bürgerliche Auffassung des exklusiven Besitzrechts dieser oder jener nationalen Mehrheit auf das von ihr bewohnte Territorium und gegen die von den nationalen Sozialisten vertretene Auffassung, die die nationale Mehrheit als die absolute Herrscherin betrachten und die exterritorialen nationalen Arbeiterminderheiten, die auf ihrem Territorium leben, als Fremde behandeln (Polen, Ukraine).
Die rückhaltlose Unterstützung der revolutionären Tendenzen unterdrückter Länder mit verschiedenartiger Bevölkerung, ohne dass die kategorische Forderung der praktischen Ausübung der Rechte der in den verschiedenen Ländern wohnenden nationalen Minderheiten gesichert wäre (Rechte, die nur durch die Diktatur des Proletariats eine absolute Garantie erhalten können), könnte die bisher unterdrückten Kleinbürgermassen in Unterdrücker verwandeln.
Die Erfahrungen der Sowjetmacht und der Kommunistischen Partei Russlands, die den Arbeitermassen aller Nationen die wirkliche Möglichkeit einer intellektuellen Entwicklung gibt, dank der grossen Verzweigung der Staatsorgane (Sektionen für Erziehung nationaler Minderheiten, Kommissariate für nationale Angelegenheiten usw.), wodurch eine wirkliche brüderliche Koexistenz aller Nationen erzielt worden ist, muss dem für alle kommunistischen Parteien gültigen nationalen Programm zugrunde gelegt werden.«

Man ist versucht, alle exterritorialen Minderheiten als fremde Elemente anzusehen. So ist es in Polen und in der Ukraine. Es ist für alle Länder wichtig, sich an der Sowjetmacht und der Kommunistischen Partei Russlands ein Beispiel zu nehmen, die allen werktätigen Minderheiten aller Nationalitäten die Möglichkeit geben, sich kulturell zu entwickeln, indem sie; ihnen die dafür notwendigen Organisationen zur Verfügung stellen, so z. B. Organisationen zur Aufklärung nationaler Minderheiten und Kommissariate, die die Interessen der nationalen Minderheiten verfechten.

Dieses Beispiel muss von allen kommunistischen Parteien bei der Erörterung der nationalen Frage in Betracht gezogen werden.

Ich schlage ausserdem vor, in demselben 11. Leitsatz, Seite 46 unter g hinzuzufügen: Abschnitt 6 nach den Worten »in diesen Ländern« sind folgende Worte einzufügen: »wie auch in solchen, in denen ein Kampf nationaler Minderheiten für die Verstärkung ihrer Rechte vor sich geht«.

Abschnitt 6 nach den Worten »die rückständigen Länder« ist hinzuzufügen: »und die Nationen«.

Nach dem Abschnitt 6 folgende Bemerkung: »Man kann an einem Beispiel beweisen, welcher Lüge die Arbeitermassen einer unterdrückten Nationalität zum Opfer fallen mussten, einer Lüge, die ebenso in das Aktiv der Entente wie in das Aktiv der Bourgeoisie der betreffenden Nation eingetragen werden muss. Es handelt sich um die Angelegenheit der Zionisten in Palästina, die unter dem Vorwand, einen unabhängigen israelitischen Staat zu gründen, die Arbeiterbevölkerung unterdrückten, die in Palästina lebenden Araber unter das Joch der Engländer zwangen, während die Israeliten doch nur in der Minderheit dort sind.«

Diese Lüge ohne gleichen muss bekämpft werden, und zwar in einer sehr energischen Weise, da die Zionisten in allen Ländern arbeiten, indem sie sich an alle rückständigen israelitischen Arbeitermassen heranmachen und Proletariergruppen mit zionistischen Tendenzen zu schaffen suchen (Poale Zion), die in letzter Zeit bestrebt sind, eine kommunistische Phraseologie anzunehmen.

Ich will hier eines der auffallendsten Beispiele der zionistischen Bewegung anführen.

In Palästina handelt es sich nicht um eine Bevölkerung, deren Mehrzahl israelitisch ist. Es handelt sich nur um eine Minderheit, die die Mehrheit der Arbeiter eines Landes dem Kapital der Entente zu unterwerfen sucht.

Gegen diese Bestrebungen müssen wir aufs energischste ankämpfen. Die Zionisten suchen sich in allen Ländern Anhänger zu gewinnen und dienen durch ihre Agitation und ihre Propaganda den Interessen der kapitalistischen Klasse. Die Kommunistische Internationale muss diese Bewegung aufs energischste bekämpfen.

Murphy. Da wir gezwungen waren, den Saal zu verlassen, konnten wir uns an der Abstimmung bei der Wahl der Vertreter der einzelnen Nationen, die über die Kolonialfrage sprechen sollen, nicht beteiligen. Ich bitte, dass die englischen Delegierten zwei ihrer Genossen wählen dürfen, d. h. je einen Vertreter für jede der beiden hier vertretenen Tendenzen.

Serrati. Ist der Kongress einverstanden, noch einmal auf die Abstimmung zurückzukommen und der Bitte der Engländer Gewähr zu leisten? (Zeichen des Einverständnisses.)

Die englischen Genossen werden gebeten, zwei Delegierte zu wählen.

McLaine. Ich will keine Zeit über die Frage verlieren, welche unter den britischen revolutionären Bewegungen mehr zur Bekämpfung des britischen Imperialismus und zur Unterstützung der unterdrückten Kolonialbevölkerung getan hat.

Die britische revolutionäre Bewegung ist keine starke Bewegung und hat in dieser Richtung wenig geleistet. Immerhin muss ich gegen die Behauptung des Genossen Radek protestieren, dass die britischen Arbeiter nichts getan hätten, um die Angriffe Englands gegen Russland zu verhindern, ausser dass sie einige diesbezügliche Resolutionen gefasst hätten. Darauf können wir antworten, was General Golowin in einem geheimen Bericht an Sasanow mitteilt, in dem er ein Interview mit Churchill wiedergab und bedauert, Koltschak und seine Freunde nicht besser unterstützen zu können, und zwar müsse wegen der Opposition der britischen Arbeiterklasse die Hilfe, die Grossbritannien den Weissen zukommen lässt, heimlich ins Werk gesetzt werden.

Man hat die Worte des Genossen Quelch falsch ausgelegt, der in der Kommissionssitzung gesagt hat, dass ein grosser revolutionärer Aufstand in Indien als Verrat an Grossbritannien aufgefasst werden und der britischen Regierung die Möglichkeit geben könnte, durch die Kontrolle der Presse das britische Volk gegen die indischen Arbeiter aufzuhetzen. Genosse Quelch hat nicht gemeint, dass wir deshalb auf unsere revolutionäre Tätigkeit verzichten, sondern dass wir die Tatsachen im Auge behalten und Ereignisse, die denen von Amritsar gleichen, vermeiden sollen.

Die Aufgabe der Kommunistischen Internationale bestand darin, Richtlinien für die Tätigkeit und die Grundprinzipien festzulegen, die zur Weltrevolution führen. Das grösste Hindernis für die Weltrevolution ist der imperialistische Kapitalismus, und der grösste imperialistische, kapitalistische Staat ist Grossbritannien. Deshalb besteht die Kolonialfrage zu nicht geringem Teile in der Frage, wie man den britischen Kapitalismus am besten angreifen könnte. Der britische Kapitalismus ist achtvoll durch die Ausbeutung der Arbeiter in der Heimat und die Ausbeutung der Kolonialbevölkerung. Als das britische Kapital anfing, sich zu entwickeln, bedurfte es selbst der Unterstützung, jetzt aber muss die ganze Welt ihm Tribut zahlen. Alle unterdrückten Völker werden von dem parasitischen britischen Kapital ausgebeutet.

Die Einfuhr ist jetzt weit grösser als die Ausfuhr – ein Beweis dafür, dass England ein Parasit ist. In der Zukunft wird der britische Kapitalismus versuchen, den Arbeitern ihren Lohn nach dem vollen Wert ihrer Arbeit zu bemessen, unter der Bedingung, dass sie ihre Stimmen für die Ausbeutung der unterdrückten Völker abgeben.

Deshalb war es unsere Pflicht, uns an dem revolutionären Kampfe daheim zu beteiligen und alle wirklich revolutionären Bewegungen zu unterstützen. Jede nationale revolutionäre Bewegung, die für die Befreiung von Grossbritannien kämpft, trägt zur Entwicklung der Weltrevolution bei, denn sie kämpft gegen die imperialistische Reaktion an. Alle solchen Bewegungen müssen unterstützt werden.

Wijnkoop. Ich habe gestern gesagt, dass die Frage, die hier besprochen wird, eine sehr wichtige ist, und das zeigt sich jetzt. Man soll bedenken, dass der Imperialismus und der Weltkrieg es geradezu unmöglich gemacht haben, dass die industriellen Länder noch weiter die notwendigen Maschinen und fertigen Produkte nach den Agrarländern schicken, und umgekehrt, dass die politischen Erscheinungen des Weltkrieges es auch verhindert haben, dass jetzt die Agrarprodukte zu den Massen des Proletariats in den industriellen Ländern gelangen. Falls man das ernstlich durchdenkt, dann weiss man, dass dieses Problem viel weiter geht als alle anderen Probleme, die auf der Tagesordnung stehen. Nun muss man sich klar vor Augen halten, was in den Leitsätzen der Genossen Lenin und Roy eigentlich beschlossen wird. Die Leitsätze sind durch die Diskussion ganz miteinander in Übereinstimmung gekommen, und jetzt steht wirklich in diesen Leitsätzen, dass wir in den Kolonialländern nicht für die nationale Herrschaft, wie es die Bourgeoisie predigt, sondern für die Sowjets der Arbeiter und Bauern zu arbeiten haben, und es steht fest, dass man, um zu diesem Ziele zu kommen, die revolutionären Bewegungen unterstützen muss. Das Wort »unterstützen« ist materiell gebraucht, weil man es wirklich meint, eine Unterstützung will. Man will die revolutionäre Aktion dieser Massen, auch wenn es keine sozialistische Bewegung ist, unterstützen durch die Vermittlung etwaiger in den Kolonien bestehender kommunistischer Parteien. Man geht bei dieser Taktik davon aus, dass es nicht notwendig ist, dass der fremde Imperialismus den Kapitalismus als eine unvermeidliche Stufe für den Übergang zum Kommunismus in die nichtkapitalistischen Länder hineinbringt. Wir wollen im Gegenteil, wenn irgend möglich, dies durch unsere Taktik und Unterstützung der revolutionären Bewegung verhindern. Wir kämpfen also nicht nur gegen die politische Herrschaft des fremden Imperialismus, sondern auch gegen das Eindringen eines nationalen Kapitalismus. Falls wir das tun, ist meines Erachtens die Unterstützung der revolutionären nationalistischen Massenbewegungen und das Ankämpfen gegen die Überzeugung, als ob das Eindringen des Kapitalismus in die Kolonien eine notwendige Vorbedingung des Übergangs zum Sozialismus wäre, die Hauptsache in den Leitsätzen der Genossen Lenin und Roy.

Falls man die Sache so betrachtet, kann man nicht mit dem Antrag des Genossen Graziadei einverstanden sein, denn wenn ich ihn richtig verstanden habe, beantragt er, diese Leitsätze nicht auf Italien anzuwenden, um die entstehenden nationalistischen Bewegungen nicht seitens der Kommunisten zu unterstützen; er befürchtet, dass man vielleicht auch Italien zu diesen rückständigen Ländern zählt, und er hält aus diesem Grunde seinen Antrag für nötig. Ich glaube aber, dass das überflüssig ist, da mir scheint, dass niemand annehmen kann, die Paragraphen, die hierunter 11 stehen, könnten sieb auch auf ein Land wie Italien beziehen. Diese beziehen sieb nur auf die Staaten und Nationen, die einen zurückgebliebenen Charakter tragen, so dass ein Land wie Italien gar nicht unter diese Rubrik gebracht werden kann. Wir haben auch in der Kommission erwogen, ob es nicht zweckmässig wäre, näher zu umschreiben, was man unter einem zurückgebliebenen Lande versteht. Die Frage wurde verneint. Wenn wir den Vorschlag des Genossen Graziadei annehmen würden, so hätten wir gleich wieder neue Schwierigkeiten, z. B. mit Bulgarien oder Griechenland. Solche Fragen werden immer entstehen, und sie können nur praktisch entschieden werden von den kommunistischen Parteien der einzelnen Länder, mit Hilfe der Leitsätze und der Richtlinien, die die Kommunistische Internationale hier geben wird. Darum ist es nicht weise, die Einfügung des Genossen Graziadei hier anzunehmen, obwohl ich glaube, dass sein praktisches Ziel gut ist. So steht es auch mit den anderen besonderen Änderungen, die er vorschlägt. Gegen die beantragte Änderung, statt »aktive Unterstützung« zu lesen »aktives Interesse«, hat der irische Genosse bereits polemisiert. Vielleicht hat dieser Redner Genosse Graziadei nicht verstanden, aber falls das in diese Worte hineingelegt werden kann, ist es schon verkehrt. Wir müssen dagegen auftreten. Wir wollen, dass die Arbeiter ein aktives Interesse an den kommunistischen Kämpfen haben, wir wollen, dass sie auch revolutionäre nationalistische Bewegungen unterstützen. Genosse Graziadei will dasselbe, meint aber, es sei besser ausgedrückt mit den Worten, die er gibt.

Wir sagen in den Leitsätzen: es muss unterstützt werden. Ich glaube also, dass es nicht gut ist, dass wir den Wortlaut des Genossen Graziadei annehmen. Ich bin einverstanden mit dem, was die Genossin Frumkina gesagt hat. Ich weiss nicht, ob der Antrag gut ist. Wenn er für irgendwelche Länder nicht passt, so müssen wir diese Frage in der Kommission behandeln.

Genosse Maring hat so viel über Java gesagt, dass wir hier nichts mehr zu sagen brauchen. Ich schliesse mich ihm vollständig an. Um zu zeigen, dass dort eine wirkliche kapitalistische Entwicklung mit all ihren charakteristischen Merkmalen besteht, genügt es, zu sagen, dass die 200 Zuckerfabriken, von denen Genosse Maring gesprochen hat, in den Händen von drei Trusts sind, die auch in andere Betriebe und Industrien hinübergreifen. Das ist eine Erscheinung des höchsten Kapitalismus, dagegen müssen die Proletarier ankämpfen, und das tun sie auch.

Nun zu den Ausführungen des Genossen Radek. Ich freue mich, dass der Genosse Radek gesagt hat: Der englische Imperialismus kann nicht in London geschlagen werden, sondern in den Kolonien. Ich glaube wirklich, dass viele englische Kameraden es nicht verstehen. Genosse Radek versteht es sehr gut, aber man muss das nicht in einer kleinlichen Weise verstehen, sondern im grossen und ganzen. Wenn Genosse Radek fragt, wie viele von den englischen Genossen schon für die Agitation in den Kolonien in den Gefängnissen gesessen haben, dann sage ich: Die englischen Genossen brauchen auf eine solche Frage keine Antwort zu geben. Wir fragen nicht danach, ob die Genossen in den Gefängnissen gewesen sind oder nicht. Wir fragen, ob die Genossen ihre Pflicht getan haben, und darauf hat Genosse McLaine ein wenig geantwortet. Genosse Radek hat in dieser Beziehung meiner Meinung nach den Parlamentarismus übertrieben. Er glaubt, dass, wenn im Parlament ein Genosse ein Wort gegen den Imperialismus äussert, Reuter es schon berichten werde. In der Tat berichtet Reuter solche Dinge nicht. Wir in Holland haben es erst sehr viel später und auf anderem Wege gehört, wie einige Frauen im Parlament eine Demonstration gemacht haben. Reuter meldet solche Sachen nicht. (Zuruf Walcher: Genosse Radek hat das gar nicht gesagt.)

Und nun zum Schluss noch eine Frage. Man sagt, dass wir in die Kolonien gehen müssen. Dies ist natürlich nicht das Wichtigste für die kommunistischen Parteien der verschiedenen Länder. Wir können nicht alle unsere Agitatoren in die Kolonialländer schicken. Wir müssen die nötigen Vorbedingungen schaffen, damit jedes Kolonialland seine eigene revolutionäre Bewegung entfalten kann. Fretlich brauchen wir Agitatoren hierfür, aber es handelt sich nicht darum, dass wir unsere Agitatoren in die Kolonien schicken. Wenn man die Arbeit in den Kolonien als Barometer der revolutionären Bedeutung einer Partei anerkennt, dann hat gerade die holländische Partei alles getan, was in ihren Kräften stand. Sie hatte in den Kolonien Genossen, die die revolutionären Bewegungen der Eingeborenen unterstützten und entwickelten. Die Tribunisten und die holländischen Kommunisten waren dabei am meisten tätig, deshalb darf von ihrer Partei nicht so gesprochen werden, wie es bereits geschehen ist. Gerade die holländische Partei war es, die gezeigt hat, in welch enger Verbindung diese Frage mit dem revolutionären Kampf steht. Wenn man uns in Holland fürchtet und uns verfolgt, so geschieht es nicht deshalb, weil wir in diesem Lande eine Revolution auslösen können – denn tatsächlich können wir es nicht tun, ohne uns mit England oder Deutschland zu verbinden – sondern weil wir den Herren Kapitalisten in ihren Kolonialangelegenheiten wenig Freude bereiten.

Mereshin. Die jüdischen Sektionen der Kommunistischen Partei Russlands sind vollständig einverstanden mit der Beurteilung des Zionismus und der jüdischen kommunistischen Partei Poale Zion, wie sie in der Rede der Genossin Frumkina zum Ausdruck kam, und ich wünsche nicht dasselbe zu wiederholen. Ich möchte nun eine andere Frage behandeln, und zwar die Frage über den Schutz der Rechte der nationalen Minderheiten, die sich auf Territorien mit gemischter Bevölkerung befinden. Die Parteien der II. Internationale haben ein Mittel für den Schutz dieser Rechte gefunden, und zwar durch die nationale persönliche Autonomie (Theorie Otto Bauers und Renners). In der Ukraine, in Weissrussland und Litauen ist der Versuch gemacht worden, diese Theorie zu verwirklichen. Dort wurde unter der Zentralrada und anderen kleinbürgerlichen Regierungen eine national-personale Autonomie geschaffen. Dieser Versuch muss in Betracht gezogen und gewertet werden. Es muss festgestellt werden, dass der Versuch bewiesen hat, dass eine national-personale Autonomie sich nicht bewährt.

Der Übergang der Macht von der Grossbourgeoisie zu den Kleinbürgern, zur republikanisch-demokratischen Regierung, hat keineswegs den nationalen Druck verringert. Die zur Macht gelangten Sozialverräter leisteten, indem sie in Worten eine national-personale Autonomie gestatteten, in der Tat im Kampf gegen die Diktatur des Proletariats an Grausamkeiten mehr als sogar der Zarismus. Unaufhaltsam wurde eine gewaltsame Nationalisierung eingeleitet, trotz der offiziell proklamierten national-personalen Autonomie. Aber was sollen wir über die Naturalisierung sprechen, wenn dieselben kleinbürgerlichen Parteien, die sich auf dem Papier bereit erklärt hatten, die national-personale Autonomie anzuerkennen, sich sogar damit beschäftigten, eine physische Vernichtung der nationalen Minderheit einzuleiten, besonders durch das sogenannte »Ukrainische Volksdirektorium« und die Regierung Piłsudskis, Moraczewskis u. a. (die grausamsten Pogroms, Überfälle usw.).

Jedoch muss noch anderes vermerkt werden. Es muss festgestellt werden, dass die national-personale Autonomie an und für sich die Lage des Proletariats der nationalen Minderheiten verschlimmert. Das kommt daher, weil das Kleinbürgertum der nationalen Minderheiten vorwiegend aus städtischen Kleinbürgern besteht, und dieses städtische Kleinbürgertum ist bedeutend weniger revolutionär als das Kleinbürgertum nationaler Mehrheiten. Denn in den nationalen Mehrheiten besteht das Kleinbürgertum, besonders im östlichen Europa, vorwiegend aus Bauern, die im Kampfe mit den Gutsbesitzern revolutioniert werden. In der Tat hatte das Proletariat nationaler Minderheiten häufig gegen die ihm »geschenkte« national-personale Autonomie an »Fremde« zu appellieren. Seiner Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum gegenüber befand es sich isoliert und in einer schlimmeren Lage, als wenn es keine national-personale Autonomie besessen hätte.

Von den erwähnten Motiven ausgehend, schlage ich vor, folgenden Leitsatz nach dem dritten Leitsatz anzunehmen:

»Die Erfahrung der Wechselbeziehungen zwischen den Nationen der Mehrheit und den Nationen der Minderheit auf Territorien mit gemischter Bevölkerung (in der Ukraine, in Polen, in Weissrussland) hat gezeigt, dass der Übergang der Macht aus den Händen der Grossbourgeoisie in die Hände kleinbürgerlicher, republikanisch-demokratische Staaten aufbauender Gruppen die inneren nationalen Reibungen nicht verringert, sondern im Gegenteil äusserst verschärft. Die republikanische Demokratie, die im Kampf mit dem Proletariat gezwungen ist, den Klassenkampf mit dem nationalen Krieg zu vertauschen, wird schnell von nationaler Ausschliesslichkeit durchdrungen und eignet sich leicht die Erfahrung der älteren Lehrmeister nationaler Unterdrückung an, welche Erfahrung sich auf dem Gebiet des Aufhetzens der Volksmassen einer Nation gegen die Volksmassen der anderen und auf dem Gebiet der mit Hilfe des Staatsapparats durchgeführten Organisation von Massenhetzen zu Zwecken des Kampfes gegen die Diktatur des Proletariats leidenschaftlich wiederholt (z. B. das Anwachsen des Antisemitismus in der ukrainischen »Demokratie« Ende 1917 und zu Beginn 1918 unter der Zentralrada), die grausamen Hetzen Ende 1918 und in der ersten Hälfte des Jahres 1919, die von den Organen des »ukrainischen Volksdirektoriums« organisiert wurden, die Pogrombewegung in der »Polnischen Demokratischen Republik«, wie unter der Herrschaft der Partei der II. Internationale (P.P.S. – die Regierung Moraczewskis), so auch bei dem gemischten Regime (Piłsudski-Skulski). Dieselbe Erfahrung hat gezeigt, dass keinerlei »demokratische« Formen den Schutz der Rechte und die Kulturinteressen der nationalen Minderheiten in Gebieten mit gemischter Bevölkerung, darunter auch die von der österreichischen Sozialdemokratie verteidigte national-personale Autonomie, bei republikanisch-demokratischer Ordnung sicherstellen und für die wirkliche Gleichberechtigung und den gleichen Einfluss auf den Gang der Staatsgeschäfte bürgen können. Die national-personale Autonomie, die sich auf die Grundsätze des allgemeinen Wahlrechts stützt, führt neben der Teilung des Proletariats in nationale Gruppen noch zur vollständigen Einstellung des revolutionären Kampfes, zur Fesselung der proletarischen Kräfte und sogar zur Verschlechterung der kulturellen Lage des Proletariats der nationalen Minderheit. Das kommt daher, dass innerhalb einer jeden nationalen Minderheit das nationale Kleinbürgertum, das grösser und stärker ist als das Proletariat und das vorwiegend aus städtischer Bevölkerung besteht, bedeutend reaktionärer ist als die kleinbürgerliche Mehrheit aus der Nation der Mehrheit, die aus durch den Kampf gegen die Grossgrundbesitzer revolutionierten Bauern besteht.«

Ich möchte gleichfalls die besondere Frage der Pogrome streifen.

Die jüdischen Sektionen der Kommunistischen Partei Russlands schlagen in dieser Frage folgende Resolution vor:

1. Bei ihrem blutigen Feldzug gegen die Diktatur des Proletariats fällt die Weltgegenrevolution mit besonderer Grausamkeit über die ärmste jüdische Bevölkerung Russlands, der Ukraine, Polens, Ungarns, Palästinas u. a. her.
2. Durch ihre Unterdrückung der ärmsten jüdischen Bevölkerung, die die Grausamkeiten nicht nur des Zarismus, sondern auch der mittelalterlichen Inquisition in den Schatten stellt, bemüht sich die Weltgegenrevolution, Zwietracht und Feindschaft in die Reihen der Arbeiter verschiedener Nationalitäten zu tragen, um ihre Aufmerksamkeit vom unmittelbaren Kampfe gegen die bürgerliche Ordnung abzulenken.
Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale stellt vor dem Angesicht der ganzen Welt fest:
1. dass die Schuld für alle Judenpogrome der jüngsten Zeit in der Ukraine, in Polen, Rumänien, Ungarn, Palästina, usw. voll und ganz auf die Entente fällt, die an der Spitze aller gegenrevolutionären Unternehmungen gegen die kommunistische Revolution steht.
2. dass die Entente, die die Weissgardisten aller Gattungen, die jedes von ihnen besetzte Territorium mit Hunderttausenden schuldloser Opfer bedecken, mit allen möglichen Vernichtungsmitteln versorgt und sie moralisch unterstützt, keinen Finger regt, um den Pogromanstiftern Einhalt zu tun und auch den Protesten der werktätigen Massen gegen die Pogrome keinerlei Aufmerksamkeit schenkt.
Ja, die Agenten der Entente, die wir in den Reihen der gegenrevolutionären Armeen Russlands, der Ukraine, Polens, Ungarns und anderer Länder finden, beteiligen sich unmittelbar an diesen Pogromen. Am deutlichsten sahen wir es in dem Pogrom in Jerusalem im April d. J., der von den Agenten der englischen Regierung organisiert wurde.
3. dass die zur gelben II. Internationale gehörenden Parteien, die in der Ukraine in Gestalt des »Ukrainischen Volksdirektoriums«, in Polen in Gestalt der Regierung Piłsudskis an der Macht sind, die geistigen und physischen Teilnehmer an den Pogromen sind, die die Ausrottung von Hunderttausenden von Frauen und Kindern zur Folge hatten. In ihrem Kampf gegen die Diktatur des Proletariats haben sie die Ukraine und Polen mit Strömen unschuldigen Blutes überschwemmt.
Deshalb erhebt der II. Kongress der Kommunistischen Internationale, der den Willen des revolutionären Weltproletariats ausdrückt, den entschiedensten Einspruch gegen die Judenpogrome, die das Werk der Weltgegenrevolution sind. Er ruft die Arbeiter aller Länder zum aktiven Kampfe mit Wort und Tat gegen sie auf, um den heuchlerischen Diplomaten des »Völkerbundes« die Maske vom Gesicht zu reissen, ihre wahre schändliche Rolle aufzudecken und überall die Diktatur des Proletariats zu errichten, die allein imstande ist, allen Pogromen ein Ende zu bereiten, alle nationalen Vorurteile auszurotten, alle nationalen Scheidewände einzureissen und auf dem ganzen Erdenrund die wirkliche Brüderlichkeit der Völker herzustellen.
Insbesondere wendet sich der II. Kongress der Kommunistischen Internationale an die Arbeiter aller geknechteten Nationen mit dem Rufe, sich enger um das Banner der Kommunistischen Internationale zu scharen, die der ganzen Menschheit die endgültige Befreiung von allen Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Ordnung bringt.

Murphy. Ich kann nicht alles sagen, was ich hätte sagen wollen, weil man der englischen Delegation nicht die Möglichkeit gegeben hat, die Diskussion in genügender Weise zu vertiefen.

Ich werde mich darauf beschränken, die Aufmerksamkeit des Kongresses auf die engen Beziehungen zu lenken, die zwischen den revolutionären Bewegungen in Europa und denen in den Kolonien bestehen. Die Bewegung in Ägypten ist eine der ernstesten revolutionären Bewegungen. In Indien nimmt der Kampf bedeutenden Umfang an. Die Kommunistische Internationale hat die Pflicht, diese Bewegungen zu unterstützen. Es handelt sich darum, sie zu gruppieren, damit sie alle zusammen eine mächtige internationale Bewegung ergeben in der die nationalen Interessen den internationalen untergeordnet sind. Die Kommunistische Internationale muss in allen Ländern Sektionen schaffen, damit sie imstande ist, die verschiedenen revolutionären Bewegungen in Einklang zu bringen und sie in eine internationale kommunistische Bewegung umzuwandeln.

Kohn. Die Debatte hat infolge einiger Redner, die unvermittelt eingegriffen haben, eine Wendung genommen, mit der kein Kenner der Notwendigkeiten der kommunistischen Nationalitätenpolitik einverstanden sein kann. Bevor ich noch auf die Anträge der Genossin Frumkina und des Genossen Mereshin, die diese Wendung in die Debatte gebracht haben, eingehe, möchte ich einiges bemerken. In den Leitsätzen über die Nationalitätenfrage wird zunächst an territorial konzentriert wohnende Völker, also an unterdrückte Nationalitäten gedacht, die von einer auswärtigen Macht beherrscht werden. Von vermischt unter anderen wohnenden Minderheitsvölkern wird im allgemeinen nicht gesprochen. Nur die neunte These spricht von Garantien der Rechte der nationalen Minderheiten. Ich hatte in der Kommission einen Zusatz zu dieser These beantragt, und zwar zum zweiten Satz des Absatzes nach den Worten: »im Kampfe mit der Bourgeoisie vereinigt«, der folgendermassen lautet: »zweitens für gesellschaftliche Einrichtungen einzutreten, die die Befriedigung der kulturellen und sozialökonomischen Bedürfnisse der arbeitenden Massen der Minderheitsvölker ermöglichen«. Es ist notwendig, ganz genaue organisatorische Bestimmungen zu schaffen, die die kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern fordern und verteidigen sollten. Die Kommission ist sich aber einig geworden darüber, dass die neunte These zwar nur allgemein, aber doch ganz deutlich auch die Verteidigung der Rechte der nationalen Minderheiten und die Schaffung von gesellschaftlichen Einrichtungen, die diese Rechte verwirklichen sollen, zum Ausdruck bringt, und dass vermieden werden soll, detaillierte Forderungen in die Leitsätze aufzunehmen. Aus diesem Grunde war ich bereit, meinen Zusatz zurückzuziehen. Gegenüber der Gefahr aber, dass vielleicht aus Mangel an Widerstand und aus Unkenntnis der Sachlage der Antrag Mereshin durchgehen könnte, nehme ich den verlesenen Antrag wieder auf und unterbreite ihn dem Kongress. Diese These entspricht ganz den Forderungen jener Partei, der ich angehöre, der Poale Zion. Es genügt dem jüdischen Proletariat durchaus, dass ihm gesellschaftliche Einrichtungen gewährt werden, die ihm die Befriedigung seiner kulturellen und sozial-ökonomischen Bedürfnisse ermöglichen, soweit dies in dem allgemeinen Rahmen der Sowjetverfassung durchführbar ist und nicht den Kampfesbedürfnissen des Sowjetstaates widerspricht. Die Resolution des Genossen Mereshin über die national-personale Autonomie beruht auf unrichtig gesehenen Tatsachen und vor allem auf unrichtigen Schlussfolgerungen. Wenn er davon spricht, dass die Versuche zur Durchführung der national-personalen Autonomie in der Ukraine zu schädlichen Folgen geführt haben, indem dadurch der jüdischen Bourgeoisie, die reaktionär ist, die Mehrheit in den national-autonomen Institutionen und damit die Macht in die Hände gespielt wurde, so vergisst er, dass dies in der Zeit einer demokratischen Regierung geschah, dass eben das allgemeine Wahlrecht in den Institutionen eingeführt war und dass diese Folgen für keinen Kommunisten eine Überraschung sein konnten. Wenn dagegen Institutionen zur Befriedigung der kulturellen und sozial-ökonomischen Bedürfnisse der nationalen Minderheiten mit einer bestimmten, streng abgegrenzten Autonomie unter der Kontrolle der Sowjetmacht und unter der Leitung des kommunistischen Proletariats der betreffenden Nation eingerichtet würden, so sind schädliche Folgen in keinem höheren Masse zu befürchten als von jeder anderen gesellschaftlichen Einrichtung. Im übrigen glaube ich, dass sowohl der Antrag der Genossin Frumkina, die die nationale Autonomie fordert, als auch mein Antrag nicht ausdrücklich gestellt werden müssten, da die Sowjetmächte, von den Bedürfnissen des Proletariats getrieben und auf Grund der eigenen Verfassung, die Möglichkeit der Selbstverwaltung auch den nationalen Minderheiten werden gewähren müssen. In Kürze möchte ich noch darauf hinweisen, dass dem Genossen Mereshin ein allerdings charakteristisches Missverständnis unterlaufen ist. Er spricht davon, dass Renner und Otto Bauer die national-personale Autonomie theoretisch gefordert hätten. Das ist ein Irrtum. Diese beiden Führer der österreichischen Opportunisten haben nur die Theorie der Nationalautonomie der Mehrheitsvölker ausgebaut und für die Minderheiten bloss rechtliche Garantien gefordert.

Was die Resolution des Genossen Mereshin bezüglich des Antisemitismus anbelangt, so weise ich auf den Passus hin, der von der Kommission in die zehnte These neu aufgenommen wurde und der genügend die Notwendigkeit des Kampfes gegen diese reaktionäre Erscheinung betont. Die lange Resolution des Genossen Mereshin würde den Eindruck hervorrufen, als ob wir den Kongress dazu benutzen wollten, um auch in dieser Frage unter den Vertretern der jüdischen Proletarier ein Turnier über die Rolle der Entente zu veranstalten. Ich glaube, der Kongress hat sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen.

Was zu der Erscheinung des Nationalitäten- und Fremdenhasses und der von den reaktionären Mächten hervorgerufenen Pogrome zu sagen war, kommt in der genannten These klar genug zum Ausdruck.

Zum Teil aus demselben Grunde spreche ich mich auf das entschiedenste gegen die Resolution der Genossin Frumkina aus. Mit dem Inhalt des ersten Teiles sind wir wohl einverstanden. Der bürgerliche Zionismus, der notwendigerweise in den Dienst des englischen Imperialismus treten muss, wenn er sich nicht von vornherein als utopisch erweisen will, diese bürgerliche Bewegung ist natürlich unter allen Umständen auf das schärfste zu bekämpfen. Und gerade die Bewegung der kommunistischen Poale Zion führt diesen Kampf am energischsten. Was aber der Kongress und die gesamte Kommunistische Internationale hierzu zu sagen hat, ist bereits in These XI, § 6 zum Ausdruck gebracht. Die Resolution der Genossin Frumkina ist also vollkommen überflüssig und durchaus nicht von der Absicht eingegeben, gegen den bürgerlichen Zionismus hier zu kämpfen. Sonst könnte der Kongress veranlasst werden, auch gegen andere bürgerlich-nationalistische sogenannte Freiheitsbewegungen, die im Dienste einzelner Ententemächte stehen, langstielige Resolutionen zu lassen. Was in Wirklichkeit hier beabsichtigt wird, das sehen wir aus dem zweiten Teile der Resolution. Sie haben hier ein direktes Muster üblen Gezänkes vor sich, das das politische Leben der jüdischen Arbeiter seit langen Jahren vergiftet. Die Partei der Genossin Frumkina, der Kommunistische Bund, will einfach die Gelegenheit benutzen, um die Suppe des kleinlichen Kampfes der Parteien aufzuwärmen, den sie auf dem Kongress entfachen wollte. Die Genossin Frumkina, die Vertreterin einer Partei, die nach gestern alle gegenrevolutionären Regierungen in Russland unterstützt hat, deren Führer Dan und Lieber zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der menschewistischen Gegenrevolution zählten, behauptet, dass wir – die Poale Zion – unsere Tätigkeit hinter einem kommunistischen Schleier decken. Über uns sagt sie das, die wir uns in Russland als erste unter den jüdischen Parteien an die Seite der Bolschewiki im Kampfe gegen die Konterrevolution gestellt und auch in allen übrigen Ländern vor allen anderen Richtungen innerhalb der jüdischen Arbeiterschaft den Kampf um die Weltrevolution aufgenommen haben.

Sie begründet ihre Resolution mit einigen allgemeinen und jeder Kenntnis des betreffenden Ländergebietes entbehrenden Behauptungen. Ich will hierzu einiges mitteilen, da es sich um Länder handelt, die heute noch nicht besprochen wurden, obwohl sie in die Machtsphäre des englischen Imperialismus geraten sind und in Zukunft eine in jeder Beziehung bedeutungsvolle Rolle spielen werden. Ich meine die Länder des arabischen Asiens: Mesopotamien, Syrien, Arabien. Die Genossin Frumkina möchte die Bewegung, die den arabischen Orient während des Weltkrieges ergriffen hat, als nationale Freiheitsbewegung hinstellen. In Wirklichkeit haben wir es mit den Bestrebungen der Nomadenstämme der arabischen Wüste zu tun, hauptsächlich der Hadji, unter dem Einfluss ihrer religiösen Führer, der Stammesältesten, die ältesten Formen der Sklaverei für die ansässige Bevölkerung dieser Länder einzurichten, d. h. eine feudale Organisation der Herrschaft dieser Stammesführer über die Bauern. Die Kommunistische Internationale unterstützt diese Bewegung und ihren Führer – den König der Hadji – den Emir von Fezan und ähnliche »Freiheitskämpfer« – ein merkwürdiges Beginnen!

Wie liegt die Sache wirklich im arabischen Orient? Die grosse Masse der Bevölkerung besteht aus arabischen Fellahs die durch den schweren Druck der türkischen Regierung in primitivsten Wirtschaftszuständen geblieben sind. Aber einen günstigen, die volle Verelendung verhindernden Umstand gab es dort, und zwar das Vorhandensein einer Art von Gemeineigentum an Grund und Boden, das begründet erscheint aus gewissen primitiv-kommunistischen Vorschriften des islamitischen Gesetzes. Die Bestrebungen der Beduinen, die die angeblich »nationale« Bewegung führen, zielen darauf hin, durch Enteignung des den Fellahs gehörigen Bodens die schlimmste Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung in Gang zu setzen. Darin finden sie beim englischen Imperialismus vollste Unterstützung. Die englische Bourgeoisie hat ja zuerst in radikalster Weise die »Befreiung« der Bauernbevölkerung von ihrem Grund und Boden durchgeführt, wie wir im ersten Buch des »Kapitals« über die ursprüngliche Akkumulation nachlesen können. Diese »Befreiung«, durchgeführt von den Beduinenhäuptlingen unter Begünstigung der englischen Bourgeoisie, möchte Genossin Frumkina von der Kommunistischen Internationale gefördert sehen.

Wie stehen nun wir, die kommunistische Poale Zion, zu Palästina? Zunächst: wir wollen keinen Staat errichten, am allerwenigsten mit Unterstützung des englischen Imperialismus, sondern wir sind überzeugt, dass in dem Prozess der Produktivierung der jüdischen Massen, ihrer Zuführung zu nützlicher und gesellschaftlich notwendiger Arbeit, im Verlauf der Epoche der sozialen Revolution eine gewisse Menge von Juden aus den Ländern, in denen sie jetzt in Massen wohnen, wie z. B. der Ukraine, Litauen und besonders Polen, emigrieren werden. Ein Teil dieser Auswanderer wird auch nach Palästina gehen und dort der Landwirtschaft zugeführt werden. Daraus folgt für uns bloss die Forderung der Möglichkeit freier Emigration und Kolonisation in diesem Lande, solange es sich in den Händen der englischen oder einer anderen Bourgeoisie befindet. Diese Forderung erheben wir nur, um die Emigration und die kolonisatorische Tätigkeit des jüdischen und jedes anderen Proletariats zu regeln mit der Unterstützung und solidarischen Hilfe der proletarischen Kommunistischen Internationale und im schärfsten Kampfe mit der jüdischen und der Weltbourgeoisie, sofern eine solche Tätigkeit für das Proletariat überhaupt möglich ist unter der kapitalistischen Ordnung. Wenn Palästina in der Entwicklung der sozialen Revolution zum Sowjetstaat wird, der in die Föderation anderer Sowjetstaaten eintritt, dann wird die Frage der jüdischen Kolonisation dieses Landes ein Teil der allgemeinen Frage über die Hinzuziehung der jüdischen Massen zur produktiven Arbeit, über ihre Teilnahme an dem sozialen Aufbau der freien werktätigen menschlichen Gesellschaft. Die Lösung dieser Frage geschieht im Rahmen einer vernünftigen Bearbeitung der Naturreichtümer in den schwach bevölkerten Kolonialländern und einer zweckmässigen Anwendung der bisher gar nicht oder sehr schlecht ausgenutzten menschlichen Arbeitskraft in der Industrie.

Diese unsere Anschauungen haben aber nichts mit dem Gedanken eines jüdischen Staates, am allerwenigsten aber mit dem eines bürgerlichen Staates, zu tun. Im Gegenteil, unsere Bewegung, die in allen Ländern aus den Bedürfnissen des jüdischen Proletariats entstanden ist, steht überall in den ersten Reihen im Kampf gegen den Imperialismus. In Palästina, ja in ganz Arabisch-Asien ist die uns angeschlossene sozialistische Partei Palästinas (Poale Zion) die einzige proletarisch-kommunistische Gruppe, die unter den schwersten Bedingungen den englischen Imperialismus bekämpft und berufen ist, die arbeitenden Massen des arabischen Orients in diesem Kampfe zu führen. (Der Vorsitzende unterbricht den Redner.) Auch ignoriert die beantragte Resolution die wichtigsten sozialen Tatsachen und will den Kongress in lächerliche Bahnen leiten. Es ist nämlich eine Tatsache, dass, wie zuerst die jüdische Bourgeoisie modern-kapitalistische Wirtschafts- und Ausbeutungsformen in das Land eingeführt hat (Formen, die wir übrigens, wenn man uns nach dem Willen des »Kommunistischen Bund« die Wahl zwischen den verschiedenen Ausbeutungssystemen liesse, jedenfalls den feudalen vorziehen würden, die Genossin Frumkina empfohlen hat), so auch die eingewanderten jüdischen Arbeiter das einzige moderne, wirklich besitzlose und dabei vom Klassenbewusstsein erfüllte, von revolutionärem Kampfeswillen beseelte Proletariat darstellen. Die arabischen Massen, die auf den Gütern der jüdischen Grundbesitzer und der arabischen Effendis arbeiten, verfügen zum grössten Teil über eigenen Grundbesitz und können nur als halb-proletarisch bezeichnet werden. Ihr natürlicher Vorkämpfer, der sie in den revolutionären Kampf zu ziehen, sie mit politischem Bewusstsein zu erfüllen hat, ist unsere dortige Partei, die getreu den Prinzipien der Kommunistischen Internationale mit einer sehr lebhaften revolutionären Propaganda unter ihnen eingesetzt hat. (Der Redner wird aufgefordert zu schliessen.)

Die Resolution der Genossin Frumkina widerspricht, wie den gegebenen Tatsachen, so auch dem Geist und dem Wortlaut der Leitsätze, die überall, wo es kommunistisch-proletarische Gruppen gibt, die Unterstützung derselben gegen die bürgerlich-nationalrevolutionären Bestrebungen fordern. Sie würde der kommunistischen Bewegung des jüdischen Proletariats in aller Welt und der kommunistischen Bewegung des arabischen Orients im besonderen ausserordentlichen Schaden zufügen. Ich bitte deshalb den Kongress, sich nicht zu Zwecken des schlimmsten Sektengezänks ausnutzen zu lassen und diese Resolution, für deren Bezeichnung mir ein höfliches Wort fehlt, abzulehnen.

Frumkina. Ich protestiere gegen die Beschuldigung, die gegen den Bund erhoben worden ist. Er hat immer auf der Seite der Sowjetmacht gestanden, selbst als er noch nicht in den Reihen der kommunistischen Partei stand.

Sinowjew. Ich schlage vor, für und gegen die Leitsätze zu stimmen und die Vorschläge in die Kommission zu senden. Ich hoffe, dass die Kommission in ihrer Bewertung einstimmig urteilen wird. Falls Meinungsverschiedenheiten bestehen sollten, werden sie dem Kongress unterbreitet werden.

Serrati. Ich wollte mich eigentlich noch über die Frage äussern, ziehe aber jetzt vor, mich auf eine Erklärung zu meiner Stimmabgahe zu beschränken.

Ich finde in den von den Genossen Lenin und Roy dem Kongress vorgeschlagenen Leitsätzen zur Nationalitäten- und Kolonialfrage nicht nur einige Widersprüche, sondern auch eine grosse Gefahr für die Stellung des kommunistischen Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern, das besonders in der Zeit vor der Revolution jede Zusammenarbeit der Klassen ablehnen muss.

Die Definition der »zurückgebliebenen« Länder ist zu unbestimmt und ungenau, um nicht verschiedenen chauvinistischen Auslegungen ausgesetzt zu sein.

Überhaupt ist jede von bürgerlich-demokratischen Gruppen unternommene nationale Befreiungsaktion, selbst wenn sie zum Mittel des Aufstands greift, keine revolutionäre Aktion.

Sie wird zugunsten eines in der Entwicklung begriffenen nationalen Imperialismus oder im Kampf des kapitalistischen Imperialismus eines neuen Staates gegen den früher herrschenden Staat unternommen. Die nationale Befreiung kann niemals revolutionär sein, wenn die Arbeiterklasse nicht an ihr teilnimmt. Der Klassenkampf selbst in den sogenannten zurückgebliebenen Ländern kann nur vonstatten gehen, wenn die Unabhängigkeit des Proletariats von allen seinen Ausbeutern, auch von den sich »revolutionäre Nationalisten« nennenden bürgerlichen Demokraten gewahrt bleibt.

Die wahre Befreiung der geknechteten Völker kann nur durch die proletarische Revolution und die Sowjetordnung und nicht durch einen zeitweiligen und zufälligen Bund kommunistischer Parteien mit den revolutionär genannten bürgerlichen Parteien durchgeführt werden.

Diese Bündnisse können im Gegenteil nur zu einer Abschwächung des proletarischen Klassenbewusstseins, besonders in den weniger an den Kampf gegen den Kapitalismus gewöhnten Ländern führen.

Die ungenügende Klarheit der Leitsätze birgt die Gefahr in sich, dem pseudo-revolutionären Chauvinismus Westeuropas Waffen gegen die wahrhaft kommunistische internationale Aktion zu liefern.

Deshalb erkläre ich, dass ich meine Stimme nicht abgeben werde.

Wijnkoop. Es ist etwas Unerhörtes, was wir hier erleben. Wenn der Genosse Serrati sich der Abstimmung enthält, so ist das natürlich seine Sache. Aber er hat hier in die ganze Diskussion nicht eingegriffen und seine Argumente nicht vorgebracht, was er hätte tun können und wozu er verpflichtet war. Stattdessen kommt er jetzt und sagt, dass diese sehr gut durchgearbeiteten Leitsätze gegenrevolutionär sind. Darüber müssen wir doch diskutieren. Dadurch, dass er seine Behauptung jetzt erst vorbringt, nimmt er uns die Möglichkeit, gegen ihn zu reden. Und so handelt ein Genosse, der sehr hoch angeschrieben steht. Da werden die Bourgeoisie und die Arbeiter, die rechts oder links von uns stehen, kommen und sagen, unsere ganze Politik in der Kolonialfrage sei eine gegenrevolutionäre Politik.

Der Kongress, falls er sich selbst achtet, muss den Genossen Serrati zwingen, diese Sache hier zu diskutieren, und daher schlage ich vor, den Inhalt dieses Protestes und seine Stimmenthaltung hier zur Diskussion zu bringen.

Serrati. Ich weiss nicht, ob Wijnkoop so viel Achtung für mich hat, wie Genosse Levi für ihn zu haben erklärt. Ich habe niemals den Reaktionären einen Vorwand gegeben, gegen meine Partei aufzutreten. Meine Tätigkeit in der internationalen kommunistischen Bewegung ist so klar, dass keine meiner Deklarationen als Waffe von den Gegnern gebraucht werden kann. Ich bin niemals von meinem revolutionären Standpunkt abgewichen, habe nie Deklarationen zugunsten Deutschlands oder Frankreichs abgegeben, um Stimmen im Wahlkampf zu sammeln, wie man es dem Genossen Wijnkoop vorwirft. Ich bin stets sehr selbständig gewesen, und deswegen haben meine Erklärungen Gewicht in der internationalen Bewegung. Ich habe Pflichten gegenüber dieser Bewegung, die ich erfüllen werde. Ich kümmere mich nicht darum, was die Bourgeoisie von mir denkt und ob sie mich für einen »Verräter« hält. Der Grund, weshalb ich diese Deklaration hier eingereicht und nicht diskutiert habe, ist ein ganz anderer. Ich halte es für selbstverständlich, dass die hier vorgetragenen Leitsätze von dem Kongress als solche angenommen werden können und müssen. Ich befinde mich aber in einer ganz besonderen Lage. Ich habe sechs Jahre lang in meinem Lande gegen die nationalistische Bewegung gekämpft, und wenn ich für eine solche Resolution stimmen würde, so würde es Veranlassung geben, zu behaupten, es bestehe ein Widerspruch zwischen meiner Stellungnahme in Italien und der Resolution, für die ich hier stimme.

Sinowjew. Im Namen der russischen Delegation möchte ich erklären, dass wir die Erklärung des Genossen Serrati hier für sehr unkameradschaftlich halten. Genosse Serrati hatte die vollkommene Möglichkeit, an den Kommissionsberatungen teilzunehmen und seinen Widerspruch zu erheben. Dazu sind diese Beratungen da. Der internationale Kongress ist zusammengetreten, um die einzelnen Erfahrungen zu prüfen und dann das Fazit zu ziehen. Es ist unverständlich, warum man den Kongress in eine solche Lage bringt. Wir können niemand zur Diskussion zwingen, aber wenn Genosse Serrati eine offizielle Erklärung gegen uns abgegeben hat, so müssen wir eine offizielle Gegenerklärung abgeben. Man sucht uns in die Schuhe zu schieben, wir wollen bürgerlich-revolutionäre Bewegungen unterstützen. Das wollen wir nicht. Was hier gesagt wurde, ist: die Kommunisten unterstützen jede revolutionäre Bewegung. Ich weiss nicht, welche besonderen Kämpfe in Italien vorgekommen sind. Wir haben Erfahrungen von einer Anzahl von Ländern und finden, dass wir als Kommunisten eine jede revolutionäre Bewegung unterstützen müssen. Ich wiederhole, dass uns nichts übrig bleibt, als eine Gegenerklärung abzugeben. Warum der Genosse Serrati seine Bedenken nicht in der Kommission vorbringen wollte, ist uns unverständlich. Eine neue Diskussion ist unmöglich. Mögen die italienischen Arbeiter urteilen, wer Recht hat, und ich glaube, dass von 100 italienischen Arbeitern 99 sagen werden, dass der Kongress Recht hat und nicht der Genosse Serrati.

Roy. Serrati hat meine und Lenins Leitsätze gegenrevolutionär genannt.

Serrati. Nein, nein!

Roy. Ich bin fest davon überzeugt, dass in der Unterstützung der unterdrückten Völker bei ihrem Kampfe gegen fremde Unterdrücker kein Proletariat irgendeines Landes eine Unterstützung der Reaktion erblickt. In den rückständigen Ländern ist die nationale Revolution ein Schritt vorwärts. Es wäre unwissenschaftlich, verschiedene Arten der Revolution zu unterscheiden. Alle Revolutionen sind verschiedene Etappen der sozialen Revolution. Die Bevölkerung der ausgebeuteten Länder, deren wirtschaftliche und politische Evolution nicht vor sich gehen konnte, haben andere revolutionäre Phasen zu durchlaufen als die europäischen Völker. Wer glaubt, dass es reaktionär ist, diesen Völkern in ihrem nationalen Kampf zu helfen, ist selbst reaktionär und spricht eine imperialistische Sprache.

Ich protestiere gegen die Erklärung des Genossen Serrati und bitte, dass sie nicht im Protokoll aufgenommen werde.

Wijnkoop. Kein Vertreter der revolutionären Bewegung hat das Recht so zu sprechen. Serrati hat sich dessen gerühmt, dass er nie eine Erklärung zugunsten Frankreichs oder Deutschlands gemacht habe. Dieser Satz enthält meiner Meinung nach einen versteckten Sinn. Ich schlage vor, Widerspruch gegen die hier getroffenen Bestimmungen zu erheben. Ich bitte, dass in dieser Angelegenheit eine Rundfrage eingeleitet werde. Ich ersuche darum, dass die Erklärung des Genossen Serrati im Protokoll nicht aufgenommen werde, da sie im Kongress nicht erörtert worden ist. Genosse Serrati wird es freistehen, alle seine Ideen dem nächsten italienischen Parteikongress zu unterbreiten.

Serrati. Ich sehe nichts Ungebührliches darin, dass man eine Untersuchung einleitet über die Beschuldigungen, die gegen die holländische Partei erhoben werden. Ich babe sie nicht beschuldigt. Ich habe nur an das erinnert, was Genosse Levi gesagt hat. Das ist eine ganz andere Sache. Ich erinnere daran, da der Genosse mir Gelegenheit dazu bietet, dass man über eine abgestimmte Deklaration nicht zu sprechen braucht. Ich habe diese Frage nicht erhoben, weil ich Diskussionen nicht gern habe, aber ich finde es sonderbar, dass die Genossen mir gestatten, zu sprechen, während sie in Wirklichkeit nicht das Recht hatten, meine abgestimmte Deklaration zu diskutieren. Ich finde es noch sonderbarer, dass ein Genosse behauptet, meine Deklaration dürfe nicht ins Protokoll eingetragen werden. Ich hätte vorschlagen können, dass alle die Dummheiten, die hier gesagt werden, im Protokoll verschwiegen würden. Ich hätte vorschlagen können, dass die von Genossen Levi dem Genossen Wijnkoop entgegengeschleuderte Entschuldigung in dem Protokoll unerwähnt bliebe. Sie ist viel ernster als die bestimmte, klare und genaue Erklärung, die ich gemacht habe und die ich in das Protokoll einzufügen bitte.

Genosse Roy hat meine Erklärung nicht verstanden. Ich sage, er hat sie nicht verstanden, weil ich glaube, mich mit genügender Klarheit ausgedrückt zu haben. Ich wollte sagen, dass die Leitsätze in der vorgeschlagenen Form nicht klar genug sind und zu chauvinistischen und nationalistischen Deutungen Anlass geben können. Wenn ich geglaubt hätte, dass es sich darum handelt, gegenrevolutionäre Leitsätze anzunehmen, lieber Genosse Roy, da bin ich ehrlich und offen genug, um gegen sie zu stimmen, und es wäre nichts Schlimmes daran gewesen, wenn auf einem kommunistischen Kongress jemand gegen einen bereits formulierten Vorschlag gestimmt hätte.

Genosse Roy hat gesagt, dass jede Revolution einen sozialen Charakter trage, aber das hiesse ja, dass wir während des Krieges allen Vermittlern und Helfershelfern der Bourgeoisie hätten dienen müssen. Sie sagten uns: der revolutionäre Krieg ist ein sozialer Krieg. Man muss sich daran beteiligen. Und wir haben geantwortet: Nein, wir beteiligen uns daran nicht.

Genosse Sinowjew hat eine Erklärung im Namen der Kommunistischen Partei Russlands abgegeben, in der verlangt wird, dass man klar und einfach spricht. Ich habe das immer getan. Aber ich habe auch ganz deutlich gesagt, dass ich mich unfähig fühle, über diese Frage zu diskutieren, die so, wie sie gestellt ist, nicht erörtert werden kann.

Ich hatte die Absicht, eine Resolution zur Tagesordnung vorzuschlagen, und ich habe es nicht getan, weil ich glaubte, dass es nicht möglich sei, eine gewisse objektive Diskussion einzuhalten.

Ich wollte folgende Resolution zur Tagesordnung vorschlagen: »Der Kongress sendet allen unter der Unterdrückung der imperialistischen Staaten leidenden Völkern warme brüderliche Grüsse. Er drückt seine volle und tatkräftige Sympathie aus in ihrem gegen alle Ausbeuter gerichteten Kampfe, und er erklärt, dass das Proletariat in seinem Kampfe gegen die Bedrückung durch das Kapital das Recht hat, nationale Aufstände auszunutzen, um sie endlich in eine soziale Revolution umzuwandeln.« Mein Gedanke ist sehr einfach. Anstatt zu sagen, dass die kommunistische Partei und das Proletariat in gewissen Fällen und unter gewissen Umständen und Garantien sich mit der kleinbürgerlichen Bewegung vereinigen sollen, sage ich: Nein, die Arbeiterklasse kann eine kleinbürgerliche revolutionäre Bewegung zwecks einer sozialen Revolution ausnutzen. Aber sie darf, besonders in rückständigen Ländern, die Bourgeoisie nicht unterstützen, da sie sonst Gefahr läuft, ihre Klassenstellung und Klassenorientierung zu verlieren, und die Massen in rückständigen Ländern können ihre Klassenorientierung leichter verlieren, als in Ländern, die weiter vorgeschritten sind, da das Proletariat dort noch kein festes Klassenbewusstsein hat und seinen Führern oft blind Folge leistet.

Genosse Sinowjew hat erklärt, die Proletarier müssen über das Verhalten ihrer Vertreter im internationalen Kongress urteilen. Es ist selbstverständlich, dass die Delegierten nach ihrer Rückkehr vor denen, die sie gesandt haben, Rechenschaft ablegen. Und die Masse wird über unser Verhalten urteilen. Ich habe dem Kleinbürgertum gegenüber immer eine unversöhnliche Haltung eingenommen. Diese Haltung habe ich auch im nationalen Kongress von Florenz beibehalten, und der Kongress hat meine Haltung gebilligt.

Wijnkoop. Genosse Serrati hat versucht, unsere Partei zu verdächtigen, er hat versucht, mich zu verdächtigen und noch dazu aus diesem Grunde, weil ich schon das Wort hatte. Er aber will zum zweiten Mal sprechen. Ich konnte mir gar nicht denken, dass der Genosse Serrati, der selbst beantragt hat, die Diskussion zu schliessen, in seiner eigenen Sache jetzt zweimal das Wort erhält. Ich möchte vorschlagen, dass ich wenigstens das Wort ergreifen kann.

Sinowjew. Ich schlage vor, über den Antrag auf Schluss der Debatte abzustimmen. Es ist unnütz, diese persönlichen Angriffe fortzusetzen. Genosse Serrati hat das Recht, zu verlangen, dass die Erklärung, die er abgegeben hat, ins Protokoll kommt. (Zwischenruf Wijnkoops). Das Protokoll ist ein Spiegel dessen, was gewesen ist, deswegen muss sie ins Protokoll kommen. Wir schlagen vor, dass alle Resolutionen und Anträge der Kommission übergeben werden.

Wijnkoop. Ohne Diskussion geht es nicht.

Levi. Es wird abgestimmt über Schluss der Debatte.

(Schluss der Debatte wird gegen 5 Stimmen angenommen.)

Wijnkoop. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass die Diskussion keinesfalls zu schliessen ist.

Levi. Wer ist für den Vorschlag des Genossen Wijnkoop? Wer ist dafür, dass die Debatte eröffnet wird, nachdem sie soeben geschlossen wurde?

(Der Vorschlag des Genossen Wijnkoop wird gegen acht Stimmen abgelehnt.)

Levi. Die überwiegende Mehrheit hat den Antrag des Genossen Wijnkoop abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung der Leitsätze überhaupt. Die Leitsätze sollen jetzt abgestimmt werden; alle Anträge werden der Kommission überwiesen. Sollten in der Kommission Meinungsverschiedenheiten entstehen, so wird sie dem Kongress noch einmal Bericht erstatten.

(Es wird abgestimmt, ob alle übrigen Fragen der Kommission überwiesen werden sollen. Das wird einstimmig angenommen.)

Frumkina. Es wurde gesagt, dass der Bund an der gegenrevolutionären Agitation der II. Internationale teilgenommen hat. Der Bund hat sich nicht an der Agitation gegen die sozialistische Revolution beteiligt, er hat vielmehr alle seine Kräfte eingesetzt für die Verteidigung der Sowjetregierung, auch als er noch nicht kommunistisch war. Wenn man die II. Internationale erwähnt, so sollte man den Gen. Kohn daran erinnern, dass sich die Partei Poale Zion in Palästina an die II. Internationale um Unterstützung gewandt hat und sich auch derselben erfreut. Der Antrag der Poale Zion, ihren Vertreter zuzulassen, ist von der Exekutive abgelehnt worden.

Serrati. Genosse Wijnkoop hat gesagt, er möchte über die Anklage, die ich gegen die holländische Partei gemacht habe, eine Untersuchung anstellen. Ich betone, dass ich keinerlei Beschuldigungen erhoben, sondern nur das wiederholt habe, was Genosse Levi ohne jede Widerlegung seitens des Genossen Wijnkoop gesagt hat, und was auch die Genossen aus der Exekutive gesagt haben, ohne einen Protest hervorzurufen.

Bombacci. Ich erkläre, dass ich die Meinung des Genossen Serrati, die er in seiner Deklaration zum Ausdruck gebracht hat, nicht teile.

Wijnkoop. Ich habe nicht in persönlicher Sache ums Wort gebeten, sondern um einen Vorschlag zu machen, aber jetzt, da ich das Wort habe, muss ich erklären, dass alles, was Genosse Serrati in diesem Zusammenhang gegen unsere Partei vorgebracht hat, nicht mit der Wahrheit in Übereinstimmung steht. Ob er sich in seiner Unwahrheit an den Genossen Levi anlehnt, das geht mich nichts an. Es ist und bleibt eine Unwahrheit, das muss ich feststellen. Die Genossen aus der Exekutive haben nicht dasselbe wie der Genosse Serrati gesagt. Das Amsterdamer Büro ist nicht identisch mit der holländischen Partei, und sie hat nichts mit dem zu tun, was Genosse Serrati sich erlaubt hat, gegen unsere Partei vorzubringen, weil ich Kritik an ihm geübt habe. Ich mache den Vorschlag, den Protest des Genossen Serrati, weil er hier nicht diskutiert worden ist, auch nicht in das Protokoll aufzunehmen. Ich mache diesen Vorschlag, weil Genosse Serrati seinen Protest, der nach meiner Meinung ein Manifest gegen diesen Kongress ist, ebenso gut im italienischen Kongress machen kann.

Pestaña. Da ich keine politische Partei, sondern eine syndikalistische Organisation vertrete und keine Verpflichtungen übernehmen kann, von denen ich nicht sicher bin, dass ich sie halten kann, werde ich nicht stimmen.

Graziadei. Meine Stellungnahme ist aus den Erklärungen, die ich hier bereits gemacht habe, bekannt. Ich werde für die Leitsätze stimmen samt den von mir vorgeschlagenen Zusätzen.

Sinowjew. Es liegt ein Antrag des Genossen Wijnkoop vor, dass die Erklärung des Genossen Serrati nicht in das Protokoll aufgenommen werden soll. Wir sind der Meinung, und ich bitte um Unterstützung der Meinung des Büros, dass eine solche Abstimmung unmöglich ist. Wer dieser Meinung ist, der hebe die Hand. Wer ist dagegen? Es scheint niemand dagegen zu sein. Der Kongress beantragt nun, über die Leitsätze abzustimmen und die Debatten zu schliessen.

(Der Antrag wird angenommen.)

Sinowjew. Es gelangen die Leitsätze über die Kolonial- und Nationalitätenfrage zur Abstimmung, die wie folgt lauten:

Leitsätze über die Nationalitäten- und Kolonialfrage.

1. Der bürgerlichen Demokratie ist ihrem eigentlichen Wesen nach eine abstrakte oder formelle Auffassung in der Frage über die Gleichheit überhaupt und über die nationale Gleichheit im besonderen eigen. Unter dem Anschein der Gleichheit der menschlichen Persönlichkeit überhaupt proklamiert die bürgerliche Demokratie die formelle juristische Gleichheit des Eigentümers und des Proletariers, des Ausbeuters und des Ausgebeuteten, und betrügt dadurch die unterdrückten Klassen in höchstem Masse. Die Idee der Gleichheit, die selbst eine Widerspiegelung der Verhältnisse der Warenproduktion ist, wird von der Bourgeoisie unter dem Vorwand angeblich absoluter Gleichheit der menschlichen Persönlichkeiten in ein Werkzeug des Kampfes gegen die Vernichtung der Klassen verwandelt. Der wahre Sinn der Gleichheitsforderung liegt nur in der Forderung der Abschaffung der Klassen.

2. Die kommunistische Partei als bewusster Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes zur Abschüttlung des Jochs der Bourgeoisie soll entsprechend ihrer Hauptaufgabe – Kampf gegen die bürgerliche Demokratie und Entlarvung ihrer Lüge und Heuchelei – auch in der Nationalitätenfrage nicht abstrakte und formelle Prinzipien in den Vordergrund rücken, sondern erstens die genaue Wertung des geschichtlich gegebenen und vor allem wirtschaftlichen Milieus; zweitens die ausdrückliche Ausscheidung der Interessen der unterdrückten Klassen, der Werktätigen, der Ausgebeuteten, aus dem allgemeinen Begriff der sogenannten Volksinteressen, die die Interessen der herrschenden Klasse bedeuten; drittens eine ebenso genaue Trennung der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Nationen von den unterdrückenden, ausbeutenden, vollberechtigten Nationen als Gegengewicht zu der bürgerlich-demokratischen Lüge, welche die der Epoche des Finanzkapitals und Imperialismus eigene koloniale und finanzielle Knechtung der ungeheuren Mehrheit der gesamten Bevölkerung der Welt durch eine geringe Minderheit der reichsten, vorgeschrittensten kapitalistischen Länder vertuscht.

3. Der imperialistische Krieg von 1914 hat allen geknechteten Nationen und unterdrückten Klassen der ganzen Welt mit besonderer Klarheit die Lügenhaftigkeit der bürgerlich-demokratischen Phrase bewiesen. Von beiden Seiten mit den Phrasen der Völkerbefreiung und des Selbstbestimmungsrechts der Nationen begründet, hat einerseits der Friede von Brest-Litowsk und Bukarest, andererseits der Friede von Versailles und St. Germain gezeigt, dass die siegende Bourgeoisie rücksichtslos auch die »nationalen« Grenzen nach ihren wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Auch die »nationalen« Grenzen sind für die Bourgeoisie nur Handelsobjekte. Der sogenannte Völkerbund (»Liga der Nationen«) ist nichts anderes als der Versicherungsvertrag, in dem die Sieger dieses Krieges sich gegenseitig ihren Raub garantieren. Die Bestrebungen auf Wiederherstellung der nationalen Einheit, auf »Wiedervereinigung mit abgetretenen Landesteilen« sind für die Bourgeoisie nichts anderes als der Versuch der Besiegten, Kräfte zu neuen Kriegen zu sammeln. – Die Wiedervereinigung der künstlich zerrissenen Nationen entspricht auch dem Interesse des Proletariats; seine wirkliche nationale Freiheit und Einheit kann das Proletariat jedoch nur auf dem Wege des revolutionären Kampfes und über die niedergeworfene Bourgeoisie hinweg erreichen. Der Völkerbund und die gesamte Politik der imperialistischen Staaten nach dem Kriege decken diese Wahrheit noch deutlicher und schärfer auf, verstärken überall den revolutionären Kampf des Proletariats der vorgeschrittenen Länder sowie aller werktätigen Massen der Kolonien und der abhängigen Länder, beschleunigen den Zusammenbruch der kleinbürgerlich-nationalen Illusionen über die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens und über die Gleichheit der Nationen unter dem Kapitalismus.

4. Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, dass der gesamten Politik der Kommunistischen Internationale in der Nationalitäten- und Kolonialfrage hauptsächlich der Zusammenschluss der Proletarier und werktätigen Massen aller Nationen und Länder zum gemeinsamen revolutionären Kampf für den Sturz der Grundbesitzer und der Bourgeoisie zugrunde gelegt werden muss. Denn nur ein solcher Zusammenschluss sichert den Sieg über den Kapitalismus, ohne welchen die Vernichtung der nationalen Unterdrückung und der Nichtgleichberechtigung unmöglich ist.

5. Die weltpolitische Situation hat jetzt die Diktatur des Proletariats auf die Tagesordnung gesetzt, und alle Ereignisse der Weltpolitik konzentrieren sich unvermeidlich um einen einzigen Mittelpunkt, und zwar um den Kampf der Weltbourgeoisie gegen die russische Sowjetrepublik, die einerseits die Sowjetbewegungen der Arbeitervorhut aller Länder und andererseits alle nationalen Freiheitsbewegungen der Kolonien und der unterdrückten Völkerschaften um sich schart, die sich durch bittere Erfahrung überzeugt haben, dass es für sie keine Rettung gibt ausser ihrer Verbindung mit dem revolutionären Proletariat und dem Sieg der Sowjetmacht über den Weltimperialismus.

6. Folglich darf man sich gegenwärtig nicht auf die blosse Anerkennung oder Proklamierung der Annäherung der Werktätigen verschiedener Nationen beschränken, sondern muss eine Politik der Verwirklichung des engsten Bündnisses aller nationalen und kolonialen Freiheitsbewegungen mit Sowjetrussland führen, wobei die Formen dieses Bündnisses von der Entwicklungsstufe der kommunistischen Bewegung unter dem Proletariat jedes Landes oder der revolutionären Freiheitsbewegung in den zurückgebliebenen Ländern und unter den rückständigen Nationalitäten bestimmt werden.

7. Die Föderation ist eine Übergangsform zur vollen Vereinigung der Werktätigen aller Nationen. Die Föderation hat in der Praxis bereits ihre Zweckmässigkeit gezeigt, sowohl in den Beziehungen der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Russland zu den übrigen Sowjetrepubliken (der ungarischen, finnischen, lettländischen in der Vergangenheit, der aserbaidschanischen, der ukrainischen in der Gegenwart), als auch innerhalb der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Russland selbst gegenüber den Nationalitäten, die weder eine staatliche Existenz noch eine Selbstverwaltung besassen (z. B. die autonomen Republiken der Baschkiren und Tataren in der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Russland, die 1919 und 1920 geschaffen worden sind).

8. Die Aufgabe der Kommunistischen Internationale besteht in dieser Hinsicht nicht nur in der weiteren Entwicklung, sondern auch im Studium und in der Prüfung der Erfahrungen dieser auf der Basis der Sowjetordnung und der Sowjetbewegung entstehenden Föderationen. In Anerkennung der Föderation als Übergangsform zur vollen Vereinigung muss eine immer engere föderative Verbindung angestrebt werden, wobei in Erwägung zu ziehen ist: erstens die Unmöglichkeit des Bestehens der von militärisch bedeutend mächtigeren imperialistischen Staaten der ganzen Welt umgebenen Sowjetrepubliken ohne engere Verbindung mit den anderen Sowjetrepubliken; zweitens die Notwendigkeit eines engen wirtschaftlichen Bundes der Sowjetrepubliken, eben den die Wiederherstellung der durch den Imperialismus vernichteten Produktivkräfte und die Sicherung des Wohlstandes der Werktätigen nicht möglich ist; drittens das Bestreben zur Schaffung einer einheitlichen Weltwirtschaft nach einem gemeinsamen Plan, der vom Proletariat aller Nationen geregelt wird. Diese Tendenz ist bereits unter dem Kapitalismus ganz offen zutage getreten und sieht unbedingt ihrer weiteren Entwicklung und Vollendung durch den Sozialismus entgegen.

9. Auf dem Gebiet der innerstaatlichen Beziehungen kann sich die nationale Politik der Kommunistischen Internationale nicht mit der nackten, formalen, nur in Worten erklärten und praktisch zu nichts verpflichtenden Anerkennung der Gleichberechtigung der Nationen begnügen, auf die sich die – mögen sie sich auch »sozialistisch« nennen – bürgerlichen Demokratien beschränken.
Nicht nur in der ganzen Propaganda und Agitation der kommunistischen Parteien – sowohl von der Parlamentstribüne als auch ausserhalb derselben – müssen die sich in allen kapitalistischen Staaten trotz der »demokratischen« Verfassungen fortgesetzt wiederholenden Verstösse gegen die Gleichberechtigung der Nationen und garantierten Rechte der nationalen Minderheiten unentwegt enthüllt werden; es ist ferner notwendig: erstens beständig darüber aufzuklären, dass nur die Sowjetordnung imstande ist, den Nationen eine wirkliche Gleichberechtigung dadurch zu sichern, dass sie erst die Proletarier und darauf die ganze Masse der Werktätigen im Kampf gegen die Bourgeoisie vereinigt; zweitens die revolutionären Bewegungen unter den abhängigen und nicht gleichberechtigten Nationen (z. B. in Irland, unter den Negern Amerikas usw.) und in den Kolonien durch die kommunistische Partei des betreffenden Landes direkt zu unterstützen.
Ohne diese letztere besonders wichtige Bedingung bleibt der Kampf gegen die Unterdrückung der abhängigen Nationen und Kolonien, wie auch die Anerkennung ihres Rechtes auf staatliche Absonderung ein lügnerisches Aushängeschild, wie wir dies bei den Parteien der Zweiten Internationale sehen.

10. Die Anerkennung des Internationalismus lediglich in Worten, seine Verwässerung in der Tat, in der ganzen Propaganda, Agitation und praktischen Arbeit durch kleinbürgerlichen Nationalismus und Pazifismus ist eine häufige Erscheinung nicht nur bei den Zentrumsparteien der Zweiten Internationale, sondern auch bei denen, die aus dieser Internationale ausgetreten sind. Diese Erscheinung findet man nicht selten sogar bei solchen Parteien, die sich jetzt kommunistisch nennen. Der Kampf mit diesem Übel, mit den am tiefsten eingewurzelten kleinbürgerlich-nationalen Vorurteilen, die in allen möglichen Formen auftreten, wie Rassenhass, nationale Verhetzung, Antisemitismus, muss umsomehr in den Vordergrund gerückt werden, je brennender die Frage der Umwandlung der Diktatur des Proletariats aus einer nationalen Diktatur (d. h. einer nur in einem Lande existierenden und zur Führung einer selbständigen Weltpolitik unfähigen Diktatur) in eine internationale Diktatur (d. h. in eine Diktatur des Proletariats wenigstens in einigen vorgeschrittenen Ländern, die fähig ist, einen entscheidenden Einfluss auf die ganze Weltpolitik auszuüben) wird. Der kleinbürgerliche Nationalismus erklärt als Internationalismus die blosse Anerkennung der Gleichberechtigung der Nationen und hält (ganz abgesehen davon, dass eine derartige Anerkennung nur in Worten geschieht) den nationalen Egoismus für unantastbar. Der proletarische Internationalismus dagegen fordert: 1. die Unterordnung der Interessen des proletarischen Kampfes des einen Landes unter die Interessen dieses Kampfes im Weltmasstabe; 2. von der Nation, die ihren Sieg über die Bourgeoisie durchführt, die Fähigkeit und Bereitwilligkeit, die grössten nationalen Opfer zu bringen, um den internationalen Kapitalismus zu stürzen.
Daher ist in den bereits vollständig kapitalistischen Staaten, die Arbeiterparteien haben, die tatsächlich einen Vortrupp des Proletariats darstellen, der Kampf mit den opportunistischen und kleinbürgerlich-pazifistischen Verdrehungen der Begriffe und der Politik des Internationalismus die erste und wichtigste Aufgabe.
In bezug auf die Staaten und Nationen, die einen mehr zurückgebliebenen, vorwiegend feudalen oder patriarchalen oder patriarchal-bäuerlichen Charakter tragen, muss man insbesondere folgende Punkte im Auge behalten:
a) Alle kommunistischen Parteien müssen die revolutionären Freiheitsbewegungen in diesen Ländern durch die Tat unterstützen. Die Form der Unterstützung muss mit der kommunistischen Partei des betreffenden Landes erörtert werden, wenn es eine solche Partei gibt. In erster Linie trifft diese Verpflichtung zur tatkräftigen Hilfe die Arbeiter desjenigen Landes, von dem die zurückgebliebene Nation in kolonialer oder finanzieller Hinsicht abhängt.
b) Unbedingt ist der Kampf gegen den reaktionären und mittelalterlichen Einfluss der Geistlichkeit, der christlichen Missionen und ähnlicher Elemente zu führen.
c) Notwendig ist der Kampf gegen den Panislamismus und die panasiatische Bewegung und ähnliche Strömungen, die den Versuch machen, den Freiheitskampf gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit der Stärkung der Macht des türkischen und japanischen Imperialismus und des Adels, der Grossgrundbesitzer, der Geistlichen usw., zu verbinden.
d) Notwendig ist besonders die Unterstützung der Bauernbewegung in den rückständigen Ländern gegen die Grundbesitzer und alle Formen und Überreste des Feudalismus. Man muss vor allem danach streben, der Bauernbewegung einen möglichst revolutionären Charakter zu geben, womöglich die Bauern und alle Ausgebeuteten in Sowjets zu organisieren und so eine möglichst enge Verbindung zwischen dem westeuropäischen kommunistischen Proletariat und der revolutionären Bewegung der Bauern im Osten, in den Kolonien und den rückständigen Ländern herzustellen.
e) Notwendig ist ein entschlossener Kampf gegen den Versuch, der nicht wirklich kommunistischen revolutionären Freiheitsbewegung in den zurückgebliebenen Ländern ein kommunistisches Mäntelchen umzuhängen. Die Kommunistische Internationale hat die Pflicht, die revolutionäre Bewegung in den Kolonien und den rückständigen Ländern nur zu dem Zweck zu unterstützen, um die Bestandteile der künftigen proletarischen Parteien – der wirklich und nicht nur dem Namen nach kommunistischen – in allen rückständigen Ländern zu sammeln und sie zum Bewusstsein ihrer besonderer Aufgaben zu erziehen, und zwar zu den Aufgaben des Kampfes gegen die bürgerlich-demokratische Richtung in der eigenen Nation. Die Kommunistische Internationale soll ein zeitweiliges Zusammengehen, ja selbst ein Bündnis mit der revolutionären Bewegung der Kolonien und der rückständigen Länder herstellen, darf sich aber nicht mit ihr zusammenschliessen, sondern muss unbedingt den selbständigen Charakter der proletarischen Bewegung – sei es auch in ihrer Keimform – aufrechterhalten.
f) Notwendig ist es, unter den breitesten Massen der Werktätigen aller und insbesondere der rückständigen Länder und Nationen fortgesetzt den Betrug aufzudecken und aufzuklären, den die imperialistischen Mächte mit Hilfe der privilegierten Klassen in den unterdrückten Ländern dadurch begehen, dass sie unter der Maske politisch unabhängiger Staaten Staatsgebilde ins Leben rufen, die wirtschaftlich, finanziell und militärisch vollständig von ihnen abhängig sind. Als ein krasses Beispiel des Betrugs der arbeitenden Klassen jener unterdrückten Nation, zu dem der Ententeimperialismus und die Bourgeoisie der betreffenden Nation ihre Bemühungen vereinigen, kann die Palästinaaffäre der Zionisten bezeichnet werden (wie der Zionismus überhaupt unter dem Deckmantel der Schaffung eines Judenstaates in Palästina tatsächlich die arabische Arbeiterbevölkerung Palästinas, wo die werktätigen Juden nur eine kleine Minderheit bilden, der Ausbeutung Englands preisgibt). In den heutigen internationalen Verhältnissen gibt es für die abhängigen und schwachen Nationen keine andere Rettung mehr als ein Bündnis mit Räterepubliken.

11. Die jahrhundertelang andauernde Knechtung der kolonialen und schwachen Völkerschaften durch die imperialistischen Grossmächte hinterliess in den werktätigen Massen der geknechteten Länder nicht nur Gefühle der Erbitterung, sondern auch Gefühle des Misstrauens gegen die unterdrückenden Nationen im allgemeinen, darunter auch gegen das Proletariat dieser Nationen. Der niederträchtige Verrat am Sozialismus durch die Mehrheit der offiziellen Führer dieses Proletariats in den Jahren 1914–19, als die Sozialpatrioten unter der »Vaterlandsverteidigung« die Verteidigung des »Rechts« »ihrer« Bourgeoisie auf Knechtung der Kolonien und Ausplünderung der finanziell abhängigen Länder verbargen – dieser Verrat konnte dieses vollständig gerechte Misstrauen nur bestärken. Da dieses Misstrauen und die nationalen Vorurteile erst nach der Vernichtung des Imperialismus in den vorgeschrittenen Ländern und nach der radikalen Umformung der gesamten Grundlagen des wirtschaftlichen Lebens der rückständigen Länder ausgerottet werden können, so kann die Beseitigung dieser Vorurteile nur sehr langsam vor sich gehen. Daraus ergibt sich für das klassenbewusste kommunistische Proletariat aller Länder die Verpflichtung zu besonderer Vorsicht und besonderer Aufmerksamkeit gegenüber den an sich überlebten nationalen Gefühlen in den lange Zeit geknechteten Ländern und Völkerschaften und zugleich die Verpflichtung, Zugeständnisse zu machen, um dieses Misstrauen und diese Vorurteile desto rascher zu beseitigen. Ohne freiwilligen Zusammenschluss des Proletariats und damit aller werktätigen Massen aller Länder und der Nationen der ganzen Welt zu einem Bunde und einer Einheit kann der Sieg über den Kapitalismus nicht mit vollem Erfolg zu Ende geführt werden.

(Man schreitet zur Abstimmung. Die Leitsätze werden einstimmig, bei 3 Enthaltungen, angenommen. Beifall.)

Sinowjew. Alle laufenden Fragen werden der Kommission übergeben. Wenn die Kommission in ihren Beschlüssen einstimmig ist, sind dieselben dem Kongress mitzuteilen, andernfalls aber müssen sie dem Kongress zur Entscheidung unterbreitet werden. Ich bringe den Antrag zur Abstimmung.

(Der Antrag wird angenommen.)

Sinowjew. Morgen um 11 Uhr findet eine Plenarsitzung statt. Zur Erörterung gelangt die Frage über die Bedingungen zur Aufnahme in die Kommunistische Internationale. Diese Diskussionen müssen beschleunigt werden, da die französischen Delegierten Moskau morgen verlassen werden.

(Die Sitzung wird um 5 Uhr geschlossen.)



Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]

  1. Die Nummerierung der Sitzungen erfolgt nach der russischen Ausgabe des »Protokolls«. In der deutschen Ausgabe ist die Nummerierung der Sitzungen inkonsistent und unlogisch (1–11, dann 14 & 15). Zum Vergleich:

    Deutsche Ausgabe [Seitenzahl] → Russische Ausgabe/sinistra.net
    Erste Sitzung (19. Juli 1920) [6–56]Erste Sitzung (19. Juli 1920)
    Zweite Sitzung (23. Juli 1920) [57–99]Zweite Sitzung (23. Juli 1920)
    Dritte Sitzung (24. Juli 1920) [100–136]Dritte Sitzung (24. Juli 1920)
    Vierte Sitzung (26 Juli 1920) [137–166]Vierte Sitzung (26 Juli 1920)
    Fünfte Sitzung (28. Juli 1920) [167–233]Fünfte Sitzung (28. Juli 1920)
    Sechste Sitzung (29. Juli 1920) [234–286]Sechste Sitzung (29. Juli 1920)
    ↳Abendsitzung (29. Juli 1920) [287–329]Siebte Sitzung (29. Juli 1920)
    Siebte Sitzung (30. Juli 1920) [330–401]Achte Sitzung (30. Juli 1920)
    Achte Sitzung (2. August 1920) [402–442]Neunte Sitzung (2. August 1920)
    ↳Abendsitzung (2. August 1920) [443–480]Zehnte Sitzung (2. August 1920)
    Neunte Sitzung (3. August 1920) [481–508]Elfte Sitzung (3. August 1920)
    ↳Abendsitzung (3. August 1920) [509–537]Zwölfte Sitzung (3. August 1920)
    Zehnte Sitzung (4. August 1920) [538–570]Dreizehnte Sitzung (4. August 1920)
    ↳Abendsitzung (4. August 1920) [571–606]Vierzehnte Sitzung (4. August 1920)
    Elfte Sitzung (5. August 1920) [607–639]Fünfzehnte Sitzung (5. August 1920)
    Vierzehnte Sitzung (6.August 1920) [640–667]Sechzehnte Sitzung (6.August 1920)
    Fünfzehnte Sitzung (7. August 1920) [668–702]Schlusssitzung (7. August 1920)[⤒]

  2. Die Rechtschreibung wurde stillschweigend verbessert und vereinzelt dem heutigen Gebrauch angepasst. Falschgeschriebene Namen wurden berichtigt, die russischen und bulgarischen Namen sind in deutscher Transkription oder in gebräuchlicher Form wiedergegeben, Namen aus Ländern mit lateinischem Alphabet entsprechend der jeweils heimischen Form. Redaktionelle Zusätze sind in [] kenntlich gemacht.[⤒]

  3. Der Name Bak Jin-suns (박진순) wird hier in Koreanischer Transliteration (RO) wiedergegeben. Nach der im Westen gebräuchlichen MC-Transkription lautet der Namen Pak Chin-sun. In der dt. Ausgabe des »Protokolls« wurde »Pak-Din-Schun« transkribiert, was auch lautlich nicht dem Namen entspricht.[⤒]


Source: »Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale, Protokoll der Verhandlungen vom 19. Juli in Petrograd und vom 23. Juli bis 7. August in Moskau«, Verlag der Komm. Internationale, Hamburg 1921 / Второй конгресс. Коммунистического Интернационала, Июл–Август 1920 г., Стенографический отчет. Иад. Коммунистического Интернационала, Петроград 1921. Bearbeitung und Digitalisierung: sinistra.net 2021

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