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DIE TRAURIGE LAUFBAHN DER FSLN
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Die traurige Laufbahn der FSLN
Von der Guerillaromantik zum bürgerlichen Reformismus
Das Programm von 1978
Die MPU
Notes
Source


Die traurige Laufbahn der FSLN
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Die bürgerliche wie die vermeintlich revolutionäre Presse verbreiten die Meinung, dass die sozialen Unruhen, die Nicaragua seit Beginn der 70er Jahre erschüttern - und insbesondere der Aufstand vom August - September 1978 - von der Sandinistischen Front initiiert wurden. Aus der Schilderung dieser Kämpfe in ihrer Entwicklung konnten wir ersehen, dass dem nicht so war (1). Selbst chronologisch folgte die Aktion der FSLN immer der spontanen Bewegung der ausgebeuteten Massen nach, die sie nie organisiert oder politisch und militärisch vorbereitet hat. Ihr Guerillakampf lief immer ohne ernsthafte Verbindung zur realen Bewegung der werktätigen Massen auf dem Lande (denen sie, wie jeder gute Guerillaanhänger, eine grundlegende Bedeutung beimisst) oder gar der Städte, die ja in den Volksaufständen die entscheidende Rolle gespielt haben.

Der Eindruck einer Führung der Bewegung, der sich an der Oberfläche herstellt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen der FSLN und den ausgebeuteten Massen ein unauslöschlicher Trennungsstrich läuft und, was noch wichtiger ist, dass die geschichtlichen Bewegungen, die Laufbahnen der FSLN und der ausgebeuteten Massen dazu verurteilt sind, unumkehrbar auseinanderzulaufen. Allein die Tatsache, dass die Sozialistische Internationale und selbst die katholische Kirche, diese zwei Gendarmen der kapitalistischen Weltordnung, die bewaffnete Gewalt seitens der FSLN befürwortet, gerechtfertigt und sogar gelobt haben, dürfte ausreichen, um den revolutionären Charakter dieser Organisation in Frage zu stellen. Doch entscheidender als klarer Beweis für den Graben zwischen FSLN und Revolution ist ihre Tendenz, sich immer entschlossener ins Fahrwasser der bürgerlichen Opposition zu begeben, deren antirevolutionäre Rolle wir verfolgen konnten.

Von der Guerillaromantik zum bürgerlichen Reformismus
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Diese Tendenz springt ins Auge, wenn man die romantischen Vorstellungen, denen die Guerilla vor dem Ausbruch der sozialen Krise in den poetischen Gipfeln des tropischen Gebirges nachhing, mit den Positionen vergleicht, die sie danach immer deutlicher bezieht.

Natürlich lag schon in den ursprünglichen Positionen der Keim für dieses spätere Abgleiten verborgen, denn ihr Inhalt war kleinbürgerlich und äusserte sich als solcher klar in den demokratischen Grundsätzen, im Volksfrontprinzip und auch im Nationalismus, der durch die Verkündung des kontinentalen Charakters des revolutionären Kampfes deutlich durchschimmerte. Doch immerhin trat in jener Periode die versöhnlerische Seite hinter der revolutionären zurück. Schauen wir uns also an, wie sich diese Entwicklung zum plattesten bürgerlichen Reformismus auf programmatischer Ebene vollzogen hat.

Das Programm der FSLN von 1969 erklärte folgendermassen das Ziel der Organisation:
»
Die FSLN ist eine politisch-militärische Organisation mit dem Ziel, die Macht durch die Zerschlagung des bürokratischen und militärischen Apparates der Diktatur und die Errichtung einer revolutionären Regierung auf der Grundlage eines Bündnisses der Arbeiter und Bauern und der Mitwirkung aller antiimperialistischen Kräfte des Landes zu erobern«.

Indes brach die ökonomische und soziale Krise aus und rief die von den Sandinisten als Grundlage der revolutionären Regierung betrachteten Arbeiter- und Bauernmassen auf den Plan. Man sah sich gezwungen, die revolutionären Worte in revolutionäre Taten umzusetzen. Mit der Wirklichkeit konfrontiert, löste sich der antiimperialistische Guerillero-Traum auf - und die Sandinisten haben schliesslich ihre Worte... umgewandelt. Als 1977 eine neue und mächtige Welle sozialer Unruhen begann und die FSLN durch ihren »Terceirista«-Flügel eine - wie man zu sagen pflegt - »neue Periode« ihrer Aktion eröffnete, war also von dem auf die Arbeiterklasse und die Bauernschaft gestützten Kampf um die Macht nicht mehr die Rede. Die Entwicklung der Guerillaaktionen vollzieht sich nunmehr im Gegenteil unter dem Zeichen des Bündnisses mit der bürgerlichen Opposition.

Die »Terceiristas«, die sich von der Tendenz abgespalten hatten, die seitdem unter dem Namen »Langer Volkskrieg« bekannt wurde, begannen in der Tat ihre neue Angriffsphase am 12. Oktober 1977, also in denselben Tagen, in denen die »Erklärung der Zwölf« erschienen war. Die Autoren dieser Erklärung - die »Gruppe der Zwölf« - wurden im April 1978 von »Lucha Sandinista« selbst wie folgt charakterisiert:
»
Freiberufliche, Intellektuelle, Unternehmer und Geistliche«,
kurzum die Creme der Bourgeoisie. Durch die »Gruppe der Zwölf« werden die Sandinisten ihre Bindungen zur Grossbourgeoisie knüpfen, und diese Bindungen werden durch immer grössere Abstriche von ihrem Programm begleitet werden.

So wird der frühere antiimperialistische und antioligarchische Kampf auf der Grundlage des Arbeiter- und Bauernbündnisses beiseite geschoben. An dessen Stelle tritt der Kampf gegen Somoza, der nicht mehr auf deutlich gekennzeichneten Klassen, sondern auf einem Bündnis mit allen Somozagegnern beruht. Diese Haltung wird von den »Terceiristas« seit ihrer sofortigen Antwort auf die »Erklärung der Zwölf« eingenommen:
»
Wir nehmen die Aufforderung zur Teilnahme an einer nationalen Lösung entsprechend dem Dokument unserer zwölf Mitbürger an. Wir müssen aber darauf hinweisen, dass es in Nicaragua keine Lösung geben kann, bevor Somoza und sein Regime verschwunden sind (...). Somoza muss gehen, und kein Somoza darf in den Reihen der Armee und der Regierung bleiben. Man nehme den unheilvollen Apparat der Korruption und des Verbrechens, den die Diktatur darstellt, auseinander. Dann wird die FSLN bereit sein, sich mit allen anderen ehrlichen, patriotischen und gegen Somoza eingestellten Sektoren des Landes an der Suche nach einer nationalen Lösung zu beteiligen. (...) Unser unmittelbares Ziel besteht darin zu erreichen, dass Nicaragua von der Somoza-Diktatur befreit wird und das Land den Weg einer wirklich demokratischen Entwicklung einschlägt« (zitiert in »Che Guevara«, Nr. 3, Organ der Junta de Coordinación Revolucionaria).

Man hat sich vom Programm von 1969 meilenweit entfernt! Es geht nicht mehr darum, den bürokratischen und militärischen Apparat zu zerschlagen, sondern die Somozas daraus zu entfernen. Mehr noch, die FSLN nimmt sich nicht einmal mehr vor, den Kampf gegen Somoza zu führen (geschweige denn die Macht revolutionär zu erobern). Sie beschränkt sich im Gegenteil darauf zu verlangen, dass man den Somoza-Apparat auseinandernehme - Ade Begriff des Staates! Aber wer ist eigentlich dieses »man«, wenn nicht die Bourgeoisie? Dadurch, dass sie die Absetzung Somozas und die Demokratisierung »des Landes« zu ihrer zentralen Forderung machte, betrat die FSLN den sumpfigen Boden der bürgerlichen Opposition.

Diese vollständige Kapitulation vor dem bürgerlichen Reformismus sollte sich im folgenden Jahr 1978, in dem die »Terceiristas« bei den bewaffneten sandinistischen Aktionen vom August-September die Hauptrolle spielten, noch deutlicher zeigen.

Das Programm von 1978
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»Wofür kämpft die Sandinistische Front gemeinsam mit dem Volk?« - so hiess das Programm, das im Jahre 1978 erschien.

Die Einleitung dieses Programms bestätigt die Preisgabe des revolutionären Anspruchs der Formulierungen von 1969. Die Ziele werden auf das banale Anti-Somozatum des oben zitierten Textes herabgesetzt. Die Formel heisst jetzt:
»
Eine demokratische Volksregierung an die Macht bringen« (Grossbuchstaben im Original)
und nicht mehr wie 1969
»
die revolutionäre Eroberung der politischen Macht«
durch die FSLN. Abgesehen davon, dass die wesentlichen ökonomischen und sozialen Massnahmen den (wenn auch verschwommenen) antiimperialistischen und antioligarchischen Charakter des Jahres 1969 verlieren und an deren Stelle die blosse Enteignung von Somoza und Konsorten tritt, müssen wir einige bemerkenswerte Änderungen bei anderen entscheidenden Punkten hervorheben.

Streitkräfte: Das Programm von 1969 sprach von der Abschaffung der Nationalgarde und der »Bildung einer revolutionären und patriotischen Volksarmee«. Die Arbeiter, Bauern, Studenten und »andere« (?) sollten bewaffnet werden und sich in Volksmilizen organisieren können. Es handelte sich um eine klassische Formulierung der radikalen kleinbürgerlichen Demokratie. 1978 wird nunmehr merkwürdigerweise vergessen, die Abschaffung der Nationalgarde zu erwähnen. Hingegen ist von der Bildung von »neuen nationalen Streitkräften«, der »demokratischen Volksstreitkräfte« die Rede. Verschwunden ist nicht allein die Bezeichnung »revolutionär«, die der Bourgeoisie zweifellos unangenehm wäre, sondern auch die »Volksmilizen«, die freilich noch unangenehmer sein dürften. Es handelt sich jetzt um eine klassische bürgerlich-reformistische Formulierung. Es gibt aber noch schlimmeres, nämlich die Haltung gegenüber den Mitgliedern der Nationalgarde. 1969 hatte man geschrieben, dass sich die Soldaten der Nationalgarde der revolutionären Armee anschliessen könnten, und zwar unter folgenden Bedingungen: sie müssten »die Guerilla unterstützt haben«, an ihren Händen dürfe »kein revolutionäres Blut kleben« und sie dürfen »das Volk nicht geplündert haben«. 1978 haben sich die Massstäbe dermassen gelockert, dass praktisch die ganze Nationalgarde den »neuen patriotischen Volksstreitkräften« hätte angeschlossen werden können. Nicht allein Soldaten, sondern auch Offiziere kommen jetzt in Frage, und die Bedingung beschränkt sich neben der Unterstützung der FSLN einfach darauf, dass sie »in unsere Reihen überlaufen oder sich unseren Kräften ergeben«! Offiziere der Nationalgarde: An dem Tag, an dem die Bourgeoisie und ihr Herr, der amerikanische Imperialismus, sich entschliessen, Somoza in die Wüste zu schicken, müsst ihr euch den Sandinisten ergeben, dann werdet ihr eure Posten behalten dürfen! Bis dahin könnt ihr eure Massaker weiter durchführen, ohne euch Sorgen um eure Zukunft zu machen.

Und inzwischen hat Tomás Borge, ein offizieller Vertreter der wiedervereinigten FSLN der spanischen Zeitung »El País« sogar erklärt, dass die FSLN mit der Nationalgarde
»
Gespräche führen würde, um zu einer Verständigung zu kommen, vorausgesetzt dies liegt im Interesse des nicaraguanischen Volkes«.
Als sei dies nicht genug, bietet er diesen Söldnern der Konterrevolution noch Gnade an:
»
In diesem Sinne möchte ich auf unsere weitgehende Bereitschaft zur Grossherzigkeit gegenüber unseren jetzigen oder künftigen Gefangenen hinweisen«.
Kein Kommentar.

Haltung gegenüber dem Imperialismus: Im Programm von 1969 war davon die Rede, »der amerikanischen Einmischung ein Ende zu bereiten« und »die amerikanische Militärmission wie das Friedenscorps auszuweisen«. Ein besonderer Paragraph wurde dort der Abschaffung des Chamorro-Bryan-Vertrages gewidmet, der »aus Nicaragua und anderen mittelamerikanischen Ländern ein Kolonialgebiet des US-Imperialismus macht«. Und was die Aussenverschuldung angeht, wird erklärt, dass man »die von den US-Monopolen dem Land aufgezwungenen Wucherdarlehen nicht anerkennen wird«. 1978 ist der Begriff US-Imperialismus... verschwunden und demzufolge auch die 1969 gegen ihn anvisierten Massnahmen. Um die Usancen nicht restlos zu verletzen, ist sehr verschwommen davon die Rede, »jede ausländische Einmischung« zu beenden. Wie man das tun will, und um welche ausländische Macht es im betreffenden Fall geht, darüber lässt sich das Programm nicht aus, offensichtlich um das Weisse Haus und Carter nicht vor den Kopf zu stossen. Die summarische Aufzählung einiger Äusserungen der imperialistischen Herrschaft, die es 1969 noch abzuschaffen galt, wird durch die feige Formulierung ersetzt, man werde keine Vereinbarungen anerkennen, »welche gegen unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität und unsere Würde (!) verstossen«. Mit solchen diplomatischen Erklärungen lässt man Tür und Tor für die Anerkennung aller Vereinbarungen offen. Zu den berühmten »Darlehen« - die nichts anderes sind als eine Form der imperialistischen Ausbeutung - äussert man sich überhaupt nicht mehr! Dies bedeutet natürlich nicht, dass man sie »vergessen« hätte, sondern dass man auch von diesem Punkt des Programms von 1969 entschieden Abstand nimmt. Tomás Borge erläuterte es im bereits zitierten Interview:
»
Wir haben Interesse am Ausbau von freundlichen Beziehungen zu allen Völkern und Regierungen der Welt, einschliesslich der USA, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass unsere Würde und unsere Souveränität vollkommen respektiert werden. Wir möchten, dass zwischen uns und allen anderen keine künstlichen Widersprüche bestehen bleiben« (das Joch der kolonialen Herrschaft ist ein... »künstlicher Widerspruch«!). »Ein wichtiger Aspekt in diesem Sinne ist unsere schon bei anderen Gelegenheiten geäusserte Bereitschaft, alle früher eingegangenen Verpflichtungen zu respektieren. Wir sind ohne Demagogie und ohne schrille Töne (!) bereit, Umschuldungsverhandlungen mit dem Ausland zu führen«.

Die MPU
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Obwohl es das Programm einer einzigen der drei damals existierenden Tendenzen der FSLN war, zeigte das Programm von 1978 bereits vollkommen klar das allgemeine Abgleiten des Sandinismus in eine absolute Nachtrabpolitik gegenüber der oppositionellen Bourgeoisie und dadurch auch dem Imperialismus, dessen machtlose und untertänige Kreatur diese Bourgeoisie ist. Und in der Tat wurde das Programm der MPU (Movimiento Pueblo Unido = Bewegung der Volkseinheit), auf dessen Grundlage sich die drei Tendenzen vereinigen sollten, vom Programm des Jahres 1978 deutlich geprägt.

Die MPU wurde im November 1978, also einige Wochen nach der Niederschlagung des Aufstands, gebildet. Sie entspricht voll und ganz der von den »Terceiristas« vertretenen Auffassung einer breiten Anti-Somoza-Front, d.h. eines Bündnisses mit immer breiteren Sektoren der Bourgeoisie, was schon aus ihrer Zusammensetzung hervorgeht: Fast alle beteiligten Organisationen - insgesamt sind es 25 - vertreten Studenten, Künstler, Intellektuelle, Freiberufler und andere bürgerliche Kreise, nach der Sortez.B. der Ampronac, sprich der »Vereinigung der Frauen angesichts der nationalen Problematik« (sic!).

Was die wesentlichen Punkte wie Streitkräfte und Imperialismus angeht, übernimmt das Programm der MPU die Aussagen von 1978. Zugleich bedeutet es aber einen Schritt vorwärts in der traurigen Nachtrablerlaufbahn des Sandinismus, der die MPU ohne Vorbehalte unterstützt und an der Formulierung ihres Programms offensichtlich massgebend beteiligt war. Denn es wird jetzt vieles weiter »verdeutlicht«, um der Bourgeoisie zusätzliche Garantien zu geben.

Die erste Verdeutlichung ist schon im einleitenden Satz des politischen Programms zu finden. Das Ziel ist,
»
die Somoza-Diktatur zu zerschlagen und einen Regierungswechsel herbeizuführen«.
Jeder unbequeme Hinweis auf eine revolutionäre Beseitigung der Diktatur, der ja auf einen Vorrang der Gewalt vor den schmutzigen und vom Imperialismus begünstigten Kulissenverhandlungen hindeuten könnte, wird ausgelassen. Und durch die Zielsetzung, »einen Regierungswechsel herbeizuführen«, wird die Bereitschaft, diesen Verhandlungen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und ihnen den so gepriesenen bewaffneten Kampf unterzuordnen, unter Beweis gestellt. »Zerschlagen« werden hier eigentlich nur die letzten revolutionären Anwandlungen. Denn Revolution bedeutet Zerstörung des Staates, während Regierungswechsel die Kontinuität des Staates beinhaltet.

Der folgende Absatz, der sich mit der Regierungsfrage beschäftigt, bringt eine weitere »Verdeutlichung« zur Beruhigung der Bourgeoisie. Man spricht von einer Regierung der »demokratischen Einheit«, aber nicht mehr von einer Volksregierung, denn dies würde die Bourgeoisie in Erinnerung an frühere Volksunruhen wohl unangenehm berühren. Selbst die programmatischen Formulierungen bringen zum Ausdruck, dass die Arbeiter- und Bauernmassen von der Macht und von der Politik auszuschliessen sind!

Auch dort, wo es um die rechtliche Struktur des Staates geht, findet man zwei Verdeutlichungen, die den platten reformistischen Charakter der Sandinisten unter Beweis stellen. In Punkt 3 (Demokratisierung des Landes) feiert die heute in Lateinamerika so modische »konstituierende Versammlung« ihren Auftritt, der darin bestehen soll, die »nationale Verfassung zu überarbeiten«, um ihr einen demokratischen Inhalt zu verleihen. Die Ausserkraftsetzung der Somoza-Verfassung hätte an sich zwar nichts revolutionäres, doch ist es bezeichnend, dass nicht einmal dies anvisiert wird: Sie wird überarbeitet, d.h. das Wesentliche bleibt bestehen, vor allem im Hinblick auf die Kontinuität des Staatsapparates.

In der Tat, wie wir aus dem sandinistischen Programm von 1978, das die MPU praktisch wiederholt, erfahren haben, wird die Militärhierarchie ihre Posten behalten können. Aber auch die Justiz und selbst der Richterstand, der die Somoza-Diktatur rechtlich abgesichert und unzählige Militanten und Arbeiter verurteilt hat, bleiben bestehen. Das Programm spricht lediglich davon,
»
das Justizsystem zu überarbeiten, um ihm einen demokratischen Charakter zu geben« und »die Korruption der Behörden wie die Bestechlichkeit der Richter zu beseitigen«.
Die bürgerlichen Herrschaften brauchen keine Angst zu haben. Die »sandinistische Volksrevolution« wird nichts anderes sein als ein Regierungswechsel mit einigen harmlosen Reförmchen im Gefolge.

Als sei dies alles nicht ausreichend, führt die FSLN (immer vermittels der MPU) auch auf ökonomischem Gebiet einige Verdeutlichungen derselben Sorte herbei. Dem Privatunternehmen wird die Unterstützung seitens der »Regierung der demokratischen Einheit« und die Beteiligung an der Ausarbeitung eines »industriellen Entwicklungsplans« zugesichert (Punkt 9). In der Agrarfrage (Punkt 8) wird den Utopien aus der alten Guerillazeit der Garaus gemacht. Den Grossgrundbesitzern versichert man, sie hätten die seinerzeit von der FSLN gegen sie geforderte Agrar- und Bauernrevolution nicht mehr zu befürchten. Die »vollständige Agrarreform«, die der Sandinismus nunmehr durch die MPU verlangt, wird den Grossgrundbesitzern sogar helfen! Als Krönung der sieben Massnahmen, aus denen diese Reform (deren Kernpunkt wie immer die Enteignung des Somoza-Grundbesitzes ist) bestehen soll, wird in einem besonderen Punkt emphatisch erklärt, dass »der Staat allen Produzenten (den grossen, mittleren und kleinen) Kredite gewähren wird«. Hier sind die ehemaligen Apostel der antiimperialistischen Bauernrevolution gelandet!

Die Laufbahn des Sandinismus, seine Entwicklung von der Guerilla, die vor allem die Bauernschaft für den Kampf gegen den Imperialismus und den Grossgrundbesitz mobilisieren wollte, zu einem blossen Anhängsel des bürgerlichen demokratischen Reformismus (der seinerseits vom US-Imperialismus offen unterstützt wird) hat eine allgemeine Bedeutung. Schon Kuba und der Castrismus hatten in ihrer Entwicklung den Bankrott des kleinbürgerlichen demokratischen Radikalismus in Lateinamerika gezeigt. Der Sandinismus erbringt hierfür eine zusätzliche Bestätigung. Selbst wenn sie die bewaffnete Gewalt befürworten, sind die Kräfte, die sich auf den Boden der Demokratie stellen, in der heutigen Epoche dazu verurteilt, sich bewusst oder unbewusst in ein Instrument des konterrevolutionären Manövers zu verwandeln. Eines Manövers, das vom Imperialismus und dessen Komplizen, den einheimischen Bourgeoisien, geführt wird und das darin besteht, die Demokratisierung der verschiedenen »Diktaturen« als ein Hilfsmittel für den Schutz der jeweiligen Staaten vor den sozialen Ausbrüchen zu benutzen, die - im wesentlichen vom Proletariat geprägt - sich infolge der Weltkrise zwangsläufig ereignen werden.

Der Bankrott des kleinbürgerlichen Radikalismus ist zugleich ein Aufruf zur einzigen konsequenten revolutionären Aufgabe - zur Vorbereitung der proletarischen und kommunistischen Revolution im Massstab des ganzen Kontinents, wofür aber die Partei, die sich nur in diametraler Opposition zur Demokratie und all ihren Parteien bilden kann, das unabdingbare Instrument ist. Allein diese programmatische Perspektive kann den Aufruhr der revolutionären proletarisierten und bäuerlichen Massen zum Bestandteil eines erfolgreichen weltweiten Kampfes für den Sturz des Imperialismus und seiner lokalen Verbündeten machen, Sie allein kann die aufrichtigen Revolutionäre, die sich von den sandinistischen »Heldentaten« täuschen liessen, davor schützen, dass sie ihren unbestreitbaren Mut, ihre unbestreitbare Entschlossenheit und Energie und selbst ihr Leben vergeblich einsetzen oder - was noch viel schlimmer ist - für die Sache des Feindes missbrauchen lassen.

Notes:
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  1. Siehe den Artikel »Der Kampf der nicaraguanischen Massen«, in »El Proletario« vom Dezember 1978. [back]

Source: »El Proletario«, Mai 1979, deutsch in: »Kommunistisches Programm«, Nr. 25/26, Juli 1980

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