Zur Entstehung der buergerlichen Gesellschaft in Indochina
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ZUR ENTSTEHUNG DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT IN INDOCHINA
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Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in Indochina
Die vielfachen Revolutionen
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Zur Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in Indochina
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»Der Weltkapitalismus und die russische Bewegung des Jahres 1905 haben Asien endgültig wachgerüttelt. (...) Das Erwachen Asiens und der Beginn des Kampfes des fortgeschrittenen Proletariats Europas um die Macht kennzeichnen die neue Ära der Weltgeschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts angebrochen ist« (Lenin, 7. Mai 1913).

Nach den schrecklichen Niederlagen der 20er und 30er Jahre verliess die revolutionäre Bewegung des Proletariats die Bühne der Weltgeschichte, die sie nach langen Jahrzehnten erst demnächst wieder betreten wird. Das Erwachen der kolonialen und halbkolonialen Welt, das nach dem 2. Weltkrieg, von einem Brennpunkt in China ausgehend, in mannigfacher Form ganz Asien in seinen Bann schlug und wellenartig auf Nord- und Schwarzafrika und auf Lateinamerika übergriff, diese Bewegung von einer ungeheuren geschichtlichen Bedeutung konnte sich deshalb nicht mehr als Bestandteil der proletarischen Weltrevolution vollziehen.

Bevor wir in einer der nächsten Nummern dieser Zeitschrift auf den nunmehr weitgehend abgeschlossenen »Zyklus der nationalen und antikolonialen Revolutionen« insgesamt eingehen und dessen Bilanz ziehen, veröffentlichen wir in dieser Ausgabe einen Aufsatz über diese bürgerlich-nationale Revolution in Vietnam und Kambodscha, dem ein kürzeres Kapitel über die Entwicklung in Laos und über die nachrevolutionären Kriege in Indochina (Vietnam gegen Kambodscha, China gegen Vietnam) folgen wird.

Nach der chinesischen stellte die vietnamesische Revolution wie kaum eine andere einen Bezugspunkt für all jene Gruppen dar, die in den westlichen Ländern - die bei lebendigen Leibe verfaulten, während die »Dritte Welt« wie ein Vulkan brodelte - aus den studentischen Unruhen hervorgingen oder an ihnen eine Wiederauferstehung feierten. Von diesen Revolutionen übernahmen sie ihren »Marxismus«, der nichts anderes war, als das vom wirklichen Marxismus seit Beginn des Jahrhunderts entlarvte »kommunistische Mäntelchen«, mit dem sich die nationalen bürgerlichen Parteien der Kolonialländer zu umhüllen versuchten. Nach dem Abschluss des Zyklus der antikolonialen Bewegung musste sich das Mäntelchen an der Wirklichkeit zerfetzen. Selbst wenn sie sich z.B. mit »Internationalismus« schmücken, können nationale Revolutionen nicht zur »sozialistischen Verbrüderung« führen - sie führen zwangsläufig zur Zuspitzung nationaler Gegensätze und zur Einordnung in die imperialistische Weltordnung. Jene, die an dem Mäntelchen wie an Mutters Rock hingen, wurden ungeschützt einer »traurigen« und »enttäuschenden« Wirklichkeit preisgegeben, die zu verstehen sie nicht imstande sind.

Faktisch verhält sich alles umgekehrt. Die politische Bewegung des »Onkel Ho« war (wie der Maoismus in China) weit trauriger und enttäuschender als der Mythos, den sich die westlichen »Linken« seinerzeit fabrizierten, während die Wirklichkeit, zu deren Entstehung sie trotz Kompromisslertum und Zaghaftigkeit beitrug, alles andere als traurig und enttäuschend ist. Vom nationalen bürgerlichen Zyklus konnte man keine besondere Radikalität und Konsequenz erwarten. Er wurde von nationalen Bourgeoisien geführt, welche Gegner, zugleich aber soziale Komplizen des Imperialismus sind, in dem sie zwar den Henker, zugleich aber das soziale Vorbild erblicken. Doch selbst wenn er nicht all seine Aufgaben hat zu Ende führen können - man denke allein an die Agrarfrage –, ist dieser revolutionäre Zyklus vollendet. Vom neuen revolutionären Zyklus, der sich nunmehr in Asien eröffnen wird, kann man und muss man hingegen alles erwarten - er wird unter proletarischem, internationalem wie internationalistischem Vorzeichen stehen.

Wir möchten daher diese Arbeit über Indochina mit einer kurzen Schrift, mit der stichwortartigen Zusammenfassung einer Arbeitsversammlung der Partei vom 26. April 1953 in Genua, einleiten. Hier wie in vielen anderen Schriften der letzten 35 Jahre - Kampfschriften des Marxismus gegen den Indifferentismus wie gegen die ideologische und praktische Prostitution - wird die Welle der antikolonialen Bewegung nach dem 2. Weltkrieg in der internationalen Geschichte des Kapitalismus geortet - die unerhörte Tragweite und die Grenzen dieser Bewegung sind damit zugleich gegeben.

Die vielfachen Revolutionen
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1. Die Position der Kommunistischen Linke wird nicht allein durch die Ablehnung eines eklektischen Taktierens der Partei deutlich gekennzeichnet. Sie hebt sich nicht minder von einer grob verflachenden Auffassung ab, die im Laufe des ganzen Kampfes immer wieder und überall einen einzigen Dualismus, nur zwei konventionellen Klassen handeln sieht. Die Strategie der modernen proletarischen Bewegung verfügt über genaue und feste Richtlinien, die für alle Hypothesen zukünftiger Aktionen Geltung haben und mit den verschiedenen geographischen Gebieten der bewohnten Erde wie mit den jeweiligen historischen Zyklen in Zusammenhang zu bringen sind.

2. Das erste Gebiet ist das englische. Aus der Untersuchung des Kräftespiels in diesem klassischen Gebiet hat der Marxismus die Laufbahn der sozialistischen Revolution zum ersten Mal und unwiderruflich theoretisch abgeleitet. Seit 1688 hatte die bürgerliche Revolution die Feudalmacht beseitigt und die feudalen Produktionsformen rasch ausgemerzt; seit 1840 war es möglich, die marxistische Auffassung über die Verhältnisse zwischen drei wesentlichen Klassen auszuarbeiten: dem bürgerlichen Grundbesitz, dem Industrie-, Handels- und Finanzkapital und dem gegen die beiden anderen Klassen kämpfenden Proletariat.

3. Im westeuropäischen Gebiet (Frankreich, Deutschland, Italien und weitere kleinere Länder) erstreckte sich der bürgerliche Kampf gegen den Feudalismus von 1789 bis 1871. Soweit die Bourgeoisie mit Waffengewalt kämpfte, um die Feudalmacht umzustürzen, stand in den revolutionären Situationen im Laufe dieser Entwicklung das Bündnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf der Tagesordnung. Allerdings haben die Arbeiterparteien schon damals jede ideologische Verschmelzung mit den ökonomischen und politischen Apologien der bürgerlichen Gesellschaft zurückgewiesen.

4. Durch den Sieg der Nordstaaten über die Sklavenhalter des agrarischen Südens wurden 1866 in den USA unreine kapitalistische Formen beseitigt. Seitdem befinden sich die USA in derselben Lage wie Westeuropa seit 1871. In diesem gesamten euroamerikanischen Gebiet lehnen die radikalen Marxisten seit 1871 jedes Bündnis und jeden Block mit bürgerlichen Parteien - auf welchem Boden auch immer - ab.

5. Die Situation vor 1871 wie unter Punkt 3 dauerte in Russland und in anderen osteuropäischen Ländern bis 1917. Hier stellte sich das Problem wie 1848 in Deutschland: der Kampf für zwei Revolutionen und also auch für die Aufgaben der kapitalistischen Revolution. Die Bedingung für einen direkten Übergang zur zweiten, zur proletarischen Revolution war die politische Revolution im Westen. Diese blieb aus; allein dem russischen Proletariat gelang es, die politische Macht zu erobern und sie einige Jahre zu behalten.

6. Die Ablösung der feudalen Produktionsweise durch die kapitalistischen Produktions- und Austauschverhältnisse kann heute im europäischen Gebiet des Orients als abgeschlossen betrachtet werden. Im asiatischen Gebiet ist die Revolution gegen den Feudalismus und sogar gegen noch ältere Gesellschaftsordnungen hingegen voll im Gange und sie wird von einem revolutionären Block aus bürgerlichen, kleinbürgerlichen und werktätigen Klassen geführt.

7. In unserer inzwischen sehr ausführlichen Untersuchung haben wir gezeigt, dass die Versuche einer doppelten Revolution zu verschiedenen historischen Ergebnissen geführt haben: Teilsieg und vollständiger Sieg; militärische Niederlage begleitet von einem Sieg auf sozialökonomischen Gebiet und umgekehrt. Die Lehre aus den Halbrevolutionen und Konterrevolutionen ist dabei von grundlegender Bedeutung für das Proletariat. Führen wir zwei klassische Beispiele an. Deutschland nach 1848: doppelte militärische Niederlage (der Bourgeoisie und der Proletarier), sozialer Sieg der kapitalistischen Form und allmähliche Festigung der bürgerlichen Macht. Russland nach 1917: doppelter militärischer Sieg (der Bourgeoisie und der Proletarier; Februar und Oktober), soziale Niederlage der sozialistischen Form, sozialer Sieg der kapitalistischen Form.

8. Russland hat heute - zumindest im europäischen Teil - einen vollständig kapitalistischen Produktions- und Austauschmechanismus. Dessen soziale Funktion äussert sich politisch in einer Partei und Regierung, die alle möglichen Bündnisstrategien mit bürgerlichen Parteien und Staaten des westlichen Gebiets praktiziert hat. Das politische System Russlands ist ein direkter Feind des Proletariats und ein Bündnis mit ihm ist ausgeschlossen, obwohl der Sieg der kapitalistischen Produktionsweise in Russland ein unbestreitbar revolutionäres Ergebnis darstellt.

9. In den Ländern Asiens, in denen noch eine lokalbeschränkte, patriarchalische und feudale Agrarwirtschaft vorherrscht, trägt auch der politische Kampf der »vier Klassen«, selbst wenn daraus unmittelbar nur nationale und bürgerliche Mächte hervorgehen, zum Sieg des internationalen kommunistischen Kampfes bei, sei es weil dadurch neue Gebiete für den Kampf um die weitergehenden sozialistischen Forderungen erschlossen werden, sei es infolge der Schläge, die diese Aufstände und Revolten dem euroamerikanischen Imperialismus versetzen.

(Aus »Sul Filo del Tempo«, »I. Le rivoluzione multiple - II. La rivoluzione anticapitalista«, Mai 1953)

Siehe die folgenden beiden Artikel:
»Die Bildung des vietnamesischen Nationalstaates«
»Nationale Revolution und Untergang Kambodschas«

Source: »Kommunistisches Programm«, 1980, Nr.25/26, S.36f

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