IBKL – Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken
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DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI ITALIENS UND DIE FASCHISTISCHE OFFENSIVE (II)


Content:

Die Kommunistische Partei Italiens und die faschistische Offensive (II)
Die Wiederaufnahme der faschistischen Offensive und der Friedenspakt
Gegen den faschistischen Frieden
Gegen den Friedensschluss
Die Kommunistische Partei und die ›Befriedung‹
Die »Arditi del Popolo«
Die Politik der Kommunistischen Partei steuert geradlinig und klar auf ihr Ziel zu: die Revolution
Taktisches Problem oder Theoretischer Luxus
Der Wert der Isolierung (Auszug)
Der Monat der Schmach
Kein Burgfrieden
Das Rundschreiben Bonomi: die Sozialisten sind bedient!
Der Abwesende
Kampf an allen Fronten
Der Wert der Isolierung (Auszug)
Beziehungen zu anderen Parteien und zu gewerkschaftlichen Organisationen
Die Zweite Welle
Gegen die Offensive der Reaktion
Was also ist der Faschismus
Der Faschismus
Noch einmal über das faschistische Programm
Das faschistische Programm
Es lebe die Regierung der Revolution
Von der Regierung
Anmerkungen
Source



Die Kommunistische Partei Italiens und die Faschistische Offensive (1921–1924) (II)

Die Wiederaufnahme der faschistischen offensive und der Friedenspakt

In ihrer unheilbaren Blindheit (wenn man sich so freundlich ausdrücken will) hatten sich die Sozialisten eingebildet, dass die faschistischen Gewalttaten mit den Wahlen vom Mai 1921 zurückgehen würden. Nachdem die Faschisten auf den Listen des »Nationalen Blocks« – ein geschicktes »Manöver« Giolittis – kandidiert hatten und 35 von ihnen – darunter auch der Duce – ins Abgeordnetenhaus gewählt worden waren, glaubten die immer noch optimistischen (!) Sozialisten, dass Mussolini sich läutern würde und dass es unter den Fittichen von Vater Staat mit dem ehemaligen Sozialisten Bonomi[14] an der Regierung zu einer allgemeinen Befriedung käme. In Wirklichkeit jedoch entfesselte sich, nach einer kurzen Pause, im Juli schon wieder eine erneute faschistische Offensive gegen das Proletariat, in deren Verlauf es unter anderem zu folgenden Angriffen kam: Am 9. Juli Besetzung Viterbos durch die Faschisten; am 13. Angriff auf Treviso sowie 5 Ermordungen in Fassola di Carrara und 3 in Livorno; am 21. blutige Zusammenstösse in Sarzana; am 25. ein Massaker in Roccastrada, das 13 Tote forderte. Laut einer optimistischen Bilanz sollen allein in der ersten Hälfte des Jahres 17 Arbeiterzeitungen zerstört und 59 Volkshäuser, 110 Arbeitsbörsen, 83 Sitze von Landarbeitervereinen sowie 151 Zirkel und Sitze von proletarischen Parteien überfallen und in Brand gesetzt worden sein. Und was treiben die Sozialisten währenddessen? Sie verhandeln mit den Faschisten, und je grausamer sich die Angriffe der schwarzen Banden gestalten, um so eiliger haben sie es, zu einem Ergebnis zu kommen. Das mag unerhört klingen, ist aber leicht erklärlich: Die Sozialisten sind Parlamentarier, und da die Faschisten nunmehr auch in der Abgeordnetenkammer vertreten sind, bilden sie sich ein, sie durch Gespräche von »Abgeordnetem zu Abgeordnetem« zur Vernunft bringen zu können. Kurz und gut, sie bilden sich ein, mit Hilfe einiger Manöver hinter den Kulissen, sozusagen bei einem Stehkaffee in den Fluren des Montecitorio (Abgeordnetenhaus) ein historisches Phänomen wie die vorbeugende bürgerliche Konterrevolution parlamentarisch auffangen und dadurch neutralisieren zu können.

In der Tat steuerte der Faschismus auf eine Metamorphose zu. Nur war diese Veränderung, der er entgegenging, das genaue Gegenteil von dem, was die Sozialisten vorausgesehen und sich so innigst erhofft hatten. Hatte der Faschismus bislang ein ziemlich loses Netz von schlecht zu disziplinierenden Sturmtrupps und Aktionsgruppen gebildet, die auf lokaler und regionaler Ebene handelten und in vielen Fällen noch den Anspruch stellten, eine »Neuerungs-« oder gar eine revolutionäre Bewegung zu sein[15], so war er jetzt dazu übergegangen, sich in eine frischgebackene, zentralisierte Partei zu verwandeln, was im November 1921 durch die Gründung der nationalen faschistischen Partei PNF verwirklicht wurde. Diese Partei ist nicht nur legalistisch und parlamentarisch wie alle anderen, sondern auch illegal und macht offenen Gebrauch von den Waffen. Zugleich aus Abgeordneten und Gorillas, aus Gentlemen mit Klappzylindern und Lumpen mit schwarzen Hemden bestehend, weist sie als erste bürgerliche Partei der jüngeren Geschichte jenes doppelte Gesicht auf, welches der doppelten Funktion des bürgerlichen Staates mit seiner Fassade der politischen Demokratie und seiner wirklichen Funktion der Klassenrepression entspricht. Als solche Partei meldet sie ihren Regierungsanspruch an. So wie sie ist, stellt sie die vereinigte Partei der Bourgeoisie dar. Sie ist bereit und in der Lage, dem Staat einen zusätzlichen repressiven und bürokratischen Apparat zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung darf sie die Macht völlig legal übernehmen. Sie bedarf hierfür nicht der hinausposaunten »Revolution«. Den Marsch auf Rom kann sie 1922 gemütlich im Schlafwagen absolvieren, in der ruhigen Gewissheit, dass sie, einmal an der Macht, mit der Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der traditionellen demokratischen Parteien von Regierung und Opposition rechnen kann.

Sicherlich vollzog sich jene Metamorphose des Faschismus nicht ohne einigen Widerstand seitens der Basis, die noch der ursprünglichen »Reinheit« der faschistischen Aktionsgruppen versonnen nachhing. Da es sich hierbei jedoch um eine Umwandlung handelte, die unvermeidlich war, setzte sie sich ganz entschieden durch, indem sie alle Hindernisse, die im übrigen nur die Qualität von Pappmaché aufwiesen, beiseite fegte. Wenn also nach dem Versuchsballon eines versöhnenden Meinungsaustausches zwischen den werten Kollegen Mussolini, Baldesi und Turati zwei Paare von Parlamentariern, die die zwei Seiten vertreten (Acerbo und Giuriati für die Faschisten und Ellero und Zaniboni für die Sozialisten) Anfang Juli im Montecitorio ihre »Privatverhandlungen« im Hinblick auf eine Versöhnung und eine gegenseitige Entwaffnung aufnahmen, so bedeutete dies alles keineswegs, dass der Faschismus etwa bereit gewesen wäre, den Boden der Gewalt zu verlassen. Vielmehr unternahm er jene Gespräche, weil er im Parlament den idealen Boden gefunden hatte, um eine Rückendeckung für seine eigene bewaffnete Aktion zu gewinnen. So war es ihm auch möglich geworden, sich ein Alibi für seine demokratische Würde zu schaffen und gleichzeitig die Proletarier zu desorientieren (d. h. in der Praxis, sie zu entwaffnen) und zumindest der Sozialistischen Partei und ohne weiteres auch der »Confederazione del Lavoro« mit den Fesseln der Legalität die Hände zu binden. Im Schatten der Verhandlungen entfesselt er dann seine Gewalttaten. Und je grausamer sich die Angriffe der schwarzen Banden ausnehmen, um so ängstlicher sind die sozialistischen Unterhändler darauf bedacht, zu einem Ergebnis zu kommen. Als der Friedenspakt dann endlich abgeschlossen ist, wird die Schuld für das jeweilige Verletzen dieses Abkommens ganz einfach der anderen Seite zugeschoben… und schon kann sich die Gewalt »legitimiert« und geheiligt von neuem entfesseln. Ein Spielchen, würdig des Montecitorio, aber mit sicherem Erfolg.

Der Monat, den die Sozialisten in ihrer Einfältigkeit (wenn wir immer noch diese wohlwollende Einschätzung gelten lassen wollen) für den Monat einer »Läuterung« Mussolinis und einer allgemeinen Befriedung unter dem Schutz von Vater Staat und seinem turnusmässigen Führer, dem ehemaligen Sozialisten Bonomi, hielten, erwies sich in der Tat, wie wir eingangs gesehen haben, als ein Monat der erneuten antiproletarischen Offensive. Die Sozialisten merken, dass sie den Boden unter den Füssen verlieren, aber anstatt jeden Schlag der Faschisten mit einem Gegenschlag zu vergelten, beschleunigen sie die Verhandlungen für… den sozialen Frieden!

Die Verhandlungen wurden von den Vertretern der PSI im typischen Stil der alten Partei geführt: Allein die Eingeweihten wissen, dass die Parteiführung mit ihnen völlig einverstanden ist; nach aussen hin, also für das Publikum, werden sie als inoffiziell ausgegeben und mal dementiert, mal bestätigt, mal »richtiggestellt«. Die »roten« Schacherer gehen sogar so weit, das unverschämte Gerücht zu verbreiten, dass die Kommunistische Partei Italiens sich an den Verhandlungen beteiligen würde. Das führt natürlich wiederum dazu, dass ihre »schwarzen« Kollegen den sofortigen Abbruch der Verhandlungen androhen, sollte jemals die PCI bei diesem Spiel zugelassen werden. Die Exekutive der PCI veröffentlichte ihrerseits, noch bevor das schändliche Abkommen geschlossen wurde, in »Il Comunista« vom 10. und 21. Juli die folgenden Erklärungen:

»GEGEN DEN FASCHISTISCHEN FRIEDEN«

»Da sie die kommunistischen Prinzipien und die kommunistische Taktik vertritt, braucht die Kommunistische Partei Italiens nicht erst zu erklären, dass sie mit den von den Sozialisten zugegebenen und nur im Hinblick auf die aus gehandelten Bedingungen dementierten Vereinbarungen zwischen Sozialisten und Faschisten nichts zu tun hat. Sie prangert vor dem Proletariat die Haltung der Sozialisten an und wird deren niederträchtige Bedeutung noch illustrieren.
Laut bislang nicht dementierten Gerüchten soll sich die »Confederazione del Lavoro« die Aufgabe gestellt haben, bei den Verhandlungen und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen auch die in ihren Reihen gewerkschaftlich organisierten Kommunisten zu vertreten. Die KP Italiens erklärt es für absurd, dass die Gewerkschaftsführer den Anspruch haben, auf der Ebene einer rein und eindeutig politischen Aktion die kommunistische Minderheit zu vertreten, die in den Reihen der Gewerkschaften gerade mit dem Ziel kämpft, die opportunistische und konterrevolutionäre Orientierung dieser Führer zu besiegen.«

»GEGEN DEN FRIEDENSSCHLUSS«

»Auch wenn es jedem, der die programmatischen Richtlinien des Kommunismus auch nur im entferntesten kennt, überflüssig scheinen mag, besteht die Kommunistische Partei darauf, zu den Presseveröffentlichungen über den sogenannten Friedensschluss zwischen den Parteien die folgenden kurzen und erschöpfenden Erklärungen abzugeben.
Weder auf nationaler noch auf lokaler Ebene beteiligen sich die Kommunisten an Initiativen für eine ›Befriedung‹ oder ›Entwaffnung‹, noch werden sie dies jemals tun, egal ob diese Initiativen nur von Regierungsstellen oder irgendeiner politischen Partei ausgehen.
Die in diese Richtung laufende Erklärung der sozialistischen Partei wurde ohne weiteres zurückgewiesen.
Die Verlautbarung einer politischen Strömung, nicht mit den Kommunisten verhandeln zu wollen, wirkt geradezu lächerlich, da die Kommunisten niemals die absurde Absicht geäussert haben, auf dieser Ebene mit irgendjemandem einen Pakt zu schliessen.
Wo nötig, hat auch diese Mitteilung den lokalen Organisationen der Partei als Anweisung zu gelten.«

Aber das parlamentarische Karussell drehte sich, und am 3. August unterzeichneten die Vertreter der PSI-Führung (mit dem Sekretär Giovanni Bacci an der Spitze) sowie die Vertreter der Parlamentsfraktion und der CGL zusammen mit den Vertretern des Nationalrats der faschistischen Aktionsgruppen und der von Mussolini geführten faschistischen Parlamentsfraktion den berühmten Friedenspakt. Dieses Abkommen, bei dessen Taufe der Kammerpräsident De Nicola Pate stand (er zeichnete es auch gegen), enthielt folgende wesentliche Punkte:
»Die oben genannten Vertretungen verpflichten sich, sofort zu handeln, damit Drohungen, Tätlichkeiten, Repressalien, Strafaktionen, Racheakte, das Ausüben von Druck sowie persönliche Gewalttaten jeglicher Art sofort aufhören.
Die Abzeichen, Embleme und Wappen werden gegenseitig respektiert (man staune, womit sich diese Herren nicht alles beschäftigen in einer Epoche heftigster Kämpfe!).
Die Parteien verpflichten sich, ihre Wirtschaftsorganisationen gegenseitig zu respektieren
(also Anerkennung der entstehenden faschistischen Gewerkschaften seitens der CGL und der PSI!).
Jede Aktion und jedes Verhalten in Verletzung dieser Verpflichtung und dieses Abkommens wird schon jetzt von den jeweiligen Vertretungen verurteilt und bedauert.«

Noch am selben Tage gab die Führung der PSI eine scheinheilige Erklärung ab, die sich an die desorientierten Genossen an der »Basis« richtete. Hierin hiess es:
»Es handelt sich in keiner Weise darum, die Propaganda und Aktion zu verleugnen, welche die Partei seit Jahren im Rahmen einer friedlichen Auseinandersetzung um Ideen und Positionen bei hellichtem Tage und in aller Öffentlichkeit durchgeführt hat. Noch weniger handelt es sich um irgendeinen Verzicht auf die Propaganda- und Organisationsfreiheit oder auf jedwede schriftliche oder mündliche, ausdrückliche oder symbolische Äusserung ihrer eigenen Ideale«… usw.
Die Sozialisten tun also gerade so, als ob die Versöhnung mit dem Klassenfeind nicht eine offene »Verleugnung« der eigenen klassenmässigen »Vergangenheit« wäre. Sie tun so, als wäre es möglich, nicht auf die »Propagandafreiheit« zu verzichten, wenn man auf jene höchste Form der »Propaganda« nämlich den Kampf, verzichtet! Um aber das Mass vollzumachen, verpflichtete sich die Führung dazu,
»auch in diesem Augenblick gemäss den Prinzipien und der Tradition der PSI für die Wiederherstellung des normalen Lebens zu arbeiten, damit die freie Entwicklung der friedlichen Kämpfe gesichert sei..!«

Genau in jenen Tagen, wo die Verhandlungen zwischen den Sozialisten und den Faschisten stattfanden, tagte in Moskau der III. Kongress der Komintern, an dem auch jene drei »Pilger« der PSI, die dort freilich hart angegriffen wurden, teilnahmen. Als Vertreter einer Partei, die mit der Unterschrift ihres Sekretärs für ein derartiges Abkommen bürgte, hätte man es ihnen nicht einmal erlauben dürfen, auf dem Kongress für ihre Aufnahme in die Internationale einzutreten. Und einmal diese Pilger nach Hause geschickt – wie dies auch geschah – durfte man nicht die Möglichkeit offenlassen, die PSI in die Internationale aufzunehmen, auch nicht unter der Bedingung, dass sie die »Teilnehmer der reformistischen Konferenz von Reggio d’Emilia und deren Anhänger« (d. h. den rechten Flügeln Turatis) ausschliessen würde. In der Tat, was unterschied noch die Maximalisten von den Reformisten, jetzt, wo sich erstere ausdrücklich in Form des Friedenspaktes die Ideologie des Sozialpazifismus zu eigen gemacht hatten und die »private Gewalt« der Parteien und Klassen verurteilten, während sie die »öffentliche« Gewalt des Staates akzeptierten? Sie unterschieden sich in nichts mehr von den Reformisten, für die der Staat ja noch nie ein Organ der Klassenunterdrückung, sondern ein über den Klassen schwebendes metaphysisches Wesen, eine Art guter Familienvater gewesen war. Zur Verteidigung der PSI zu behaupten, dass das Friedensabkommen sofort in den Papierkorb wanderte, hat gar keinen Sinn, erstens weil nicht die PSI, sondern der Gegner es zerfetzte, zweitens weil schon allein die Tatsache, dass die PSI dieses Abkommen geschlossen hatte, nicht unter dem Blickwinkel der Moral oder der Ästhetik, sondern in der Praxis eine offene Sabotage des blutigen proletarischen Widerstands, einen Beitrag zur Desorientierung und Entwaffnung des Proletariats und den eindeutigen Beweis für die defätistische Haltung der PSI bedeutete.

Um der unverschämten Lügenkampagne ein Ende zu bereiten, veröffentlichte die Zentrale der PCI am 7. August in »Il Comunista« die folgende Erklärung:

»DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI UND DIE ›BEFRIEDUNG‹«

»Erklärung des Exekutivkomitees
Um jegliches Missverständnis, das die Pressenachrichten der letzten Tage über die Initiativen für die sogenannte ›Befriedung‹ hervorrufen könnten, auszuräumen und die politischen Verantwortlichkeiten klar abzugrenzen, veröffentlicht das Exekutivkomitee der KP Italiens den folgenden Telegrammaustausch:
›An die Führung der Sozialistischen Partei – Rom
Mailand, den 27. Juli 1921 – dringend
Um zu unterbinden, dass ihr weiterhin vom Namen unserer Partei willkürlich Gebrauch macht, machen wir euch mit der Bitte um telegraphische Bestätigung die offizielle und direkte Mitteilung, dass wir an keinem Parteitreffen teilnehmen werden, das sich die Befriedung oder Entwaffnung zum Ziel setzt. Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei.‹

›An die Exekutive der Kommunistischen Partei – Mailand
Rom, den 27. 07. 1921
Wir haben nicht die Gewohnheit, mit Tricks zu arbeiten. Unser Vorschlag bedeutet keinen willkürlichen Gebrauch des Namens eurer Partei, noch desjenigen irgendeiner anderen. Wir nehmen eure uns erst heute zugestellte offizielle Mitteilung, dass ihr an keinem Parteientreffen mit dem Ziel der Befriedung teilnehmen werdet, zur Kenntnis. Bacci.‹

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei fügt dem hinzu, dass es der Führung der Sozialistischen Partei bekannt sein musste, dass unsere Partei sich nicht an den erwähnten Initiativen beteiligen würde. Dies ging sowohl aus den veröffentlichten offiziellen Erklärungen als auch aus der Mitteilung hervor, die die kommunistische Parlamentsfraktion diesbezüglich schon vor etlichen Tagen der sozialistischen Parlamentsfraktion gemacht hatte, als diese sie zu derartigen Praktiken offiziell eingeladen hatte. Dies ganz abgesehen von der Schnelligkeit, mit welcher diejenigen, welche noch vor wenigen Monaten in der Kommunistischen Internationale waren, deren grundlegende programmatische und taktische Richtlinien vergessen haben.
Das Exekutivkomitee.«

Das Unglück aber bestand darin, dass die Internationale es noch immer für möglich hielt, diese Leute als verlorene Söhne anzusehen, denen man unter der Bedingung die Türen öffnen könnte, dass sie die gebührende Reue zeigen, und das hiess nur Ausschluss der Rechten,… um selbst weiterhin rechts zu bleiben. Aber auf diesem Punkt werden wir an anderer Stelle zurückkommen.

Die »Arditi del Popolo«

Die Frage der Arditi del Popolo ist in der damaligen Polemik, vor allem aber auch in der ultrademokratischen Literatur der falschen Kommunisten von heute so oft wiedergekäut worden, dass es angebracht ist, hier in groben Zügen an die Ursprünge, das »Programm« und die Entwicklung jener bunt zusammengewürfelten Gruppierung zu erinnern, die – wie so viele andere ähnliche Gruppen – aufgrund der damals nicht nur in Italien, sondern leider international herrschenden Verwirrung Blüten treiben konnte.

Die Bewegung der Arditi del Popolo entstand in der Periode der Suche nach einer neuen Regierung Ende Juni 1921, als die Bourgeoisie nach dem Fall Giolittis für kurze Zeit unentschieden zwischen zwei Wegen schwankte. Der eine bestand in einer Neuauflage der faschistenfreundlichen Politik Giolittis, die dieser hinter einem Programm der »Integration« des faschistischen Bandentums in die »demokratische Legalität« verborgen hatte. (Diese Lösung setzte sich dann durch, als Ivanoe Bonomi, der Vater aller späteren »neuen Wege« zum… Sozialismus, zum Ratspräsidenten gewählt wurde.) Die zweite Möglichkeit bestand in einem politischen Manöver, das man heute Mitte-Links-Koalition bezeichnen würde. Nicht minder entschlossen, der Arbeiterbewegung energisch entgegenzutreten (hatte nicht gerade Nitti, der diese zweite Alternative verkörperte, die königlichen Garden ins Leben gerufen?), hätte diese Koalition aber eher dazu geneigt, die Verteidigung der hochheiligen demokratischen Institutionen ausschliesslich seiner Majestät dem Staat und nicht einem Monopol der Schwarzhemden, die »alles selbst machen« wollten, anzuvertrauen.

Die Bewegung der Arditi del Popolo entstand trotz der anders lautenden hochgestochenen Phrasen, mit denen sie sich umgab, wohl bemerkt nicht als eine »Volksbewegung«, sondern sie ging, versehen mit dem Segen gerade der Anhänger Nittis und ihres Presseorgans »Il Paese«, aus einer Spaltung innerhalb der »Führungsspitze« der Vereinigung der Arditi d’Italia[16] hervor. Es handelte sich hierbei um eine Organisation, die eine Art Gralshüter jener von D’Annunzio vollkommen verkörperten »Werte« des heroischen Individualismus und des kriegshetzerischen Patriotismus war. Diese Arditi umfassten – wie zu den »schönen Zeiten« der »Rede von Quarto« oder des Unternehmens von Fiume[17] – die verschiedensten Anhänger des Kriegsinterventionismus, entwurzelte Kleinbürger, Anhänger des Mazzinismus und Syndikalismus, Faschisten und Halbanarchisten, Glücksritter und sogar Polizisten. Kurzum, in diesen Arditi hatte man eine ganze Palette von Menschen, ob jung oder alt, vor sich, die in jenem Klima der Kriegsbegeisterung und dann der Nachkriegsenttäuschungen gross geworden waren. Von den zweifellos guten Absichten oder der persönlichen Aufrichtigkeit einzelner Anhänger wollen wir hier einmal absehen. Nachdem sich von der Gruppe, die wir als links bezeichnen werden, zunächst eine rechte Gruppe und dann eine Gruppe von Faschisten (mit der die erste nichts zu tun haben will, »solange sie die Arbeitskammern und andere Arbeitervereinigungen zerstören«) getrennt hatten, entstand aus der übrigen Gruppe am 2. Juli unter der Führung des ehemaligen Oberleutnants Argo Secondari die eigentliche Bewegung der Arditi del Popolo. Ihr provisorischer Sitz befand sich in zwei Räumen des Palazetto Venezia, die ihnen eine interessante Einzelheit – von der »Nationalen Vereinigung der Frontsoldaten«, jener anderen Perle der… progressiven Szene, wie man heute sagen würde, zur Verfügung gestellt wurden. Kurze Zeit danach, am 10. Juli, hatten die Arditi del Popolo ihren ersten öffentlichen Auftritt, bei dem sie in der Hauptstadt eine öffentliche Veranstaltung abhielten und eine Militärparade organisierten.

Aber lassen wir einmal den Hauptbeteiligten, Argo Secondari, zu Worte kommen. In einem Interview mit dem »Ordine Nuovo«[18] vom 12. Juli 1921 erinnerte der ehemalige Oberleutnant daran, wie sich die Arditi »sofort nach dem Waffenstillstand als Reaktion gegen das Dekret über die Auflösung der Sturmbataillone« (an die sich die Proletarier in Uniform nur allzu gut erinnern konnten!) zu einer Vereinigung zusammengeschlossen hatten. Er erinnerte daran, dass die Arditi während des Krieges »den tatkräftigsten Beitrag zu den militärischen Operationen« geliefert und »mit ihrem Heldenmut ein zweites Caporetto verhindert« hatten (für eine »Volksbewegung« ist dies ein echter Ruhmestitel!). Ihnen war »jener anfängliche Schwung des italienischen Heeres« zu verdanken, »der es ermöglichte, die Österreicher auf ihre Stellungen zurückzudrängen und eine grosse Schlacht (die von Piave), von der das Schicksal Italiens abhängen konnte, zu gewinnen«. In dem weiteren Interview berief sich Argo Secondari auf das Unternehmen von Fiume, an dem die Arditi d’Italia teilgenommen hatten und dessen Tradition die Arditi del Popolo wiederaufnehmen »zum Teil aus revolutionärem (!!) Geist und auch, weil sie an Gabriele D’Annunzio glauben, den sie als ihren geistigen Führer betrachten.«

Es handelte sich hierbei nicht etwa um eine nur so dahingeworfene Bemerkung, denn nach dem Programm der Arditi del Popolo gefragt, erfand Secondari sofort die Formel von der »Verteidigung der Kopf- und Handarbeiter«, die er von nun an auf Schritt und Tritt wiederholte und die im übrigen genauso nichts sagend und hochtrabend war wie die Artikel der d’annunzischen »Carta del Carnaro«[19]. Aber das Tollste in diesem Interview kommt noch. Gerade in den folgenden Worten Secondaris kommt die wirkliche Bedeutung der neuen »antifaschistischen« Organisation grell zum Vorschein:
»Die Arditi konnten gegenüber dem von den Faschisten entfesselten Bürgerkrieg nicht gleichgültig und passiv bleiben und da sie die Avantgarde des italienischen Heeres gebildet haben, wollen sie auch die Avantgarde des arbeitenden Volkes sein. Anfangs schien der Faschismus ein Ziel zu verfolgen, das äusserlich gesehen auch uns vom Patriotismus beseelt zu sein schien: die roten Gewalttaten einzudämmen. Wir, die wir im wesentlichen darauf abzielten, den inneren Frieden zu verwirklichen und den Arbeitern damit die Freiheit zu geben, hätten dem Streit zwischen den Faschisten und den Subversiven auch fernbleiben können. Heute jedoch liegt das traurige Monopol des politischen Brigantentums ausschliesslich in den Händen der faschistischen Kampfeinheiten
Deshalb also, lasst uns jetzt den Kampf gegen die Schwarzhemden aufnehmen! Bei einer anderen Gelegenheit liess Secondari verlauten, dass das Ziel seiner Bewegung in der Wiederherstellung der »Ordnung und des normalen bürgerlichen Lebens« bestand. Die weiter oben angeführten Sätze illustrieren in geradezu beredter Weise, was dies alles zu bedeuten hatte. Den Arditi ging es darum, gegen jeden zu kämpfen, der Gewalt anwandte:

Gegen die Proletarier, wenn sie über das »Monopol des politischen Brigantentums« verfügten, und gegen die Faschisten, wenn dieses Monopol in ihre Hände überging. Sie wollten dem Staat, der Nation wieder neue Kraft verleihen (wen kann das noch wundern, wo doch der »Patriotismus« dem Führer der Arditi als wesentliches Beurteilungskriterium diente?). Sie kämpften, damit sich die Beziehungen zwischen den Menschen wie zwischen den Klassen wieder »friedlich« gestalteten und setzten sich damit für genau dasselbe ein wie eine Fraktion der Bourgeoisie, wie die rechten Sozialisten und Zentristen sowie auch – das versteht sich von selbst – die Republikaner, die aufgrund einer langen Tradition zu mustergültigen Vertretern des antiproletarischen Hasses geworden waren. Die Arditi del Popolo hielten also die bewaffnete Gewalt der »Helden von Piave, Monte S. Michele und Bainsizza«[20] für notwendig, um der »privaten« Gewalt der Klassen, Gruppen und Parteien ein Ende zu bereiten. So wie sie gestern gegen die »roten Gewalttaten« der Proletarier waren und es im gegebenen Fall morgen wieder sein werden, sind sie heute gegen die Gewalttaten der Faschisten, weil diese die Oberhand gewonnen haben. Während die PSI also die Befriedung auf dem Wege von Abkommen zu erreichen versucht, stellen die Führer der Arditi del Popolo ihre Erfahrungen als Helden des 1. Weltkrieges in den Dienst desselben Ziels: die Rückkehr zur Legalität und die Wiederherstellung des »inneren Friedens«.

Wie sahen nun die Beziehungen aus, die die Bewegung der Arditi del Popolo mit den Parteien, insbesondere den Arbeiterparteien herzustellen beabsichtigte? Indem bereits erwähnten Interview erklärte Secondari:
»Um unseren Hundertschaften anzugehören, genügt es, Mitglied der Sturmbataillone oder Soldat gewesen zu sein, Die einfachen ehemaligen Soldaten und diejenigen, die noch keinen Militärdienst geleistet haben, werden als Freiwillige betrachtet.«
Die ehemaligen Mitglieder der Sturmbataillone, deren Bajonette die »undisziplinierten« Soldaten und die »Deserteure«, während des Krieges im Karst und auf den Hochebenen zur Genüge hatten kosten dürfen, sollten die Führer oder jedenfalls Mitglieder der »regulären« Formationen sein. Die anderen also hatten das Kanonenfutter für die »Fachleute des Arditismus« abzugeben!! Kurze Zeit danach veröffentlichte das Direktorium eine Mitteilung, in der es sich nicht nur der Unabhängigkeit des Arditismus von sämtlichen politischen Parteien rühmte, sondern letzteren auch davon abriet, sich mit der »militärtechnischen Organisierung des arbeitenden Volkes« zu beschäftigen. Der Mitteilung zufolge hatten nur die Arditi das historische Recht und die patriotischen Verdienste, um sich dieser Aufgabe anzunehmen. Auf dieser militärischen Grundlage sollten sie eine Organisation errichten, deren Mitglieder sich zur strengsten Disziplin und zum ausdrücklichen Verzicht auf politische Aktivitäten verpflichten mussten. Eine andere Mitteilung vom 27. Juli blieb nicht dabei stehen, die Parteien als offizielle Organe auszuschliessen, und präzisierte:
»Das Direktorium der Arditi del Popolo ruft alle politischen Parteien dazu auf, moralisch und materiell zur Entwicklung der Vereinigung der Arditi del Popolo beizutragen. Zugleich fordert es alle seine Mitglieder auf, innerhalb der Arditi del Popolo keine politischen Gruppierungen zu schaffen, weil die militärische Disziplin dadurch geschwächt würde.«
Wir möchten festhalten, dass wir nichts dagegen einzuwenden hatten noch jemals haben werden, dass eine militärische Organisation unterschiedliche Zielsetzungen nicht dulden kann. Gerade deswegen aber musste man den Beitritt der Kommunistischen Partei oder, schlimmer noch, die Unterordnung ihrer militärischen Organisation unter die Führung des »Direktoriums« der Arditi del Popolo ganz klar ausschliessen! Wenige Monate, nachdem die Bewegung ins Leben gerufen worden war, führten ihre heterogene politische und soziale Zusammensetzung sowie ihre eigenen individualistisch-heroischen Ursprünge dazu, dass sich sowohl die Spitze als auch die Basis der Arditi gegen die vom autoritären Secondari gewünschte straffe Zentralisation auflehnten. Die nationale Führung der Bewegung ging in die Hände des Abgeordneten Mingrino (Mitglied derselben Sozialistischen Partei, die den Friedenspakt unterzeichnet hatte) und eines Republikaners über. Dies bedeutete für die Arditi aber zugleich den Anfang vom Ende einer national und zentral organisierten Bewegung. Es blieb bald nur noch ein ziemlich loses Netz von lokalen, in jeder, vor allem in politischer Hinsicht unterschiedlichen Gruppen bestehen. Oft erwiesen sich diese Gruppen, insofern sie auf proletarischer Grundlage entstanden, trotz ihrer Bezeichnung als Arditi als sehr kämpferisch und sogar heroisch wie zum Beispiel in Parma. Fast immer arbeiteten sie mit den kommunistischen Militäreinheiten zusammen, und mehr als einmal gingen sie in deren Reihen über. Diese Gruppen selbst wurden aber durch keine einheitliche Linie und durch keine zentrale Disziplin mehr zusammengehalten, während aufgrund eines genau umgekehrt verlaufenden Prozesses – der ausgesprochen politischer Natur war – die militärische Organisation der KP Italiens sich immer mehr festigte. Sie wurde immer homogener und zentralisierter, entsprach einheitlichen Richtlinien und zeigte trotz ihres notwendigerweise embryonalen Charakters eine ausserordentliche Widerstandsfähigkeit: Desertionen kamen kaum vor; die Infiltration von Spitzeln oder Provokateuren war fast gleich Null; trotz einiger lokaler Verhaftungen wurde das gesamte zentrale Geheimnetz nicht angetastet; die kommunistischen Kampftrupps waren ausgesprochen mobil, und der gesamte Organismus zeigte eine hohe Vitalität. Alles dies bietet – wenn das überhaupt noch nötig wäre – einen weiteren Beweis für die Richtigkeit einer Methode der – um einmal den »skandalösen« Titel einer damals von der Partei veröffentlichten Artikelserie, in der unsere Taktik illustriert wurde, zu benutzen – den »Wert der Isolierung«, die nichts anderes bedeutete und bedeutet als die Aussonderung der negativen und kranken Elemente aus dem gesunden Körper der proletarischen Partei.

Es besteht kein Zweifel, dass am Anfang, als die faschistische Offensive wieder in grossem Stil aufgenommen wurde und die Sozialistische Partei sich auf das schändliche Manöver des Friedenspaktes einliess, die Bewegung der Arditi del Popolo auch in den Reihen der Arbeiterklasse Sympathien erweckte. Selbst in der jungen Kommunistischen Partei Italiens fehlte es nicht an Sektionen, die – beeindruckt von jenem ersten Beispiel einer in aller Öffentlichkeit betriebenen »bewaffneten Verteidigung« und militärischen Organisation – es für richtig hielten, sich den Arditi anzunähern oder ihnen sogar ihre Unterstützung und Solidarität anzubieten. In den Erklärungen der Kommunistischen Partei, die wir bereits im ersten Teil dieser Artikelreihe abgedruckt haben, wurde diese Tatsache schon angedeutet. Die Zentrale der KP liess diesen ersten Erklärungen eine weitere, ausgesprochen klare folgen, die am 7. Juli auf der ersten Seite von »Il Comunista« unter dem folgenden Titel veröffentlicht wurde:

»Die Politik der Kommunistischen Partei steuert geradlinig und klar auf ihr Ziel zu: die Revolution«

»Die klaren und präzisen Anweisungen, die für den Aufbau der kommunistischen Militärorganisation gegeben wurden, waren keine sportähnliche Stegreifübung, sondern sie entsprechen einer Arbeit, die vor vielen Monaten vor allem in den Reihen der kommunistischen Jugend aufgenommen wurde. Trotz dieser Anweisungen bestehen mehrere Genossen und einige Organisationen der Partei darauf, die Beteiligung der Kommunisten, Jugendliche und Erwachsene, an anderen militärischen Formationen, die wie die ›Arditi del Popolo‹ auf ausserhalb der Partei ergriffene Initiativen zurückgehen, weiterhin vorzuschlagen und in einigen Fällen auch in die Tat umzusetzen oder gar die Initiative zu ergreifen, lokale Gruppen der ›Arditi del Popolo‹ zu bilden, anstatt die Arbeit im Sinne der Anweisungen der Zentralorgane aufzunehmen.
Wir rufen alle betreffenden Genossen zur Disziplin auf und bedauern es, dass kommunistische Militante, die unter allen Umständen einen kühlen Kopf bewahren und Standfestigkeit sowie revolutionäre Entschlossenheit zeigen müssen, sich von romantischen und sentimentalen Betrachtungen leiten lassen, die schwerwiegende Fehler und gefährliche Konsequenzen zur Folge haben können.
Zur Erläuterung dieses entschiedenen Aufrufs zur Disziplin erinnern wir die betreffenden Genossen an die selbstverständlichen kommunistischen Überlegungen, die zu den von uns angenommenen Richtlinien geführt haben, und zwar unabhängig von besonderen Einzelheiten, die den für die landesweite Aktionslinie verantwortlichen Zentralorganen durchaus bekannt sind.
Die militärische Organisation des Proletariats muss, da sie die höchste und schwierigste Organisationsform des Klassenkampfes ist, ein Maximum an Disziplin verwirklichen und auf Parteigrundlage entstehen. Sie muss der politischen Organisation der Klassenpartei strengstens untergeordnet sein. Im Gegensatz dazu ist die Organisation der ›Arditi del Popolo‹ von Befehlen abhängig, deren Herkunft nicht genau zu ermitteln ist. Ihre nationale Zentrale, die ja besteht, obgleich ihr Ursprung noch schwer festzumachen ist, behauptete in einer Erklärung, über den Parteien zu stehen, und sie forderte die politischen Parteien dazu auf, sich nicht mit der ›militärtechnischen Organisierung des arbeitenden Volkes‹ zu beschäftigen. Diese würde somit der Kontrolle und Führung durch undefinierbare Kräfte anvertraut bleiben und dem Einfluss unserer Partei entzogen werden. Nun setzt sich aber die Kommunistische Partei per definitionem die Organisierung und Führung der revolutionären Aktion der Massen zum Ziel. Beides lässt sich auf keinen Fall miteinander vereinbaren.
Ausser der Organisations- und Disziplinfrage stellt sich hier auch die Frage nach dem Programm. Obgleich man in dieser Bewegung dazu neigt, den Aufbau der Organisation als wichtiger zu erachten als die Festlegung von Zweck und Ziel (welche Gefahren dies beinhaltet, lässt sich leicht verstehen), nehmen sich die ›Arditi del Popolo‹, wie es scheint, vor, die proletarische Reaktion auf die faschistischen Ausschreitungen zu organisieren, mit dem Ziel, ›die Ordnung und das normale gesellschaftliche Leben‹ wiederherzustellen. Das Ziel der Kommunisten ist ein ganz anderes: Sie wollen den proletarischen Kampf bis zum revolutionären Sieg führen; sie verneinen, dass eine normale und friedliche Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens möglich ist, bevor der Klassenkonflikt, der in der heutigen historischen Situation in seine höchste und entscheidende Phase getreten ist, zu einer Lösung kommt; sie stellen sich also auf den Standpunkt des unerbittlichen Gegensatzes zwischen der Diktatur der bürgerlichen Reaktion und der Diktatur der proletarischen Revolution. Dies schliesst jede Unterscheidung zwischen Defensive und Offensive der Arbeiter aus und zeigt, wie hinterhältig und defätistisch eine solche Unterscheidung ist, denn die Arbeiter werden nicht nur von der materiellen Gewalt der Faschisten getroffen. Sie bekommen auch alle Folgen zu spüren, die sich aus der extremen Verschärfung eines Ausbeutungs- und Unterdrückungssystems ergeben, für das die Brutalität der schwarzen Banden nur ein Zeichen ist, das sich von allen anderen nicht trennen lässt.
Es dürfte eigentlich nicht nötig sein, diese Betrachtungen, die mehr und mehr von der Praxis bestätigt werden, Kommunisten ins Gedächtnis zu rufen. Auf ihrer Grundlage haben die zentralen Organe der Kommunistischen Partei die Initiative ergriffen, die unabhängige proletarisch-kommunistische Militärorganisation aufzubauen, ohne sich durch das Auftreten anderer Initiativen von dieser Aufgabe abbringen zu lassen. Solange die Aktionen dieser anderen Initiativen in dieselbe Richtung gehen wie die unsrigen, werden sie von uns sicherlich nicht als gegnerisch betrachtet. Ihre scheinbar grössere Beliebtheit wird uns jedoch nicht dazu bringen, unsere spezifische Aufgabe fallen zu lassen, die wir gegen eine ganze Reihe von Feinden und falschen Freunden von heute und morgen erfüllen müssen.
Wir können nicht umhin zu bedauern, dass kommunistische Genossen sich mit den Organisatoren der ›Arditi del Popolo‹ in Rom in Verbindung gesetzt haben, um ihnen ihre Hilfe anzubieten und sie um Instruktionen zu bitten. Sollte sich dies wiederholen, so werden strengere Massnahmen getroffen werden.
Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei Italiens und das Exekutivkomitee des Kommunistischen Jugendverbands Italiens warnen alle Genossen und die kommunistischen Organisationen irgend jemandem auch nur das geringste Vertrauen entgegenzubringen, der persönlich oder per Brief vorschlägt, Militärverbände der Arditi del Popolo zu bilden oder auf sie zurückzugreifen, und der dabei behauptet, dass er von den Organen der Kommunistischen Partei dazu beauftragt wurde bzw. dass es Übereinkünfte gibt, die im Gegensatz zu den schon veröffentlichten genauen Anordnungen stehen. Die Genossen erhalten Richtlinien nur über den internen Parteiweg. Alle anderen Wege sind auszuschliessen und abzulehnen.
Die Exekutivkomitees der Partei und des Jugendverbands«

Taktisches Problem oder theoretischer Luxus

Die Kriterien, von denen sich die Zentrale bei der Lösung der schwierigen Frage der Taktik der Klassenpartei (und die Frage der Beziehungen zu anderen politischen und um so mehr noch zu anderen militärischen Formationen ist nur ein Teilaspekt hiervon) leiten liess, kommen bereits in dieser Erklärung klar zum Vorschein.

Als die Partei in Livorno entstand, hatte sie sich mit der revolutionären und marxistischen Theorie bewaffnet, die durch die russische Revolution und die Bildung der III. Internationale erneut eine mächtige Bestätigung gefunden hatte. Ihre Kampforganisation, die sich durch ihre engen Bindungen an die Internationale auszeichnete, arbeitete mit grosser Zuversicht daran, den Einfluss der Partei innerhalb des Proletariats zu vergrössern. Ihre Ernsthaftigkeit, ihre überlegten Entscheidungen und die grenzenlose Opferbereitschaft aller Militanten mussten sie in den Augen der Proletarier klar von dem traditionellen Bild der alten Partei unterscheiden, in der Oberflächlichkeit, Durcheinander und Karrierismus sich breit gemacht hatten. In einer Situation, deren Entwicklung noch durch diese alten Krankheiten beeinträchtigt war, erschien eine revolutionäre Offensive kurzfristig nicht möglich. Wie aber die Linke 1924 in den »Randbemerkungen« zu ihren Thesen schrieb:
»Die Aktion der Partei konnte und musste sich das Ziel setzen, dem proletarischen Widerstand gegen die Offensive der Bourgeoisie die grösstmögliche Wirkungskraft zu geben und durch diesen Widerstand die Kräfte der Arbeiterklasse unter den bestmöglichen Bedingungen um die Fahne der Partei zusammenzufassen, deren Methode allein es erlaubt, den revolutionären Gegenschlag vorzubereiten. Die italienischen Kommunisten haben das Problem folgendermassen gesehen: Es gilt, ein Höchstmass an Einheit in der proletarischen Verteidigung gegen den Druck der Offensive der Unternehmer zu entwickeln und gleichzeitig zu vermeiden, dass die Massen sich wieder der Illusion jener scheinbaren Einheit hingeben, die aus einem Gemisch gegensätzlicher Orientierungen besteht und die bereits aufgrund einer schmerzhaften Erfahrung als ohnmächtig entlarvt wurde.«

Die zwei Aspekte des Problems bedingten sich gegenseitig. Sie fügten sich nahtlos ein in die marxistische Theorie und mussten dies auch, wenn der Marxismus nicht ein Hirngespinst ist. Sie waren jedoch nicht nur von theoretischer, sondern auch von ausgesprochen praktischer Bedeutung. In der Tat, was hatte denn die durchaus kämpferische Aktion der proletarischen Massen nach dem Kriege gelähmt, wenn nicht gerade das Zusammenleben verschiedener Tendenzen innerhalb der Partei, die diese Aktionen hätte führen sollen? Und was hatte die Linke der alten Partei gelähmt, wenn nicht die Tatsache, die Bewegung des Proletariats zusammen mit der Rechten und dem Zentrum führen zu müssen? Die Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialisten auf internationaler Ebene war nicht das Ergebnis einer »Augenblickslaune« gewesen, sondern war unter dem Druck einer objektiven Erfahrung entstanden, die man ebenfalls weltweit hatte machen müssen und aufgrund derer Lenin die Revolutionäre tausendmal beschworen hatte, nicht nur mit ihren direkten Feinden – den Reformisten – zu brechen, sondern gerade auch und vor allem mit den falschen »Verwandten« – den betrügerischen und verwirrenden Strömungen des Zentrismus. Die Spaltung war und musste genauso unwiderruflich bleiben wie die Feststellung, dass die proletarische Klasse nur auf einem einzigen Weg ihrer eigenen Sache wird zum Sieg verhelfen können, nämlich durch die Zerschlagung des heutigen Staatsapparates, auf dessen Trümmern sie einen eigenen diktatorischen Staatsapparat errichten muss. Diese Feststellung wäre sicherlich aber nur von rein theoretischem und »abstraktem« Wert, würde sie nicht gleichzeitig bedeuten, dass
»für den Sieg des Proletariats die Partei nötig ist, und zwar nicht nur in der Phase des höchsten Kampfes, sondern auch in den diesem Kampf vorausgehenden Perioden. Eine Partei, die programmatisch und organisatorisch auf diesen Sieg ausgerichtet ist und die sich zur Hauptkraft entwickelt, die, indem sie in den einzelnen Kampfphasen auf jene endgültige Lösung orientiert, das Proletariat auf die Erfordernisse dieses Kampfes vorbereitet.« (»Die Aufgabe unserer Partei«, in »Il Comunista« vom 21. 03. 1922).
Jede andere Lösung, die einerseits vorgibt, die »Unabhängigkeit« der Partei aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, sie andererseits aber dadurch gefährdet, dass sie das Einzige, was die Partei »unabhängig« macht, nämlich ihre praktische Opposition zur bürgerlichen Regierung und den mit ihr verbundenen Parteien, fallen lässt und den Massen einen Weg vorgaukelt, der faktisch die primäre Notwendigkeit der Klassengewalt und der nicht allein rhetorischen, sondern praktischen Vorbereitung leugnet; jede andere Lösung stellt den fatalen Teufelskreis, aus dem man mit Hilfe der Spaltung hatte herauskommen können, wieder her, denn sie zerstört die zwei entscheidenden Fundamente der Parteiselbständigkeit: ihr programmatisches Bewusstsein und ihre organisatorische Disziplin. Eine solche Lösung muss sich in der Praxis als schädlich und defätistisch erweisen, auch wenn sie im guten Glauben und mit den besten Absichten verteidigt wird.

Diese Betrachtungen, die zwar praktischer Natur deshalb aber nicht weniger theoretisch fundiert waren, bestimmten die Haltung der Partei gegenüber den Arditi del Popolo, jener x-ten Verkörperung der falschen und scheinheiligen »Einheit«, für die das heldenhafte Proletariat nicht nur in Italien so oft einen blutigen Preis hatte zahlen müssen. Sowohl was ihre Ursprünge und Ziele, als auch was ihre soziale Zusammensetzung und ihre vielfachen Verbindungen zu den Kräften der bürgerlich–demokratischen Gesellschaft anging, entstand die Bewegung der Arditi del Popolo mit einem zweideutigen, heterogenen und unzuverlässigen Charakter. Das grösste Misstrauen und die grösste Vorsicht waren daher berechtigt, zumal es sich um eine militärische, illegale und zentralisierte Organisation handelte, deren Führung und zentrale Aktionsanweisungen geheim waren. Hinzu kam, dass sie mit einem Programm der Wiederherstellung der Ordnung entstand. Ein solches Programm steht in diametralem Gegensatz zum Programm der Kommunistischen Partei, das, auch wenn sie es nicht unmittelbar verwirklichen kann, ihre Aktion und Bewegung in jeder Hinsicht bedingt. Die Arditi del Popolo entstanden auch mit einer Organisation, die ihren programmatischen Zielen entsprach, d. h. sie stellten den Anspruch, der für eine militärische Organisation durchaus berechtigt ist, eine zentrale und einzige Disziplin ohne organisatorische und programmatische Einmischungen an der Spitze oder an der Basis ihres hierarchischen Netzes durchzusetzen. Sich ihnen anzuschliessen und sich ihrer Disziplin zu unterordnen, hätte die Bedeutung gehabt, nicht nur auf die Endziele, sondern auch auf die unmittelbaren Ziele der eigenen Organisation zu verzichten. Eine gemischte Zentrale, die übrigens die Arditi del Popolo selbst erklärtermassen ausschlossen, konnte man nicht errichten. Sie hätte die Kontrolle und die Führung militärischer Bewegungen, darunter auch der kommunistischen, unter sich vereint und damit jene Situation der Lähmung wiederhergestellt, die die Spaltung notwendig, unaufschiebbar und unwiderruflich gemacht hatte. Dies hätte bedeutet, auf die beschworene »Unabhängigkeit« nicht nur auf der organisatorischen, sondern auch auf der lebenswichtigen programmatischen Ebene zu verzichten. Die Partei, die selbst in der Defensive, selbst in der geschichtlich bedingten zeitweiligen Niederlage das einzigmögliche Organ der proletarischen Revolution und der revolutionären Vorbereitung ist, wäre nicht mehr als solche vor den Massen aufgetreten, sondern wie eine der vielen Parteien, die in Worten revolutionär sind, sich faktisch aber als gradualistisch, reformistisch, demokratisch, als Verteidiger der Ordnung erweisen.

Mit einem Wort, man hätte die ganze Arbeit gefährdet, die seit Livorno und schon vor Livorno geleistet worden war, um sich und damit auch die Massen von der Verschwommenheit, der Verwirrung und dem Marasmus loszureissen, um sich einen klaren, entschlossenen, unverwechselbaren Weg zu zeichnen.

Heute jammert die KPI über die verpasste »Einheit« mit der Bewegung der Arditi del Popolo, die im übrigen nach Ablauf weniger Monate entweder in der Lähmung oder in der Atomisierung endete, was im Grunde dasselbe ist. Dies ist verständlich, denn die KPI ist nicht mehr auf den Pol der Revolution ausgerichtet, sondern auf den entgegengesetzten Pol der Demokratie. Rückblickend träumt sie von einer Vorwegnahme des »Nationalen Befreiungskomitees«[21], dem sich die Partei, nicht mehr als Partei der Revolution, sondern als Partei der Konservation, unterworfen hätte. Das ist logisch. Ebenso logisch ist es aber, dass die Partei, die gerade einen solchen Entwicklungsweg und dessen Verfechtern einen Kampf bis aufs Messer erklärt hatte, sich nicht in diesen Sumpf begeben konnte und begeben wollte. Nichts hinderte uns daran, zusammen mit den Arditi del Popolo auf der Strasse zu kämpfen Aber alles verbot uns, unsere disziplinierte Organisation – diese andere Seite unserer programmatischen und taktischen Unabhängigkeit – den Befehlen einer nicht nur fremden, sondern in ihren Zielsetzungen und daher auch in ihrer Taktik entgegengesetzten Organisation zu überlassen. In der Tat: Was würden die Arditi del Popolo tun, nachdem sie ihr Ziel, nämlich die »Wiederherstellung der Ordnung« (das Programm Nittis und der Sozialisten) erreicht hätten? Sie würden ihre Waffen gegen uns, die geschworenen Feinde dieser Ordnung, richten. Und selbst vorher schon, denn wir erkennen keine Grenzen zwischen Defensive und Offensive, Legalität und Illegalität, »erlaubten« und »unerlaubten« Mitteln, illegalen Schlägertrupps der Bourgeoisie und deren höchst legalen Staatsorganen an und würden den Rahmen ihrer Aktion daher sprengen müssen und uns zwar bei ungünstigen Kräfteverhältnissen zurückziehen, allerdings nur – wie wir es immer erklärt haben – um in einem günstigen Augenblick wieder zum Angriff überzugehen.

Es gibt aber eine noch wichtigere Frage: Was wäre aus uns selbst geworden, wenn wir den Weg des Opportunismus eingeschlagen hätten, um die Einheit mit den Arditi del Popolo herzustellen? Man muss dabei bedenken, dass die Partei keine blosse Maschine ist. Sie ist zugleich Produkt und Faktor der historischen Entwicklung. Eine falsche Taktik kann daher einen ungünstigen Einfluss auf ihren Inhalt und auf ihre programmatische Orientierung haben. Die Herren der heutigen KPI werden antworten, die Augen zum Himmel emporgerichtet, dass aus uns, hätte Gott uns beigestanden, schon damals das geworden wäre, was sie heute sind: eingefleischte Demokraten, leidenschaftliche Patrioten, christlich gesinnte Typen, die Tränen vergiessen vor dem Bild Johannes XXIII. Aber diese Antwort ist der beste Beweis dafür, dass wir Recht hatten!

Der Kampf der Linken gegen die »Einheit um jeden Preis« hatte 1913 begonnen. Er wurde bis 1919 und 1920 fortgesetzt und war 1921 nach wie vor aktuell, wie man dem bereits erwähnten Artikel »Der Wert der Isolierung« entnehmen kann, in dem wir die tausend Strömungen, die auf der politischen Bühne mit mehr oder wenige »linken« Programmen und Parolen wetteiferten, untersuchten und u.a. schrieben:

»DER WERT DER ISOLIERUNG«

»Wir denken, dass unsere Taktik auf folgendem Kriterium beruhen soll: Kein Organisationsabkommen, d. h. keine Einheitsfront mit jenen Elementen, die sich nicht den bewaffneten revolutionären Kampf des Proletariats gegen den bestehenden Staat zum Ziel setzen, die diesen Kampf nicht als eine Offensive, eine revolutionäre Initiative zur Abschaffung der Parlamentarischen Demokratie und des Exekutivapparates dieses Staates verstehen, die das Ziel der Errichtung der politischen Diktatur des Proletariats, deren revolutionäres Gesetz alle Gegner der Revolution für vogelfrei erklären wird, nicht teilen.
Der Ursprung dieser wesentlichen Grundlagen eines taktischen Abkommens liegt nicht etwa darin, dass wir einen abstrakten Geschmack daran finden würden zu sagen: ›Bei der praktischen Vorbereitung der Revolution werden wir nur mit den Leuten zusammenarbeiten, die unsere kommunistischen theoretischen Auffassungen im wesentlichen teilen‹. Nein, es handelt sich um keinen theoretischen Luxus, wenn auch die Überlegungen, die zu diesem Kriterium führen, erneut bestätigen, welch grossartige Anleitung zum Handeln unsere marxistische Theorie ist. Es handelt sich in Wirklichkeit darum, die praktischen Lehren aus der Erfahrung richtig anzuwenden.
Selbst wenn es den Kommunisten gelingen sollte, Seite an Seite mit anderen politischen Bewegungen den Faschismus durch eine mit anderen Elementen vereinbarte Aktion der ›proletarischen Verteidigung‹ in Schach zu halten: Dieses Ziel einmal erreicht, würden wir die Schwächung des Feindes ausnutzen, um weiter in Richtung auf die Zerschlagung der bürgerlichen Macht zu gehen. Als Vertreter der Wiederherstellung des normalen Lebens würden unsere Verbündeten von gestern in uns logischerweise die Unruhestifter sehen. Sie würden zu unseren schlimmsten Feinden werden. Man könnte folgendes einwenden: Da wir bis dahin ihre Kräfte benutzt und zugleich unsere Propaganda unter den Massen gemacht haben, so würde es jetzt möglich sein, sie zu verdrängen und die Zügel allein und direkt in die Hand zu nehmen, um eine spezifisch kommunistische Aktion weiterzuführen. Solche Gedanken zeugen von einer literarischen und theatralischen Auffassung der Revolution. Es wird nicht verstanden, dass, der Erfolg der Revolution vor allem eine organisatorische Vorbereitung der für sie kämpfenden Kräfte voraussetzt. Um eine Katastrophe zu vermeiden, muss diese Vorbereitung in der letzten Phase den technischen Charakter einer disziplinierten militärischen Organisation annehmen. Solange man den Kampf mit Reden, Tagesordnungen und politischen Erklärungen führt, kann man ohne Schwierigkeit die Taktik ändern. Vom organisatorischen Standpunkt aus ist aber der Frontwechsel unmöglich. Die politische Spaltung ist eine Wirklichkeit und eine historische Notwendigkeit. Aber die Spaltung einer kämpfenden Armee führt unweigerlich zum Ruin. Sie hinterlässt keine zwei Armeen, sondern überhaupt keine Armee, weil die militärische Organisation mit der hierarchischen Einheit der Verbindungen und des Kommandos steht und fällt. Ebensowenig lassen sich die ihr angeschlossenen Unterstützungsbereiche spalten. Jener Teil der in gegnerische Lager geteilten Armee, der zum zwar geschlagenen, aber entschlossenen Feind überliefe, würde dort einen sicheren Stützpunkt und Aktionsraum finden. Der andere Teil, der allein zu handeln hätte, würde ohne jegliche organisatorische Festigkeit, ohne ein funktionsfähiges Organisationsnetz und somit kampfunfähig zurückbleiben.
Deshalb sind wir gegen die Verteidigungsabkommen, zumal wenn es sich darum handelt, der Reaktion mit Gewaltaktionen und nicht mit liberalen Jeremiaden entgegenzutreten, Mit Jeremiaden erreicht man überhaupt nichts, und im Falle von solchen Abkommen entfernt man sich vom Weg der revolutionären Vorbereitung.
Diese rein taktischen Überlegungen führen zu dem erwähnten Kriterium, keine Abkommen mit Leuten zu schliessen, die eine offensive proletarische Aktion gegen das Regime und den Staat grundsätzlich ausschliessen und lediglich bereit sind, einer defensiven Aktion gegen das, was sie verschwommen ›Ausschreitungen‹ der Bourgeoisie nennen, zuzustimmen. Die einzige Ausschreitung der Bourgeoisie besteht heute darin, dass sie an der Macht ist. Und solange das demokratisch–parlamentarische System besteht, wird sie an der Macht bleiben. Ein Beispiel für diese pseudorevolutionären Verbündeten kann in diesem Zusammenhang genannt werden: Leutnant Secondari und Abgeordneter Mingrino. Beide sprechen von bewaffneter Organisation, um die gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen und dann nach Hause zu gehen. Hierin erblicken wir einen Defätismus, der vielleicht noch schlimmer ist als derjenige der Sozialdemokraten mit ihrer Losung der Befriedung durch Kapitulation und durch Ablehnung der defensiven wie offensiven bewaffneten Aktion der Massen. In der schrecklichen heutigen Lage kann man in Wirklichkeit keinen Trennungsstrich zwischen Klassenverteidigung und -angriff ziehen. Gerade deshalb und hierfür ist der Faschismus ein ausgezeichneter Lehrmeister – ist der Klassenkampf heute zu einem wahrhaftigen Krieg geworden. Und wie jeder Militärexperte bestätigen kann, ist es im Krieg so, dass man sich verteidigt, indem man angreift, und dass man angreift, indem man sich verteidigt. Würde ein General oder Soldat sagen, die Armee müsse sich nur verteidigen und dürfe niemals zum Angriff übergehen, so würde er wegen Defätismus ›im Hinblick auf die Verteidigung selbst‹ erschossen werden…
Abschliessend sagen wir: Zahlreiche Erfahrungen dieser komplizierten politischen Phase in Italien liefern uns die Bestätigung, dass es richtig ist, die Frage der revolutionären Vorbereitung folgendermassen zu stellen: Die Kräfte, die darauf abzielen, den Staat auf eine neue Grundlage zu stellen, müssen auch militärisch zusammengefasst und organisiert werden, aber nur wenn sie dieses Ziel im Sinne eines Gegensatzes zwischen zwei geschichtlichen Lösungen verstehen, nämlich entweder Erhaltung des zugleich demokratischen und reaktionären bürgerlichen Staates oder Bildung des proletarischen Staates als einer Klassendiktatur.
Die unzähligen Grüppchen, die auf schädliche Weise die revolutionäre Verworrenheit unserer Tage vermehren, werben für andere Lösungen, die sich in zwei grosse Gruppen einteilen lassen: Bei der einen handelt es sich um Betrug, bei der anderen um Irrtum. Den politischen Organisationen, die sich der zweiten Gruppe zuordnen lassen, bringen wir verständlicherweise eine grössere Sympathie entgegen, und sie stehen uns auch näher als diejenigen der ersten Gruppe. Wir dürfen uns aber an keine dieser Organisationen durch Organisationsabkommen zur revolutionären Vorbereitung binden.
So zeichnet sich das ab, was in unserer Sichtweise heute die spezifische Aufgabe der Kommunistischen Partei ist. Unzählige revolutionäre Strömungen bieten ihre Programme und Methoden feil, zeugen durch ihre Kreuzung merkwürdige Nachfolgeorganisationen, vermischen sich alle in Einheitsfronten, was alles bei Gruppen von Proletariern Anklang findet. Geistig wie praktisch muss die Kommunistische Partei mitten in diesem Chaos als Faktor der Orientierung, des Zurechtbiegens und der festen Kontinuität handeln.
Mögen andere glauben, einen kürzeren Weg zu kennen. Doch ist der Weg, der leichter scheint, nicht immer der kürzere, und man macht sich nicht um die Revolution verdient, nur weil man es eilig hat, sie zu machen; dies ist entschieden zu wenig.«

Der Monat der Schmach

Der Monat August war für die sozialistische Partei der Monat der grossen Schmach. Die Geschichte hat ein Gefallen daran, aus Dramen Komödien zu machen. Bonomi, der Grossvater der »neuen Wege zum Sozialismus« war 1912 wegen seiner Unterstützung des Libyen-Krieges von der »unnachgiebigen revolutionären Fraktion« Mussolinis und Baccis aus der Partei ausgeschlossen worden. 1914 wurde Mussolini von Bacci ausgeschlossen, weil er Bonomis Verrat auf erweiterter Stufenleiter wiederholt hatte. Nun waren Bonomi und Mussolini durch eine logische Entwicklung zu den Führern der legalen bzw. illegalen Schutzmacht der Bourgeoisie geworden, und Giovanni Bacci drückte Mussolini die Hand im Namen der Entwaffnung des Klassenkampfes und rief niemand anders als Bonomi dazu auf, die Rolle des unparteiischen Beschützers des Friedenspaktes, dieses wahren Judaspaktes, zu übernehmen. Selbst wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten vom Weg der Revolution abgehen, so werden alle Renegaten früher oder später im selben Boot sitzen. Vierundzwanzig Jahre später sollten zwei ehemalige Protagonisten des Friedenspaktes, Bonomi und De Nicola, wieder zusammen an der Spitze der »erneuerten Demokratie« zu finden sein, während Nenni den Posten Baccis übernehmen und – als Gipfel der Schmach – das Trio sich durch die Teilnahme Togliattis in ein Quartett verwandeln sollte. Zufall? Unvorhersehbares? Nein, objektive Bestimmung. Die Sozialisten hatten durch ihre beredten Taten bewiesen, der Sache der Revolution für immer den Rücken gekehrt zu haben. Die Linke brauchte daher keine geheimnisvolle prophetische Gabe zu besitzen, sondern nur die marxistische Dialektik richtig anzuwenden, um schon früh vorherzusagen, dass man durch taktische Nachgiebigkeit, um die Sozialisten wieder für die Sache der Revolution zu gewinnen, schliesslich alles, an erster Stelle das Programm verlieren würde, ja, dass man dadurch noch tiefer als die Sozialisten selbst hinabsinken würde.

Welche Bedeutung hatte in Wirklichkeit die Unterzeichnung des Friedenspaktes für eine objektive Einschätzung der Natur der Sozialistischen Partei? Die Bedeutung, dass diese Partei, die, nachdem sie aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war, nunmehr versuchte – und sei es durch die Hintertür – wieder aufgenommen zu werden, ihre eigenen programmatischen Erklärungen mit Füssen trat und die grundlegenden Thesen der Internationale leugnete. Die Bedeutung, dass diese Partei in der Entfesselung von Gewalt nicht die materielle Äusserung des infolge des Krieges und der Nachkriegskrise zur äussersten Verschärfung gebrachten Zusammenstosses zwischen den Klassen sah, sondern etwas, was von einzelnen Individuen zufällig und »privat« erzeugt wurde. Die Bedeutung, dass sie einen Klassenfrieden zwischen Arbeit und Kapital nicht nur für möglich, sondern auch für wünschenswert hielt und dass für sie der Staat ein über den Klassen stehendes Wesen, ein neutraler Schiedsrichter in den Kämpfen zwischen den Parteien der verschiedenen Klassen, das Instrument zur Durchsetzung des Friedens war. Kurzum, Bacci stellte sich 1921 auf denselben Boden, auf dem Bonomi seit 1912 stand. Es stimmt zwar (und hier liegt das grosse Missverständnis), dass er nach wie vor eine »parlamentarische Unnachgiebigkeit« praktizierte und, soweit diese Unnachgiebigkeit reichte, gegen die Regierung und vor allem gegen die Beteiligung der Sozialisten an der Regierung stimmte. Er machte sich aber die Nachgiebigkeit gegenüber dem Staat zu eigen und praktizierte sie, und das ist viel schlimmer als die Nachgiebigkeit eines Turati oder d’Aragona gegenüber einem Kabinett. Von dieser Partei zu verlangen – wie es die Kommunistische Internationale in jenen Tagen in Moskau gegen die Meinung der KP Italiens tat –, dass sie die Rechten ausschliessen sollte, um nach dieser »Säuberung« mit der Partei von Livorno vereinigt und wieder völlig rechtens in die Weltorganisation des revolutionären Proletariats aufgenommen zu werden, hätte die Bedeutung gehabt, dass man zum Preis der Erfüllung einer völlig formalen Aufnahmebedingung der Kommunistischen Internationale alle anderen und zu aller nächst die inhaltlichen Bedingungen verletzen konnte. Zum Zeitpunkt des Kongresses von Livorno hätte der Bruch mit der Rechten noch – wie man sich ausdrückte – eine Art »Thermometer« für den aufrichtigen Beitritt zur III. Internationale darstellen können. Dies war sechs Monate später aber nicht mehr möglich, denn die PSI hatte in der Zwischenzeit zwar nicht mit Worten, aber mit Taten bewiesen, dass sie sich auf demselben Boden wie die Rechte bewegte, was noch dadurch verschlimmert wurde, dass sie ihre Preisgabe des ABC des Kommunismus, die Ablehnung der Klassengewalt und die Übernahme des Prinzips der Klassenversöhnung unter der Ägide von Vater Staat mit den Phrasen der »parlamentarischen Unnachgiebigkeit« verschleierte.

Kein Burgfrieden

Der Friedenspakt war in der Tat mehr als eine blosse Verpflichtung zur Entwaffnung der proletarischen Kräfte. Er war die Verpflichtung, das Proletariat der Repressionsgewalt des Staatsapparates auszuliefern, einer Gewalt, die, weil sie vom Staat ausging, für »legitim« gehalten wurde. Er bedeutete nicht allein: Wir geben die Waffen ab! Er bedeutete: Staat, wache mit deinen Waffen, dass niemand sonst zu den Waffen greift! Und da eine einzige Partei, die Kommunistische Partei, die Einladung zum Burgfrieden zurückweist, ist es deine Pflicht, lieber Vater Staat, sie dazu zu zwingen, ihn einzuhalten! Dies hat Bonomi flugs begriffen. Sofort nach Unterzeichnung des Schmachpaktes schickte er an die Präfekten ein berühmtes Rundschreiben zur »Klärung« und »Ermahnung«:
»Sie müssen berücksichtigen, dass die Tatsache, sich an dem Pakt nicht beteiligt zu haben oder sich ihm lokal nicht beugen zu wollen, die Bürger nicht von der Einhaltung des Gesetzes entbindet, sondern dazu noch mehr verpflichtet. Das Gesetz kann und darf nicht verletzt werden.«

Wenn aber die PSI, Mussolini und Bonomi (und selbst die Arditi del Popolo, die sich danach sehnten, mit Gewalt die Herrschaft der… Gewaltlosigkeit wiederherzustellen) glaubten, dass die Kommunistische Partei Italiens deshalb die Waffen strecken oder das Recht, nicht verboten zu werden, erflehen würde, so hatten sie sich nicht schlecht getäuscht! Die KP hatte eine solche Gruppierung der gegnerischen Kräfte vorausgesehen oder sogar gewünscht, weil dies zu einer Klärung innerhalb des Proletariats und zur Kristallisierung der besten Kräfte der Arbeiterklasse unter ihrem Banner beitragen musste. Sie hatte nie gemeint, ihr Weg würde bequem sein, sondern von Anbeginn gewusst, dass er hart sein würde. Was die Sozialisten angeht, so hatte die Kommunistische Partei nicht erst den 7. August 1921 abgewartet, um ihnen ins Gesicht zu sagen, dass die wirklich grosse Lehre aus den sozialen Kämpfen der letzten Jahre in Italien lautete:
»Du darfst zwischen deinen Gegnern keine Unterscheidung machen, du darfst den Renegaten nicht vergeben!«
Sie wusste von vornherein, dass sie sich auf dem Weg des revolutionären Kampfes allein befinden würde. Sie wusste, dass das Risiken mit sich brachte, aber sie wusste auch, dass die Tatsache, dass sie sich vom Opportunismus abkapselte, ihr die Möglichkeit eröffnete, die Arbeiter, die noch Mitglieder der PSI waren, an ihre disziplinierte Organisation, ihre unverwechselbaren Richtlinien, ihr offenes und nie verwässertes Programm zu ziehen. Sie hatte vom Staat niemals eine Straflosigkeit erwartet, die dieser ihr niemals gewähren würde. Sie hatte die Herausforderung angenommen und würde sie nicht zurückweisen. Als Antwort auf das erwähnte Rundschreiben schrieb das Zentralorgan der Partei am 14. August 1921:

»DAS RUNDSCHREIBEN BONOMI: DIE SOZIALISTEN SIND BEDIENT!«

»Eine revolutionäre Partei, die weiss, was sie will, die weiss, wo ihr Ziel liegt, und auf dieses Ziel lossteuert; die zentralisiert und diszipliniert ist, die nicht nach dem Prinzip der Freiheit ihrer Mitglieder handelt, sondern die Verantwortung für die Handlungen, die ihre Zentrale durchführt oder durchführen lässt, auf sich nimmt; eine solche Partei muss man fürchten, eine solche Partei müssen die Revolutionäre der Phrase verlassen, sie muss den Gegnern verhasst sein, der Staat muss sie verbieten.
Das alles ist natürlich. Das Proletariat sieht, wie dieselben Leute, die gestern noch erklärten, dass die Revolution unvermeidlich ist und man den Staat nur mit Gewalt zerschlagen kann, heute über die Revolution, die sie als ›Traum von Verirrten und Verrückten‹ bezeichnen, lachen und Haarspalterei in der Frage der Gewalt betreiben, weil sie befürchten, dass die Gewalt die Gewalt des Gegners hervorruft. Das wirklich revolutionäre, bewusste und vorbereitete Proletariat kann daher nicht umhin, diese falschen Führer zu verdammen und zu verlassen. Dieser Klärungsprozess geht langsam in den Massen vor sich, er lässt sich nicht improvisieren, ist aber unvermeidlich. Wir müssen ihn begünstigen und beschleunigen, denn durch ihn kommt die Richtigkeit unserer Kritik an der Sozialdemokratie zum Ausdruck. Wir rechnen mit dieser langsamen Differenzierung – nicht aus politischer Spekulation, sondern weil wir breite Schichten des Proletariats an uns binden wollen. Welches Schicksal die Aktionen der Regierung und die Reaktionen der Staatsorgane uns auch vorbehalten mögen, dieser Prozess wird sich vollziehen. Mehr noch, der Schaden, der unseren Militanten und Organisationen zugefügt wird, wird das vom Kapitalismus unterdrückte und von der idiotischen Politik der Emanzipation durch Reformen betrogene Proletariat umso schneller von seiner ängstlichen Mentalität losreissen.
Wenn die Sozialisten die Staatsmacht und die königliche Garde gegen uns richten wollten, dann haben sie ihr Ziel vollkommen erreicht. Wenn sie aber meinten und nach wie vor meinen, uns mit Musketen oder Verhaftungen zu zerschlagen, dann haben sie sich kolossal geirrt.
Die Kommunistische Partei ist nicht zu zerschlagen. Die Regierung und die Sozialisten werden sehen, wie die Reaktion gegen unsere Partei einen Widerstand hervorrufen wird, für den es im italienischen politischen Leben der letzten fünfzig Jahre kein Beispiel gibt.«

Die Kommunisten waren also nicht zufällig dem schändlichen Friedensschacher zwischen den Parteien ferngeblieben. Darin lag eine Lebensbedingung, welches die praktischen Folgen in der nächsten Zukunft und wie gross der unmittelbare Popularitätsverlust auch sein mochten. Es war kein Schritt rückwärts, kein Faktor der Schwächung, sondern ein Faktor der Stärkung und damit ein Schritt vorwärts in der Festigung der Partei als einziger Führung des revolutionären Proletariats in der Verteidigung wie im Angriff. Hatte die grosse Stärke der Bolschewiki nicht darin gelegen, dass sie fähig waren, allein zu bleiben, um sich nicht durch die falschen Freunde, die objektiv im Dienste des Feindes standen, lähmen zu lassen? Stolz schrieb das Parteiorgan am 14. August 1921 als Kommentar zu den Friedensaufrufen, welche die verschiedenen Parteien zur weiteren Bekräftigung des Friedenspaktes machten:

»DER ABWESENDE«

»Hinter dem Appell an die Massen oder an die Behörden steckt folgender Gedanke: der in Rom unterzeichnete Pakt verpflichtet die Parteien zum Frieden und zur Entwaffnung. Hier liegt der ›Fehler‹. Wir bedauern es für Herrn Bonomi und seine Präfekten, aber wenn wir uns nicht nach Rom begeben haben, so nicht, um uns die Unannehmlichkeit oder die Ausgaben zu sparen, sondern weil wir wissen, dass die Klassen weder heute noch morgen noch jemals sich versöhnen und in Frieden leben können und dass die Illusion eines Waffenstillstands im Klassenkampf der politischen Partei der Arbeiterklasse das Recht entzieht, das Proletariat in die Revolution zu führen.
Wir sind nicht gekommen, weil die Prinzipien und die Taktik der Kommunisten keinen Waffenstillstand und keine Milderung im Klassenkampf zulassen, weil wir die Gesamtheit der politischen und ökonomischen Bestrebungen der Arbeiterklasse von einem geschichtlichen Standpunkt aus einschätzen müssen, selbst wenn wir uns dadurch zeitweilig unbeliebt machen. Es ist natürlich, dass der Staat eine Kampagne wie diese, die die Sozialisten für die Wiederherstellung der Legalität, für die Rückkehr zur Ordnung und die Einhaltung des Gesetzes führen, mit Sympathie erblickt. Wir aber, die wir gegen das Gesetz sind und wissen, dass unter der bürgerlichen Herrschaft die normale Ordnung die Festigung der Autorität der herrschenden Klasse zum Schaden der proletarischen Errungenschaften und der revolutionären Vorbereitung des Proletariats bedeutet, wir müssen aus der bürgerlichen Gesellschaft verbannt werden, denn wir sind ihre Feinde, wir sind Feinde ihrer Organe und Komplizen…
Der Vorsitzende des Ministerrats hat uns mit seinem jüngsten Zirkular einen sehr guten Dienst erwiesen. Er zeigt nämlich, auf welche Weise man den Abwesenden schlagen soll, nachdem die ›Befrieder‹ das Dokument unterzeichnet haben.
Aber der Anwesende erklärt den Sozialisten und Faschisten, der Regierung und allen Parteien der Bourgeoisie:
Sowohl gegenüber der bürgerlichen Klasse als auch gegenüber den Sozialverrätern bleiben das kommunistische Programm und die Taktik der Kommunisten unverändert;
Die kommunistische Partei setzt ihre Propaganda für die revolutionäre Vorbereitung und die Organisation des Proletariats legal und illegal fort;
Die Aktion der kommunistischen Partei setzt sich den Sturz des bürgerlichen Staates durch einen Aufstand der Arbeiterklasse zum Ziel.

Es ist nicht erwiesen, dass die Beseitigung der kommunistischen Führer die Zukunft der Revolution ernsthaft gefährdet. Mögen Sozialisten und Regierung, Faschisten und Polizei soviel tun, wie es ihnen beliebt, um uns der Propaganda- und Aktionsfreiheit zu berauben. Sie haben das Recht und von ihrem Standpunkt aus sogar die Pflicht dazu. Es wäre verwunderlich, wenn sie einer Partei die Freiheit liessen, unbestraft gegen das Leben des bürgerlichen Staates zu handeln. Aber wir erklären sehr deutlich den gestrigen und heutigen Verrätern der Arbeiterklasse, den Bonomi, Mussolini und Bacci, dass wir auf ihre Idiotie und auf ihre Strafverfolgungen entschieden pfeifen.
Wir pfeifen auf die Gesetze, die sie zur Geltung bringen wollen und auf die Gesetze, die sie ausarbeiten. Wir sind gegen ihr Gesetz. Deshalb blieben wir ihrem schmächlichen Schacher fern. Deshalb bleiben wir allein, wenige, aber stark, sehr stark, unbesiegbar. Denn wir wollen nicht den Waffenstillstand der Besiegten, und wir verlangen keinen Waffenstillstand von Feiglingen.
So spricht der Abwesende, und er erwartet, dass die sozialdemokratischen Spitzel ihn dem Söldner und der Polizei anzeigen.«

Kampf an allen Fronten

Es handelte sich dabei nicht um Worte, die man leichtfertig von sich gibt, um Effekthascherei. Derselbe Monat August, der für die anderen (natürlich nicht für die Faschisten, aber für die Sozialisten) der Monat der Entwaffnung sein sollte und auch wurde, bedeutete für die KP Italiens nicht den Beginn, sondern die beschleunigte Entfaltung der Aktivität und Mobilisierung auf allen Gebieten, eine Phase der wahrhaftigen Offensive gegen den friedfertigen Pazifismus der Versöhnler sowie der politischen und militärischen Organisierung der proletarischen Kräfte gegen die feindliche Gewalt. Von bürgerlicher Seite wurde die faschistische Offensive (von der staatlichen ganz zu schweigen) durch eine Offensive der Arbeitgeber gegen die Löhne, die Tarifverträge, die Arbeitszeit und selbstverständlich die Organisationen der ökonomischen Verteidigung begleitet. Von kommunistischer Seite ging die zentralisierte Aktivität für die militärische Parteiorganisation mit einem entschlossenen Kampf für die gewerkschaftliche Einheitsfront einher. Die Arbeiter aller politischen Gesinnungen wurden dazu aufgerufen, der Arbeitgeberfront eine einheitliche und entschlossene Front für die Verteidigung von Brot und Arbeit entgegenzustellen und, ob die »Führer« es nun wollten oder nicht, die Arbeitskammern und die Gewerkschaftssitze immer mehr in Festungen der Abwehr und wenn möglich des Gegenangriffs gegen die entfesselte Gewalt des Feindes zu verwandeln. Man musste eine klare und unumstossbare Grenze zwischen der Partei des revolutionären Proletariats einerseits und den Parteien der Bourgeoisie bzw. der Versöhnung mit der Bourgeoisie andererseits ziehen. Aber weit davon entfernt, die Proletarier voneinander abzutrennen, bezweckte diese Wasserscheide ihre Vereinigung in der gemeinsamen Verteidigung der elementaren Lebensbedingungen heute, um sie morgen zum gemeinsamen Angriff gegen die herrschende Ordnung zusammenzufassen. Beide Aktionen – Verteidigung und Gegenangriff auf militärischer Ebene und Verteidigung und Gegenangriff auf ökonomischer Ebene – waren aneinander gekettet wie zwei Seiten einer einzigen Aktion: auf der Grundlage der revolutionären Initiative der Partei in jedem Bereich mit dem immerwährenden Ziel der revolutionären Vorbereitung der Massen in der Wechselwirkung von ökonomischem Kampf um unmittelbare Forderungen und politischem Kampf um die höchsten Zielsetzungen. Die Notwendigkeit der organisatorischen Trennung auf politischem Gebiet ging einher mit der Notwendigkeit der Kampf- und Organisationseinheit auf dem ökonomischen. Beide Sachen widersprachen sich nicht, sondern ergänzten sich gegenseitig. Auch die Ablehnung von politischen oder gar militärischen Zusammenwürfelungen hatte für uns niemals die Bedeutung einer »splendid isolation« oder einer arroganten Gleichgültigkeit gegenüber den Ereignissen des offenen Klassenkrieges, welche Protagonisten diese auch haben mochten. Der Grund für die Trennung auf der Ebene der politischen Führung und für das mögliche Zusammenkommen in der Aktion wurde immer klar ausgesprochen.

»Wir behaupten, dass die kommunistische Bewegung jedes Organisationsabkommen mit Bewegungen, die nicht auf den entscheidenden Kampf ausgerichtet sind, generell ablehnen muss.… Es ist sehr einfach zu erklären, was wir unter ›Organisationsabkommen‹ verstehen. Jede Aktion bedarf einer Vorbereitung und daher einer Organisation und eben deshalb einer Disziplin, die Kommunisten können niemals die organisatorische Disziplin ihrer eigenen Partei einer anderen Disziplin unterstellen, wie dies der Fall wäre, wenn sie sich verpflichten würden, die Anweisungen einer anderen, aus Vertretern verschiedener Parteien gebildeten ›Einheitsfrontführung‹ zu befolgen…
Wir müssen darauf hinweisen, dass die Ablehnung von Organisationsabkommen keineswegs ausschliesst, dass Aktionen durchgeführt werden, an denen sich mit gleicher Zielrichtung die Kommunisten und andere politische Kräfte beteiligen. Wir müssen aber die volle Kontrolle über unsere Kräfte behalten für den Augenblick, in dem sich die Bündnisse einer Übergangsperiode auflösen können und auflösen müssen und wo die Frage der Revolution in ihrer ganzen Tragweite auftreten wird. Die Hypothese, solche Organisationsabkommen mit der Absicht zu schliessen, sie bei der ersten Gelegenheit zu »verraten« oder die dahinterstehenden Kräfte auszunutzen, steht nicht zur Debatte. Wir schliessen diese Taktik aus, aber nicht aus moralischen Skrupeln, sondern weil angesichts der hier behandelten und verheerenden ›revolutionären Verworrenheit‹, die nicht einmal die Massen, die unserer Partei folgen, schont, das Spiel viel zu gefährlich wäre und das Trennungsmanöver zu unseren Lasten gehen würde. Um die Massen auf die strenge Disziplin der revolutionären Aktion vorzubereiten, sind äusserst klare Haltungen und Handlungen vonnöten. Man muss sich daher von Anbeginn an auf eine sehr deutliche und feste Plattform stellen: auf unsere Plattform. Andernfalls würden wir Plattformen für andere erzeugen, für Bewegungen, die trotz ihrer Neuererposen bewusst reaktionär sind oder die auf dem Boden der Revolution stehen, aber keine richtige Auffassung von der revolutionären Entwicklung haben…«
(»Der Wert der Isolierung«, zit.).

Hätte aber der Versuch, durch Organisationsabkommen mit anderen Parteien eine Kampf- und Führungseinheit herzustellen, verheerende Folgen gehabt (eine Kampfeinheit verwirklichte sich allerdings oft faktisch im Laufe des Kampfes selbst), so stellte sich die Frage innerhalb der ökonomischen Organisationen anders. Dort lag der natürliche und fruchtbare Boden für eine solche Einheit, und die Partei arbeitete für eine Zusammenfassung aller Teilkämpfe und für die Vereinigung aller Gewerkschaften. Dort, wo sich die Arbeiter aller politischer Gesinnungen Schulter an Schulter, vereint durch ihr gemeinsames Proletarierdasein, zusammenfanden, dort konnte die Partei ihren Hebel ansetzen und ihre Rolle als Katalysator, ihre Aufgabe, die Klasse zusammenzuschliessen, erfüllen. Dort, ausserhalb der naiven, so verworrenen wie verwirrenden allseitigen Umarmungen und der zersetzenden und desorientierenden Wirkung der Kulissenverhandlungen und -manöver, konnte die Partei ansetzen, um ihren Einfluss zu vergrössern, denn in der feurigen Atmosphäre jener Epoche konnten die Gewerkschaften, vor allem in ihren Basisorganisationen und unter dem Einfluss der revolutionären Gruppen die Rolle als »Kriegsschulen« des Proletariats, die Engels ihnen zuschrieb, wieder annehmen. Und in dieser Perspektive würde die Partei als der wahre zentrale Antrieb des proletarischen Kampfes erscheinen, während die andere »Arbeiterparteien« infolge ihrer erwiesenen Unfähigkeit, den Kampf der Massen entschieden zu führen, sich auflösen würden. Damit sich diese Perspektive verwirklichte, wäre es jedoch notwendig, den Weg bis zum Ende zu gehen, ohne Zögern, ohne Rückzieher und vor allem ohne reuige Nostalgien, denn die »Wiedergewinnung« einiger Fetzen oder gar »Persönlichkeiten« der alten Partei, sollte sie überhaupt möglich sein, würde auf jeden Fall eine episodische Randerscheinung im Vergleich zur Eroberung anonymer, aber kämpferischer und unverdorbener Schichten des Proletariats bleiben. Und sie hätte andererseits niemals die Verwirrung und Enttäuschung der Proletarier aufwiegen können, die sich der Partei annäherten, weil die Tatsachen sie davon überzeugt hatten, dass sie sich dadurch nicht allein der offenen, sondern auch der subtileren Verräter für immer entledigen könnten, und die nunmehr diesen Gespenstern einer traurigen Vergangenheit neu lackiert gerade in den Reihen der Partei selbst wieder begegnen würden. Man durfte den Maximalismus, der tagtäglich Beweise für seinen konterrevolutionären Charakter lieferte, nicht durch die Erwägung auch nur der Möglichkeit seiner Revolutionierung aufwerten. Im Gegenteil musste man seine natürliche Angleichung an die Rechten begünstigen, man musste ausschliessen, dass er ein anderes Ende nehmen könnte. Die KP Italiens hatte ihrerseits keine Zweifel in dieser Hinsicht, und ihre entschiedene Stellung kommt in folgender Erklärung der Exekutive nochmals zum Ausdruck:

»BEZIEHUNGEN ZU ANDEREN PARTEIEN UND ZU GEWERKSCHAFTLICHEN ORGANISATIONEN«

»Angesichts der Vielfalt von lokalen Situationen, die diese bewegte Periode mit sich bringt, sind die Genossen nicht immer in der Lage, die von der Exekutive für die Parteiaktion festgelegten Richtlinien richtig anzuwenden. Wir halten daher die folgenden Klarstellungen für nötig.
Ohne vorherige Autorisation der Exekutive darf man keinem Komitee und keiner Initiative beitreten, an denen sich verschiedene politische Parteien beteiligen. Ein Beispiel hierfür sind die Komitees und Initiativen, die sich mit Kommuniqués, in denen Vertreter der verschiedenen Organisationen aufgeführt sind, mit Manifesten, die von verschiedenen Organisationen oder verschiedenen Parteien unterzeichnet werden, u. dgl. der Öffentlichkeit vorstellen.
Für bestimmte Initiativen, die keinen strikt und spezifisch auf die Partei zugeschnittenen Charakter haben, werden die gewerkschaftlichen Organisationen, in denen sich Arbeiter aller Parteien befinden, zur Aktion aufgerufen, wie die Exekutive bereits mitgeteilt hat und gegebenen falls wieder mitteilen wird. In solchen Fällen sollen die Komitees aus Gewerkschaftsvertretern, sei es der Organisationen der CGL, sei es gegebenenfalls der ›Unione Sindacale‹ (d. h., der anarchistischen Gewerkschaftszentrale) gebildet werden. Die kommunistische Partei soll sich nicht direkt, durch Entsendung politischer Delegierter, an diesen Komitees beteiligen, sondern indirekt durch ihre Mitglieder, die in den Reihen der Gewerkschaften kämpfen. Dasselbe gilt folglich auch für die Sektionen der Partei: keine Delegierten entsenden, keine Manifeste unterzeichnen, nicht als Träger von Veranstaltungen solcher Komitees auftreten, sondern dies alles den Gewerkschaftsorganen überlassen, sowohl wenn diese von unserer Partei geführt werden als auch im anderen Fall. Dieses Kriterium hat man z. B. für die Unterstützung der politischen Opfer und die Hilfe an Sowjetrussland angewendet.
Auf anderen Gebieten, auf denen die spezifische politische Funktion der Partei zum Tragen kommt, darf man weder gemischte Komitees bilden, noch die Gewerkschaftsorganisationen mit der Aktion beauftragen. Dies gilt z. B. und vor allem für die militärische Organisation.
Wir verleihen diesen Normen keinen absoluten, prinzipiellen Wert. Jede Abweichung von ihnen muss aber ausschliesslich von der Exekutive beschlossen werden. Wir erwarten von den Genossen, dass sie sich von nun an strikt an obige Anweisungen halten« (»Il Comunista«, 21. August 1921).

In den nachfolgenden Monaten sah man die Partei ständig und entschieden an der Spitze der bewaffneten Abwehr gegen faschistische Angriffe und an der Spitze der grossen Streiks. Ihre Richtlinien bahnten sich einen Weg in die Gewerkschaftsorganisationen hinein, wo sie die wachsende Zustimmung der Massen fanden. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die CGL hat auf die Einladung zur Einheitsfront nicht geantwortet, wurde aber von ihrer Basis zur Tagung ihres Nationalrats in Verona gezwungen, und die Eisenbahnergewerkschaft sah sich ihrerseits gezwungen, die Initiative zur Bildung der »Allianz der Arbeit«, der Einheitsfront der verschiedenen Gewerkschaftszentralen, zu ergreifen. Man darf durchaus die Frage stellen, ob die energische Aktion der Kommunistischen Partei an allen Fronten des proletarischen Klassenkampfes nicht viel grössere Ergebnisse gehabt hätte, wenn die Internationale, um den Einfluss der Partei auf immer breitere Schichten der Arbeiterklasse zu vergrössern, nicht den scheinbar leichteren Weg der Anlehnung an die alte sozialistische Partei bevorzugt hätte – und die Illusion, verhindern zu können, dass die PSI in den Abgrund stürzte, führte schliesslich sogar dazu, dass man ihr in den Abgrund folgte.

Auf dem Kongress von Mailand im Oktober hegte die Internationale die Illusion, die PSI würde sich von ihrem offen rechten Flügel trennen; ein Jahr später, auf dem darauffolgenden sozialistischen Kongress von Rom sollte sie sich der noch grösseren Illusion hingeben, dass die PSI, nachdem sie sich von den offenen Reformisten getrennt hatte, ihren Reformismus ablegen würde. Diese Illusion hatte eine schädliche Wirkung auf die Massen, die einerseits täglich gegen die Feigheit und Nachgiebigkeit der maximalistischen Partei- und Gewerkschaftsführer kämpfen mussten und von der harten Wirklichkeit gezwungen wurden, diese mindestens als bewusste oder unbewusste Helfershelfer der Faschisten und der Unternehmeroffensive zu betrachten, die aber andererseits erleben mussten, wie Delegationen der Internationale zu den ekelerregenden Kongressen der PSI angereist kamen. Dies erweckte den Eindruck, als gäbe es für Moskau nicht eine einzige, durch einen Selektionsprozess entstandene Partei der Arbeiterklasse, sondern eine »Palette« von Kandidaten auf diesen Status, dergestalt, dass man nur noch auf… diplomatischem Wege die offizielle Ernennung der vermeintlichen Kandidaten auszuhandeln hätte; dies erweckte den Eindruck, als könnten die in Livorno errichteten und in den folgenden sechs Monaten durch die Tatsachen selbst bestätigten und noch stringenter gemachten Schranken umgestossen werden, als entsprächen sie nicht präzisen und international gültigen Kampfbedingungen, sondern persönlichen und lokalen Launen. In der sicherlich ehrlich gemeinten Vorstellung der Komintern handelte es sich um ein hohes Kunststück des taktischen Manövers; für die an allen Fronten kämpfenden Proletarier war es ein tragischer Hohn; für die kommunistische Partei schliesslich bedeutete es die Zerstörung fester Grundlagen, die man sich im Feuer des Klassenkampfes erworben hatte.

Die zweite Welle

In ihrer unheilbaren Dummheit hielten die Maximalisten, wie wir oben gesehen haben, das »sogenannte Friedensabkommen«, das Bacci »beklommenen Herzens« unterzeichnet hatte, für den »Anfang des Zerfalls der faschistischen Kräfte« (»Avanti!« vom 09. 08. 1921). Die Wirklichkeit sah genau entgegengesetzt aus, und nicht etwa weil der schändliche Pakt nicht die erwarteten negativen Reaktionen innerhalb des »romantischen« faschistischen Bandentums hervorgerufen hätte, denn er hatte nichts weniger als die närrische Demission Mussolinis (die er allerdings sofort wieder rückgängig machte) von der Exekutive der faschistischen Kampfeinheiten zur Folge. Entgegen den maximalistischen Wunschvorstellungen war die Wirklichkeit dadurch gekennzeichnet, dass sich dieser Friedenspakt in einen unausweichlichen, von dem Willen und den nostalgischen Vorstellungen einzelner Individuen oder Gruppen unabhängigen Prozess der politischen, organisatorischen und militärischen Zentralisation der bürgerlichen Konterrevolution einordnete. Im faschistischen Lager führte dieser Prozess im November zur Gründung der nationalen faschistischen Partei PNF; auf der Ebene der militärischen Angriffe kam er in einer systematischen Neuorganisation der faschistischen Kampftrupps und einer zentralen und disziplinierten Führung dieser Aktionen zum Ausdruck; auf politischer Ebene schliesslich wurde die Konvergenz zwischen legalen und illegalen Repressionsapparaten, die im Schutze der Neutralität oder, schlimmer noch, der sozialistischen Entwaffnung ihr Handwerk treiben konnten, immer deutlicher.

Im August, dem Monat des Friedenspaktes, gingen die kleineren faschistischen Gewalttaten nach einer anfänglichen Zunahme dann wieder zurück, allerdings nur um Anfang September einer gross angelegten Offensive Platz zu machen. Am 10. September legten 3000 perfekt ausgerüstete, bewaffnete und organisierte Schwarzhemden bei ihrem »Marsch auf Ravenna« die ländlichen Gebiete der Romagna in Schutt und Asche. Die Regierung sah untätig zu, und erst am 27. September, nachdem bei einem Zusammenstoss mit den königlichen Garden in Modena 7 Faschisten umgekommen waren, erliess sie ein Dekret, dass das Tragen von Waffen sowie Lastwagenfahrten von einer Provinz zur anderen verbot. Das einzige Ziel und Ergebnis dieser Massnahme war die Entwaffnung der Arbeiter und Bauern. (Es ist jedoch charakteristisch, dass Ravenna erst 10 Monate später endgültig von den Helden des Knüppels »erobert« werden konnte, und zwar unter Bedingungen, die wieder einmal mehr ein klares Licht auf die defätistische Rolle der PSI und der CCL werfen sollten). Am 26. September wird in Mola di Bari der sozialistische Abgeordnete Giuseppe di Vagno erschossen. Die unnachahmbare sozialistische Parlamentsfraktion schliesst sich
»dem von verschiedenen Organisationen gemachten Vorschlag, eine nationale Protestaktion zu starten, nicht an, weil sie ihrem Anspruch treu bleiben will, alles zu tun und nichts zu unterlassen, was geeignet ist, der Gewaltorgie, die das Land in Blut ertränkt, Einhalt zu gebieten,… nicht mit Protestaktionen, die zu neuen Gewalttaten Anlass geben, sondern durch eine bewusste und zähe Aktion, um den friedlichen Gegenschlag der Arbeiter vorzubereiten«.
Damit meinte die PSI sicherlich die x-te Petition an die Regierung Bonomi. Am 20. Oktober versandte diese Regierung, die die Sozialisten für nicht »stark« genug hielten, ein Rundschreiben. Darin ordnete sie an, diejenigen Offiziere, die gerade demobilisiert werden sollten (ca. 60 000) in die wichtigsten Übungszentren zu entsenden, mit der Auflage, den faschistischen Aktionsgruppen beizutreten und für ⅘ ihres bisherigen Solds deren Kommando zu übernehmen. Genau das war es, was Not tat, um den bereits begonnenen Prozess der Zentralisierung und Disziplinierung der faschistischen Sturmtrupps zu begünstigen und zu beschleunigen. Mit seinen Abgeordneten im Frack, seinen regulären Offizieren an der Spitze der illegalen Sturmtrupps und bald darauf auch seiner Parteiorganisation war der Faschismus nunmehr mit allen Wassern der demokratischen Hoffähigkeit geweiht. Er war keine illegale Bewegung mehr, sondern zu einem paralegalen Instrument des Staates geworden. Hierhin also führten die »neuen Wege zum Sozialismus«, die von Ivanoe Bonomi aus der Taufe gehoben worden waren!

Aber das Bild der erneuten antiproletarischen Welle ist damit noch nicht abgeschlossen. Während sich der Faschismus im Schatten des Friedenspaktes und unter den Fittichen der Regierung eine wirksamere Organisationsstruktur schafft, während seine Sturmtrupps die grossen Arbeiterfestungen noch weit umgehen, weil sie darauf warten, dass der Verwesungsprozess der PSI und der CGL den Punkt erreicht, wo er das proletarische Bollwerk zerbrechlich macht oder womöglich dessen Tore öffnet (hierzu brauchte es aber noch eines weiteren Jahres!), entfesseln die Unternehmer gleichzeitig einen planmässigen Angriff auf die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats. In den gesamten letzten vier Monaten des Jahres 1921 kommt es zu zahlreichen Unruhen, die vom gewerkschaftlichen Opportunismus aber auf den jeweiligen regionalen Rahmen beschränkt werden können (bei der heute üblichen Unverschämtheit, einzelne Betriebe oder gar Betriebsabteilungen »schwerpunktmässig« streiken zu lassen, war man damals also noch nicht angelangt). Im August und September kommt es zu landesweiten Streiks der Textil – und Holzarbeiter. Dann geraten die lombardischen Metallarbeiter in Bewegung. Erst als ihr Streik beendet ist, legen die Metaller in Ligurien und im julischen Venetien die Arbeit nieder. Wir haben hier regionale und nationale Streiks verschiedener Industriezweige, die sich miteinander verflechten. Die Bewegungen werden aber abgebrochen, während es im julischen Venetien wieder zu Unruhen auf breitester Ebene kommt. Kaum ist der Streik der julischen Metallarbeiter beendet, als die Ermordung eines Druckers in Triest zu einem landesweiten Streik dieser Berufssparte führt, den die Bonzen nach 24 Stunden wieder abbrechen. Mit diesen mächtigen, aber voneinander isolierten Streiks gehen noch zahlreiche andere Bewegungen einher: der antifaschistische Generalstreik vom November in Rom, der von der CCL beendet wird, während der Eisenbahnerstreik im Süden noch weitergeht; der Streik von Turin, der sich gegen die Verurteilungen wegen Vergehen während der Fabrikbesetzungen 1920 wendet; der Generalstreik von Neapel aus Solidarität mit den Hafen – und Metallarbeitern der Stadt sowie auch der harte Kampf der Seeleute. Und dies sind nur die wichtigsten Episoden! Angesichts dieser Tatsachen wird die Bedeutung der Kampagne für eine gewerkschaftliche Einheitsfront klar, die die Partei damals parallel zu ihren Bemühungen um eine militärische Organisation entwickelte, genauso übrigens wie auch die planmässige Offensive der Unternehmerschaft parallel zur bewaffneten Offensive der faschistischen Sturmtrupps stattfand. Die PSI, die im August den Friedenspakt geschlossen hat, lässt es zu, dass ihr… gewerkschaftliches Anhängsel auf den entschiedenen Aufruf der KP zur Bildung einer gewerkschaftlichen Einheitsfront nicht eingeht und auch jene Appelle unbeantwortet lässt, in denen die Kommunisten zu einer Zusammenfassung aller Konflikte auf einer gemeinsamen gewerkschaftlichen Plattform durch einen einzigen Forderungskatalog auffordern, in dem die Verteidigung des Lohns, des Achtstundentags, der geltenden Verträge und Ab kommen, der wirtschaftlichen Organisation und der Arbeitslosen zu einer grundsätzlichen Frage erhoben werden sollte. Der massiven Unternehmeroffensive hat die CGL nichts anderes entgegenzusetzen als den Vorschlag einer… Untersuchung über die Lage der Industrie, jener Ausgangspunkt für so viele verlogene »Forderungen« des heutigen Opportunismus!

Die enge Verflechtung von ökonomischem und militärischem Kampf, den die Partei auf der Grundlage der oben genannten Kriterien führt, kommt in dem folgenden Manifest, in dem die gesamte Strategie der Partei dargelegt wird, klar zum Ausdruck:

»Gegen die Offensive der Reaktion«!

»Arbeiter, Genossen«
»Das wiederholte Vorkommen schwerwiegender Ereignisse zeigt, dass die reaktionäre Offensive der bewaffneten bürgerlichen Banden noch lange nicht aufgehört hat. Die Gewalttaten des Faschismus, die versteckte und offene Reaktion der Staatsmacht sind nur eine Seite der allgemeinen antiproletarischen Bewegung, die sich auf wirtschaftlichem Gebiet in dem Versuch äussert, durch eine regelrechte Kampagne von Lügen und Gewalt taten gegen die Arbeiterorganisationen den Arbeitern die Löhne zu kürzen und ihre Arbeitsbedingungen durch Entlassungen und Aussperrungen zu erschweren.
Unsere Partei hat wiederholt vor den Massen erklärt, dass dies alles eine Bestätigung dafür ist, dass die heutige Gesellschaft in eine unheilbare Krise geraten ist, die die herrschende Klasse selbst dazu treibt, das Proletariat zum letzten Kampf herauszufordern.
Angesichts der zunehmenden Fälle bürgerlicher Aggression sieht die Kommunistische Partei ihre allgemeine Einschätzung der Lage bestätigt. Dasselbe gilt auch für ihre Taktik, die ihre Militanten bereits in die Tat umgesetzt haben und umsetzen und deren Parole lautet: – jeden Schlag des Gegners mit einem Gegenschlag unter Anwendung derselben Mittel vergelten; – die scheinheilige und schändliche Illusion bekämpfen, der zufolge es im Rahmen der heutigen Institutionen möglich ist, wieder friedliche Formen des Zusammenlebens der entgegengesetzten sozialen Klassen herzustellen; – die angeblichen Befriedungsversuche als Akte der Komplizenschaft mit den Angreifern und den Herrschenden entlarven.
Gleichzeitig zeigt die Kommunistische Partei dem Proletariat, dass es für eine Situation, die sich jeden Tag auf Kosten der Arbeiter verschärft und der man als ökonomisches, soziales und politisches Ganzes begegnen muss, nur einen einzigen Ausweg gibt: die Aktion des gesamten Proletariats, an der sich – in Verwirklichung der Einheitsfront – alle Arbeitergruppen und alle lokalen Organisationen der arbeitenden Klasse beteiligen. Ohne auf unser politisches Programm zu verzichten, das in der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und der Errichtung der proletarischen Diktatur die Richtsteine des proletarischen Emanzipationskampfes sieht, zu verzichten, haben wir zu diesem Zwecke durch das kommunistische Gewerkschaftskomitee die klaren Bedingungen und Ziele genannt, die für eine Aktion des gesamten italienischen Proletariats durch die gemeinsame Erklärung des Generalstreiks seitens der grossen nationalen Gewerkschaftsorganisationen Geltung haben müssen. Die deutliche Aufforderung, die wir an die Confederazione del Lavoro, die Unione Sindacale und die Eisenbahnergewerkschaft gerichtet haben, damit sie ihren jeweiligen National rat einberufen, um den kommunistischen Vorschlag zu diskutieren und in gegenseitiger Übereinkunft die allgemeine Aktion des Proletariats zu organisieren, hat in den Massen ein positives Echo gefunden, aber die Führer noch nicht aufrütteln können.
Unsere Partei fasst in diesem Vorschlag das unmittelbare Aktionsprogramm des Proletariats zusammen. Die sich überschlagenden Ereignisse lassen seine Richtigkeit und Wirksamkeit klar zutage treten. Die anderen sich auf das Proletariat berufenden Parteien, vor allem die sozialistische Partei, die heute, trotz ihrer Bemühungen um eine geistige und materielle Entwaffnung, in der Person eines ihrer Abgeordneten fürchterlich getroffen wurde, haben weder zu unserem Vorschlag Stellung genommen, noch schlagen sie andere Programme für die proletarische Aktion vor.

Arbeiter!
Die blutigen Heldentaten der weissen Banden, die bei euch, die ihr mit euren Familien vom Gespenst des Hungers bedroht werdet, eine Welle der Empörung hervorrufen, zwingen euch dazu, der Situation ins Auge zu sehen.
Versammelt euch in euren Organisationen, um den Vorschlag des Kommunistischen Gewerkschaftskomitees zu diskutieren und anzunehmen.
Fordert die Einberufung der Nationalräte der grossen proletarischen Wirtschaftsorganisationen, damit sie seine Durchführung beschliessen.
Fordert von den Parteien und Politikern, die euch von den Interessen der ausgebeuteten, verhöhnten und angegriffenen Arbeiter erzählen, dass sie zu diesem brennenden Problem klar Stellung nehmen und ihre Vorstellungen über die Aktion, welche das Proletariat durchführen muss, zum Ausdruck bringen.
Eure Rettung kann nur in einer allgemeinen und direkten Aktion der Massen liegen, die nicht auf eine absurde Versöhnung eurer Interessen mit denen der Bourgeoisie hinarbeitet, sondern sich den entschiedenen Kampf gegen diese Klasse zum Ziel setzt, nicht die Wiederherstellung, sondern die Zerschlagung der legalen bürgerlichen Ordnung.
Nur so werdet ihr euch vor dem Hunger, der Reaktion, der Demütigung und Aggression, die heute gegen euch wüten, retten können.
Es lebe die allgemeine Aktion des gesamten Proletariats gegen die kapitalistische Ordnung, in Richtung auf den revolutionären Endsieg!
Das Exekutivkomitee«

Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, auf die umfassende Aktion, welche die Partei nach dem Aufruf vom 17. August im gewerkschaftlichen Bereich entwickelte, im einzelnen einzugehen. Was hier aber erwähnt werden muss, ist, dass es in der zweiten Hälfte des Jahres 1921 trotz des Defätismus der PSI und der CGL an allen Fronten zu einer Stärkung und Reorganisierung der Arbeiterverteidigung kommt. Die Aktion der jungen KP Italiens führt nicht nur zu einer Wiederbelebung und einem erneuten Aufflammen der proletarischen Kampfbereitschaft. Indem sie klare Zeichen setzt, schafft sie ihr eine feste Bahn. Wenn der Feind seinerseits seine eigenen Kräfte zu disziplinieren und zentralisieren versucht, so weil seine Zähne einen Knochen vorgefunden haben, der viel härter als vorausgesehen ist, und dies gilt vor allem für die grossen städtischen Zentren, die aufgrund der enormen Widerstandskraft der Arbeiter von den Faschisten nicht eingenommen werden können. Bis August 1922 (d. h. bis zum abgebrochenen Generalstreik) und selbst danach noch befinden sich die Hochburgen des Faschismus in der Provinz und in den landwirtschaftlichen Randgebieten. Nur mit der hilfreichen Unterstützung der Staatsmacht einerseits und mehr noch des reformistischen und maximalistischen Verrats andererseits gelingt es ihm nach lagen Mühen, diese Lage zu überwinden,

Bacci und Co. hatten von dem Friedenspakt eine Zerbröckelung der faschistischen Sturmtrupps erwartet. Die Wirklichkeit sah aber so aus: Anstatt zu »zerbröckeln«, schöpften die Faschisten im Schutze jener angeblichen »Waffe ihres Zerfalls« neue Kraft. Wenn das Proletariat seinerseits in jenen entscheidenden Monaten die Waffen nicht nur nicht gestreckt hat, sondern sich im Gegenteil auflehnte und nicht selten zum Gegenangriff überging, so gerade infolge der stärkenden und disziplinierenden antipazifistischen Aktion der Kommunisten.

So konnten z. B. die von der Partei unterstützten und geführten Proletarier in jenen Tagen, wo in Rom der Gründungskongress der PNF stattfand, den faschistischen Schlägern eine aufsehenerregende Schlappe bereiten. Die ach so mutige Konterrevolution schrieb sich diese Lektion hinter die Ohren: Sie vermied es, die sehr viel besser bewaffneten und »schwierigeren« Arbeiterzentren frontal anzugreifen und beschränkte ihre Orgien auf kleinbürgerliche Kleinstädte und verstreute ländliche Gebiete, bis der Staat ihrem… Schlafwagen dann endlich freie Fahrt in die Metropolen gewährte.

Was also ist der Faschismus?

Die Episode von Rom ist kennzeichnend. Die Agitation gegen die Ausschreitungen der Schwarzhemden, die zu ihrem Kongress zusammengeströmt und dazu entschlossen waren, »ein Andenken von sich zu hinterlassen«, begann zunächst in jenem volkstümlerischen und kleinbürgerlichen Ton, der für Rom typisch ist. Man stellte die Legalität der Illegalität, Ruhe und Ordnung dem Chaos und der Barbarei entgegen. Stück für Stück jedoch nahm diese Agitation dann einen ausgesprochen proletarischen Charakter an. Als am 9. November ein faschistischer Sturmtrupp bei seiner Ankunft auf dem Bahnhof Termini das Feuer auf die Eisenbahner eröffnet, weil sie mit den Lokomotiven ein Pfeifkonzert veranstaltet hatten, entschliesst sich das aus den zwei Arbeitskammern (der der CGL und der der Einzelgewerkschaften) gebildete Komitee zur proletarischen Verteidigung endlich dazu, in Rom und in der Provinz den Generalstreik auszurufen. Es verleiht ihm jedoch den jämmerlichen Charakter eines Protests gegen die Verletzung des Gesetzes. Die Arditi del Popolo ihrerseits erklären (was unsere Auffassung von ihnen völlig bestätigt), dass sie
»leider gezwungen sind, die Verantwortung abzulehnen, da wir den gerechten und heiligen Protest der proletarischen Massen Roms nicht bremsen können«.
Nur der von aussen kommende, aber mächtige Druck der Kommunisten bringt das Verteidigungskomitee dazu, den Streik in einen unbegrenzten Streik bis zum völligen Abzug aller faschistischen Schlägertrupps aus Rom zu verwandeln. Dieser Streik dauert ohne Unterbrechung volle fünf Tage, keiner springt ab. Die Regierung droht den Eisenbahnern drakonische Strafen an. Vergeblich, denn die Eisenbahner von ganz Süditalien und im Bezirk von Ancona lassen sich hierdurch nicht davon abhalten, aus Solidarität mit ihren Kollegen ebenfalls die Arbeit niederzulegen. Ohne Erfolg versuchen die königlichen Garden, einige Strassenbahnen in Gang zu bringen. Genauso ergebnislos ist das – niemals ausgeführte – Ultimatum, das die faschistischen Kongressteilnehmer den Streikenden stellen. Die Stadt ist völlig lahmgelegt, und die Faschisten müssen ihre Versuche, in die proletarischen Viertel einzufallen, sehr schnell wieder aufgeben, um nicht noch mehr Federn zu lassen. Am 14. schliesslich sehen sich die schwarzen Banden gezwungen, Hals über Kopf eine Stadt zu verlassen, die sich mittlerweile in ein befestigtes Lager verwandelt hat. Vier Tote und 115 verletzte Arbeiter, darunter 44 Kommunisten, bilden das Wahrzeichen einer mutigen Schlacht, die gegen die »legalen« und »illegalen« Kräfte der Ordnung gewonnen wurde. Als am 24. Mai des folgenden Jahres die faschistischen Schläger erneut versuchen, Herr über Rom zu werden, ist es wieder das proletarische Viertel S. Lorenzo, von dem das Signal für die Gegenoffensive ausgeht. Eine schändliche Niederlage einsteckend, werden die Faschisten vom Volkszorn aus der Stadt hinausgeworfen. Das Unternehmen vom November 1921 ist der erste Versuch der Faschisten, ihr Lager in einer grossen Stadt aufzuschlagen. Zugleich zeigt er beispielhaft, wozu die Proletarier noch in der Lage sind, wenn sie – gemäss dem Aufruf ihrer Partei – den Kampf entschieden, ohne Einschränkungen und Zögern führen und dem Feind dabei offen entgegentreten.

Die (auch theoretische) Bilanz eines Jahres von erbitterten Kämpfen und blutigen Klassenzusammenstössen kann nicht besser zusammengefasst werden, als dies in einer Artikelreihe geschehen ist, die zum Zeitpunkt des mussolinischen Kongresses in allen Organen der KP Italiens veröffentlicht wurde und deren Ziel es war, unsere Einschätzung des Faschismus, seiner Ursprünge und Ziele, so wie sie sich in dem Rahmen der Entwicklung der bürgerlichen Herrschaft einordnen, darzulegen. Der erste dieser Artikel, die wir hier vollständig zitieren werden, erschien unter anderem auch im »Ordine Nuovo« vom 27. 11. 1921 unter dem Titel:

»DER FASCHISMUS«

»Diese Anmerkungen wollen nicht die Bilanz der jüngsten Ereignisse in Rom ziehen, um daraus ein Urteil über den Faschismus abzuleiten, sondern sie gehen von den Ergebnissen des faschistischen Kongresses aus, auch wenn dieser nur gezeigt hat, dass er für die Erstellung eines kritischen Urteils über den Faschismus überflüssig war.
Die faschistische Bewegung konnte auf ihrem Kongress die Waffe einer mächtigen Organisation aufweisen, und sie hatte sich vorgenommen, ihre Kräfte in der Hauptstadt spektakulär zur Schau zu stellen. Gleichzeitig wollte sie auch vor den Augen der Öffentlichkeit die Prinzipien ihrer Ideologie und ihres Programms darlegen, denn ihre Führer meinten, eine so entwickelte Organisation müsse sich durch eine »neuartige« Lehre und »neuartige« politische Orientierung legitimieren.
Die Niederlage, die der Faschismus in den Tagen des Römischen Generalstreiks einstecken musste, ist noch gar nichts gegen die Pleite, die sich hinsichtlich seiner oben genannten Absichten in den Ergebnissen des Kongresses widerspiegelte. Es ist offensichtlich, dass man eine Erklärung oder, wenn man so will, eine Berechtigung des Faschismus ausserhalb jener Bemühungen um neue programmatische Konstruktionen suchen muss. Weder als kollektives Werk noch als persönlicher Versuch eines Führers, der zwar unweigerlich die Laufbahn eines »Politikers« im traurigen traditionellen Sinne des Wortes machen wird, der aber nie zu einem Meister seines Faches werden kann, führten diese Bemühungen zu einem Ergebnis.
Der Faschismus, dieser politische Futurismus[22], hat sich nicht auch nur einen Millimeter über das platte Niveau der bürgerlichen Mittelmässigkeit hinausbewegt. Warum?

* * *

Der Kongress, so hat man gesagt, bestand eigentlich nur aus der Rede Mussolinis. Diese Rede ist ein Schlag ins Wasser. Ausgehend von der Analyse der anderen Parteien, ist Mussolini keineswegs zu einer Synthese gelangt, in der er die Positionen, aufgrund derer sich eine faschistische Partei von allen anderen unterscheidet, umrissen hätte. Wenn es ihm in gewisser Weise auch gelungen ist, sich durch eine entschieden feindliche Haltung gegenüber dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung zu kennzeichnen, so ist doch nicht klar geworden, welche neuen Positionen den Faschismus von den traditionellen politischen Ideologien der bürgerlichen Parteien unterscheiden.
Die faschistische Ideologie wollte sich als vernichtende Kritik an überkommenen Formeln darstellen. Dieser Versuch beschränkte sich aber fast ausschliesslich auf ein jonglieren mit Paradoxa. Er löste sich in eine Reihe von Behauptungen auf, die weder an sich neu waren, noch einen neuen oder überhaupt einen Zusammenhang ergaben. Völlig wirkungslos wurden die Gemeinplätze der Politik wiederholt, mit denen die verschiedenen Schulen immer wieder um sich werfen und die uns von den krankhaft neuerungssüchtigen Politikastern des zeitgenössischen bürgerlichen Zerfalls in jeder denkbaren Aufmachung aufgetischt werden. In einer Epoche der äussersten Krise der bürgerlichen Gesellschaft bastelt die bürgerliche Ideologie an Schablonen herum, die sie dem Syndikalismus, dem mehr oder weniger individualistischen Anarchismus, den Traum der spiritualistischen und religiösen Metaphysik entwendet hat. Nur unser schrecklicher und brutaler bolschewistischer Marxismus fällt als glückliche Ausnahme diesem Beutezug nicht zum Opfer. Die bürgerliche Ideologie bläht sich in ihrem Zersetzungsprozess auf. Mussolini – dies gilt aber nicht allein für seine Rede, sondern für die gesamte faschistische Literatur – lieferte uns ein Sammelsurium der hierfür typischen kulturellen Bakterienflora. Die feierliche Verkündung einer neuen Wahrheit blieb aus.
Griff er auf den Antiklerikalismus der Freimaurer zurück, um sich vom Programm der Volkspartei abzugrenzen, so bediente er sich zugleich der militanten Religiosität; sprach er sich offen für den ökonomischen Liberalismus aus, um die vergeblichen kollektivistischen Experimente unter der »kapitalistischen Wirklichkeit« zu begraben, so läutete er zugleich die Totenglocken für die Lehre des politischen Liberalismus. Was kann man in der Tat folgern aus diesem unzusammenhängenden Reigen unterschiedlicher Auffassungen? Was soll es heissen, wenn Mussolini behauptet, die Auffassung einer antidemokratischen Diktatur mit dem Kommunismus zu teilen, wenn diese für ihn nur der Zwangsapparat der »freien« kapitalistischen Wirtschaft, die er für lebensnotwendiger denn je erklärt, darstellt? Und wie kann man zugleich Republikaner sein und die Perspektive einer vorparlamentarischen, diktatorischen und somit erzdynastischen Herrschaftsform aufblitzen lassen? Oder die Doktrin der liberalen Partei derjenigen der historischen Rechten entgegenstellen, die ja dem Liberalismus in Theorie und Praxis ernsthafter und enger verpflichtet waren?
Wäre aus allen diesen Aussagen am Ende ein harmonisches Ganzes entstanden, so würden sie trotz ihrer Widersprüchlichkeit die Kraft jener Paradoxa behalten, mit denen sich jede neue Ideologie verkleidet, um aus ihnen dank einer dialektischen Virtuosität gewissermassen Kraft und Festigkeit zu schöpfen. In diesem Fall blieb aber die abschliessende Synthese aus. Der Mischmasch aus alten Märchen ergab per Saldo einen Bankrott.
Der kritische Punkt bestand darin, die Haltung des Faschismus gegenüber den Parteien der bürgerlichen Mitte zu bestimmen. Es war nicht so schwer, sich irgendwie als Gegner der sozialistischen und der Volkspartei darzustellen. Aber die Kritik an der liberalen Partei und die Notwendigkeit, sie zu erledigen, um ihren Platz irgendwie einzunehmen, konnte nicht sauber begründet werden und sich in ein Parteiprogramm umsetzen. Es sei sofort hinzugefügt, dass wir damit nicht die Auffassung bekräftigen wollen, der Faschismus könne keine Partei sein. Er wird eine Partei sein; und hierfür wird er seine verschrobenen Abneigungen gegen die Monarchie, die Demokratie und sogar… den Staatssozialismus miteinander versöhnen. Wir stellen lediglich fest, dass die faschistische Bewegung über eine wirksame und starke Organisation verfügt, die über den militärischen Charakter hinaus auch einen politischen und parlamentarischen Charakter erhalten kann, die aber keine eigene Ideologie und kein eigenes Programm hat. Die Untersuchung des faschistischen Kongresses, oder besser der Rede Mussolinis, in der die Bestrebung nach einer Selbstkennzeichnung der Bewegung am deutlichsten zum Ausdruck kam, führt uns zur Feststellung, dass der Faschismus hierzu unfähig ist. Diese Tatsache, auf die wir im Laufe unserer kritischen Untersuchung an geeigneter Stelle zurückkommen werden, beweist die Überlegenheit des Marxismus, der ihn im Gegenteil sehr gut kennzeichnen kann.

* * *

Das Wort Ideologie hat einen metaphysischen Beigeschmack. Wir benutzen es aber, um das programmatische Rüstzeug einer Bewegung, ihr Bewusstsein von einer Reihe von Zielen, die sie mit ihrer Aktion erreichen will, zu kennzeichnen. Das setzt natürlich eine Methode voraus, mit der man die gesellschaftlichen und geschichtlichen Ereignisse versteht und interpretiert. Gerade weil sie sich in der Epoche ihres geschichtlichen Niedergangs befindet, hat die Bourgeoisie heute eine zwiespältige Ideologie. Die Programme, die sie nach aussen hin vertritt, entsprechen nicht dem inneren Bewusstsein, das sie von ihren Interessen und der zum Schutze dieser Interessen notwendigen Aktion hat. Als die Bourgeoisie eine revolutionäre Klasse war, war sie von ihrer eigenen sozialen und politischen Ideologie durch und durch überzeugt. Wir meinen damit denselben ›Liberalismus‹, zu dessen Überwinder sich der Faschismus erklärt. ›Glaube‹ und ›Wille‹ der Bourgeoisie entsprachen den Tafeln des liberalen bzw. demokratischen Programms. Ihr brennendes Interesse bestand darin, ihre Wirtschaftsform von den Fesseln der Gesetze und der Gesellschaftsordnung des ›ancien regime‹ zu befreien. Sie war überzeugt, dass die Verwirklichung eines Höchstmasses an politischer Freiheit und das Zugeständnis aller möglichen Rechte an alle Bürger mit der humanistischen Universalität ihrer Philosophie, aber auch mit der grössten Entwicklung ihrer eigenen Wirtschaft im Einklang stand.
Und war der politische Liberalismus ein ausgezeichnetes Mittel, um mit der Macht des Staates die feudale Wirtschaftsordnung und die Privilegien der zwei ersten ›Stände‹ (Adel und Klerus) abzuschaffen, so war er auch ein probates Mittel, wenn es darum ging, die ›Klassen‹-Funktion des parlamentarisch-bürgerlichen Staates nicht mehr allein gegen die Vergangenheit und die Restaurationsversuche auszuüben, sondern ebenso gegen die Äusserungen des »vierten Standes«, gegen die Angriffe der proletarischen Bewegung. In ihrer ersten Lebensphase fehlte der Bourgeoisie noch das Bewusstsein von dieser zweiten Funktion der Demokratie, von ihrem historischen Frontwechsel, ihrer Verwandlung von einem revolutionären in einen konservativen Faktor. Die historische Rechte in Italien liefert ein Beispiel für dieses fehlende Bewusstsein. Die Ideologen des Liberalismus haben nicht nur ›erklärt‹, dass diese Methode zum Aufbau des politischen Apparats für das ganze ›Volk‹ von Vorteil war und die Rechtsgleichheit aller Gesellschaftsmitglieder sicherte. Sie haben dies auch »geglaubt«. Sie konnten sich noch nicht vorstellen, dass die Rettung der von ihnen vertretenen bürgerlichen Institutionen die Abschaffung der in den bürgerlichen politischen Lehren und Verfassungen enthaltenen liberalen Garantien verlangen könnte. In ihren Augen konnte der Staatsfeind nur der Feind aller Bürger sein, der Verbrecher, der den Vertrag des gesellschaftlichen Zusammenlebens verletzte.
Später konnte die herrschende Klasse deutlich erkennen, dass das demokratische System sich sehr gut als ›Ventil‹ gegen das Proletariat einsetzen lässt, um den Überdruck seiner Unzufriedenheit mit den ökonomischen Verhältnissen abzulassen. Während die Überzeugung der Bourgeoisie, dass der liberale Mechanismus ihren Klasseninteressen hervorragend diente, immer mehr zunahm, verlor er in ihren Augen mehr und mehr den Charakter eines philosophischen und abstrakten Ziels, um nunmehr als ein Mittel betrachtet zu werden. Und, wie sie erkennen musste, war die Anwendung dieses Mittels in Wirklichkeit nicht unvereinbar mit der ergänzenden Funktion des bürgerlichen Staates, die proletarische Bewegung auch mit Gewalt zu unterdrücken. Wenn aber ein liberaler Staat die verbrieften Freiheiten abschaffen muss, um sich vor Angriffen zu schützen, so liefert er einen geschichtlichen Beweis für den verlogenen Charakter des Liberalismus bzw. der liberalen Auffassung von der Mission der Bourgeoisie und von der Natur ihres Regierungsapparates. Seine wirkliche Rolle kommt zum Vorschein. Er muss nämlich die Interessen des Kapitalismus mit allen Mitteln schützen: mit dem Ablenkungsmanöver der demokratischen Maskeraden und, sobald diese allein die Bewegungen, die den Staat selbst bedrohen, nicht mehr zurückzuhalten vermögen, mit zusätzlicher bewaffneter Repression.
Diese Lehre von der Rolle des bürgerlichen und liberalen Staates ist an sich nicht ›revolutionär‹. Besser gesagt, das Revolutionäre liegt darin, sie vorzutragen. Deshalb muss die Bourgeoisie in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase diese Lehre auf praktischer Ebene verwirklichen und auf theoretischer Ebene leugnen. Wenn der bürgerliche Staat die repressive und konterrevolutionäre Rolle, die ihm ganz natürlich zufällt, erfüllt, muss die Bourgeoisie implizit erkannt haben, dass die liberale Doktrin falsch ist. Es ist aber keineswegs notwendig, rückwärts zu laufen und die Verfassung des Staatsapparates einer Revision zu unterziehen.
Weder muss die Bourgeoisie ihre liberale Vergangenheit bereuen, noch muss sie dem Liberalismus abschwören. Beides bleibt ihr erspart, denn ihr Herrschaftsorgan wurde durch seine eigene logische, ja biologische Entwicklung dazu befähigt und gewappnet, die ›Sache der Freiheit‹ mit Gewehren und Kerkern zu verteidigen.

* * *

Solange sie Programme verkündet und politische Theorie betreibt, kann eine bürgerliche Bewegung diese Notwendigkeit einer Klassenverteidigung mit allen Mitteln, einschliesslich derjenigen, die von der Verfassung und den Gesetzen des Staates verboten sind, nicht offen aussprechen. Vom konservativen Standpunkt aus wäre dieses Manöver ein Fehler. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass neunundneunzig Prozent der herrschenden Klasse eine formale Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und die Forderung nach einer Reform des bürgerlichen Staates im mittelalterlichen bzw. aristokratischen oder autokratischen Sinn für ein falsches Mittel zur Erhaltung ihrer Herrschaft halten. Kein vornapoleonischer Staat war für die Schrecken des Krieges qualitativ und quantitativ besser ausgerüstet als die modernen demokratischen Staaten, und dies gilt nicht allein im Hinblick auf die technischen Mittel. Auch wenn es um die Reaktion und Repression im Inneren und um die Verteidigung ihrer eigenen Existenz geht, erweisen die modernen demokratischen Staaten ihre Überlegenheit. In der heutigen Periode von Repression gegen die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse ist es aber logisch, dass die politische Bewegung der Mitglieder der bürgerlichen Klasse und ihrer Schützlinge bzw. ihre Beteiligung am politischen Leben neue Aspekte gewinnt. Die ›verfassungsmässigen‹ Parteien, deren Organisation darauf abgestimmt ist, Wahlkämpfe zu führen und das Fortbestehen des kapitalistischen Regimes durch die Antwort der Mehrheit des Volkes bei den Wahlen bestätigen zu lassen, reichen nicht mehr aus. Es ist notwendig, dass die Klasse, auf der der Staat beruht, diesem entsprechend den neuen Erfordernissen bei der Erfüllung seiner Funktion hilft. Die konservative und konterrevolutionäre Bewegung muss sich militärisch organisieren, um eine militärische Funktion zu erfüllen, erwartet man ja den Bürgerkrieg.
Es liegt im Interesse des Staates, dass sich diese Organisation, in der Gesellschaft, in der ›Masse der Bürger‹ bildet, weil so die repressive Funktion sich besser mit der verzweifelten Verteidigung der Illusion vereinbaren lässt, dass der Staat der Vater aller Bürger, aller Parteien und aller Klassen sei.
Sobald die Massen die Hoffnung aufgeben, sich auf legalem Weg, durch die vom Staat erlaubte politische Aktivität emanzipieren zu können, sobald die revolutionäre Methode unter den Massen an Boden gewinnt und diese Massen auf eine militärische Organisation und Aktion vorbereitet, wird sich die Partei der Ordnung ihrerseits organisieren und bewaffnen, um sich zu verteidigen.
Neben dem Staat, aber logischerweise unter seinem Schutz beeilt sie sich, um sich »schneller« und »besser« als das Proletariat zu bewaffnen. Und sie ergreift die Offensive gegen proletarische Stellungen, die das liberale bürgerliche Regime toleriert hatte. Dies darf man jedoch nicht verwechseln mit der Entstehung einer Partei, die den Staat erobern möchte, um ihm vorliberale Formen zu verleihen, und die in diesem Sinne gegen den Staat wäre.
Wie der Leser schon verstanden haben wird, liegt für uns hier die Erklärung für die Entstehung des Faschismus. Er ergänzt den bürgerlichen Liberalismus; er zerstört ihn nicht. Durch seine den offiziellen Staatsapparat flankierende Organisation verwirklicht er die bürgerliche Doppelverteidigung.
Wenn sich der revolutionäre Druck des Proletariats verschärft, wird die Bourgeoisie wahrscheinlich dazu neigen, diese beiden Verteidigungsmethoden, die sich nicht ausschliessen, sondern nebeneinander existieren, maximal zu intensivieren. Sie wird die kühnste demokratische oder sogar sozialdemokratische Politik zur Schau tragen und die Angriffsbanden der Konterrevolution auf das Proletariat losjagen, um es abzuschrecken. Hier liegt aber ein anderer Aspekt der Frage, der nur beweisen soll, wie unsinnig die Gegenüberstellung von Faschismus und parlamentarischer Demokratie ist. Die Wahltätigkeit des Faschismus bestätigt erneut die Haltlosigkeit dieser Gegenüberstellung.
Es bedarf indes keines Höhenfluges, um eine parlamentarische Partei zu werden. Ebensowenig ist es hierfür nötig, das harte Problem der Ausarbeitung des »neuen« Programms zu lösen. Und gerade der Faschismus wird seine Daseinsberechtigung niemals durch programmatische Tafeln darlegen können, wie er sich auch niemals ein eigenes Bewusstsein wird erarbeiten können, denn er ist das Produkt einer Entzweiung von Programm und Bewusstsein einer Gesellschaftsklasse. Und sollte er im Namen einer Doktrin reden müssen, so würde er dem traditionellen Liberalismus zuzuordnen sein, in dessen Auftrag er für den »Aussengebrauch« die liberale Theorie verletzt, damit der Liberalismus selbst weiterhin die Aufgabe wahrnehmen kann, diese Theorie zu predigen.
Der Faschismus hat sich also auf dem Kongress von Rom nicht selbst definieren können und wird dazu auch niemals imstande sein, denn er konstituiert sich nach der Formel die Organisation ist alles, die Ideologie nichts, was der Formel der liberalen Partei – die Ideologie ist alles, die Organisation nichts – dialektisch entspricht. Allerdings muss der Faschismus deshalb nicht auf seine Existenz und die Erfüllung seiner Funktion verzichten.
Nachdem wir kurz gezeigt haben, wie die Entzweiung von Doktrin und Organisation die Bewegungen einer nieder gehenden Klasse kennzeichnet, wäre es jetzt interessant hervorzuheben, dass die strikt realistisch und historisch begründete Synthese von Ideologie und Organisation eine Eigenschaft der revolutionär aufsteigenden Klasse ist. Wir können daher nach Art eines Bekenntnisses der Hoffnung schliessen: Wenn man den Gegner und die Quellen seiner Kraft besser kennt als er selber und wenn man seine eigene Kraft auf einer klaren Kenntnis der eigenen Ziele errichtet, so kann man des Endsieges über diesen Gegner nur sicher sein.«[23]

Noch einmal über das faschistische »Programm«

Die im obigen Artikel dargelegten Argumente werden kurze Zeit nach dem Gründungskongress der PNF in einem weiteren Artikel vom 30. 11. 1921 wieder aufgegriffen, den wir hier ebenfalls vollständig zitieren wollen:

»DAS FASCHISTISCHE PROGRAMM«

»Zur gleichen Zeit wie das von der Führung in Mailand ausgearbeitete ›Manifest der faschistischen Partei‹ veröffentlichte die faschistische Tageszeitung auch einen Artikel, der – wie eine Reihe weiterer Artikel – die faschistische Bewegung gegen die von zahlreichen Parteien vorgebrachte Beschuldigung, sie habe weder ein Programm noch eine Ideologie oder Doktrin, verteidigen sollte. Der Duce antwortet diesem Chor von Vorwürfen ein wenig gereizt: Ihr fordert ein Programm von uns? Ihr fordert es von mir? Meint ihr etwa nicht, dass ich es in meiner Rede von Rom schon formuliert habe? Und er findet ein schützendes Argument, das einer gewissen polemischen Wirkung nicht entbehrt: Haben denn die politischen Bewegungen, die sich in ihrer Erwartung eines faschistischen Programms enttäuscht sehen, selbst überhaupt ein Programm, das diesen Namen verdienen würde? Und an diesem Punkt angelangt, muss man zwei Tatsachen festhalten: Erstens, dass die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien gerade deshalb vom Faschismus ein Programm erwarten, weil sie selbst keines haben; und zweitens, dass man der faschistischen Bewegung nicht das Fehlen eines Programms zum Vorwurf machen kann, denn gerade diese Programmlosigkeit stellt ein wichtiges Element dar, um ihr Wesen zu verstehen und zu bestimmen.
Des weiteren will sich der Direktor der faschistischen Tageszeitung über seine Widersacher erheben, indem er zeigt, dass der Faschismus deshalb weder programmatische Richtlinien noch theoretische Grundsätze habe, weil er an die modernste Richtung des philosophischen Denkens, nämlich die Relativitätstheorie, anknüpfe. Diese hat seiner Meinung nach mit dem Historizismus, für den die Ereignisse bestimmten Gesetzen gehorchen, reinen Tisch gemacht, um den Wert des absoluten Aktivismus zu bestätigen. Seit vielen Jahren hat der Duce nichts anderes getan, als aus dem Gefühl heraus Relativismus zu praktizieren. Über seine Entdeckung liesse sich also so mancher Witz machen, und man braucht sich nur einmal zu fragen, welcher Liederjan des politischen Lebens sich nicht mit derselben Devise schmücken und sich das Etikett ›praktischer Relativist‹ umhängen könnte. Halten wir aber fest, dass diese Anwendung des Relativismus, des Skeptizismus und Aktivismus auf die Politik in der Tat nichts Neues ist, sondern einen ziemlich häufig praktizierten ideologischen Rückzug darstellt, dessen objektive Ursache, versucht man sie mit Hilfe des historischen Materialismus herauszufinden, in der Notwendigkeit der Verteidigung der herrschenden Klasse liegt. In der Periode ihres Verfalls ist die Bourgeoisie unfähig geworden, sich einen festen Weg vorzuschreiben, d. h.: nicht nur eine Auffassung vom Ablauf der Geschichte, sondern auch eine Gesamtheit von Aktionsrichtlinien festzulegen. Um die Gefahr, die sie darin erblickt, dass andere soziale Kräfte sich in ihrer revolutionären Aggressivität einen festen Weg vorschreiben, abzuwenden, greift sie auf die bankrotte Philosophie des universellen Skeptizismus zurück, was ein sicheres Zeichen für Epochen der Dekadenz ist. Lassen wir die Relativitätstheorie, die Einstein für die Physik entwickelte, gleich beiseite. Welche Anwendung sie in der jüngsten intellektuellen Mode und in den Salons, wo Philosophie diskutiert wird, gefunden hat, wissen wir nicht, und wahrscheinlich weiss auch Einstein, der mit der revolutionären proletarischen Bewegung sympathisiert, nur sehr wenig davon. Die Anwendung dieser Theorie auf die Politik und die Geschichte unseres unglückseligen Planeten würde sowieso keine spürbaren Auswirkungen haben. Wenn man bedenkt, dass sie die Zeitberechnung mit Hilfe der Lichtgeschwindigkeit korrigiert und dass die Zeit, die ein Lichtstrahl braucht, um die längsten messbaren Entfernungen auf unserem Planeten zu durchlaufen, weniger als eine zwanzigstel Sekunde beträgt, dann versteht man, dass sich der Ablauf der irdischen Ereignisse aufgrund dieser Theorie nicht ändern würde. Was kümmert es uns zu wissen, ob Mussolini seit 10 Jahren aus dem Gefühl heraus Relativismus betreibt oder seit 10 Jahren und einer zwanzigstel Sekunde?
Aber, wie wir schon sagten, die Anwendung des philosophischen Relativismus und Aktivismus auf die Politik und die soziale Praxis ist eine alte Geschichte und ganz einfach ein Zeichen von funktioneller Ohnmacht. Die einzige logische Anwendung derartiger Lehren auf das gesellschaftliche Leben betrifft die subjektive und individuelle Anmassung einzelner; wenn die Programme für eine Reformierung und Revolutionierung des gesellschaftlichen Mechanismus zusammenbrechen, dann zerfallen mit ihnen die grossen kollektiven Organisationen: Was übrig bleibt, ist die Aktion der einzelnen oder im Höchstfall die Aktion von begrenzten, unabhängigen Gruppen, die über sehr viel Initiative verfügen.
Die beiden wohlbekannten Formen der Revision des revolutionären Marxismus, der Reformismus und der Syndikalismus, hatten sich logischerweise den Skeptizismus und den Relativismus zu eigen gemacht. Schon lange vor Mussolini sagte Bernstein, dass das Ziel nichts und die Praxis, die Bewegung alles sei. Und während man versuchte, dem Proletariat seine Orientierung auf ein Endziel zu nehmen, nahm man ihm auch gleichzeitig die einheitliche Auffassung von der Klasse als einer um ein gemeinsames Ziel kämpfenden Klasse. Man reduzierte so den Sozialismus auf einen von unzusammenhängenden Gruppen und mit einer unbegrenzten Bandbreite von Methoden geführten Kampf um unmittelbare Augenblicksziele, d. h. auf jenen »Mobilismus«, der heute vom Duce beschworen wird. Auf der Grundlage einer solchen ideologischen Haltung ist auch der Syndikalismus entstanden. Die relativistische Kritik scheint der Auffassung zu sein, dass die Theorie, die der proletarischen Klasse die Einheit ihrer Bewegung in Raum und Zeit erklärt, ein alter Hut ist, tausendmal widerlegt und begraben. Aber diese Kritik, die sich Tag für Tag als »neu« präsentiert, ist selbst nur eine olle kleinbürgerliche Kamelle. Sie ähnelt dem eleganten religiösen Skeptizismus der letzten Aristokraten, die am Vorabend der grossen bürgerlichen Revolution nicht mehr die Kraft hatten, für die Erhaltung ihrer Klasse zu kämpfen. Im einen wie im anderen Fall haben wir Symptome der Agonie vor uns.
Der Faschismus jedoch hat dem wahren Wesen seiner Bewegung nach keinerlei Recht, sich auf den Relativismus zu berufen. Ganz im Gegenteil könnte man sagen, dass er die letzten Anstrengungen zum Ausdruck bringt, die die heute herrschende Klasse unternimmt, um sich sichere Verteidigungslinien zu schaffen und gegen die revolutionären Angriffe ihr Recht auf Leben zu verkünden. Das ist ein negativer Historizismus, aber trotzdem Historizismus. Der Faschismus verfügt über eine Organisation von unbestreitbarer Festigkeit. Er stellt die Organisation all derjenigen Kräfte dar, die im praktischen Kampf verzweifelt jene Stellungen verteidigen werden, die die Bourgeoisie schon seit langem theoretisch zu rechtfertigen versucht. Aus diesem Grunde tritt der Faschismus, wie wir bereits in einem unserer Artikel sagten, nicht als Überbringer eines neuen Programms auf, sondern als eine Organisation, die für ein uraltes Programm, nämlich das des traditionellen bürgerlichen Liberalismus, kämpft.
Der scheinbare Agnostizismus, den das Manifest der faschistischen Partei gegenüber dem Staat zum Ausdruck bringt, darf und kann nicht täuschen. Aus diesem Manifest zu schliessen, dass auch der Begriff des Staates für das faschistische Denken und die faschistische Methode keine ›feste Kategorie‹ sei, wäre nur eine sinnlose Wortspielerei. Der Faschismus bringt den Staat und seine Funktion mit einer ›neuen‹ absoluten Kategorie in Verbindung, die nicht weniger dogmatisch als irgendeine andere ist: die Nation. Anstelle des Staates wird vom Faschismus die Nation gross geschrieben. Dass der nationale Wille und die nationale Solidarität keine ›historizistischen‹ und ›demokratischen‹ Ausdrücke sein sollen, müssten uns die Philosophen des Faschismus schon beweisen! Und sie müssten hierzu schon über eine Lehre oder kritische Methode verfügen, die in der Lage wäre, uns den Unterschied zu erklären zwischen ihrem höchsten Prinzip, der Nation, und der gegenwärtigen realen Organisation des Staates.
In Wirklichkeit entspricht der Begriff der Nation ganz dem bürgerlichen und demokratischen Begriff der Volkssouveränität, die angeblich im Staate zum Ausdruck kommen soll. Der Faschismus hat also nichts anderes getan, als die Begriffe des Liberalismus zu übernehmen, und wenn er auf den kategorischen Imperativ der Nation zurückgreift, so bringt dies nur ein weiteres Mal den klassischen Schwindel zum Ausdruck, der die Übereinstimmung von Staat und herrschender kapitalistischer Klasse zu verschleiern sucht! Selbst eine oberflächliche Kritik zeigt, dass erstens die Nation des faschistischen Manifests eine ›Kategorie‹ ist, die in der Ideologie einen so absoluten Wert hat, dass in der Praxis derjenige, der gegen sie zu lästern wagt, zum Sühneopfer der Prügel verurteilt ist; zweitens, dass diese Nation nichts anderes als die Bourgeoisie und ihre zu verteidigende Herrschaft darstellt. Also die ›Gegenkategorie‹ zur proletarischen Revolution ist. Zahlreiche kleinbürgerliche Bewegungen, die pseudorevolutionäre Allüren zeigen – und die heute alle, so paradox dies klingen mag, zum Faschismus neigen – machen den zweideutigen Beinamen »national« auch für sich geltend. Warum wird die Nation gerade von den faschistischen Freiwilligenmilizen repräsentiert und nicht von der unorganisierten oder in anderen Minderheiten organisierten Masse, die ja der natürliche Feind dieser Freiwilligenmilizen ist? Dies müsste für immer unverständlich bleiben, wenn wir den Begriff der Nation nicht derselben marxistischen Kritik unterziehen würden, die uns zu der Feststellung führt, dass der bürgerliche Staat, während er im Namen aller spricht, die Organisation einer Minderheit für die Aktion einer Minderheit ist, nämlich der Bourgeoisie. Die Tatsache, dass neben der Staatsorganisation noch die mächtige Organisation der faschistischen Freiwilligenmiliz besteht, bedeutet nicht eine Unabhängigkeit dieser Bewegung, sondern nur eine Teilung der Aufgaben, die den Verteidigungsbedürfnissen der antirevolutionären Klasse, der Bourgeoisie entspricht. Weil sich der Staat das Recht bewahren muss, als demokratischer Ausdruck der Interessen aller zu gelten, entsteht diese Miliz ausserhalb des Staates. Und diese wagt es ihrerseits so wenig, sich entsprechend den Philosophien, mit denen sie sich bemänteln möchte, zu verhalten, dass sie, anstatt sich als den Ausdruck einer Elite darzustellen, ihr Programm auf einen vagen ›Nominalismus‹ reduziert, der auch noch die Eigenschaft hat, im traditionellen und vulgären Sinne demokratisch zu sein: Die Nation.
In den schwachen und auf die Niederlage gefassten bürgerlichen Schichten, deren Desorganisation den Zusammenbruch des bürgerlichen Denkens und der bürgerlichen Kraft zum Ausdruck bringt, herrscht der Relativismus vor. Die einheitliche Organisation aber, die die letzten Kampffähigkeiten der Bourgeoisie zusammenfügt und militärisch organisiert, zeigt, dass sich diejenigen Kräfte der Vergangenheit, die noch imstande sind, sich zu vereinigen, dies nicht auf der Grundlage eines Programms für die zukünftige Geschichte tun (keine bürgerliche Strömung und auch nicht der Faschismus kann ein solches Programm finden), sondern dass sie allein dem instinktiven Entschluss gehorchen, die offensive Verwirklichung des revolutionären Programms zu verhindern. Wenn dieses Programm im Bereich der theoretischen Kritik von den neuen, verführerischen Thesen, die den Artikeln des faschistischen Führers ihren Glanz verleihen, geschlagen worden wäre und wenn es von der Bourgeoisie nicht als eine Gefahr angesehen würde, die sich morgen in die Tat umsetzen könnte, dann könnte der Duce seine Schwarzhemden nach Hause schicken und im Namen der relativistischen und aktivistischen Philosophie jene unbewegliche Disziplin aufheben, unter der er sie erklärtermassen immer mehr halten muss.«[24]

Es lebe die starke Regierung der Revolution

Angesichts der Bedrohung durch einen neuen und mächtigen… parlamentarischen Konkurrenten nahmen die demokratischen Parteien, die Sozialisten vorneweg, wieder ihre Kampagne für einen »Linksblock« auf, der die Aufgabe haben sollte, den Staat und seine Autorität gegenüber den bösartigen »illegalen« Attacken der Faschisten wieder zu stärken. Deshalb veröffentlichte die Kommunistische Partei am 3. Dezember 1921 in »Il Comunista« einen Artikel, der mit Vehemenz die klassische Position gegenüber derartigen Ablenkungsmanövern vertrat und ihnen den einzigen und unveränderlichen Weg des Kommunismus entgegensetzte:

»VON DER REGIERUNG«

»Die Demokraten, Sozialdemokraten und Sozialisten schicken sich an, die alte Farce von einem Linksblock wieder aufzuwärmen. Die Position der Kommunisten gegenüber all den Dummheiten, die diese Leute in der Abgeordnetenkammer von sich geben, ist äusserst einfach.
Es ist völlig falsch zu behaupten, dass es den Faschismus deshalb gibt, weil es an einer Regierung fehlt, die in der Lage wäre, ihn zu unterdrücken. Es ist ein Betrug, glauben zu machen, dass die Bildung einer solchen Regierung und im allgemeinen die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Aktion des Staates und der Aktion der Faschisten vom Lauf der Dinge im Parlament abhängen könnte. Wenn sich diese starke Regierung bilden würde, d. h. eine Regierung, die die Herrschaft des heutigen Gesetzes gewährleisten würde, dann würde sich der Faschismus schon ganz von selbst in den Ruhestand versetzen, verfolgt er doch kein anderes Ziel als die tatsächliche Einhaltung des bürgerlichen Gesetzes. Gerade dieses Gesetz zu zerstören, ist aber das Ziel des Proletariats. Es hat mit seiner Zerstörung bereits begonnen und wird damit fortfahren, sobald der konservative Widerstand gegenüber den Arbeitern nachlässt. Eine starke Regierung und ein starker Faschismus machen sich für das Proletariat auf dieselbe Weise bemerkbar: nämlich durch ein ›Höchstmass‹ an Betrug.
Geben wir einige Erklärungen zu diesen drei obigen Behauptungen, die in völligem Gegensatz zu dem widerlichen Spiel stehen, das die politische ›Linke‹ mit ihren schamlosen Kontakten und Kontrakten im Montecitorio betreibt. Dieser ›Linken‹ wiederholen wir noch einmal von ganzem Herzen die alte Erklärung, dass sie uns tausendmal mehr anwidert als alle Reaktionäre, Klerikalen und Nationalfaschisten von einst und jetzt.

* * *

Der bürgerliche Staat – dessen wirklicher Machtapparat nicht das Parlament, sondern die Bürokratie, die Polizei, die Armee und die Justiz sind – ist keineswegs dadurch gedemütigt worden, dass er von den wilden Aktionen der faschistischen Banden übergangen wurde. Man kann nicht gegen etwas sein, was man vorbereitet hat und unterstützt: Bürokratie, Polizei, Armee und Justiz sind für den Faschismus, ihren natürlichen Verbündeten, unabhängig davon, welche Zusammenstellung von Hanswursten im Ministerrock nun an der Macht sitzt.
Um den Faschismus auszumerzen, bedarf es nicht einer Regierung, die stärker als die heutige ist. Es würde schon genügen, dass der Staatsapparat ihn nicht mehr mit seiner Macht unterstützt. Nur gibt es sehr viel tieferliegende Gründe, weshalb der Staatsapparat es heute vorzieht, nicht seine eigene unmittelbare Gewalt, sondern die indirekt von ihm unterstützte Gewalt der Faschisten gegen das Proletariat einzusetzen.
Wir Kommunisten sind nicht so dumm, eine ›starke‹ Regierung zu fordern. Würden wir glauben, man braucht nur zu bitten, um etwas zu bekommen, dann würden wir ganz im Gegenteil eine wirklich schwache Regierung fordern, denn so wären der Staat und seine gewaltige Organisation zu schwach, um sich in das Duell zwischen den Weissen und den Roten einzumischen. Dann würde man den Demokraten a la Labriola zeigen, dass es sich um einen wirklichen Klassenkrieg handelt, und dem Duce, dass es nicht wahr ist, dass seine Siege auf den faulen Pazifismus der Arbeiter zurückzuführen sind. Die Demokraten und Faschisten würden ihre ›starke Regierung‹ dann schon bekommen, allerdings von uns, den Kommunisten. Aber die Hypothese ist absurd.
Der Faschismus ist aus der revolutionären Situation hervorgegangen. Revolutionär deshalb, weil die bürgerliche Bude nicht mehr funktioniert, weil das Proletariat sich schon daran gemacht hat, die ersten Latten einzureissen. Die vulgäre Demagogie und nicht zu übertreffende Niederträchtigkeit der falschen proletarischen Führer verschiedener Schattierungen, die in der sozialistischen Partei ihr Domizil finden, haben zwar den Vormarsch des Proletariats sabotiert. Dies heisst aber nicht, dass das revolutionäre Proletariat Italiens nicht stolz für sich beanspruchen kann, die Initiative ergriffen zu haben zum Angriff auf den bürgerlichen Staat, die Regierung, die kapitalistische Ordnung und auf die Herrschaft jenes Gesetzes, das die Ausbeutung der Arbeiter schützt.
Der Faschismus ist aus der Notwendigkeit entstanden, der umstürzlerischen Initiative des Proletariats mit zwei Methoden zugleich zu begegnen: erstens mit der versöhnlerischen, demokratischen und parlamentarischen Bestechung, aufgrund derer der Staat weiterhin seine soziale Unparteilichkeit vorschützen kann und zweitens mit der gewaltsamen Repression, der bewaffneten Gegenoffensive gegen die ersten sich herausbildenden Kerne der Kampfarmee der Revolution. Die Lage kann sich ändern: Die kapitalistische Krise kann sich verschärfen oder zeitweilig abschwächen; das Proletariat aggressiver werden oder den Schlägen der Gegenoffensive unterliegen und sich von den Schandtaten der Sozialisten irre leiten lassen. Dies alles sind Hypothesen; welche die wahrscheinlichste ist, können wir hier nicht sagen. Von diesen unterschiedlichen Situationen jedoch wird es abhängen, ob und inwieweit sich die Aufgaben des Faschismus gegenüber der staatlichen Organisation ändern werden. Sollte das Proletariat geschlagen werden, so wird noch am selben Tage jede Regierung automatisch als ›stark‹ auftreten, und die faschistischen Banden werden sich dem Fussball widmen können oder der Huldigung der heiligen Tafeln des herrschenden Rechts. Sollte das Proletariat seinen Angriff wieder aufnehmen, so wird sich das Spielchen des unter der Hand mit den faschistischen Formationen verbündeten Regierungsliberalismus noch einige Zeit fortsetzen, vielleicht unter einer Regierung Nitti oder Modigliani. Aber der Augenblick, wo sich die Faschisten und die Demokraten über die sehr richtige Tatsache einig sein werden, dass der einzige Feind der bestehenden Ordnung das revolutionäre Proletariat ist, wird in diesem Falle nicht lange auf sich warten lassen, und sie werden dann gemeinsam offen für die Sache der Konterrevolution arbeiten.
Mit der Entwicklung dieser sozialen und historischen Phänomene hat die Darbietung, die die Idioten und Gauner augenblicklich im Montecitorio geben, nichts zu tun. Auch die Bildung der ›bürgerlichen Linken‹ mit ihren 150 Deputierten, darunter allein 145 Anwärter auf Ministerialposten, wird keinerlei Einfluss auf diese Entwicklung haben. Ganz im Gegenteil wird sie wahrscheinlich dazu beitragen, dass irgendein Dugoni oder Vacirca oder andere Persönlichkeiten gleichen Kalibers an die Macht kommen, Defätisten bis aufs Mark, wenn es um die Interessen derjenigen Arbeiter geht, die sie leider wählen und die ihrem Gejammer über die faschistischen Gewalttaten zu Unrecht Glauben schenken.
Man gibt vor, durch einfache parlamentarische Manöver eine Regierung herbeiführen zu können, die das Programm verfolgt, die Faschisten zu entwaffnen und den lokalen Staatsorganen als Schutzinstanz der öffentlichen Ordnung wieder Geltung zu verschaffen. Diese Hypothese ist so dumm, dass ein subtiler Kritiker wie Labriola, wenn er sie vertritt, wohl von der plattesten politischen Karrieresucht befallen wurde. Aber nehmen wir einmal an, dass sich diese Hypothese verwirklicht. Welche Folgen würde dies für das Proletariat haben? Wir haben uns nicht zu sehr ausbreiten wollen und haben es auch schon auf einen Begriff gebracht: einen Betrug, den grössten Betrug.
Es gab eine Zeit, wo sich das Spiel der Linken von dem der Rechten unterschied, weil letztere die Ordnung mit Zwangsmassnahmen aufrechterhielt, während Erstere dies mit liberalen Mitteln zu erreichen versuchte. Heute ist die Zeit der liberalen Methoden vorbei, und das Programm der Linken besteht darin, die Rechte bei der Aufrechterhaltung der Ordnung an ›Energie‹ zu überbieten. Diese bittere Pille sollen nun die Arbeiter schlucken, und man versucht sie ihnen mit dem Vorwand zu versüssen, dass es die ›Reaktionäre‹ sind, die die Ordnung stören und dass es die bewaffneten Banden Mussolinis wären, die die Energie der Regierung zu spüren bekämen!
Aber da das Proletariat die Aufgabe hat, diese eure verdammte Ordnung zu zerschlagen, um auf ihren Trümmern seine eigene zu errichten, ist derjenige sein schlimmster Feind, der sie mit der meisten Energie aufrechterhalten will.
Würde man dem Liberalismus Glauben schenken, so könnte das Proletariat von der Bourgeoisie eine liberale Regierung fordern, um unter den geringsten Opfern die Grundlagen seiner Diktatur zu errichten. Es wäre aber ein Verbrechen, den Massen eine solche Illusion zu geben. Deshalb entlarven die Kommunisten das Programm der »Linken« als einen Betrug, sei es wenn sie sich darüber beklagt, dass es keine starke Regierung gibt, sei es, wenn sie über die Verstösse gegen die öffentliche Freiheit stöhnt. Das einzige, worüber man sich freuen kann, ist, dass je mehr der Inhalt dieses Betrugs klar zutage tritt, umso mehr auch der Liberale sich als Polizist erweist. Selbst wenn er sich die Uniform anzieht, um Mussolini zu verhaften, so bleibt er doch nicht weniger ein Polizist, ein Polizist, der Mussolini nicht verhaften wird, aber gewiss vor den Schanzen des Feindes der Arbeiterklasse, dem heutigen Staat, Wache stehen wird.
Wir sind also weder für eine starke noch für eine schwache, weder für eine rechte noch für eine linke Regierung. Wir werden nie diese Unterscheidungen von rein parlamentarischer Bedeutung schlucken. Wir wissen, dass die Stärke des Staates nicht von Hinterzimmermanövern der Abgeordneten abhängt, und wir sind für eine einzige Regierung: die revolutionäre Regierung des Proletariats. Wir erbitten sie von niemandem, wir bereiten sie vor in den Reihen des Proletariats, gegen alle. Es lebe die starke Regierung der Revolution[25]

Mit diesen Worten, in denen die einzige »Alternative zum Faschismus« klar zusammengefasst ist, die einzige Alternative, für die die Kommunisten, die dieses Namens würdig sind, kämpfen konnten, möchten wir die Untersuchung des Jahres 1921 abschliessen.

Anmerkungen:
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  1. Ivanoe Bonomi war der Verfasser des 1907 veröffentlichten Buches »Die neuen Wege des Sozialismus«, mit dem der italienische Revisionismus eingeleitet wurde. Bonomi vertritt in diesem Buch die Auffassung, dass der Staat nun mehr sein Wesen verändert habe, dass er über den Klassen stehe. [⤒]

  2. Die Aktionsgruppen, die sich »Fasci« nannten, wurden zunächst Ende 1914 als »Fasci di Azione Rivoluzionaria« gegründet, und zwar im Zusammenhang mit der Kampagne für den Kriegsbeitritt Italiens, den sie als einen höchst »revolutionären« Akt betrachtete. [⤒]

  3. Wie wir bereits im ersten Teil dieses Artikels erwähnten, waren die »Arditi« ursprünglich Sturmbrigaden der regulären Armee gewesen, die mit Dolchen und Handgranaten ausgerüstet waren. [⤒]

  4. Bei der »Rede von Quarto« handelt es sich um eine Rede, die im Mai 1915 von Gabriele D’Annunzio in Quarto dei Mille gehalten wurde, einem Ort in der Provinz von Genua, wo sich 1860 die Truppen Garibaldis für ihren Sizilienfeldzug einschifften. In dieser Rede forderte D’Annunzio den Kriegsbeitritts Italiens an der Seite der Ententemächte und im Namen der Vollendung der Einigungskriege des nationalen Risorgimento. Sich wie ein Garibaldi vorkommend, besetzte D’Annunzio im September 1919 mit seinen »Arditi« die Stadt Fiume. Bald nach Abschluss des Rapallo-Vertrags zwischen Italien und Jugoslawien wird D’Annunzio von der italienischen Armee aus der Stadt vertrieben (27. -29, Dezember 1920). [⤒]

  5. Die ordinovistische Gruppe Gramscis, die, wenn sie auch bereit war, sich bei dem ersten… Peitschenschlag zu disziplinieren, immer ihren schwankenden Charakter beibehielt, liebäugelte anfangs mit den Arditi del Popolo. Und 1924 zur Zeit der Matteotti-Krise konnte Gramsci es sich auch nicht verkneifen,… Gabriele D’Annunzio als einem möglichen Opponenten zum Faschismus einen Besuch abzustatten. [⤒]

  6. Die »Carta del Carnaro« war die von G. D’Annunzio ausgearbeitete und am 8. September 1920 verabschiedete Verfassung der Stadt Fiume. Sie bildete das erste Modell einer korporativen Verfassung, die auf der harmonischen Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit gründete. [⤒]

  7. Es handelt sich hierbei um die Namen blutiger Schlachten, die während des ersten Weltkriegs an der italienisch-österreichischen Front ausgetragen wurden. [⤒]

  8. Nach ihrer Landung auf Sizilien im Juli 1943 drangen die Alliierten immer weiter nach Norden vor, um Italien »vom Faschismus zu befreien«. Zu diesem Zeitpunkt entstanden in Rom und Oberitalien »Nationale Befreiungskomitees«, deren Partisanenformationen die Alliierten hinter der deutschen Front unterstützten und auf den Zusammenschluss aller nicht-faschistischen Parteien beruhten. [⤒]

  9. Der Futurismus war eine Anfang des 20. Jahrhunderts von Italien ausgehende künstlerische und literarische Strömung, die die Technik und den Krieg verherrlichte. Während des 1. Weltkrieges waren die Futuristen die beharrlichsten Kriegsbefürworter, und ihre bedeutendsten Führer aus der Vorkriegszeit gingen zum Faschismus über.[⤒]

  10. Hier findet sich eine andere Übersetzung des Artikels »Der Faschismus«.[⤒]

  11. Hier findet sich eine andere Übersetzung des Artikels »Das faschistische Programm«.[⤒]

  12. Hier findet sich der Artikel »Von der Regierung« als separater, mit Anmerkungen versehener Text.[⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 23, September 1979, S.6–30
Korrigiert und um Anmerkungen ergänzt im Juni 2021. (sinistra.net)

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