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DER TERRORISMUS UND DER SCHWIERIGE WEG DER ALLGEMEINEN WIEDERAUFNAHME DES KLASSENKAMPFES


Content:

Der Terrorismus und der schwierige Weg der allgemeinen Wiederaufnahme des Klassenkampfes
Eine Reihe unzulänglicher Antworten
Ein langer Kampf an zwei Fronten
Zunächst der Bruch…
…und dann die Überwindung des individualistischen Terrorismus auf einer unvergleichlich höheren Ebene
1905 – Die Generalprobe
Die marxistische Methode angesichts der Frage des Terrorismus
Die Unvereinbarkeit zwischen Marxismus und individualistischem Terrorismus
Was brauchen die Massen?
Die »kriegführende Partei«
Im Lichte der Oktoberrevolution
Notes
Source


Der Terrorismus und der schwierige Weg der allgemeinen Wiederaufnahme des Klassenkampfes

Will man den individuellen Terrorismus kritisch beurteilen, so muss man sich auf den Standpunkt des Marxismus stellen. Da dieser in der Klassengewalt die Geburtshelferin der Geschichte erkennt, ist er allein in der Lage, die sporadischen Episoden der Gewalt gegen die bürgerliche Unterdrückung in einem historischen Zusammenhang zu sehen. Der individuelle Terrorismus ist eine Erscheinung, die in der Geschichte des Klassenkampfes regelmässig wiederkehrt. Man muss daher zunächst seine materiellen sozialen Ursachen blosslegen, um dann die ihn kennzeichnende Ideologie, sowohl in ihren Grundzügen wie auch in ihren historischen Varianten, zu untersuchen. Dies kann nur vom Standpunkt des proletarischen Klassenkampfes aus geschehen, d. h. eines Kampfes, der sich unweigerlich in einen offenen Klassenkrieg verwandeln wird. Spricht man aber von proletarischem Klassenkampf, so stellt sich zugleich die Frage der Partei, die ihn organisieren, orientieren und disziplinieren muss, so dass, selbst wenn die objektiven Bedingungen für den offenen Klassenkrieg erst in einer fernen Zukunft auftreten werden, die Frage der politischen, aber auch materiellen Vorbereitung der Partei auf eine solche Lage sich schon heute stellt.

Nach zahlreichen Artikeln, die in unserer internationalen Presse[1] zu diesem Thema bereits erschienen sind, wollen wir hier, ausgehend von ausführlichen Zitaten aus klassischen Texten des Marxismus, wieder darauf eingehen.

»Der Marxist steht auf dem Boden des Klassenkampfes und nicht des sozialen Friedens. In bestimmten Perioden scharfer ökonomischer und politischer Krisen entwickelt sich der Klassenkampf zum unmittelbaren Bürgerkrieg (…) Jede moralische Verurteilung des Bürgerkriegs ist vom Standpunkt des Marxismus völlig unzulässig.«[2]

In diesen knappen Sätzen fasst Lenin jene grundlegenden Prinzipien zusammen, von denen die Marxisten ausgehen müssen, um die verschiedenen augenblicklichen Äusserungen des Terrorismus, um Bedeutung und Rolle des »bewaffneten Kampfes einzelner Personen und kleiner Gruppen« einzuschätzen. Dies verlangt zugleich eine Einschätzung der jeweiligen Lage. Dabei darf man trotz aller Unterschiede nicht vergessen, dass jede einzelne Situation Bestandteil einer unerbittlichen Gesamtentwicklung ist, die zwar nicht immer den »Bürgerkrieg« zutage fördert, aber auch niemals den absoluten »sozialen Frieden« auftreten lässt.

Jene prinzipiellen Massstäbe verbieten von vorneherein jeden Versuch, bei der Beurteilung dieser oder jener Äusserung von Terrorismus die für die Kommunisten charakteristische Haltung der unnachgiebigen und permanenten Gegnerschaft zum Staat der herrschenden Klasse abzulegen oder abzuschwächen. Sie verbieten damit nicht nur die offene Befürwortung des Sozialpazifismus, wie sie zum Beispiel den erklärten Opportunismus kennzeichnet, sondern auch jene subtilere, aber nicht minder verheerende Haltung, die darin besteht, die offene und ständige Parteinahme für den Klassenkampf und dessen unerbittliche Erfordernisse je nach Lage hintanzustellen oder auf sie zu verzichten, was oft mit dem in diesem Zusammenhang typisch opportunistischen Vorwand gerechtfertigt wird, dass der direkte Klassenkrieg noch nicht auf der Tagesordnung steht.

Prinzipielle Gründe verbieten daher den Marxisten, den individuellen Terrorismus wie auch jede andere Erscheinung der chronischen Krise der bürgerlichen Gesellschaft zu »bedauern«. Sie müssen im Gegenteil seine materiellen Ursachen und geschichtlichen Wurzeln aufdecken, um sich dann die Frage zu stellen: Was bedeutet diese Erscheinung, nicht im allgemeinen und abstrakt, sondern hier und heute vom Standpunkt des Klassenkampfes? Wie ist sie im Hinblick auf die Entwicklung dieses Klassenkampfes einzuschätzen, der sich, wie der Marxismus zeigt, in bestimmten, früher oder später (und heute eher später) auftretenden Perioden »scharfer ökonomischer und politischer Krisen« in einen »unmittelbaren Bürgerkrieg« verwandeln wird? Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die Partei, die die Revolution nicht »machen«, sondern führen muss, dieser, wie Lenin sagte, ihren Stempel aufdrücken muss? Wie soll sich die Partei zu dieser Erscheinung stellen, wenn man bedenkt, dass sie ihr Ziel über einen zwangsläufig schwierigen Parcours erreichen wird, der – voller kleiner, spontaner Scharmützel, die der »grossen Schlacht« vorausgehen – auf und ab geht? Wenn man bedenkt, dass sie sich nicht vornehmen kann, diese »grosse Schlacht« zu führen, wenn sie nicht vorher versucht, die sie ankündigenden kleinen Gefechte unter ihre Führung zu bringen? Und insbesondere: welche Antwort gibt sie denjenigen, die den Klassenkampf auf den Terrorismus reduzieren und im Terrorismus das alleinige Mittel der Parteiaktion erblicken (wenn man bei einer solchen antimarxistischen Auffassung überhaupt noch von Partei reden kann)? Und will man sich als politische Kraft nicht liquidieren, so darf man diese Antwort nicht umgehen, sondern muss sie mit aller Offenheit aussprechen. Denn wenn jeder, der die Gewalt im allgemeinen, den bewaffneten Kampf im allgemeinen, den Terrorismus im allgemeinen ablehnt, sich von vornherein ausserhalb des Marxismus befindet, so genügt es keineswegs, diese Dinge im allgemeinen zu befürworten, bzw. die Revolution im allgemeinen zu befürworten, um den Anspruch zu erheben, sich Marxist zu nennen.

Eine Reihe unzulänglicher Antworten

Im ersten Kapitel seiner Schrift über den »Partisanenkrieg«, die wir bereits eingangs zitierten, schreibt Lenin:
»Beginnen wir von vorn. Welches sind die Grundforderungen, die jeder Marxist bei der Untersuchung der Frage der Kampfformen stellen muss? Erstens unterscheidet sich der Marxismus von allen primitiven Formen des Sozialismus dadurch, dass er die Bewegung nicht an irgendeine bestimmte Kampfform bindet. Er erkennt die verschiedensten Kampfformen an, und zwar ›erfindet‹ er sie nicht, sondern fasst nur die im Verlauf der Bewegung von selbst entstehenden Formen des Kampfes der revolutionären Klassen verallgemeinernd zusammen, organisiert sie und verleiht ihnen Bewusstheit. Der Marxismus lehnt alle abstrakten Formeln, alle doktrinären Rezepte entschieden ab und fordert ein aufmerksames Eingehen auf den sich tatsächlich abspielenden Massenkampf, der mit der fortschreitenden Entwicklung der Bewegung, mit dem wachsenden Bewusstsein der Massen, mit der Verschärfung der ökonomischen und politischen Krisen immer neue und mannigfaltigere Methoden der Verteidigung und des Angriffs hervorbringt. Deshalb denkt der Marxismus gar nicht daran, ein für allemal irgendwelche Kampfformen abzulehnen. Der Marxismus beschränkt sich keineswegs nur auf die Kampfformen, die im gegebenen Augenblick allein möglich sind und angewandt werden, sondern hält es für unvermeidlich, dass bei Änderung der jeweiligen sozialen Situation neue, in der gegebenen Periode unbekannte Kampfformen aufkommen. Der Marxismus lernt in dieser Beziehung, wenn man sich so ausdrücken darf, aus der Massenpraxis und ist weit davon entfernt, darauf Anspruch zu erheben, die Massen Kampfformen zu lehren, die von Stuben-›systematikern‹ ertüftelt werden. Wir wissen (…) dass die kommende Krise uns neue Kampfformen bringen wird, die wir jetzt nicht voraussehen können.
Zweitens fordert der Marxismus unbedingt ein historisches Herangehen an die Frage der Kampfformen. Diese Frage ausserhalb der historisch konkreten Situation behandeln, heisst das Abc des dialektischen Materialismus nicht verstehen. In verschiedenen Augenblicken der ökonomischen Evolution, in Abhängigkeit von den verschiedenen politischen, nationalkulturellen Bedingungen, den Lebensverhältnissen usw. treten verschiedenen Kampfformen in den Vordergrund, werden zu Hauptformen des Kampfes, und im Zusammenhang hiermit erfahren wiederum auch die zweitrangigen Kampfformen, die Kampfformen von untergeordneter Bedeutung, eine Veränderung. Zu versuchen, die Frage der Anwendbarkeit eines bestimmten Kampfmittels zu bejahen oder zu verneinen, ohne eingehend die konkrete Situation der gegebenen Bewegung auf der gegebenen Stufe ihrer Entwicklung zu untersuchen, heisst den Boden des Marxismus völlig zu verlassen.«
[3]

Diese Ausführungen Lenins liefern uns den Schlüssel, um jene Reihe von unzulänglichen Antworten auf den »Terrorismus als absolute Methode« (oder »Prinzip«) zu liquidieren, welche die unzähligen Gruppen der sogenannten Linke charakterisieren und sich bestenfalls als lauter Ausflüchte erweisen.

Es genügt also nicht, dem Terrorismus als Ideologie zu antworten: Ihr seid für die individuelle Gewalt, wir sind für die Klassengewalt, für die kollektive Gewalt, und das ist es, was den Marxismus vom »revolutionären Abenteurertum« unterscheidet. Dies ist unzulänglich als polemische Entgegnung und hat negative Auswirkungen auf die revolutionäre Vorbereitung. Sicherlich enthält diese Kritik ein Fünkchen Wahrheit, denn allein die Gewalt der einzigen revolutionären Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft, d. h. allein die vom Proletariat ausgeübte Gewalt ist hier ein Hebel der Geschichte. Dies setzt aber voraus, dass diese Klasse sich im Laufe ihres Kampfes gegen die Bourgeoisie mit einer revolutionären Partei bewaffnet, die ihre Befreiungsversuche zentralisiert und alle ihre spontanen und selbst »irrationalen« Vorstösse auf das Ziel der Machteroberung lenkt.

Es ist ebenfalls richtig und wird von den Theoretikern des Terrorismus anarcho-spontaneistischer Prägung nicht verstanden, dass dieses Ziel nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt erreichbar ist, sondern erst nachdem sehr, sehr breite Massen, und nicht kleine Gruppen von Verschwörern und Helden in Bewegung geraten sind. Und diese Massen werden von materiellen Bestimmungen und nicht von bewussten Zielsetzungen oder rationalen Plänen angetrieben. Es steht schliesslich ausser Frage, dass die Machteroberung und erst recht die diktatorische Ausübung der Macht nicht möglich sind, wenn die »Kunst« des bewaffneten Aufstands nicht beherrscht wird, bzw. dass von dieser »Kunst«, ohne die der Sieg undenkbar ist, nur dann die Rede sein kann, wenn sie sich nicht »auf eine Verschwörung, auf eine Partei stützt[4], sondern auf die fortgeschrittene Klasse«, wenn sie sich »auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützt«, wenn sie »einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution« zu ergreifen weiss, »wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am grössten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten sind«. Alle diese Voraussetzungen werden vom alten wie vom neuen Terrorismus, von den Anarchisten der Jahrhundertwende wie von den Brigate Rosse (BR) und der RAF systematisch ignoriert – und die einen wie die anderen müssen sie ignorieren, wie wir sehen werden.

Es gibt aber keine absolute Grenze zwischen individueller und kollektiver Gewalt. Wenn im Laufe des Aufstandes und der unmittelbar zu ihm führenden Bewegung nicht nur die »fortgeschrittene Klasse«, sondern auch mit ihr ein ganzer Schweif von Volksschichten und -unterschichten den Kampf aufnehmen und sich mit dem Feind messen, dann ist es reine Sophisterei, die individuelle und kollektive Gewalt, bzw. den individuellen und kollektiven Terror säuberlich voneinander trennen zu wollen. Es wäre reine Sophisterei, im Rahmen der sich dann ausbreitenden Massen –, also kollektiven Bewegung gewaltsame und terroristische Initiativen »einzelner Personen und kleiner Gruppen« des Proletariats ausschliessen zu wollen. Es wäre reine Sophisterei, zu meinen, die Partei soll oder könne solche Aktionen ausschliessen, anstatt sie vielmehr unter ihre eigene direkte Kontrolle zu stellen und selbst ausführen zu lassen. Diese Sophisterei, die nach dem ersten Weltkrieg die deutschen Zentristen, man denke allein an Paul Levi, und die italienischen Maximalisten charakterisierte und von ihren Nachfolgern, den Revolutionären der Phrase unserer Tage, fortgesetzt wird, bedeutet nichts anderes, als die Anwendung der revolutionären Gewalt, die Revolution und die proletarische Diktatur auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszuschieben.

Lenin verzeichnete 1906 das Anwachsen bewaffneter Kämpfe, die »von einzelnen Personen und kleinen Gruppen« getragen wurden. Diese setzten sich »die Tötung von einzelnen Personen, Vorgesetzten und Subalternen im Polizei- und Heeresdienst« oder »die Beschlagnahme von Geldmitteln sowohl bei der Regierung als auch bei Privatpersonen zum Ziel«[5]. Denen, die sich über diese Taten entrüsteten und mit Grauen von Anarchismus, Terrorismus und Blanquismus zeterten, antwortete er heftig, dass diese Kampfformen in der gegebenen Situation unvermeidlich waren und dass die Aufgabe der Sozialdemokratie nicht darin bestand, aus Angst, desorganisiert und demoralisiert zu werden, vor ihnen die Flucht zu ergreifen, sondern im Gegenteil ihnen die Organisation zu geben, die sie von sich aus zwangsläufig nicht haben konnten, und zu versuchen, in diesen Kämpfen »die führende Rolle zu spielen«[6].

Und als das italienische Proletariat 1921 einen harten Verteidigungskampf gegen den Faschismus führte (ohne allerdings die günstigen Gelegenheiten für Gegenangriffe zu verpassen), während die Maximalisten (die sozialistischen Zentristen) ein »Befriedungsabkommen« mit den Faschisten unterzeichneten, griff die KP Italiens die heuchlerischen Argumente der Maximalisten wie folgt an:

»Der revolutionäre Sozialismus geht davon aus, dass der Zusammenstoss zwischen den Gesellschaftsklassen in einem bestimmten Augenblick der Geschichte (…) die Form des Bürgerkrieges annimmt. Dieser Krieg, der mit allen Waffen geführt wird, äussert sich zunächst nur episodisch durch Angriffe kleiner bewaffneter Gruppen, die zahlreicher werden und ihre Tätigkeit und Angriffskraft vergrössern. Manche Leute möchten dem bewaffneten Kampf Regeln der Ritterlichkeit auferlegen. Die Erfahrung des Krieges und der vergangenen und jüngsten Revolutionen zeigt, wie lächerlich dieser Versuch ist, wie weit er von der dramatischen Wirklichkeit entfernt ist, die man auf dem Schlachtfeld erlebt.
In diesem Krieg zwischen kollektiver und individueller Gewalt zu unterscheiden, heisst, über die Möglichkeit eines Kampfes zu spekulieren, aus dem man die individuelle Gewalt verbannen könnte; und in den meisten Fällen heisst dies, den Krieg überhaupt nicht führen zu wollen. Vom sozialistischen Standpunkt aus führt der Klassenkampf schon von den ihn hervorrufenden Ursachen her zwangsläufig zum Bürgerkrieg. Ist man offen gegen den Bürgerkrieg, so heisst das, dass man den Klassenkampf leugnet. Aber dann hat man die Pflicht, dies dem Proletariat ganz offen zu sagen, wie es die Vertreter der sozialistischen Rechten sehr oft getan haben. Wenn man aber die historische Notwendigkeit des Bürgerkrieges anerkennt, so muss man diesen mit allen Ausschreitungen, die ihn begleiten, annehmen, wobei man, ihm zugleich durch politische Disziplin eine Führung geben und seine Folgen voraussehen muss«
[7].

Was diese Ausschreitungen angeht, an denen sich die opportunistische Propaganda mit Vorliebe hochzieht, muss man an die Weisungen erinnern, die Marx und Engels 1850 den Arbeitern gaben, die auf die Barrikaden der Revolution gestiegen waren und sich mit Entschiedenheit dagegen wehrten, an den Zielsetzungen der Bourgeoisie im gemeinsamen Kampf gegen die vorbürgerliche Ordnung Halt zumachen:
»Weit entfernt, den sogenannten Exzessen, den Exempeln der Volksrache an verhassten Individuen oder öffentlichen Gebäuden, an die sich nur gehässige Erinnerungen knüpfen, entgegenzutreten, muss man diese Exempel nicht nur dulden, sondern ihre Leitung selbst in die Hand nehmen.«[8]

Man wird einwenden, dass es sich hierbei um Situationen handelte, die sich von der heutigen erheblich unterscheiden. Ohne Zweifel. Und wir kritisieren an dem klassischen wie an dem heutigen »Terrorismus« unter anderem gerade, dass er unfähig ist, zu verstehen, wann der individuelle Terror eine Daseinsberechtigung haben kann, und dass er diesen ausserdem zu einem metaphysischen Prinzip erhebt, zu einem Prinzip also, das von den materiellen Bedingungen vollkommen absieht und unter allen Umständen zu verwirklichen sei. Aber die Partei kann sich nicht auf eine Betrachtung der Gegenwart beschränken. Sie hat zur Aufgabe, in dieser Gegenwart die subjektiven Bedingungen des revolutionären Kampfes der Zukunft herzustellen. Sie muss daher auch ihre Militanten und die proletarische Avantgarde auf jene Zeitpunkte vorbereiten, egal ob sie nah bevorstehen oder fern liegen, zu denen die spontanen oder von der Partei bewusst organisierten Aktionen »einzelner Personen oder kleiner Gruppen« ihren logischen Platz haben werden und deshalb durch keine angeblichen »prinzipiellen Erwägungen« behindert werden oder auf Vorbehalte treffen dürfen. Sie müssen von der Partei auf die »ideale« Lösung dieser Frage vorbereitet werden, nämlich auf die Unterordnung solcher Aktionen unter die Parteieinschätzung der wirklichen Lage und unter die allgemeine Parteistrategie. Sie müssen aber auch auf die Möglichkeit vorbereitet werden, dass sich diese Aktionen in einem bestimmten Masse unvermeidlich ausserhalb der Parteikontrolle, als Ausdruck eines gesunden proletarischen Zornes, ereignen werden.

Soweit es nicht genügt, kollektive und individuelle Gewalt einander gegenüberzustellen, so genügt es ebenfalls nicht, die für den alten und doch auch für den heutigen Terrorismus charakteristische Theorie der »exemplarischen Aktion« zu verwerfen. Dadurch würde man wieder den entgegengesetzten Fehler der Ideologen der »Propaganda durch die Tat« begehen und das, was lediglich ein Mittel, ja manchmal nur ein Hilfsmittel ist, in eine Sache-für-sich verwandeln. Es stimmt, dass weder die Einzeltat des »Bombenlegers« noch das moralische Echo, welches ein aufsehenerregender Anschlag durch Erschütterung der Alltagsruhe im »Bewusstsein« der Massen (oder des »Volkes«, um einen hier passenderen Ausdruck zu gebrauchen) angeblich hervorrufen soll, dass weder das eine noch das andere eine revolutionäre Situation schaffen oder den Herrschaftsapparat des Gegners umstürzen kann.

Was man damit zu Recht kritisiert, ist also doch nicht die Tat an sich, sondern ihre Idealisierung, d. h. ihre theoretische Rechtfertigung. Die Marxisten verfügen über das theoretische Gerüst, um Idealisierungen dieser Art nicht zu verfallen. Gerade deshalb müssen sie aber auch erkennen, welche Bedeutung selbst sporadische Anschläge in bestimmten Phasen des Zusammenstosses zwischen den Klassen erlangen können. Mehr noch als den Feind einzuschüchtern, können sie dann dazu beitragen, die Entschlossenheit der proletarischen Kämpfer zu stärken, ihnen das Gefühl der eigenen Kraft und der Verwundbarkeit des Gegners zu geben, den Ausgebeuteten zu zeigen, dass die Herrschaft, gegen die sie sich auflehnen, zwar mächtig sein mag, aber nicht allmächtig ist, dass sie zwar schwer zu schlagen sein wird, aber nicht unschlagbar ist. Unter gewissen Gesichtspunkten und in bestimmten Grenzen gehorcht der Klassenkampf in seinen mannigfachen Formen denselben Gesetzen eines jeden Krieges – man hat nicht unsere glückselige Epoche abwarten müssen, um die Wirkungen von Abschreckungsaktionen auf Angreifer wie auf Angegriffene zu entdecken; und nicht ohne Grund nennen Marx und Engels die berühmten Exzesse »Exempel« und rufen dazu auf, sie zu begrüssen und wenn möglich zu leiten, anstatt sie zu bedauern.

Auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale (Ende 1922) legte die KP Italiens einen Entwurf für ihr Aktionsprogramm vor, in dem sie von der lebendigen Erfahrung eines heftigen Bürgerkrieges ausging und im Einklang mit der Aktion der zwei vorangegangenen Jahre schrieb:

»Der Faschismus benutzt die terroristische Methode, um das Proletariat zu demoralisieren und zu schlagen. Er möchte den Eindruck verbreiten, man könne ihn weder besiegen noch ihm Widerstand leisten. Will man diesem Prozess der Demoralisierung der Massen entgegentreten, so muss man dem Proletariat das Gefühl geben, dass der Einsatz von Gewalt gegen die Gewalt, von Organisation gegen die Organisation, von Waffen gegen die Waffen keine unbestimmte Losung für eine ferne Zukunft ist, sondern eine praktische und durchführbare Aktion bedeutet, die man in Angriff nehmen muss, um einen bewaffneten Gegenangriff des Proletariats vorzubereiten. Auf diesem Tätigkeitsgebiet steckt sich die Partei keine prinzipiellen Grenzen, abgesehen davon, dass jede Aktion, die nicht von den zuständigen Parteiorganen beschlossen wird, d. h. jede individuelle Initiative, abzulehnen ist. Das soll nicht heissen, dass man auf individuelle Initiativen verzichtet, die darauf gerichtet sind, bestimmte Individuen im Lager des Gegners zu schlagen, oder die von einzelnen kommunistischen Genossen auf Parteibefehl ausgeführt werden. Während die Aktionen, die vom Einsatz militärischer Formationen und Abteilungen geprägt werden, erst dann in Frage kommen, wenn die grossen Massen in Bewegung sind und kämpfen, muss man im Laufe des üblichen proletarischen Kleinkriegs hingegen Aktionen von sorgsam ausgewählten Einzelnen oder kleinen Gruppen organisieren. Solche Aktionen müssen sehr gut durchdacht werden, um nachteilige Folgen zu vermeiden. Ihre Ziele werden nicht nur die bewaffneten Kräfte der Faschisten sein, sondern auch im allgemeinen der Besitz, die Institutionen und die Persönlichkeiten der bürgerlichen Klasse und all ihrer Parteien. In der Regel muss man vermeiden, dass die Interessen der Arbeiter oder neutraler sozialer Schichten direkt oder indirekt zu weit in Mitleidenschaft gezogen werden. Solche Kämpfe müssten mit dem Ziel geführt werden, jedem Anschlag des Gegners auf proletarische Einrichtungen mit Vergeltungsmassnahmen zu antworten. Auf diesem Gebiet muss die Kommunistische Partei gegenüber der Bourgeoisie so handeln, wie die Faschisten gegenüber dem ganzen Proletariat. Eine Folge dieser Taktik muss sein, dass man in der antifaschistischen Kampagne davon absieht, die Grausamkeit und Unerbittlichkeit der faschistischen Aktion übermässig zu betonen, denn damit würde man nur auf das Spiel des Faschismus eingehen. Man muss zwar dem Faschismus die ganze Verantwortung zuschreiben, man muss aber vermeiden, in eine Haltung des Klagens und Jammerns abzugleiten, und zugleich muss man die Gewalttaten, mit denen unsere Kräfte oder spontan das Proletariat den Schlägen des Feindes entgegentreten, aufs äusserste hervorheben.«[9]

Wiederholen wir es noch einmal: Die Klassenpartei wird in der Wahl ihrer Aktionsmittel nicht von moralischen Kriterien geleitet. Ebensowenig wird sie dabei von Kriterien geleitet, die aus einem unfehlbaren Rezept für den Verschleiss des Feindes oder für den eigenen Sieg hervorgehen, als könnte dieser durch Unterschrift und Siegel sichergestellt werden. Aber sowohl in der Offensive wie auch in der verzweifelten Defensive und schliesslich selbst in der schmerzlichsten Niederlage muss sie darauf bedacht sein, aus den »psychologischen« Faktoren des sozialen Kampfes das Maximum für die Stärkung des Proletariats und die Schwächung des Feindes herauszuholen. Je nachdem, ob es sich um einen Streik (oder gar um eine normale Tarifrunde) oder um eine Episode des offenen oder latenten Bürgerkriegs handelt, haben diese Faktoren natürlich ein äusserst verschiedenes Gewicht. Sie spielen aber immer eine Rolle, und man muss sie immer berücksichtigen – selbstverständlich nicht, um daraus nach der idealistischen Art der Theoretiker des zum System erhobenen Terrorismus einen Mythos zu machen, sondern um sie in die Taktik einzubeziehen und bestmöglich auszunutzen.

Seit über einem Jahrhundert wird die kleinkarierte Kritik am »Terrorismus« von solchen Argumenten, auf die wir oben hingewiesen haben, getragen. Wie unzulänglich, ja wie gefährlich die Grundhaltung ist, die hinter ihnen steckt, konnte man 1921 erleben: Auf die idiotische Theorie der »Offensive« um jeden Preis, die mit der »unumkehrbaren« Endkrise des Kapitalismus gerechtfertigt wurde (zu gewissen Begriffsverwirrungen möchte man fast sagen: Unkraut vergeht nicht!), reagierte ein Flügel der KPD nicht nur mit einer Position der Defensive… um jeden Preis, deren Defätismus kaum zu übertreffen war, sondern auch mit der Diffamierung der Terror- und Vergeltungsaktionen, welche Proletariergruppen, von Polizei, Armee und Justiz verfolgt, schon allein, um sich zu schützen und zu überleben, organisierten und organisieren mussten! Blanquismus, Anarchismus, Banditentum – den üblichen Bannfluch hatte dieser Flügel gegen sie parat![10]

Und wenn Lenin und Trotzki auf dem 3. Kongress der Komintern (1921) erklärten, dass es eine Dummheit ist, die ununterbrochene Offensive zu predigen, so erklärten sie zugleich, dass es ein Verrat ist, die Offensive im allgemeinen und »aus Prinzip« abzulehnen. Und so hat die Internationale zugleich die »Theorie« der Verabsolutierung der »Offensive« verurteilt und die »terroristischen« Aktionen eines Max Hölz feierlich gewürdigt.

Eine kommunistische Partei darf nicht vergessen, dass sie die Führung einer Klasse stellt, deren historische Aufgabe es ist, den Feind anzugreifen und seine zentralen Festungen zu zerstören. Sie kann deshalb nicht auf den direkten bewaffneten Angriff verzichten, denn dadurch würde sie schlicht und einfach Selbstmord begehen; sie darf aber ebenso wenig aus dem Auge verlieren, dass dieser Angriff nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt geführt werden kann. Diese Richtigstellung galt aber nicht allein im allgemeinen. Sie betraf auch einen besonderen Zusammenhang, den wohl keiner besser als Trotzki durchschauen konnte: Zu den Grundregeln des Krieges gehört auch die, dass man sich nicht mit Erfolg wehren kann, wenn man von vornherein darauf verzichtet, zum Angriff überzugehen, und dass die Zweckmässigkeit einer auch begrenzten Gegenoffensive keineswegs von abstrakten Prinzipien, sondern von einer praktischen Einschätzung diktiert wird. Gerade damals schrieben wir in voller Übereinstimmung mit der Internationale im einem unserer Grundtexte:

»Kein Kommunist darf Vorurteile gegen die Anwendung von bewaffneten Aktionen, Repressalien und auch von Terror haben. Die Kommunistische Partei muss die Leitung dieser Aktionsformen, die Disziplin und Organisation verlangen, direkt übernehmen. Auch dagegen darf sich kein Kommunist aussprechen.
Ebenso kindisch ist die Auffassung, derzufolge die Gewaltanwendung und die bewaffneten Aktionen dem ›grossen Tag‹ vorbehalten bleiben, an dem der Endkampf um die Eroberung der Macht entbrennen wird. Die Revolution entwickelt sich in Wirklichkeit zwangsläufig anders. Blutige Zusammenstösse zwischen Proletariat und Bourgeoisie finden bereits vor dem Endkampf statt. Es kann sich dabei um erfolglose proletarische Versuche handeln, aber auch um unvermeidliche und kurze Teilkämpfe zwischen Gruppen von Proletariern, die zur Auflehnung getrieben wurden, und den bürgerlichen Schutzkräften. Es kann sich schliesslich um Kämpfe zwischen Einheiten der bürgerlichen ›weissen Garde‹ und den von ihnen angegriffenen und provozierten Arbeitern handeln. Es ist ebenso falsch zu sagen, dass die kommunistischen Parteien solche Aktionen missbilligen und alle Kräfte für einen bestimmten letzten Augenblick aufsparen sollen. Jeder Kampf verlangt doch Übungsmanöver und eine Ausbildungszeit, und schon im Laufe dieser Vorgefechte muss die Partei damit beginnen, ihre Fähigkeit zur Organisation des revolutionären Kampfes herauszubilden und zu erproben.
Man darf allerdings die Aktion der politischen Klassenpartei nicht so auffassen, als sei diese ein Generalstab, von dessen alleinigem Willen Bewegung und Einsatz der Streitkräfte abhingen. Es wäre falsch, unsere Betrachtungen so auszulegen und sich die imaginäre taktische Perspektive zurechtzulegen, dass die Partei, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt denkt, dass ihr militärischer Apparat ausreichend entwickelt ist, dann plötzlich zum Angriff übergeht, im Glauben, mit diesen Kräften die Verteidigungskräfte der Bourgeoisie schlagen zu können.
Die offensive Aktion der Partei ist erst dann denkbar, wenn die objektive ökonomische und soziale Lage die Massen in Bewegung setzt, um Probleme zu lösen, von denen ihr Schicksal direkt abhängt und die sie auf breitester Ebene angehen. Dadurch entsteht ein Aufruhr, für dessen wirklich revolutionäre Entwicklung der Eingriff der Partei unerlässlich ist, denn nur die Partei kann seine allgemeinen Ziele klar festlegen und die Bewegung zu einer rationalen und auch unter militärisch-technischem Standpunkt gut organisierten Aktion zusammenfassen. Aber auch im Laufe von Teilbewegungen der Massen kann sich die revolutionäre Verbreitung der Partei ohne Zweifel in erste geplante Aktionen umsetzen. So ist auch die Vergeltungsaktion gegen den Terror der Weissen ein unerlässliches taktisches Mittel, denn dieser Terror möchte dem Proletariat das Gefühl geben, unwiderruflich schwächer als der Feind zu sein, und es dazu bringen, die revolutionäre Vorbereitung aufzugeben.
Doch selbst wenn diese Kräfte vortrefflich und auf breiter Ebene organisiert sind, darf man nicht glauben, dass man mit ihrem Einsatz die Lage wenden und mitten im Stillstand den allgemeinen revolutionären Kampf im Gang setzen kann. Auch diese Auffassung ist voluntaristisch. In den Methoden der marxistischen Internationale kann es und darf es für sie keinen Platz gehen.«
[11]

In diesem Abschnitt kommt die materialistische Betrachtungsweise, die die Marxisten in dieser wie in allen anderen Fragen des Klassenkampfes und dessen Führung leitet, sehr plastisch zum Ausdruck. Darin wird gezeigt, dass man die Ideologie des Terrorismus nicht kritisieren kann, wenn man sich um den Kreis seiner »Verhaltensregeln« dreht, zumal diese in einem bestimmten Zusammenhang unanfechtbar sind und man sie nur an ihren rechten Platz rücken muss. Das Schwergewicht der Kritik kann ebensowenig auf die immer wiederkehrenden Fehleinschätzungen der Kräfteverhältnisse gelegt werden. Die Kritik muss vielmehr auf die Grundlagen dieser Ideologie selbst abzielen. Andernfalls gleitet die Kritik in jenen vulgären und defätistischen Pazifismus, den Lenin mit der ganzen Verachtung des Revolutionärs unerbittlich bekämpfte, ab.

Als Fritz Adler am 21. Oktober 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh erschoss, war die Reaktion Lenins genau das Gegenteil von jeglichem Pazifismus. In seiner Rede vor dem Parteitag der Schweizer Sozialisten liess er die Frage offen, ob es sich in diesem Falle um
»die Anwendung des Terrorismus als Taktik (handelt), die in der systematischen Organisierung politischer Attentate ohne Zusammenhang mit dem revolutionären Kampf der Masse besteht, oder ob diese Hinrichtung nur ein einzelner Schritt im Übergang von der opportunistischen, nicht sozialistischen Taktik der das Vaterland verteidigenden offiziellen österreichischen Sozialdemokraten zu eben jener Taktik des revolutionären Massenkampfes war«[12].

Wie dem auch sei, erklärt er weiter:
»Jedenfalls sind wir überzeugt, dass die Erfahrung der Revolution und Konterrevolution in Russland die Richtigkeit des mehr als zwanzigjährigen Kampfes unserer Partei gegen den Terrorismus als Taktik bestätigt hat. Es darf aber nicht vergessen werden, dass dieser Kampf im engen Zusammenhange mit dem schonungslosen Kampf gegen den Opportunismus, der geneigt war, jegliche Anwendung der Gewalt von seiten der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdrücker zu verwerfen, geführt worden ist. Wir waren immer für die Anwendung der Gewalt, sowohl im Massenkampf wie auch im Zusammenhange mit diesem Kampf. Zweitens haben wir den Kampf gegen den Terrorismus mit einer jahrelangen, viele Jahre vor dem Dezember 1905 beginnenden Propaganda des bewaffneten Aufstands vereinigt. Wir sahen in ihm nicht nur die beste Antwort des Proletariats auf die Politik der Regierung, sondern auch das unvermeidliche Resultat der Entwicklung des Klassenkampfes für den Sozialismus und die Demokratie. Drittens haben wir uns nicht mit der prinzipiellen Anerkennung der Gewaltanwendung und der Propagierung des bewaffneten Aufstands begnügt. Wir unterstützen z. B. vier Jahre vor der Revolution (gemeint ist die von 1905, IKP) die Anwendung der Gewalt der Masse gegen ihre Unterdrücker, besonders bei Strassendemonstrationen. Wir bemühten uns, dass sich das ganze Land die Praxis einer solchen Demonstration zu eigen machte. Wir trachteten immer mehr auf Organisierung eines andauernden und systematischen Widerstands der Massen gegenüber der Polizei und dem Militär, auf die Hineinziehung mittels dieses Widerstands eines möglichst grossen Teils der Armee in den Kampf zwischen dem Proletariat und der Regierung, auf die Heranziehung der Bauern und des Militärs zu einer bewussten Anteilnahme an diesem Kampfe. Das ist die Taktik, die wir im Kampfe gegen den Terrorismus angewendet haben und die nach unserer festen Überzeugung vom Erfolge gekrönt ist.«[13]

Dieser kurze Hinweis auf den Bildungsprozess der bolschewistischen Partei enthält eine Reihe von grundlegenden prinzipiellen Aussagen. Sie schliessen an das bereits Gesagte an und schlagen eine Brücke zu dem, was noch gesagt werden muss. Betrachten wir sie genauer:
Erstens: Die Kritik an dem Terrorismus, den wir aus genannten Gründen lieber »individualistisch« als »individuell« nennen möchten, und unter bestimmten Umständen auch der offene Kampf gegen ihn, ist nur dann zulässig, ja unerlässlich, wenn sie mit einer unerbittlichen Kritik am Opportunismus und mit dem ständigen Kampf gegen ihn einhergeht. Es ist bezeichnend, dass Lenin hier als Unterscheidungsmerkmal des Opportunismus »die Ablehnung jeglicher Anwendung der Gewalt von seiten der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdrücker« nennt. Wer diese Position vertritt, hat also kein Recht, den Terrorismus zu kritisieren. Dies gilt ebenso für die Leute, die sich einerseits Lenins Kritik am Terrorismus gegen diesen bedienen, andererseits aber die Opportunisten schonend behandeln.
Zweitens: Man kann diese beiden scheinbar entgegengesetzten »Abweichungen« – den Opportunismus und den Terrorismus –, die die Arbeiterbewegung bekämpfen musste, um sich in der Geschichte eine feste klassenmässige Organisation und Orientierung zu geben, nicht auf dieselbe Ebene stellen. Hier gilt ähnliches wie 1920, als man den »Linksradikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus« ebenso wenig auf dieselbe Ebene des pazifistischen, legalitären und reformistischen Opportunismus, kurzum auf die Ebene einer senilen Entartung, stellte. Bei letzterem gibt es in der Tat nichts mehr zu retten und zu holen, es ist alles zu verwerfen; bei ersterem kann man mindestens die Forderung der Gewalt gegen die Unterdrücker verwerten, und das ist schon einiges. Aber man kann sie nur verwerten, wenn man sie in einen engen Zusammenhang mit der allgemeinen und vielfältigen Bewegung dem proletarischen Massen bzw. auch der Volksmassen im allgemeinen stellt, wenn man ihre Anwendung an der Entwicklung und an den Bedürfnissen dieser Bewegung misst und wenn man das Ziel verfolgt, diese Gewalt der Kontrolle und selbst der bewussten Initiative der Klassenpartei zu unterstellen. Nur so kann man die Dunstwolke auflösen, mit denen die reinen »Gewalttheoretiker« als Wortführer der kleinbürgerlichen Intelligenzia diese Forderung, der sie zwangsläufig einen individualistischen und voluntaristischen Charakter verleihen, umgeben.
Drittens: Die Kommunisten beschränken sich nicht auf eine prinzipielle und allgemeine, etwa nur auf theoretischer Ebene verbindliche Anerkennung der Gewalt der unterdrückten Klasse gegen ihre Unterdrücker. Sie müssen diese Forderung – selbstverständlich in der jeweils geeigneten Form und Dosierung – mit jeder Äusserung des Klassenkampfes verbinden, von der elementarsten[14] bis hin zum bewaffneten Aufstand und damit zur Eroberung und Ausübung der Macht. Sie müssen die Proletarier geistig auf die Notwendigkeit der Gewaltanwendung vorbereiten, um dann, was ja das wichtigste ist, in der Lage zu sein, sie materiell darauf vorzubereiten. Deshalb dürfen sie nicht zögern, selbst eine isolierte, individualistische und anarchistisch geprägte Tat, wie diejenige Fritz Adlers, als etwas zu begrüssen, das »unsere ganze Sympathie« verdient (Lenin bei derselben Gelegenheit), wenn dabei durch die instinktive Reaktion eines Militanten oder einer Gruppe von Militanten die Tendenz des politisch organisierten Proletariats, sich vom Sumpf des Opportunismus zu befreien, bzw. die feste Entschlossenheit, mit dem Opportunismus zu brechen, zum Ausdruck kommt.
Viertens: Gerade die russische Erfahrung, die Ausdruck eines wirklichen historischen Prozesses war, zeigt, unter welche Bedingungen der »Kampf gegen den Terrorismus« von »Erfolg« gekrönt wird und diese Erscheinung in den Hintergrund zurückdrängt. Dies geschieht in dem Masse, in dem die organisierte Arbeiterbewegung sich erweitert, verzweigt und stärkt, ihre Vorhut sich auf die Ebene des politischen Kampfes gegen die herrschende Klasse und den Staat hebt und die Klassenpartei einen solchen Einfluss gewinnt, dass sie diese Vorhut führen und organisieren und in der ganzen Bewegung die Propaganda und Agitation für die Endziele des Kommunismus, seine Prinzipien, sein Programm und seine Taktik entfalten kann. Damit wird der Terrorismus als spezifisches Phänomen tendenziell verschwinden, und zwar gerade weil die Arbeiterbewegung und deren Partei seine Forderung nach Gewalt aufgegriffen, richtiggestellt und vom einzigen Mittel, ja vom Wundermittel in ein taktisches Mittel, das je nach Lage in unterschiedlichem Masse und in unterschiedlicher Form anzuwenden ist, verwandelt haben; mit anderen Worten: gerade weil man die engen Grenzen des individualistischen Terrorismus überwinden konnte, die Sackgasse verlassen konnte, in der er sich zwangsläufig bewegt.

Man darf in der Tat nicht vergessen, dass der Terrorismus individualistischer Prägung ein geschichtliches Phänomen ist, das in Situationen einer tiefen inneren Krise der Gesellschaft entsteht. Solche Krisen erschüttern mehr oder weniger breite Schichten der herrschenden Klasse und ihrer Verzweigungen, versetzen sie und namentlich Teile der Intellektuellen in eine Schleuderbewegung. Sie können sich innerhalb der bestehenden Ordnung nicht mehr zurechtfinden und einen Ausweg erblicken. Von diesem tiefen Unbehagen angetrieben, treten sie auf der politischen und sozialen Bühne nach vorn. Fehlt die organisierte Bewegung der einzig revolutionären Klasse, der Arbeiterklasse, oder befindet sich diese Bewegung im Rückfluss oder ist sie zu schwach, dann übernehmen diese Schichten eine zeitweilige »Führerrolle«. Da die polarisierende Kraft des modernen Proletariats fehlt, bleiben sie ihrer unmittelbaren Spontaneität überlassen und drehen sich im Kreise der ideologischen (idealistischen, voluntaristischen, moralistischen) Motivationen, die ihrem sozialen Ursprung entsprechen.

Dies war im Russland der siebziger Jahre des vorigen [19.] Jahrhunderts bei dem volkstümlerisch und blanquistisch geprägten Terrorismus der Fall. Ebenso bei den anarchistisch geprägten Varianten des Terrorismus gegen Ende des Jahrhunderts in Frankreich (nach der Niederlage der Pariser Kommune) und in Spanien (nach der Niederlage der republikanischen Bewegungen von 1873–74).

Oder der Terrorismus entsteht als »verzweifelte«, zugleich politische und moralische Reaktion auf die Vorherrschaft opportunistischer Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung. So in Russland in dem Jahrfünft vor der Revolution von 1905; so in nachfolgenden Perioden und zum Teil auch heute.
»Der Anarchismus« – sollte Lenin 1920 schreiben und unter diesem allgemeinen Begriff alle Schattierungen des nicht nur anarchistischen, sondern auch volkstümlerischen und blanquistischen Terrorismus subsumieren – »war nicht selten eine Art Strafe für die opportunistischen Sünden der Arbeiterbewegung. Beide Auswüchse ergänzen einander.«[15]

Der Niedergang des »alten« Terrorismus Anfang der 1890er Jahre geht mit der Ausweitung und Radikalisierung der Streikbewegungen und der Entstehung der ersten marxistischen Gruppen und Zirkel einher. Der Niedergang des »neuen« Terrorismus eilt der Revolution von 1905 voraus, er fällt mit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung, die sich an die Spitze der Bauernschaft stellt, und mit dem Aufstieg der Klassenpartei zusammen. Die Geschichte hat ihre unerbittlichen Gesetze, selbst wenn sie für die Ideologen des individualistischen Terrorismus ein Buch mit sieben Siegeln darstellt.

Ein langer Kampf an zwei Fronten

Es ist sehr wichtig, zu beobachten, wie sich in der russischen Partei die Kritik am individualistischen Terrorismus und der Kampf gegen die opportunistischen Strömungen, die jenem eine objektive Rechtfertigung liefern, miteinander verflechten. 1898–1901 bildete der klare und ausdrückliche Bruch mit der Tradition des Anarchismus und des Blanquismus, des Terrorismus und der Verschwörung eine der unerlässlichen Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung der Klassenpartei. Aber im gleichen Masse, wie im Hinblick sowohl auf die allgemeine Perspektive als auch auf die Taktik und Organisation die schwierigen Aufgaben der Marxisten immer deutlicher abgezeichnet wurden, trat auch die Frage des revolutionären Terrors und dessen Anwendung aus dem Nebel der Vergangenheit heraus, um ihren richtigen Platz einzunehmen im Rahmen einer die gesamte Gesellschaft erfassenden Bewegung, in der dem Proletariat die Rolle des Hauptdarstellers und Führers zufiel.

Zunächst der Bruch…

In derselben kleinen Schrift von 1898, in der die Funktion des Proletariats und seiner Partei in der doppelten Revolution mit einer solchen Deutlichkeit dargelegt wird, dass nicht der geringste Zweifel über die Bedeutung der proletarischen Beteiligung an der demokratischen Revolution aufkommen kann, heisst es:
»Die Traditionen des Blanquismus, des Verschwörertums sind bei den Narodowolzen ungeheuer stark, so stark, dass sie sich den politischen Kampf nicht anders als in Form einer politischen Verschwörung vorstellen können. Den Sozialdemokraten dagegen kann man eine derartig enge Auffassung nicht vorwerfen; sie glauben nicht an Verschwörungen; sie meinen, dass die Zeit der Verschwörungen längst vorbei ist und dass die Reduzierung des politischen Kampfes auf eine Verschwörung bedeutet, ihn einerseits übermässig einzuengen, andrerseits aber die verfehltesten Kampfmethoden zu wählen.«

Im Brennpunkt der Kritik steht also der »enge Horizont« der »Verschwörer aus Prinzip« und nicht ihre »fehlende Legitimation«; die »Verfehltheit« und nicht die »grundsätzliche Unzulässigkeit« ihrer Mittel. Es war nötig, den Teufelskreis ihrer Aktion und ihrer Ideologie zu sprengen, damit sich die vielfältige Aktivität der russischen Sozialdemokraten entfalten konnte, die darin bestand,
»die Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus zu propagieren, unter der Arbeiterschaft das richtige Verständnis zu verbreiten für die gegenwärtige sozialökonomische Ordnung, für ihre Grundlagen und ihre Entwicklung, für die verschiedenen Klassen der russischen Gesellschaft, ihr Wechselverhältnis und den Kampf dieser Klassen untereinander, für die Rolle der Arbeiterklasse in diesem Kampf, ihr Verhältnis zu den untergehenden und zu den sich entwickelnden Klassen, zur Vergangenheit und zur Zukunft des Kapitalismus sowie für die historische Aufgabe der internationalen Sozialdemokratie und der russischen Arbeiterklasse. In untrennbarem Zusammenhang mit der Propaganda steht die Agitation unter den Arbeitern«; sie »besteht darin, dass die Sozialdemokraten an allen spontanen Kampfaktionen der Arbeiterklasse, an allen Zusammenstössen zwischen Arbeitern und Kapitalisten wegen Arbeitszeit, Arbeitslohn, Arbeitsbedingungen usw. usf. teilnehmen«[16].

1899 hatte Lenin schon im »Entwurf eines Programms unserer Partei« die grossen Züge der gewaltigen Arbeit der theoretischen Wiederbewaffnung der SDAPR für die folgenden Jahre gezeichnet. Im Jahre 1900, als die russische Sozialdemokratie »eine Periode der Schwankungen (…), eine Periode der Zweifel, die bis zur Selbstverneinung gehen«, durchmacht, geht er in »Die dringendsten Aufgaben unserer Bewegung« die heiklen Probleme dieser Periode an und führt sie auf die fehlerhafte Orientierung in der praktischen Arbeit der Partei zurück. Diese Schwankungen und Zweifel zeigen sich einerseits in einer Tendenz, »die Arbeiterbewegung vom Sozialismus« loszureissen, d. h. die Arbeiter in ihrem ökonomischen Kampf zu unterstützen, ohne ihnen »die sozialistischen Ziele und die politischen Aufgaben der Gesamtbewegung als Ganzes« zu erklären. Andrerseits führen sie auch zur genau entgegengesetzten Tendenz, nämlich den »Sozialismus von der Arbeiterbewegung« loszureissen und zu behaupten, der Kampf gegen die Regierung müsse, da die Arbeiter sich auf den ökonomischen Kampf beschränkten, »von der Intelligenz mit eigenen Kräften geführt werden«. Der ökonomistische Fehler erzeugt im Gegenzug den Fehler, die Politik auf verschwörerische Tätigkeit zu beschränken und vice versa. Der revolutionäre Weg verlangt es, diese beiden Abweichungen zu überwinden und den einseitigen Charakter der verschiedenen Kampfformen zu beseitigen, die alle in einem allgemeinen taktischen Plan eine bestimmte Rolle spielen:
»Die politische Entwicklung und die politische Organisation der Arbeiterklasse zu fordern – das ist unsere wichtigste und grundlegende Aufgabe. Jeder, der diese Aufgabe in den Hintergrund schiebt, der ihr nicht alle Teilaufgaben und einzelnen Kampfmethoden unterordnet, beschreitet einen falschen Weg und fügt der Bewegung ernsten Schaden zu. In den Hintergrund geschoben aber wird diese Aufgabe erstens von denjenigen, die die Revolutionäre auffordern, mit den Kräften einzelner, von der Arbeiterbewegung losgelöster Verschwörerzirkel gegen die Regierung zu kämpfen. In den Hintergrund geschoben wird sie zweitens von denjenigen, die den Inhalt und das Ausmass der politischen Propaganda, Agitation und Organisation einengen, die es für möglich und angebracht halten, den Arbeitern nur in besonderen Momenten ihres Lebens, nur bei feierlichen Anlässen ›Politik‹ vorzusetzen. (…) Die Sozialdemokratie bindet sich nicht die Hände, sie engt ihre Tätigkeit nicht durch irgendeinen vorher ersonnenen Plan oder Modus des politischen Kampfes ein – sie erkennt alle mittel des Kampfes an, wenn sie nur den vorhandenen Kräften der Partei entsprechen und es ermöglichen, die grössten Resultate zu erzielen, die unter den gegebenen Verhältnissen erzielt werden können.
Besteht eine straff organisierte Partei, so kann sich ein einzelner Streik in eine politische Demonstration, in einen politischen Sieg über die Regierung verwandeln. Besteht eine straff organisierte Partei, so kann aus einem örtlich begrenzten Aufstand eine siegreiche Revolution hervorgehen«
[17].

1901, nachdem die programmatischen Grundlagen der Partei und die grossen Linien ihrer Taktik einmal festgelegt waren (der »Taktik als Plan« aus »Was Tun?«), stellte sich das Problem der organisatorischen Aufgaben mit grosser Dringlichkeit.

Welche Rolle spielt dabei der Terrorismus? Auch hier wird das Problem nicht abstrakt behandelt, sondern im Zusammenhang mit der Perspektive, den Aufgaben und allgemeinen Zielsetzungen der Bewegung und dem Entwicklungsgrad ihres Führungsorgans, der Partei. Von diesem Standpunkt aus geht Lenin in »Womit Beginnen?« folgendes Problem an: Kann ein taktisches Mittel, der Terrorismus zum Beispiel, dazu beitragen, die Bewegung zu stärken, oder birgt es im Gegenteil die Gefahr, sie zu schwächen oder gar zu zerstören?

»Prinzipiell haben wir den Terror nie abgelehnt und können wir ihn nicht ablehnen. Er ist eine Kampfhandlung, die in einem bestimmten Zeitpunkt der Schlacht, bei einem bestimmten Zustand der Truppe und unter bestimmten Bedingungen durchaus angebracht und sogar notwendig sein kann. Doch das Wesen der Sache besteht gerade darin, dass gegenwärtig der Terror keineswegs als eine mit dem ganzen Kampfsystem eng verbundene und koordinierte Operation der kämpfenden Armee vorgeschlagen wird, sondern als selbständiges und von jeder Armee unabhängiges mittel des Einzelangriffs. Bei dem Fehlen einer zentralen Organisation und bei der Schwäche der örtlichen revolutionären Organisation kann ja der Terror auch nichts anderes sein. Und deshalb erklären wir entschieden, dass ein solches Kampfmittel unter den gegebenen Umständen unzeitgemäss und unzweckmässig ist, dass es die aktivsten Kämpfer von ihrer wirklichen, für die Gesamtbewegung wichtigsten Aufgabe ablenkt und nicht die Kräfte der Regierung, sondern die der Revolution desorganisiert (…) Wir sind weit entfernt von dem Gedanken, heldenmütigen Einzelaktionen jede Bedeutung abzusprechen, aber es ist unsere Pflicht, mit aller Energie davor zu warnen, sich am Terror zu berauschen, ihn als wichtigstes und hauptsächliches Kampfmittel zu betrachten, wozu heute sehr, sehr viele so stark neigen. (…) Die unmittelbare Aufgabe unserer Partei kann nicht sein, alle vorhandenen Kräfte jetzt schon zum Angriff aufzurufen; sie muss vielmehr in der Aufforderung bestehen, eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die fähig ist, alle Kräfte zu vereinigen, die sich nicht nur Leitung nennt, sondern die Bewegung tatsächlich leitet, d. h. stets bereit ist, jeden Protest und jeden Ausbruch zu unterstützen und zur Vermehrung und Festigung der für den entscheidenden Kampf tauglichen Streitkräfte auszunutzen«[18].

…und dann die Überwindung des individualistischen Terrorismus auf einer unvergleichlich höheren Ebene

Die Arbeiterbewegung kann und wird die engen Grenzen, in die eine an die jeweiligen unmittelbaren Umstände gebundene Auffassung sie einpfercht, nur dann überwinden, wenn sie ihre eigene Spontaneität überwindet. Die beiden äusserstem Pole dieser Spontaneität, die gleichsam zur Unterwerfung der Arbeiterbewegung unter die bürgerliche Ideologie und also auch unter die bürgerliche Politik führen, sind gerade der Ökonomismus und der Terrorismus. Die Arbeiterbewegung kann sie nur überwinden, indem sie sich das revolutionäre marxistische Programm aneignet, das die Partei mit dogmatischen Festigkeit und unerschütterlicher Beständigkeit verteidigt und in die Reihen der Arbeiterklasse trägt. Dazu schreibt Lenin in »Was Tun?« (1902):

»Weiter oben haben wir in der Fussnote einen Ökonomisten und einen nichtsozialdemokratischen Terroristen konfrontiert; sie haben sich zufällig als solidarisch erwiesen. Doch allgemein gesprochen, besteht zwischen dem einen und dem anderen nicht ein zufälliger, sondern ein notwendiger innerer Zusammenhang (…) Die Ökonomisten und die heutigen Terroristen haben eine gemeinsame Wurzel: das ist eben jene Anbetung der Spontaneität (…) Auf den ersten Blick mag unsere Behauptung paradox erscheinen: so gross ist scheinbar der Unterschied zwischen Leuten, die den ›unscheinbaren Tageskampf‹ hervorheben und Leuten, die zum selbstlosesten Kampf einzelner Personen aufrufen. Aber das ist nicht paradox. Die Ökonomisten und die Terroristen sind Anbeter verschiedener Pole der spontanen Richtung: die Ökonomisten – der Spontaneität der ›reinen Arbeiterbewegung‹, die Terroristen – der Spontaneität der leidenschaftlichen Empörung der intellektuellen, die es nicht verstehen oder nicht die Möglichkeit haben, die revolutionäre Arbeit mit der Arbeiterbewegung zu einem ganzen zu verbinden (…) Die politische Tätigkeit hat ihre Logik, die unabhängig vom Bewusstsein derer ist, die mit den besten Vorsätzen entweder zum Terror auffordern oder dazu, dem eigentlichen ökonomischen Kampf politischen Charakter zu verleihen. (d. h. Reformismus, IKP) Mit guten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert, und in diesem Falle retten die guten Vorsätze noch nicht vor dem spontanen Sichtreibenlassen auf der ›Linie des geringsten Widerstands‹ (…)
(…) sowohl die Terroristen als auch die Ökonomisten unterschätzen die revolutionäre Aktivität der Massen (…) die einen (suchen) nach künstlichen ›aufrüttelnden Mitteln‹, die anderen (sprechen) von ›konkreten Forderungen‹. Sowohl die einen wie die anderen schenken der Entfaltung ihrer eigenen Aktivität auf dem Gebiet der politischen Agitation und der Organisation der politischen Enthüllungen nicht genügend Aufmerksamkeit.«
[19]

In den folgenden Kapiteln (»Welchen Organisationstypus brauchen wir?«, »›Verschwörer‹organisation und Demokratismus«) zeigt Lenin, im welchem Rahmen die individuelle terroristische Aktion aufhört, das zu sein, was sie spontan ist, nämlich Ausdruck »revolutionären Abenteurertums«. Dieser Rahmen ist die organisierte, vielseitige und durchdachte Aktion der Partei, die sich aller ihrer Aufgaben bewusst ist und die bereit ist, alle Mittel einer Propaganda und Agitation einzusetzen, welche die ganze Gesellschaft, alle Beziehungen der Klassen untereinander und zum Staat umfassen kann, einer Partei, die daran arbeitet,
»die spontane zerstörende Kraft der Menge und die bewusst zerstörende Kraft der Organisation der Revolutionäre einander (näherzubringen) und miteinander zu einem ganzen (zu verschmelzen:

»(…) eine starke revolutionäre Organisation ist unbedingt notwendig, gerade um der Bewegung Widerstandsfähigkeit zu verleihen und um sie vor der Möglichkeit zu bewahren, unüberlegte Angriffe zu unternehmen. Gerade jetzt bei dem Fehlen einer solchen Organisation und bei dem schnellen spontanen Wachstum der revolutionären Bewegung, zeigen sich bereits zwei entgegengesetzte Extreme (die sich, wie es sich auch gehört, ›berühren‹): bald ein ganz unhaltbarer Ökonomismus und eine Propaganda der Mässigung, bald ein ebenso unhaltbarer ›exzitierender Terror‹, (…) Es gibt bereits Sozialdemokraten, die vor beiden Extremen kapitulieren. Diese Erscheinung ist, von allen übrigen Ursachen abgesehen, auch darum nicht verwunderlich, weil der ›ökonomische Kampf gegen die Unternehmer und gegen die Regierung‹ den Revolutionär nie befriedigen wird, und entgegengesetzte Extreme werden stets bald hier, bald dort auftauchen. Nur eine zentralisierte Kampforganisation, die die sozialdemokratische Politik konsequent durchführt und sozusagen alle revolutionären Instinkte und Bestrebungen befriedigt, ist imstande, die Bewegung vor einem unüberlegten angriff zu bewahren und den Angriff vorzubereiten, der Erfolg verspricht«[20]

Um alle Zweifel zu beseitigen und zu verhindern, dass seine Worte missbraucht werden, um die Revolution auf den Tag des jüngsten Gerichts zu verschieben, erläutert Lenin im September 1902:
»Die Sozialdemokratie wird stets vor Abenteurertum warnen und unerbittlich Illusionen entlarven, die zwangsläufig mit völliger Enttäuschung enden. Wir dürfen nicht vergessen, dass eine revolutionäre Partei nur dann ihren Namen verdient, wenn sie in der Tat die Bewegung der revolutionären Klasse leitet. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede Volksbewegung unendlich mannigfaltige Formen annimmt, dass sie ständig neue Formen herausbildet, alte abstreift, Modifikationen oder neue Kombinationen alter und neuer Formen hervorbringt. Und es ist unsere Pflicht, an diesem Prozess der Herausarbeitung von Methoden und Mitteln des Kampfes aktiv teilzunehmen (…) ohne auch nur im geringsten Gewalt und Terror grundsätzlich abzulehnen, forderten wir, an der Vorbereitung solcher Formen der Gewaltanwendung zu arbeiten, die auf die unmittelbare Beteiligung der Massen berechnet sein und diese Beteiligung gewährleisten sollten. Wir verschliessen unsere Augen nicht vor der Schwierigkeit dieser Aufgabe, aber wir werden tatkräftig und hartnäckig an ihr arbeiten, ohne uns durch die Einwände beirren zu lassen, dass dies eine ›unbestimmt ferne Zukunft‹ sei. Ja, meine Herren, wir sind auch für die zukünftigen und nicht nur für die vergangenen Formen der Bewegung. Wir ziehen eine langwierige und schwierige Arbeit an dem, was eine Zukunft hat, der ›leichten‹ Wiederholung dessen vor, was bereits von der Vergangenheit verurteilt worden ist«[21].

Eine langwierige und schwierige Arbeit an dem, was Zukunft hat… Drei Jahre später schreibt Lenin am 26. September 1905 einen kurzen enthusiastischen Artikel, »Von der Verteidigung zum Angriff«, der einer Nachricht aus Riga gewidmet ist: Dort hatte ein »Kommando«, so würde man heute sagen, das aber immerhin etwa 70 Personen umfasste, bei einem Überfall auf das Zentralgefängnis und der Befreiung von zwei politischen Gefangenen einige Gefängniswärter getötet und verletzt. Es war den Beteiligten mit nur wenigen Ausnahmen gelungen zu entkommen:
»Das ist der Augenblick, in welchem die Pioniere des bewaffneten Kampfes nicht nur in Worten, sondern in der Tat mit der Masse verschmelzen, an die Spitze der Kampfgruppen und Kampfabteilungen des Proletariats treten und mit Feuer und Schwert des Bürgerkriegs dutzende von Volksführern erziehen, die morgen, wenn sich die Arbeiter zum Aufstand erheben, dank ihrer Erfahrung und ihrer heroischen Kühnheit Tausenden und Zehntausenden von Arbeitern zu helfen vermögen (…) Unsere Trophäen: zwei der Gefangenschaft entrissene revolutionäre Führer. Das ist doch ein glänzender Sieg!! Das ist ein wirklicher Sieg nach einer Schlacht mit dem bis an die Zähne bewaffneten Feind, das ist keine Verschwörung mehr gegen irgendeine verhasste Person. Kein Racheakt, kein Verzweiflungsausbruch und keine blosse ›Abschreckung‹ – nein, das ist schon der wohldurchdachte und vorbereitete, die Kräfteverhältnisse berücksichtigende Beginn von Aktionen der Abteilungen einer revolutionären Armee (…). Glücklicherweise sind die Zeiten vorbei, da in Ermangelung eines revolutionären Volkes einzelne revolutionäre Terroristen die Revolution ›machten‹. Die Bombe hat aufgehört, die Waffe einzelner ›Bombisten‹ zu sein. Sie wird zum unentbehrlichen Zubehör der Volksbewaffnung«[22].

Um an diesen Punkt zu gelangen und damit sich diese Episode auf grosser Stufenleiter wiederholen konnte, um also vom individuellen Terrorismus zum Massenterrorismus, der ersteren in sich aufnimmt und sich seiner bedient, zu gelangen, bedurfte es nicht nur der proletarischen Bewegung, die 1905 die Massen mit sich riss. Es bedurfte einer Partei, die die Probleme des bewaffneten Aufstands und des Partisanenkampfes, des Einzel- oder Gruppenkampfes unter Gebrauch von revolutionärem Terror bereits angegangen war; einer Partei, die für diese Probleme schon eine Lösung gefunden und sich auf der Grundlage dieser Lösung an die Vorbereitung einer Zukunft gemacht hatte, die vielleicht noch weit entfernt war, der vielleicht Enttäuschungen und Niederlagen vorausgehen würden, einer Zukunft aber, die die Partei durch ihre marxistische Perspektive mit Sicherheit voraussehen konnte und die sich nach der »allgemeinen Generalprobe« von 1905 im Oktober 1917 verwirklichte.

1905 – Die Generalprobe

Es ist kein Zufall, wenn Lenin die Revolution von 1905 die »Generalprobe« der Revolution von 1917 nannte. Sie war es für das Proletariat, das in ihrem Verlauf alle möglichen Kampfformen erprobte: von den Strassenkundgebungen bis hin zu den Strassenkämpfen, von den lokalen Teilstreiks bis hin zum Generalstreik, von den Unruhen in Stadt und Land bis hin zum Aufstand, von den Überfällen auf Gefängnisse und Waffenlager bis hin zu den Meutereien in der Armee und vor allem in der Marine, von den Organisationsbestrebungen auf unmittelbarer Ebene bis hin zur Bildung der ersten Sowjets der Arbeiterdelegierten. Sie war es auch für die Partei, die ihre eigenen theoretischen, programmatischen und taktischen Waffen im dramatischen Verlauf der Ereignisse schleifen konnte und die Frage des bewaffneten Aufstandes, der Kunst des Aufstandes, mit all ihren Implikationen im Hinblick sowohl auf dessen Durchführung wie auch auf dessen Vorbereitung auf die Tagesordnung stellte. Und soweit die Partei diese Waffen damals in der Praxis nicht anwenden konnte, so hat sie sie dem roten Oktober, der sich zwölf Jahre später ereignen sollte, als unantastbares Erbe überliefert.

Die Frage der Gewalt und des Terrors seitens einzelner Personen und kleiner Gruppen verlor im Laufe der revolutionären Ereignisse ihren voluntaristischen, idealistischen und »blanquistischen« Charakter (blanquistisch hier im schlechten Sinne des Wortes, nicht im Sinne, in dem Marx, Lenin und alle Kommunisten den »Blanquismus« immer verteidigt haben). Gerade die Bolschewiki mussten diese Kampfformen im genau gegebenen Zusammenhang gegen die »reinen« Opportunisten jener Zeit und auch gegen die Revolutionäre in Worten, gegen die Menschewiki und gegen Plechanow selbst, verteidigen.

Die Revolution war seit kurzem ausgebrochen, als Lenin auf dem 3. Parteitag der SDAPR, der vom 17. April bis zum 10. Mai 1905 (12.-25. April nach dem alten Kalender) in London stattfand, einen »Resolutionsentwurf über die Stellung der SDAPR zum bewaffneten Aufstand« vorlegte. Auch wenn er selbst im Laufe des Parteitags einer Milderung gewisser Stellen und einer genaueren Formulierung anderer Stellen zustimmte, möchten wir hier den Text dieses Entwurfs wiedergeben:

»In der Erwägung,
1. dass das Proletariat, das seiner ganzen Lage nach die fortgeschrittenste und konsequenteste revolutionäre Klasse darstellt, eben dadurch berufen ist, Führer und Leiter in der allgemein-demokratischen revolutionären Bewegung in Russland zu sein;
2. dass nur die Verwirklichung dieser Führung in der Revolution dem Proletariat die günstigste Position für den weiteren Kampf um den Sozialismus, gegen die besitzenden Klassen des im Entstehen begriffenen bürgerlich-demokratischen Russlands sichern wird;«

(Bemerken wir hierzu, dass diese zwei ersten Punkte die Aufgaben des Proletariats in der doppelten Revolution zusammenfassen: die bürgerlich-demokratische Revolution führen und radikal bis zu Ende treiben und dadurch die Voraussetzungen für die proletarische Revolution in Verbindung mit der europäischen Revolution schaffen.)
»3. dass das Proletariat die Führung nur verwirklichen kann, wenn es unter dem Banner der Sozialdemokratie zu einer selbständigen politischen Kraft organisiert ist und bei Streiks und Demonstrationen so einheitlich wie möglich auftritt – beschliesst der III. Parteitag der SDAPR, dass die Aufgabe, die Kräfte des Proletariats für den unmittelbaren Kampf gegen die Selbstherrschaft auf dem Wege der politischen Massenstreiks und des bewaffneten Aufstands zu organisieren und zu diesem Zweck einen informatorischen und leitenden Apparat zu schaffen, eine der Hauptaufgaben der Partei im gegenwärtigen revolutionären Zeitpunkt bildet; der Parteitag beauftragt daher sowohl das ZK als auch die Lokalkomitees und Bünde, die Vorbereitung des politischen Massenstreiks sowie die Organisierung besonderer Gruppen zur Beschaffung und Verteilung von Waffen, zur Ausarbeitung eines Plans für den bewaffneten Aufstand und für die unmittelbare Leitung des Aufstands in Angriff zu nehmen. Die Erfüllung dieser Aufgabe soll und darf keinesfalls die allgemeine Arbeit zur Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats beeinträchtigen, sondern muss diese Arbeit im Gegenteil tiefer und erfolgreicher gestalten.«[23]

Die Revolution selbst wird »die Volksmassen belehren«. Für die proletarische Partei stellt sich die Frage, ob sie »die Revolution etwas lehren« kann[24]. Die Partei, die seit der Entstehung der Arbeiterbewegung die doppelte Aufgabe hat, einerseits die Proletarier »mit dem brennenden Bedürfnis nach Bewaffnung« im Hinblick auf die Machteroberung auszurüsten, andererseits dafür zu arbeiten, damit diejenigen, die dieses Bedürfnis empfinden,
»die Notwendigkeit der Organisation und der planmässigen Aktion erkennen und die ganze politische Konstellation in Betracht ziehen lernen«;
die Partei, die bei einer normalen politischen Konjunktur den grossartigen, aber ohnmächtigen Wunsch
»nach einer sofortigen Abrechnung mit den Bourgeois und ihren Lakaien« (…) »durch die Kraft der Organisation und der Disziplin, durch die Kraft des Bewusstseins, durch die Erkenntnis« zurückhält, »dass individuelle Morde sinnlos sind, dass die Stunde des ernsthaften, vom Volk getragenen, revolutionären Kampfes noch nicht geschlagen ist, dass die dafür geeignete politische Konstellation nicht vorhanden ist«; die Partei, »die unter solchen Umständen nicht sagt: Bewaffnet Euch! und auch nie sagen wird«, während sie das Volk »stets (sonst wäre (man) kein Sozialist, sondern ein leerer Schwätzer) mit dem brennenden Bedürfnis ausrüsten wird, sich zu bewaffnen und den Feind anzugreifen«; diese Partei gibt jetzt, 1905, »den von revolutionärer Initiative erfüllten Arbeitern folgend, die Losung« aus:
»Zu den Waffen[25].

Die Stellung der revolutionären Marxisten kommt in dieser Schrift von Lenin sehr klar zum Ausdruck. Sie steht im Gegensatz zur Position der leeren Schwätzer, die davon absehen (oder endgültig darauf verzichtet haben), stets, unter allen Umständen, die Notwendigkeit, sich auf den bewaffneten Aufstand vorzubereiten, zu propagieren – und ohne bewaffneten Aufstand sind die Machteroberung und der darauffolgende Übergang zum Sozialismus reines Geschwätz. Sie steht aber ebenso im Gegensatz zur Position der Voluntaristen, die von jeder ernsthaften Bewertung der wirklichen Kräfteverhältnisse absehen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu den Waffen greifen oder die Arbeiter dazu aufrufen, es zu tun. Sind die einen zu verachten, da sie in Wirklichkeit die revolutionäre Perspektive überhaupt über Bord geworfen haben, so spielen die anderen, die sich einbilden, materielle Entwicklungen und Kräfte – und zu diesen Kräften gehören auch die Klasse und die revolutionäre Partei – ersetzen zu können, eine desorganisierende Rolle und führen in die Sackgasse. Auch im Laufe der aufständischen Bewegung steht die marxistische Stellung im Gegensatz sowohl zu der Auffassung derjenigen, die den Aufstand mit einem Kampf einzelner Individuen gegen andere Individuen verwechseln, als auch zu der Position derjenigen, die von der Notwendigkeit des Aufstandes reden, sich aber weigern, diesen Aufstand in der Praxis zu organisieren, weil sie ja, selbst wenn sie es nicht zugeben, vor dem blossen Gedanken zurückschrecken, dies sei ihre Aufgabe.

Auf der Grundlage dieser Positionen des Marxismus verfolgt Lenin mit erwartungsvoller und leidenschaftlicher Hellsicht die äusserst mannigfaltigen und komplexen Entwicklungen des revolutionären Kampfes; er registriert deren Lehren und zeigt den marxistischen Militanten auf, wie auf allen Gebieten, einschliesslich (aber nicht allein) auf dem Gebiet der militärischen Vorbereitung, die Rolle des »Führers und Leiters« zu übernehmen ist. Wir zitieren einige Auszüge aus seinen Überlegungen und Anweisungen. So schreibt er im August 1905:

»So verächtlich ihr, meine Herren, auch die Nase rümpft über Nachtangriffe und ähnliche rein militärtechnische Dinge (…) – das Leben nimmt sich sein Recht, die Revolution erteilt ihre Lehren, reisst die verknöcherten Pedanten hoch und rüttelt sie wach. Militärische Fragen müssen zur Zeit des Bürgerkriegs bis in alle Einzelheiten studiert werden, und das Interesse der Arbeiter für diese Fragen ist eine vollauf berechtigte und gesunde Erscheinung, Führungsstäbe (oder diensthabende Mitglieder der Organisationen) müssen bestimmt werden. Einteilung der Patrouillen, Einquartierung der Abteilungen – alles das sind rein militärische Funktionen, alles das sind einleitende Operationen der revolutionären Armee, alles das ist die Organisation des bewaffneten Aufstands, die Organisation der revolutionären Macht, die bei diesen kleinen Vorbereitungen, in diesen leichten Scharmützeln heranreift und erstarkt, die hier ihre Kräfte erprobt, kämpfen lernt und sich auf den Sieg vorbereitet«[26].

Die Lösung dieser Probleme ist ebenso schwierig wie dringend, doch findet man selbst in dem heftigsten Passus Lenins keinen Tropfen »Abenteurertum« oder Überstürzung:
»Aufstand – das ist ein sehr grosses Wort. Die Aufforderung zum Aufstand ist eine äusserst ernste Aufforderung. Je komplizierter die Gesellschaftsordnung wird, je höher die Organisation der Staatsmacht und je vollkommener die Militärtechnik ist, desto unzulässiger ist es, eine solche Losung leichtsinnig auszugeben. Und wir haben mehr als einmal gesagt, dass die revolutionären Sozialdemokraten die Aufstellung dieser Losung seit langem vorbereitet, sie aber als direkte Aufforderung erst dann ausgegeben haben, als es keinen Zweifel mehr geben konnte über den ernst, die breite und die tiefe der revolutionären Bewegung, keinen Zweifel darüber, dass die Dinge im wahren Sinne dieses Wortes ihrer Entscheidung zutreiben. (…) Die Losung des Aufstands bedeutet, dass die Frage durch materielle Kraft entschieden wird – eine solche ist aber in der modernen europäischen Kultur nur die militärische Kraft. Diese Losung darf nicht ausgegeben werden, solange die allgemeinen Bedingungen des Umsturzes nicht herangereift sind, solange die Erregung und die Bereitschaft der massen zur tat nicht klar zutage getreten sind und solange die äusseren Umstände nicht zu einer offenkundigen Krise geführt haben. Ist aber eine solche Losung erst einmal aufgestellt, so wäre es geradezu schmählich, vor ihr wieder zurückzuschrecken und sich wieder mit der moralischen Kraft, mit einer der Bedingungen, die dem Aufstand den Boden bereiten, (…) zu begnügen. Nein, sind die Würfel einmal gefallen, so muss man alle Ausflüchte beiseite lassen, so muss man den breitesten Massen direkt und offen erklären, welches jetzt die praktischen Bedingungen des erfolgreichen Umsturzes sind[27]

Wieder einmal muss man in der Lage sein, aus der Revolution zu lernen, und fähig sein, ihr etwas zu lehren. Nach einer kühlen Einschätzung der Lage und Wahl des Augenblicks muss man energisch entscheiden und handeln können. Man muss hierbei den Massen vorangehen, aber erst nachdem man sie moralisch und materiell auf die Notwendigkeit einer unwiderruflichen Entscheidung vorbereitet hat. Man darf sich nicht einbilden, dass die Massen sich selbst genügen, aber ebensowenig darf man sich einbilden, dass die Partei und noch weniger ihr »bewaffneter Arm« – der bei bestimmten Auffassungen gar in einen Parteiersatz verwandelt wird – sich selbst genügt. Der revolutionäre Prozess wird vom vulkanartigen Ausbruch von sozialen Kräften gekennzeichnet, die sich in tausend Richtungen einen Weg bahnen, die die Organisationsformen, in denen sie ihre Energien nach und nach zu kanalisieren und zu disziplinieren versuchen, bilden und neubilden, verlassen und wiederaufnehmen: jede von ihnen verweist auf die andere, alle sind miteinander verbunden, alle stehen oder fallen zusammen.

Im Juli 1906 war die erste revolutionäre Welle zurückgegangen, doch alles kündigte eine neue und mächtige Wiederaufnahme an, derart, dass die Bolschewiki den offenen Boykott der Duma-Wahlen, die als Dampfablassventil für den Zorn der Arbeiter und Bauern ausgerufen worden waren, beschlossen haben. Lenin zeigt, wie der politische Generalstreik das »letzte Wort« der Massenbewegung im Laufe des letzten Viertels des Jahres 1905 gewesen war. Dieser Streik war eine notwendige Bedingung für die Entstehung einer Lage höchster sozialer Spannung. Er war keine ausreichende Bedingung für eine Entscheidung. Hierfür musste er sich in den bewaffneten Aufstand verwandeln. Die Tatsache, dass er mit einem Feind zusammenstiess, der sich dessen bewusst war, die letzten Karten zu spielen, zwang ihn dazu:
»Unabhängig von unserem Willen, allen ›Direktiven‹ zum Trotz, wird die zugespitzte revolutionäre Situation die Demonstration in den Streik, den Protest in den Kampf, den Streik in den Aufstand verwandeln«.
Und gerade in der Entwicklung dieser aufsteigenden Kette, deren Glieder miteinander verflochten sind, wird sich die Frage der Machteroberung selbst für die grossen Massen mit unleugbarer Offensichtlichkeit stellen.

Ebenso hatte man Ende 1905 die Sowjets der Arbeiterdeputierten als »Organe des unmittelbaren Massenkampfes« aus dem Streik entstehen sehen.

Sie wurden aber »sehr rasch, unter dem Druck der Notwendigkeit, zu Organen des allgemeinen revolutionären Kampfes gegen die Regierung.«

Sie verwandelten sich unter diesem Druck »unaufhaltsam in Organe des Aufstands«. Wenn die Sowjets zwar zweifellos erforderlich sind, »um die Massen zusammenzuschweissen, sie für den Kampf zu vereinigen, ihnen die von der Partei auf gestellten (oder von den Parteien gemeinsam ausgegebenen) Losungen der politischen Führung zu übermitteln, um die Massen zu interessieren, sie aufzurütteln und in den Kampf einzubeziehen«, so »reichen sie nicht aus, um die Kräfte für den unmittelbaren Kampf, um den Aufstand im engsten Sinne des Wortes zu organisieren«.
Mehr noch, wollen die Sowjets überleben, dann ist es notwendig,
»neben der Organisation der Sowjets eine militärische Organisation zu ihrer Verteidigung, zur Durchführung jenes Aufstands zu schaffen, ohne den alle Sowjets und alle gewählten Vertrauensmänner der Massen ohnmächtig sein werden«.
Die Schaffung dieser militärischen Organisationen kann natürlich nicht ausschliessliches Werk der Partei sein, sie ist aber Voraussetzung für die Bewaffnung der Massen:
»Die Organisation der Massen… in leicht beweglichen kleinen Kampfverbänden wird im Augenblick der Aktion bei der Beschaffung von Waffen grosse Dienste leisten«[28].

Das reicht aber immer noch nicht aus. Der Moskauer Aufstand hatte gegen die Ansicht von Plechanow, derzufolge »man nicht zu den Waffen hätte greifen sollen«, nicht nur bewiesen, dass man »im Gegenteil entschlossener, energischer und offensiver zu den Waffen hätte greifen sollen«; er hatte nicht nur den Satz von Marx bestätigt,
»dass nämlich der Aufstand eine Kunst und dass die Hauptregel dieser Kunst die mit verwegener Kühnheit und grösster Entschlossenheit geführte Offensive ist«; er hatte auch gezeigt, »dass von einem ernsten Kampf keine Rede sein kann, solange die Revolution nicht zu einer Massenbewegung geworden ist und nicht auch die Truppen erfasst hat«; er hatte gezeigt, dass diese Eroberung der Armee keineswegs ein »einfacher, einmaliger Akt« war, sondern das Ergebnis eines langen, hartnäckigen, »aktiven, kühnen, mit Initiative und offensiv geführten Kampfes«, wobei »im Augenblick des Aufstands auch ein physischer Kampf um die Truppen erforderlich ist«[29].

Schliesslich ist der bewaffnete Aufstand, der Gipfel des allgemeinen revolutionären Massenkampfes, undenkbar, ohne wiederum auf die Aktion von »leicht beweglichen und ausserordentlich kleinen Abteilung(en): Zehnergruppen, Dreiergruppen, ja sogar Zweiergruppen« zurückzugreifen. In dieser Aktion liegt der ganze Sinn der »Taktik des Partisanenkrieges«, und sie wurde durch die ganze Entwicklung der modernen Militärtechnik sowohl als Vorspiel wie auch als eigentlicher Bestandteil des Aufstands zugleich möglich und notwendig gemacht:
»Der Partisanenkrieg, der Massenterror, der jetzt nach dem Dezember überall in Russland fast pausenlos ausgeübt wird, wird zweifellos helfen, die Massen zu lehren, im Augenblick des Aufstands die richtige Taktik anzuwenden. Die Sozialdemokratie muss diesen Massenterror billigen und zum Bestandteil ihrer Taktik machen, dabei muss sie ihn natürlich organisieren und kontrollieren, den Interessen und Bedingungen der Arbeiterbewegung und des allgemeinen revolutionären Kampfes unterordnen und rücksichtslos die ›lumpenproletarischen‹ Verzerrungen dieses Partisanenkrieges beseitigen und ausmerzen, mit denen die Moskauer in den Tagen des Aufstands und die Letten in den Tagen der viel genannten lettischen Republiken so prächtig und rücksichtslos aufgeräumt haben.«[30]

Andererseits darf man nie vergessen, dass man erst am Höhepunkt einer langen Reihe von Demonstrationen und von ökonomischen und politischen Streiks zum Aufstand gelangt, dass man erst am Höhepunkt einer langen Arbeit für die Ausrüstung und Selbstbewaffnung des Proletariats zur »Eroberung der Truppe« gelangt, dass man nur durch die auf einen Höhepunkt gebrachte Bildung und Verallgemeinerung der Sowjets zur Organisierung von Schutzabteilungen der Sowjets gelangt usw. usf. Alles hängt miteinander zusammen, alles trägt zum Endergebnis bei.

In diesem sehr weit gesteckten Rahmen, der jedes Vergleichs mit dem kurzsichtigen und bornierten Blickwinkel des individualistischen und voluntaristischen Terrorismus spottet, lässt Lenin in seiner »Taktischen Plattform zum Vereinigungsparteitag der SDAPR« einer neuen und breiteren Resolution über den bewaffneten Aufstand (in der alle von uns nach und nach angeschnittenen Punkte zusammengefasst werden) die berühmte Resolution über die Partisanenkampfaktionen folgen, die heute von Leuten, die sich, wie z. B. die »Brigate Rosse«, darauf beziehen, völlig missverstanden und entstellt wird. Wir zitieren sie ganz:

»In der Erwägung:
1. dass es seit dem Dezemberaufstand fast nirgends in Russland zur völligen Einstellung der Kampfhandlungen gekommen ist, die jetzt von seiten des revolutionären Volkes in einzelnen Partisanenüberfällen auf den Feind zum Ausdruck kommen;
2. dass derartige Partisanenaktionen, die beim Vorhandensein zweier feindlicher bewaffneter Kräfte und beim Wüten der vorübergehend triumphierenden militärischen Unterdrückung unvermeidlich sind, zugleich der Desorganisierung des Feindes dienen und die kommenden offenen bewaffneten Massenaktionen vorbereiten;
3. dass derartige Aktionen auch für die Kampferziehung und militärische Ausbildung unserer Kampfgruppen notwendig sind, die sich während des Dezemberaufstands an vielen Orten praktisch als unvorbereitet auf die für sie neue Sache erwiesen haben;
erklären wir und beantragen, der Parteitag wolle beschliessen:
1. die Partei muss die Partisanenaktionen der Kampfgruppen, die zur Partei gehören oder sich an sie anlehnen, als prinzipiell zulässig und in der gegenwärtigen Periode zweckmässig anerkennen;
2. die Partisanenkampfaktionen müssen so geartet sein, dass sie der Aufgabe Rechnung tragen, Kader von Führern der Arbeitermassen während des Aufstands zu erziehen und Erfahrungen in überraschenden Angriffshandlungen zu vermitteln;
3. als unmittelbare Hauptaufgabe solcher Aktionen ist die Zerstörung des Regierungs-, Polizei- und Militärapparats zu betrachten sowie der schonungslose Kampf gegen die aktiven Schwarzhunderterorganisationen, die der Bevölkerung gegenüber zu Gewalt greifen und sie einzuschüchtern suchen;
4. Kampfaktionen sind gleichfalls zulässig, um Geldmittel, die dem Feind, d. h. der absolutistischen Regierung gehören, zu erbeuten und diese Mittel für die Erfordernisse des Aufstands zu verwenden, wobei streng darauf zu achten ist, dass die Interessen der Bevölkerung möglichst geschont werden;
5. die Partisanenkampfaktionen müssen unter Kontrolle der Partei durchgeführt werden, und zwar so, dass die Kräfte des Proletariats nicht unnütz vergeudet werden und dass dabei die Bedingungen der Arbeiterbewegung in dem betreffenden Ort und die Stimmung der breiten Massen berücksichtigt werden
[31]

Alle diese Bedingungen werden vom anarchistischen und blanquistischen Voluntarismus und Romantizismus systematisch ignoriert, und dies ist kein Wunder, denn er wurzelt im bürgerlichen Individualismus und stellt dessen »Kehrseite« dar. Doch gerade das Vorhandensein all dieser Bedingungen macht aus den Partisanenkampfaktionen und dem »Massenterror« einen zwar untergeordneten, aber untrennbaren Bestandteil des bewaffneten Aufstands für die Eroberung der Macht. Ihre erneute Betonung führt uns auf den Ausgangspunkt dieses Artikels, auf die Zitate aus Lenins Schrift über den »Partisanenkrieg« und aus unserem Text »Partei und Klassenaktion« zurück. Nachdem wir inzwischen die Geschichte des Bolschewismus sowohl im Hinblick auf den theoretischen Kampf als auch auf die Aktionsrichtlinien von seiner Entstehung bis hin zum Vorabend des Machtkampfes in der Revolution von 1905, der den Oktober 1917 vorwegnimmt, verfolgten, können wir nunmehr unsere kritische Einschätzung des individualistischen Terrorismus im allgemeinen und dessen heutiger Fassungen zusammenfassend fixieren.

Die marxistische Methode angesichts der Frage des Terrorismus

Wenn wir diesen indirekten Weg beschritten, so um die Haltung des Marxismus gegenüber dem Terrorismus besser zu verdeutlichen. Diese ist, wie Trotzki auch im Hinblick auf die Rolle der Verschwörung in der Revolution bemerkte, nur scheinbar widersprüchlich. Es handelt sich um eine prinzipielle Kritik des individualistischen und romantischen Terrorismus und zugleich um die Befürwortung von Gewalt und Terror im Rahmen der allgemeinen Klassenstrategie für die Machteroberung. Nur auf dieser Grundlage kann man die (übrigens absichtliche) Fälschungslawine bekämpfen, zu denen sich die verschiedenen politischen Gruppierungen durch die Taten der RAF und der »Roten Brigaden« veranlasst sahen.

Der Marxismus verwirft alle »Erklärungen« der sozialen Erscheinung, die der Terrorismus darstellt, die nicht auf materialistischen Grundlagen beruhen und deshalb selbst einer Erklärung bedürfen. Selbst wenn man annehmen könnte, dass der individualistische Terrorismus schlicht und einfach das Produkt einer bestimmten Ideologie ist, so müsste man doch die objektiven Wurzeln dieser Ideologie aufsuchen, denn alle Ideologien sind Widerspiegelungen materieller Verhältnisse. Selbst wenn man annehmen könnte, dass der individualistische Terrorismus – nicht eventuelle einzelne Attentate, sondern die Gesamterscheinung – das Produkt von »Machenschaften« der »Rechten« ist, so müsste man noch erklären, warum die »Provokation« einen so günstigen Nährboden findet. Selbst wenn man annehmen könnte, dass der Terrorismus (nicht in einzelnen und seltenen pathologischen Fällen, sondern im allgemeinen) eine »politische Variante« der gewöhnlichen Kriminalität ist, so müsste man noch einerseits das in höchstem Masse soziale Phänomen der Kriminalität, andererseits das nicht minder soziale Phänomen ihrer politischen »Verklärung« erklären.

Der Marxismus ist in der Lage, das Phänomen des individualistischen Terrorismus in einen präzisen historischen und sozialen Zusammenhang zu stellen – und wäre dem nicht so, dann könnte er sich auch nicht eine Wissenschaft nennen. Und möge es auch den Pseudomarxisten, welche »Erklärungen« wie die obigen liefern oder decken, missfallen, so ist der Marxismus immer so verfahren, um die terroristischen »Lehren« und Aktionen zu untersuchen. Und er konnte die Wurzeln fast immer in einer heftigen Krise innerhalb der herrschenden Klasse aufdecken, in einer Krise, die die eigenen Kinder dieser Klasse in die Revolte treibt, selbst die Kinder ihrer Rangspitzen, vor allem aber die Kinder ihrer unteren Schichten, die durch das stattfindende oder sich ankündigende soziale Erdbeben am unmittelbarsten getroffen oder bedroht werden: Intellektuelle, Studenten, und, allgemeiner betrachtet, soweit die kapitalistische Produktionsweise Wurzeln geschlagen hat oder dabei ist, sich zu festigen, die Kleinbourgeoisie, namentlich die städtische. Seltener und als Randerscheinung fand der Marxismus die Wurzeln des Terrorismus in einer elementaren und spontanen Reaktion der entstehenden Arbeiterklasse gegen die allgemeine Umwälzung aller Lebens- und Arbeitsbedingungen, die mit der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der Geburt der grossen Industrie einherging (Ludditen, erste Geheimgesellschaften). Im besonderen Fall der RAF und der »Roten Brigaden« liegt die Nabelschnur, die zu der Studentenbewegung, dem Mai 68 und dem kleinbürgerlichen sozialen Milieu zurückführt, auf der Hand.

In dem Masse, in dem er die Wurzeln des Phänomens kennt, ist der Marxismus als einziger in der Lage, dieses Phänomen historisch zu begründen, selbst wenn er es theoretisch vernichtet. Er ist als einziger in der Lage, den symptomatischen Wert von Ereignissen zu erkennen, die sich nicht nur unabhängig von dem Willen, den Absichten und den bewussten Zielen der Akteure, die im Rampenlicht der sozialen Szene stehen, abspielen müssen, sondern auch gegen ihren Willen, gegen ihre Entscheidungen, gegen ihre bewussten Ziele. Und die Frage, ob die sich dadurch ankündigenden Ereignisse als positiv oder negativ zu bewerten sind, hängt für den Marxismus von den materiellen Gegebenheiten der geschichtlichen Konjunktur ab, keineswegs von abstrakten oder gar moralistischen Erwägungen.

Auch in dieser Beziehung gibt es im Arsenal des Marxismus genügend Material, um alle Idealisten in die Flucht zu treiben. Derselbe Engels, der 1847 zusammen mit Marx im Kampf gegen den »blutdürstigen« Radikalen Heinzen zeigte, dass man die bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse nicht durch die Abschaffung eines »Königs« und dgl. umwälzen kann, denn diese Personen sind nicht die Ursache, sondern das Produkt jener Verhältnisse, derselbe Engels begrüsste 1878–79 die Signale einer kommenden Revolution in Russland, die zwar
»von oben, im Palast, im Schosse des verarmten und frondierenden Adels beginnen wird. Doch einmal in Bewegung, wird sie die Bauern mitreissen, und ihr werdet dann Szenen sehen, denen gegenüber jene von 1793 verblassen werden«; mit Freuden stellte er ›die mächtige Verschwörung im Heer und sogar am kaiserlichen Hofe‹ fest, und er begrüsste den »politischen Mord« im damaligen Russland als »das einzige Mittel, das intelligente, anständige und charakterfeste Menschen haben, um sich gegen die Agenten eines unerhörten Despotismus zu verteidigen«[32].

Derselbe Engels, der von 1875 bis 1894 die volkstümlerische Ideologie in Russland und deren blanquistische Ursprünge einer vernichtenden Kritik unterzog, um somit die theoretisch-programmatischen Grundlagen der kommunistischen Partei, des Organs des entstehenden Proletariats, zu errichten, derselbe Engels schrieb 1885 über die »geladene Mine, an die man nur noch die Lunte zu legen braucht«, in die sich Russland in jenen Tagen verwandelt hatte:
»Dies ist einer der Ausnahmefälle, in denen es einer Handvoll Leute möglich ist, eine Revolution zu machen, d. h. durch einen kleinen Anstoss ein ganzes System zu stürzen, dessen Gleichgewicht mehr als labil ist (…), und durch einen an sich unbedeutenden Akt Explosivkräfte freizusetzen, die dann nicht mehr zu zähmen sind. Nun, wenn jemals der Blanquismus – die Phantasie, eine ganze Gesellschaft durch die Aktion einer kleinen Verschwörergruppe umzuwälzen – eine gewisse Daseinsberechtigung gehabt hat, dann sicherlich in Petersburg. Einmal das Feuer ans Pulver gelegt, einmal die Kräfte befreit und die nationale Energie aus potentieller in kinetische transformiert (…), so werden die Männer, die das Feuer an die Mine gelegt haben, durch die Explosion fortgerissen werden, die tausendmal stärker sein wird als sie und sich ihren Ausweg suchen wird, wie sie kann, wie die ökonomischen Kräfte und Widerstände entscheiden werden«[33].

Umgekehrt verurteilte Marx in Deutschland die Wunschträume von Schapper und Willich, denen zufolge man die Macht sofort erobern oder sich sonst schlafen legen müsste, und sah darin in der ungünstigen Lage, die dem Jahr 1850 folgte, nicht einmal ein Anzeichen einer positiven Entwicklung. Ebenso verurteilte Engels die Träume, in denen sich in den Jahren des Tiefs nach der Niederlage der Pariser Kommune die blanquistischen Flüchtlinge in London 1874 wiegten. Zugleich erklärten sie aber diese Träume durch die verzweifelte Lage einer furchtbar geschlagenen und nach den Niederlagen von 1848–49 in Deutschland und 1871 in Frankreich völlig entrechteten Arbeiterklasse; sie erklärten sie durch die grossmütige aber ohnmächtige Ungeduld, die diese Lage sofort, durch einen Willensakt umwälzen wollte und nicht verstehen konnte, dass man zunächst »15, 20, 50 Jahre« kämpfen musste, um die Verhältnisse zu ändern, dass diese Lage nur unter der Voraussetzung zu überwinden war, dass man für die Bildung der revolutionären Partei der Zukunft arbeitete.

In allen diesen Fällen war das genaue Verständnis des Phänomens des Terrorismus – eines gegebenen oder Möchtegern-Terrorismus – unerlässliche Bedingung für dessen Überwindung durch eine klassenmässige und materialistische Auffassung der revolutionären Entwicklung und der Rolle, die die Partei in dieser Entwicklung spielt. Und dieses Verständnis ist um so notwendiger, als der romantische Terrorismus, wie wir bereits bemerkten, gerade dann einen Raum und eine Daseinsberechtigung findet, wenn die einzige historische Kraft, die in der Lage ist, die »Explosivkräfte«, die im Schosse der Gesellschaft schlummern, zu polarisieren (sei es um die bürgerlich-demokratische Revolution bis zu ihren äussersten Konsequenzen zu führen, sei es um die proletarische und kommunistische Revolution zu verwirklichen), wenn also die als Klasse auftretende Arbeiterklasse abwesend oder vorübergehend verschwunden ist.

Die äusserst kritische marxistische Beurteilung des Terrorismus betrifft aber nicht den Terrorismus »im allgemeinen«, sondern die spezifische Form, die er bei Leuten annimmt, für die dasselbe gilt, was Marx gegenüber der Fraktion Schapper-Willich lapidar festhielt:
»An die Stelle der kritischen Anschauung setzt die Minorität eine dogmatische, an die Stelle der materialistischen eine idealistische. Statt der wirklichen Verhältnisse wird ihr der blosse Wille zum Triebrad der Revolution«[34].
Was uns von diesen Leuten trennt, ist nicht der Wunsch, Gewalt und Terror anzuwenden oder nicht anzuwenden, sondern eine verschiedene, ja eine gegensätzliche Auffassung des revolutionären Prozesses. Wir gehen vom Klassenkampf und -krieg aus, in dessen Funktion und in dessen Rahmen wir die Frage des Terrors sehen. Für uns haben der terroristische Anschlag, die exemplarische Tat, der kühne Angriff, sei es als Massenterror aber auch von »Personen und kleinen Gruppen« getragen, sei es von der Partei geführt oder schliesslich von ihr selbst organisiert, nur als Moment eines historischen Zyklus, der sich nicht auf die kleinkarierte Dimension eines Putsches reduzieren lässt, einen natürlichen Platz und finden nur als solche eine nützliche Anwendung. Dasselbe gilt auch für die Verschwörung als notwendiges Moment des bewaffneten Aufstands.

Ein prinzipieller Kernpunkt der marxistischen Auffassung besagt, dass der Klassenzusammenstoss nicht auf dem Boden des Rechts, sondern auf dem Boden der Gewalt entschieden wird. Der höchste Ausdruck dieser Gewalt ist die autoritäre und zentralisierte revolutionäre Gewalt, die den kapitalistischen Staat zerstört und nach der Machteroberung eine andere Form der systematischen und planmässigen Gewalt annimmt: die Diktatur. Hier liegt die Bedeutung des berühmten Satzes aus dem »Kapital«:
»Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht«.
Die vulgäre Behauptung, mit der heute Rechte und Linke gleichermassen um sich schlagen, nämlich dass Marx und Engels sich der zwangsläufigen Implikationen dieses Satzes nicht bewusst gewesen seien, und erst Lenin (für solche Leute der »Bahnbrecher«… Stalins!) sie »entdeckt« hätte, ist eine so unverschämte wie idiotische Fälschung.

In den Jahren nach 1850, nachdem »eine neue, bisher unerhörte Periode der industriellen Prosperität angebrochen« und »die Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher und (…) so bürgerlich« war, haben Marx und Engels die »Revolutionsmacher«, die sich in London »haufenweise zu provisorischen Zukunftsregierungen zusammentaten«, aufs entschiedenste bekämpft[35]. Im Feuer der revolutionären Gefechte der vorhergehenden zwei Jahre hatte aber Marx, den die Bourgeoisie nicht zufällig den »red terror doctor« nannte, ausgehend von den Bedürfnissen des Kampfes und nicht aus einer etwaigen freien Entscheidung oder »vom Arbeitstisch her« geschrieben:
»Es gibt nur ein Mittel, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel – den revolutionären Terrorismus«.
Und wenn sich das Proletariat im Gegensatz zur feudalen und bürgerlichen Konterrevolution nicht durch »Kannibalismus« kennzeichnet, so verachtet es die Heuchelei, mit der diese die Grausamkeit ihrer Vergeltungsschläge verhüllt:
»Wir sind rücksichtslos, wir verlangen keine Rücksicht von euch«
– schrieb Marx an die Adresse der preussischen Polizei nach dem Verbot der »Neuen Rheinischen Zeitung«.
»Wenn die Reihe an uns kommt, wir werden den Terrorismus nicht beschönigen«[36].

1850 trennten sich Marx und Engels von Schapper und Willich, die sie zwar persönlich schätzen, die aber
»an die Stelle der wirklichen revolutionären Entwicklung (…) die Phrase der Revolution setzen«.
Sie widmen sich der bewusst langfristigen Vorbereitung der »Oppositionspartei der Zukunft«, der proletarischen Partei, und der Verteidigung ihrer vollkommen selbständigen Stellung. Dieser Partei schrieben sie aber in der »Ansprache« vom März 1950
»die Bewaffnung des ganzen Proletariats mit Flinten, Büchsen, Geschützen und Munition«
unabdingbar vor, wohl wissend, dass im Verlauf der bürgerlichen Revolution die Verbündeten von gestern die Feinde von heute und in noch grösserem Masse von morgen sind; dieser Partei schrieben sie vor,
»die Waffen und die Munition unter keinem Vorwand aus den Händen« zu geben und jeden »Entwaffnungsversuch nötigenfalls mit Gewalt« zu vereiteln; kurzum, sie riefen sie dazu auf, das Proletariat selbständig und zentralisiert zu organisieren und zu bewaffnen[37]. Im selben Jahr fixierte Engels in »Revolution und Konterrevolution in Deutschland« die unbedingten taktischen Regeln des Aufstands, der »eine Kunst« ist, »grösste Entschlossenheit« und das »greifen der Offensive« verlangt und nicht seiner eigenen Spontaneität, die, da sie keine Zentralisation kennt, auch keinen Erfolg erzielen kann, überlassen werden darf.[38]

1874 war die marxistische Verurteilung des unter den blanquistischen Flüchtlingen in London herrschenden Voluntarismus unerbittlich. Aber in den »Klassenkämpfen in Frankreich« wird an Blanqui als den Mann erinnert, in dem die Bourgeoisie im Laufe der Kämpfe von 1848 zu Recht das erschreckende Gespenst der »Permanenzerklärung der Revolution«, der »Klassendiktatur des Proletariats« erkannte, womit sie ihm übrigens nur die höchste aller Ehren erwies. Und noch 1861 würdigt Marx Blanqui, der nicht gezögert hatte, dem Feind auf dessen eigenem Boden, auf dem Boden der Gewalt, entgegenzutreten, als
»den Kopf und das Herz der proletarischen Partei in Frankreich«[39].

1871 schreibt Marx, dessen Blick auf das erhabene Beispiel der Pariser Kommune fixiert ist, in einem Brief an Kugelmann:
»Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld als ihre ›Gutmütigkeit‹. Es galt, gleich nach Versailles zu marschieren (…). Der richtige Moment wurde versäumt aus Gewissensskrupel. Man wollte den Bürgerkrieg nicht eröffnen«[40].
(Und heute zittern die Opportunisten vor dem Gedanken, die »Roten Brigaden« könnten – man stelle sich vor! – den Bürgerkrieg eröffnen!) Nach der Niederlage der Pariser Kommune war es wieder Marx, der
»im Krieg der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker, dem einzig rechtmässigen Krieg in der Geschichte«,
die offene Anwendung der Vergeltungs- und Abschreckungsmassnahmen forderte, welche die niederträchtige herrschende Klasse, die nicht davor zögerte, ihrer Soldateska den Befehl, »zu töten, zu verbrennen und zu zerstören«, zu geben, gegen die Besiegten entfesselte[41]. Und was Engels angeht, so hat er 1874 einerseits die »revolutionären Phrasen« der Blanquisten kritisiert, andererseits die »Gegner der Autorität« an folgendes erinnert:
»Eine Revolution ist gewiss die autoritärste Sache, die es gibt, ein Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung seinen Willen dem anderen Teil durch Flinten, Bajonette und Kanonen, alles das sehr autoritäre Mittel, aufzwingt; und die Partei, die gesiegt hat, muss ihre Herrschaft durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflössen, behaupten. Und hätte sich die Pariser Kommune nicht der Autorität eines bewaffneten Volkes gegen die Bourgeoisie bedient, hätte sie sich länger als einen Tag behauptet? Können wir sie nicht umgekehrt tadeln, dass sie sich zu wenig dieser Autorität bedient habe?«[42]

Est-ce clair, messieurs? Mit diesen Worten, die Marx an die preussische Regierung richtete, könnten wir diese Zitate abschliessen, diese wenigen unter unzähligen Zitaten, die den Roten Oktober und den von den Bolschewiki, diesen »Barbaren«, »Asiaten« oder bestenfalls »Jakobinern« zum Sieg geführten Bürgerkrieg in Russland ankündigen.

Die Unvereinbarkeit zwischen Marxismus und individualistischem Terrorismus

Da der Marxismus die sozialen Wurzeln des individualistischen Terrorismus kennt, kann er ohne Schwierigkeit die Ideologie, die diesen charakterisiert und seine Handlungen leitet, genau erkennen und kritisch beurteilen. Trotz aller Besonderheiten seiner jeweiligen Erscheinungsformen bleibt der terroristische Romantizismus auf dieser Ebene sich selbst im Laufe der Geschichte treu. Und auf dieser Ebene verwandelt sich die Unterscheidung zwischen Marxismus und individualistischem Terrorismus in Unvereinbarkeit, bzw. die Meinungsverschiedenheiten in unversöhnliche Gegensätze.

Die Mitglieder der sozialen Schichten, in deren Reihen der individualistische Terrorismus keimt, d. h. des Mittelstandes und der in dessen Fugen eingenisteten »Intelligenzia« bringen in ihrem Kampf oder in ihrer instinktiven Reaktion gegen die herrschende Ordnung zwangsläufig das ganze Arsenal der ideologischen Motivationen, die ihrem sozialen Ursprung eigen sind, und die ihnen entsprechenden Aktionsformen mit sich.

Als Individuen rebellieren sie gegen das Gewicht von ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen, die die »Persönlichkeit« immer mehr ersticken (und zwar um so mehr ersticken, je mehr sie vorgeben, sie befreit zu haben, zu respektieren und ihre »allseitige Entfaltung« zu ermöglichen). Selbst wenn sie Fetzen von marxistischer Terminologie gebrauchen, sich auf das »Proletariat« berufen und vom »Kampf für den Kommunismus« reden, können sie nicht umhin, ihre Revolte unter das Banner des »umgestülpten bürgerlichen Individualismus« zu stellen, dieses Individualismus, in dem Lenin die »Grundlage der gesamten Weltanschauung des Anarchismus«, also eines der ideologischen Flügel des volkstümlerischen Terrorismus, erkannte[43]. Die Notwendige Ergänzung dieses Individualismus, die der Anarchismus im übrigen mit dem blanquistischen Flügel des zum System erhobenen Terrorismus teilt, ist der Idealismus in der Geschichtsauffassung und der Voluntarismus in der Theoretisierung der Aktionsformen, die den Lauf der Geschichte ändern sollen, alles Sachen, die Marx bereits bei Schapper-Willich kritisierte.

Die Achse dieser Weltanschauung sind nicht die Klassen und die Produktionsweisen und Produktionsverhältnisse, auf deren Grundlage diese existieren, sondern die von den einen wie von den anderen losgelösten Individuen. Diese handeln nicht, wie es bei den Klassen zwangsläufig geschieht, aus materieller Determinierung, sondern aus »freier Entscheidung« und aus ihrem »Willen« heraus. Diese »Entscheidung« und dieser »Wille« stellen dem »Bösen«, d. h. der Macht und den Privilegien, die sich in den Händen von Individuen, die unterdrücken und ausbeuten, befinden, die moralische Empörung, den leidenschaftlichen Willen, die Kraft der Ideen (der Vorstellung von einer »gerechteren Gesellschaft«) der unterdrückten und ausgebeuteten Individuen entgegen.

Im Hinblick auf die anarchistische Auffassung spricht Lenin von einem dreifachen »Nichtbegreifen«: Nichtbegreifen der »Ursachen der Ausbeutung«, Nichtbegreifen »der gesellschaftlichen Entwicklung, die zum Sozialismus führt«, Nichtbegreifen »des Klassenkampfes als schöpferische Kraft zur Verwirklichung des Sozialismus«. Man kann dieses Urteil auch auf die vor- und anti-marxistische Seite des Blanquismus ausdehnen, denn, wie Engels in seiner Kritik an den blanquistischen Flüchtlingen unterstrich, war Blanqui
»Sozialist nur dem Gefühl nach, mit den Leiden des Volkes sympathisierend, aber er hat weder eine sozialistische Theorie noch bestimmte praktische Vorschläge sozialer Abhülfe« (26. Juni 1874).
Dieses »Nichtbegreifen« ist Ausdruck einer idealistischen Auffassung des revolutionären Prozesses, einer Auffassung, die von der blossen und unmittelbaren Tatsache ausgeht, dass es Unterdrückte und Unterdrücker, Ausgebeutete und Ausbeuter, Beherrschte und Herrscher usw. gibt, also von einem Tatbestand, der allen in Klassen gespaltenen Gesellschaften gemein ist und deshalb nicht ausreicht, um die besondere Gesellschaftsformation, in der man lebt und handelt, zu erfassen. Diese Auffassung beschränkt sich aber auf diesen Tatbestand und ist unfähig, ihn auf die materiellen Ursachen zurückzuführen, die ihn bestimmen, nicht im abstrakten und ausserhalb der Zeit bestimmen, sondern in der heutigen Produktionsweise und Gesellschaftsordnung. Sie ist unfähig, die Klassenkräfte zu erkennen, die diese Produktionsweise aus sich selbst hervorruft und die unwiderstehlich dazu neigen, sie zu sprengen. Aber damit ist sie auch unfähig zu erkennen, welche Wege und Mittel diese Gesellschaftsordnung sprengen können, und welche Ziele ihre Entwicklungsgesetze selbst zugleich möglich und notwendig machen.

Eine solche Auffassung ist daher dazu verurteilt, sich in einem Teufelskreis aus Illusionen und Desillusionierungen zu bewegen und zu glauben, sich durch einen zugleich zerstörerischen und schöpferischen »Willensakt« aus ihm herauskatapultieren zu können.

Aus diesem Grund betrachtet Lenin Ökonomismus und Terrorismus als nur scheinbar gegensätzliche Äusserungen einer einzigen und grundlegenden Unterwerfung unter die Spontaneität. Sieht der »rein ökonomische« Kampf (Tradeunionismus, Nurgewerkschaftlerei) nicht über den Horizont der unmittelbaren Beziehungen zwischen Lohnarbeiter und Arbeitgeber hinaus, auf den er den weltgeschichtlichen Kampf zwischen proletarischer Klasse und bürgerlicher Klasse reduziert, so sieht der »rein terroristische Kampf« nicht über den Horizont der allgemeinen Doppelerscheinung »Herr (mit oder ohne Krone…) und Knecht« hinaus und reduziert darauf einen Kampf, den er dennoch als historisch betrachtet und von dem er die Entstehung einer »menschlicheren« Gesellschaft erwartet…

Wenn die terroristischen Anschläge (die heute aus dem Zusammenbruch der vom Mai 68 gehegten Träume von »Gegenmacht« und »Alternativmacht« erwachsen, wie der russische Nihilismus um 1870 aus den Enttäuschungen derjenigen erwachsen war, die »zum Volk« hatten gehen wollen) wegen des Aufsehens, das sie erregen, im Gegensatz zur ruhigen Aktivität des Ökonomismus stehen, so teilen sie dennoch denselben ideologischen Horizont, der die Grenzen dieser Gesellschaftsordnung, die beide – oft aufrichtig – zu bekämpfen vermeinen, nicht übersteigt. Und spricht für den Terroristen als »Ehrenpunkt« (aber nicht mehr!) die Tatsache, dass er ein Rebell ist, so ist er auch abstrakter, noch weiter von der Wirklichkeit abgehoben, denn er bewegt sich innerhalb von Denkschemata, die sich ohne weiteres auf eine Sklavenhalter-, feudale oder kapitalistische Gesellschaft anwenden lassen, und handelt im Einklang damit.

Wenn man sich auf dieser Ebene befindet, so ist es kein Zufall, sondern unvermeidlich, dass man sich der Illusion hingibt, »den Staat in seinem Herzen zu treffen«, wenn man dessen persönliche Funktionsträger trifft, oder den Produktionsapparat zu treffen, wenn man dessen persönliche Agenten trifft: Es ist auf einer solchen Ebene unvermeidlich, dass man das Netz aus Interessen Beziehungen und Institutionen, auf denen die »bürgerliche Gesellschaft« beruht, mit einer Hierarchie oder gar mit einer »Clique« aus Individuen verwechselt, die, gerade weil sie als eine Anhäufung von Individuen betrachtet wird, durch den kühnen Anschlag einer anderen Gruppe aus Individuen verwundbar sein soll.

Es ist unvermeidlich, dass die Revolution mit einer Verschwörung der Erwählten im Kampf gegen die weltweite Verschwörung der Bösen verwechselt wird, quasi als sei das sogenannte Exekutivpersonal im engmaschigen Netz der Produktionsstruktur und des sozialen und politischen Überbaus nicht eine Gesamtheit aus Ersatzteilen, die im Dienste einer unpersönlichen und geschichtlich determinierten Maschine stehen und in der Tat unaufhörlich ausgetauscht werden.

Es ist unvermeidlich, dass man das Teil – das einzelne »Machtzentrum«, die einzelne Regierung, die einzelne Partei usw. – vom Ganzen trennt, und sich der Illusion hingibt, das Ganze auseinanderzubringen (zu »desartikulieren«), indem man das Teil »desartikuliert« (und selbst hierfür reichen im übrigen die klassische Bombe oder die moderne Flugzeugentführung nicht aus!). Unvermeidlich auch, dass die Hand der »Multis« überall gesucht wird, und dass ein Kapitalismus ohne »Multis« als für die Menschen noch erträglich erscheint. Es fragt sich nur, ob die »Multis« erst heute entstanden, und warum sie überhaupt entstanden.

Es ist unvermeidlich, dass im bürgerlichen Staat schlicht und einfach ein Militärapparat gesehen wird, dem man einzig und allein die symmetrische Kraft eines anderen Militärapparates entgegenzustellen habe, und dass alle Mechanismen der Klassenzusammenarbeit, mit denen der bürgerliche Staat, vor allem wenn er demokratisch ist, den Apparat der offenen Repression, der andernfalls unwirksam wäre, umgibt, übersehen werden.

Es ist schliesslich unvermeidlich, dass die eigene »Begeisterung« zum Gradmesser für den revolutionären oder konterrevolutionären Charakter der geschichtlichen Situationen gemacht wird. Was kann denn das komplizierte Spiel der Kräfteverhältnisse zählen, wenn der reine Wille es ist, der diese Kräfteverhältnisse erzeugt und lenkt? Die Überschätzung der historischen Lage durch den individualistischen Terroristen ist, wie man sieht, keineswegs das Ergebnis eines »Untersuchungsfehlers«; die Fehleinschätzung erwächst im Gegenteil systematisch aus seiner gesamten Weltanschauung, sie stellt sein Selbstverständnis, seine Daseinsbegründung dar.

Diese Unterwerfung unter die Spontaneität führt aber nicht allein zu den ohnmächtigen Kratzern an dem Panzer des »Systems«. Es geht nicht nur darum, dass der individualistische Terrorismus unfähig ist, den Gegner zu »desorganisieren«, selbst wenn er ihn ohne Zweifel belästigen kann. Er ist ebenso unfähig, die sozialen Kräfte, zu deren Vertreter und Verteidiger er sich aufrichtet, zu organisieren, wenn er sie nicht gar desorganisiert.

Die russischen Volkstümler pflegten den Mythos des Volkes, namentlich des russischen Bauern, den sie als einen »instinktiven Revolutionär« betrachteten. Dieser hätte sich das Gemeindeeigentum, das die sozialistische Gesellschaft vorwegnehmen würde, unangetastet erhalten. Der russische Staat »hänge in der Luft« – meinten sie – und es würde genügen, diese »in der Luft hängende politische Macht«… in die Luft zu jagen, damit das Volk seinen glorreichen Weg fortsetzen könnte. Tkatschow z. B., dem wir bereits die erhellenden obigen Ausdrücke entnahmen, war
»überzeugt, ›es sei nur nötig, das angehäufte Gefühl der Erbitterung und der Unzufriedenheit, das… immer in der Brust unseres Volks kocht, in mehreren Ortschaften gleichzeitig wachzurufen‹. Dann werde ›die Vereinigung der revolutionären Kräfte schon von selbst zustande kommen, und der Kampf… günstig für die Sache des Volks werden müssen. Die praktische Notwendigkeit, der Instinkt der Selbsterhaltung‹ erzielt dann ganz von selbst ›ein festes und unzerreissbares Bündnis unter den protestierenden Gemeinden‹.«

Darauf antwortete Engels:
»Leichter und angenehmer kann man sich eine Revolution gar nicht vorstellen. Man schlägt an drei, vier Orten gleichzeitig los, und der ›instinktive Revolutionär‹, die ›praktische Notwendigkeit‹, der ›Instinkt der Selbsterhaltung‹ tun alles andere ›schon von selbst‹. Warum bei dieser spielenden Leichtigkeit die Revolution nicht längst gemacht, das Volk befreit und Russland in das sozialistische Musterland verwandelt ist, das ist rein nicht zu begreifen«[44].

Sieht man von einigen Sprachwandlungen ab, so handelt es sich hierbei um denselben Mythos, den die terroristische Ideologie unserer Tage im Hinblick auf das, was sie »Proletariat« nennt (und das sie systematisch mit dem »Volk« verwechselt) pflegt. Losschlagen! Es genügt, loszuschlagen! Das Proletariat ist da, voll bereit, und wartet nur darauf, um von selbst auf die Barrikaden zu gehen! Es genügt, sich aufzulehnen; der Sozialismus lauert an der Ecke und wartet nur darauf, um Wirklichkeit zu werden!

Wer aber so denkt, übersieht die ganze Geschichte der Arbeiterklasse; übersieht, dass diese Geschichte eine Reihe von Vorstössen und Niederlagen darstellt; übersieht das Gewicht dieser Ereignisse; übersieht, dass Trägheitsmomente der Vergangenheit nach wie vor bremsend auf die Arbeiterklasse einwirken; übersieht den Übertritt von ganzen Führerstäben auf die Seite des Feindes; übersieht den Einfluss der aus allen Ecken hinausposaunten bürgerlichen Ideologie; übersieht die zersetzende Wirkung der »Konkurrenz unter den Lohnarbeitern«; übersieht die Schwierigkeiten, den Sprung (und es handelt sich wahrhaftig um einen Sprung) vom rein ökonomischen zum politischen Kampf zu vollziehen; übersieht die Unmöglichkeit, »Inseln einer Alternativmacht« innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu bauen. Und als Krönung des Ganzen übersieht er, dass die proletarische Weltpartei vom Stalinismus zerschlagen wurde, vom selben Stalinismus, den viele der heutigen Terroristen so lange bewundert und hofiert haben und es vielleicht heute noch tun. Aber damit »vergisst« man zugleich, dass diese Partei keineswegs spontan entsteht, dass sie nicht erst im Kampf selbst aufgebaut werden kann, dass sie ihr Programm (das Programm der Befreiung des Proletariats) nicht aus den Überlegungen einer »bewaffneten Fraktion« erwartet, dass sie ihre Führerrolle in der Revolution nur in dem Masse spielen kann, in dem sie dieser Revolution sowohl auf der Ebene des Programms (das nicht erst heute zu erfinden ist, sondern seit über einem Jahrhundert besteht) als auch auf der Ebene der praktischen Organisation vorangeht. Und ist dies nicht gegeben, so wird die Revolution, wenn sie überhaupt ausbricht, wieder einmal erliegen.

Was muss man hier und heute innerhalb einer Arbeiterklasse tun, die kaum anfängt, das Joch des Opportunismus, mit dem sie der Bourgeoisie unterworfen wird, abzuwerfen; die kaum anfängt, sich auf der Ebene des ökonomischen Kampfes zu verteidigen (wir reden nicht einmal von der physischen Selbstverteidigung)? Was tun innerhalb einer Arbeiterklasse, die mühsam versucht, zu den elementarsten Methoden und Instrumenten des Klassenkampfes zurückzufinden; die angesichts der Zerschlagung oder Entartung der Gewerkschaftsorganisationen, die im Laufe eines langen konterrevolutionären Zyklus vor sich ging, mühsam versucht, sich Keime von Gewerkschaftsorganen von neuem zu bilden? Was tun, um den Einfluss nicht nur des erklärten Opportunismus, sondern auch seiner tausend »linken« Varianten zu bekämpfen und nach und nach zu zerschlagen? Welches Verhältnis kann zwischen den unmittelbaren Kämpfen bestehen, die die Arbeiterklasse heute auf einem noch so schwierigen und ungünstigen Boden führen muss, und einer »Armee-Fraktion«, deren Existenz eine Phase sozialer Höchstspannung voraussetzt, und die im übrigen nur als »bewaffneter Arm« der politischen Partei denkbar ist? Wie kann man durch die Kämpfe eine wirkliche Solidarität zwischen Beschäftigten, Arbeitslosen und »Ausgestossenen« herstellen, anstatt diese letzteren mit der illusorischen Perspektive einer unmittelbar bevorstehenden Revolution, deren Voraussetzungen noch fehlen und zum Teil von uns selbst erstellt werden müssen, irrezuführen? Welche Stellung soll man zu dem russischen, chinesischen, kubanischen, vietnamesischen, albanischen, jugoslawischen »Sozialismus« und zu den tausend »sozialistischen« Mäntelchen einnehmen, mit denen sich national-demokratische Befreiungsbewegungen umhüllen, Bewegungen, deren kleinbürgerliche Ideologie übrigens vom individualistischen und romantischen Terrorismus übernommen wird und zusammen mit dem Anarchismus und Blanquismus seine vormarxistische Geisteswelt ergänzt? Ist nun die Klassenpartei für die Machteroberung und für die Führung und Ausübung der proletarischen Diktatur notwendig oder nicht? Muss man die Klassenpartei auf der Grundlage einer ununterbrochenen Tradition wiederaufbauen? Muss man diese Tradition von allen Entstellungen und Absurditäten, mit denen Rechte und »Linke« sie überschüttet haben, befreien und in die Arbeiterklasse wiedereinführen oder nicht? Und was ist wirklich der Kommunismus, den so viele Leute zu einer schlechten Ausgabe des Kapitalismus verwässerten?

Alle diese Fragen und noch viele andere stehen innerhalb der sogenannten »revolutionären Avantgarden« noch offen. Nun, wenn man aber von Revolution reden will, und mehr noch von einer »fortschreitenden Revolution«, muss man auf alle diese Fragen klare, eindeutige Antworten geben. Die heutigen Terroristen sind aber ebenso wenig wie ihre Vorgänger in der Lage, darauf eine Antwort zu geben. Sie beschränken sich darauf zu sagen, man müsse den Staat (oder »das System«) im Herzen (oder in dem, was sie Herz nennen) treffen, und lassen alle – riesigen und bescheidenen, sicherlich auf keinen Fall berauschenden, aber in jedem Fall wesentlichen – Aufgaben der revolutionären Vorbereitung beiseite.

Wenn man aber diese Fragen und diese Aufgaben ignoriert, wenn man ihre Lösung der Schockwirkung eines willkürlichen Terrors anvertraut, so entzieht man sich nicht nur der schwierigen und unerlässlichen Arbeit für die Vorbereitung der subjektiven Bedingungen der Revolution: Man idealisiert in Wirklichkeit auch den Zustand der Desorganisation und der programmatischen und taktischen Desorientierung, in dem sich die Arbeiterklasse heute befindet. Das bedeutet nicht nur, wie Plechanow im entfernten 1884 schrieb,
»unsere Aufmerksamkeit vom Wesentlichen abzulenken, nämlich von der Organisation der Arbeiterklasse für den Kampf gegen ihre jetzigen und zukünftigen Feinde«[45].
Das bedeutet auch die Notwendigkeit dieser Organisation überhaupt zu negieren, d. h. die vom reformistischen Opportunismus betriebene Desorganisation durch die eigene, hinter dem Geräusch der revolutionären Phrase und der Gewehrsalven nur schlecht versteckte Desorganisation und Gestaltlosigkeit zu ergänzen.

Trotzki schrieb in der »Geschichte der russischen Revolution«:
»Im Wesen birgt jede Klassengesellschaft genügend Widersprüche in sich, dass man in ihren Rissen eine Verschwörung bauen kann«.
Aber: »Eine reine Verschwörung kann selbst im Falle ihres Sieges nur die Ablösung einzelner Cliquen der gleichen regierenden Klasse an der Macht ergeben, oder noch weniger: Ablösung der Regierungsfiguren. Den Sieg eines sozialen Regimes über ein anderes hat in der Geschichte bisher nur der Massenaufstand gebracht.«
Und: »Die Massen vollziehen wiederholte Angriffe und Rückzüge, ehe sie sich zum entscheidenden Sturm entschliessen«[46]

Wenn man bedenkt, dass Trotzki eine bereits vorrevolutionäre Periode im Auge hatte, so kann man ermessen, wie lang und schwierig die Vorbereitungsarbeit ist, die uns heute bevorsteht. Dieser Arbeit muss man sich widmen, ihr muss man das beste seiner Kräfte opfern. Ihren Zielpunkt – und dessen muss man sich bewusst sein – wird man sich durch einen langen und erbitterten Kampf erobern müssen; er wird nicht das Ergebnis eines blossen Schubses gegen das trotz untergrabener Fundamente leider noch sehr feste Gebäude des Kapitalismus sein.

Nicht darin besteht aber der Weg des individualistischen Terrorismus. Und gerade hier, gerade in seiner Weigerung, diesen Weg einzuschlagen – und nicht in der Anerkennung der historischen Notwendigkeit der Gewalt, wie es die braven Demokraten meinen, die ihrerseits immer bereit sind, zur Verteidigung ihrer eigenen Institutionen die Gewalt hemmungslos anzuwenden – liegt sein »Wahnsinn« und seine Verurteilung.

Was brauchen die Massen?

An einem bestimmten Punkt seiner Laufbahn, wenn eine spürbare Verschlechterung der sozialen Lage mit seiner fortwährenden Isolierung zusammenfällt, versucht der romantische Terrorismus, wie schon so oft in der Vergangenheit, dem Teufelskreis dieser Isolierung durch weitere Anstrengung seiner Einbildungskraft zu entkommen. Er nimmt sich vor, »sich in die Massenbewegung hineinzuprojizieren«, wie man in einer »Resolution« der »Roten Brigaden« vom Februar 1978 lesen konnte. Dieser Versuch widerspricht keineswegs dem individualistischen Idealismus, der seine Ideologie und seine Praxis charakterisiert. Dieser wird im Gegenteil dadurch bestätigt. Denn entweder bildet er sich ein, eine Massenbewegung hervorrufen zu können, in die er dann hineingehen wird, oder er erklärt sich selbst als »Spitze eines Eisbergs«, sprich einer voranschreitenden Revolution. In beiden Fällen wird sein angeborener Voluntarismus lediglich fortgeschrieben, um sich noch besser mit dem Spontaneismus verschmelzen zu können: Einerseits träumt man von einer sofortigen, schon heute beginnenden Entstehung der »Arbeitermacht in den Betrieben, den Schulen und den Gefängnissen«; andererseits träumt man davon, dieser Macht den bewaffneten Arm einer militärischen Organisation zur Verfügung zu stellen.

Die Geschichte wiederholt sich. Lenin, Sommer 1902, im Kampf gegen den individualistischen Terrorismus:
»Die Sozialrevolutionäre, die den Terror verteidigen, dessen Untauglichkeit durch die Erfahrung der russischen revolutionären Bewegung so klar bewiesen ist, sind eifrigst bemüht zu erklären, dass sie den Terror nur zusammen mit der Arbeit unter den Massen anerkennen und dass daher die Argumente, mit denen die russischen Sozialdemokraten die Zweckmässigkeit einer solchen Kampfmethode widerlegt haben (und für lange Zeit widerlegt haben), sich nicht auf sie beziehen«[47].

Im selben Atemzug, mit dem sie der Partei das Duellieren mit der Polizei aufs wärmste empfahlen, beteuerten sie:
»Wir rufen zum Terror auf nicht anstatt der Arbeit unter den Massen, sondern gerade für diese Arbeit und zugleich mit ihr«.
Lenins Antwort ist um so lehrreicher, da sie vor dem Hintergrund einer Situation gegeben wurde, die sich radikal von der heutigen unterscheidet. Damals waren die Massen in der Tat dabei, »loszuschlagen«. Den Revolutionären stellte sich das grosse Problem, die Kluft zwischen einer mächtig aufsteigenden Massenbewegung und einer schwachen Organisation zu überbrücken. Denn die Organisation der Revolutionäre war nicht fähig, den elementarsten Bedürfnissen der Massen an Orientierung, Organisierung und politischer Vorbereitung im weiten Sinne des Wortes zu entsprechen, geschweige denn die Bewegung zu führen. Die Ökonomisten, Gefangene einer spontaneistischen Auffassung, verkleinerten die revolutionären Aufgaben zur »Detailarbeit« einer Intervention in die ökonomischen Kämpfe; die Kehrseite der Ökonomisten, die Terroristen, litten unter einer analogen Krankheit und kennzeichneten sich ebenso durch das anarchistische »Nichtbegreifen der Rolle der Organisation und der Erziehung der Arbeiter«. Sie verkürzten die revolutionären Aufgaben auf die »heldenhafte Grosstat«. Es wurde gekleckert und geklotzt, aber grundsätzlich daneben, denn beide verkannten gleichermassen die dringenden, zugleich bescheidenen und grossformatigen Bedürfnisse der Bewegung. Sie »schworen«, sich dieser Bewegung bis zum äussersten hinzugeben. Aber sie vernichteten gleichermassen die subjektiven Voraussetzungen für die Stärkung des Instruments, in dessen Ermangelung diese Bewegung zum Leerlauf verurteilt war: der Klassenpartei.

Lenin schrieb das nachstehend Zitierte in einem Augenblick grosser sozialer Spannungen und raschen Voranschreitens in Richtung auf den Aufbau der Partei der Oktoberrevolution. Heute, da die Auswirkungen der sozialdemokratischen und stalinistischen Konterrevolution die Wiedergeburt einer echten Massenbewegung so sehr erschweren und die Wiederherstellung der programmatischen, taktischen und organisatorischen Grundlagen der revolutionären Partei so weit verzögern und behindern, gewinnen seine Worte eine noch grössere Bedeutung:
»Dieser Fehler (der Sozialrevolutionäre) besteht, worauf wir schon oft hingewiesen haben, im Nichtverstehen des Hauptmangels unserer Bewegung. (…) In einer Zeit, wo es den Revolutionären an Kräften und Mitteln zur Führung der sich bereits erhebenden Massen mangelt, zu einem Terror aufzurufen, der in der Organisierung von Anschlägen auf Minister durch Einzelgänger und voneinander nichts wissende Zirkel besteht – das bedeutet, eben dadurch die Arbeit unter den Massen nicht nur einzustellen, sondern auch direkt zu desorganisieren.«

Und Lenin, der auch die schwierigsten theoretischen Fragen immer auf den antidemagogischen und antirhetorischen Boden der Parteiarbeit zurückzuführen pflegte, erklärt:
»Wer wirklich seine revolutionäre Arbeit in Verbindung mit dem Klassenkampf des Proletariats leistet, der weiss, sieht und fühlt sehr wohl, wieviel unmittelbare, direkte Anforderungen des Proletariats (und der Volksschichten, die fähig sind, es zu unterstützen) unbefriedigt bleiben. Der weiss, dass in zahllosen Orten, in riesigen Gebieten das Arbeitervolk buchstäblich zum Kampfe drängt, dass aber seine Begeisterung aus Mangel an Aufklärungsschriften und Führern, an Kräften und Mitteln der revolutionären Organisationen nutzlos verpufft. Und wir drehen uns – wir sehen, dass es so ist – in demselben verfluchten fehlerhaften Kreis, der wie ein böses Verhängnis so lange auf der russischen Revolution gelastet hat. Einerseits verpufft die revolutionäre Begeisterung der ungenügend aufgeklärten und unorganisierten Massen wirkungslos. Andererseits verpuffen die Schüsse der unauffindbaren Einzelgänger wirkungslos, die den Glauben an die Möglichkeit verlieren, in Reih und Glied zu marschieren, Hand in Hand mit der Masse zu arbeiten«[48]

Deshalb stellt Lenin, wie wir weiter oben schon gesehen haben, der »leichten« Wiederholung dessen, was die Vergangenheit bereits verurteilt hat, d. h. den vergangenen Formen der Bewegung, das, was auf der Seite der Zukunft ist, die zukünftigen Formen der Bewegung, entgegen. Deshalb schreibt er, indem er »den Sozialrevolutionären einen entschiedenen und rücksichtslosen Kampf« ansagt:

»Auch die wortreichsten Beteuerungen und Beschwörungen können die zweifellos bestehende Tatsache nicht widerlegen, dass der Terror, wie ihn die Sozialrevolutionäre heute anwenden und propagieren, in gar keiner Verbindung steht mit der Arbeit in den Massen, für die Massen und zusammen mit den Massen, dass die Organisierung terroristischer Akte durch die Partei unsere zahlenmässig äusserst geringen organisatorischen Kräfte von ihrer schwierigen und bei weitem nicht erfüllten Aufgabe ablenkt, eine revolutionäre Arbeiterpartei zu organisieren (also nicht im absoluten und aus Prinzip, wie Lenin unaufhörlich wiederholt, sondern unter so gelagerten Bedingungen, IKP), dass der Terror der Sozialrevolutionäre in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein Zweikampf, den die geschichtliche Erfahrung völlig verworfen hat«, und sei es deshalb, weil er »in den russischen Arbeitermassen schädliche Illusionen sät (…). Diese schädlichen Illusionen können nur zu einer raschen Enttäuschung und zur Schwächung der Arbeit führen, die den Ansturm der Massen auf die Selbstherrschaft vorbereitet«[49]
- oder heute auf den demokratischen bürgerlichen Staat.

Die »kriegführende Partei«

Einige unter den heutigen Terroristen glauben vielleicht, sich an Lenin anzulehnen, weil sie ihm eine Formel entlehnt haben, nämlich die »kriegführende Partei«. Es stellt sich somit die Frage, ob darin ein Gebrauch oder Missbrauch vorliegt, d. h. ob der Gebrauch dieser Formel einer Anerkennung der grundlegenden Notwendigkeit der Partei entspricht und theoretisch wie programmatisch einen »qualitativen Sprung« in der Ideologie des individualistischen Terrorismus zum Ausdruck bringt. Unsere Antwort lautet: absolut nicht.

Die Klassenpartei, die politische Partei, spielt in der marxistischen Auffassung eine Schlüsselrolle. Lenin hat nichts »erfunden«, »korrigiert« oder »verbessert«, sondern lediglich die marxistische Auffassung mit all ihren expliziten und impliziten Folgen vertreten. Die programmatisch festgeschriebene Daseinsbegründung der Partei, die ja die »Organisation der Proletarier zur Klasse« verwirklicht, besteht darin, »die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse« vorzubereiten und zu führen. Das bedeutet Eroberung der Macht und Ausübung der Macht durch die Partei. Ersteres ist ohne bewaffneten Aufstand undenkbar, letzteres ohne Anwendung von Gewalt und Terror ebensowenig denkbar, denn einerseits muss man den Widerstand der Bourgeoisie im Inneren und deren von aussen kommende Angriffe zerschlagen, andererseits muss man bei gegebenen objektiven Bedingungen bereit sein, den Kampf gegen den Kapitalismus, der von seinem Wesen her international ist, auf der Ebene des revolutionären Krieges weiterzuführen. Das alles gehört zum Selbstverständnis der Klassenpartei. Aber ebenso gehört zu diesem Selbstverständnis, dass sie diese Ziele nur unter der Bedingung erreichen und vorbereiten kann, dass sie im Laufe der ganzen Phase, die der revolutionären Situation vorangeht, wie im Laufe der revolutionären Situation selbst alle ihre zusammenhängenden Aufgaben auf der Ebene der Propaganda, der Rekrutierung, der Agitation, der Organisation, der Intervention in die Arbeiterkämpfe als ganzes wahrnimmt (wenn sich auch die Proportionen je nach Lage verschieben). Anders kann die Partei den Bedürfnissen des Proletariats nach Organisation und politischer Vorbereitung in der Tat nicht entsprechen, d. h. den Bedürfnissen, in deren Funktion sie entstand und durch deren Erfüllung sie sich als Klassenpartei kennzeichnet.

Lenin schreibt in dem Artikel über den »Partisanenkrieg«, den wir bereits zitierten:
»In der Epoche des Bürgerkriegs ist das Ideal der Partei des Proletariats eine kriegführende Partei«.
Eben: in der Epoche des Bürgerkriegs! Nicht zu jedem x-beliebigen Zeitpunkt, in jeder x-beliebigen Situation, die man aus Wunschdenken zu einer Situation des Bürgerkriegs nominiert!

Erst in einer Periode,
»wo die Massenbewegung in der Praxis schon an den Aufstand heranreicht und mehr oder minder grosse Pausen zwischen den grossen Schlachten des Bürgerkriegs eintreten«,
kann man von einer »kriegführenden Partei« reden. Mehr noch, ohne eine »kriegführende Partei«, die in der Lage ist, diesen Krieg zu führen, wird die Bewegung ihrer eigenen, grossartigen aber ziellosen Spontaneität überlassen bleiben, sie wird sich zersetzen und demoralisieren, bevor sie versandet. Und die Partei kann unter solchen Bedingungen nur zu einer »kriegführenden Partei« werden, wenn sie sich schon vorher und langfristig auf die Aufgabe vorbereitet hat, ihren eigenen »bewaffneten Arm« zu bilden. Aber diese Aufgabe lässt sich nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt erfüllen, sie stellt sich nicht in jeder beliebigen Situation. Auf keinen Fall darf man die Partei mit diesem bewaffneten Arm verwechseln oder auf ihn reduzieren.

Sie ist dann eine »kriegführende Partei«, weil sie, nachdem sie durch eine lange Erfahrung zu kämpfen gelernt hat, nunmehr die Kampfmittel einer Epoche des Bürgerkriegs, d. h. militärische Mittel und Methoden, darunter diejenigen des »Partisanenkrieges« anwendet. Diese betrachtet sie aber nicht
»als einziges oder gar wichtigstes Kampfmittel«, denn sie müssen »anderen Mitteln untergeordnet, mit den wichtigsten Kampfmitteln in Einklang gebracht und durch den aufklärenden und organisierenden Einfluss des Sozialismus veredelt werden«[50].

D. h. dass sie diese Mittel im Rahmen eines strategischen und taktischen Planes anwendet. Dieser Plan verbietet, dass die politische Partei jemals in ein mehr oder weniger dichtes Netz von »Brigaden« oder in eine »Armee« verwandelt wird. Dieser Plan verlangt im Gegenteil von der Partei, dass sie in einer bestimmten Phase ihren eigenen Militärapparat aufbaut, der ihren Zielen, ihrem Programm, ihrer Organisation und ihren taktischen Entscheidungen strikt unterworfen ist. Dieser Plan verlangt von der Partei, dass sie die subjektiven Bedingungen für die Schaffung dieses Apparates langfristig vorbereitet und dass sie sich, wenn der Augenblick kommt, nicht durch die Erscheinungen einer »Desorganisierung der Bewegung« zurückhalten lässt, denn diese Erscheinungen sind unvermeidlich und der Übergang zu Kriegsaktionen wie zu jeder neuen Kampfform ist »mit neuen Gefahren und neuen Opfern verbunden«. Diese Übel werden um so geringer sein, je besser die Parteimilitanten vorher darauf vorbereitet wurden, ihnen entgegenzutreten, und je grösser der Einfluss sein wird, den die Partei vorher, im Laufe einer beharrlichen, aber zwangsläufig noch nicht auf dem militärischen Boden und mit militärischen Mitteln geführten Arbeit, errungen haben wird.

Diese Partei, die ihren »bewaffneten Arm« als ein Werkzeug, ein technisches, untergeordnetes Werkzeug betrachtet, weiss, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt gezwungen sein wird, in den Untergrund zu gehen. Sie ergötzt sich nicht daran, »den Untergrund zu wählen«, wie es im typisch voluntaristischen Sprachgebrauch des romantischen Terrorismus heisst. Sie weiss, dass der bewaffnete Kampf und die militärische Aktion in der Phase des Aufstands ein wesentlicher Ausdruck – aber immer ein Ausdruck unter anderen – ihrer Tätigkeit sein wird. Sie verfällt aber nicht dem idealistischen Fehler, den Untergrund mechanisch mit dem bewaffneten Kampf und der militärischen Aktion gleichzusetzen. Auch im Untergrund wird sie nicht darauf verzichten, die Tätigkeiten ihres »legalen« Lebens mit »illegalen« Mitteln weiter zu verfolgen, ebenso wie sie zu »normalen« Zeiten umgekehrt verpflichtet ist, ein mehr oder weniger straffes konspiratives Netz aufzubauen, nicht als »Alternative« zum offenen und erklärten Parteinetz, sondern als dessen notwendige Ergänzung, als dessen unerlässlichen Schutzapparat.

Kurzum, die Aufgabe, die Massen zu organisieren und zu orientieren, um sie führen zu können, ist eine Daueraufgabe, die selbst lange nach der Machteroberung und dem Sieg im Bürgerkrieg wahrgenommen werden muss, und es ist eine tödliche Illusion, einen Aspekt dieser Aufgabe für die Aufgabe selbst zu nehmen, zumal wenn es sich um einen Aspekt handelt, der einerseits zeitlich sehr begrenzt ist, andererseits zu den »heikelsten« gehört und schon deshalb der politischen Kontrolle am meisten bedarf.

Zwischen einem solchen Parteiorganismus und der »kriegführenden Partei« terroristisch-blanquistischer Prägung gibt es nichts gemeinsames. In letzterer Auffassung wird etwas, was in marxistischer Sicht lediglich ein Instrument der Partei ist, ein Instrument, von dem man übrigens zu allernächst politische und organisatorische Disziplin unter der Partei verlangen muss, denn nur unter dieser Bedingung wird man ihm in der Stunde X eine augenblickliche Führungsfunktion in einem spezifischen Bereich erteilen können, als Partei selbst ausgegeben.[51]

Wenn die Partei in der marxistischen Auffassung entgegen den spontaneistischen Vorstellungen nicht »aus der Bewegung« entsteht, so kann sie entgegen der Ideologie der »Brigaden« um so weniger aus einer »Bewegung« entstehen, deren Ausdruck homöopathische »Militärkommandos« sind. Die Partei fabriziert nicht ihr Programm aus Augenblickseindrücken oder Fetzen »neuer Theorien«; sie unterwirft ihre Organisation nicht den realistischen oder fiktiven Erwartungen des Augenblicks; sie stellt ihren taktischen Plan nicht aufgrund der Einflüsterungen der unmittelbaren Konjunktur. Sie kann die reale Bewegung nicht schaffen, sie kann nicht bestimmen, zu welchem Zeitpunkt diese Bewegung entstehen wird und unter welchen Formen ihre mannigfaltigen Forderungen sich Ausdruck verschaffen werden. Sie muss diese Bewegung führen. Und dazu wird sie nur fähig sein, wenn sie ihr vorausgeht, wenn sie fähig ist, das Endziel der Bewegung und den Weg, der dahin führt, die Phasen, die man auf diesem langen Weg durchschreiten muss, und die Mittel, die man jeweils anzuwenden hat, vorauszusehen, und diese Mittel schliessen sich niemals gegenseitig aus, selbst dann nicht, wenn eines davon gegenüber allen anderen in den Vordergrund rückt.

Diese Fähigkeit ergibt sich daher aus dem Besitz einer Theorie und eines Programms, welche die allgemeinen Interessen und Zielsetzungen der Bewegung verkörpern und nicht einer einzelnen ihrer Phasen; einer Theorie und eines Programms, welche die augenblicklichen Ziele einzelner Proletarier oder der ganzen Klasse überwinden und daher in der Lage sind, den gesamten Weg der Revolution zu beleuchten. Mit anderen Worten, die Partei ist der Ausgangspunkt, und nur als solcher kann sie zum entscheidenden Hebel des Emanzipationsprozesses der Arbeiterklasse werden. Der Militärapparat, ein lebenswichtiges aber weder ausreichendes noch selbständiges Organ des Aufstandes, kann im Gegenteil nur ein Zielpunkt in der aufsteigenden Leiter der Revolution, niemals aber ein Ausgangspunkt sein.

Gerade deshalb zeigt Lenin in »Was tun?«, dass Ökonomismus und Terrorismus, diese scheinbar entgegengesetzten Erscheinungen, in Wirklichkeit nur die zwei Kehrseiten einer einzigen Medaille sind, die zwei Kehrseiten der Unterwerfung unter die Spontaneität. Gerade deshalb schreibt er:
»Es wäre der grösste Fehler, wollte man die Parteiorganisation so aufbauen, dass man dabei nur auf einen Ausbruch und einen Strassenkampf oder nur auf die ›Vorwärtsbewegung des unscheinbaren Tageskampfes‹ rechnet. Wir müssen unsere tägliche Arbeit ständig leisten und immer zu allem bereit sein (…). Auch die eigentliche Revolution darf man sich keineswegs in der Form eines einmaligen Aktes vorstellen (…), sondern in der Form eines rasch aufeinanderfolgenden Wechsels von mehr oder weniger starken Ausbrüchen und mehr oder weniger vollständiger Stille. Darum muss der Hauptinhalt der Tätigkeit unserer Parteiorganisation, der Brennpunkt dieser Tätigkeit, die Arbeit sein, die sowohl in der Periode des stärksten Ausbruchs als auch in der Periode der vollständigen Stille möglich und notwendig ist, und zwar: die politische Agitationsarbeit, die in ganz Russland einheitlich zusammengefasst sein muss, die alle Seiten des Lebens beleuchtet und in die breitesten Massen getragen wird«[52].

Gerade deshalb schreibt Lenin als entscheidendes Werkzeug der Partei nicht die Pistole oder die Bombe vor, sondern die Zeitung, dieses Instrument der politischen Erziehung und Organisation, der Verbreitung der Prinzipien, des Programms und des taktischen Plans, denen jedes einzelne Kampfmittel unterworfen bleiben muss. Um dieses Instrument wird sich die Organisation bilden, die eben
»zu allem bereit sein (wird), angefangen damit, dass sie die Ehre, das Ansehen und die Kontinuität der Partei in der Zeit der grössten revolutionären ›Depression‹ rettet, bis zu dem Moment, da sie den allgemeinen bewaffneten Volksaufstand vorbereitet, ansetzt und durchführt«[53].

Und so wird bei Lenin die Aufgabe, in den Phasen des zugespitzten Klassenkampfes
»Organisationen zu schaffen, die in möglichst hohem Masse dazu befähigt sind, die Massen sowohl in diesen grossen Schlachten als auch, nach Möglichkeit, in diesen kleineren Scharmützeln zu führen«, die Aufgabe, »in der Epoche, in der sich der Klassenkampf zum Bürgerkrieg verschärft hat (…), an diesem Bürgerkrieg nicht nur teilzunehmen, sondern auch die führende Rolle in ihm zu spielen«[54],
keiner einzigen Organisation erteilt, die als unmittelbarer Ausdruck des Kampfes – ob nun des bewaffneten Kampfes oder nicht – oder des Kampfwillens entsteht. Diese Aufgabe wird der revolutionären Klassenpartei als keineswegs metaphysische, sondern physische Verkörperung der Theorie, des Programms und der Kampftraditionen der revolutionären Arbeiterbewegung erteilt.

Nur auf dieser Ebene hat man das Recht und die Pflicht, für die »kriegführende Partei« zu kämpfen. Jene, die sich nicht auf diesen Boden stellen, kämpfen lediglich für die Gespenster, die ihr Voluntarismus erzeugt, und tragen schon aus diesem Grund zur Desorientierung und Desorganisierung jener »Massenbewegung« bei, die sie entweder anbeten oder gar nicht berücksichtigen.

Im Lichte der Oktoberrevolution

Weil sie dieser globalen Auffassung von der Rolle der Partei in der proletarischen Revolution und in ihrer Vorbereitung vollkommen treu blieben und sie niemals durch die Kirchturmperspektive eines Augenblicks oder einer Einzelaufgabe ersetzten, konnten die Bolschewiki im Oktober 1917 nicht nur das Signal zum bewaffneten Aufstand geben, was ja nicht genug wäre, sondern auch diesen Aufstand leiten und zum Sieg führen.

Vom Februar bis zum Oktober lief die Partei alle Phasen ihrer Entwicklung durch, erfüllte alle ihre Aufgaben, breitete ihre Propaganda, ihre Agitation und ihre Bemühungen zur Organisation des Proletariats in alle Richtungen aus. Weit davon entfernt, sich mit ihrem Minderheitsstatus zufrieden zu geben, versuchte sie, ihn zu überwinden und arbeitete hierfür innerhalb der Reihen der Arbeiterklasse sowohl im Tageslicht wie auch im Untergrund, in den Strassenkundgebungen wie in den ökonomischen Kämpfen, in den kühnen Angriffen der Offensivphasen wie in den vorsichtigen Verteidigungs- und Rückzugsgefechten. Sie liess sich dabei nicht von eigenen abstrakten Wunschvorstellungen oder von Ungeduld leiten, sondern verfolgte mit höchster Aufmerksamkeit die realen Erwartungen und tiefen Bedürfnisse der Massen, deren Bewegung sie vorwegzunehmen versuchte, selbst wenn sie deshalb jene, die zum Nachtraben neigten, aus den eigenen Reihen entfernen musste. Diese ist die »kriegführende Partei«, nicht die Parodie, die sich »Organisation der Stadtguerilla« nennt. Gerade ihr, und nicht den »Terrororganisationen« verdanken wir dieses »Meisterwerk der Militärkunst«, den der Oktoberaufstand (und der russische Bürgerkrieg) darstellt. Dank dieser Partei war der Oktober zugleich Grabstein des individualistischen Terrorismus und höchster Ausdruck des Klassenterrors und der Klassengewalt.

In dieser ganzen Arbeit versuchten wir jene dialektischen Zusammenhänge wieder zur Geltung zu bringen, aus denen bei vollem Beibehalt der alten und scharfen Kritik am romantischen Terrorismus die revolutionäre Substanz des Marxismus gegen das Gekeife der Demokratie und ihrer »Arbeiterpriester« hervorgeht. Wir können nicht besser abschliessen als mit dem Zitat jener Seiten von Trotzki, auf denen in vollem Einklang mit Lenin (man denke an die Briefe an das Zentralkomitee vor dem Oktober) die Verschwörung (o Schreck!) als unerlässliche Waffe des Proletariats wieder in den richtigen Zusammenhang gestellt wird.

»Der Aufstand, der sich über die Revolution erhebt wie ein Gipfel in der Bergkette, kann ebensowenig willkürlich hervorgerufen werden wie die Revolution in ihrer Gesamtheit«. Zwischen ihm und dem »planmässigen Unternehmen einer Minderheit« gibt es einen riesigen Unterschied. Nachdem er diesen Punkt hervorgehoben hat, schreibt Trotzki:

»Doch bedeutet das Gesagte keinesfalls, dass Volksaufstand und Verschwörung einander unter allen Umständen ausschliessen. Das Element der Verschwörung ist in dem einen oder dem anderen Masse fast immer im Aufstande enthalten. Eine historisch bedingte Etappe der Revolution bildend, ist der Massenaufstand niemals rein elementar. Sogar wenn er für die Mehrzahl seiner Teilnehmer überraschend zum Ausbruch kommt, ist er von jenen Ideen befruchtet, in denen die Aufständischen Ausweg aus Daseinslasten erblicken. Doch kann man den Massenaufstand voraussehen und vorbereiten. Kann ihn im voraus organisieren. In diesem Falle ist die Verschwörung dem Aufstand unterworfen, sie dient ihm, erleichtert seinen Gang, beschleunigt seinen Sieg. Je höher die revolutionäre Bewegung ihrem politischen Niveau nach ist, je ernster ihre Führung, einen um so grösseren Raum nimmt die Verschwörung im Volksaufstande ein.« (…)
»Die alte Macht stürzen – ist eines. Die Macht übernehmen – ein anderes. Die Bourgeoisie ist in der Lage, in der Revolution die Macht zu übernehmen, nicht weil sie revolutionär ist, sondern weil sie die Bourgeoisie ist: in ihren Händen befinden sich Besitz, Bildung, Presse, ein Netz von Stützpunkten, eine Hierarchie von Institutionen. Anders das Proletariat: bar jedes ausserhalb seiner selbst liegenden sozialen Vorranges, kann das aufständische Proletariat nur auf seine zahlenmässige Stärke, seine Geschlossenheit, seine Kader, seinen Stab rechnen.
Wie es dem Schmied nicht gegeben ist, mit blossen Händen glühendes Eisen anzufassen, so kann das Proletariat nicht mit blossen Händen die Macht ergreifen; es braucht eine für diese Aufgabe geeignete Organisation. In der Verknüpfung von Massenaufstand und Verschwörung, der Unterordnung der Verschwörung unter den Aufstand, der Organisierung des Aufstandes durch die Verschwörung besteht jenes komplizierte und verantwortliche Gebiet der revolutionären Politik, das Marx und Engels ›die Kunst des Aufstandes‹ nannten. Sie setzt voraus eine richtige Gesamtführung der Massen, eine elastische Orientierung in den sich verändernden Bedingungen, einen durchdachten Angriffsplan, Vorsicht bei der technischen Vorbereitung und Kühnheit beim zuschlagen«
(…)
Die Sozialdemokratie »verneint nicht die Revolution im allgemeinen, als soziale Katastrophe, wie sie Erdbeben, vulkanische Ausbrüche, Sonnenfinsternisse und Pestepidemien nicht verneint. Was sie als ›Blanquismus‹ oder noch schlimmer als Bolschewismus verneint, ist die bewusste Vorbereitung der Umwälzung, der Plan, die Verschwörung… «. (…)
»Aus den Beobachtungen und Betrachtungen über die Misserfolge vieler Aufstände, deren Teilnehmer oder Zeuge er gewesen, leitete Auguste Blanqui eine Reihe taktischer Regeln ab, ohne deren Wahrung der Sieg des Aufstandes äusserst erschwert, wenn nicht gar unmöglich sei. Blanqui forderte rechtzeitige Schaffung regelrechter revolutionärer Abteilungen unter zentralisierter Leitung, deren regelrechte Ausrüstung, gut berechnete Verteilung der Barrikaden von bestimmter Konstruktion mit einer systematischen, nicht episodischen Verteidigung. Alle diese sich aus den Kriegsaufgaben des Aufstandes ergebenden Regeln müssen sich selbstverständlich unvermeidlich zusammen mit den sozialen Bedingungen und der Kriegstechnik verändern; an sich aber sind sie keinesfalls Blanquismus in dem Sinne, wie dieser Begriff dem deutschen ›Putschismus‹ oder dem revolutionären Abenteurertum nahesteht.
Der Aufstand ist eine Kunst und hat wie jede Kunst seine Gesetze, Blanquis Regeln waren Forderungen des kriegsrevolutionären Realismus.
Blanquis Irrtum bestand nicht in seinem direkten Theorem, sondern in dessen Umkehrung. Aus der Tatsache, dass die taktische Hilflosigkeit den Aufstand zum Untergang verurteilte, zog Blanqui die Schlussforderung, dass die Einhaltung der Regeln der Insurrektionstaktik an sich imstande sei, den Sieg zu sichern. Erst von da ab beginnt die berechtigte Gegenüberstellung von Blanquismus und Marxismus. Die Verschwörung ersetzt den Aufstand nicht. Die aktive Minderheit des Proletariats, so gut sie auch organisiert sein mag, ist nicht fähig, unabhängig vom Gesamtzustande des Landes die Macht zu ergreifen: in diesem Sinne hat die Geschichte über den Blanquismus ihr Urteil gesprochen. Aber nur in diesem Sinne. Das direkte Theorem behält seine volle Geltung. Zur Machteroberung genügt dem Proletariat nicht der elementare Aufstand. Nötig ist die entsprechende Organisation, nötig der Plan, nötig die Verschwörung.«
[55]

Aus allen diesen Gründen, die einen unteilbaren Block darstellen, braucht das Proletariat eine revolutionäre Klassenpartei. Diese muss in den Sowjets, Gewerkschaften, Betriebsräten usw. fest verankert sein und über die Kraft einer eigenen Militärorganisation verfügen. Sie darf aber niemals einem dieser Organe untergeordnet werden.

In den weiteren Ausführungen Trotzkis findet man Positionen wieder, die für die kommunistische Linke Italiens charakteristisch sind:
»Dank der günstigen Verknüpfung historischer Bedingungen, innerer wie internationaler, erhielt das russische Proletariat an seine Spitze eine Partei von aussergewöhnlicher politischer Klarheit und beispielloser revolutionärer Stählung: Nur dies allein gestattete der zahlenmässig kleinen und jungen Klasse, eine dem Ausmasse nach nie dagewesene historische Aufgabe zu erfüllen. Im allgemeinen erwies sich nach dem Zeugnis der Geschichte – Pariser Kommune, deutsche und österreichische Revolution von 1918, Sowjetungarn und Bayern, italienische Revolution von 1919, deutsche Krise von 1923, chinesische Revolution von 1925 bis 1927, spanische Revolution von 1931 – als das schwächste Glied in der Kette der Bedingungen bis jetzt das Parteiglied: für die Arbeiterklasse ist es am schwierigsten, eine revolutionäre, auf der Höhe ihrer historischen Aufgabe stehende Organisation zu schaffen. In den älteren und zivilisierten Ländern sind mächtige Kräfte am Werke zur Schwächung und Zersetzung der revolutionären Avantgarde. Einen wichtigen Bestandteil dieser Arbeit bildet der Kampf der Sozialdemokratie gegen ›Blanquismus‹, unter welchem Namen das revolutionäre Wesen des Marxismus figuriert«.

Man muss diese Kräfte sozialdemokratischen und heute vor allem stalinistischen Ursprungs bekämpfen. Man muss zugleich verhindern, dass die falsche Reaktion, die Ideologie, die die zentralisierende Funktion der Partei negiert, wieder Fuss fasse. Die Aufgabe ist riesig. In ihrem Sinne zeigen wir die Unhaltbarkeit der »negativen Seite« des terroristischen Blanquismus aller Schattierungen auf und rufen die jungen Proletarier dazu auf, mit grösster Energie gegen die tödlichen Illusionen des Reformismus, gegen die opportunistische Pest zu kämpfen, ohne sich den sterilen und ohnmächtigen Träumen des individualistischen Terrorismus hinzugeben. Wir rufen sie dazu auf, damit das revolutionäre Wesen des Marxismus wieder ans Tageslicht kommt, damit die revolutionäre marxistische Partei, das Glied in der Kette der revolutionären Bedingungen, das sich bis heute als schwächstes erwies, gestärkt wird und ihre ganze Macht entfalten kann, damit aus der Verbindung der Partei mit der Empörung der proletarischen Massen, die aus dem Boden dieser Gesellschaft wie aus einem Vulkan herausbrechen wird, die proletarische Revolution wieder kommt und diesmal nicht im Keim erstickt wird, sondern den Sieg davonträgt.

Notes:
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  1. Ausser des hier veröffentlichten Artikels erschienen u. a. in deutscher Sprache »Individuelle Gewalt und revolutionäre Vorbereitung« (KP 14) und »Terrorismus, Demokratie und Kommunismus« (KP 17), in italienischer Sprache »L’ideologie delle BR« (»il programma comunista« № 7/78), »Fra passato e futuro« (»il programma comunista« 12/77) etc., in französischer Sprache verschiedene, inzwischen in der Broschüre »Violence, terrorisme et lutte de classe« gesammelte Artikel. [⤒]

  2. »Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 209. [⤒]

  3. »Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 202 f. [⤒]

  4. Man verstehe es richtig: Weder auf eine Verschwörung noch auf eine Partei, insofern revolutionäre Situationen nicht auf Wunsch oder Befehl entstehen. Lenin, der diese Worte schrieb (»Marxismus und Aufstand«, 26./27. 9. 1917, Lenin, »Werke«, Bd. 26, S. 4 f), erklärte zugleich unermüdlich den zögernden Genossen, dass die Intervention der Partei, wenn diese objektiven Bedingungen einmal vorhanden sind, für die Führung und Disziplinierung der Bewegung unerlässlich ist. Er zeigte die Notwendigkeit eines besonderen, geheimen, konspirativen und militärischen Organs innerhalb der Partei, dessen praktische Aufgabe die Vorbereitung des Aufstandes ist. Es reicht folglich nicht aus, zu sagen, der Marxismus verwerfe den Blanquismus. Er verwirft die metaphysische Auffassung, welche die Verschwörung zu etwas Absolutem und Übergeschichtlichem erhebt, zugleich benutzt er aber die Methoden der Konspiration und der Verschwörung. Wir werden es im weiteren anhand der Texte von Lenin und Trotzki und der Geschichte der bolschewistischen Partei am Vorabend der Oktoberrevolution verfolgen. [⤒]

  5. Abgesehen von Geiselnahmen, Hinrichtungen von Spitzeln und Provokateuren, Aktionen für die Befreiung von politischen Gefangenen usw. Wir werden darauf zurückkommen. [⤒]

  6. »Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 205. Hierzu siehe auch den ausführlichen Artikel »Die Aufgaben der Abteilungen der revolutionären Armee«, 1905, Lenin, »Werke«, Bd. 9, S. 423 ff. [⤒]

  7. »Während man die ›Befriedungsexpedition‹ vorbereitet«, erschienen in »Il Comunista«, 31. 07. 1921. [⤒]

  8. »Ansprache der Zentralbehörde an den Bund«, März 1850, MEW, Bd. 7, S. 249. [⤒]

  9. »Entwurf für das Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei Italiens«, 1922, französische Übersetzung in »Programme Communiste«, Nr. 67. [⤒]

  10. Wie üblich wurden diese empörten Anschuldigungen (vor allem seitens Paul Levi) von Warnungen gegen die Gefahr, dass sich die Partei mit dem Lumpenproletariat und dem Verbrechermob einliesse, begleitet. Alles gespickt mit schlecht verdauten Zitaten von Marx und Engels. Bereits 1906 hatte Lenin darauf geantwortet (»Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 211):
    »Man sagt, der Partisanenkrieg bringt das klassenbewusste Proletariat den heruntergekommenen Trunkenbolden und Lumpenproletariern nahe. Das ist richtig. Hieraus folgt aber nur, dass die Partei des Proletariats den Partisanenkrieg niemals als einziges oder gar wichtigstes Kampfmittel betrachten darf, dass dieses Mittel anderen Mitteln untergeordnet, mit den wichtigsten Kampfmitteln in Einklang gebracht und durch den aufklärenden und organisierenden Einfluss des Sozialismus veredelt werden muss. Ohne diese letzte Bedingung bringen in der bürgerlichen Gesellschaft alle, entschieden alle Kampfmittel das Proletariat verschiedenen über oder unter ihm stehenden nichtproletarischen Schichten nahe und werden, überlässt man sie dem spontanen Gang der Ereignisse, verdorben, verunstaltet, prostituiert.« [⤒]

  11. »Partei und Klassenaktion«, veröffentlicht in »Rassegna Comunista«, 31. 05. 1921. Deutsch in unserer Broschüre »Die Frage der revolutionären Partei«. Die Übersetzung wurde hier etwas verbessert. [⤒]

  12. Man könnte einwenden, dass der Terrorismus individualistischer Prägung eher eine Strategie als eine Taktik zum Ausdruck bringt. Man darf aber nicht vergessen, dass Lenin hier mitten im imperialistischen Krieg sprach und sowohl von einer revolutionären Situation wie auch von einer revolutionären Strategie auf der Grundlage einer Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ausging. In diesem Rahmen musste man die taktischen Aufgaben der proletarischen und kommunistischen Avantgarde auf den richtigen Boden stellen und bestimmen. D. h. im Fall der Terroraktionen von Personen oder Gruppen auf den richtigen Boden der Verbindung mit der Massenaktion der Proletarier und der Ausgebeuteten im allgemeinen, weg vom Boden der »exemplarischen Tat«. [⤒]

  13. Lenin, »Werke«, Bd. 23, S. 120 f. [⤒]

  14. In der zitierten kurzen Rede spricht Lenin nur von »Strassendemonstrationen«, d. h. von einer Aktionsform, die die Ebene der unmittelbaren Arbeiterkämpfe bereits erheblich überschreitet. Wie wir aber gesehen haben und in der Folge weiter erläutern werden, hat er auch bescheidenere Aktionen vor Augen, beginnend mit den Streikposten, die ebenfalls eine elementare Erscheinung von (defensiver) Gewalt darstellen.
    In den »30 Thesen über die Aufgaben der linken Zimmerwaldisten in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz« wird Lenin einige Monate später die mannigfache Propaganda- und Agitationsarbeit schildern, die in allen Bereichen zu entfalten ist, um die Massen auf den Boden des revolutionären Defätismus zu bringen. Er wird die Notwendigkeit unterstreichen, sozialdemokratische Gruppen in allen »Heeresteilen« zu bilden, bzw. die Notwendigkeit
    »der Aufklärung über die geschichtliche Unvermeidlichkeit und die – vom Standpunkt des Sozialismus aus – Legitimität des Gebrauchs der Waffen in dem einzig gerechten Kriege, nämlich dem Kriege des Proletariats gegen die Bourgeoisie für die Befreiung der Menschheit aus der Lohnsklaverei«.
    Wenn er die »Propaganda gegen individuelle Attentate« fordert, so allein
    »um den Kampf des revolutionären Teiles des Heeres mit der breiten Bewegung des Proletariats und des Ausgebeuteten in der Bevölkerung überhaupt«
    in Verbindung zu bringen. Er fordert eine Verstärkung der Propaganda, um den Soldaten zu empfehlen,
    »im Falle der Anwendung des Militärs gegen Streikende, den Gehorsam zu verweigern sowie auch Aufklärung über die Notwendigkeit, in solchen Fällen sich nicht auf passive Gehorsamsverweigerung zu beschränken« (Lenin, »Werke«, Bd. 23, S.143). [⤒]

  15. »Der ›linke Radikalismus‹, die Kinderkrankheit im Kommunismus«, Lenin, »Werke«, Bd. 31, S. 17. [⤒]

  16. »Die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten«, Lenin, »Werke«, Bd. 2, S. 343. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass zum damaligen Zeitpunkt das Wort »Sozialdemokraten« im Sinne von Sozialisten, bzw. Kommunisten gebraucht wurde. [⤒]

  17. »Die dringendsten Aufgaben unserer Bewegung«, Lenin, »Werke«, Bd. 4, S. 368 ff., Hervorhebungen IKP. [⤒]

  18. Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 7–8, Hervorhebungen IKP. [⤒]

  19. Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 431–432 und 434–435, Hervorhebung IKP. [⤒]

  20. Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 494, Hervorhebung des letzten Satzes IKP. [⤒]

  21. »Revolutionäres Abenteurertum«, Lenin, »Werke«, Bd. 6, S. 186–187, Hervorhebungen IKP. [⤒]

  22. »Von der Verteidigung zum Angriff«, Lenin, »Werke«, Bd. 9, S. 278–279; Hervorhebungen IKP. [⤒]

  23. Lenin, »Werke«, Bd. 8, S. 364. [⤒]

  24. Vorwort zu »Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution«, Lenin, »Werke«, Bd. 9, S. 4. [⤒]

  25. »Sollen wir die Revolution organisieren?«, 21. Februar 1905, Lenin, »Werke«, Bd. 8, S. 160 f. [⤒]

  26. Lenin, »Die Schwarzhundertschaften und die Organisation des Aufstands«, 29. August 1905, Werke 9, S. 197 f. Um zu vermeiden, dass man dem Ausdruck »revolutionäre Armee« einen banalen »technischen« Sinn gibt, verdeutlicht Lenin an anderer Stelle:
    »...die militärische Kraft des revolutionären Volkes (und nicht des Volkes schlechthin), und diese besteht:
    1. aus dem bewaffneten Proletariat und der bewaffneten Bauernschaft,
    2. aus den organisierten Vortrupps der Vertreter dieser Klassen,
    3. aus den Truppenteilen, die bereit sind, auf die Seite des Volkes überzugehen.
    Das alles macht zusammen die revolutionäre Armee aus«

    (»Das letzte Wort der ›iskristischen‹ Taktik«, 17. Oktober 1905, Lenin, »Werke«, Bd. 9, S. 365). »Das alles zusammen« (wohlgemerkt!) und keineswegs ein einziger dieser Bestandteile, z. B. der zweite oder, schlimmer noch, der dritte! [⤒]

  27. »Das letzte Wort der ›iskristischen‹ Taktik«, 17. Oktober 1905, Lenin, »Werke«, Bd. 9, S. 366–367, Hervorhebungen IKP. [⤒]

  28. »Die Auflösung der Duma und die Aufgaben des Proletariats«, Juli 1906, Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 108–113. [⤒]

  29. »Die Lehren des Moskauer Aufstandes«, 29. August 1906, Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 159, 162. [⤒]

  30. »Die Lehren des Moskauer Aufstandes«, 29. August 1906, Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 160 f. Wir haben jene Sätze hervorgehoben, in denen Lenin den Schlüssel für die marxistische Auffassung von der Gewalt- und Terroranwendung im direkten revolutionären Kampf liefert. [⤒]

  31. Der Text wurde am 20. März 1906 veröffentlicht und befindet sich in: Lenin, »Werke«, Bd. 10, S. 146–147. Hervorhebungen IKP. Solche Behauptungen rufen natürlich die »Entrüstung« der Bourgeoisie hervor, sind sie ja für den Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie und ihre Institutionen, ob diese nun demokratisch sind oder nicht, gedacht. Wenn es aber darum geht, diese selben Institutionen zu schützen oder zu restaurieren und das Proletariat zu zerschlagen, so begnügt sich die Bourgeoisie nicht einfach damit, sie zu unterschreiben. Sie kennt keine Vorbehalte gegen ihre volle Anwendung. Und im übrigen, wenn es um ihre Interessen geht, dann schert sich die Bourgeoisie einen Dreck darum, »die Interessen der Bevölkerung möglichst zu schonen« (man denke z. B. allein an die »Résistance«). [⤒]

  32. Einige Jahre später liessen die Vertreter dieses Adels Rasputin ermorden, was von allen »gebildeten Demokraten« eifrigst beklatscht wurde.
    Was Engels angeht, so wird seine selbst schärfste Kritik an den »Terroristen« auf jeden Fall niemals von Beleidigungen und Beschimpfungen begleitet. Gerade darin exerzieren sich heute aber nicht allein offene Opportunisten, sondern ein grosser Teil der sogenannten »extremen Linke«. Jene, die Engels trotz allem immer als »heldenhafte Vorhutskämpfer« betrachtete, sind heute Freiwild für »linke« Infamie.
    Zitate aus MEW, Bd. 19, S. 114 ff. und 148 ff. [⤒]

  33. Engels an Vera Sassulitsch, 23. April 1885, MEW, Bd. 36, S. 303 ff. [⤒]

  34. Marx, »Enthüllungen über den Kommunistenprozess zu Köln«, MEW, Bd. 8, S. 412. [⤒]

  35. Engels, »Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten«, MEW, Bd. 21, S. 206 – 224. [⤒]

  36. Marx, »Die standrechtliche Beseitigung der Neuen Rheinischen Zeitung«, MEW, Bd. 6, S. 505. [⤒]

  37. »Ansprache der Zentralbehörde an den Bund«, März 1850, MEW, Bd. 7, S.249 [⤒]

  38. MEW, Bd. 8, S. 95. Lenin wird diese Seiten von Engels am Vorabend der Oktoberrevolution ausführlich zitieren. [⤒]

  39. MEW, Bd. 7, S. 89 und Marx’ Brief an Louis Watteau v. 10. November 1861, MEW, Bd. 30, S. 617. [⤒]

  40. Marx an Kugelmann, 12. April 1871, MEW, Bd. 33, S. 205. [⤒]

  41. Marx, »Der Bürgerkrieg in Frankreich«, Studienausgabe, S. Fischer Verlag, Bd. 4, S. 231. [⤒]

  42. Engels, »Von der Autorität« (1873), MEW, Bd. 18, S. 308. [⤒]

  43. »Anarchismus und Sozialismus«, 1901, Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 334. [⤒]

  44. Engels, »Soziales aus Russland«, 1875, MEW, Bd. 18, S. 565 f.
    Selbst in seiner Sprache nimmt Tkatschow die heutigen Terroristen vorweg. Siehe auch MEW, Bd. 18, 548 ff. [⤒]

  45. Plechanow, »Nos controverses« (1884), »Œuvres philosophiques«, Bd. 1, S. 162. [⤒]

  46. Trotzki, »Geschichte der russischen Revolution«, Fischer Taschenbuchausgabe, S. 832, 831. [⤒]

  47. »Revolutionäres Abenteurertum«, Lenin, »Werke«, Bd. 6, S. 181 f. [⤒]

  48. »Revolutionäres Abenteurertum«, Lenin, »Werke«, Bd. 6, S. 184, 187 [⤒]

  49. »Warum muss die Sozialdemokratie den Sozialrevolutionären einen entschiedenen und rücksichtslosen Kampf ansagen?« 1902, Lenin, »Werke«, Bd. 6, S. 164 ff. [⤒]

  50. »Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 208–210. [⤒]

  51. So war das »militärische Revolutionskomitee« des Oktober eine überragende technisch-politischen Waffe der bolschewistischen Partei. Es erhielt von ihr die Befehle und war ihr gegenüber verantwortlich. Niemand – und Trotzki weniger als jeder andere – wäre aber jemals auf die Idee gekommen, es auf den Rang der Partei zu erheben! [⤒]

  52. »Was tun?«, Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 534–535. [⤒]

  53. »Was tun?«, Lenin, »Werke«, Bd. 5, S. 534–535. [⤒]

  54. »Der Partisanenkrieg« (1906), Lenin, »Werke«, Bd. 11, S. 212–213. [⤒]

  55. Dieses Zitat und das folgende (Hervorhebungen IKP) wurden dem Kapitel »Die Kunst des Aufstandes« aus der »Geschichte der russischen Revolution« (Trotzki, Fischer Taschenbuchausgabe, S. 831 ff.) entnommen. Es ist klar, dass sich durch die Machteroberung ein neues Kapitel eröffnet, das Kapitel des roten Terrors im Laufe des Bürgerkrieges und der Diktatur. Dieser Aspekt geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Wir weisen darauf hin, dass Trotzki selbst diese Frage erschöpfend und mit unvergleichlicher dialektischer Kraft in »Terrorismus und Kommunismus« behandelt hat. [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr.21, März 1979

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