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SPANIEN: DIE ANTIPROLETARISCHE STRATEGIE DER DEMOKRATISCHEN ERNEUERUNG


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Spanien: Die antiproletarische Strategie der demokratischen Erneuerung (und die Linke atmet auf…)
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Spanien: Die antiproletarische Strategie der demokratischen Erneuerung (und die Linke atmet auf…)

Mehr als alle anderen europäischen Länder hat Spanien die Aufeinanderfolge aller möglichen Regierungsformen erlebt. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhundert wurden liberale Bewegungen und Statuten feierlich zugelassen und wieder abrupt verboten. Die Regierung von Isabel II war eine auf dem Papier verfassungsmässige Monarchie, gewürzt mit militärischen Pronunciamentos. Nach 1874 gab es die schlechthin verfassungsmässige, wiederhergestellte Monarchie der Bourbonen. Die Republik erlebte Spanien in der kantonalistischen Form 1872–73 und in der zentralistischen 1931. Beide, die monarchische und die republikanische Lösung, jeweils konservativ und progressiv, kirchlich und weltlich, demokratisch und antidemokratisch. Es hat das paternalistisch-korporative Regime von Primo de Rivera und das militär-faschistische von Franco erlebt. Abgesehen von den falangistischen Ultras, die die Kontinuität des bürgerlichen Staates mit der unveränderten Kontinuität des Regimes identifizieren, teilten alle politischen Kräfte der spanischen (und internationalen) Bourgeoisie und des Opportunismus aller Schattierungen bereits lange vor Francos Tod die wesentliche Sorge und strategische Überlegung des Caudillo, der nicht aus Altersstarrsinn oder angeborenen Nostalgieneigungen von langer Hand seine Nachfolge in Form einer Monarchie einer gleichzeitig regimekonformen und über dem Regime stehenden, autoritären aber nach allen Seiten vorfühlenden, Kontinuität wahrenden aber »Umbruch verheissenden« von Gottes und Francos Gnaden legitimierten, gleichzeitig aber als »Einzelherrschaft« eines nicht gänzlich kompromittierten Mannes die Möglichkeit der »Beeinflussung« überall erweckenden Regierung vorbereitet hat. Andere politische Kräfte vertraten und vertreten wegen ihres historischen Ursprungs, ihrer gesellschaftlichen Beschaffenheit, ihren internationalen Bindungen mit anderen bürgerlichen Kräften, ihrer spezifischen Rolle in der Niederhaltung der Arbeiterklasse, andere praktische Lösungen. Die strategische Überlegung bleibt aber dieselbe: wie die für die Kontrolle der Arbeiterklasse und der proletarisierten Schichten erforderliche Transformation des Regimes durchführen, ohne dass dabei die sozialen Explosionen ausbrechen, deren Vorbeugung diese Transformation gerade bezweckt? Wie die erneute Wachablösung auf Regierungsebene ohne Gefahr für die Kontinuität des Staates und mit dem Vorteil einer Arbeitsbefriedung vollziehen? Auf diese von allen Seiten und von den sogenannten »Arbeitervertretern« besonders intensiv in Angriff genommene, antiproletarische Vorbereitung der »Ära nach Franco« geht der folgende Artikel aus unseren Zeitungen »Programma Comunista« und »Le Prolétaire« ein, der bereits vor dem Tod des Henkers Anfang Oktober 1975 erschienen ist, von den darauffolgenden und kommenden Ereignissen jedoch nur bestätigt wurde.

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Die Erschiessung der fünf jungen antifrankistischen Militanten hat die kürzlich zwischen der »demokratischen Junta« und der »demokratischen Plattform« abgeschlossene Vereinbarung in den Hintergrund gerückt. Diese Vereinbarung umfasst programmatisch den Stalinismus, die Sozialdemokratie, die karlistischen Monarchisten und die Christdemokraten, letztere durch Joaquín Ruiz-Giménez, Ex-Minister Francos und geistiger Vater der legalen Zeitschrift »Cuadernos para el Dialogo« vertreten. Dass ein Teil der spanischen Bourgeoisie im Rahmen einer liberalen Wiedergeburt Spaniens mit der alten demokratischen Opposition koaliert, kann nur naive Leute verwundern, die an den unerbittlichen Kampf der Demokratie gegen den Faschismus oder zwischen Gut und Böse und dergleichen glauben.

Diese Allianz drückt in der Tat eine tiefe Tendenz der spanischen Bourgeoisie aus, die ganz offen eingestanden wird: »Das erklärte Ziel, das von äusserst verschiedenen Strömungen vertreten wird, ist identisch: die Demokratisierung Spaniens (…). Gegenwärtig besteht die grosse Aufgabe darin, dem spanischen Volk den Übergang zur politischen Aktion zu ermöglichen« (»La Vanguardia Española«, 18. 7. 1975). Und wo kommt dieses Ende uns Bedürfnis her? Geben wir unter anderem V. Pérez Sádaba das Wort. In einem Artikel der bürgerlichen Zeitschrift »Indice« vom März 1974 (also bereits vor der portugiesischen Krise erschienen), genannt »Para un programa de gobierno« (»Für ein Regierungsprogramm«) zeigt dieser Autor eine Klarsicht, die Lenins Respekt für die unvergleichliche politische Erfahrung der internationalen Bourgeoisie entspricht. »Sobald unserem Wirtschaftsapparat der Nährboden der ungeheuerlichen europäischen und amerikanischen Prosperität fehlen wird, sobald die unerbittliche Generationsablösung neue Motivationen für die Aufgaben der sozialen Kontrolle erfordern wird (das heisst Unterwerfung aller Gesellschaftsklassen unter die Erfordernisse der Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Akkumulation), dann werden die tiefen Gleichgewichtsstörungen unserer Gesellschaft mit aller, während der letzten Jahrzehnte unterdrückten Kraft zutage treten. (von Sádaba unterstrichen). Ich werde hier die dabei zusammenwirkenden Faktoren nicht untersuchen (…) man kann aber unter anderem die mangelnde Konkurrenzfähigkeit unseres Wirtschaftsapparates, die fehlende Harmonie zwischen den Produktionskräften (…) die starken Unterschiede zwischen den Regionen (…), die mögliche Abnahme unserer Auswanderung nach Europa (die unsere wirkliche Arbeitslosigkeit offensichtlich machen würde) usw. zitieren«.

Mit anderen Worten: die spanische Bourgeoisie zeigt nicht nur, dass sie mit einer labilen kapitalistischen Wirtschaft in eine historische Periode von grossen Ungewissheiten und wachsenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gleichgewichtsstörungen tritt, sondern auch, dass dies unter solchen Bedingungen geschieht, dass sie nicht in der Lage ist, den proletarischen Verteidigungskampf zu verhindern (nach offiziellen Zahlen aus »Problèmes économiques et sociaux« vom 24. 1. 1975: 900 Arbeitskonflikte, 1 Million Streikende und 24 Millionen Streikstunden 1973). Hinzu kommt noch, stöhnt die spanische Bourgeoisie, dass »unser politischer Zusammenhalt, der vom Bürgerkrieg stammt, Risse bekommt«. »Das schlimmste«, betont Sádaba, »ist, dass die herrschende Klasse Spaniens nur den Rest des spanischen Volkes ausbeuten kann, dass sie wegen des Mangels an schöpferischem Geist und an Konkurrenzfähigkeit unseres Produktionsapparates kein Gewicht in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat«.

Welches ist die beste bürgerliche Lösung für eine solche Lage der Dinge? Aber klar: die Demokratie! Eine Demokratie, die im Stande ist, die Zwangskraft des Staates – der sich während langer Jahrzehnte gepanzert hat und von der frankistischen Diktatur weiter gestärkt wurde – und die betrügerische Nachgiebigkeit des Parlamentarismus mit der freiwilligen Unterwerfung des Proletariats unter die Interessen des Kapitalismus zu verbinden.

Die monarchistische Tageszeitung »ABC« erklärt, dass »es notwendig ist, Einfalt, Wagemut und Autorität (!!!) zu zeigen, alles Bedingungen, die in unserem unbeweglichen Establishment fehlen. Dazu ist es unerlässlich, diese erschöpfte Oligarchie mit neuen politischen Formationen zu erneuern, die von der sterilen und demoralisierenden Defensive (habt ihr gehört, Demokraten?) zu einer mutigen konstruktiven Aktion in Einklang mit der Wirklichkeit dieses neuen Landes übergehen«. »ABC« geht weiter: »Das demokratische und pluralistische System ist die beste Barriere gegen die kommunistische Diktatur«, und das ist so war, dass »die Demokratien auch auf militärischer Ebene am stärksten sind, wie der letzte Weltkrieg bewiesen hat«. (18. 9. 1975)

Die Kirche gibt ihren Segen: »Die Bischöfe befürworten einen Institutionswechsel und eine gesetzlich gesicherte Beteiligung aller Individuen und Gruppen, ohne Diskriminierungen. Sollte eine solche Gesetzgebung nicht eingeführt werden, würde man gefährlichen Frustrationen Vorschub leisten«. (Erklärung der spanischen Bischofskonferenz in »Le Figaro«, 2. 12. 1974).

»Unser Problem in diesem Jahrzehnt« – das Wort ist wieder bei Pérez Sádaba»besteht darin, eine Gesellschaft zu organisieren, deren Zwangsapparat, notwendigerweise weniger hart als der vorangegangene, dazu reicht, alle möglichen Spannungen und Gleichgewichtsstörungen einzudämmen. Dies impliziert eine gerechtere (!), freiere (!!) Gesellschaft mit einem höheren Grad von Übereinstimmung (!!!), Schöpfergeist und Solidarität« (zwischen den Klassen, selbstverständlich).

Versteht Ihr, spanische Proletarier? Gestern musstet Ihr vor Gewehr und Knüppel zurückweichen. Jetzt, wo man nicht erreicht, die Wiederaufnahme Eures Verteidigungskampfes zu verhindern, will man, dass Ihr Euch aus »freiwilliger Selbstentscheidung« beugt. Der Autor nennt die von einem Teil der bürgerlichen »Vorhut« Spaniens herbeigewünschten Massnahmen wie folgt: »1. Nationale Wiederaussöhnung. Die spanische Linke muss die solidarische Mitverantwortung (vom Autor hervorgehoben) für die Veränderungen, die unsere Gesellschaft durchführen muss, übernehmen und sowohl auf Opportunismus als auch auf jegliche Vergeltungsgedanken verzichten. Sie muss offen spielen« (heute… versteckt sie wohl die Karten!!). »Die Beweggründe und Gefühle von gestern dürfen nicht mit den Problemen von morgen verquickt werden«.Mit anderen Worten, die »Arbeiterparteien« KPE (»Kommunistische« Partei Spaniens), PSOE (Sozialdemokraten) usw. »können in unseren Staatsapparat integriert werden, da sie sich unserer Staats- und Klassenräson beugen«.

»2. Öffentlicher Sektor. Dieser muss auf die Rolle als »Krücke« des gelähmten privaten Sektors verzichten und den Vorposten der schöpferischen Initiative effektiv einnehmen, um unter anderem den Mindeststandard von Leistungsfähigkeit und Gemeinnutzen zu bestimmen, unter dem alles, was im privaten Sektor »nicht geht« sich erneuern oder verschwinden müsste. Der öffentliche Sektor ist am besten dazu geeignet, um aus einer Planung im nationalen Massstab, aus der Entwicklung der Grundlagenforschung, aus der Zuwendung von Mitteln für gut überlegte Projekte, aus der Bildung von langfristig gewinnbringenden Unternehmen, aus Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsversuchen, Nutzen zu ziehen«. Mit anderen Worten: es steht dem spanischen Staat zu, an der Spitze des spanischen Kapitalismus zu marschieren und, wie es sich nach einer Wirtschaftskrise gehört, die Liquidierung des toten Gewichts der bankrottgehenden Unternehmen zu beschleunigen. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass der Autor diesen Versuch in Staatskapitalismus – oder besser in Staatsindustrialismus – als »sozialistisches Experiment« ausgibt, demgegenüber der kapitalistische private Sektor eine »untergeordnete« Rolle spielen werde. Siehe mal: vom Francoanhänger zum… Stalinisten!

Während die Kirche dafür plädiert, dass »die Arbeiter das Recht haben zu streiken und Gewerkschaften für die Verteidigung ihre Interessen zu bilden« (»Le Monde«, 21. 9. 1974), geht unser aufgeklärter Bourgeois gegen den vertikalen Syndikalismus auch an, weil »je grösser der Unterschied zwischen der offiziellen und der wirklichen Arbeiterwelt ist, desto grösser werden die Konflikte kurzfristig und langfristig sein«. Daher sein nächster Vorschlag: »3. sozialistischer Kooperativismus«. Damit würde man folgendes erreichen: »a) die Integrierung – unter dem Zeichen der Hoffnung (!) und der Solidarität (!) eines grossen Teiles unserer aktiven Bevölkerung in unsere überlieferten Wirtschaftsstrukturen«. Hier soll man lesen: die Integrierung der klassenkollaborationistischen, aber auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Gewerkschaften unter Führung der Opportunisten in den Staatsapparat und in die Betriebsstruktur, was grosse »Hoffnungen« erwecken und es möglich machen wird, von den Arbeitern zu fordern, dass sie die Ärmel hochkrempeln. Unser Autor fährt fort: »Man würde somit unsere Gesellschaft mit einem heute fehlenden Stabilisierungsmechanismus versehen, sowie mit einem Erzeuger von Kollaborationsverhältnissen (…) b) eine neue soziale Moral« (das heisst für die freiwillige Zusammenarbeit der unterdrückten Klassen). »Wenn man will, dass (…) die Arbeiter, anstatt misstrauende und Misstrauen erweckende Fremde zu bleiben, sich mal am Produktionsapparat beteiligen, muss man sie organisch in diesen Apparat integrieren«.Es ist klar, dass ein solches Programm Risiken enthält:»Spanien hat nichtsdestotrotz ernsthafte Gründe, diese Möglichkeit auf jeden Fall zu untersuchen, denn eine spontane Wiederbelebung (des spanischen Kapitalismus) ist nicht möglich, und man muss berücksichtigen, dass unsere Probleme keine leichte Lösung zulassen, so dass nichts anderes übrig bleibt, als unter den schwierigen Lösungen seine Wahl zu treffen«.

Genau dasselbe vertreten die Christdemokraten unter Joaquín Ruiz-Giménez: »Auf noch nie dagewesene Probleme muss man mit neuartigen Aktionen antworten (…). Weitsichtige Westler – die gibt es auch in der Rechten (!!) in den neokapitalistischen Milieus – haben festgestellt, dass die Schwierigkeiten dieser Stunde den Dialog mit dem Gegner erfordern (…). Man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass sich der Augenblick nähert, wo die Regierungstätigkeit notwendigerweise eine gewisse Eingliederung der Opposition und der feindlichen politischen Gruppen zwingend machen wird. Im allgemeinen erscheinen die gesellschaftlichen Formen zunächst in der Wirtschafts- und Industriewelt. Der ganze breite Prozess der Integration, der Eingliederung in die Gesellschaft oder in die Arbeitsgemeinschaft, in den Betrieb oder in den Staat muss als Richtlinie (…) im Bereich der strikt politischen Entscheidung dienen« (Aguilar Navarro, in den zitierten »Cuadernos para el Dialogo« vom Oktober 1974).

Man braucht kein grosses Vorstellungsvermögen, um sich zu vergegenwärtigen, wie die spanische KP und dergleichen diesen Plan für die »Verjüngung« Spaniens in der »nationalen Eintracht« aufgenommen haben; sie wurden zu dessen entschiedensten Verfechter – auf dem Rücken der Ermordeten, der Verfolgten und der Unterdrückten!

Bereits im Frühling 1974 erkennt die KPE, »dass das frankistische Regime unwiderruflich zusammenbricht, weil es die Unterstützung der Kirche und auch des Unternehmertums, dass die neue spanische Industriegesellschaft geschaffen hat, und für welches die Fortsetzung des Frankismus eine brutale Abbremsung der Entwicklung und Modernisierung des Landes bedeuten würde«, und verloren hat (»L’Humanité«, 31. 7. 1974).Nach einem wilden ununterbrochenen Massaker der Proletarier genügte der erste Wink der Bourgeoisie, damit der Stalinismus ausruft: »Zu Befehl!«.

Ihr wollt die »Nationale Wiederaussöhnung«? Nichts anderes wollen wir auch, erklärt die KPE: »Wir wollen die Wiederaussöhnung der Spanier (Bourgeois, Polizei, Klerus, Proletarier, Bauern, alles in einen Topf); wir wollen die Nachwirkungen des Krieges endgültig überwinden (im Bewusstsein der Proletarier!). Wir wissen, dass viele Spanier, links wie rechts, dasselbe wie wir denken und wünschen« (»Le Monde«, 23./24. 6. 1974).

Werdet ihr die »demokratischen Spielregeln« respektieren und die Unterdrückung der Gegner des zukünftigen bürgerlichen und… demokratischen Regimes bejahen? Selbstverständlich! antwortet die KPE, die nichts anderes will als »das Recht aller Parteien, der Linken und der Rechten, ich wiederhole der Linken und der Rechten, sich normal ausdrücken zu können«; und »wenn Gruppen den Willen erklären, die Demokratie zu zerstören, ist es eine Sache der Gerichte, sie vogelfrei zu erklären« (ebd. und »L’Humanité«, 12.4.75).

Wollt ihr die Kontinuität Eurer Zwangsgewalt und die »sanfte« Transformation Eurer Herrschaftsform gleichzeitig sicherstellen? Zu Befehl!

»Die spanische Gesellschaft (für den Opportunismus ist die »Gesellschaft« immer die bürgerliche Gesellschaft) hofft, dass alles verändert wird, damit die normale Funktionsfähigkeit des Staates ohne gesellschaftliche Rückschläge oder Unruhen gesichert wird (…). Die Kontinuität des Staates erfordert die Nicht-Kontinuität des Regimes (…). Die Bourgeoisie und die Mittelklassen in Spanien wissen heute, dass die sehr gewünschte Rückkehr zur Demokratie ohne Gewalt und ohne Unruhen vollzogen werden kann, wie wir es immer befürwortet haben« (»L’Humanité«, 31. 7. 1974 und »Le Monde«, 23./24. 6. 1974).

Braucht ihr die aktive Solidarität des Stalinismus, um die für die gesellschaftliche Erhaltung erforderlichen politischen Änderungen durchzuführen? Keine Sorge! »Um dieses Programm zu verwirklichen, müsste man… eine provisorische demokratische Regierung der nationalen Wiederaussöhnung bilden, eine Regierung aus linken und rechten Kräften, die das Gleichgewicht und den inneren Frieden garantieren kann« (»Le Monde«, 24. 7. 1974).

Wollt Ihr, »das, was gültig ist, festhalten; das Abgenutzte putzen; das, was verteidigt werden soll, aufpolieren; das Tote und Verfaulte begraben?« (es sind Worte von, einem frankistischen Vertreter der spanischen Bourgeoisie Fraga Iribarsie, in »La Vanguardia Española« vom 29. 7. 1975). Wollt ihr zuallernächst die zwei Säulen des Kapitals, die Kirche (die das Massaker der Proletarier und armen Bauern segnete) und die Armee (die sich in den Kolonialkriegen und im Bürgerkrieg vervollkommnet hat), in den Augen der unterdrückten Massen wieder aufwerten und ihnen zu neuem Glanz verhelfen? Die KPE macht mit: »Die erneuerte Kirche mit einer fortschrittlichen Hierarchie und ihren Tausenden von Priestern (…) versöhnt sich durch ihr Verhalten wieder mit dem Volk«. Andererseits müsse die Armee, die dank demokratischer Beschwörungen, wie gehabt, von antiproletarischer Repressionskraft zum »Verteidiger unserer Grenzen« wird, »die Technik und die Mittel besitzen, die ihr erlauben, die Rolle zu spielen, die die Nation (die bürgerliche Nation!!) ihr in ihrem eigenen Interesse übertragen wird« (»Le Monde«, 25. 6. 1974).

Nicht einmal die Eingliederung des alten frankistischen Personals in die zukünftige spanische Demokratie stellt für die KPE ein Problem dar. Diese hat in der Tat die Absicht, »die Ausübung der politischen Freiheiten ohne Ausnahme zu garantieren« (»Mundo Obrero«, September 1975), denn »der Graben zwischen Rechten und Linken hat im heutigen Spanien keinen Sinn mehr«, was »Le Monde« vom 25. 7. 1975 zum Kommentar veranlasst, dass»laut KPE die wahre Grenze nun mehr zwischen den Ultras der politischen Klasse (…) und all denjenigen läuft, die innerhalb des frankistischen Regimes wie ausserhalb des Systems eine modernere, liberale Ordnung für ihr Land befürworten«.

Unter wiederholter Beteuerung dieser unantastbaren Prinzipien der Klassenkollaboration ruft das einheitliche Kommuniqué der demokratischen Opposition dazu auf, »das frankistische Regime auf friedlichem Wege« zu beenden und verurteilt – im selben Augenblick, wo die fünf Verurteilten erschossen wurden – »den individualistischen Terrorismus, der objektiv nur dem Regime dienlich ist«.

Die ekelhafte Politik der KPE können nur diejenigen verwundern, die Opfer der Täuschungen und Illusionen des langen antifaschistischen Feldzuges des internationalen Stalinismus sind. Die gegenwärtigen Richtlinien dieser Partei sind einfach die Verlängerung der Politik, die sie vor und während des ganzen Bürgerkrieges in enger Zusammenarbeit mit allen bürgerlichen Kräften der Republik mit Verbissenheit verfolgte und deren gemeinsame Ziele wie folgt zusammengefasst werden können: ununterbrochener Kampf gegen Proletarier und arme Bauern, die mit Mut auf Waffengewalt gegen die frankistische Reaktion zurückgriffen; Suche eines »ehrbaren« Kompromisses zwischen bürgerlicher Demokratie und Reaktion auf der Grundlage der Unterdrückung der kampfesmutigen und unbezwingbaren Arbeiterklasse in Katalonien.

Der Stalinismus begeht nicht bloss einen historischen Fehler, wenn er versucht, Faschismus und Demokratie grundsätzlich sich gegenüber zu stellen. Sowohl in Italien als auch in Deutschland und in Spanien selbst hat die bürgerliche Demokratie (im nationalen und internationalen Massstab), während sie sich mit Terrorgewalt gegen die Arbeiterbewegung verteidigte, absichtlich den Weg für den Sieg der Braun- oder Schwarzhemden geebnet (Nitti und Giolitti in Italien; die verschiedenen bürgerlichen Regierungen am Ende der Weimarer Republik; Azaña, Giral, Aguirre und so weiter in Spanien). Vielmehr beteiligt sich der Stalinismus überall an den faschistisierenden Versuchen, die Arbeiterklasse und ihre Organisationen unter dem Deckmantel der Demokratie in den Staat zu integrieren; in Spanien verschleiert er vor den Augen der Proletarier die politische Osmose zwischen Frankismus und Demokratie, kraft derer die gestern einheitlich auf frankistischen Position eingereihte spanische Bourgeoisie heute im Einklang mit ihren Klasseninteressen die Rückkehr des Staates zu parlamentarisch-demokratischen Formen von oben vorbereitet.

So kommt es, dass der Versuch des republikanisch-stalinistischen Blocks von 1937, mit den Falange-Kräften eine »ehrbare« Verständigung herbeizuführen, heute die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der herrschenden Klasse geniesst. Die den geschworenen Feinden des Proletariats gereichte Hand, wurde damals von der Bourgeoisie abgewiesen. Das war damals auch notwendig, um den Kampf gegen ein unbezwingbares Proletariat bis zur Massenausrottung seines besten Teils zu Ende zu führen, und somit sogar den letzten Schatten seiner revolutionären Traditionen zu vernichten. Diese radikale Unterdrückung war umso notwendiger, weil die potentielle revolutionäre Gefahr infolge der offenen Selbstentlarvung der konterrevolutionären Rolle der Sozialdemokratie und des Stalinismus grösser wurde. Heute aber wird diese ausgestreckte Hand angenommen, weil die kapitalistische Klasse – Heute! – die Gefahr der Revolution nicht zu befürchten braucht.

Im vorigen Jahrhundert war die bürgerliche Demokratie das Banner des aufständischen Kampfes der Volksmassen, die sich vom Atlantik bis zum Ural gegen die bestehende Ordnung auflehnten. Wenn auch nur die moderne, bürgerliche Gesellschaft dadurch im Entstehen begriffen war, bat dieser Kampf grosse, weitergehende, revolutionäre Möglichkeiten in sich, wie das Proletariat im Juni 1848 in Paris, im roten Oktober 1917, im Verlauf seiner »permanenten Revolution« zeigte.

Heute, in Portugal und in Griechenland, in Argentinien und in Spanien, gewährt der verschleiert diktatorische bürgerliche Staat den ausgebeuteten Massen die parlamentarische Demokratie, oder sucht die zweckmässigste Form, sie zu gewähren, während diese Massen sich aus Dankbarkeit beugen sollen. Zu dieser makabren Zeremonie klingen die Glocken der »fortschrittlichen Kirche« und die demokratischen Verse des Opportunismus, während Armee und Polizei, die sich durch das Werk Gottes und des Stalinismus in harmlose, lediglich im Interesse der Ausgebeuteten bis zu den Zähnen bewaffnet Lämmchen verwandelt haben sollen, die… »revolutionäre« Ordnung sichern.

Im 20. Jahrhundert ist die parlamentarische Demokratie ein Verteidigungsbollwerk der verwesenden bürgerlichen Gesellschaft, und nicht einmal der revolutionäre Kapitalismus Asiens hat sie gewollt. Hier müssen wir die kalte Weitsicht der spanischen Bourgeoisie wieder bewundern. Inbegriff historischer Feigheit gegenüber den sterbenden Klassen des Vorkapitalismus, zeigt sie immer wieder Erfindungsgabe, Entschlossenheit und Verwegenheit, wenn es darum geht, ihre zukünftigen Totengräber zu bekämpfen.

»Seit langem ist der Kapitalismus in seine senile Phase getreten«, schreibt der bereits zitierte »fortschrittliche« Frankist Pérez Sádaba. »Seine Gebrechen treten in den reicheren Ländern nicht immer offen zutage, es ist aber unmöglich sie in den unterentwickelten Ländern zu vertuschen (…). Spanien hat die Chance – auch das Übel hat seine guten Seiten –, sich schon jetzt in der Lage zu befinden, die die Europäer in 10 oder 15 Jahren mit Sicherheit erleben werden (…). Daraus ergibt sich, dass wir einem richtigen sozialistischen Experiment (bitte lesen: der offenen Klassenzusammenarbeit mit dem Opportunismus) näher sind als sie (…). Und es ist klar, dass ein aufrichtiges sozialistisches Experiment hier und heute keineswegs ›Diktatur des Proletariats‹ bedeuten kann, sondern die Errichtung eines sozialistischen kooperativen Sektors« (das heisst mit »Arbeitergewerkschaften« und »Arbeiterparteien«, die bei der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung kooperieren).

Möge das spanische Proletariat die Veränderung des Regierungsapparates – die auf jeden Fall zu harten Konflikten in der iberischen Gesellschaft führen wird – nicht als einen endgültigen Abschluss des Bürgerkrieges begrüssen, sondern als die Fortführung eines ununterbrochenen Kriegszustands. Möge es die Kapitulation der KPE als Ansporn und Hebel für den notwendigen Kampf gegen den dialektisch konvergierenden Block der herrschenden Klasse und des konterrevolutionären Opportunismus begreifen und nicht dulden, dass die Streikbewegung durch Eingliederung in die Politik der bürgerlichen Erneuerung kastriert wird, damit die Bourgeoisie über ihre Schwierigkeiten hinwegkommt.

Die positive Perspektive, die sich heute dem spanischen Proletariat bietet, ist die Beibehaltung und Ausdehnung der Streikkämpfe, um die Lebensbedingungen zu verteidigen und zu verbessern, und um bessere Kampfbedingungen zu erzwingen. Dadurch und durch die wachsende Solidarität und Organisierung der Kämpfe auf nationaler und internationaler Ebene werden innerhalb der Arbeiterklasse die Bedingungen dafür geschaffen, damit trotz Regimewechsel die Waffen nicht gestreckt werden, damit das Proletariat nicht zu einem Gefangenen der Bourgeoisie wird, sondern im Gegenteil die oben geschilderte Lage ausnützt, um seinen Kampf noch besser und breiter weiterzuführen und sich politisch getrennt zu organisieren – eine kommunistische Klassenpartei ins Leben zu rufen, die fähig ist, die Revolution für die Abschaffung der Lohnsklaverei vorzubereiten.

Notes:
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  1. Ein offizieller Wortführer der Bourgeoisie erkannte die Unfähigkeit des Frankismus, ein langsames aber energisches Wiederaufleben der Arbeiterbewegung zu verhindern: »Dieses Gefühl der Erschöpfung der Wachstums-, Verhandlungs- und Dialogmechanismen in den letzten Jahrzehnten wird noch krasser, soweit es um die Beziehungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern geht. Seit Jahren nennt man die Betriebe eine Interessengemeinschaft im Dienste der Volkswirtschaft. Die Wirklichkeit hat aber eindeutig bewiesen, dass es zwischen den verschiedenen Komponenten immer einen scharfen Interessengegensatz gegeben hat«. (»La Vanguardia Española«, 19. 9. 1975). [⤒]

  2. Dies ist eine eindeutige Bestätigung der marxistischen Voraussage über die totalitären bürgerlichen Regime, die wie der Frankismus glauben, mit terroristischer Gewalt und politischer Zentralisation ökonomische und soziale Gegensätze abschaffen zu können, die die ganze kapitalistische Gesellschaft durchwachsen. Unsere Strömung schrieb 1923: »Die faschistische Bewegung hat in Italien – und das kann morgen woanders geschehen – mit einer einheitlichen politischen Partei gleichzeitig eine Disziplin der Interessensgelüste der verschiedenen bürgerlichen Gruppen geschaffen. Die Logik seiner Linie geht aber in die Brüche (…). Die organisatorische Parteieinheit, die auf den Staat übertragen wird, muss zur Verteidigung der freien Wirtschaft, der Dezentralisation der wirtschaftlichen Tätigkeit, der Anarchie der Produktion und des sozialen Lebens, kurzum des Kapitalismus, eingesetzt werden. (…) Der Interessengegensatz, den der Faschismus durch eine bemerkenswerte Anstrengung der herrschenden Klasse zum Schweigen gebracht hat, wird keineswegs überwunden sondern mehr denn je verschärft. Das ist der immanente Widerspruch des Faschismus, trotz seiner ungeheuerlichen Tragweite« (Amadeo Bordiga, »Moskau und Rom«, in: »Il Lavoratore«, 17. 1. 1923). [⤒]


Source: »Il Programma Comunista«, Nr. 19 und Nr. 20, Oktober 1975. Vermerk: bei den verschiedenen Zitaten aus »Le Monde« handelt es sich um Erklärungen der KPE, an erster Stelle von Carillo und der »Pasionaria«. »Kommunistisches Programm«, Nr. 11, 1976

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