Gen. Platten. Es sind Berichte vorgesehen von Rakowski, den ukrainischen Genossen, ein Bericht von Frankreich und eventuell von Deutsch-Österreich. Diese Punkte werden die Morgensitzung ausfüllen.
Gen. Tschitscherin (Mandatsprüfungskommission). Unser Bericht kann nur ein provisorischer sein, weil gestern Abend und sogar jetzt noch nicht alle Delegierten zugegen sind. Wir hatten aber auch einige prinzipielle Fragen zu entscheiden. Neben den beschliessenden Mandaten hat die Mandatsprüfungskommission auch die beratenden Mandate geprüft. Als beratende Teilnehmer werden solche betrachtet, welche Verbindung mit ihren Heimatländern haben, aber nicht diese Heimatländer direkt vertreten, ausserdem solche, die aus den Heimatländern kommen, aber nicht direkte Mandate für die Konferenz haben, und solche, die eine hervorragende Stellung in ihrer Bewegung einnehmen und infolgedessen das moralische Recht haben, hier für die Bewegung zu sprechen, aber kein direktes Mandat vorweisen können.
Was die beschliessenden Mandate betrifft, so hat die Kommission die ziemlich komplizierte Frage des Stimmenverhältnisses geprüft und macht der Konferenz folgenden Vorschlag.
Da es nicht möglich ist, die grossen und die kleinen Länder auf dasselbe Niveau zu stellen, da es andererseits nicht möglich ist, die überaus komplizierte Skala zu übernehmen, welche die II. Internationale aufgestellt hatte, schlägt die Mandatsprüfungskommission vor, eine vereinfachte Skala anzunehmen. In dieser Skala wird nicht die Stärke der Partei, sondern die Bedeutung der Länder in Betracht gezogen. Wir betrachten die revolutionären Parteien, sogar in den Fällen, in denen sie im Augenblick auch formell ihrer Zahl nach nicht sehr gross sind, dennoch als die Vertreter des revolutionären Proletariats des Landes. Die Einteilung wird nach der Bedeutung des Landes gemacht. Wir schlagen vor, drei Kategorien anzunehmen: der grossen, mittleren und kleinen Länder, die ersten mit 5, die zweiten mit 3 und die dritten mit je einer Stimme. Als grosse Länder kommen Deutschland, Russland und Amerika in Betracht. Falls ein Vertreter Italiens kommt, wird auch Italien als ein grosses Land mit 5 Stimmen betrachtet werden. Ebenso Frankreich. Als mittlere Länder mit 3 Stimmen werden betrachtet: die Ukraine, Finnland, Polen, Norwegen, Schweden, die Schweiz und die Bruchstücke des früheren Österreich-Ungarn, von denen hier vorläufig nur Ungarn vertreten ist. Die übrigen haben je eine Stimme, und zwar Litauen und Weissrussland – sie sind jetzt vereinigt und haben die litauisch-weissrussische kommunistische Partei gegründet, Lettland, Estland, das Deutsche Kolonistengebiet, das ein geschlossenes Gebiet darstellt, Armenien und endlich die Ostvölker Russlands – die Tataren, Baschkiren, Kirgisen und die kaukasischen Bergvölker, welche miteinander eine gewisse kulturelle Ähnlichkeit haben, geschlossene Gebiete bewohnen und auch kommunistische Bewegungen in ihren Heimatländern haben; sie werden also zusammen als ein Land betrachtet mit einer Stimme. Die Frage der Balkanländer blieb offen, weil Gen. Rakowski gestern noch nicht angekommen war. Also 3 Länder mit je 5 Stimmen sind vertreten, 4 Länder mit je 3 Stimmen und 6 Ländern mit einer Stimme, im ganzen 13 Länder. 5 Länder wurden noch erwartet, einige sind jetzt angekommen, einige werden auch jetzt noch erwartet. Beratende Stimmen hatten wir gestern aus 12 Ländern, 3 Länder werden noch erwartet und sind angekündigt worden. Von den beratenden waren gestern vertreten: Böhmen d. h. die hiesige tschechische Gruppe, Bulgarien, die südslawische und südslawonische Gruppe, welche Serbien, Kroatien und Slawonien umfasst, Holland, die französische Gruppe, die amerikanische Liga der Sozialistischen Propaganda, die Schweizer Kommunisten, Turkestan, die Türkei, Georgien, Aserbeidschan und Persien. Von der englischen Gruppe haben wir erst heute das Mandat erhalten. China und Korea, d. h. die Emigrantengruppen der chinesischen und koreanischen Arbeiter, die in Russland wohnen, werden noch erwartet.
Gestern abend zählten wir im ganzen 26 Delegierte mit beschliessenden Stimmen, die 13 Länder vertraten, und 13 mit beratender Stimme. Bei der Prüfung der Mandate hatten wir mit der Tatsache zu rechnen, dass die Konferenz unter ganz anormalen Verhältnissen zusammengekommen ist. Erstens die Notwendigkeit der Geheimhaltung, welche es unmöglich machte, Wahlen vorzunehmen oder überhaupt irgend welche Schritte zu tun, welche die Tagung der Konferenz weit und breit bekannt gemacht hätten. Zweitens, die Schwierigkeit der Reise. Sie wissen, dass die ungarischen Vertreter unterwegs verhaftet worden sind. Mit denselben Schwierigkeiten hatten auch andere Delegierte zu rechnen, mit dem Resultat, dass einige keine schriftlichen Mandate vorzulegen hatten und ihre Mandate durch Zeugenaussage zu prüfen waren. Für die in Russland und in den benachbarten Sowjetrepubliken wirkenden Parteien war nur diese erste Tatsache massgebend, nämlich, die Notwendigkeit der Geheimhaltung. Daher können viele nur Mandate von den Zentralinstitutionen vorweisen. Für die Ostvölker kommt das Mandat vom Zentralbüro der Ostvölker Russlands in Betracht. Diese Tatsache bezieht sich insbesondere auf die Vertreter der westeuropäischen Länder. Unter den Ländern, welche im provisorischen Programm mit beratender Stimme figurieren, ist die japanische sozialistische Gruppe genannt, aber nachdem die Kommission den Bericht des Genossen Rutgers angehört hatte, erschien es ihr nicht mehr möglich, die japanische Gruppe beizubehalten. Gen. Rutgers vertritt mit beratender Stimme Holland; er hat kein Mandat, kann aber für die Partei sprechen. Gleichzeitig hat er eine beratende Stimme für die amerikanische Liga der Sozialistischen Propaganda. Da er aber in Japan nur vorübergehend, auf seiner Durchreise war, kann er bezüglich Japan weder als hervorragendes Mitglied einer Bewegung noch als Mandatar mit beratender Stimme betrachtet werden. Es war infolgedessen notwendig, die japanische Gruppe aus der Liste zu streichen. Die Frage der rumänischen Vertretung bleibt offen, bis die Mandatskommission mit dem Gen. Rakowski in Berührung kommt.
Das sind vorläufig die Ergebnisse der Arbeit der Mandatsprüfungskommission. Wenn wir die übrigen Mandate geprüft haben, werden wir die endgültige Liste allen Vertretern hier überreichen.
Gen. Lenin. Wünscht jemand das Wort zur Mandatsprüfungsfrage? Es ist nicht der Fall. Die Mandate sind bestätigt. Wir gehen zur Fortsetzung der Berichte über. Gen. Rakowski hat das Wort.
Gen. Rakowski (Balkanische Revolutionäre Föderation). Im Namen der Balkanischen Föderation, die 1915 gegründet wurde und die rumänische, serbische, griechische und einen Teil der bulgarischen Partei – die »Tesnjaki« – umfasst, möchte ich einige ergänzende Mitteilungen machen.
Diese Föderation hat sich seit ihrer Gründung und zwar noch vor der Zimmerwalder Konferenz, für den Kampf gegen den Krieg erklärt und in diesem Sinne während der ganzen Zeit gewirkt. Die rumänische Partei hat sich allmählich, zu einer kommunistischen entwickelt und dementsprechend sich auch als kommunistische bezeichnet. In Rumänien entwickeln sich die Verhältnisse in einem für die Revolution. günstigen Sinne, vieles hängt auch von dem Vorschreiten der Roten Armee ab; die Berührung mit ihr wird zweifelsohne einer starken revolutionären Bewegung Vorschub leisten. Aber schon jetzt haben, besonders in den letzten Wochen, bezeichnende Ereignisse stattgefunden: die Soldaten haben sich geweigert, an monarchistischen Kundgebungen teilzunehmen, wobei bewaffnete Zusammenstösse vorgekommen sind. Wenn es auch nicht möglich ist, den Zeitpunkt des Ausbruchs der Revolution vorauszusehen, so unterliegt es dennoch keinem Zweifel, dass die Verhältnisse auch in Rumänien sich in einer ausgeprägt revolutionären Richtung entwickeln.
Was die bulgarische Partei, d. h. die unter dem Namen der »Tesnjaki« bekannte revolutionäre Richtung betrifft, so verharrte sie seit dem Ausbruch des Krieges auf ihrem internationalistischen Klassenstandpunkt, ihre Agitation und Propaganda haben zur Beschleunigung der Niederlage des deutschen Imperialismus beigetragen, ihr Einfluss ist, von den ökonomischen Verhältnissen in Bulgarien begünstigt, im steten Wachstum begriffen.
Die serbische Partei hat leider den von ihr am Anfang des Krieges eingenommenen Klassenstandpunkt aufgegeben. Alle erinnern sich dessen, wie mutig und konsequent die serbische Partei auftrat, als ihre Abgeordneten sich weigerten, für die Kredite zu stimmen, und in einem äusserst schwierigen Augenblick eine äusserst konsequente Erklärung abgaben und sich von ihr leiten liessen. Alle erinnern sich ebenfalls an die Stellungnahme des Genossen Katzlerowitsch in Kienthal. Im Laufe der Zeit aber gingen sowohl Katzlerowitsch wie Popowitsch – offizielle und massgebende Vertreter der Partei – besonders seit ihrem Aufenthalt in Stockholm, zum Sozialpatriotismus über. Es ist aber schade, dass eine Partei, die zu Anfang des Krieges eine so einwandfreie mutige Stellung einnahm, in ein sozialpatriotisches Fahrwasser geraten ist. (Genosse Milkitsch bittet um das Wort zu einer Berichtigung.)
Gen. Rakowski verliest eine Reihe von Grüssen, die er aus Bern von oppositionellen Teilnehmern der Berner Konferenz erhalten hat, die alle auf eine starke Linksorientierung hinweisen und bezeichnend sind für die Überzeugung, die sich jetzt auch unter den bisher schwankenden Elementen bildet, dass man sich auf einem Scheidewege befinde. Entweder bricht man endgültig mit der II. Internationale oder aber man muss damit rechnen, als Feind der Arbeiterklasse betrachtet zu werden. Einen Mittelweg gibt es auch für die Zögernden nicht mehr.
Gen. Skripnik (Ukraine). Indem ich, als Vertreter der kommunistischen Partei der Ukraine, das Wort ergreife, muss ich zu allererst sagen, dass es mir unmöglich sein wird, in kurzen Worten ein ausführliches Bild von der Lage meiner Partei zu entwerfen, um so weniger, als wir nun mitten im Kampfe stehen, im Kampfe mit den Waffen in der Hand. Auch tagt noch der dritte Parteikongress. Unsere Partei zählt gegenwärtig gegen 30000 Mitglieder. Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass es stets unser Bestreben war, den Eintritt noch nicht ganz überzeugter Elemente in unsere Partei möglichst zu beschränken. Es soll hierbei auch darauf hingewiesen werden, dass in den noch nicht befreiten Teilen der Ukraine die Mitgliederzahl geringer ist als in den befreiten, da im ersten Fall die konspirativen Existenzbedingungen einschränkend und hemmend wirken. Das stete Anwachsen des Einflusses unserer Partei lässt sich am besten nach den einberufenen Parteikongressen, sowohl der gouvernementalen wie auch derjenigen der Kreisbezirke bemessen. Gouvernementskongresse haben bereits in den Gouvernements Charkow, Poltawa, Ekaterinoslaw und Kiew stattgefunden. Was die Bezirke betrifft, so haben sie alle bereits ihre Parteikongresse abgehalten.
Auf diesen Kongressen war die kommunistische Partei mit 75–90 Prozent Mitgliedern vertreten, wobei die übrigen 25 bis 10 Prozent auf die andern Parteien entfielen.
Die Tätigkeit unserer Partei besteht gegenwärtig im wesentlichen in der Ausbreitung unseres Einflusses und in der Organisierung von Parteischulen, die nun in sämtlichen Gouvernements und grösseren Kreisstädten bereits bestehen und wirken.
Es erscheinen 8 bis 10 Parteizeitungen und ausserdem 20 oder mehr Sowjetzeitungen, die sich ebenfalls in den Händen der Kommunisten befinden.
Es ist eine gross angelegte Parteiarbeit im Gange, um in sämtlichen Teilen der Roten Armee das Institut der politischen Kommissare einzuführen. In gleichem Masse wird eine weitverzweigte, energische revolutionär-politische Propaganda geführt und ferner eine solche, die den weiteren Aufbau der Armee zu ihrem Ziel hat. Eifrige Propaganda wird in den noch okkupierten Orten auch unter den ausländischen Truppen geführt. Namentlich aber wird durch die kommunistische Gruppe in Odessa, unter Teilnahme französischer Soldaten aus den Okkupationstruppen, eine Zeitung in französischer und englischer Sprache herausgegeben, die in etwa 10000 Exemplaren verbreitet wird.
In ähnlicher Weise wird gegenwärtig auch in Nikolajew eifrigst Propaganda geführt, und zwar unter wirkungsvoller Teilnahme spartakistischer Genossen aus der dort steckengebliebenen, bis 20 000 Mann zählenden deutschen Okkupationsarmee. Die Haupttätigkeit der Partei ist selbstverständlich die Organisation der Sowjets und Organisationsarbeit in der Armee.
Noch bevor die Ukraine von den Okkupationstruppen befreit wurde, organisierte unsere Partei zwei ausländische Divisionen, die sich hauptsächlich an der Demarkationslinie hielten, und als der Aufstand von unserer Partei proklamiert wurde, von dort aus im August die Offensive führten. Späterhin jedoch, nach Ausbruch der deutschen Revolution, erweiterten die aufständischen Divisionen den Kreis ihrer Tätigkeit und richteten ihre Angriffe zuerst gegen das Hetmantum und dann gegen das Direktorium.
Nach innen hin gestaltete sich unsere Organisation in der Form eines weitverzweigten Netzes von militärisch-revolutionären Komitees, bestehend zum überwiegenden Teil aus unsern Parteiarbeitern mit dem von dem Zentralkomitee unserer Partei geschaffenen militärisch-revolutionären Zentralkomitee an der Spitze. Diese Tätigkeit vermochten weder das Schicksal der revolutionären Kreiskomitees in Odessa, noch die in Kiew und vielen andern Orten stattgefundenen Hinrichtungen zu beeinträchtigen, bei denen eine ganze Anzahl unserer Genossen ums Leben kamen. Namentlich kann ich auf die Erschiessung der Genossen Klotschko, Grussmann und Berg in Ekaterinoslaw, Isaak Kreuzberg in Poltawa, Wrublewski, Gali Timofejeff und anderer mehr in Kiew, sowie sonst vieler unserer Genossen in andern Städten hinweisen. Aber keine der blutigen Exekutionen seitens der Bourgeoisie und der Sozialverräter konnten das stete Wachstum und den immer weiter um sich greifenden Einfluss unserer Partei aufhalten. Um die politisch noch nicht fest geformten Massen ihrem Einfluss zu unterwerfen, mussten die opportunistischen Parteien, mit dem Direktorium an der Spitze, sich einen bolschewistischen Anstrich geben. Noch zur Zeit des Hetmantums wurde von Winnitschenko in Winnitza offiziell verkündet, dass die Ukrainische Sozialdemokratische Partei Anhängerin der Sowjetregierung sei.
Späterhin jedoch, als die ukrainische Partei der Sozialverräter zur Macht gelangt war, begann ein erbitterter Kampf gegen die Kommunistische Partei, gegen die Proletarier und Halbproletarier des Bauerntums, welche sich ihres wahren Zieles inzwischen bewusst wurden.
Von dem Moment an, da eine offene revolutionäre Bewegung gegen den Hetman und das Direktorium ins Rollen gekommen war, begannen unsere aufständigen Truppen auch überall sonst im Lande mit bewundernswerter Selbstaufopferung zu kämpfen, wobei ihnen in der ganzen Ukraine, von den weitesten Schichten der werktätigen Massen, enthusiastischer Beifall zuteil wurde. Der Grundstein unserer militärischen Organisation, unsere zwei aufständigen Divisionen, wurden von uns zu einer zahlreichen und mächtigen Roten Armee herangebildet, die bis 180 000 Kombattanten in ihren Reihen zählt. Ich kann diese Ziffer ganz ruhig nennen, denn sie ist tatsächlich schon vielfach genannt worden.
Der heroischen und siegreichen Kämpfe unserer Armee will ich hier nicht weiter erwähnen, sie sind allgemein bekannt. Ich kann nur sagen, dass die Grundidee unserer Arbeit darin besteht, sowohl unsere eigenen aufständischen Truppen, wie auch die Teile der Truppen Petljuras, die fortwährend auf unsere Seite übergehen, entsprechend zu disziplinieren, um, anstatt vereinzelter, wenig disziplinierter Mannschaften, aus ihnen eine vollkommen disziplinierte Rote Armee zu schaffen, wobei wir unsere Armee, die wohl disziplinierte, einheitlich kommandierte und nach einem festgesetzten Plan wirkende, als Muster vor Augen haben.
Der Einfluss unserer Partei lässt sich nicht durch die Aufzählung unserer Mitglieder oder der Tätigkeit der Regierung, die aus Parteigenossen besteht und vom Zentralkomitee der Partei geleistet wird, allein dokumentieren. Ein grosser Umschwung ist unter dem Einfluss der kommunistischen Partei auch in den anderen Parteien der Ukraine vor sich gegangen.
Die ukrainische Partei der Sozialrevolutionäre, die bis zur allerletzten Zeit unter nationalistischer Fahne kämpfte, ist unter dem Einfluss der gemeinschaftlich mit uns durchgemachten Kämpfe, unter dem Einfluss der in den Massen vorherrschenden Stimmung sowie unserer Propaganda ganz auf unsere Seite getreten. Sie hat sich unter diesen Einflüssen auf den Standpunkt der sozialen Revolution und der Diktatur des Proletariats gestellt. Sie hat die Notwendigkeit einer vollen Anschliessung an unsere kommunistische Partei eingesehen und anerkannt.
Die weitaus überwiegende Mehrheit der ukrainischen Sozialrevolutionären Partei, sowie auch einzelne kleinere Organisationen in der Provinz treten ganz einfach in unsere Partei ein. Eine ähnliche Erscheinung ist auch beim Bund zu verzeichnen. Diese Partei wirkt gegenwärtig bereits gemeinschaftlich mit uns. Auch ist die Frage ihres völligen Überganges zum Kommunismus bereits gestellt worden. Die linken Sozialrevolutionäre (diese Partei wirkt bekanntlich von der Ukrainischen Sozialrevolutionären Partei getrennt), also diese Partei der linken Sozialrevolutionäre, welche in Russland solch eine todfeindliche und Verderben bringende Politik gegen die Sowjetregierung und die soziale Revolution trieb, übt bei uns gar keinen Einfluss aus. Die Delegation aus Mitgliedern ihres russischen Zentralkomitees, die in die Ukraine gesandt wurde und dort den Versuch machte, dieselbe Politik zu betreiben wie in Russland, erlitt ein schmähliches Fiasko. Nicht einmal die ukrainische Sozialdemokratische Partei, welcher die Spitzen des Direktoriums, Winnitschenko und Petljura, angehören, konnte von den Wirkungen der kommunistischen Kämpfe unberührt bleiben.
Vielmehr kam es auch bei ihnen dazu, dass unter dem Einfluss der von den Kommunisten geführten Kämpfe die Fraktion der unabhängigen Sozialisten sich von ihnen abspaltete. Obwohl sich diese unabhängigen Sozialisten grundsätzlich von den Kommunisten unterscheiden, da sie ja tatsächlich keine Kommunisten sind, wirken sie gegenwärtig doch im vollen Einklang mit unserer Partei, sie nehmen an den Sowjets teil und mannigfach leiten sie sogar deren Geschäfte.
Genau dasselbe geschah mit den rechten Sozialrevolutionären. Und nun sind auch sie in den Sowjets vertreten und geben eine Erklärung ab, wonach sie sich von jeder Verständigung mit der Entente vollständig lossagen.
Endlich geht auch im rechten Flügel der ukrainischen Sozialdemokratischen Partei, welchem die Herren Schwetz und Andrijewsky angehören, eine Neuorientierung vor sich. Auch dort ist der Prozess der Zersetzung und zu gleicher Zeit auch der Differenzierung und Selbstbestimmung im Gange.
In der ukrainischen Sozialdemokratischen Partei der Rechten fand nämlich eine Spaltung statt, welche einerseits im Austritt Winnitschenkos und anderer aus der Regierung ihren Ausdruck findet, und andererseits zum Austritt von Petljura, Schwetz und anderer aus der Regierung geführt hat. Im Zusammenhang damit hat sich eine rein militärische Diktatur gebildet mit dem ehemaligen zaristischen General Grekoff, dem ausgesprochenen Monarchisten, an der Spitze. Wir haben also gegenwärtig eine militärische Diktatur vor uns. Hinter dem Direktorium, das völligen Bankrott erlitten und jeden Einfluss auf die Massen verloren hat stehen jetzt nur noch Gruppen ukrainischer Offiziere und galizianische Nationaldemokraten, die mit dem Sozialismus nichts zu tun haben.
Demgegenüber erliess unsere kommunistische Regierung die bestimmte Erklärung, dass die ukrainischen Massen auf dem Boden der sozialen Revolution stehen, und schlug dem Direktorium vor, das unnötige und zwecklose Blutvergiessen einzustellen, da dies nur den Feinden der Arbeiterklasse nutze. Sollte das Direktorium nicht auf den Aufruf eingehen, so wird er doch einen mächtigen Widerhall in den Massen finden, die auf unsere Seite übergehen, in den Massen, die nicht gegen uns kämpfen wollen, sondern sich vielmehr gegen ihre Herren erheben.
Ehe ich meinen kurzen Bericht schliesse, muss ich noch einen Umstand ganz besonders betonen, und zwar den internationalen Charakter unserer Bewegung. Ungeachtet dessen, dass die Ukraine eine äusserst schwere Okkupation deutscherseits auszuhalten hatte, gibt es unter den Arbeitern und Bauern keine nationalistische Bewegung. Der rote Terror, durch den die Arbeiter und Bauern der Ukraine sich vor dem weissen Terror, dem internationalen Kapital schützen, richtet sich nicht gegen die deutschen oder französischen Soldaten, sondern gegen deren Offiziere, und zwar wird er gemeinschaftlich mit den deutschen, französischen, griechischen und rumänischen Soldaten gegen die Bourgeoisie aller Nationen, gegen das internationale Kapital ausgeübt, das ist der von uns eingeschlagene Weg. Unsere Bewegung hat viele Prüfungen erfahren müssen. Aber ungeachtet der Drohung aus dem Süden seitens Krasnow und der Truppen der Entente wird der für morgen einberufene dritte ukrainische Kongress der Sowjets beweisen, wie unbesiegbar die sich um das rote Banner der kommunistischen Partei scharenden Arbeiter und Bauern der Ukraine sind.
Da meine Zeit bereits abgelaufen ist, ist es mir unmöglich, die Tätigkeit unserer Partei eingehend zu charakterisieren. Ich muss deshalb in grösster Kürze nur noch folgendes hervorheben: Wenn im vorigen Jahr, als die Arbeiter und Bauern der Ukraine sich erhoben, die Wellen der Revolution weit über die Grenzen des gewesenen russischen Reiches hinausschlugen und nach Galizien herüberströmten, wo sie sich bis nach Stanislau ergossen, so dürfen wir jetzt, wo erst die deutsche Okkupation, danach die französische, sowie der Übergang galizianischer Truppen nach Russland es mit sich brachten, dass all die fremdländischen Soldaten ein gemeinschaftliches Leben mit uns führten, so dürfen wir jetzt – sage ich – erwarten, dass diese revolutionäre Bewegung noch viel weiter um sich greifen wird. Die gegenwärtige Revolution wird ganz Galizien umfassen und damit eine Revolutionsbrücke zwischen Russland und Galizien bilden; dies aber bedeutet einen neuen wichtigen Schritt vorwärts zur Weltrevolution.
Gen. Sadoul (Frankreich): Genossen! Ich muss mich sehr entschuldigen, dass ich weder deutsch, die Sprache des internationalen Sozialismus, wie Genosse Sinowjew diese gestern genannt hat, noch russisch, die Sprache, welche morgen schon diejenige des internationalen Kommunismus sein wird, spreche. Ich beherrsche ziemlich fliessend bloss die französische, die leider wenigstens augenblicklich als Sprache der Revolution von einst bezeichnet werden muss.
Bevor ich Euch auf Wunsch des Genossen Lenin ein Bild von der politischen Lage in Frankreich entwerfe, will ich die Frage beantworten, die von einigen ausländischen Genossen an mich gerichtet wurde, nämlich die Frage, was ich als französischer Offizier über die russische Rote Armee denke.
Genossen! Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, an der Nordfront zu sein, an derjenigen Front, wohin die quälend bangen Blicke der jungen, blutüberströmten Sowjetrepublik gerichtet sind. Mit Freuden benutze ich jetzt die Gelegenheit, um auf dem ersten internationalen kommunistischen Kongress offen vor aller Welt die tiefen Gefühle auszudrücken, von denen jeder wahre Revolutionär angesichts der grossen Kommunistischen Partei Russlands beseelt ist, angesichts dieser Fackel der Weltrevolution, die trotz der vielen edlen Anstrengungen doch noch genügend Kraft in sich empfunden hat, um diese unbestreitbare militärische Macht aufzubauen, diese Rote Armee, in deren Reihen ich mich zu betätigen die Ehre habe.
Vielen Dank sind wir den Leitern dieser Armee schuldig, doch in erster Reihe dem Genossen Trotzki, dessen unaufhaltsame Energie, vereint mit hoher Intelligenz und wahrer Genialität, es vermocht hat, der russischen Armee, die bereits gänzlich in Zerfall geraten war, neue Lebenskraft zu verleihen.
Es sind kaum sechs Monate verstrichen, seit die Verbündeten in ihrem Überstolz und von tiefem Hass gegen die russische Revolution erfasst, behaupteten, es genügen zwei tschechische Divisionen, unterstützt von einem einzigen anglo-französischen Detachement, um die Sowjetregierung zu stürzen und Russland zu erobern. In den ersten Wochen wollte es, nach den Ereignissen zu urteilen, scheinen, als wären diese Ansichten der Verbündeten zutreffend, denn mit Blitzesschnelle entwickelten sich die feindlichen Angriffe im Gebiet des Weissen Meeres und des Wolgabeckens. Von dieser Todesgefahr bedroht, bildete sich die revolutionäre Armee mit kolossaler Schnelligkeit heran. Jetzt erkennen es selbst die Verbündeten an, dass die »verachtete« Rote Armee plötzlich dermassen herangewachsen ist, dass sie genügend Kraft besitzt, um den feindlichen Heeren, die in verbrecherischer Weise zur Erstürmung der bolschewistischen Zitadelle hierher hinübergeworfen sind, standzuhalten. Sie erkennen ihre Vorzüge, ihre Organisation, ihre militärische Bedeutung an. Ja, sie fürchten sie einfach. Sie fürchten sie dermassen, dass sie trotz ihrem, mit heuchlerischen Kundgebungen maskierten, jedoch ganz zweifellos sehnlichem Wunsch, die russische Revolution zu erdrosseln, weil sie als unaufhörliche revolutionäre Drohung für das gesamte Europa dasteht, trotz ihrem Wunsch, die politische Macht irgend eines Zaren wieder aufzurichten und der russischen Bourgeoisie wieder zur wirtschaftlichen Herrschaft zu verhelfen, doch gezwungen sind, auf eine militärische Intervention, mit welcher sie der Sowjetregierung seit mehr als einem Jahr auf die unverschämteste Weise drohen, zu verzichten.
Was die Verbündeten mit ihren eigenen Kräften auszuführen nicht imstande sind, sollen die Weissen Garden Koltschaks, Denikins, Krasnows, Petljuras, Mannerheims oder Paderewskis gegen Russland besorgen.
Indem jedoch die Verbündeten die russische Rote Armee zu neuen Kämpfen zwingen, bereiten sie selbst für dieselbe neue Siege vor, denn sowohl bei Petrograd als auch an der Wolga und am Ural, im Süden wie im Westen werden die Sowjettruppen siegen.
Und das ist der Grund, warum ich die kommunistische Konferenz auffordere, sich mit Worten der Anerkennung an die Erste Internationale Armee zu wenden, welche die von den Verbündeten geplante Strafexpedition zunichte gemacht und das Heil der russischen Revolution gesichert hat, welche gleichzeitig auch dem westeuropäischen Proletariat die Möglichkeit verschafft, sich zu organisieren und sich zum Kampf vorzubereiten.
Genossen! Es sind bereits 18 ½ Monate verstrichen, seitdem ich Frankreich verlassen habe. Daher bin ich ja auch nicht Augenzeuge dessen, was dort jetzt vorgeht. Doch für einen aktiven politischen Kämpfer, der mit der Psychologie seiner Landsleute gut vertraut ist, genügt es ja, wenn er bloss die französischen Zeitungen aufmerksam verfolgt, um die politischen Ereignisse zutreffend beurteilen zu können und vor allen Dingen die Rolle solcher zwei bedeutender und populärer Organisationen, wie die Sozialistische Partei und die Allgemeine Konföderation der Arbeit einzuschätzen. Es ist höchst interessant, die Evolution der Gefühle, von denen die französischen Massen beseelt sind, zu verfolgen.
Als ich im September 1917, also einige Wochen vor der Oktoberrevolution, Paris verliess, da verhielt sich die öffentliche Meinung Frankreichs zum Bolschewismus wie zu einer grässlichen Karikatur des Sozialismus. Die Führer des Bolschewismus wurden als Verbrecher oder als Wahnsinnige betrachtet. Ihre Armee wurde als eine aus etlichen Tausenden Fanatikern oder Verbrechern bestehende Horde geschildert.
Das war die Meinung des gesamten Frankreichs, ich schäme mich, gestehen zu müssen, dass neun Zehntel sowohl der Mehrheits- als auch der Minderheitssozialisten derselben Ansicht waren. Was wir zu unserer Entschuldigung anführen können, ist einerseits die Tatsache, dass wir über die russischen Ereignisse nicht im geringsten unterrichtet waren, andererseits, dass unsere Presse aller Richtungen auf Grund ersonnener Tatsachen und gefälschter Dokumente die Verdorbenheit, Grausamkeit und Gewissenlosigkeit der Bolschewiki zu beweisen suchte.
Die Ergreifung der Macht durch diese »Bande der Aufständischen« machte einen erschütternden Eindruck. Die Verleumdungen, die das wahre Gesicht des russischen Kommunismus nicht zum Tageslicht durchdringen liessen, wurden noch viel schwärzer, als die bei Abschluss des Brester Friedens. Zu dieser Zeit hatte die antibolschewistische Agitation den Höhepunkt erreicht.
Trotz alledem gelang es einzelnen vorurteilsfreien Berichten, doch nach einiger Zeit in Frankreich einzudringen. Etlichen von uns begann ein Licht aufzugehen, dass es doch ganz unmöglich sei, dass eine Partei, die sich imstande erwies, so viele Hindernisse aus dem Wege zu räumen, sich ausschliesslich auf Terror stütze, es müsse vielmehr angenommen werden, dass sie von dem bedeutendsten Teil des russischen Volkes anerkannt worden sei und jetzt geliebt und unterstützt werde.
In der bürgerlichen Presse dauerte die niederträchtige Hetze fort. In den Blättern der Sozialpatrioten hörten die Schimpfereien wohl auf, doch da begannen wilde Angriffe gegen die Führer des Bolschewismus, deren Utopien nach Ansicht der Sozialpatrioten die russische Revolution zweifellos zu vernichten drohten und die Weltrevolution unvermeidlich kompromittieren mussten. Die Blätter des sozialistischen Zentrums (von der Gruppe Longuet) trugen weniger Empörung und Verachtung zur Schau. Sie begannen sogar die Intrigen der bürgerlichen Regierungen der Entente zu enthüllen. Sie brachten ihnen Protest gegen die bewaffnete Intervention zum Ausdruck, wobei sie allerdings ihre Taktik nicht mit dem Gefühl der sozialistischen Solidarität begründeten, sondern sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker bezogen. Diese unversöhnlichen, zaudernden und feigen Orthodoxen hielten sich von jeglichem Urteil über den sozialistischen Wert des bolschewistischen Programms nach wie vor zurück. Von der radikalen Eigenschaft der riesigen sozialen Umwälzung, die von der Sowjetmacht mit fester Überzeugung durchgeführt wird, überrascht und erschreckt, folgten sie dieser meteorischen Revolution, ohne ihre Notwendigkeit zu begreifen und ohne die Macht derselben zu würdigen. Doch sie zu verurteilen erdreisteten sie sich nicht. Ihre Verlegenheit ist der eines jeden Bourgeois angesichts einer neuen Idee ähnlich, denn als Sozialisten haben sie ihre völlige Willenlosigkeit an den Tag gelegt. Wohl kann ich sie nicht allzu streng verurteilen, denn es ist ja nicht lange her, seit ich selbst in ihren Reihen stand, und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich auch heute ebenso blind wäre, wie zuvor, wenn ich nicht hier die grosse Schule des russischen Kommunismus durchgemacht hätte.
Die erste Sympathiebezeugung, das erste Zeichen einer, wenn auch nur teilweisen, doch brüderlichen Einigung erfolgte im Oktober 1918 auf der nationalen Konferenz der sozialistischen Partei Frankreichs. Inmitten der Rede Longuets über die militärische Intervention erfolgten plötzlich begeisterte Rufe: »Es lebe die Sowjetrepublik!« Diese Rufe waren sowohl für die meisten Führer der Mehrheit, als auch für die der Minderheit überraschend. Selbst Longuet, den diese Konferenz zum Führer der Sozialistischen Partei erhob, war völlig ergriffen. Das war die erste Warnung, die aus den Reihen der wenig bekannten, aber weisen Kämpfer an ihre Führer gerichtet wurde.
Diese letzteren begannen seitdem – das muss man ihnen lassen – in weit offenerer Weise die Evolution nach links zu unterstützen, und diese Evolution hat sich in den letzten sechs Monaten langsam, aber unaufhaltsam vertieft. Von diesem Augenblick an war es offensichtlich, dass die Wendung der Massen nach links viel schneller vor sich ging als die der Führer. Das unmittelbare Interesse des Proletariats für das Materialistische, für das Reale, sein gut entwickeltes politisches Empfinden, der tiefgreifende und gesunde Instinkt, der dem französischen Volke eigen ist, alles das führt das Proletariat natürlicherweise zu vernünftigen Entschlüssen; mit anderen Worten, trotzdem es dem Proletariat an wissenschaftlicher Begründung des Sozialismus mangelt, wird es doch zu Entschlüssen im Sinn des Kommunismus gelangen. Wenn wir auch über keine genauen Daten verfügen, so dürfen wir doch annehmen, dass dieses natürliche Streben in gewissem Grade vom Syndikalismus beeinflusst ist. Ich will hier von den offiziellen Führern der Allgemeinen Konföderation der Arbeit, von Jouhaux, der mit der kriegerischen Regierung einen Flirt angebandelt hat, oder von Merrheim, dessen revolutionäre Tätigkeit stark nachgelassen hat, nicht reden. Es ist mir viel lieber, von den Kämpfern des Syndikalismus zu sprechen, die allerdings weniger bekannt, aber vom Prozess der Zerlegung auch weniger betroffen sind, die auch vom Geist der unzähligen Parlamentskommissionen und der Verhandlungen mit Regierungsvertretern verschont geblieben sind, und die noch immer den lebhaften Geist des Syndikalismus von einst bewahrt haben. Diese Männer scheinen, trotzdem sie über den bolschewistischen Kommunismus nur mangelhaft unterrichtet sind, seine wahre Kraft und Lebensfähigkeit doch instinktiv erfasst zu haben. Das sind grösstenteils Männer, die in den hinteren Reihen des öffentlichen Lebens stehen, deren kulturelles Niveau zuweilen nicht allzu hervorragend ist, die jedoch über einer starken Willen verfügen, und die einst, wenn der Lauf der Geschichte das französische Volk zu den revolutionären Aktionen treibt, die es zur Macht führen sollen, sich zweifellos in den ersten Reihen einfinden werden.
Und in der Tat, Genossen! Ich sehe augenblicklich keine revolutionären Führer der Französischen Sozialistischen Partei. An ihrer Spitze stehen vorzugsweise solche Leute, die, wie Beamte, gar kein inneres Band mit den grossen Volksmassen haben, Leute, die durch den bürgerlichen Parlamentarismus trivial und stumpfsinnig geworden sind. Der demoralisierende Einfluss der Kammer mit ihren offiziellen galanten Debatten einerseits und den geheimen Machenschaften andererseits ist ganz sonderbar und enorm. Solche braven Genossen mit starkem Temperament und guten politischen Überzeugungen, wie Cachin, Lafont und – ich rufe sicherlich Ihre Verwunderung hervor, wenn ich sage – selbst Renaudel, verfallen dem Opportunismus, wenn sie bloss einige Monate in der Kammer tätig sind. Viele von diesen werden sich ja sicherlich noch besinnen, doch zu spät, um mit ihrer Hand die Flammen der Revolution zu schüren. Viele werden sich gewiss der Revolution 24 Stunden nach deren Ausbruch anschliessen, doch diese Männer werden nicht imstande sein, selbst 24 Stunden vor dem Ausbruch denselben vorauszusehen, weil es ihrer Urteilskraft an Scharfsinn und ihren Handlungen an Mut und Entschlossenheit mangelt. Ob sie einen Versuch machen werden, den Ausbruch der Revolution zu verhindern oder diese gewaltsam aufzuhalten, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ich will auch nicht behaupten, dass es überhaupt ihre Absicht sei; ich wünschte auch nicht, dass es der Fall wäre, denn diese Elemente könnten, wenn sie vom Proletariat hingerissen und unter seine Kontrolle gestellt würden, ihm äusserst wertvolle Mitarbeiter sein.
Wir sehen also, dass die französische Revolution weder ihren eigenen Lenin, noch ihren Trotzki hervorbringen kann. Die Natur ist nun einmal mit solchen Titanen nicht allzu verschwenderisch. Im Grunde genommen genügt es, dass die Weltrevolution im Besitz dieser zwei mächtigen Führer ist, damit das Proletariat zur Macht durchdringt. Diese Führer sind ihren gewaltigen Aufgaben vollkommen gewachsen. Sie haben den Weg gezeigt, sie werden die Bahn auch weiter ebnen. Und sollte einst die französische Revolution der Hilfe der russischen Führer bedürftig sein, dann werdet Ihr uns diese Führer für einige Wochen wohl leihen, nicht wahr, Genossen? Wir Franzosen vermissen wenigstens augenblicklich nicht nur den kommunistischen Marschall, uns fehlen auch die hervorragenden revolutionären Generäle, über die Russland in so grosser Anzahl verfügt, und die ihrem Wesen nach russische Erscheinungen sind, geschaffen dank der Natur des Landes, dank seinen schroffen klimatischen Gegensätzen und seiner unübersehbaren Flächengrösse, echt russische Erscheinungen, deren mächtiger Wille schon in den zaristischen Gefängnissen und in den langjährigen Verbannungen felsenstark geworden, Menschen, die zu allen möglichen Leiden und Opfern bereit sind.
Die Führer der französischen Linkssozialisten, Longuet und seine Freunde, die dem Reformismus und Opportunismus huldigen, sind eines revolutionären Heldenmuts nicht fähig. Damit will ich durchaus nicht gesagt haben, dass sie keinen Heroismus an den Tag legen werden, wenn die Stunde schlagen wird, allein sie werden nicht den nötigen Heldenmut besitzen, um diese Stunde näher zu rücken.
Die bolschewistischen Führer sind eben Führer im erhabensten Sinne des Wortes. Sie haben es verstanden, das Volk zur Revolution und auf den von der Geschichte vorgezeichneten Weg zu führen. Sie sind für die Volksmassen wie ein Leuchtturm, der den Weg mit seinem Licht bestrahlt. Unsere französischen Führer werden sich bloss, ich befürchte es, als Jünger der russischen offenbaren.
Das französische Proletariat wird wohl den ersten Schritt allein tun, es wird wohl allein in den ersten Kampf gehen müssen. All unsere Hoffnungen setzen wir auf das Proletariat. Lange genug hat es auf den Lorbeeren seiner ruhmreichen Vorfahren geruht, doch jetzt beginnt es zu erwachen. Es ist sich des ihm bestimmten grossen Schicksals bewusst. Seine plumpen, aber kräftigen Hände strecken sich gierig zur Macht. Der Widerhall des Rufes, der auf der Oktoberkonferenz ertönte, lässt sich schon seit sechs Monaten überall in Frankreich vernehmen.
Die meisten öffentlichen Versammlungen schliessen in der letzten Zeit immer mit der neuen Parole: »Es lebe Lenin!« »Hoch Trotzki!« »Es lebe die Diktatur des Proletariats!« »Es leben die Sowjets!« Diese Rufe berühren das Ohr der Machthaber wohl peinlich, und mit Entrüstung berichten die bürgerlichen Blätter darüber. Leider macht sich der Mangel an Führern sehr fühlbar; man vermisst die einheitliche Organisation, und nur zu leicht wird die an einzelnen Orten aufflackernde Bewegung durch rohe Kraft unterdrückt.
Doch im grossen und ganzen ist der Lauf der Ereignisse für die Revolution günstig. Der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung, die absolute Unfähigkeit dieser Ordnung, sei es Friedens- oder Kriegsfragen zu lösen, ihr sinnloser Wunsch, bloss auf illusorische Kompromisse einzugehen, der Hass, den sie gegen die Volksmassen empfindet, verstärken nur noch den Zorn und die Erbitterung der Massen. Die veraltete Idee der Verständigung mit der Bourgeoisie erscheint den Arbeitern immer hinfälliger. Die Sozialpatrioten die Anhänger dieses ungeheuerlichen Bündnisses, sind von den Arbeitermassen schon längst mit Verachtung abgelehnt. Die unreifen Beschlüsse der Führer der Zentrumssozialisten, die wegen ihrer Weitschweifigkeit absolut kein Vertrauen einflössen, können wohl kaum jemand befriedigen.
Endlich ergiesst sich Licht über das Wesen der russischen Ereignisse. Die ehrliche, aufrichtige Taktik der Bolschewistischen Partei entspricht dem Temperament des Franzosen viel mehr als die unklaren, trüben Formeln der ersten deutschen Revolution.
Jawohl, Genossen, ich bin fest davon überzeugt, dass das Programm der Kommunistischen Partei Russlands mit einigen geringen Abänderungen entsprechend den französischen Verhältnissen, namentlich auf dem Gebiet der Agrarfrage, wohl in allernächster Zeit von dem französischen Proletariat angenommen wird.
Und zu diesem Ziel führt nur ein Weg – Propaganda, und nochmals Propaganda. Der Boden für die Agitation ist bestens vorbereitet. Die unverzeihliche Verzögerung der Demobilmachung, die imperialistischen Bestrebungen der kapitalistischen Oligarchie, in deren Händen sich die Macht über die gesamte Republik befindet, das schroffe Auftreten der Bourgeoisie gegen die russische und deutsche Revolution, der Zerfall des Staates, das wirtschaftliche Chaos, die Krise der Arbeitslosigkeit, die Verpflegungsschwierigkeiten, alles das trägt zum Zusammenbruch der ausbeuterischen Ordnung bei.
Wann wird die Freiheitsbewegung beginnen? Ja, wer kann den Lauf der Ereignisse voraussagen? Es können ja allerdings ernste Hindernisse das Unvermeidliche aufhalten.
Die französischen herrschenden Klassen verstanden es schon, bevor noch die Kapitalisten der Entente die gegenseitige Hilfe, Völkerbund genannt, organisiert hatten, sich durch spezielle militärische Kraft zu schützen, durch bunte und schwarze Truppen, durch Senegalier und Indier, die in sämtlichen Industriezentren einquartiert und gegen die Arbeitermassen loszuschlagen bereit sind.
Endlich bedroht die Regierung die künftige Revolution durch eine wirtschaftliche Blockade, die, indem sie die Zufuhr von amerikanischem Getreide nach Frankreich unterbindet, Frankreichs Bevölkerung dem Hunger preisgeben soll.
Die so entstehenden Aufgaben müssen gründlich durchdacht werden, denn riesig ist die Verantwortung, die wir übernehmen.
Ich bin trotzdem überzeugt, dass sobald die Demobilisation etliche Millionen Bürger in das Land zurückbringen und eine Arbeitslosen- und Verpflegungskrisis hervorrufen wird, die proletarische Bewegung unbedingt beginnen muss, deren Ziel zweifellos der Aufbau einer Sowjetrepublik sein wird, die sich der Kommunistischen Partei anschliessen wird.
Wir wollen also weiter arbeiten und die gesegnete Stunde erwarten, den geheiligten Bund der deutschen, französischen und russischen Revolution, der die soziale Weltrevolution unbesiegbar machen wird.
Und damit schliesse ich.
Es sei mir noch gestattet, Genossen, hier die Erklärungen zweier Kämpfer aus den Reihen der linken Sozialisten, Verfeuil und Loriot, zu verlesen, die die Psychologie der wahrhaft lebensfähigen und für das Proletariat so wertvollen Elemente der Französischen Sozialistischen Partei scharf beleuchten [Die Briefe der Genossen Loriot und Verfeuil, die Gen. Sadoul verlas, sind in Nr. 1 der »Kommunistischen Internationale« veröffentlicht]
Genossen! Indem ich meine Rede schliesse, wiederhole ich noch einmal: vor kaum sechs Monaten rief die Mehrheit der Französischen Sozialistischen Partei: »Nieder mit den Bolschewiki!« Jetzt rufen dieselben: »Es lebe die Sowjetrepublik!« Offizielle und vorsichtige Parteiblätter suchen die Möglichkeit einer Diktatur des Proletariats in Frankreich zu erforschen. Benötigen diese Tatsachen noch Kommentare? Und sind wir nicht vollkommen berechtigt zu hoffen, dass wir nun nicht mehr lange zu warten haben?
Gen. Feinberg (England): Die Hoffnungen der revolutionären Länder sind auf England gerichtet. Diese Hoffnungen sind durch die Ereignisse in diesem Lande, während der letzten zwei Monate erhöht worden. Die Streikbewegung breitet sich über ganz England aus und hat Einfluss auf jeden Industriezweig. In der Armee ist die Disziplin sehr geschwächt, was in anderen Ländern das erste Symptom der Revolution war. Die Streikbewegung setzte nicht erst mit dem Ende des Krieges ein, sondern sie ist eine Fortsetzung dieser Bewegung während der Dauer des ganzen Krieges. Sogar vor dem Kriege, besonders im Jahre 1911–12, hat sich die Streikbewegung in England bis zum höchsten Grade entwickelt. Zu dieser Zeit fanden eine ganze Reihe Streiks statt, welche Einfluss auf die Eisenbahnen, Schiffswerften und Docks ausübten. Der Eisenbahnerstreik schien der Regierung so ernst zu sein, dass alle Eisenbahnen von Truppen besetzt wurden, und in Liverpool wurden Soldaten herangezogen, um den Ausstand zu unterdrücken. Auf die Arbeiter wurde geschossen, und viele wurden getötet und verwundet.
Bezüglich der Streikbewegung während des Krieges ist zu erwähnen, dass dieselbe am stärksten war, als die Verbündeten im Kriege Erfolg hatten; sobald sie aber Misserfolg erlitten, legte sich die Bewegung. Dennoch gab es Augenblicke, in denen wir Sozialisten am Vorabend einer Revolution zu sein glaubten.
Am meisten interessieren uns Kommunisten die Form und der Charakter der Bewegung, und wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf diese lenken, finden wir, dass die britische Arbeiterbewegung sich seit 1914 vollständig verändert hat. Als der Krieg ausbrach, wurde die britische Arbeiterbewegung, wie die Arbeiterbewegung aller Länder, von einer Flut des Chauvinismus fortgerissen. Die Gewerkschaften gaben die Errungenschaften, die sie in langjährigem Kampf erobert hatten, auf, und das Zentralkomitee der Gewerkschaften schloss den Burgfrieden mit der Bourgeoisie. Aber das Leben, die Verstärkung der Ausbeutung, die Erhöhung der Lebensmittelpreise zwangen die Arbeiter, sich gegen die Kapitalisten, die den Burgfrieden zu ihren Ausbeutungszwecken ausnützten, zu wehren. Sie sahen sich gezwungen, erhöhte Arbeitslöhne zu verlangen und diese Forderungen durch Streiks zu unterstützen. Das Zentralkomitee der Gewerkschaften und die früheren Führer der Bewegung hatten der Regierung versprochen, die Arbeiter im Zaum zu halten, und deshalb versuchten sie die Bewegung zurückzuhalten und desavouierten die Streiks. Dennoch fanden die Streiks »unoffiziell« statt. Die Regierung hielt den Arbeitern durch die Presse und ihre Beamten Vorträge über Disziplin und Respekt vor den Führern, aber als Bitten und Schmeicheleien nicht mehr genügten, fing sie zu drohen an; trotzdem folgte ein Streik dem anderen, obgleich jeder Streikende oder jeder, der anderen zum Streik überredete, streng bestraft wurde. Natürlich konnte eine derartige Bewegung nicht beginnen oder weitergeführt werden ohne irgend eine Organisation. Tatsächlich besteht auch eine derartige Organisation – nämlich das Shop-Stewardskomitee. Die Shop-Stewards existierten schon lange im Gewerkschaftsleben. Sie vertreten die Gewerkschaften in den Fabriken, sie sehen zu, dass die Bedingungen der Gewerkschaften ausgeführt werden und führen die Unterhandlungen mit den Fabrikleitern. In grossen Fabriken mit vielen Abteilungen gibt es ein Shop-Stewardskomitee für jede Abteilung, und dank der bestehenden Organisation der Gewerkschaften kommt es manchmal vor, dass mehrere Gewerkschaften in derselben Fabrik vertreten sind. Die Veränderung der Organisations- und Produktionsmethode in der Industrie machte es den jüngeren und fortgeschritteneren Elementen der Arbeiterbewegung klar, dass die Organisation der Arbeiter nach den einzelnen Berufen nicht mehr als Waffe im Klassenkampf dienen könne; es wurde eine Agitation für die Verschmelzung aller Verbände eines gewissen Industriezweiges begonnen. Diese Bewegung wird in England als industrieller Utopismus betrachtet. Die Zentralkomitees der Gewerkschaften und die früheren Führer kämpfen gegen diese Richtung; die Shop-Stewardskomitees organisierten sich ihrerseits. Als die Gewerkschaftsvorstände, die Werkzeuge der Regierung, versuchten, die Bewegung der Arbeiter niederzuringen, übernahmen die Shop-Stewardskomitees die Führung der Bewegung. In den industriellen Gebieten wurden lokale Arbeiterkomitees gegründet, in welche Vertreter der Shop-Stewardskomitees eintraten, wie z. B. das Clyde-Arbeiterkomitee, das Londoner Arbeiterkomitee, das Arbeiterkomitee von Sheffield u.a. Diese Komitees wurden zum Mittelpunkt der Organisation und die Vertreter der organisierten Arbeiter in ihren Ortschaften. Eine Zeitlang wollten die Unternehmer und die Regierung die Shop-Stewardskomitees gar nicht anerkennen, aber schliesslich waren sie gezwungen, mit diesen »unoffiziellen« Komitees zu unterhandeln. Die Tatsache, dass Lloyd-George sich einverstanden erklärte, das Birminghamer Komitee als eine wirtschaftliche Organisation anzuerkennen, beweist, dass die Shop-Stewardskomitees ein dauerhafter Faktor in der britischen Arbeiterbewegung. geworden sind. In den Shop-Stewardskomitees, in den Arbeiterkomitees und in den nationalen Konferenzen der Shop-Stewardskomitees haben wir schon eine Organisation, die derjenigen, auf welcher die Sowjetrepublik beruht ähnlich ist. Diese Organisation wurde nicht durch künstliche Verbreitung einer neuen Idee geschaffen, sondern sie ist eine natürliche Frucht der Entwicklung der Arbeiterbewegung; ein neuer Beweis für die Richtigkeit der Prinzipien der Kommunistischen Partei. Mit dieser Organisation tritt eine vollständige Änderung in der Form und im Bau der britischen Arbeiterbewegung ein, und man hat Ursache zu glauben, dass sie die hervorragendste Rolle in der zukünftigen Geschichte der Bewegung spielen wird. Mit der Veränderung der Produktions- und Industriemethoden sahen die Arbeiter, insbesondere die Metallarbeiter, ein, dass ihre Lage ernstlich bedroht war. Eine Arbeit, welche früher eine grosse Geschicklichkeit erforderte, wurde jetzt von unerfahrenen Arbeitern – Männern, Frauen und Knaben – ausgeführt. Die älteren und konservativeren Arbeiter dachten, dass dies nur während des Krieges der Fall sein würde, aber die jüngeren Arbeiter erkannten, dass die Rückkehr zum Alten weder möglich noch wünschenswert sei. Es wurde energisch von den Arbeitern – insbesondere den Metallarbeitern – eine Kontrolle der Industrie verlangt, und auch die Regierung war gezwungen, dieser Forderung ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Eine Kommission wurde gebildet, um die Ursache der Unzufriedenheit unter den Arbeitern ausfindig zu machen. Diese Kommission schlug vor, den Arbeitern eine teilweise Industriekontrolle zu gewähren, um sie zu beruhigen. Die praktische Ausführung dieser Idee aber gab den Arbeitern keine Kontrollmöglichkeit, sondern die Disziplin wurde einfach verschärft, Schiedsgerichte wurden eingeführt. Der »Whitely Report« machte wenig Eindruck auf die Arbeiter… Die Forderung der Industriekontrolle wird immer dringender.
Ohne Zweifel übte die russische Revolution einen grossen Einfluss auf die britische Arbeiterbewegung aus. So wie in allen anderen Ländern, war die Bewegung durch den Krieg in eine Mehrheit und eine Minderheit geteilt worden, aber infolge der eigenartigen Konstruktion der Arbeiterparteikonferenzen konnte die Minderheit ihre Kräfte nicht so gut organisieren wie auf dem Festlande. Deshalb konnten die internationalen sozialistischen Parteien ihre Bedeutung nicht so genau einschätzen. Als aber die russische Revolution ausbrach, machten wir eine grosse Anstrengung, um unsere Kräfte zur Offensive gegen die Majorität zu sammeln. Wir entschlossen uns, im Juni 1917 in Leeds eine Konferenz aller Organisationen oder Teile der Organisationen einzuberufen, welche sich mit uns gegen den Krieg und für den Internationalismus erklären wollten. Der Hauptzweck war, die Ansicht der Arbeiterklasse über die russische Revolution in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Erfolg war viel grösser als wir erwarteten. Über 1200 Delegierte, meistenteils Vertreter der Shop-Stewardskomitees erschienen. Der Enthusiasmus und der wahre revolutionäre Eifer waren wirklich bemerkenswert. Sowohl unsere Freunde als auch unsere Feinde erklärten, dass es die eindrucksvollste Konferenz in England seit den Chartisten-Konventionen gewesen wäre; sie machte einen tiefen Eindruck im Lande. Es wurde beschlossen, nationale und lokale Sowjets der Soldaten- und Arbeiterdeputierten zu gründen und revolutionäre Propaganda gegen den Krieg zu betreiben. Es wurden Schritte zur Bildung von lokalen Soldaten- und Arbeitersowjets unternommen und zahlreiche Organisationen der Gewerkschaften äusserten den Wunsch, sich anzuschliessen. Am bezeichnendsten war es, dass wir eine grosse Anzahl Bitten aus der Armee erhielten, Soldatensowjets unter unserem Schutze zu formieren. Die Regierung wurde ängstlich und, obwohl sie uns nicht gesetzlich unterdrückte, wandte sie Methoden an, die sie ohne Zweifel von ihrem zaristischen Verbündeten gelernt hatte. Unsere Ortsversammlungen wurden durch Banden von Raufbolden und betrunkenen Soldaten gesprengt.
Die Idee der Soldaten- und Arbeitersowjets ist der britischen Arbeiterbewegung nicht neu; die natürliche Entwicklung der Organisationsform in der Arbeiterbewegung selbst ist ein Beweis dafür. Der Teil der Arbeiterbewegung in England, welcher durch die Shop-Stewardskomitees vertreten ist, erkennt die Bedeutung der russischen Revolution, insbesondere der Oktoberrevolution, an, und betrachtet die Sowjetrepublik als das Vorbild, nach dem sie sich zu richten hat. Als der Krieg aufhörte, entfaltete sich eine mächtige Streikbewegung, bei der die Shop-Stewardskomitees die erste Rolle spielten. Zur selben Zeit äusserten die Truppen der Regierung gegenüber ihre Meinung, ohne vor strengen Disziplinarstrafen zurückzuschrecken. Die Soldatenbewegung ist hauptsächlich die natürliche Äusserung des Wunsches, nach Hause zurückzukehren; als aber die Möglichkeit eines neuen Überfalls auf Russland auftauchte, waren auch Zeichen der revolutionären Aufklärung zu merken. Bei Soldatendemonstrationen auf den Strassen wurde die sofortige Demobilisation verlangt, und in Aldershot, einem der grössten militärischen Lager Englands, marschierten die Soldaten die Strassen entlang und schrien: »Wollt ihr uns nach Russland schicken?« Während des ganzen Krieges pflegten die Soldaten zu sagen: »Wartet bis der Krieg vorbei ist, wir kehren nicht in die alten unerträglichen Verhältnisse zurück«, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die in den Strassen demonstrierenden Soldaten dies im Sinne hatten. Der Hauptzweck der Streikbewegung ist Verkürzung der Arbeitszeit. In denjenigen Industriezweigen, in denen der Achtstundentag noch nicht eingeführt ist, verlangen die Arbeiter ihn, und in denjenigen Industriezweigen, in denen er schon existiert, verlangen die Arbeiter eine 40stündige Arbeitswoche. Und zwar handelt es sich darum, den heimkehrenden Soldaten Arbeit zu verschaffen, ohne diejenigen arbeitslos zu machen, die schon in den Fabriken und Bergwerken arbeiten. Ausserdem gibt es eine starke Bewegung gegen die Intervention in Russland, und zwar aus zwei Gründen: erstens handelt es sich um reine Kriegsmüdigkeit und um den Wunsch, endlich einmal ein Ende der Feindseligkeiten zu sehen, zweitens aber ist die Arbeiterschaft sich bewusst, dass ein Überfall der Verbündeten auf Russland einen Überfall auf die Arbeiterklasse der ganzen Welt bedeuten würde. Bis jetzt kann man nicht sagen, dass die Shop-Stewardsbewegung sich ihrer Aufgabe völlig bewusst wäre. Sie verlangt Industriekontrolle aber sie scheint noch nicht verstanden zu haben, dass die Kontrolle der Industrie durch die Arbeiter, während die erstere sich immer noch im Besitz der Kapitalisten befindet, unmöglich ist. Aber dass man anfängt, dies zu verstehen, ist dadurch bewiesen, dass verschiedene wichtige Gewerkschaften die Nationalisation der Eisenbahnen, der Bergwerke, des Grund und Bodens usw. verlangen. Die Bewegung hat die Stufe noch nicht erreicht, auf der sie die Übergabe der Macht an die Shop-Stewardskomitees verlangen kann. Aber Lloyd-George war gezwungen, die Birminghamer Shop-Stewardskonferenz anzuerkennen, und daraus können wir ersehen, dass die Bewegung ungeheure Fortschritte gemacht hat.
Die ungeheure Menge von sozialen und wirtschaftlichen Problemen, die der Krieg gezeitigt hat, wird die Arbeiterklasse Grossbritanniens dazu zwingen, die einzige radikale Massregel zu treffen, welche die Lösung dieser Probleme ermöglicht. Sogar wenn die Arbeitszeit gekürzt wird, ist eine gewisse Arbeitslosigkeit unvermeidlich und die Notwendigkeit, die Kriegskosten zu zahlen, wird die Ausbeutung der Arbeiter steigern und auf letztere revolutionierend wirken. Ferner wird die Lage in Irland ihrerseits die Ansammlung der revolutionären Spannung fördern – das alles muss zur Revolution führen. Auch wird die Bewegung in Irland das ihrige zur Revolutionierung der Arbeitermassen Englands beitragen.
Die Sinn-Feiner-Bewegung ist eine rein nationalistische oder revolutionär nationalistische, sie hat auch die irische Arbeiterschaft beeinflusst. Andererseits aber hat sich die irische Arbeiterbewegung, besonders die grosse Transportarbeitergewerkschaft – die grösste Gewerkschaft Irlands – in revolutionärem und internationalem Lichte gezeigt. Gerade diese Gewerkschaft, von Connolly geleitet, stand hinter dem Dubliner Aufstand (1915). Obwohl Connolly tot ist, lebt sein Einfluss auf die irische Arbeiterbewegung fort, was die Begeisterung der irischen Arbeiter für die russische bolschewistische Revolution beweist. Gegenwärtig übt die irische Arbeiterbewegung einen grossen Einfluss auf die Sinn-Feiner-Bewegung aus, so dass jeder Versuch der Regierung, sie zu unterdrücken, die Arbeiter zu regerer Teilnahme an den irischen Angelegenheiten veranlassen wird. Andererseits wird der Ausgang der Wahlen den Arbeitern beigebracht haben, dass sie vergebens einen dauernden Nutzen von der parlamentarischen Aktion erwarten. Wäre es auch seitens der russischen Sowjetregierung verfehlt, ihre Taktik von der Erwartung einer unmittelbaren Revolution in England beeinflussen zu lassen, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass die Verhältnisse sich in einem für die Revolution günstigen Sinne entwickeln und Organisationen geschaffen werden, mit deren Hilfe das Proletariat die Macht ergreifen und die Diktatur des Proletariats verkünden wird.
Gen. Albert. Genossen, wir müssen uns in der Berichterstattung einige Beschränkung auferlegen. Wenn wir am Vormittag fertig werden wollen, so wäre es notwendig, dass eine Einschränkung erfolgt. Es wird beantragt, dass die Genossen hier einen kurzen Bericht erstatten, im übrigen aber ihre Berichte schriftlich einreichen und auf diese Weise eine Abkürzung der mündlichen Erklärungen erfolgt.
Gen. Sinowjew. Ich möchte vorschlagen, die übrigen Berichte schriftlich zu Protokoll zu geben und nur für den Gen. Grimlund, der aus Schweden gekommen ist, eine Ausnahme zu machen. Wir werden nicht fertig, wenn wir so weiter arbeiten wollen.
Wird angenommen. Schluss der Sitzung ½ 4 Uhr.
Die Sitzung wird um 5 Uhr nachmittags wieder eröffnet.
Gen. Lenin. Es folgt der Bericht aus Schweden. – Der schwedische Genosse ist nicht da. Wir schlagen vor, die Berichterstattung zu schliessen. Sind die Genossen damit einverstanden, dass der schwedische Bericht schriftlich eingereicht wird? Wir gehen zum folgenden Punkt der Tagesordnung über: Richtlinien der Internationalen Kommunistischen Konferenz. Die Berichterstatter sind Gen. Albert und Bucharin. Genosse Albert hat das Wort.
Gen. Albert (Deutschland). Werte Genossen! Nach den Erklärungen, die gestern die Vertreter von Russland und Finnland abgegeben haben, konnte es den Anschein erwecken, als seien die Genossen von Deutschland gegen die Gründung der III. Internationale. Wir hegen nicht irgendwelche prinzipiellen Bedenken dagegen, aber die Genossen sind doch der Auffassung, dass, wenn man an die Gründung einer neuen Internationale herantritt, man etwas Rücksicht nehmen sollte auf die Stimmung unter den Arbeitern, insbesondere unter den Arbeitern der Weststaaten, die gegen derartige Gründungen an und für sich im Laufe der Zeit ein Misstrauen bekommen haben, und dieses Misstrauen der Arbeiter der Weststaaten zu respektieren war die Ursache, weshalb die deutschen Genossen erklärten, wir wollen jetzt nicht schon an die Gründung der neuen Internationale gehen, sondern wir wollen auf einer Vorkonferenz erst die Kräfte prüfen, die vorhanden sind, die politischen Grundlagen, auf denen wir uns vereinigen können, übersehen. Dass das Misstrauen gegen die Gründung derartiger Vereinigungen bei den Arbeitern der Weststaaten berechtigt ist, wird jeder zugeben müssen, der die Geschichte der verflossenen Internationale kennt. Wir wissen, mit welchen pompösen Formalitäten Konferenzen abgehalten, gewaltige Beschlüsse gefasst, Pläne zu grossen Aktionen ausgearbeitet wurden, und als es dann in der Stunde der Not darauf ankam, alle diese Dinge in Taten umzusetzen, da wurden alle diese Beschlüsse schmählich im Stich gelassen und das ganze Werk der Internationale zertrümmert. Alle Beschlüsse wurden mit Füssen getreten, es wurde im genauen Gegensatz zu ihnen gehandelt. Das sind die Gründe, weshalb die Arbeiter misstrauisch sind. Sie wollen nicht, dass auch die III. Internationale wieder zusammengekleistert wird von einigen zufällig zusammengekommenen Genossen, denn die Bedingungen, unter denen wir hier zur Konferenz zusammengekommen sind, waren zu schwierig. Es zeigt sich auch in der Tat, dass sehr wenige Vertreter der einzelnen Organisationen aus den verschiedenen Ländern anwesend sind. Die Arbeiter wollen nicht, dass hier wieder eine pompöse Gründung vor sich geht, dass hier wieder papierene Resolutionen gefasst werden. Sie wollen zuerst wissen, wer zu ihnen steht, wer hinter uns steht, sie wollen wissen, auf wen sie sich verlassen können in den kommenden Kämpfen, und dass die III. Internationale in ihrer Tätigkeit anders aussehen muss als die vergangene, darüber sind wir uns alle klar. Heute handelt es sich nicht mehr darum, sich auf Konferenzen über die Theorien des Sozialismus zu streiten, heute handelt es sich nicht mehr darum, Kämpfe für die Zukunft anzukündigen, Pläne zu schmieden, Resolutionen zu fassen. Es handelt sich darum, das Proletariat aller Länder zur Tat zu führen. Heute, wo die Proletarier aller Länder einen Kampf für ihre Befreiung führen, der nicht allein durch Flugblätter, Broschüren und Reden gehandhabt wird, heute geht es auf Tod und Leben, heute wollen die Arbeiter wissen, ob die ins Leben zu rufende III. Internationale die Kraft besitzt, die dazu gehört, den Kampf der Arbeiter zu unterstützen, oder sie in der Lage ist, sich dieselbe zu verschaffen. Aus diesem Grunde sind die Arbeiter der Auffassung, dass es erst notwendig ist zu sagen, was wir wollen und was für Grundlagen für den weiteren Kampf vorhanden sind, und dann wollen sie erklären, ob sie bereit sind, die neue Internationale zu gründen und ihr beizutreten. Dieser Weg wird auch der richtigste und der einfachste sein und wird zu dem Ziele führen, das wir alle wünschen. Ich kann ausdrücklich sagen, dass die deutschen Arbeiter nicht gegen die Gründung einer III. Internationale sind, aber was sie wollen, ist, dass diese Internationale von vornherein ausgerüstet ist mit der Stärke und der Kraft, die notwendig ist zur Unterstützung des proletarischen Kampfes in allen Ländern. Dazu ist es unseres Erachtens zuerst notwendig, dass wir vor die Welt treten mit einer Plattform, in der wir klar und scharf zum Ausdruck bringen, was Aufgabe des Proletariats ist, ihr Ziel, ihre Wege zeichnen, dass wir ein Banner schaffen, das vorangetragen werden kann im Kampfe gegen die Bourgeoisie. Dazu ist es notwendig, dass wir uns von Anfang an so klar und so scharf wie möglich ausdrücken. Es geht nicht mehr an, dass es lediglich darauf ankommt, wie früher möglichst viel zusammenzuschwatzen und das möglichst viel Dekorationsstücke in der Internationale figurieren, die doch nur hohle Seifenblasen sind. Wir müssen die zusammenschliessen, die sich voll und ganz zu uns bekennen, und die von uns weisen, die nur Halbe und Schwache sind, auf die kein Verlass ist.
Der Gen. Bucharin und ich haben einige Richtlinien für eine derartige Plattform zusammengestellt, die Ihnen vorgelegt werden. Es wird unsere Aufgabe sein, kurz darauf einzugehen, und Ihre Aufgabe wird es sein zu diesen Richtlinien Stellung zu nehmen und auszusprechen, ob Sie einverstanden sind mit dem, was vorgetragen wird, und ob Sie die Verpflichtung übernehmen, dafür zu sorgen, dass die Beschlüsse zur Tat werden, dass Ihre Organisationen zu diesen Richtlinien stehen und auf Grund derselben das Proletariat selbst entscheidet, ob es bereit sei, sich zu einer III. Internationale zusammenzuschliessen.
Diese Richtlinien gliedern sich zuerst im Vorwort, in dem die Charakterisierung der Bourgeoisie und des Kapitalismus vorgenommen wurde. Es ist geschildert, wie der Kapitalismus mit seinen imperialistischen Tendenzen die einzelnen Staaten zu Raubstaaten gemacht hat, welche Politik der Kapitalismus im Drange nach immer neuen Absatzgebieten, nach Rohstoffquellen, nach immer neuen Kolonialgebieten getrieben hat und wie auf diese Weise durch die kapitalistischen Staaten die ganze Welt unter sie aufgeteilt worden ist. Es ist geschildert, wie diese Aufteilung der Welt durch die Kapitalstaaten vorgenommen wurde und wie trotzdem dann, als die Welt verteilt war, die Tendenzen des Kapitalismus nicht aufgehört haben, der Drang nach Ausdehnung, nach Erweiterung, die Habsucht der kapitalistischen Klassen nicht gestillt war und die einzelnen Staaten dazu kamen, sich gegenseitig an den Kragen zu gehen, wie sie sich gegenseitig ein Absatzgebiet nach dem anderen entreissen wollten. Es ist geschildert, wie die Natur des Kapitals ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern nur aus Habsucht, aus Bedürfnis nach Vermehrung des Profits, nach Vergrösserung des eigenen Besitzes die Völker in Gegensatz, in eine gegenseitige feindliche Stellung gebracht hat. Es ist geschildert, wie der Kapitalismus versuchte, die Arbeiterschaft für sich und seine egoistischen Ziele zu gewinnen, wie er versuchte, die gegensätzliche soziale Struktur in den einzelnen Staaten zu überwinden, um den Arbeiter gebrauchen zu können im Kampfe gegen den Nachbar, zur Füllung der eigenen Taschen, und wie er gebraucht werden sollte, um die Kolonialpolitik in den einzelnen Staaten durchzuführen. Es ist gezeigt, wie es der Kapitalismus und die Bourgeoisie in den einzelnen Ländern verstanden haben, im Geiste der Arbeiterschaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Arbeit und Kapital wachzurufen, wie sie es verstanden haben, den Begriff »Vaterland« in die Hirne und Herzen der Arbeiter zu pflanzen und auf Grund dieses gemeinsamen Gefühls über den Nachbar herzufallen, wie der Burgfrieden zustande kam.
Die imperialistischen Tendenzen des Kapitalismus führten zum Weltkriege, sie führten dazu, dass die einzelnen grossen kapitalistischen Staaten sich gegenseitig aufzufressen beabsichtigten. Der Arbeiter folgte willig den Wünschen und den Interessen der herrschenden Klassen, infolgedessen hat er seine eigenen Interessen mit Füssen getreten und hat sich ganz in das Schlepptau der herrschenden Klassen begeben. Dass es möglich war, dass die grosse Masse der Arbeiter den Tendenzen des Kapitalismus folgte, lag daran, dass unsere Vorgängerin, die II. Internationale, so gründlich wie möglich versagt hat. Noch auf der letzten Konferenz der II. Internationale wurde beschlossen, dass im Falle eines Krieges die Proletarier alle Mittel anwenden sollten, den Krieg zu verhindern. Als der Krieg ausbrach, haben sie alles aufgewandt, um ihn zu fördern, haben die Führer, die auf früheren Konferenzen zusammengekommen waren, mit allen ihren Kräften und ihrem Einfluss die Arbeiter zu überzeugen versucht, dass der Klassenkampf aufgehört habe, dass die Verbrüderung der Arbeiter mit der herrschenden Klasse notwendig sei, haben auf Grund ihres Einflusses das gesamte Proletariat auf die Schlächterbank geführt. Im Verlauf des Krieges, im Verlauf des Burgfriedens hat sich gezeigt, dass die Ziele, die dem Proletariat vorgegaukelt wurden, nicht erreicht werden konnten. Es hat sich gezeigt, dass anstelle einer Besserstellung der Arbeiterschaft durch Beteiligung am Kriege das Gegenteil für sie in Erscheinung trat; anstatt einer Verbesserung der Lebenslage haben wir gesehen, dass, auf Grund dieses Burgfriedens während des Krieges die allgemeine physische Vernichtung des Proletariats in die Wege geleitet wurde, dass die Not, das Elend, die Versklavung des Proletariats Fortschritte gemacht hat, dass die Folge des Burgfriedens nicht die Besserstellung des Proletariats, sondern eine Welthungersnot war, von der das Proletariat befallen wurde. Als diese Erkenntnis nach dem Ende des Krieges immer mehr und mehr unter den Arbeitern Fuss fasste, als die Arbeiterklasse einsah, dass sie die grösste Dummheit begangen hat, als sie Schulter an Schulter mit der Bourgeoisie sich auf die Arbeiterschaft des Nachbarstaates stürzte, als sie sah, dass die Theorie des Burgfriedens Fiasko gemacht hat, da wandelte sich in den verschiedenen Staaten der imperialistische Krieg zum Bürgerkriege. Auf der einen Seite sehen wir in den grössten Staaten die Revolution ausgebrochen, sehen wir, wie in Russland und in den anderen Staaten die Arbeiter die Flinte umgedreht haben, um sie gegen ihre eigentlichen Feinde, die Kapitalisten im eigenen Lande zu richten. Wir haben gesehen, dass die Folge davon die Gärung in den anderen Staaten, die Gärung unter den Kolonialvölkern war, die bisher die Ausgebeutetsten der kapitalistischen Staaten waren, dass sich die Aufstände der Arbeiter in den einzelnen Ländern häufen, dass nach dem Burgfrieden die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit gestiegen sind und dass die Feindschaft der einzelnen Klassen zugenommen hat. Heute wird der Kampf in vielen Staaten nicht mehr nur durch Flugblätter, Broschüren und Versammlungen geführt, sondern bereits mit Maschinengewehren und Gasgranaten. Aus alledem findet die kapitalistische Klasse keinen Ausweg. Sie hat uns auf der Bahn zum Abgrund immer weiter geführt, sie hat die europäischen Kulturstaaten zu einem Trümmerfelde gemacht und sie ist nicht in der Lage, darauf eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, und wir sehen, dass, wenn nicht endlich eine Änderung eintritt, die völlige Vernichtung der europäischen Kultur vorauszusehen ist. Da sehen sich die Arbeiter um nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Fragen wir uns zuerst, ob die herrschende Klasse in der Lage ist, die zertrümmerte Gesellschaft wieder aufzubauen, so müssen wir sagen, sie wird und kann nicht in der Lage sein, das wieder aufzubauen, was zerstört ist. Die kapitalistische Gesellschaft hat sich als unfähig erwiesen, die Herrschaft weiter zu führen, hat sich unfähig gezeigt, das Schicksal der menschlichen Gesellschaft weiter in die Hand zu nehmen, es bleibt kein anderer Ausweg, als dass nunmehr endlich das Proletariat als die weitaus grösste produktive Klasse daran geht, die Macht selbst in die Hand zu nehmen. Schon stehen wir in einigen Staaten so weit, schon haben wir gesehen, dass in Russland der letzte entscheidende Kampf begonnen und ein beträchtliches Stück Wegs glücklich beschritten ist, dass in Deutschland die Bourgeoisie und das Proletariat sich zu dem letzten entscheidenden und erbitterten Kampf rüstet und alle die Machtmittel der herrschenden Klasse, die sie noch aufbringen kann, aufbietet. Die Theorie vom Völkerbunde, die Tatsache der Errichtung der weissen Garden und des weissen Terrors werden und dürfen das Proletariat nicht abhalten, den Kampf aufzunehmen.
Das haben wir in den Richtlinien zum Ausdruck gebracht, um dann die Gegensätze aufzudecken, den Arbeitern die Augen zu öffnen und ihnen zu zeigen, wo wir heute stehen. Dann ist selbstverständlich, dass in unseren Richtlinien gesagt werden muss, auf welchem Wege wir unser Ziel zu erreichen gedenken, dass wir dem Arbeiter begreiflich machen, was er zu tun hat, ihm auseinandersetzen, welchen Weg er gehen muss, um zum Ziele der sozialistischen Revolution, zur Verwirklichung der neuen Gesellschaftsordnung zu gelangen. Das ist natürlich ausserordentlich schwer, weil die Bedingungen zu diesem Kampfe in den verschiedenen Ländern verschieden und auf dem Wege zur sozialistischen Revolution die einen den anderen um ein ganzes Stück Weges voraus sind, und das, was wir Ihnen heute vortragen, für den einen überholt und für die anderen noch zu reif sein wird. Es wird sich zeigen, dass die Staaten, die auf dem Wege zur sozialistischen Revolution am weitesten fortgeschritten sind, uns sagen: Was ihr wollt, das haben wir zum grössten Teil, und die anderen werden uns sagen: Was ihr hier wollt, ist noch lange nicht so weit bei uns, wir können noch lange nicht durchführen, was ihr von uns fordert, wir sind noch nicht so weit mit unserer Entwicklung.
Und doch muss ein Weg gefunden werden, auf dem wir uns zusammenfinden, es muss eine Art mittlere Linie skizziert werden, auf Grund deren wir uns miteinander verbinden können, und es ist wichtig und notwendig, dass die Staaten, die in der Entwicklung voraus sind, die Staaten, die zurückgeblieben sind, tatkräftig unterstützen durch ihre Erfahrung und auch durch die Tat. Es ist notwendig, dass wir uns zusammenfinden, und ich hoffe, dass die etwaigen Bedenken gegen die von uns aufgestellten Richtlinien in der Diskussion erörtert und beseitigt werden können. Was wir fordern, ist, dass nach dem Vorausgesagten das Proletariat daran gehen muss, die politische Macht zu erringen, dass das Proletariat daran gehen muss, die internationale Verständigung und Vereinigung mit der Arbeiterschaft aller anderen Länder herzustellen.
Die Übernahme der politischen Macht durch das Proletariat bedingt die rücksichtslose Bekämpfung der Bourgeoisie und die Vernichtung ihrer politischen Macht. Es kann nicht angehen, wie es die Zentrumsleute denken, die alte politische Macht aufzurichten und erst später an die Verwirklichung des Sozialismus zu gehen. Wir dürfen in dieser Zeit, in der die Macht der Bourgeoisie porös geworden ist, nicht zögern, wir müssen in den einzelnen Staaten mit aller Kraft daran gehen, die politische Macht zu übernehmen und die der Bourgeoisie zu zertrümmern. Das darf aber nicht auf dem Wege geschehen, dass man sich einfach damit begnügt, eine sogenannte Revolution zu machen, ein paar Fürsten und Fürstenknechte zu beseitigen, und dafür ein paar andere Männer hinzusetzen, wie es uns das Beispiel von Deutschland gezeigt hat. Es darf nicht sein, dass man einen Kaiser stürzt und an dessen Stelle einen Ebert setzt, das kann nicht genügen. Es ist notwendig, dass das Proletariat nicht nur in den Regierungen einen Personenwechsel vornimmt, sondern dass es die Aufgabe der Vernichtung des gesamten Staatsapparats in den kapitalistischen Ländern erfüllt, dass nicht die Personen, sondern das System beseitigt wird und an Stelle der kapitalistischen die sozialistische Ordnung tritt. Wir haben in Deutschland in den ersten Tagen der Revolution die Entwaffnung der ganzen Bourgeoisie, insbesondere die des Offizierskorps gefordert. Die Arbeiter müssen die physische Gewalt aus den Händen der Bourgeoisie in die Hände des Proletariats legen, sie müssen die Vertreter der feindlichen Klassen entwaffnen, sie müssen den ganzen Machtapparat des Staates, die Staatsbeamtenschaft, die Richter, die Vertreter des Schulwesens beseitigen und an deren Stelle Männer und Organisationen setzen, die im Interesse und im Sinne und Geiste des Sozialismus die Staatsorganisationen neu aufbauen. Gen. Bucharin wird auf die Einzelheiten näher eingehen.
Die Zertrümmerung des Staatsapparates der Bourgeoisie und der herrschenden Klassen ist die erste Notwendigkeit nach Übernahme der politischen Macht durch das Proletariat und seine Organisationen. Bürgerliche Demokratie oder Diktatur des Proletariats, das ist die Losung. Es gibt keine Möglichkeit, die Durchführung der sozialistischen Ziele gemeinsam mit den herrschenden Klassen zu verwirklichen. Und wenn in all den Staaten, in denen die Revolution gekommen ist, die erste Parole des Bürgertums ist: Ihr habt Revolution gemacht, eure Aufgabe ist es, für die Demokratie einzutreten, so müssen wir sagen: Die Demokratie in diesem Sinne hat das Proletariat nie verlangt. Das Proletariat, soweit es sich zum Sozialismus bekannte, hat immer auf dem Standpunkte des Klassenkampfes gestanden, hat immer den rücksichtslosen Klassenkampf der proletarischen Klassen gegen die Bourgeoisie proklamiert, und an dem Tage, an dem das Proletariat die Macht übernimmt, kann keine Rede davon sein den Klassenkampf aufzugeben. Dann erst recht muss das Proletariat beginnen, auf dem Wege des Klassenkampfes die restlose Niederringung des alten Gesellschaftssystems vorzunehmen. Das kann aber nur geschehen, wenn das Proletariat die bürgerliche Demokratie ablehnt, wenn es ablehnt, Schulter an Schulter mit der Bourgeoisie die neue Gesellschaft aufzubauen, den alten Staatsapparat zu konservieren, wenn das Proletariat, ohne Rücksicht auf das Geheul der Bourgeoisie, den Kampf fortsetzt und die Diktatur des Proletariats proklamiert, und dazu gehört, dass an Stelle des alten Staatsapparats jenes neue System der proletarischen Massenorganisationen, das Rätesystem, gestellt wird, und es muss den hier versammelten Delegierten mit zu den Hauptfragen, die sie an das Proletariat stellen müssen, die Frage gehören: Bekennt ihr euch zur bürgerlichen Demokratie oder steht ihr auf dem Standpunkt der Diktatur des Proletariats, also des Rätesystems? Wir können die III. Internationale unmöglich mit Leuten zusammen gründen, die nach wie vor sich zur bürgerlichen Demokratie bekennen und ablehnen, sich mit uns in der Forderung des Rätesystems zu vereinigen. Wir können uns also auch nicht mit jenem linken Flügel der alten Internationale vereinigen, der zuerst mit Begeisterung für die bürgerliche Demokratie eingetreten ist und dadurch die Entwicklung des Rätesystems abgewürgt hat. Wir können mit diesen Leuten nicht zusammengehen, die sich an die Rockschösse der Bourgeoisie gehängt haben, die in der Erhaltung der Bourgeoisie eine notwendige Vorbedingung für die künftige Entwicklung sehen, die dadurch das Rätesystem an die Wand gedrückt haben und dem Bürgertum die alte Macht wieder in die Hände spielen. Heute erklären sie mit weinender Stimme, sie seien auch für das Rätesystem, und sie suchen eine Kombination zwischen bürgerlicher Demokratie und proletarischer Diktatur zu finden, eine Verbindung zwischen Parlament und Rätesystem. Mit solchen Halben und Schwachen können und dürfen wir uns nicht vereinigen, sie werden für uns nicht eine Verstärkung der proletarischen Kampflinie sein, sondern im Gegenteil ein Hemmschuh, der uns hindert, auf dem Wege des proletarischen Klassenkampfes fortzuschreiten. Es wird eine der Hauptaufgaben sein, in den einzelnen Ländern dafür zu sorgen, dass diese Elemente abgestossen werden, und dass die Kommunisten überall daran gehen, sich auf eigene Füsse zu stellen, sich zu Diktatur und Rätesystem bekennen und nur die Arbeiter um sich scharen, die sich mit Entschiedenheit zur Diktatur des Proletariats, zum Klassenkampf bekennen, dass die Arbeiter in den einzelnen Ländern daran gehen, die bisherigen Organisationsformen zu zertrümmern, und sich eigene Massenorganisationen schaffen. Bürgerliche Demokratie ist dazu angetan, das Proletariat wieder seiner Macht zu entkleiden, sie ist von den Massen zu bekämpfen. Aufgabe der Massen wird sein, die Macht in den eigenen Händen zu halten und durch das Rätesystem die Selbstverwaltung durchzuführen. Auch hier wird Gen. Bucharin auf die Einzelheiten eingehen.
Aber wenn wir das Proletariat in den Kampf für die Diktatur führen wollen, dann werden wir den Arbeitern sagen müssen, welche Aufgaben mit der Übernahme der Macht verbunden sind. Ich meine die Notwendigkeit, dass neben der politischen Diktatur auch die wirtschaftliche Diktatur durchgeführt wird, dass das Proletariat unverzüglich daran gehen muss, die Enteignung der Bourgeoisie vorzunehmen, die Sozialisierung der Produktion durchzuführen. Ich sagte schon vorhin, es ist unmöglich, das Wirtschaftsleben in den einzelnen Staaten wieder in Ordnung zu bringen. Die Arbeiter haben teilweise während des Krieges ihren Lohn beträchtlich erhöht, die Unternehmer in den Grossbetrieben wollen nicht mehr produzieren, weil nach ihrer Auffassung durch die erfolgreichen Lohnkämpfe der Betrieb unrentabel für sie geworden ist. Auf der anderen Seite nimmt die Unlust zur Arbeit immer mehr zu, es besteht keine Lust für den Geldbeutel der Kapitalisten zu arbeiten, die Arbeiter wollen, dass die Produktionsweise umgestaltet wird, damit sie auch den Nutzen von ihrer eigenen Arbeit haben. Es ist also notwendig, dass das Proletariat dort, wo es die Macht übernommen hat, an die Enteignung der Grosskapitalisten und Junker geht, um die Sozialisierung in die Wege zu leiten, um zuerst der Bourgeoisie das Rückgrat zu brechen, damit es dieser nicht mehr möglich ist, an Rückschläge zu denken, sich wieder aufzurichten. Gerade das ist nötig im Gegensatz zu den Kautskyanern, die die Verschiebung des Sozialismus auf einen späteren Zeitpunkt wollen, um die alte Produktionsweise wieder aufzurichten, bis die Schäden des Krieges geheilt sind.
Wir müssen dem Arbeiter ferner sagen, wie die Sozialisierung vor sich gehen soll, wir müssen ihm zeigen, dass – wie er es sich in seinem Geiste oftmals vorstellt – von einer allgemeinen Teilung nicht die Rede sein kann. Wir müssen vermeiden, dass, wie es z. B. in Deutschland in einigen Gegenden geschehen ist, der Arbeiter glaubt, dass die Sozialisierung durchgeführt ist, wenn er die Kapitalisten hinausgeworfen und die vorhandenen Rohstoffe aufgeteilt hat. Wir müssen ihm sagen, dass diese Methoden falsch sind, dass der Arbeiter nicht für sich sozialisieren darf, sondern dass die Sozialisierung im Interesse der Gesamtheit durchgeführt werden muss. Wir müssen dafür sorgen, dass der Besitz den Kapitalisten beschnitten, ihnen abgenommen wird, dass die Staatsschulden, die Kriegsanleihen annulliert werden, die Hausbesitzer ihrer Häuser enteignet und diese den Arbeitern übergeben werden. Auf diesem Gebiet können wir gewaltige Lehren aus Russland mitnehmen, denn wir sehen, wie die Grosskapitalisten aus ihren Palästen hinausgejagt und die eigentlichen Eigentümer, die Arbeiter hineingesetzt worden sind, dass nur die ein Recht haben, anständig zu leben, die an der Erhaltung der Gesellschaft arbeiten.
Dann werden wir dem Arbeiter auch zeigen können und müssen, auf welchem Wege wir alle diese Ziele, die wir hier aufstellen, erreichen können, wir werden ihm den Weg zum Siege zeigen, ihm sagen, dass das Proletariat den Kampf in der Hauptsache durch Massenaktionen führen muss. Es geht nicht mehr an, dass wir nur durch schöne Reden der Bourgeoisie auf den Leib rücken, oder dass die Arbeiter zusammen mit all den Halben und Schwachen den Kampf führen. Die Trennung von den Agenten des Kapitals ist die erste Forderung, die hier aufgestellt werden muss. Es geht nicht an, dass das Proletariat sich länger irreführen, sich weiter im Schlepptau der gelben Internationale führen lässt.
All das sind Gründe, die ausschlaggebend sein können, die Gründung der III. Internationale vorzubereiten, Gründe, die hier auszusprechen notwendig sind. Es gibt in Zukunft keine Gemeinschaft mehr mit den Vertretern der gelben Internationale von Bern. Wir müssen in Zukunft nicht nur dem Bürgertum den Kampf auf Leben und Tod ansagen, sondern wir müssen auch den Kampf aufnehmen gegen die Verräter des Proletariats, gegen die Scheidemänner in allen Ländern und gegen die Schwachen und Feigen in allen Ländern. Dann können wir mit vollem Recht sagen, dass wir die historische Mission erfüllen, die der dritten, der Kommunistischen Internationale gestellt ist.
Gen. Bucharin (Russland). Genossen! Meine Aufgabe besteht darin, die von uns vorgelegten Richtlinien zu analysieren. Der allgemeine Charakter dieser Richtlinien muss notwendigerweise etwas abstrakt sein. Das ist deswegen, weil wir hier nur solche Sätze aufstellen können, die nicht nur in einem einzelnen Lande, sondern in all den Ländern, die in der III. Internationale vertreten sein werden, Geltung haben müssen. Andererseits muss aber in diesen Richtlinien die ganze Erfahrung der Länder, in denen sich die Bewegung schon entwickelt hat, enthalten sein, insbesondere die grosse Erfahrung der russischen kommunistischen Arbeiterrevolution. Ich setze voraus, dass die Genossen schon mit dem Texte dieser Richtlinien bekannt sind. Zuerst kommt die theoretische Einleitung. In dieser ist die Charakteristik der ganzen Epoche unter einem ganz besonderen Gesichtspunkte gegeben, nämlich unter dem Gesichtspunkte des Zusammenbruchs des kapitalistischen Systems. Wenn früher solche Einleitungen geschrieben wurden, so gab man einfach eine allgemeine Beschreibung des kapitalistischen Systems. In der letzten Zeit ist dies, meines Erachtens, schon nicht mehr genügend. Wir müssen hier nicht nur die allgemeine Charakteristik des kapitalistischen und imperialistischen Systems geben, sondern auch den Prozess der Auflösung und des Zusammenbruchs dieses Systems schildern. Das ist ein Gesichtspunkt. Der andere ist der, dass wir das kapitalistische System nicht nur in seiner abstrakten Form, sondern praktisch als den Weltkapitalismus betrachten müssen, und diesen müssen wir als ein Ganzes, ein wirtschaftliches Ganzes ansehen. Wenn wir nun dieses weltwirtschaftliche kapitalistische System unter dem Gesichtspunkte seines Zusammenbruchs betrachten, müssen wir die Frage stellen: Wie war dieser Zusammenbruch möglich? Und da gilt es nun, die Widersprüche des kapitalistischen Systems in erster Linie zu analysieren.
Die zwei wichtigen Widersprüche des Kapitalismus bestehen erstens in der Anarchie der Produktion, zweitens in der Anarchie seiner sozialen Struktur. Zuerst haben wir die rein ökonomischen Widersprüche, sodann die sozialen Widersprüche, und zwar betrachten wir sie nicht in allgemeiner Form, sondern in der Form, in der sie in unserer Zeit zum Ausdruck kommen. Hier schildern wir im ersten Teil der Einleitung, dass der ökonomische Widerspruch des kapitalistischen. Systems in seiner anarchischen Natur liegt. Teilweise wurde seitens des Kapitals überall ein Prozess der kapitalistischen Organisation entwickelt. Wie bekannt, ist die frühere Form des Kapitals, des zerstreuten, unorganisierten Kapitals fast verschwunden. Dieser Prozess hatte schon vor dem Kriege begonnen und verstärkte sich in dessen Verlauf. Dieser Krieg hat eine sehr grosse organisatorische Rolle gespielt. Unter seinem Druck verwandelte sich die Form des Finanzkapitalismus in eine noch höhere Form, in die Form des Staatskapitalismus, und ebenso wurde der frühere unorganisierte Kapitalismus in den einzelnen Ländern durch seine organisierte Form, den Staatskapitalismus, ersetzt. Verschiedene bürgerliche Gelehrte behaupten, dass die anarchische Natur des Kapitalismus, von der die Marxisten schreiben, ein Bluff sei und alle die Konsequenzen, die von den Marxisten aus der Annahme der kapitalistischen Anarchie gezogen würden, ebenso Bluff wären. Aber diese guten bürgerlichen Gelehrten bemerken nicht die andere Seite derselben Entwicklung: in dem Masse, in dem die ökonomischen Widersprüche allmählich verschwinden und der in einzelnen Ländern zerstreute Kapitalismus sich in einen organisierten verwandelte, brachte derselbe Entwicklungsprozess der Produktivkräfte des Weltsystems die ungemeine Verschärfung der Anarchie in der Weltwirtschaft mit sich. Es ist ein allgemeines Gesetz der kapitalistischen Entwicklung, dass die Konkurrenz der Ausdruck der Anarchie im kapitalistischen System ist. Diese Konkurrenz wurde in immer grösserem Massstabe reproduziert. Die bürgerlichen Gelehrten haben es nicht bemerkt, dass in unserer Zeit die anarchische Natur des Kapitalismus in riesengrossem Umfang in Erscheinung tritt, und zwar im Rahmen der ganzen kapitalistischen Weltwirtschaft: seine innere widerspruchsvolle Natur hat zu deren vollständigem Zusammenbruch geführt. Das ist eine Seite der Frage.
Ebenso liegt die Frage der sozialen Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft. Auch sie wollte der Kapitalismus überwinden. Mit welchen Mitteln? Gerade mit den Mitteln der imperialistischen Politik, so paradox das auch klingt. Der Kapitalismus der entwickeltsten Länder versuchte dies vermittelst der Beraubung anderer Länder, und der Häufung von Extraprofiten auf Kosten der beraubten Kolonialvölker. Das Kapital wollte ein Teilchen von diesem Extraprofit dem kontinentalen Arbeiter geben und damit einen permanenten Burgfrieden schaffen. Wir wissen nun alle, wie auf Kosten der Ausraubung der Kolonialvölker der Patriotismus der Arbeiter geschaffen wurde, besonders der der qualifizierten Schichten der Arbeiterschaft, die den grössten Anteil an diesem Extraprofit erhielten. Aber da gerade die Methode der Schaffung des Burgfriedens die imperialistische Methode war, so wohnte auch ihr ein Widerspruch inne. Diese Methode, die den Burgfrieden wirklich hervorrief, führte unvermeidlich zu dem gewaltigen Zusammenstoss der kapitalistischen Kräfte in den Raubländern. Darüber hinaus hat dieses Mittel, mit dem der Kapitalismus seine innere widerspruchsvolle soziale Struktur zu überwinden versuchte, tatsächlich zu einer ungeahnt wachsenden Verschärfung der sozialen Gegensätze und damit zum Ausbruch des Bürgerkrieges, zur gewaltigen Explosion, zum riesigen Zusammenbruch der einzelnen Länder in sich geführt. Das schildern wir in der theoretischen Einleitung.
Wir haben es für notwendig gehalten, in dieser Einleitung auch den letzten Versuch des Bürgertums zur Überwindung dieser Widersprüche, den Völkerbund, zu analysieren. Es ist die letzte Anstrengung des Weltkapitals, um die ihm innewohnenden Widersprüche zu beseitigen. Aber bei der Anwendung dieses Mittels ist die Situation so, dass in den Händen des Kapitalismus keine Kraft mehr vorhanden ist, die stark genug wäre, den Prozess der sozialen Gärung und der kommunistischen Revolution zu verhindern. Das ist der theoretische Hintergrund unseres ganzen Programms, unseres Richtlinienentwurfs.
Jetzt, Genossen, möchte ich flüchtig einzelne Punkte unserer Richtlinien erörtern. Der erste Punkt betrifft die Frage der Eroberung der politischen Macht. Hier mussten wir ganz offen sagen, dass wir zur alten marxistischen Lehre zurückkehren. Wie bekannt, steht die alte Sozialdemokratie, die sich als marxistisch bezeichnet, fast überall auf dem Boden der kastrierten marxistischen Lehre. Marx’s Lehre vom Staat betrachtet diesen als einen Unterdrückungsapparat. In der kommunistischen Gesellschaft ist überhaupt keine Staatsmacht vorhanden, denn in ihr gibt es keine Klassen, folglich auch keine Klassenorganisationen. Hier sagen wir, dass nach der Eroberung der politischen Macht seitens des Proletariats und nach der vollständigen Vernichtung der Bourgeoisie als Klasse, die gegen das Proletariat kämpft, – auch der Staat selbst mit den Klassen und allen Klassenorganisationen »absterben« wird. Wir haben hier dieses Wort gebraucht, das Marx und Engels oft für diesen Vorgang angewandt haben. Dabei, werte Genossen, mussten wir ziemlich ausführlich die Frage der Eroberung der politischen Macht berühren. Die alte sozialdemokratische Partei hat absolut keine Vorstellung davon, was die Eroberung der politischen Macht eigentlich heisst. Man stellte sich die politische Macht als irgend ein neutrales Objekt vor. Diese Vorstellung von der Staatsmacht ist total unrichtig. Es gibt keine abstrakte Staatsmacht, sondern nur eine konkrete. Wenn die Bourgeoisie am Ruder des Staatsapparats steht, so ist der Staat eine bürgerliche Organisation, und wenn das Proletariat die Staatsmacht erobert, so erobert es nicht diese Staatsmacht, sondern es organisiert seine eigene Staatsmacht, und in diesem Prozess muss es notwendigerweise die alten staatlichen Organisationen zerstören. Besonders klar ist dies jetzt nach den Erfahrungen der russischen und deutschen Revolution. Nehmen wir die beste Stütze des alten Staates – die Armee. Kann man sich die Sache so vorstellen, dass das Proletariat die Staatsmacht erobert, ohne die imperialistische Armee zu desorganisieren? Natürlich nicht. Die Eroberung der staatlichen Macht ist mit der Desorganisation der imperialistischen Armee verbunden. Dasselbe lässt sich überhaupt von dem ganzen Apparat sagen. Indem das Proletariat sich die Staatsmacht erobert, indem es die politische Macht in seine Hände nimmt, zerstört es den bürgerlichen Staatsapparat. Diese Wahrheit ist eine revolutionäre Wahrheit, und sie war gerade Marx und Engels, den Begründern der kommunistischen Lehre, gut bekannt. Erst in der späteren Periode der friedlichen Entwicklung wurde dieser Grundgedanke vollständig vergessen. Jetzt kehren wir zu dieser alten erprobten Marx’schen Lehre zurück, indem wir sagen: erstens – in der kommunistischen Gesellschaft kann überhaupt kein Staat existieren, und zweitens – die Eroberung der politischen Macht seitens des Proletariats muss notwendigerweise die Zerstörung der alten staatlichen Organisationen mit sich führen. Soviel über die Eroberung der politischen Macht.
Es folgt dann der Punkt: Bürgerliche Demokratie oder Diktatur des Proletariats. Ich werde diesen Punkt nicht besonders ausführlich behandeln, nicht weil er nicht wichtig wäre, sondern weil wir in der Tagesordnung eine spezielle Aussprache darüber haben werden und Genosse Lenin über diesen Punkt referieren wird. Ich werde nur einige Grundgedanken der Richtlinien erörtern.
Zuerst noch einiges über den Aufbau der Richtlinien. Die Sätze sind hier antithetisch konstruiert. Wenn wir die Frage der bürgerlichen Demokratie oder der Diktatur des Proletariats betrachten, so ist als das wichtigste dabei zu erwähnen, dass die bürgerliche Demokratie erstens in der Wirklichkeit nichts anderes als Diktatur der Bourgeoisie bedeutet, und zweitens, dass sie sich vollständig auf eine Fiktion stützt, nämlich auf die Fiktion des sogenannten »Volkswillens«. Dieser Fetisch, dieser falsche Begriff von dem »Volkswillen«, ist ein Schlagwort für alle Parteien. Nehmen wir irgend ein Flugblatt der alten sozialdemokratischen Partei und sie werden in unzähligen Phrasen diese sakramentalen Worte vom »Volkswillen« finden. Aber in Wirklichkeit ist dieser Volkswille ein Unsinn. Die kapitalistische Gesellschaft ist keineswegs irgend ein geschlossenes Ganzes. Es gibt in der kapitalistischen Gesellschaft nämlich nicht eine, sondern zwei Gesellschaften. Zu dem Willen der ausgebeuteten Minderheit steht der Wille der ausgebeuteten Mehrheit im stärksten Gegensatz, und deshalb kann kein einheitlicher »Volkswille« existieren, der alle Klassen umfasst. Man kann nicht sagen, es könnte doch eine Resultante des Willens verschiedener Klassen geben; in Wirklichkeit ist eine solche Resultante unmöglich, da eine Klasse der anderen ihren Willen mit verschiedenen Mitteln der rohen Gewalt oder des ideologischen Betrugs aufzwingen will, in der Tat dominiert nur ein Wille, und es ist kein Zufall, dass gerade bei der bürgerlichen Demokratie diese Fiktion des Volkswillens besonders in den Vordergrund gestellt wird. Gerade in der bürgerlichen Demokratie ist es klar, dass nur der Wille der Bourgeoisie sich verwirklicht und nicht der Wille des Proletariats, der unter der bürgerlichen Demokratie vielmehr vollständig unterdrückt ist.
Der zweite Grundgedanke der Richtlinien ist die Antithese zwischen der formellen Freiheit in der bürgerlichen Demokratie und der materiellen Verwirklichung der Freiheit durch die proletarische Diktatur. Die erstere verkündet verschiedene Freiheiten für das ganze Volk, also auch für die werktätigen Klassen, aber solange sich die materielle Basis in den Händen der kapitalistischen Klasse konzentriert hat, solange sind diese Freiheiten für die Arbeiterschaft nicht realisierbar. Die Situation ist ähnlich wie bei der Pressfreiheit in den Vereinigten Staaten: die amerikanische Zensur verbot die proletarischen Zeitungen nicht, aber sie weigerte sich, sie durch die Post zu verbreiten. In der Tat war also das formelle Bestehen dieser Pressfreiheit für das Proletariat bedeutungslos. Ebenso ist es mit allen Freiheiten unter der bürgerlichen Demokratie. Da die Bourgeoisie die Häuser, das Papier, die Druckereien, kurz alles in ihrem Besitz hat, so kann das Proletariat formell über verschiedene Freiheiten verfügen, ist aber ausserstande, sie zu realisieren. Umgekehrt ist es bei der proletarischen Diktatur. Da ist kein grosses Gerede über verschiedene Freiheiten. Wir garantieren die Realisation dieser Freiheiten damit, dass wir die materielle Basis der kapitalistischen Gesellschaft, das Eigentum, die materiellen Mittel der Bourgeoisie wegnehmen, um sie den Arbeitern, den armen Bauern, d. h. dem wirklichen Volk, zu übergeben.
Drittens enthalten unsere Richtlinien noch die Antithese zwischen der bürgerlichen und proletarischen Diktatur, soweit es sich um die Anteilnahme an der Staatsmacht handelt. Obwohl hier bei der bürgerlichen Demokratie sehr viel darüber geredet wird, dass das Volk selbst regiert (das Wort »Demokratie« bedeutet ja »Selbstregierung des Volkes«), bleibt in der bürgerlichen Demokratie das eigentliche Volk, in erster Linie das Proletariat, vollständig von dem Staatsapparat isoliert In den bürgerlich-demokratischen Republiken der Schweiz oder der Vereinigten Staaten besteht die »Anteilnahme« des Proletariats an der staatlichen Verwaltung nur darin, dass einmal in vier Jahren der Proletarier ein Papierchen in die Wahlurne wirft und damit seine bürgerliche »Pflicht« erledigt. Die ganze Arbeit wird auf einen Deputierten, sehr oft einen bürgerlichen, übertragen und der Arbeiter hat überhaupt gar keinen Begriff, wie diese Deputierten eigentlich »arbeiten«. Er ist vollständig von dem Staatsapparat ausgeschlossen. Anders liegen die Dinge bei der proletarischen Diktatur. Da ist die Lage so, dass das Proletariat nicht nur an den Wahlen teilnimmt, es ist vielmehr das tätige Mitglied des ganzen Staatsapparats, dieses grossen Mechanismus, der über dem Lande steht und das Land in seinen Händen hat. Alle Massenorganisationen des Proletariats verwandeln sich hier in grosse Hilfsorgane der proletarischen Staatsmacht, und damit ist die stetige Anteilnahme an der Staatsverwaltung gegeben.
Jetzt, Genossen, folgt der Punkt über die Enteignung der Bourgeoisie, die ökonomische Seite der Diktatur des Proletariats. Diese Seite der proletarischen Diktatur ist ebenso wichtig wie die Eroberung der politischen Macht. Die politische Diktatur, die Diktatur des Proletariats ist für uns bloss ein Mittel, um die ökonomische Umwälzung zu vollziehen. Die Verwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die kommunistische geschieht auf dem Boden der Veränderung der ökonomischen Struktur der modernen Gesellschaft, und die Veränderung der Produktionsverhältnisse ist der Hauptzweck der proletarischen Diktatur. Hier müssen wir zuerst mit unseren politischen Gegnern polemisieren. Wir wissen jetzt, dass gegen uns eingewandt wird, nach dem Kriege sei eine so grosse Erschöpfung eingetreten, dass es lächerlich wäre, irgendwelche sozialistischen Massnahmen zu ergreifen. Die Scheidemänner unsere Menschewiki, Kautsky, die mit dem Sozialismus kokettieren, behaupten natürlich, an und für sich sei der Sozialismus ein sehr gutes Ding, aber bei dem jetzigen Tiefstand der Produktivkräfte nach dem Zerstörungsprozess, der Verelendung der Arbeiterklasse und der ganzen Gesellschaft sei es lächerlich, zum Sozialismus zu schreiten. Kautsky hat sogar gesagt: das jetzige Deutschland zu sozialisieren, hiesse das ganze Land in ein Tollhaus verwandeln. Dagegen behaupten wir in unseren Richtlinien – bei dem jetzigen Zustand der Klassenverhältnisse und der Produktivkräfte ist es nicht nur verfehlt sondern utopisch, zu meinen, dass die Wiederherstellung des Kapitalismus überhaupt möglich sei. Das ganze kapitalistische System kracht jetzt in allen seinen Fugen. Nehmen wir die ökonomische Seite: es ist wahr, dass alles zerstört ist, aber man kann das Zerstörte nicht auf der alten Basis zusammenkleben. Betrachten wir das Verhältnis zwischen Arbeiter und Kapitalisten. Die frühere kapitalistische Gesellschaft hatte ein besonderes Verhältnis zwischen dem »Arbeitgeber« und dem Arbeitenden zur Voraussetzung. Dieses System beruhte auf einem permanenten Burgfrieden, der nicht nur politischen, sondern einen viel allgemeineren Sinn hat. In jeder Fabrik muss dieser Burgfrieden bestehen, damit die kapitalistische Produktion überhaupt vor sich gehen kann. Sind aber diese Fäden zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter einmal abgeschnitten, so können sie auf der früheren Basis nicht wieder organisch verknüpft werden. Da die Lohnbewegung der Arbeiter nicht Halt machen kann, wird sie vorwärts gehen. Dadurch aber werden die verschiedenen Produktionsbranchen für die kapitalistische Klasse unrentabel, das heisst, unter gegebenen Umständen werden die Kapitalisten Sabotage treiben, ihre Betriebe einstellen, wie das in Russland geschah! Nirgendwo haben wir eine Möglichkeit der Weiterentwicklung der kapitalistischen Verhältnisse. Nur einem Utopisten kann es einfallen, sie zu fordern. Die Kautskyaner erwiesen sich schon als Utopisten durch die Art, wie sie die Frage des Imperialismus, der weiteren Kämpfe des Proletariats beantworteten. Jetzt sind sie es, welche die Wiederherstellung der kapitalistischen Verhältnisse erstreben. Es sind nur zwei Auswege möglich: entweder die vollständige Vernichtung des ganzen ökonomischen Lebens oder die sozialistische Produktion. Die kapitalistischen Verhältnisse wiederherstellen, hiesse nur, die Agonie der alten Gesellschaft ausdehnen, den Prozess der Auflösung und Anarchie immer mehr und mehr verlängern und damit auch die Möglichkeit der Wiederherstellung des ökonomischen Lebens auf der neuen Grundlage stören.
Damit ist eine weitere Frage verbunden. Nicht nur die russischen Sozialisten, sondern auch die deutschen Sozialisten vom Schlage Kautsky behaupten, dass wir hier eine ganz besondere Art von Kommunismus treiben, dass wir anstatt des produktiven eine ganz besondere Art von Lumpenkommunismus praktizieren, einen Verteilungskommunismus, der mit den wirklichen Aufgaben der Arbeiterklasse nichts gemein habe. Dagegen müssen wir erwidern, dass diese Sozialisten die Grundlage der Lehre Marxens vergessen. Nach Marx besteht die wichtigste Produktivkraft der kapitalistischen Gesellschaft in ihrer Arbeitskraft. Vom rein ökonomischen Standpunkt aus ist das Proletariat diese wichtigste produktive Kraft der ganzen Gesellschaft. Jetzt, nach der riesigen Zerstörung durch den Krieg, besteht die Aufgabe eines jeden, der überhaupt den Fortschritt der Gesellschaft anstrebt, darin, diese wichtigste produktive Kraft, die Arbeiterschaft, in ihrem Bestande zu erhalten. Alle Lasten des Krieges, der ganze Zerstörungsprozess, der mit dem Kriege verbunden war, drücken aber besonders die Arbeiterschaft, so dass diese produktive Kraft zu verschwinden droht. Einer der bürgerlichen Ökonomen hat hierzu richtig bemerkt, dass selbst, wenn alle materiellen Mittel zerstört sind, diese Arbeitskraft aber noch da ist, dass immer noch die Hoffnung, die Gewissheit besteht, dass durch eben diese Arbeitskraft materieller Reichtum wieder produziert wird. Verschwindet aber auch diese, wird das Proletariat selbst vernichtet, so verschwindet damit die letzte Hoffnung auf die Möglichkeit des Weiterbestehens der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Deshalb ist es jedem vernünftigen Menschen klar, dass alle Bestrebungen darauf hinzielen müssen, diese Kraft zu erhalten. Und der sogenannte Konsumkommunismus, den wir praktizieren, der »Verteilungskommunismus, d. h. die Übergabe dessen, was früher in den Händen der Kapitalisten war, in die Hände des Proletariats, ist das einzige Mittel, um die Arbeiter von vollständiger Vernichtung zu retten, er schafft buchstäblich die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung der Produktivkräfte und des produktiven Kommunismus.
Damit nähern wir uns der Frage auf einem neuen Wege, der uns letzten Endes auch nur zur Entwicklung der produktiven Kräfte der Gesellschaft führt. Diesen Gedanken haben wir nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch beleuchtet.
Was die konkreten Massnahmen betrifft, so sind sie allen Genossen bekannt. Sie waren fast alle schon in dem radikalen Programm, in dem der holländischen Tribunisten während des Krieges, in der Broschüre »Was will der Spartakusbund« und in den Schriften, die von der Kommunistischen Partei herausgegeben wurden, enthalten. Ich will dabei bemerken, dass wir hier einige Punkte unterstrichen haben, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Zuerst den Punkt der verschiedenen staatskapitalistischen Apparate in den entwickeltsten Ländern. Man sagt, wir müssten die Banken expropriieren, die Grossbetriebe, die Syndikate sozialisieren usw., aber man vergisst dabei, dass auch der Staatskapitalismus selbst neue Apparate geschaffen hat, Apparate, die wir für unsere Zwecke ausnützen können. Ich meine die verschiedenen Munizipalisierungs- und Verteilungsapparate sowie die staatskapitalistischen Einrichtungen, die während des Krieges in grosser Zahl, besonders in Deutschland, aber auch in England, Amerika und Frankreich entstanden sind. Da gerade diese Apparate mit dem Staate eng verbunden waren, so ist es zwar sehr schwer, sie während der Revolution aufrecht zu erhalten, jedoch können wir einige ihrer materiellen Elemente für unsere Zwecke ausnutzen. Deshalb betonten wir gerade diesen Punkt.
Ferner haben wir speziell die Punkte über das Kleinbürgertum und das Kleinbauerntum berührt. Hier kann man die Frage nur allgemein stellen, denn die Agrarverhältnisse sind in den einzelnen Ländern so verschieden, dass es überhaupt unmöglich ist, etwas Konkretes hierüber auszuarbeiten. Aber eine Richtlinie haben wir auch hier gegeben: erstens – das Kleinbürgertum und das Kleinbauerntum werden von dem Proletariat keineswegs enteignet werden; zweitens – diese Klassen werden in langsamem Prozess auf friedlichem Wege in die allgemeine sozialistische Organisation hineingezogen werden, und drittens – das Proletariat wird gegen diese Klassen nicht kämpfen, sondern sogar etwas Positives für sie leisten, indem es sie von dem Druck des Wucherkapitals, der Steuerlasten und Staatsschulden befreit. Diese letzte finanzielle Frage, die auch mit der Frage der Annullierung der Staatsschulden eng verbunden ist, ist sehr wichtig.
Wenn wir für Russen schreiben würden, so hätten wir die Rolle der Gewerkschaften in dem revolutionären Umwandlungsprozess behandelt. Aber nach der Erfahrung der deutschen Kommunisten ist dies unmöglich, denn die dortigen Genossen erzählen uns, dass die Stellung der dortigen Gewerkschaften der unseren völlig entgegengesetzt ist. Bei uns spielen die Gewerkschaften im Prozess der positiven Arbeit die Hauptrolle; die Sowjetmacht stützt sich gerade auf sie, in Deutschland ist es umgekehrt. Dies scheint dadurch hervorgerufen zu sein, dass die deutschen Gewerkschaften in den Händen der Gelben, der Legien & Co. waren. Sie waren gegen das Interesse des deutschen Proletariats gerichtet und sind es auch jetzt noch, und das Proletariat liquidiert bereits diese alten Gewerkschaften. An ihrer Stelle sind in Deutschland neue Organisationsformen entstanden, die Betriebsräte, die die Betriebe zu übernehmen versuchen. Die Gewerkschaften spielen keine positive Rolle mehr. Wir können hier keine konkreten Richtlinien ausarbeiten und haben daher allgemein gesagt, dass für die Verwaltung der Betriebe Organe geschaffen werden müssen, auf die sich das Proletariat in dieser Frage stützt, Organisationen, die mit der Produktion aufs engste verwachsen und verbunden sind. Wenn also z. B. in England die Shop-Stewardskomitees, oder irgend welche anderen Organisationen, die dem Produktionsprozess nahestehen, vorhanden sind, werden sie – wie bei uns die Gewerkschaften, wie in Deutschland die Betriebsräte – das Rückgrat der Verwaltung in der sozialistischen Gesellschaft bilden.
Nun haben wir noch zwei Fragen zu behandeln. Die erste Frage betrifft die Genossenschaften, die zweite die Techniker und Fachleute. Die der Genossenschaften ist, wie die russische Revolution uns gezeigt hat, sehr wichtig. Was die Organisationen des Verteilungsapparates betrifft, so behaupten wir, dass wir hier in Russland fast nichts ohne diese Genossenschaften tun können. Wir müssen daher mit ihnen rechnen und sie voll und ganz für unsere Zwecke ausnutzen. Wir haben in der Unterredung mit dem Gen. Albert kein einziges Argument gefunden, dass diese russische Erfahrung widerlegen könnte. Auch in bezug auf die anderen Länder haben wir diese russische Erfahrung in unsere Richtlinien aufgenommen. Die Frage der Techniker und Fachleute spielt jetzt, wie Sie wissen, in Russland eine ziemlich grosse Rolle. Alle diese Leute wollen jetzt mit uns arbeiten. Wir wissen sehr gut, dass unter ihnen Gegner sind, aber da sie die Akkumulatoren der praktischen Erfahrungen des früheren Systems sind, können wir in der technischen Wirtschaft ohne diese Leute nicht auskommen. In Deutschland, in England und noch mehr in Amerika wird die erste Phase des Kampfes gegen diese Kräfte viel schärfer werden als bei uns. Wir haben dieses Stadium jetzt schon hinter uns. Die zwei Grundgedanken dieses Paragraphen sind: erstens – solange diese Schichten offenen oder versteckten Kampf gegen uns führen, müssen auch wir sie dementsprechend behandeln; zweitens – wenn aber der Widerstand dieser Schichten und der ganzen Bourgeoisie gebrochen ist, dann besteht für uns die Notwendigkeit, diese technischen Kräfte in grossem Masse auszunutzen und sie allmählich zu assimilieren.
Der Titel der Schlussabteilung ist: »Der Weg zum Sieg«. Wir haben hier auf die Möglichkeit hingewiesen, den bürgerlichen Parlamentarismus revolutionär auszunutzen. Wir haben diese Möglichkeit in unsere Richtlinien aufgenommen, weil es theoretisch unrichtig wäre, wenn wir sagen würden, es sei für uns prinzipiell unmöglich, in irgend ein Parlament einzutreten. Die Frage der Boykottierung des bürgerlich-demokratischen Parlaments ist eine rein taktische und wird ausschliesslich durch die gegebene Situation bestimmt, d. h. durch die Klassenverhältnisse, durch die Kraft des Proletariats und seine Reife und Bereitschaft zum erfolgreichen endgültigen Kampfe. Eins ist noch zu sagen: wir sind für den bewaffneten Aufstand als die höchste Form des revolutionären Massenkampfes; aber der konkrete Termin dieses Aufstandes, der Zeitpunkt des endgültigen Zusammenstosses wird durch die gegebene Situation und die Klassenverhältnisse bestimmt. Wir haben gesagt, dass wir die geschichtliche Entwicklung nicht forcieren dürfen, sondern zuerst unsere Kräfte organisieren und sogar die bürgerlichen, parlamentarischen Organisationen ausnützen müssen, um dann, schon organisiert, mit aller Kraft in den letzten Kampf zu gehen.
Was die Opportunisten und die Kautskyaner betrifft, so brauchen wir nichts Besonderes hinzuzufügen.
Als Schlusssatz haben wir in unsere Richtlinien den Gedanken aufgenommen, dass das internationale Proletariat sich nicht in der Offensive, sondern in der Defensive befindet. Diese Redewendung hat einen grossen agitatorischen Wert. Die Bourgeoisie schreit, dass wir jetzt die Gegner des Friedens, die Vertreter des roten Imperialismus, die angreifende Kraft seien. Dem widersprechen alle Tatsachen, die Revolution in Russland sowohl als die in Deutschland. Wir wissen; dass der weisse Terror bereits vorhanden ist, dass die barbarischen Kampfmethoden der Bourgeoisie gegen uns angewandt werden, wir wissen auch ganz gut, dass dieser Völkerbund nichts anderes bedeutet als die Vorbereitung zum letzten Kampf des Kapitalismus gegen das internationale Proletariat, und dagegen muss das Proletariat sich wehren. Es ist in der Defensive. Aber in dieser Abwehr gegen die Bourgeoisie, die mit allen Mitteln gegen das Proletariat vorgeht, muss auch das Proletariat zu entsprechenden Waffen greifen.
Das sind unsere Richtlinien. Ich möchte den Wunsch aussprechen, dass der grösste Teil der Genossen an den Diskussion über diese Richtlinien teilnehmen möge. Wie Sie alle bemerken, sind in ihnen fast alle Fragen berührt, die die laufenden Aufgaben der Arbeiterklasse unter den jetzigen Verhältnissen betreffen, es sind fast alle Probleme gesammelt, die das Proletariat vor sich hat und zu lösen bestrebt sein muss. Das ist die Situation. Wir haben natürlich noch einzelne weitere Paragraphen in der Tagesordnung zu behandeln, aber im grossen und ganzen sind diese unsere Richtlinien unser Programm und der Baustein für das Programm der Kommunistischen Dritten Internationale, und wenn die Genossen regen Anteil daran nehmen, dann werden wir mit dem Genossen Albert der Ansicht sein, dass wir unsere Pflicht recht gut erfüllt haben.
Fünf Minuten Pause.
Gen. Lenin. Die Sitzung ist wieder eröffnet. Gen. Rutgers hat sich zum Wort gemeldet. Jeder Redner hat 15 Minuten Redezeit.
Gen. Rutgers (Holland). Ich möchte die allgemeine Frage erwähnen, ob die Stellung der Mittelschichten, der Intellektuellen und der bessergestellten Arbeiter in den Richtlinien wohl genügend hervorgehoben ist. Es wird darauf hingewiesen, dass die Lohnskala in den imperialistischen Staaten auf Kosten der Kolonialvölker erhöht wird, aber es wird nicht auf den Umstand hingewiesen, dass besonders die Beamten, die Intellektuellen und die bessergestellten Arbeiter dabei auf Kosten der grossen Masse eine Ausnahmestellung erhalten, was besonders in Amerika hervortritt. Auf diesem Umstand beruht für die Finanzkapitalisten die Möglichkeit, sich genügende Hilfskräfte zu gewinnen. Wir erleben es jetzt, Genossen, dass die Mittelschichten unsere stärksten Gegner sind, und es wird noch zu prüfen sein, inwieweit dabei die Möglichkeit für diese Schichten, die Produktion in die Hände zu bekommen, eine Rolle spielt. Das Proletariat ist nicht reif und bedarf der Unterstützung. Nur wenn die Arbeiter es fertig bringen, auch die ganze Organisation des ökonomischen Lebens mit eigenen Kräften aufzubauen, werden sie diese Aufgabe erfüllen können. Auf den grossen Wert dieser praktischen Aufgabe für den endgültigen Sieg des Proletariats wäre grösserer Nachdruck zu legen.
In den Richtlinien wird in folgenden Worten darauf hingewiesen:
»Diese Aufgabe der proletarischen Diktatur auf ökonomischem Gebiet kann nur dann gelöst werden, wenn das Proletariat imstande sein wird, eine zentralisierte Verwaltung zu schaffen.«
Aber die Lage ist komplizierter, weil eine teilweise Organisation auf ökonomischem Gebiet unmöglich ist. Die Arbeiter müssen das ganze System organisieren und beherrschen, oder sie werden von anderen Schichten beherrscht werden. Selbstverständlich kann der Weg zum Siege nicht zum Ziel führen, wenn nicht eine Arbeiterkontrolle durchgeführt werden kann. Vielleicht sollte darauf grösserer Nachdruck gelegt werden. Noch eine Bemerkung über die Kolonien. Es wäre wünschenswert, über die Kolonialpolitik etwas mehr zu sagen, um diesen Paragraph in eine solche Form zu fassen, dass es auch für die Kolonialvölker ganz deutlich wird, dass wir ein aktives Zusammenwirken wünschen, auch unabhängig davon, ob diese Völker ihre eigene Ideologie, ihre eigene Religion besitzen oder nicht. Wir sind bereit, mit ihnen gemeinsam vorzugehen auf der Grundlage des Widerstandes gegen den Imperialismus, und wenn z. B. ein Aufstand in Vorderindien ausbrechen würde, wäre dies auch für uns von ungeheurem Wert. Ich möchte daher konkret vorschlagen, dass auf S. 8, letzte Zeile, und auf S. 9, wo die Worte:
»Um den endgültigen Zusammenbruch des imperialistischen Weltsystems zu fördern…«
zu lesen sind, dass im Zusammenhang mit diesem Satz und im Gegensatz zur gelben Internationale da hinzugefügt wird:
»ein aktives Zusammenwirken…«
Ich habe einige Bedenken gegen die Form auf S. 9. Es wird da behauptet und zuerst wird gesagt:
»Aber bald zeigte sich… …jetzt demaskieren sich auch die Ententestaaten als Welträuber«.
Das muss aber auf die Kolonialvölker einen befremdenden Eindruck machen. Jahrhundertelang sind sie ausgeraubt und unterdrückt worden, insbesondere von England, und jetzt erklären wir, dass diese Staaten sich nunmehr als Welträuber demaskieren. Diese Form ist nicht glücklich gewählt und könnte vielleicht abgeändert werden. Auch ist es nicht wünschenswert, hier speziell von den barbarischen kolonialen Soldaten zu sprechen. Wer die Kolonialabenteuer kennt, die die Holländer und andere gegen die braunen Brüder vor dem Kriege betrieben, wird nicht nötig finden, diesen Kolonialsoldaten hier die Beschuldigung der Barbarei vorzuwerfen. Um diese Formulierung abzuändern, habe ich einen Vorschlag, und dieser wäre: auf Zeile 5, S. 9 die Worte nach: »Raubnatur« so zu fassen:
»Jetzt demaskieren auch die Ententestaaten ihren wahren Charakter als Welträuber und Mörder des Proletariats. Mit derselben Rücksichtslosigkeit, mit der sie gegen die Kolonialvölker vorgingen, werden jetzt die russischen und deutschen Arbeiter dem Hunger preisgegeben, zusammen mit der deutschen Bourgeoisie.«
Schliesslich noch eine Bemerkung. Auf S. 5, Paragraph 3, wird gesagt, dass die Lebenslage sich nicht bessern kann, da der automatisch steigende Kaufpreis aller Bedarfsartikel usw.
Es wäre meines Erachtens nach das Wort »automatisch« zu streichen. Es ist jedenfalls eine Tatsache, dass die steigenden Kaufpreise diese Verbesserung der Lebenslage aufhalten, ich glaube aber, dass prinzipielle Bedenken gegen das »automatisch« anzuführen sind.
Gen. Kuusinen (Finnland). Werte Genossen! Unsere finnische Delegation ist mit dem Hauptgedanken dieses Entwurfes einverstanden. Diese Richtlinien, die die Genossen vorgelesen haben, sind schon durch die revolutionäre Erfahrung erprobt worden, und ich glaube, es kann sich hier nur um die Bestformulierung handeln. Die Formulierung eines solchen Aktes ist natürlich sehr schwierig, und ich bin überzeugt, dass die Konferenz dieselbe noch weiter präzisieren kann. Ich will hier Ihre Aufmerksamkeit auf ein paar Stellen lenken, die nach unserer Ansicht nicht so formuliert sind, wie wir es gewünscht hätten. Es wäre eine Bemerkung zu machen gegen den Passus am Ende der S. 4, wo von revolutionären Gewerkschaften und Genossenschaften die Rede ist. Bei uns in Finnland gibt es keine revolutionären Gewerkschaften und Genossenschaften, und wir zweifeln sehr, ob es bei uns solche überhaupt geben kann. Die Form dieser Gewerkschaften und Organisationen bei uns ist derart, dass wir überzeugt sind, dass die neue Ordnung nach der Revolution besser ohne diese Gewerkschaften eingeführt werden kann, als mit diesen Gewerkschaften oder mit Gründung derselben auf einer anderen Basis. Vielleicht ist in anderen Ländern dasselbe der Fall.
Was zu Ende des Entwurfes über den Standpunkt der Defensive gesagt ist, den Gen. Bucharin hier besonders hervorgehoben hat, ist unserer Ansicht nach auch nicht besonders glücklich. Wir in Finnland haben schon einmal eine defensive Revolution durchgekämpft, und wir möchten das keineswegs noch einmal durchmachen. Nach unserer Ansicht wäre das ein Fehler und in agitatorischer Hinsicht hat es viel mehr Wert, die Aufmerksamkeit auf die Offensive der proletarischen Revolution zu lenken. Besonders möchte ich hervorheben, dass dieser Entwurf sehr verdienstvolle neue Gedanken enthält und dabei einen Leitgedanken, der nach meiner Ansicht noch mehr unterstrichen und in konkreterer Form ausgedrückt werden sollte. Im letzten Kapitel, nämlich über den Weg zum Sieg, wird gesagt, dass das Aufflammen der revolutionären Bewegung in allen Ländern und viele andere Ereignisse der letzten Zeit zur Gründung einer wirklich revolutionären und wirklich proletarischen kommunistischen Internationale führen müssen. Der deutsche Genosse hat vorhin einige Bedenken über die Reife der internationalen Bewegung zu diesem Beschlusse geäussert. In diesem Zusammenhang kann natürlich ein Beschluss über die Gründung der neuen Internationale nicht gefasst werden, doch glaube ich, dass die geschichtliche Entwicklung schon jetzt zur Gründung der wirklichen revolutionären proletarischen Internationale führen muss, und, wenn möglich, schon vor Beendigung dieser Konferenz zu dieser Tatsache geführt haben wird. Die Argumente des deutschen Genossen gegen diesen Beschluss waren unserer Ansicht nach nicht überzeugend. Andererseits war die Äusserung des deutschen Genossen aber auch eine grosse Erleichterung: gestern, als wir seine Bedenken hörten, dachten wir, er hätte vielleicht auch prinzipielle Einwendungen gegen die Gründung der neuen Internationale. Jetzt hören wir, dass das nicht der Fall ist. Er glaube nur, dass jetzt die Arbeiterschaft solchen Gründungen mit einigem Misstrauen gegenüberstehen würde. Dies ist ein Irrtum, glaube ich. Es gibt Misstrauen gegen solche Internationalen wie es die Zweite war, die wirklich nur Beschlüsse fasste, aber nicht nach diesen Beschlüssen handelte. Die III. Internationale wird in dieser Hinsicht ganz anders sein. Sie wird die Internationale der Tat, der revolutionären Tat, des Kampfes sein und nicht nur papierene Beschlüsse fassen. Ich kann den Genossen nicht verhehlen, dass auch diese Richtlinien, wenn wir hier keine andere Annahme, keinen anderen Beschluss fassen als nur diese Richtlinien, ein wenig an die Beschlüsse der alten Internationale erinnern werden. Der Inhalt dieser Richtlinien ist gut, ist revolutionär, ist kommunistisch, aber die praktische Folgerung aus ihnen sollte hier nicht ausbleiben, denn die revolutionäre internationale Bewegung braucht jetzt die III. Internationale. Diese Notwendigkeit ist schon jetzt zur Verwirklichung reif. Der einzige, einigermassen kompetente Einwand, den man gegen diesen Gedanken vorführen könnte wäre der, dass die Gründung der neuen Internationale nicht so dringend nötig sei, weil wir in der letzten Zeit eigentlich schon eine III. Internationale haben, nämlich in dem grossen revolutionären Russland. Sie wissen, Genossen, dass das revolutionäre Russland faktisch über ein Jahr die neue Internationale dargestellt hat. Es hat der internationalen revolutionären proletarischen Bewegung grosse Dienste geleistet; nicht so viel durch direkte Agitation, wie die Bourgeoisie behauptet, als mittelbar durch sein Beispiel, durch sein grosses Muster, das Muster der grossen sozialen Revolution. Aber dessen ungeachtet braucht der Kampf praktisch die neue Internationale. Der deutsche Genosse hat auch gesagt, dass diese Versammlung vielleicht zu wenig zahlreich sei, um diesen Beschluss zu fassen. Das ist wahr, aber das ist ja nicht die Schuld der revolutionären Arbeiterparteien Europas oder Amerikas. Diese Versammlung ist nach meiner Ansicht nicht so schwach im Vergleich mit der Versammlung, die auch einmal in der Welt schon vor mehr als einem halben Jahrhundert die erste Internationale gegründet hat. In jener Versammlung waren auch sehr wenig Vertreter von den verschiedenen Ländern erschienen. Vielleicht erinnert die jetzige Versammlung an jene in der Hinsicht, dass auch dort sehr wenig grosse revolutionäre Geister und mehr auf halbem Wege der Entwicklung stehende Elemente vertreten waren, aber dennoch hatten Marx und seine Genossen unter den damals herrschenden Verhältnissen keine Bedenken gegen die Gründung der I. Internationale. Auch Wilhelm Liebknecht, der Vertreter von Deutschland, hatte damals keine Bedenken gegen die Gründung der neuen Internationale. Ich bin überzeugt, dass auch sein grosser Sohn, Karl Liebknecht, jetzt keine Bedenken haben würde, wenn er anwesend wäre. Ich glaube, die Kraft der neuen Internationale wird identisch sein mit der Kraft des revolutionären Proletariats und nicht mit der Kraft dieser kleinen Versammlung. Genossen, es wurde gesagt, hier könne kein Beschluss über die Gründung der neuen Internationale gefasst werden, aber ich muss jetzt wie auch gestern schon den Wunsch aussprechen, dass der Beschluss gefasst wird, bevor diese unsere Versammlung zu Ende ist. Die Situation ist reif, die internationale Revolution hat bereits begonnen, und deshalb soll die revolutionäre Internationale sich jetzt schon konstituieren. Es soll, durch den Beschluss der III. Internationale eine Richtschnur gezogen werden, die der Arbeiterbewegung der Welt jetzt ihre Stelle zeigen wird, wo sie kämpfen will, auf dieser Seite oder auf jener, auf seiten des kämpfenden Proletariats oder auf seiten der Henker des Proletariats. Ich möchte also bitten, dass die Genossen zu diesem Entwurf am Schluss auch noch diesen grossen Gedanken hinzufügen, dass die III. Internationale jetzt gegründet werde.
Das Wort zum Bericht erhält Gen. J. Gruber (Deutsch-Österreich). Werte Genossen! Wir Delegierte aus Deutsch-Österreich finden keine Worte, um die Gefühle auszudrücken, die uns heute in Eurer Mitte beseelen. Wir sind unter ungeheuren Schwierigkeiten nach siebzehntägiger Reise vor einer Stunde hier angekommen und überbringen Euch die Grüsse und die heissesten Glückwünsche unserer revolutionären Genossen aus Deutsch-Österreich. Euch alle sollen wir begrüssen, vor allem aber, Genossen, müssen wir unseren russischen Genossen danken, denn sie haben durch die grosse Revolution vor mehr als einem Jahr den revolutionären Kräften in Österreich mächtigen Antrieb gegeben. Nur ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute eine jugendstarke kommunistische Partei in Deutsch-Österreich haben. Und die Geschichte wird den russischen Genossen ein dauerndes Denkmal setzen, da sie der Weltrevolution zum Durchbruch verholfen haben.
Und nun möchte ich Euch noch über die Ereignisse berichten, die zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs führten und über ihre Entwicklung.
Der Friede von Brest-Litowsk war in Vorbereitung. In Österreich herrschte Hungersnot, verschärft durch die Diktatur der zügellosen Soldateska. Das Proletariat wünschte dringend und stürmisch, dass Österreich endlich einmal aus dem Weltkrieg ausscheide. Doch es wurde durch Versprechungen seitens der verbrecherischen Regierung hingehalten. Es wurde ihm gesagt, in kürzester Zeit solle der Friede geschlossen werden. Das geschah aber nicht. Das Proletariat sah sich wieder zum besten gehalten. Eine ungeheure Verschlechterung der Lebenslage trat ein. Sie führte im Januar 1918 zu einer sehr starken Bewegung, die von den Industriezentren im Süden von Wien ihren Ausgang nahm und deren Wellen in einigen Stunden den Weg nach Wien fanden. Die Räder standen still. Die Vertreter der sozialverräterischen Partei im Parlament waren sprachlos. Das Proletariat wollte weder mit den Führern der Gewerkschaften noch der sozialdemokratischen Partei etwas gemein haben.
Nachdem die Bewegung einige Tage gedauert hatte, nachdem sie übergriff auf alle Industriegebiete, rafften sich sowohl die Gewerkschaftsführer wie auch die Parteibonzen auf und suchten die Bewegung in andere Bahnen zu lenken, Das führte denn auch zum Versanden der ganzen Bewegung. Die Herren Seitz, Renner, Leuthner von der Sozialdemokratie, Tomschik, Domes und andere von den Gewerkschaften stellten sich an die Spitze und versprachen, die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten. Sie behaupteten aber, Österreich hätte nicht das Recht, aus der Reihe der kriegführenden Länder auszuscheiden, denn das bedeute den Zusammenbruch der wirtschaftlichen Existenz seines Proletariats. Die Arbeiterschaft liess sich wiederum von ihren politischen und gewerkschaftlichen Vertretern betören. Diese stellten sich zwischen die Regierung und die Arbeiterschaft. Sie formulierten einige radikal scheinende Forderungen, bekamen von der Regierung die verabredete Erklärung, und die Arbeiterschaft ging nach kaum einer Woche des Stillstandes der Maschinen wieder an ihre Arbeit.
Was geschehen musste, geschah. Die Regierung hatte gesehen, dass die Vertreter der Arbeiterschaft ein gefügiges Werkzeug in den Händen der Regierung sind, und dachte nicht daran, die bewilligten Forderungen zu verwirklichen. Auch das Versprechen, dass die Führer der Bewegung nicht gemassregelt werden sollten, liess sie unerfüllt. Diese wurden entweder an die Front geschickt oder hinter Kerkermauern begraben. Ihre Existenz wurde vernichtet. Die Genossen, die in der Bewegung unter dem Namen der linksradikalen Sozialdemokraten arbeiteten, wurden von den Parteiführern als Staatsverbrecher gebrandmarkt, eine Reihe der führenden Genossen wurden aus der Partei ausgeschlossen.
Der Zusammenbruch an den Fronten in Italien und Bulgarien, die Hungersnot im Lande, die Zerstörung des Organisationsapparats für Verteilung der Lebensmittel, das Zurückfluten der Soldaten von der Front, das alles beschleunigte endlich den Zerfall der Monarchie Österreich-Ungarn. Es bildeten sich mehrere Staaten entsprechend ihren ethnographischen Grundlagen – die tschechoslowakische und die ungarische Republik; die südslawischen, italienischen und rumänischen Völker schlossen sich ihren Mutterstaaten an, und es blieb von dem so »glorreichen Kaiserstaate« nichts weiter übrig, als der Rest Deutsch-Österreich mit ungefähr 9 Millionen Einwohnern. Erst in letzter Stunde entschloss sich die Sozialdemokratie in Deutsch-Österreich, die Führung der »Revolution« zu übernehmen, Deutsch-Österreich zur Republik zu erklären.
Die steifleinenen sozialdemokratischen Helden sprechen heute immer noch von einer Revolution in Österreich. In Wirklichkeit aber war es keine. In jenem Moment, wo tatsächlich das Proletariat die Macht ohne Kampf ergreifen konnte da stellten sich die Vertreter der Sozialdemokratie schützend vor die Bourgeoisie und sagten: »Die Zeit ist noch nicht gekommen, um die Macht zu übernehmen, wir müssen eine Koalition mit den Bürgerlichen eingehen«. Es wurde ein Präsidium zusammengesetzt, bestehend aus dem Verpfafftesten der Pfaffen, einem Deutschnationalen und einem Sozialdemokraten. Als dieses Dreigestirn die Regierung übernahm, hatte für das revolutionäre Proletariat Österreichs die Stunde des Abwehrkampfes geschlagen. Nicht einmal in der Zeit des Stuergkh war die Reaktion gewalttätiger als unter dem Regime der Arbeitervertreter. Reichskanzler wurde Dr. Renner, Staatssekretär des Äussern wurde Dr. Bauer, dieser frühere Radikale, das Heerwesen wurde dem Gen. Deutsch unterstellt, und in allen Ämtern sassen Sozialdemokraten zusammen mit den Bürgerlichen.
Im Mai 1918 hatte sich zwischen den Linksradikalen und den verschiedenen oppositionellen Gruppen eine Annäherung vollzogen und eine gemeinsame Plattform wurde gesucht. Zu dieser Zeit entstand der erste Plan, in Österreich eine kommunistische Partei zu gründen. Wir wussten damals nicht, dass die russischen Genossen sich auch einstmals Kommunisten nennen würden, wir wussten nicht, dass unsere Genossen in Deutschland, der Spartakusbund, sich auch Kommunistische Partei nennen würde. Wir haben als kleine Gruppe den Gedanken gefasst, wir wollten den Gedanken zur Tat werden lassen und eine neue Epoche in der revolutionären Arbeiterbewegung Österreichs beginnen.
Es waren nur wenige, die den Kampf begannen. Viele unserer besten Genossen sassen im Kerker, und ein Dutzend Menschen musste alle Kraft für diesen Kampf aufbringen. Damals beschlossen wir eine Zeitung zu gründen unter dem Namen »Weckruf«, Kommunistisches Wochenblatt. Zum, erstenmal war der Name »Kommunismus« auf unsere Fahne geschrieben. Die Zeitung wurde aber von der ersten bis zur letzten Zeile konfisziert. Unsere Absicht, den »Weckruf« am 1. Mai unter die feiernden Arbeitermassen zu werfen, konnten wir infolge dieser Beschlagnahme nicht verwirklichen. Als aber in Österreich durch den militärischen Zusammenbruch die bürgerliche Freiheit einigermassen hergestellt war, und als nach neunmonatlicher Haft unsere tapferen Genossen aus dem Kerker entlassen wurden, war eine neue, festere Grundlage geschaffen. Am 3. November 1918 konstituierten wir uns als »Kommunistische Partei Deutsch-Österreichs«. Zentralorgan der Partei wurde »Der Weckruf«.
Am 12. November 1918 sollte öffentlich die Republik proklamiert werden. Wir hatten beschlossen, an diesem Tage im kommunistischen Sinn zu dem österreichischen Proletariat zu sprechen. Wir wussten, dass das Proletariat durchaus revolutionär gestimmt war. Unzählige rote Banner trugen die Inschrift: »Heraus mit der sozialistischen Republik«. Da stiegen einige unserer Genossen auf die Rampe des Parlaments und verkündeten die kommunistischen Grundsätze. Dann wählten wir einige Kommunisten und wollten in das Parlament hineingehen um den Regierungsvertretern zu sagen, dass das Proletariat eine sozialistische Republik und keine bürgerliche verlange. Die Tür wurde uns aber vor der Nase verschlossen. Unsere Genossen von der Roten Garde hieben mit dem Gewehrkolben auf die Tür ein und wollten uns Eingang verschaffen. Nun kam es zu der bekannten Schiesserei. Die Rote Garde und die Volkswehr erwiderten die Schüsse, die aus dem Inneren des Parlamentsgebäudes fielen, und der Festtag der bürgerlichen Republik, der so schön arrangiert war, endete mit der zeitweiligen Besetzung des Parlaments durch das Proletariat.
Als Repressalie beschlossen die agrarischen Abgeordneten, die Rädelsführer der Kommunisten an die Wand zu stellen; Sie drohten, sonst keine Lebensmittel nach Wien zu liefern. Die Vertreter der Sozialdemokraten jedoch meinten, das gehe zu weit, die Übeltäter müssten aber mit aller Strenge bestraft werden. Es wurden denn auch Genosse Steinhardt (Gruber) und Genossin Friedländer unter der Anklage der öffentlichen Gewalttätigkeit verhaftet, aber nach zwei Wochen wieder in Freiheit gesetzt, hauptsächlich auf Drängen der Räte der Volkswehr. Auch eine Anzahl unserer russischen Freunde wurde in Untersuchung gezogen und ausgewiesen. Die Sozialdemokraten in der Regierung gaben nicht nur ihre Zustimmung dazu, sondern sie waren zum Teil Veranlasser dieser Massregel.
Die kommunistische Bewegung wurde unter das Schwert gestellt. Die ganze Regierungsmacht wandte sich gegen uns, und mit den Sozialdemokraten in der Regierung hatten wir die härtesten Kämpfe zu bestehen. In Wien war es uns nicht möglich, Versammlungslokale aufzutreiben. In einigen Wiener Bezirken hatten wir versucht, als kommunistische Partei Versammlungen abzuhalten. Man nahm uns die Lokale weg und versuchte uns dadurch lahmzulegen. In der Provinz konnten die Regierungssozialisten ihre Macht noch stärker zeigen. In Graz, dem Zentrum der Steiermärkischen Industrie, waren wir vier Wochen lang ausserstande, eine Versammlung abzuhalten. Dort hat der Sozialdemokrat Resel als Landesmilitärbefehlshaber den Terror gegen die Kommunisten organisiert.
Erst nachdem wir auf die Strasse gingen und uns auf Plätzen versammelten, können wir heute in jedem Lokal Versammlungen abhalten. In ganz Nordsteiermark gibt es jetzt kommunistische Organisationen, und die Arbeiter kommen zu uns, diskutieren mit uns und stellen sich auf unsere Plattform. Heute wagt es niemand mehr, uns zu hindern, Versammlungen abzuhalten und unsere Organisation auszubauen.
So haben wir uns durchgesetzt. Aber dass die sozialdemokratische Partei versuchte, mit den gewalttätigsten und schäbigsten Mitteln unsere Bewegung unmöglich zu machen, wird ihre ewige historische Schuld sein.
Wir sagten in der Agitation niemals, dass die sozialdemokratischen Arbeiter unsere Feinde seien, sondern sie seien auf falsche Wege geführt. Unsere Tätigkeit geht dahin, die revolutionären Teile der Arbeiterschaft für uns zu gewinnen. Es zeigte sich denn auch, dass an allen Orten die Linksradikalen zu uns stiessen.
Am 9. Februar dieses Jahres hatten wir endlich die Möglichkeit, Heerschau über die Bewegung in ganz Deutsch-Österreich zu halten, und während auf der ersten Tagung am 3. November 1918 ein ganz kleines Häuflein von Genossen sich zusammengefunden hatte, war am 9. Februar 1919 ganz Deutsch-Österreich durch Organisationen vertreten. Wir stellten uns auf eine klare, scharf formulierte kommunistische Plattform und erklärten in bezug auf die Nationalversammlung, dass wir mit den Wahlen zur Nationalversammlung nichts zu tun haben wollten, weil diese Institution ein Instrument zur Verfälschung der Revolution sei. Und gerade die Wahlen waren der Gipfelpunkt des politischen Lebens der Sozialdemokratie. Wir stellten dem gegenüber die Idee der Diktatur des Proletariats und forderten die Arbeiter- und Soldatenräte.
Das war der Stand der Dinge, als wir Deutsch-Österreich verliessen. Wir haben nun eine organisatorische Arbeit von vier Monaten hinter uns. Wir legen nicht viel Wert darauf, dass wir recht viel eingeschriebene Mitglieder haben, sondern wir legen Wert darauf, dass sie den revolutionären Willen zur Tat verkörpern, dass ein revolutionärer Körper, der sich im entscheidenden Moment bewähren wird, vorhanden ist.
So steht nun die Kommunistische Partei in Deutsch-Österreich gefestigt und kampfbereit da, von der Regierung verfolgt, von den Sozialdemokraten gehasst. Leider ist Fritz Adler nicht in unseren Reihen. Als er den Ministerpräsidenten Stürgkh tötete, und als die Arbeiterschaft Österreichs geschlossen und energisch seine Freilassung verlangte, war er für uns ein revolutionäres Symbol. Fritz Adler kam aus dem Gefängnis, und was geschah? Jene, die an ihm hingen, die für ihn alles opfern wollten, waren seine Freunde nicht mehr, sondern er war ihr Gegner geworden. Er stellte sich der sozialdemokratischen Partei zur Verfügung, jener Partei, die ihn gebrandmarkt hatte und ihn ausgeschlossen hätte, wenn er nicht der Sohn des grossen Vaters gewesen wäre. Er wurde als Vertreter für die Nationalversammlung aufgestellt, und im Bunde mit den reaktionären Führern der Arbeiterschaft wurde sein Name für viele Arbeiter ein Lockmittel, um für das Parlament zu stimmen.
Er erklärte sich gegen jegliche Spaltungsversuche in der Arbeiterbewegung, insbesondere gegen die Tätigkeit der Kommunistischen Partei.
Unsere Bewegung ist eine Bewegung der Massen. Wir hören es jeden Tag: Ihr Kommunisten habt doch keine hervorragenden Führer. Ja, die russischen Kommunisten, die haben einen Lenin, einen Trotzki, einen Bucharin, die schon solange für die Ideen des Kommunismus, die Diktatur des Proletariats gekämpft haben, aber ihr habt gar keinen weltbekannten hervorragenden Führer. Aber die Arbeiterschaft hat uns dennoch ernst genommen, denn sie hat gesehen, dass es nicht allein der grosse Name macht.
Man hat uns Arbeitern in Deutsch-Österreich erzählt, in Russland herrsche Zerstörung, Plünderung, Sabotage, und es währe nicht lange, so würde die Herrlichkeit der Bolschewiki in Trümmer liegen. Wir sehen aber, dass diese Herrlichkeit sich befestigt hat, und dass die Kommunistische Partei Russlands heute eine neue Epoche in der Weltgeschichte eingeleitet hat. Während früher Moskau das Zentrum der Reaktion war, ist es heute das Zentrum der kommunistischen Bewegung geworden, und das kann nie zerstört werden. Deswegen hängen die Arbeiter Deutsch-Österreichs heute mit leidenschaftlicher Liebe an der Bewegung der russischen Genossen, denn sie wissen, wenn das Regime der Kommunisten im Osten zertrümmert wird, dann ist im Westen ein Aufbau auf kommunistischer Grundlage für lange unmöglich.
Die Konferenz der Zweiten Internationale in Bern ist die Agonie einer absterbenden Epoche, der heutige Kongress ist die erste Tagung des revolutionären Proletariats zur Organisierung der Tat.
Darum begrüssen wir Euch und wünschen, dass diese Tagung eine neue Epoche einweiht. Siebzehn Tage sind wir von Wien nach Moskau unterwegs. Wie Handwerksburschen sind wir die ganze Strecke gereist. Auf Tendern, auf Lokomotiven, auf Puffern, in Viehwagen, zu Fuss durch die Linien der ukrainischen und polnischen Räuberbanden, unter steter Lebensgefahr – immer mit dem sehnsüchtigen Gedanken: nach Moskau wollen wir, nach Moskau müssen wir, und nichts darf uns abhalten, dorthin zu gelangen!
Wir haben unser Ziel erreicht. Wir weilen unter Euch, Genossen! Und unser gemeinsames Ziel, die Föderative Weltrepublik der Kommunisten, müssen und werden wir auch hoffentlich in nicht allzuferner Zukunft erreichen.