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LEITSÄTZE ÜBER DIE GRUNDAUFGABEN DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE


Content:

Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale
1. Das Wesen der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht
2. Worin die unverzügliche und überall durchzuführende Vorbereitung zur Diktatur des Proletariats zu bestehen hat
3. Die Ausgleichung der Linie in der politischen Haltung und – teilweise auch des Bestandes der Parteien, die der Kommunistischen Internationale angeschlossen sind oder sich ihr anschliessen wollen
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Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale

angenommen auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920

1. Für den gegenwärtigen Augenblick in der Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung ist es bezeichnend, dass in allen kapitalistischen Ländern die besten Vertreter des revolutionären Proletariats sich über die wichtigsten Grundsätze der Kommunistischen Internationale völlig klar geworden sind, und zwar über die Diktatur des Proletariats und die Sowjetmacht, und dass sie sich mit grösster Begeisterung auf die Seite der Kommunistischen Internationale gestellt haben. Ein noch wichtigerer und grösserer Schritt vorwärts ist, dass überall, nicht nur unter den breitesten Massen des Proletariats der Städte, sondern auch unter dem vorgeschritteneren Teil der Landarbeiter sich vollständig klar unbedingte Sympathien für diese wichtigsten Grundsätze zeigen.

Andererseits traten zwei Fehler oder Schwächen der ungewöhnlich schnell anwachsenden internationalen Bewegung hervor. Ein sehr ernster Fehler, der eine ungeheure unmittelbare Gefahr für den Erfolg der Befreiungssache des Proletariats darstellt, besteht darin, dass ein Teil der alten Führer und der alten Parteien der II. Internationale, zum Teil halb unbewusst den Wünschen und dem Andrang der Massen nachgebend, zum Teil diese zwecks Erhaltung ihrer früheren Rolle als Agenten und Gehilfen der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung betrügend, ihren bedingten oder sogar unbedingten Anschluss an die Kommunistische Internationale erklären, während sie in der Tat in der gesamten Praxis ihrer Parteitätigkeit und politischen Wirksamkeit auf dem auf dem Niveau der II. Internationale verharren. Eine solche Lage der Dinge ist völlig unzulässig. denn sie bringt eine direkte Verworrenheit in die Massen, verhindert die Bildung und die Entwicklung einer starken kommunistischen Partei, verringert die Achtung vor der Kommunistischen Internationale und droht mit der Wiederholung eines gleichen Verrats, wie der Verrat der ungarischen Sozialdemokraten, die sich in aller Eile den roten Anstrich von Kommunisten gegeben haben. Ein anderer, weit weniger bedeutender Fehler, der eher eine Krankheit des Wachstums der Bewegung ist, besteht in dem Streben nach »Radikalismus«, das zur unrichtigen Wertung der Rolle und der Aufgaben der Partei in Bezug auf die Klasse und auf die Masse und der Verpflichtung für die revolutionären Kommunisten, in den bürgerlichen Parlamenten und in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten, führt.

Es ist Pflicht der Kommunisten, die Schwächen ihrer Bewegung nicht zu verschweigen, sondern sie offen zu kritisieren, um sie schneller und gründlicher zu überwinden. Zu diesem Zweck ist es notwendig, erstens den Inhalt der Begriffe »Diktatur des Proletariats« und »Sowjetmacht« konkreter zu bestimmen, besonders auf Grund der praktischen Erfahrung; zweitens darzulegen, worin in allen Ländern die unverzügliche Vorbereitungsarbeit, die diese Parolen verwirklicht, bestehen kann und soll; drittens die Wege und Mittel zur Verbesserung der Schäden unserer Bewegung aufzuzeigen.

1. Das Wesen der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht

2. Der Sieg des Sozialismus (als erste Stufe des Kommunismus) über den Kapitalismus erfordert vom Proletariat als der einzigen wirklich revolutionären Klasse die Verwirklichung folgender drei Aufgaben. Die erste: die Ausbeuter und vor allen Dingen die Bourgeoisie als deren ökonomischen und politischen Hauptvertreter zu stürzen, ihren Widerstand zu unterdrücken, jegliche Versuche ihrerseits, das Joch des Kapitals und die Lohnsklaverei wieder aufzurichten, unmöglich zu machen. Die zweite: nicht nur das gesamte Proletariat oder seine erdrückende ungeheure Mehrheit, sondern auch die gesamte Masse der Werktätigen und vom Kapital Ausgebeuteten mitzureissen und zur Gefolgschaft des revolutionären Vortrupps des Proletariats, der Kommunistischen Partei, zu bewegen; sie im Verlauf des unendlich kühnen und schonungslos harten Kampfes gegen die Ausbeuter aufzuklären, zu organisieren, zu erziehen, zu disziplinieren, in allen kapitalistischen Ländern diese erdrückende Mehrheit der Bevölkerung der Abhängigkeit von der Bourgeoisie zu entreissen, ihnen durch die praktische Erfahrung Vertrauen zur leitenden Rolle des Proletariats und ihres revolutionären Vortrupps einzuflössen. Die dritte Aufgabe besteht in der Neutralisierung, der Unschädlichmachung der unvermeidlichen Schwankungen zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen bürgerlicher Demokratie und Sowjetmacht seitens der Klasse der Kleingewerbetreibenden im Ackerbau, in der Industrie, im Handel, einer Klasse, die in allen vorgeschrittenen Ländern noch recht zahlreich ist, wenn sie auch nicht die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, sowie in der Neutralisierung der Schwankungen seitens der dieser Klasse entsprechenden Schicht der Intellektuellen, Angestellten usw.
Die erste und die zweite Aufgabe sind selbständiger Natur, und jede von ihnen erfordert besondere Aktionsmassnahmen gegenüber den Ausbeutern wie auch gegenüber den Ausgebeuteten. Die dritte Aufgabe ergibt sich aus den beiden ersten und erfordert nur eine geschickte, rechtzeitige und elastische Kombinierung der Massregeln für die erste und zweite Aufgabe, je nach den konkreten Umständen jedes einzelnen Falles von Schwankungen.

3. Angesichts der konkreten Lage, die in der ganzen Welt und vor allem in den vorgeschrittensten, mächtigsten, aufgeklärtesten und freiesten kapitalistischen Staaten durch den Militarismus, den Imperialismus, die Abwürgung der Kolonien und schwachen Länder, die imperialistische Weltmetzelei und den »Frieden« von Versailles geschaffen worden ist, bedeutet jegliche Zulassung des Gedankens an eine friedliche Unterwerfung der Kapitalisten unter den Mehrheitswillen der Ausgebeuteten, an einen friedlichen, reformistischen Übergang zum Sozialismus nicht nur einen ausserordentlichen spiessbürgerlichen Stumpfsinn, sondern einen direkten Betrug der Arbeiter, eine Schönfärberei der kapitalistischen Lohnsklaverei, eine Verhehlung der Wahrheit. Diese Wahrheit besteht darin, dass die Bourgeoisie, auch die am meisten aufgeklärte und demokratische, schon heute vor keinem Betrug und Verbrechen, vor keiner Hinschlachtung von Millionen von Arbeitern und Bauern zurückschreckt, um das Privateigentum an den Produktionsmitteln zu retten. Nur der gewaltsame Sturz der Bourgeoisie, die Beschlagnahme ihres Eigentums, die Zerstörung des gesamten bürgerlichen Staatsapparates von oben bis unten – des parlamentarischen, gerichtlichen, militärischen, bürokratischen, administrativen, kommunalen Apparates usw. – bis zur völligen Vertreibung oder Internierung der gefährlichsten und hartnäckigsten Ausbeuter, ihre strenge Überwachung zwecks Bekämpfung der unausbleiblichen Versuche des Widerstandes und der Wiederherstellung der kapitalistischen Sklaverei – nur derartige Massregeln sind imstande, die tatsächliche Unterwerfung der ganzen Ausbeuterklasse zu erreichen und zu sichern.
Als ebensolche Schönfärbung des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, als ebensolcher Betrug der Arbeiter erscheint die bei den alten Parteien und alten Führern der II. Internationale übliche Ansicht, als ob die Mehrheit der Werktätigen und Ausgebeuteten imstande sei, unter den Verhältnissen der kapitalistischen Sklaverei, im Joch der Bourgeoisie – das unendlich verschiedenartige Formen annimmt, und zwar um so raffiniertere und gleichzeitig grausamere und schonungslosere, je kultivierter das betreffende Land ist – in sich völlige Klarheit der sozialistischen Überzeugung und des Charakters herauszuarbeiten. In Wirklichkeit aber ist die Aufklärung, Erziehung, Organisierung der breitesten werktätigen und ausgebeuteten Massen unter dem Einfluss und der Führung der Kommunisten, ihre Befreiung von Egoismus, von der Zersplitterung, von den Lastern und Schwächen, die durch den Privatbesitz hervorgerufen werden, ihre Umwandlung in einen freien Bund freier Arbeiter erst dann möglich, wenn der Vortrupp des Proletariats, unterstützt von dieser ganzen einzig revolutionären Klasse oder ihrer Mehrheit, die Ausbeuter gestürzt, sie unterdrückt, die Ausgebeuteten aus ihrer sklavischen Lage befreit und ihre Lebensbedingungen unverzüglich auf Kosten der enteigneten Kapitalisten verbessert hat – sowie im eigentlichen Verlauf des allerschärfsten Klassenkampfes.

4. Zur Erringung des Sieges über den Kapitalismus ist ein richtiges gegenseitiges Verhältnis zwischen der kommunistischen Partei als Führerin, der revolutionären Klasse, dem Proletariat einerseits und der Masse, d. h. der Gesamtheit aller Werktätigen und Ausgebeuteten anderseits erforderlich. Nur wenn die kommunistische Partei tatsächlich der Vortrupp der revolutionären Klasse ist, wenn sie alle ihre besten Vertreter einschliesst, wenn sie aus vollkommen bewussten und ergebenen Kommunisten besteht, die durch die Erfahrung hartnäckigen Revolutionskampfes aufgeklärt und gestählt sind, nur wenn diese Partei es verstanden hat, sich untrennbar mit dem ganzen Leben ihrer Klasse und durch sie mit der ganzen Masse der Ausgebeuteten zu verbinden und dieser Klasse und dieser Masse volles Vertrauen einzuflössen – nur dann ist die Partei befähigt, das Proletariat im schonungslosesten, entscheidenden, letzten Kampf gegen alle Mächte des Kapitalismus zu führen. Andererseits ist das Proletariat nur unter der Führung einer solchen Partei befähigt, die ganze Macht seines revolutionären Ansturms zu entfalten, – die in der kapitalistischen Gesellschaft infolge deren wirtschaftlicher Struktur unermesslich geringer ist als der Anteil des Proletariats an der Bevölkerungszahl – und die unausbleibliche Apathie und teils auch den Widerstand der kleinen Minderheit der vom Kapitalismus verdorbenen Arbeiteraristokratie, der alten trade-unionistischen und Konsumgenossenschaftsführer usw. in ein Nichts zu verwandeln. Schliesslich kann nur die bereits tatsächlich vom Joch der Bourgeoisie und des bürgerlichen Staatsapparats befreite Masse, d. h. die Gesamtheit der Werktätigen und Ausgebeuteten, nachdem sie die Möglichkeit erhalten hat, sich tatsächlich frei (von den Ausbeutern) in ihren Sowjets zu organisieren, zum ersten Mal in der Geschichte die ganze Initiative und Energie von Millionen durch den Kapitalismus bedrückter Menschen entfalten. Erst wenn die Sowjets zum einzigen Staatsapparat geworden sind, ist die tatsächliche Teilnahme an der Verwaltung seitens der ganzen Masse der Ausgebeuteten, die auch unter der aufgeklärtesten und freiesten bürgerlichen Demokratie in Wirklichkeit stets zu neunundneunzig Hundertsteln von der Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen blieb, zu verwirklichen. Nur in den Sowjets fängt die Masse der Ausgebeuteten an, tatsächlich, nicht aus Büchern, sondern durch die eigene praktische Erfahrung zu lernen, wie das Werk des sozialistischen Aufbaus, der Schaffung einer neuen gesellschaftlichen Disziplin, eines, freien Bundes freier Arbeiter in Angriff zu nehmen ist.

2. Worin die unverzügliche und überall durchzuführende Vorbereitung zur Diktatur des Proletariats zu bestehen hat

5. Der gegenwärtige Augenblick in der Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung zeichnet sich dadurch aus, dass die Vorbereitung des Proletariats auf die Verwirklichung seiner Diktatur in der übergrossen Mehrheit der kapitalistischen Länder noch nicht beendet, sehr häufig sogar noch nicht einmal systematisch begonnen worden ist. Daraus folgt nicht, dass die proletarische Revolution in allernächster Zukunft unmöglich ist. Sie ist vollkommen möglich, denn die gesamte wirtschaftliche und politische Lage ist ungewöhnlich reich an Zündstoff und an Anlässen für ihr plötzliches Aufflammen. Eine weitere Vorbedingung für die Revolution aussen der Vorbereitung des Proletariats, nämlich der allgemeine Zustand der Krise in allen herrschenden und in allen bürgerlichen Parteien liegt ebenfalls vor. Aber aus dem Gesagten folgt, dass die Aufgabe des Augenblicks für die kommunistischen Parteien jetzt darin besteht, die Revolution zu beschleunigen, ohne sie durch künstliche Mittel hervorzurufen, ehe nicht eine genügende Vorbereitung erfolgt ist. Die Vorbereitung des Proletariats für die Revolution muss durch die Tat gefördert werden. Andererseits zwingen die oben erwähnten Fälle in der Geschichte vieler sozialistischer Parteien dazu, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die »Anerkennung« der Diktatur des Proletariats nicht nur ein blosses Wort bleibt.
Die Hauptaufgabe der kommunistischen Parteien vom Standpunkt der internationalen proletarischen Bewegung aus ist daher im gegenwärtigen Augenblick die Zusammenfassung der zersplitterten kommunistischen Kräfte, die Schaffung einer einigen kommunistischen Partei in jedem Lande (oder die Festigung und Erneuerung der bereits bestehenden Partei) zur Verzehnfachung der Arbeit für die Vorbereitung des Proletariats zur Eroberung der Staatsmacht in der Form der Diktatur des Proletariats. Die übliche sozialistische Arbeit der Gruppen und Parteien, die die Diktatur des Proletariats anerkennen, ist bei weitem noch nicht der grundlegenden Umformung und Erneuerung unterzogen worden, die erforderlich sind, damit diese Arbeit als kommunistisch und den Aufgaben des Vorabends der proletarischen Diktatur entsprechend, anerkannt werden kann.

6. Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat setzt seinem Klassenkampf gegen die Bourgeoisie kein Ende, sondern macht diesen Kampf im Gegenteil besonders ausgedehnt, scharf und schonungslos. Alle Gruppen, Parteien, aktiven Teilnehmer der Arbeiterbewegung, die vollständig oder teilweise auf dem Standpunkt des Reformismus, des »Zentrums« usw. stehen, treten infolge der äussersten Verschärfung des Kampfes unweigerlich entweder auf die Seite der Bourgeoisie oder auf die Seite der Schwankenden, oder (was am gefährlichsten ist) sie geraten unter die unzuverlässigen Freunde des siegreichen Proletariats. Daher erfordert die Vorbereitung der Diktatur des Proletariats nicht nur den verstärkten Kampf gegen die Tendenzen der Reformisten und »Zentrumsleute«, sondern auch eine Veränderung des Charakters dieses Kampfes.
Der Kampf kann sich nicht auf die Klarstellung der Fehlerhaftigkeit dieser Tendenzen beschränken, sondern muss unerbittlich und schonungslos jede Persönlichkeit in der Arbeiterbewegung entlarven, die diese Tendenzen aufweist, denn anders kann das Proletariat nicht erkennen, mit wem es in den entscheidenden Kampf gegen die Bourgeoisie gehen muss. Dieser Kampf ist so geartet, dass er in jedem Augenblick die Waffe der Kritik durch eine Kritik der Waffe ersetzen kann – und, wie die Erfahrung bereits gelehrt hat, auch ersetzt. Jegliche Inkonsequenz oder Schwäche bei der Entlarvung derer, die sich als Reformisten oder »Zentrumsleute« erweisen, bedeutet eine direkte Vergrösserung der Gefahr des Sturzes der Macht des Proletariats durch die Bourgeoisie, die morgen für die Gegenrevolution das ausnutzen wird, was heute kurzsichtigen Leuten nur eine »theoretische Meinungsverschiedenheit« zu sein scheint.

7. Im Besonderen darf man sich nicht auf die übliche prinzipielle Negierung jeglicher Zusammenarbeit des Proletariats mit der Bourgeoisie, eines jeglichen »Kollaborationismus« beschränken. Die einfache Verteidigung der »Freiheit« und »Gleichheit« verwandelt sich unter den Verhältnissen der Diktatur des Proletariats – das niemals imstande sein wird, das Privateigentum mit einem Schlage völlig aufzuheben – bei Aufrechterhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln in eine »Zusammenarbeit« mit der Bourgeoisie, die die Macht der Arbeiterklasse geradezu untergräbt. Denn die Diktatur des Proletariats bedeutet die staatliche Festigung und Beschützung – durch den ganzen Apparat der Staatsgewalt – der »Unfreiheit« für den Ausbeuter, sein Werk der Unterjochung und Ausbeutung fortzusetzen, der »Ungleichheit« des Eigentümers (d. h. desjenigen, der bestimmte, durch gesellschaftliche Arbeit geschaffene .Produktionsmittel für sich persönlich eingezogen hat) mit dem Besitzlosen. Was vor dem Siege des Proletariats nur als theoretische Meinungsverschiedenheit in der Frage der »Demokratie« erscheint, wird morgen, nach dem Siege, unvermeidlich zu einer Frage, die mit Waffengewalt entschieden wird. Folglich ist ohne grundlegende Veränderung des ganzen Charakters des Kampfes mit den »Zentrumsleuten« und »Verteidigern der Demokratie« selbst eine vorläufige Vorbereitung der Massen zur Verwirklichung der Diktatur des Proletariats unmöglich.

8. Die Diktatur des Proletariats ist die entschiedenste Form des Klassenkampfes des Proletariats gegen die Bourgeoisie. Dieser Kampf kann nur dann erfolgreich sein, wenn der revolutionäre Vortrupp des Proletariats dessen überwältigende Mehrheit hinter sich hat. Die Vorbereitung der Diktatur des Proletariats erfordert daher nicht nur die Klarstellung des bürgerlichen Charakters eines jeden Reformismus, jeder Verteidigung der Demokratie bei Aufrechterhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln; nicht nur die Entlarvung von Tendenzen, die in Wirklichkeit die Durchführung der Verteidigung der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung bedeuten – sie erfordert auch die Ersetzung der alten Führer durch Kommunisten in absolut allen Arten von proletarischen Organisationen, nicht nur in den politischen, sondern auch in den gewerkschaftlichen, konsumgenossenschaftlichen, Bildungsorganisationen usw. Je andauernder, vollständiger und fest gefügter die Herrschaft der bürgerlichen Demokratie in dem betreffenden Lande war, um so mehr gelang es der Bourgeoisie, auf die Posten solcher Führer Leute zu stellen, die von ihr erzogen, von ihren Anschauungen und Vorurteilen durchtränkt und sehr häufig von ihr direkt oder indirekt gekauft sind. Es ist notwendig, diese Vertreter der Arbeiteraristokratie oder der verbürgerlichten Arbeiter hundertmal kühner als bisher von allen ihren Posten zu verdrängen und sie sogar durch unerfahrene Arbeiter zu ersetzen, wenn diese nur mit der ausgebeuteten Masse verknüpft sind und deren Vertrauen im Kampfe mit den Ausbeutern geniessen. Die Diktatur des Proletariats wird die Ernennung solcher unerfahrenen Arbeiter auf die verantwortlichsten Posten im Staat erforderlich machen; sonst wird die Macht der Arbeiterregierung ohnmächtig sein und von der Masse nicht unterstützt werden.

9. Die Diktatur des Proletariats ist die vollkommenste Verwirklichung der Leitung aller Werktätigen und Ausgebeuteten, die von der Klasse der Kapitalisten unterjocht, getreten, gedrückt, eingeschüchtert, zersplittert, betrogen worden sind, durch die einzige Klasse, die zu einer solchen führenden Rolle durch die ganze Geschichte des Kapitalismus vorbereitet ist. Daher muss mit der Vorbereitung der Diktatur des Proletariats überall und unverzüglich begonnen und u. a. folgendermassen verfahren werden:
In ausnahmslos allen Organisationen, Verbänden, Vereinigungen vor allem der proletarischen, dann aber auch der nicht-proletarischen werktätigen und ausgebeuteten Masse (politischen, gewerkschaftlichen, militärischen, Kooperativ-, Bildungs-, Sportvereinen usw.) müssen Gruppen oder Zellen von Kommunisten geschaffen werden, hauptsächlich offene, aber auch geheime – letztere sind obligatorisch in jedem Fall, wo ihre Auflösung, die Verhaftung oder Verbannung ihrer Mitglieder durch die Bourgeoisie zu erwarten ist, – wobei diese Zellen, eng untereinander und mit der Parteizentrale verbunden, ihre Erfahrungen austauschen, die Arbeit der Agitation, Propaganda, Organisation leisten, sich absolut allen Gebieten des öffentlichen Lebens, absolut allen Spielarten und Gruppen der werktätigen Masse anpassen und durch diese vielseitige Arbeit systematisch sowohl sich selbst, als auch die Partei, die Klasse und die Massen erziehen müssen.
Hierbei ist es äusserst wichtig, die erforderlichen Methoden der gesamten Arbeit auszuarbeiten und zu entwickeln; einerseits in Bezug auf die Führer oder verantwortlichen Vertreter, die durch spiessbürgerliche und imperialistische Vorurteile hoffnungslos verdorben sind – diese »Führer« müssen schonungslos entlarvt und aus der Arbeiterbewegung vertrieben werden. Anderseits in Bezug auf die Massen, die besonders nach dem imperialistischen Morden meist geneigt sind, der Lehre von der notwendigen Herrschaft des Proletariats als dem einzigen Ausweg aus der kapitalistischen Sklaverei Gehör zu schenken und sie anzunehmen. Man muss lernen, an die Massen besonders geduldig und vorsichtig heranzutreten, um die Eigenarten, die besonderen Züge der Psychologie jeder Schicht, jedes Berufs usw. in dieser Masse verstehen zu können.

10. Im besonderen verdient eine von den Gruppen oder Zellen der Kommunisten die ausserordentliche Aufmerksamkeit und Fürsorge der Partei, nämlich die parlamentarische Fraktion, d. h. die Gruppe von Parteimitgliedern, die Abgeordnete in bürgerlichen Vertretungskörperschaften sind (vor allem in den staatlichen, dann aber auch in den örtlichen, kommunalen usw.). Einerseits hat gerade diese Tribüne eine besonders wichtige Bedeutung in den Augen breitester Schichten der zurückgebliebenen oder mit spiessbürgerlichen Vorurteilen durchtränkten werktätigen Masse; daher müssen die Kommunisten unbedingt gerade von dieser Tribüne herab die Arbeit der Propaganda, Agitation und Organisation leisten und die Massen darüber aufklären, warum in Russland die Auseinandertreibung des bürgerlichen Parlaments durch den allgemeinen Sowjetkongress gesetzmässig war (und zur gegebenen Zeit in jedem beliebigen Lande gesetzmässig wird). Anderseits hat die ganze Geschichte der bürgerlichen Demokratie aus der Parlamentstribüne, besonders in den vorgeschrittenen Ländern, das hauptsächlichste oder eines der hauptsächlichsten Gebiete für unerhörte Gaunereien, finanziellen und politischen Betrug des Volkes, Strebertum, Heuchelei und Bedrückung der Werktätigen gemacht. Daher ist der glühende Hass der besten Vertreter des revolutionären Proletariats gegen die Parlamente völlig gerechtfertigt. Deshalb ist von den kommunistischen Parteien sowie allen Parteien der kommunistischen Internationale – besonders wenn diese Parteien nicht durch Abspaltung von den alten Parteien und andauernden hartnäckigen Kampf mit ihnen entstanden sind, sondern durch den (häufig nur scheinbaren) Übergang der alten Parteien zu neuen politischen Stellungen – ein ganz ausserordentlich strenges Verhalten gegen ihre parlamentarischen Fraktionen erforderlich: ihre volle Unterordnung unter die Kontrolle und die Anweisungen des Zentralkomitees der Partei; Aufnahme von hauptsächlich revolutionären Arbeitern in ihren Bestand; aufmerksamste Analyse der Reden der Parlamentarier in der Parteipresse und in Parteiversammlungen vom kommunistischen Standpunkt: Abkommandierung der Abgeordneten zur Agitationsarbeit unter den Massen, Ausschluss aller derer aus diesen Fraktionen, die Tendenzen der II. Internationale zeigen usw.

11. Eine der Hauptursachen, die die revolutionäre Arbeiterbewegung in den entwickelten kapitalistischen Ländern erschweren, besteht darin, dass es dem Kapital dank dem Kolonialbesitz und den Surplusprofiten des Finanzkapitals usw. hier gelungen ist, eine verhältnismässig breitere und standfestere Schicht der kleinen Minderheit der Arbeiteraristokratie auszuscheiden. Sie geniesst die besten Lohnbedingungen und ist am meisten vom Geist zünftiger Beschränktheit, von spiessbürgerlichen und imperialistischen Vorurteilen durchdrungen. Das ist die wahre soziale »Stütze« der II. Internationale der Reformisten und »Zentrumsleute«, und im gegenwärtigen Augenblick ist dies beinahe die einzige soziale Hauptstütze der Bourgeoisie. Keine auch nur vorläufige Vorbereitung des Proletariats zum Sturz der Bourgeoisie ist ohne unverzüglichen, systematischen, ausgedehnten, offenen Kampf mit dieser Schicht möglich, die zweifellos – wie durch die Erfahrung schon völlig erwiesen ist – nach dem Siege des Proletariats nicht wenige Elemente für die bürgerlichen weissen Garden liefern wird. Alle der Kommunistischen Internationale angeschlossenen Parteien müssen um jeden Preis die Losung durchführen: »tiefer in die Massen«, »engere Verbindung mit den Massen«, wobei unter den Massen die Gesamtheit der Werktätigen und vom Kapital Ausgebeuteten zu verstehen ist, besonders diejenigen, die am wenigsten organisiert und aufgeklärt, am stärksten bedrückt und der Organisation am wenigsten zugänglich sind.
Das Proletariat wird nur insofern revolutionär, als es sich nicht in enge Zunftgrenzen einschliesst, nur soweit, wie es an allen Erscheinungen und auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens als Führer der gesamten werktätigen und ausgebeuteten Masse teilnimmt – und es kann seine Diktatur unmöglich verwirklichen, wenn es um des Sieges über die Bourgeoisie willen nicht zu den grössten Opfern bereit und fähig ist. Sowohl prinzipielle als auch praktische Bedeutung hat in dieser Hinsicht die Erfahrung Russlands, wo das Proletariat seine Diktatur nicht hätte verwirklichen, die allgemeine Achtung und das Vertrauen der gesamten werktätigen Masse nicht hätte erobern können, wenn es in den schwersten Zeiten des Ansturms, des Krieges, der Blockade durch die Weltbourgeoisie nicht die grössten Opfer gebracht und mehr gehungert hätte, als alle anderen Schichten dieser Masse.
Im besonderen ist die allseitige und selbstverleugnende Unterstützung durch die kommunistische Partei und das ganze fortgeschrittene Proletariat besonders in Bezug auf die breite, elementare Massenstreikbewegung erforderlich, die allein imstande ist, unter dem Joch des Kapitals die Massen tatsächlich zu wecken, in Bewegung zu bringen, aufzuklären und zu organisieren, sowie in ihnen volles Vertrauen zur Führerrolle des revolutionären Proletariats grosszuziehen. Ohne diese Vorbereitung ist keine Diktatur des Proletariats möglich, und Leute, die fähig sind, öffentlich gegen Streiks aufzutreten, wie Kautsky in Deutschland, Turati in Italien, können in Parteien, die der Kommunistischen Internationale angeschlossen sind, unter keinen Umständen geduldet werden. In noch höherem Masse gilt das natürlich von den trade-unionistischen und parlamentarischen Führern, die die Arbeiter häufig verraten, indem sie sie aus der Erfahrung der Streiks den Reformismus lehren und nicht die Revolution, z. B. Jouhaux in Frankreich, Gompers in Amerika, J. H. Thomas in England.

12. Für alle Länder, sogar die freiesten, »legalsten« und »friedlichsten« im Sinne der geringsten Schärfe des Klassenkampfes ist die Periode völlig herangereift, wo es für jede kommunistische Partei unbedingt erforderlich ist, die legale und die illegale Arbeit, die legale und die illegale Organisation systematisch zu vereinigen. Denn auch in den aufgeklärtesten und freiesten Ländern mit »standfestester« bürgerlich-demokratischer Ordnung greifen die Regierungen bereits systematisch, entgegen ihren lügnerischen und heuchlerischen Erklärungen, zur Führung geheimer Listen der Kommunisten, zu endlosen Verletzungen ihrer eigenen Verfassung, zur halbgeheimen und geheimen Unterstützung der Weissgardisten und zur Ermordung der Kommunisten in allen Ländern, zur geheimen Vorbereitung von Verhaftungen der Kommunisten, zur Einschmuggelung von Provokateuren in die Kreise der Kommunisten usw. Nur das reaktionärste Spiessbürgertum, mit welchen schönen »demokratischen« und pazifistischen Phrasen es sich auch bemänteln mag, kann diese Tatsache oder die notwendige Folge daraus ableugnen: unverzügliche Bildung illegaler Organisationen durch alle kommunistischen Parteien zwecks systematischer illegaler Arbeit und voller Vorbereitung auf den Augenblick, da die bürgerlichen Verfolgungen in Erscheinung treten. Besonders notwendig ist die illegale Arbeit im Heer, in der Flotte und Polizei; denn nach dem grossen imperialistischen Morden haben alle Regierungen Angst bekommen vor dem Volksheer, das den Bauern und Arbeitern offen steht, und haben angefangen, insgeheim zu allen möglichen Mitteln zu greifen, zur Auswahl von Truppenteilen, die aus der Bourgeoisie rekrutiert und mit besonders vervollkommneter Technik speziell ausgerüstet sind.
Anderseits ist es auch notwendig, sich in allen Fällen ohne Ausnahme nicht nur auf die illegale Arbeit zu beschränken, sondern auch die legale durchzuführen, zu diesem Zweck alle Schwierigkeiten zu überwinden, legale Presseorgane und legale Organisationen unter den verschiedenartigsten und, wenn nötig, häufig wechselnden Benennungen zu gründen. So handeln die illegalen kommunistischen Parteien in Finnland, Ungarn, zum Teil in Deutschland, Polen, Lettland usw. So müssen die »Industriearbeiter der Welt« (IWW) in Amerika handeln, so werden alle legalen kommunistischen Parteien handeln müssen, wenn es den Staatsanwälten genehm sein wird, auf Grund von Beschlüssen der Kongresse der Kommunistischen Internationale usw. Verfolgungen einzuleiten.
Die unbedingte prinzipielle Notwendigkeit der Vereinigung von illegaler und legaler Arbeit wird nicht nur durch die Gesamtheit der Eigentümlichkeiten der gegenwärtigen Periode des Vorabends der proletarischen Diktatur bestimmt, sondern auch durch die Notwendigkeit, der Bourgeoisie zu beweisen, dass es kein Ge Gebiet und Arbeitsfeld gibt und geben kann, das die Kommunisten nicht erobern, und vor allem dadurch, dass es noch überall breite Schichten des Proletariats und mehr noch der nichtproletarischen werktätigen und ausgebeuteten Masse gibt, die der bürgerlich-demokratischen Legalität noch vertrauen und die vom Gegenteil zu überzeugen für uns sehr wichtig ist.

13. Speziell zeigt die Lage der Arbeiterpresse in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern besonders anschaulich sowohl die ganze Verlogenheit der Freiheit und Gleichheit unter der bürgerlichen Demokratie, als auch die Notwendigkeit einer systematischen Vereinigung von legaler und illegaler Arbeit. Sowohl im besiegten Deutschland als auch im siegreichen Amerika werden die ganze Macht des Staatsapparates der Bourgeoisie und alle Streiche ihrer Finanzkönige angewandt, um den Arbeitern ihre Presse zu nehmen: sowohl gerichtliche Verfolgungen und Verhaftungen (selbst Ermordungen durch gedungene Mörder) ihrer Redakteure, als auch das Verbot der Postbeförderung, Verweigerung von Papier usw. Zudem befindet sich das für eine Tageszeitung erforderliche Nachrichtenmaterial in den Händen der bürgerlichen Telegraphenagenturen, und die Anzeigen, ohne die eine grosse Zeitung sich nicht rentiert, stehen zur »freien« Verfügung der Kapitalisten. So nimmt die Bourgeoisie durch Betrug und durch den Druck des Kapitals und der bürgerlichen Herrschaft dem revolutionären Proletariat seine Presse.
Zum Kampfe dagegen müssen die kommunistischen Parteien einen neuen Typus der periodischen Presse zur Massenverbreitung unter den Arbeitern schaffen: erstens legale Ausgaben, die, ohne sich als kommunistisch zu bezeichnen und ohne von ihrer Zugehörigkeit zur Partei zu reden, lernen sollen, auch die kleinste Legalität auszunutzen, wie die Bolschewiki es unter dem Zaren nach 1905 taten; zweitens illegale Blätter, wenn auch kleinsten Umfanges und unregelmässig erscheinend, die aber in einer Menge von Druckereien durch die Arbeiter nachgedruckt werden (insgeheim, oder wenn die Bewegung erstarkt ist, durch revolutionäre Inbesitznahme der Druckereien) und dem Proletariat freie, revolutionäre Information und revolutionäre Losungen geben.
Ohne einen die Massen mitreissenden revolutionären Kampf für die Freiheit der kommunistischen Presse ist die Vorbereitung zur Diktatur des Proletariats unmöglich.

3. Die Ausgleichung der Linie in der politischen Haltung und – teilweise auch des Bestandes der Parteien, die der Kommunistischen Internationale angeschlossen sind oder sich ihr anschliessen wollen

14. Der Grad der Vorbereitung des Proletariats der – vom Standpunkt der Weltwirtschaft und Weltpolitik – wichtigsten Länder zur Verwirklichung seiner Diktatur, wird mit grösster Objektivität und Genauigkeit dadurch bezeichnet, dass die einflussreichsten Parteien der II. Internationale, die Sozialistische Partei Frankreichs, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die Unabhängige Arbeiterpartei Englands, die Amerikanische Sozialistische Partei aus dieser gelben Internationale ausgetreten sind und beschlossen haben, sich der Kommunistischen Internationale bedingt anzuschliessen. Das beweist, dass nicht nur der Vortrupp, sondern auch die Mehrheit des revolutionären Proletariats, durch den Gang der Ereignisse überzeugt, begonnen hat, auf unsere Seite überzugehen. Die Hauptsache ist jetzt, dass man verstehen muss, diesen Übergang perfekt zu machen und das Erreichte dauernd organisatorisch zu sichern, damit auf der ganzen Linie ohne die geringste Zögerung vorgegangen werden kann.

15. Die ganze Tätigkeit der genannten Parteien (denen man noch eventuell die Schweizerische Sozialistische Partei hinzufügen muss) beweist, und jedes periodische Organ dieser Parteien bekräftigt anschaulich, dass diese Tätigkeit noch nicht kommunistisch ist und nicht selten den Grundprinzipien der Kommunistischen Internationale direkt zuwiderläuft, nämlich: der Anerkennung der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht statt der bürgerlichen Demokratie.
Daher hat der II. Kongress der Kommunistischen Internationale beschlossen, dass sie es nicht für möglich erachtet, diese Parteien unverzüglich aufzunehmen; dass sie die Antwort bestätigt, die das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale den deutschen »Unabhängigen« gegeben hat; dass sie ihre Bereitschaft bestätigt, Verhandlungen mit jeder beliebigen Partei zu führen, die aus der II. Internationale austritt und sich der Kommunistischen annähern will; dass sie den Delegierten solcher Parteien beratende Stimme auf allen ihren Kongressen und Konferenzen einräumt; dass sie für die volle Vereinigung dieser (und ähnlicher) Parteien mit der Kommunistischen Internationale folgende Bedingungen stellt:

1. Veröffentlichung aller Entscheidungen aller Kongresse der Kommunistischen Internationale und ihres Exekutivkomitees in allen periodischen Organen der Partei.
2. Erörterung derselben in besonderen Versammlungen aller Sektionen oder Ortsgruppen der Partei.
3. Einberufung – nach dieser Erörterung – eines Sonderkongresses der Partei, um das Fazit zu ziehen. Dieser Kongress muss sobald als möglich und nicht später als 4 Monate nach dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale einberufen werden.
4. Reinigung der Partei von Elementen, die fortfahren, im Geiste der II. Internationale zu handeln.
5. Übergang aller periodischen Organe der Partei in die Hände ausschliesslich kommunistischer Redaktionen.
6. Parteien, die jetzt in die Kommunistische Internationale eintreten wollen, aber die noch nicht radikal mit ihrer alten Taktik gebrochen haben, müssen darauf achten, dass zwei Drittel der Mitglieder ihres Zentralkomitees und ihrer zentralen Institutionen aus Genossen bestehen, die sich schon vor dem II. Kongress öffentlich für den Beitritt zur Kommunistischen Internationale ausgesprochen haben. Ausnahmen können nur mit Zustimmung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gemacht werden.
7. Die Mitglieder der Partei, welche die von der Kommunistischen Internationale ausgearbeiteten Bedingungen und Thesen verwerfen, müssen ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt entsprechend für die Mitglieder des ausserordentlichen Kongresses.

Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale beauftragt das Exekutivkomitee, die genannten und ähnliche Parteien formell in die Kommunistische Internationale aufzunehmen, nachdem es vorher nachgeprüft hat, dass alle diese Bedingungen wirklich erfüllt worden sind und der Charakter der Parteitätigkeit kommunistisch geworden ist.

16. In der Frage, wie sich die Kommunisten, die jetzt die Minderheit bilden, auf verantwortlichen Posten der genannten und ähnlichen Parteien zu verhalten haben, hat der II. Kongress der Kommunistischen Internationale bestimmt, dass angesichts der raschen gegenwärtigen Entwicklung und des revolutionären Geistes der Massen, der Austritt der Kommunisten aus ihnen nicht wünschenswert ist, solange sie die Möglichkeit haben, in diesen Parteien im Sinne der Anerkennung der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht, sowie im Sinne der Kritik an den in diesen Parteien noch übrig gebliebenen Opportunisten und Zentrumsleuten zu arbeiten. Jedes Mal, wenn der linke Flügel einer Zentrumspartei genügend stark geworden ist, und es die Entwicklung der kommunistischen Bewegung erheischt, kann er als Gesamtheit die Partei verlassen und eine kommunistische Partei bilden.
Gleichzeitig spricht sich der II. Kongress der Kommunistischen Internationale auch für den Anschluss der kommunistischen oder mit dem Kommunismus sympathisierenden Gruppen und Organisationen in England an die »Arbeiterpartei« (Labour Party) aus, obgleich diese der II. Internationale angehört. Denn solange diese Partei für die ihrem Bestande angehörenden Organisationen ihre jetzige Freiheit der Kritik und Freiheit der Propaganda-, Agitations- und Organisationstätigkeit für die Diktatur des Proletariats und die Sowjetmacht aufrechterhält, solange diese Partei den Charakter einer Vereinigung aller Gewerkschaftsorganisationen der Arbeiterklasse bewahrt, müssen die Kommunisten unbedingt alle Schritte tun und auf gewisse organisatorische Kompromisse eingehen, um die Möglichkeit zu haben, auf die breitesten Arbeitermassen einzuwirken, ihre opportunistischen Führer von einer höheren und den Massen sichtbaren Tribüne herab zu entlarven, den Übergang der politischen Macht von den direkten Vertretern der Bourgeoisie zu den »Arbeiterleutnants der Kapitalistenklasse« zu beschleunigen, um die Massen rasch von ihren letzten Illusionen in dieser Hinsicht zu heilen.

17. Was die Italienische Sozialistische Partei anbetrifft, so erkennt der II. Kongress der Kommunistischen Internationale an, dass die im vergangenen Jahre von dieser Partei auf dem Kongress in Bologna beschlossene Revision des Programms eine sehr wichtige Etappe in der Umgestaltung zum Kommunismus darstellt, und dass die von der Turiner Sektion dem Nationalrat der Partei vorgelegten und in der Zeitschrift »L‘Ordine Nuovo« vom 8. Mai 1920 veröffentlichten Vorschläge allen Grundprinzipien der Kommunistischen Internationale entsprechen. Der Kongress bittet die Italienische Sozialistische Partei, auf dem nächsten Kongress, der gemäss den eigenen Statuten und den allgemeinen Aufnahmebedingungen der Kommunistischen Internationale stattfinden wird, die erwähnten Vorschläge und alle Entscheidungen des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale, besonders hinsichtlich der Parlamentsfraktion, der Gewerkschaften und der nicht kommunistischen Elemente in der Partei zu prüfen.

18. Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale erkennt als unrichtig die Ansichten über die Beziehungen der Partei zu Klasse und Masse, über die Unverbindlichkeit der Teilnahme der kommunistischen Partei an den bürgerlichen Parlamenten und reaktionärsten Gewerkschaften an, die in besonderen Beschlüssen des zweiten Kongresses eingehend widerlegt sind und am vollständigsten durch die »Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands« (KAPD) verteidigt werden, sowie teilweise von der »Kommunistischen Partei der Schweiz«, dem Organ des Osteuropäischen Sekretariats der Kommunistischen Internationale »Der Kommunismus« in Wien, und einigen holländischen Genossen, ferner von einigen kommunistischen Organisationen in England, z. B. der »Sozialistischen Arbeiterföderation« u. a., sowie von den »Industriearbeitern der Welt« (IWW) in Amerika und von den Shop Stewards Committees in England usw.
Trotzdem hält der II. Kongress der Kommunistischen Internationale die unverzügliche Angliederung derjenigen von diesen Organisationen an die Kommunistische Internationale für möglich und wünschenswert, die sich noch nicht offiziell angeschlossen haben, denn in diesem Falle, besonders hinsichtlich der »Industriearbeiter der Welt« in Amerika und Australien, sowie den »Shop Stewards« in England haben wir es mit einer tief proletarischen Massenbewegung zu tun, die in ihrer Grundlage tatsächlich auf dem Boden der wesentlichsten Prinzipien der Kommunistischen Internationale steht, in solchen Organisationen erklären sich die falschen Ansichten über die Teilnahme an den bürgerlichen Parlamenten weniger durch die Rolle von Herkömmlingen aus der Bourgeoisie, die ihre, im Grunde kleinbürgerlichen Ansichten hineinbringen – die auch häufig die Ansichten der Anarchisten sind, – sondern durch die politische Unerfahrenheit völlig revolutionärer und mit der Masse verknüpfter Proletarier.
Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale bittet daher alle kommunistischen Organisationen und Gruppen in den angelsächsischen Ländern, selbst wenn der unverzügliche Anschluss der »Industriearbeiter der Welt« (IWW) und der »Shop Stewards« nicht erfolgen sollte, eine Politik der freundschaftlichen Beziehungen zu diesen Organisationen, der Annäherung an sie und die mit ihnen sympathisierende Masse zu führen und ihnen vom Standpunkt der Erfahrungen aller Revolutionen und insbesondere der drei russischen Revolutionen im XX. Jahrhundert freundschaftlich die Fehlerhaftigkeit ihrer oben angeführten Ansichten klarzulegen und auf wiederholte Versuche der Verschmelzung mit diesen Organisationen zu einer einigen kommunistischen Partei nicht zu verzichten.

19. Im Zusammenhang hiermit lenkt der Kongress die Aufmerksamkeit aller Genossen, besonders in den romanischen und angelsächsischen Ländern darauf, dass unter den Anarchisten nach dem Kriege in der ganzen Welt eine tiefe, geistige Scheidung in der Frage der Stellung zur Diktatur des Proletariats und zur Sowjetmacht vor sich geht. Dabei ist gerade unter den proletarischen Elementen, die häufig durch den völlig gerechtfertigten Hass gegen den Opportunismus und Reformismus der Parteien der II. Internationale zum Anarchismus getrieben worden sind, eine besonders richtige Auffassung dieser Prinzipien bemerkbar. Die Auffassung nimmt um so mehr an Verbreitung zu, je eingehender sie mit den Erfahrungen Russlands, Finnlands, Ungarns, Lettlands, Polens, Deutschlands bekannt werden.
Der Kongress sieht es daher als Pflicht aller Genossen an, den Übergang aller massenproletarischen Elemente vom Anarchismus zur Kommunistischen Internationale nach Kräften zu unterstützen. Der Kongress erklärt, dass der Erfolg der Arbeit der wahrhaft kommunistischen Parteien unter anderem daran zu ermessen ist, in wieweit es ihnen gelungen ist, alle massenproletarischen Elemente vom Anarchismus auf ihre Seite hinüberzuziehen.


Source: Protokoll des II . Weltkongresses der Kommunistischen Internationale», Hamburg, 1921. Digitalisierung und Bearbeitung: sinistra.net November 2022.

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