Generalstreik 1937 in Deutschland? Ein Jahr nach den olympischen Sommerspielen in Berlin, ein Jahr vor den von den Nazis inszenierten Novemberpogromen, um die Enteignung (Arisierung) zu Gunsten der Aufrüstungsfinanzierung zu forcieren, zwei Jahre vor Entfesselung des Krieges, mit dem das in Deutschland ansässige Kapital eine Vormachtsstellung auf dem europäischen Kontinent erringen und den »jüdischen Bolschewismus« vernichten wollte? Gab es also wirklich einen Generalstreik, und wenn ja, warum hat man niemals zuvor davon erfahren? Lag es daran, dass die entsprechenden Akten der Gestapo in einem Moskauer Archiv schlummerten, das erst in diesem Jahrhundert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde? War dieser Streik womöglich sogar aus dem Ausland, namentlich von der Komintern iniziiert? War nicht auch der Generalstreiksversuch 1933 im Schwäbischen über lange Jahre verschwiegen worden? Und was folgte danach? Ein Blick in die archivierten Akten der Nazis sorgt einstweilen für einen gewissen Einblick in diese Angelegenheit…[1]
Am 25. Februar 1937 meldet der SS-Standartenführer Heinrich Müller an den SS-Hauptsturmführer Sommer bei der »Deutschen Arbeitsfront«, DAF, dem Nazi-Pseudogewerkschaftssurrogat, aus angeblich gut unterrichteter Quelle aus dem Auslande »das etwa Ende März 1937 (man nimmt an, dass zu diesem Zeitpunkt dann in Deutschland Ernährungsschwierigkeiten eintreten werden) ein überraschender Generalstreik geplant sei. Dieser wird insofern besonders eigenartig sein, als man weder ›auf die Strasse geht‹, noch ›Fabriken besetzt‹, noch öffentlich demonstriert; man wird einfach ›zu Hause bleiben‹. Man glaubt, dass die Reichswehr ›dann nicht schiessen wird‹ und dass sie bewaffnete Eingriffe von [NS]-Parteiorganisationen verhindern wird, die auch mangels greifbaren Gegners schwierig sein würden.« Um weitergehende Auskünfte wird gebeten.
Heinrich Müller war zu dieser Zeit der stellvertretende Chef des Amtes politische Polizei im Hauptamt Sicherheitspolizei. Chef dieser Einrichtung war der berüchtigte Reinhard Heydrich. 1939 inszenierte Müller den angeblichen Überfall polnischer Soldaten auf den Rundfunksender Gleiwitz, der Hitler den Vorwand zum Angriff auf Polen lieferte. Im gleichen Jahr wurde er, erst von da an auch NSDAP-Mitglied, Geschäftsführer der »Reichszentrale für jüdische Auswanderung«, welche die Ausraubung und Deportation der rassistisch verfolgten Deutschen organisierte, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer angeblich minderwertigen »jüdischen Rasse«, erst diskriminiert, dann beraubt, deportiert und schliesslich in ungeheurer Zahl ermordet wurden. Als Leiter der Gestapo war Müller an nahezu allen Verbrechen massgeblich beteiligt, die im Reichssicherheitshauptamt geplant, vorbereitet und organisiert wurden. Er war es auch, der am 5. April 1945 dem Kommandanten des KZ Dachau den von Hitler erteilten Mordbefehl an dem Arbeiter und Kommunisten Georg Elser, der den Bombenanschlag im Bürgerbräukeller in München am 8. November 1939 durchgeführt hatte, übermittelte.
Bereits am 5. März 1937 wird ein streng geheimes Einschreiben an die entsprechenden regionalen Diensstellen der SS und der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF) verschickt mit dem Betreff: »Kominternanweisungen für Generalstreik in Deutschland«. Darin enthalten ist die obige Meldung, und die Bitte, »der Mitteilung deshalb besondere Beachtung zu schenken, weil das hier von den Komintern empfohlene Verfahren [… ] neu und besonders gefährlich ist und andererseits etwa im obigen Sinne auftretende Erscheinungen auf kommunistische Tätigkeit im Betrieb hinweisen können.« Bei den Ermittlungen zu dieser Sache soll festgestellt werden, ob derartige Gerüchte vor Ort bereits bekannt geworden sind, ob die Art der Arbeitsverweigerung durch »zu Hause bleiben« bereits aufgefallen ist, ob auffällige Krankmeldungen im Bezug auf Art und Zahl in dem einen oder anderen Betrieb festzustellen sind. Insgesamt sollen die Ermittlungen »sehr vorsichtig!« geführt werden. Die Zwischenberichte sollen zum 22. März 1937 vorliegen.
Angefügt ist dem Schreiben eine Meldung aus dem Gau Magdeburg-Anhalt vom Februar 1937: »Die saisonmässig bedingte Fettknappheit war Anlass, dass die Stimmung der Arbeiterschaft in den Industriestädten sich verschlechtert hat. Da hier eine entsprechende Aufklärung fehlte beziehungsweise in unzulässigen Masse vorgenommen wurde, war die Verknappung Anlass für Gerüchte verschiedenster Art.« Daraufhin meldete sich die Deutsche Arbeitsfront der »Gauwaltung Magdeburg-Anhalt« am 11. März und stellt in einem Schreiben an den SS-Obersturmbannführer Schmidt fest, dass die Ursachen der Beunruhigung wegen der Verknappung darin liegen, »dass das Verteilungssystem mangelhaft ist und sich erst mit der Zeit einspielen muss.« Da viele »gaufremde Arbeitskräfte« aus ihrer Heimat Nachricht erhalten hätten, dass in ihren Heimatgebieten keine Fettknappheit aufgetreten wäre, könnte keine Feststellung gemacht werden, dass diese Angelegenheit in Zusammenhang mit dem Rundschreiben gebracht werden kann.
Einen Tag später, am 12. März, wird eine Aktennotiz angelegt: Der Kapitän des Dampfers »Poseidon« einer Königsberger Reederei[2] meldet, dass die Mannschaften in letzter Zeit öfters als gewöhnlich wegen Krankheit abmustern, was auf Anregung des Interclubs[3] in Leningrad geschehen soll. Diese Meldung datiert allerdings vom Anfang Dezember des Vorjahres.
Aus Essen wird eine Abschrift eines Flugblattes geliefert, welches auf Durchschlagspapier (»Flugpostpapier«) per Brief mit Essener Poststempel versandt wurde und bei der dortigen Gestapo landete. Es lautet folgendermassen:
»Essen. den 7. März 1937.
Sicher ist auch Ihnen bekannt, dass die Nationalsozialisten u.a. ihre Macht zu benutzen, um sich die eigenen Taschen auf Kosten der Allgemeinheit zu füllen. Unterschlagungen im Dritten Reich sind zu einer unheilbaren Seuche geworden. Wir greifen nur die letzte Januarwoche heraus, die allein drei grosse Unterschlagungsprozeese in Essen brachte. 1.) Steuerinspektor Meyer (Nazi) unterschlug Rmk. 200 000.- 2.) NSV.-Beamter W. Schulz (Nazi) unterschlug Rmk. 18 100.- 3.) DAF.-Stadtteilleiter H. Rhaese (Nazi) unterschlug Rmk: 5500.- So geht es schon seit 4 Jahren! Wie lange soll es so noch weitergehen?
Ist Ihnen auch bekannt, dass der frühere Preiskommissar Goerdeler[4], Direktor bei Krupp werden soll? Unter den Krupp-Arbeitern hat bereits eine verständliche Unruhe eingesetzt, fürchten sich doch mit Recht, dass Goerdeler die Akkordpreise noch weiter ›regulieren‹ wird, die man bereits im letzten Jahr um 20–30 % gesenkt hat. Er wird den Bruttogewinn der Werke noch weiter steigern helfen, der bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr 288 Millionen betragen hat; 288 Millionen Mark brutto für einen ›Betriebsführer‹. Aber nur 153 Millionen Mark an Löhnen und Gehältern für eine ›Gefolgschaft‹ von 82 000 Köpfen! Ist das der deutsche Sozialismus?
Krupp verdient Riesensummen an der Aufrüstung und am bevorstehenden Krieg, den das Volk mit Gut und Blut bezahlen muss. Unsere Heimatstadt als das Herz der deutschen Kriegsindustrie wird zuerst den Luftangriffen der ›Feinde‹ ausgesetzt sein, die von Hitler zum Krieg gezwungen werden. Wissen Sie, was ein Luftangriff über Essen bedeutet? Zu Zehntausenden werden wir und unsere Kinder zerrissen, verbrannt, vergiftet und vergast werden! Teuere Luftschutzkeller und Gasmasken? Jawohl, für die Reichen, während wir in unseren Waschküchen, die nur Todesfallen sind, verrecken werden. Auch die Flak-Kaserne, die man in Kray baut, wird uns nicht vom Untergang retten können! Sehen Sie nach Madrid. Essen wird ein zweites Madrid werden!
Ist Ihnen weiter bekannt, dass Hitler in den letzten Monaten wieder öfter auf Villa Hügel[5] inkognito zu Besuch war? Holte er sich dort wieder Instruktionen, wie auf der Konferenz westdeutscher Grossindustrieller 1933, wo er mit ihrer Erlaubnis Reichskanzler wurde? Fürwahr, Hitler hat die Aufträge der Krupp und Thyssen restlos ausgeführt, er hat ihre Millionen vermehrt und er hat Lohnerhöhungen als nicht tragbar erklärt. Er hat in Spanien mit Hilfe Francos den Bürgerkrieg angestiftet, an dem Krupp weitere Millionen verdient und der auch dem spanischen Volk seine Freiheit kosten soll. Hitler führt bereits Krieg! Zehntausende deutsche Soldaten wurden gezwungen, gegen das spanische Volk zu kämpfen, mit den uns immer eine enge Freundschaft verband. Tausende Deutsche sind bereits gefallen für die Profite Krupps u.a. Hyänen. Aber auch Hunderte deutsche Soldaten sind bereits übergelaufen und kämpfen jetzt mit der Volksfront. Weit über hundert deutsche Flugzeuge mit deutscher Besatzung wurden abgeschossen. Sie sind minderwertiger in Bezug auf Geschwindigkeit, Bewaffnung und Geschicklichkeit der Piloten! Ihre Verluste sind wie 5:1! Deutsche Tanks sind schlechter! Bei Krupp wurde bereits die Herstellung eines bestimmten Typs eingestellt, weil er sich in Spanien als unbrauchbar erwiesen hat. Auch das Geschrei von der Qualität der deutschen Waffen hat sich wie alles andere als Bluff erwiesen. Deutschland wird keinen Krieg mehr gewinnen! Ohne Rohstoffe und Reserven, mit schlechteren Waffen, mit Fett- und Brotkarten und gegen eine Welt von starken Gegnern ist jeder Krieg bereits an Anfang verloren!
Lesen Sie diesen Brief aufmerksam durch und verbreiten Sie seinen Inhalt mündlich. Niemand wird Ihnen verbieten können, dass Sie gegen die Korruptionswirtschaft der Nazis, gegen die hohen Unternehmerprofite, gegen das verbrecherische Abenteuer Hitlers in Spanien und gegen den Krieg mit allen seinen Schrecken sind. Bringen Sie bei Ihren Freunden, Bekannten und Kollegen Ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck u. schaffen Sie Aufklärung. Treten Sie überall mit uns und mit der Sowjet-Union für den Frieden ein. Arbeiten Sie auch an der deutschen Volksfront zum Sturz Hitlers mit.
Wir teilen Ihnen noch mit, dass wir Ihre Adresse dem Adressbuch entnommen haben. Gleichzeitig empfehlen wir Ihnen, diesen Brief bei Ihren Vorgesetzten abzuliefern, damit Ihnen Unannehmlichkeiten erspart bleiben.«
Der Bürgerkrieg in Spanien war freilich nur das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg und Testgelände für Waffen. So sagte Göhring im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess aus: »Ich sandte mit Genehmigung des Führers einen grossen Teil meiner Transportflotte und sandte eine Reihe von Erprobungskommandos meiner Jäger, Bomber und Flakgeschütze hinunter und hatte auf diese Weise Gelegenheit, im scharfen Schuss zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde.« Die Verluste der deutschen Wehrmacht waren weitaus geringer als im Flugblatt angegeben oder erhofft. Es war das Trainingsfeld für letztendlich 25 000 Panzersoldaten der Reichswehr (6. Panzerregiment) und 20 000 Soldaten der Luftwaffeneinheit der »Legion Condor« (die Truppen wurden alle 6 Monate ausgewechselt). Die Verluste der Wehrmacht bis zum Ende des Bürgerkriegs betrugen lediglich 315 Soldaten, 96 Flugzeuge gingen der »Legion Condor« verloren, davon nur 40 durch direkte Kampfeinwirkungen. Ganz zu schweigen von der mehr als zweifelhaften Rolle der Sowjetunion, in der zu dieser Zeit zu Tausenden alte Bolschewiki hingerichtet und eingekerkert wurden, bei der Unterstützung der spanischen Republik. Im Dezember 1936 konnte man in der Moskauer »Prawda« zum Beispiel lesen: »In Katalonien hat die Beseitigung der Trotzkisten und Anarchosyndikalisten begonnen. Diese Säuberung wird mit der gleichen Energie wie in der Sowjet-Union bis ans Ende durchgeführt werden.« Auf republikanischer Seite kämpften ca. 5000 deutsche Freiwillige, Überläufer seitens der Wehrmacht gab es nur ässerst vereinzelt, wie etwa Albert Schreiber aus Pinneberg, der vom »Jagdgeschwader Richthofen« dersertierte, um auf republikanischer Seite zu kämpfen – er fiel am 29. Juli 1938 bei Cordoba.
Als im September 1937 Hitler und Mussolini die Stadt Essen besuchten prangte stolz am Hauptbahnhof ein Riesentransparent mit der Aufschrift »Herzlich willkommen in der Waffenschmiede des Reiches«, und, wie im Flugblatt angedeutet, war gerade dies der Grund, dass Essen zu einem Hauptziel der Bombardierungen durch die Alliierten wurde. Madrid, von deutschen Flugzeugen in vier Tagen im November 1936 bombardiert (um die Zivilbevölkerung zu treffen), hatte dabei an die 200 Opfer zu beklagen; Essen war nach dem Krieg zu fast 90 % zerstört, die Einwohnerzahl von 650 000 zu Kriegsbeginn mehr als halbiert, 7000 Menschen hatten ihr Leben bei den Bombardierungen der Stadt, der Krupp-Werke und anderer Industrie verloren. Deportiert und dann vergast oder zu Tode geschunden wurden an die 2 ½ Tausend vom NS-Staat als »Juden« klassifizierte Menschen. 32 000 Essener waren als Soldaten an den verschiedensten Fronten, meist wie Schlachtvieh, verendet. Es kam also schlimmer, als in dem Flugblatt prophezeit.
Nach dem Krieg wollten viele Essener vom einstigen Stolz der Stadt auf den Kriegsgewinnler Krupp nichts mehr wissen, Alfred Krupps Denkmal vor der Essener Marktkirche wurde weggeräumt. 2006 hat man es am gleichen Platz wieder aufgestellt, und die Firma Thyssen-Krupp, ganz in der Tradition, lebt munter weiter von gigantischen Rüstungsaufträgen.
Am 19. März 1937 trifft eine Meldung aus Kiel ein, wo nochmals der Bericht von der »Poseidon« aufgegriffen und vermeldet wird, dass zur Zeit in der Seeschifffahrt Arbeitsverweigerungen unter Alkoholeinfluss häufig sind und in verschiedenen Fällen »kommunistische Hetzer« festgestellt wurden. Obwohl »bis jetzt eine kommunistische Beeinflussung nicht festgestellt werden konnte« würden in dem Zusammenhang »die Meldungen über die zahlreichen Arbeitsverweigerungen der verschiedenen Fischdampferbesatzungen eine andere Deutung« erlauben.
Gleichen Datums trifft ebenfalls eine Meldung aus Hamburg ein über »vorsichtig eingezogene Erkundigungen« bei den Metall-Betrieben, deren »Gefolgschaft«, so der NS-Jargon, 26 000 Mann beträgt. Dort wurde keine Zunahme der Krankheitsfälle beobachtet. Um aber weiterhin informiert zu sein wurde ein Fragebogen entwickelt, der zunächst von 273 Metallbetrieben mit der annähernd doppelten Zahl an Beschäftigten ausgefüllt wird, ab dem kommenden Monat dann gar von 440 Betrieben mit rund 60 000 Angestellten, da die Verwaltungsstrukturen ab diesem Zeitpunkt auf Gross-Hamburg umgestellt werden.[6] Der Fragebogen ist beigelegt, die Anfrage nach den Krankmeldungen absichtlich unauffällig in dessen Mittelteil untergebracht.
In Würzburg wird gleichen Tages eine Meldung verfasst, hier gibt es keine Streikgerüchte, auch keine verstärkten Krankmeldungen. Nur in Aschaffenburg bestünde die Möglichkeit eines Streiks da in den dortigen Kleiderfabriken untertariflich bezahlt wird. Der Geschäftsführer des Verbands der Aschaffenburger Kleiderfabriken[7], ein gewisser Herr Neuhaus, wurde bereits »zur Mitarbeit herangezogen«. Einen Tag später meldet Düsseldorf in jeder Hinsicht Entwarnung nach »eingehender Überprüfung«. Ebenso Schwerin, mit dem Zusatz »Vorsichtig aber vordringlich wird diese Angelegenheit verfolgt. Kraftwagen steht für diesen Monat dauernd zur Verfügung.« München schlägt Streikbefürchtungen in den Wind: »Ausserdem ist die Stimmung in hiesigen Grossbetrieben z. Zt. so, dass nicht damit zu rechnen ist, dass evtl. Parolen der bezeichneten Art Folge geleistet würde.« In Koblenz sind die Krankenzahlen etwas höher, was aber auf Erkältung und Grippe zurückgeführt wird und dem Vergleich mit den Vorjahreszahlen standhält. In Bayreuth wird mit den Leitern der »Gaubetriebsgemeinschaften« in dieser Angelegenheit persönlich Kontakt gehalten und alles genau beobachtet. Man befürchtet, dass während der viertätigen Arbeitsruhe an Ostern von Mund zu Mund Nachrichten verbreitet werden, »welche die Gefolgschaften nach Beendigung der Feiertage von der Arbeit abhalten könnten.« Auch aus Nürnberg kann nichts berichtet werden, dahingegen meint man dort, dass »die Angriffe, die zur Zeit gegen den Staat erfolgen, vielmehr von Seiten der Kirche kommen.«
Am 23. März meldet sich endlich Berlin. Dort ist man der Ansicht, dass die erwähnten Vorbedingungen für einen Streik nicht gegeben seien, »wenn man von der Butter- und Fettknappheit absieht.« Die dort eingesetzten V-Männer konnten nichts in Erfahrung bringen: »Es ist auch kaum anzunehmen, dass eine Streikaufforderung heute noch auf fruchtbaren Boden fallen könnte, wo doch mehr oder weniger alle zufrieden sind, wenn sie Geld verdienen können.« Allerdings gibt es eine Ausnahme! In der Metallwarenfabrik Weber & Co in Berlin-Treptow[8] mit 800–1000 Beschäftigten. In der Werkzeugbauabteilung arbeiten 40 Werkzeugmacher, die schon seit einem ½ Jahr Überstunden machen und von ¾ 7 bis 17 ½ Uhr arbeiten. »Am 16. 3. 37 verliessen plötzlich mehrere, z. T. ehemalige Kommunisten, den Arbeitsplatz schon um 16 Uhr, ohne irgendeine Entschuldung vorzubringen.« Da muss natürlich weiter ermittelt werden…
Auch aus Dessau werden verdächtige Aktivitäten vom dortigen Baumeister Arendt vermeldet. Vor vier Wochen hätten dort acht Beschäftigte fünf Pfennig mehr Lohn über den Tarif (81 ½ Pfennige) hinaus gefordert, ansonsten würden sie kündigen. Einer derartigen Lohnforderung war natürlich nicht nachzugeben. Unter Einhaltung der dreitägigen Kündigungsfrist haben daraufhin die Maurer Kurt Ecke, Paul Miesik, Willi Sichting (alle aus Dessau-Törten) und der Arbeiter Kurt Walter aus Kochstedt den Arbeitsplatz verlassen. Mit der gleichen Begründung am 16. 3. der Maurer Otto Leistner und die Arbeiter Alfred Wienguth und Otto Wielke (auch alle aus Dessau-Törten) sowie der Arbeiter Paul Schattmann aus Waldersee. Leistner hätte sogar »kategorisch erklärt, dass er für 81 ½ Pfennige nicht weiterarbeite und wenn er dafür auch eingesperrt würde«. Mit dem Weggang dieser Arbeiter kam der Neubau einer Schule, die Ostern 1937 eingeweiht werden sollte, zum Erliegen. »Nach der derzeitigen Marktlage im hiesigen Bezirk besteht keine Möglichkeit Ersatz-Neueinstellungen vorzunehmen«. Und der Baumeister ergänzt, dass von diesen Arbeitern den ganzen Winter über sein Angebot ausgeschlagen worden wäre, die Innenverputzung im Akkord auszuführen.
Aus Breslau, von der »Gauwaltung Schlesien«, wird zu dem genannten Schreiben »Fehlanzeige erstattet«. Dergleichen aus Augsburg-Schwaben, Pommern (»zunächst«, da infolge des Frostes alle öffentlichen Bauvorhaben, einschliesslich der Reichsautobahnen, stillgelegt sind), Köln, Hannover, Bochum, Königsberg, Kassel, Stuttgart, Kiel und Karlsruhe. Aus Harburg wird berichtet, dass sich im Lager Wietzendorf im Kreis Soltau zwei Arbeiter, bekannt als ehemalige Kommunisten, aus fadenscheinigen Gründen krank gemeldet hätten.[9] Das westfälische Münster meldet, dass dort, wo viele bergbauliche Betriebe sind, im hohen Masse Krankenstände verzeichnet werden: »Diese Krankheitsfälle sind aber in erster Linie auf das geforderte Arbeitstempo einerseits und andererseits auf die langjährige Erwerbslosigkeit der Neueingestellten zurückzuführen. Allein im Kreis Recklinghausen wurden 400 Bergleute ins Krankenhaus eingeliefert, bei denen 8–10 % Unterernährung festgestellt wurde«! Aus Halle-Merseburg wird eine Meldung über den Mansfelder Seekreis nachgereicht. Dort seien die Krankmeldungen bei den Riebeck-Montanwerken[10] angestiegen. Ob dem politische Motive zugrundeliegen »wird zur Zeit noch geprüft«.
Schliesslich trifft aus Pommern am 10. April – die Baustellen der Reichsautobahnen waren wieder in Betrieb gesetzt – eine Nachmeldung ein. Folgende Begebenheiten werden geschildert: »Am 15. 3. 1937 protestierten 25 bei der Firma Grün & Bilfinger[11] auf der Baustelle der Reichsautobahn Podejuch[12] beschäftigte Stettiner Arbeiter gegen die ihnen von der Betriebsführung zugemutete Nachtarbeit. Sie erschienen jedoch zunächst in der Nacht auf der Baustelle, verschwanden aber nach und nach ohne Entschuldigung bis auf drei.« Allerdings waren die Namen der Arbeiter bis dahin nicht zu ermitteln, mit Nachdruck wurde die Firma um Herausgabe der Namen gebeten, »andernfalls die Betriebsführung selber vor die Geheime Staatspolizei zitiert würde«!
Bei dem Stettiner Strassen- und Tiefbauunternehmen Heinrich Köhler[13] wurde am 17. März bei der Lohnzahlung mündlich und per Anschlag schriftlich bekanntgegeben, dass am darauffolgenden Sonntag gearbeitet werden müsste, trotzdem sind aber 14 Arbeiter nicht zur Arbeit erschienen. Zwecks »genauer Bewachung« wurde dem Sicherheitsdienst bzw. der Geheimen Staatspolizei eine Liste übergeben, auf der die Namen der Arbeiter und die Gründe ihres Fernbleibens aufgeführt sind:
August König aus Möhringen und Gustav Kalsow aus Stettin »wollten ausruhen«, Hermann Koltermann, wie die übrigen aus Stettin, »musste ausruhen«. Hugo Liedtke war bei einer Einsegnung, Willi Wolfram musste ein Fahrrad kaufen, Hermann Lenz war Darmkrank. Wilhelm Ziegenhagen, August Löst und Friedrich Bruchholz »wussten angeblich nicht Bescheid«, ohne Begründung fehlten Erich Hofmeister, Werner Beutin, Walter Bahra und Erich Schacht. Sie dürften von nun an bei der Gestapo auf dem Kieker gewesen sein.
In dem Schreiben aus Pommern gibt es noch eine dritte Meldung, diesmal aus Bergen auf Rügen: bei der Gutsverwaltung Dumsevitz bei Garz auf Rügen waren oberschlesische Wanderarbeiter beschäftigt. Schon gleich nach Beginn der Arbeitsaufnahme hätte der Vorarbeiter der Kolonne, Josef Jeschonnek aus Schironowitz[14] im Kreis Gross Strelitz, versucht die ganze Kolonne zu Niederlegung der Arbeit zu veranlassen. »Er übte auf diese einen so starken moralischen Druck aus, dass am Sonnabend, den 20. 3. niemand mehr auf der Arbeitsstelle erschien.« Bei den Verhandlungen mit dem Betriebsführer soll Jeschonnek »weit über die Tarifordnung hinausgehende Forderungen« gestellt haben: eine Sonderzulage von 1 Reichsmark, Befreiung von Lohn- und Bürgersteuer und zusätzliche Verpflegung. Jeschonnek wurde umgehend entlassen und die Angelegenheit der Gestapo in Stralsund »zur weiteren Veranlassung« übergeben. Wie dort mit ihm weiter verfahren wurde, wird nicht berichtet.
Da aus Frankfurt/Main bisher keine Meldung eingetroffen war wird die dortige Dienststelle am 9. April angemahnt. Sechs Tage später trifft der dortige Bericht in Berlin ein, man hätte leider versäumt den Zwischenbescheid abzugeben. Bei den Heddernheimer Kupferwerken[15] wäre der Krankenstand zur Zeit bei 5,2 %, während 2,6 % als normal bezeichnet werden. Beigefügt ist ein Bericht an die Frankfurter Gestapo-Stelle über Arbeitsverweigerungen bei der Frankfurter Firma S. Fries & Sohn[16], geschrieben auf blutrotem Papier. Der bei dieser Firma beschäftigte Meister Martens hatte der »Abteilung Information«[17] einen schriftlichen Bericht darüber abgeliefert. Bei einer Auftragsarbeit für eine Flugzeughalle in Crailsheim[18] waren aus Terminhaltungsgründen im Februar Überstunden für zwei Nietkolonnen angezeigt. Die Helfer des Nieters Degontrie, die Arbeiter Kraft und Droll, waren am 18. 2. um 4 Uhr 50 nicht am Arbeitsplatz, dafür fand man sie im Waschraum fertig umgekleidet. Zur Rede gestellt gaben sie an, keine Zeit zu haben. Da zwischenzeitlich zwei andere Kollegen Degontrie zugeteilt waren, wies der Meister Kraft und Doll eine andere Arbeit zu, doch auch diese wurde verweigert, auch gegenüber dem Firmenchef Fries, der um 8 Uhr am Morgen eingetroffen war. Erst als dieser mit Entlassung drohte waren die beiden zur Weiterarbeit bereit. Der Meisterdenunziant Martens fügt seinem Bericht hinzu: »Nicht wir machen die Termine, sondern die Heeresverwaltungen, und es ist ein ganz unmöglicher Zustand, wenn Kameraden den Gehorsam verweigern und Sabotage schlimmster Art treiben«.
Der Nazi Martens, Parteigenosse und NSBO-Mitglied[19] seit 1932, wie ebenfalls in dem Bericht erwähnt wird, denunziert auch den Arbeiter Max Brück, der Überstunden verweigerte, weil er Elektroschweisser ist und kein Anstreicher, aber mit Anstricharbeiten weiterarbeiten sollte. Die »Abteilung Information« bittet »von Vorstehendem Kenntnis zu nehmen und weiteres zu veranlassen, da hier evtl. kommunistische Tendenzen mitspielen, um bewusst eine Unruhe im Betrieb zu schaffen«. Die Personalien der denunzierten Arbeiter sind beigefügt, Karl Kraft, verheiratet, zwei Kinder, Albert Droll, ledig, Max Brück, verheiratet, alle in Frankfurt am Main wohnhaft.
Mitte April treffen die Abschlussberichte zu den »Kominternanweisungen für Generalstreik in Deutschland« ein. Baden meldet grippebedingte unverdächtige Schwankungen der Krankenstände, München ebenso, merkt aber an, dass »der Grossteil der Betriebe, für die die Anweisung von Auswirkung wäre« Heeresbetriebe sind und sowieso einer strengen Kontrolle unterstehen. Die einzelnen Betriebe werden weiter streng überwacht um »etwaige in grosser Zahl auffallend krankgemeldete Gefolgschaftsmitglieder sofort dem Vertrauensarzt« zu überstellen. Hamburg meldet, ohne weitere Bewertung, 3100 Krankgeschriebene und 170 992 ausgefallene Arbeitsstunden im Bereich »Eisen und Metall« für den März. Allerdings wird in einem Schreiben des »Amts Information« vom 28. April an den Stabsobmann der NSBO Dr. Hupfauer[20] in München auf diese Hamburger Meldung verwiesen und dazu vermerkt: »Dieser Hundertsatz erscheint zwar ziemlich hoch, Beweise für ein planmässiges ›Zuhausebleiben‹ liegen aber nicht vor.«
Ein SS-Oberscharführer fertigt schliesslich in Berlin einen Ergänzungsbericht an in dem vermerkt wird, dass auch die Vorfälle bei den Riebeck-Montanwerken im Mansfelder Seekreis nicht auf politische Hintergründe zurückzuführen sei. Gerüchte zum Generalstreik seien bisher nicht festgestellt worden, auch keine grösseren Ernährungsschwierigkeiten und Blaumachen als Aktionsform hätte sich bisher nicht gezeigt. Jedoch die »Krankenkassen-Statistiken der bedeutendsten Betriebe in den einzelnen Gauen werden laufend verglichen, so dass eine Kontrolle gewährleistet ist.«
Zu den Vorfällen in Dessau wird berichtet, dass dort weder eine Streikabsicht noch Sabotage vorgelegen hätte, auch hätte es keine Aufforderung an andere Arbeitskameraden gegeben, die Arbeitsstelle zu verlassen. Um aber derartige Vorfälle von vornherein auszuschliessen wurden Vorkehrungen getroffen: Facharbeiter, welche ihre Arbeitsstätte verlassen wollen, werden nicht in andere Firmen vermittelt, sondern sie haben »auf ihrer Arbeitsstelle zu bleiben«.[21] Besondere Aufmerksamkeit sei jedoch gegenüber den Wanderarbeitern angebracht, da schon im Vorjahr (1936) »Arbeitsniederlegungen durch landwirtschaftliche Wanderarbeiter nicht selten waren.«
Tatsächlich gab es im Dritten Reich eine ganze Reihe von Einzelstreiks, so zum Beispiel der berühmte Opel-Streik in Rüsselsheim Ende Juni 1936, als etwa 300 Arbeiter dort kurzzeitig die Arbeit niederlegten. Davon aufgeschreckt wurde vom Reichsarbeitsministerium, der DAF und der Gestapo über den Zeitraum von einem Jahr jegliche Streikbewegung erfasst. Daraus ergab sich, dass von den in dieser Periode 22 000 Streikenden der Grossteil nicht in der klassischen Industrie beschäftigt war, sondern mehr als die Hälfte der registrierten ca. 600 Streiks fand im Baugewerbe, zumeist beim Strassen- und Tiefbau statt. Dort waren die Arbeitsbedingungen auch mit am schlechtesten und oft eben Wanderarbeiter-Kolonnen beschäftigt, die keine feste Einbindung in die DAF-Strukturen hatten. Die meisten Streiks waren nur kurz und umfassten nur kleine Arbeitergruppen.
Offiziell gab es während der NS-Zeit kein explizites Streikverbot, was viele verwundern mag, obwohl die allgemeine Lage der Arbeiterschaft nicht gerade rosig war und die wirtschaftlichen Verältnisse schwierig. Die Ausschaltung der traditionellen Arbeiterorganisationen, die verschiedenen Repressionswellen von 1933 bis 1935 gegen bekannte alte Gewerkschaftler, die in KZ’s gesteckt oder auch umgebracht wurden, sorgten für Desorganisation und eine allgemeine Verunsicherung, die die Folgen eines eigenen Streikversuchs unberechenbar machten und nicht grundlos (lebens-)gefährlich erscheinen liessen. Der Regelmechanismus für die Unzufriedenheit in den Betrieben war der Willkür der lokalen DAF-Fürsten überantwortet, mit gelegentlichen Eingriffen höherer Stellen. Die Verlogenheit des korporativistischen Konzepts der DAF wurde gewiss von vielen durchschaut, konnte aber nichts an der empfundenen Ohnmacht der Belegschaften ändern.[22]
Allerdings wird in einem »streng geheimen« Einschreiben an den »Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, SD-Unterabschnitt Schleswig-Holstein« (11. 5. 37) Verdächtiges gemeldet. Bei zehn Neueinstellungen bei der Düngerfabrik Denker in Rendsburg[23] hätten sich gleich neun wieder krankgemeldet. Acht davon wären nach Vorführung beim Vertrauensarzt gleich wieder arbeitsfähig geschrieben worden, »während nur einer wegen eines nicht als Krankheitsgrund angegebenen Leidens arbeitsunfähig befunden wurde.« Eine Liste mit den Namen und Krankheitsgründen sowie den behandelnden Ärzten wird beigefügt, wobei jedoch ein Name doppelt genannt ist. Nur Lorenz Lorenzen ist tatsächlich wegen Hämrhoiden arbeitsunfähig. Gustav Barth (Senkfuss), Gustav Schulz (Rheuma), Wiebke Roth (Kopfschmerzen, Angstgefühle), Hans Schömer (Muskelzerrung), Willi Heyde (Bronchitis), Josephine Wöllms (Lumbago, Rheuma) und der doppelt aufgeführte Gustav Niese (Lumbago) werden vom Vertrauensarzt umgehend zu Arbeitsfähigen gekürt. Alle haben die Arbeit wieder aufgenommen wie am 25. Mai gemeldet wird.
Verdächtiges wird auch aus Hamburg berichtet. In Billbrook, in der Jutespinnerei und -weberei Wilhelm Schlochauer[24] mit ca. 350 Angestellten »ist festzustellen, dass hier eine ganze Anzahl von weiblichen Gefolgschaftsangehörigen, und zwar ca. 25 entweder regelmässig zu spät zur Arbeit erscheinen oder einfach einige Tage in der Woche blau machen. Es handelt sich um Spinnerinnen und Weberinnen in der Feinspinnerei und -weberei. Fast alle wohnen in Billstedt, einem von früher her als vollkommen ›rot‹ bekannten Viertel. Als Grund für ihr Fehlen geben sie ganz offen an, dass sie keine Lust gehabt haben, indem sie auch darauf fussen, dass ihnen ja nichts passieren könne; denn solche Fachkräfte gäbe es in Hamburg ja nicht. Hierdurch sind teilweise ganze weitere Abteilungen zeitweise lahmgelegt, so dass der Fabrikationsgang in erheblichem Umfange gestört wird.« Der Vorfall wird ernst genommen, SS-Standartenführer Müller gesondert darüber unterrichtet, dass »die Gefahr besteht, dass Facharbeiter oder Facharbeiterinnen sich Freiheiten herausnehmen, weil sie wissen, dass sie dringend benötigt werden.«[25]
Es ist schon August, als aus Düsseldorf verdächtige Umtriebe aus dem wehrwichtigen Betrieb J. Wikschtröm[26] gemeldet werden. Durch fehlende Beschäftigte sind dort im ersten Halbjahr 1937 9360 Ausfallstunden angefallen, »von denen nur ein ganz geringer Teil naturbedingt war«. Dadurch seien erhebliche Terminschwierigkeiten entstanden, wehrwirtschaftliche Aufträge konnten nicht restlos bearbeitet werden. Die Bösewichter, fünf Arbeiter, alle aus Düsseldorf, können benannt werden. Da ist einmal Josef Bessoth, Bohrer, er wird als Urheber bezeichnet, der die Leute beeinflusst. Er macht keine Nachtschicht, zahlt bewusst zu niedrige DAF-Beiträge und lehnt Spenden und Sammlungen jeglicher Art srtikt ab. Dann der Dreher Ludwig Fassbender, der sich ein ärztliches Attest beschafft hat um keine Nachtarbeit verrichten zu müssen. In dem Halbjahr hat er bereits 55 Tage gefehlt, von denen er sich an 19 Tagen krank meldete und an 36 Tagen unentschuldigt fern blieb. Es folgt eine detaillierte Liste der Fehltage und eine über ausstehende Lohnpfändungen. Ernst Scholz, ein Dreher, lehnt Spenden ab. Einem Lehrling, der ihm ein NS-Heft verkaufen wollte, drohte er Ohrfeigen an. Auch er macht keine Nachtarbeit, ärztlich attestiert. Von 28 Tagen fehlte er 5 unentschuldigt, seit dem 21. Juni fehlt er bis zum heutigen Tage (2. August). Wilhelm Helmert, Bohrer, macht auch keine Nachtarbeit, hat dafür ebenfalls ein Attest, neun Fehltage. Heinrich Berghahn »stand politisch links. Seine politische Unzuverlässigkeit kommt durch Redewendungen heute noch zum Ausdruck.« Er hat vier untentschuldigte Fehltage auf dem Kerbholz und sechs Tage war er im Juni krankgemeldet. Das waren die Fünf, doch es werden noch zwei weitere Blaumacher aufgeführt: Hubert Uhr und Paul Ostrowsky. Diese haben auch erhebliche Schulden.
Zur Vernehmung in der Sache werden der Betriebsführer W. H. Richartz, der Betriebsleiter Alexander Schwetter und der Betriebsobmann Willy Vogel, alle aus Düsseldorf, zitiert, danach ein Ergänzungsbericht verfasst: Scholz hat sich am 4. August bei der Firma gemeldet und um seine Papiere gebeten, die ihm auch ausgehändigt wurden. »Die schriftliche Anfrage des Arbeitsamtes wegen Freigabe des Scholz wird unter Darlegung von Gründen von der Firma verweigert werden.« Er wird also keine andere Arbeitsstelle finden. Bessoth »soll früher einer Terrorgruppe angehört haben. Er ist im Betrieb dafür bekannt, dass er gegen Anordnungen der Betriebsführung und des Vertrauensrates Stimmungsmache betreibt. [… ] Im Interesse des Betriebsfriedens wird gebeten, den B. zu inhaftieren«!!! Fassbender und Ostrowsky fehlen seit ca. Mitte Juli. Zu den anderen fehlen Meldungen.
In dem vorliegenden Akt werden die Nachrichten allmählich dünner, lediglich aus Hamburg treffen fast regelmässig Nachrichten über die aktuellen Krankenstände ein. Im November findet der Parteigenosse Eugen Fritsch von der »Gauwaltung Thüringen« der DAF das Rundschreiben über die »Kominternanweisung = Fernbleiben von der Arbeit« nicht mehr und bittet in Berlin um eine Abschrift. Der seinerzeitige Gau-I-Referent Parteigenosse Threuner hat das ursprüngliche Schreiben, so wird vermutet, dem Gauobmann ausgehändigt. Am 23. November wird ihm die Abschrift zugesandt.
Im März 1938 trudelt ein Schreiben der »Gauwaltung Saarpfalz« aus Neustadt an der Weinstrasse in Berlin ein, dort hat es wohl lange gedauert, bis die Statistiken der saarpfälzischen Ortskrankenkassen zusammengetragen waren: »Die in dieser Angelegenheit von der hiers. Dienststelle durchgeführten Schritte haben bisher zu einem positiven Ergebnis nicht geführt. […] Aus den darin aufgeführten Zahlen ist aber nichts zu entnehmen, weshalb hiers. Dienststelle davon Abstand nahm, diese Unterlagen dem Amt einzureichen.«
Das letzte Schreiben in der Akte stammt von den diensteifrigen Hamburgern. März 1938, »Betr.: K.f.G.i.D. […]. Am Stichtag waren von 426 Eisen- und Metall-Firmen mit 65 128 Mann Gefolgschaft 4236 Vgs. krank, wodurch 208 334 Arbeitsstunden ausfielen. Heil Hitler!«
Anhand des in dem Akt vorgefundenen Materials lässt sich ersehen, wie eng die Verzahnung von DAF und Geheimpolizei, wie effektiv innerbetriebliche und ausserbetriebliche Repression zu Zeiten der offenen bürgerlichen Diktatur gewesen ist. Die gemeldeten betrieblichen Vorkommnisse zeigen (trotz ihrer Unvollständigkeit) gleichzeitig, dass im Allgemeinen im Jahre 1937 schon weitgehend alles unter Kontrolle gebracht war und im grossen Ganzen die Arbeitsdisziplin eingehalten wurde, die Rüstungsproduktion auf Hochtouren und quasi reibungslos lief, hatte man doch in den vier Jahren zuvor, seit Frühjahr 1933 bis 1936, alle aufmüpfigen Elemente aus den Betrieben ganz oder zeitweilig entfernt und/oder durch Lagerhaft oder andere Repressalien eingeschüchtert oder in die Emigration gezwungen – wenn nicht gar totgeschlagen. Dass sich die Nazibande ihrer Sache aber nicht ganz sicher war, das zeigt der anfänglich an den Tag gelegte Aktionismus in dieser Angelegenheit. Der mit der beschleunigten Rüstungsproduktion einhergehende Facharbeitermangel hatte schliesslich dazu geführt, dass man auch auf die »politisch unzuverlässigen« Arbeiter zurückgreifen musste um die Kriegspläne zu verwirklichen. Das brachte natürlich gewisse Risiken mit sich, und so wurden die in dieser Zeit verstärkt aus Österreich angeworbenen Facharbeiter ebenso einer eingehenden Vorabüberprüfung unterzogen. Das DAF-Spitzelwesen (»Amt Information«) wurde schliesslich 1938 gänzlich von der Gestapo übernommen, da es sich in den vorhergehenden Jahren als nicht wirklich effektiv gezeigt hatte und die DAF überhaupt stellenweise korrupt und für diese Aufgabe wenig geeignet schien. Das in den Betrieben eingeführte und nun etablierte hierarchische Gehorsams- und Gefolgschaftssystem kann selbst als ein Teil der Vorbereitung der Arbeiterbevölkerung auf den Krieg verstanden werden, Widerstand sollte von vornherein als zwecklos gelten.
Das Werk der Zerschlagung einer selbständigen und revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland war wohl nahezu vollendet, aber dies war nicht allein das Werk der Nazis, dies war durch den Verrat der Sozialdemokraten und Stalinisten an der revolutionären Sache – auch bereits vor der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 – befördert worden. Als schliesslich am 31. Januar 1933 die Arbeiter im schwäbischen Mössingen und der umliegenden Ortschaften mit der Parole »Heraus zum Massenstreik« schliesslich mit 1000 Kollegen durch den Ort zogen, in der festen Überzeugung, dass dies so überall im Deutschen Reich geschähe, ahnten sie nicht, dass die Leitung der KPD den Massenstreik bereits ausgesetzt hatte. Erst als eine Staffel des Überfallkommandos der Polizei eintraf, 40 Mann mit Knüppeln und Gewehren, wurde ihnen klar, dass es nirgendwo sonst zu einer derartigen Aktion gekommen ist, sonst wären diese Kräfte ja andernorts gebunden gewesen. Gut ein Zehntel der Beteiligten wurden im Nachhinein zu Gefängnisstrafen bis zu 2 ½ Jahren verurteilt, Fritz Wandel, massgeblich beteiligt, KPD-Mitglied, wegen Hochverrats zu 4 ½ Jahren Einzelhaft, danach war er im Schutzhaftlager Welzheim und schliesslich im KZ Dachau bis 1943 interniert… und wurde dann in ein Strafbatallion gesteckt.[27]
Dieser Mössinger Versuch eines Generalstreiks wurde lange Jahre unter den Tisch gekehrt und erst in den 1980ern publik und dokumentiert. Es sollte der letzte Versuch dieser Art in Deutschland gewesen sein. Nun, selbst wenn dieser Massenstreik geglückt wäre, er wäre doch mit aller Wahrscheinlichkeit nicht über das hinausgekommen, was auch Resultat der Massenstreiks beim Kapp-Putsch 1920 gewesen war: lediglich die Bewahrung der bürgerlichen Republik, der Republik, die schliesslich Hitler freiwillig und berechnend die Zügel überlassen hatte… da wird das ganze Dilemma des Antifaschismus offensichtlich, der an sich eben nie revolutionär sein kann, weil er die kapitalistischen Verhältnisse, die den Faschismus erst möglich machen und hervorbringen, nicht angeht – und als solcher gar nicht angehen kann, sondern bestenfalls zum Steigbügelhalter der letztendlich reaktionären und konterrevolutionären Kräfte wird.[28] Und ein Generalstreik in Deutschland 1937 durch »Blaumachen« – ganz gewiss war das nur eine Fehlanzeige!
Genau in dieser Zeit, bereits im Dezember 1936 – 100 km von Mössingen entfernt, im Osten der Schwäbischen Alb –, als die Reste der von Sozialdemokratie und Stalinismus schon zuvor theoretisch wie praktisch verkrüppelten Arbeiterbewegung fast gänzlich unter das NS-Terrorregime geknutet und nahezu alle noch aktiven Widerstandsgruppen aus ihren Reihen von der Gestapo aufgerieben waren, heuerte ein nach aussen eher unscheinbar wirkender Arbeiter bei der Süddeutschen Armaturenfabrik und Bronze- und Eisengiesserei Waldenmaier[29] in Heidenheim an. Sein Name sollte erst zwei Jahre später gross bekannt werden (und dann, nach dem Kriege, für lange Zeit quasi verschwiegen): Johann Georg Elser, auf schwäbisch bei Familie und Freunden »Schorsch« genannt. Der sich eigentlich als Schreiner, gar als »Kunstschreiner« verstehende Elser, der zwar Ende 1917 in den Hüttenwerken von Königsbronn[30], seinem Heimatort, eine Eisendreherlehre begonnen hatte, diese jedoch aus gesundheitlichen Gründen nach anderthalb Jahren abbrach und dann eine Schreinerlehre in einem Kleinbetrieb machte, trat nun eine Stelle als Hilfsarbeiter in der Gussabteilung dieser Firma Waldenmaier an…
Die Ungewöhnlichkeit dieses Schrittes erklärt sich aus Elsers bisherigem Leben. Nach Abschluss seiner Lehre arbeitete er bis zum Herbst 1923 in Aalen bei der Möbelfabrik Rieder, dann bis Anfang 1925 in einer Heidenheimer Möbeltischlerei. Nun, 22-jährig, noch zu Hause unter schwierigen Verhältnissen lebend, mit einem Vater, wenig erfolgreicher kleiner Holzhändler und Nebenerwerbslandwirt, der soff und Frau und Kinder schlug, wollte er aus diesen Verhältnissen ausbrechen und bekam über einen Freund eine Stelle als Schreinergeselle in der Umgebung Tettnangs vermittelt. Dort kündigte er nach 6 Wochen und nahm sich eine Auszeit. Als seine Ersparnisse aufgebraucht waren, vermittelte ihn das Arbeitsamt als Schreiner in die Dornier-Werke[31] von Manzell, wo er an der Produktion für die aus Holz gefertigten Propeller für die Dornier-Flugboote arbeitete und die ersten Erfahrungen in der industriellen Grossproduktion sammelte. Ein Freund und Kollege überredet ihn schliesslich noch im selben Jahr nach Konstanz zu übersiedeln, um einem Musikverein beitreten zu können (Elser spielte Ziehharmonika und später Zither), und nachdem sie eine Anstellung in einer dortigen Uhrenfabrik gefunden hatten.
Für die Uhrenindustrie war das eine schwierige, krisenhafte Zeit und so machte der Betrieb in dem Elser arbeitete mehrmals pleite und wurde umfirmiert oder neu gegründet, mit der Konsequenz, dass Elser mehrmals die Erfahrung der Arbeitslosigkeit machen und bei den Stempelstellen anstehen musste, eine Erfahrung, die er mit Millionen anderen Arbeitern teilte. Ihm war bewusst, dass er der Arbeiterklasse angehörte und sein Schicksal nicht ein Einzelschicksal war sondern den Bedingungen der kapitalistischen Verhältnisse geschuldet, die ihn, wie all die Anderen, knechteten und dass es einer kollektiven Anstrengung bedarf, um diese Bedingungen, wenn auch nicht gleich zu kippen, so doch wenn möglich erträglicher zu machen. So tritt er in dieser Zeit nicht nur der Gewerkschaft bei, sondern für geraume Zeit auch dem Rotfrontkämpferbund (RFB)[32], der organisatorisch der KPD angegliedert war. Und bei den Wahlen vor 1933 gibt er der KPD auch stets seine Stimme. An den inszenierten Wahlen nach der NS-Machtübernahme nimmt er bewusst gar nicht mehr teil sondern boykottiert sie. Freilich ist Elser kein »Parteikommunist« im eigentlichen Sinne, er beschäftigt sich offensichtlich nicht profund theoretisch mit den die Kommunisten dieser Zeit quälenden Fragen über die Entwicklung der Revolution in der Sowjetunion, über die richtige Taktik nach den gescheiterten Aufstandsversuchen des revolutionären Proletariats in Deutschland usw. Jedoch sein politisches Gespür distanziert ihn von vornherein vom Klassenversöhnlertum der Sozialdemokratie und erst recht die dumpfen Parolen der Nationalsozialisten sind ihm zuwider, die das Aufgehen der Klassen in der »Volksgemeinschaft« so vehement wie lügenhaft propagieren. In dieser Frage ist er gefestigt, ganz ohne ein grosser »Theoretiker« zu sein. Seine Devise ist eher gut schwäbisch: »et vial schwäzza – oifach doa«, zu deutsch: »Nicht viel reden, sondern machen«!
Sein Leben spielt sich generell im Arbeitermilieu ab, auch was seine Mitgliedschaft im Konstanzer Trachtenverein »Oberrheintaler« oder im Freien Abstinentenverein Kreuzlingen betrifft, oder seine Liebesbeziehungen zu der Näherin Mathilde Niedermann, mit der er ein – von ihm ungewolltes – Kind zeugt, oder später der Zuschneiderin Hilda Lang, die auf Schweizer Seite in Kreuzlingen bei der Strumpfwarenfabrik Pius Wieler[33] arbeitete. In der Schweiz, in Bottighofen, in der kleinen Schreinerei Schönholzer, fand Elser nun vom März 1929 bis Anfang 1930 eine Arbeitsstelle als Schreiner. Dort führte er für sich eine Art »flexible Arbeitszeit« ein, indem er bei schönem Wetter nachmittags an den Bodensee zum Baden ging, um dann erst am Abend sein restliches Arbeitspensum zu erledigen. Da Elser seine Arbeit in guter Handwerkstradition stets sehr gewissenhaft und fast pedantisch erledigte, und auch im Fall vor Überstunden nicht zurückschreckte, so dass ihn kein Arbeitgeber gerne ziehen liess, war der Schreinermeister mit dieser Regelung durchaus einverstanden.[34] Doch schon Anfang 1930 wurde Elser aus wirtschaftlichen Gründen auch dort entlassen und war erneut auf Arbeitssuche. In Meersburg, auf der deutschen Seite des Schwäbischen Meeres gelegen, fand er Anstellung beim dritten Wiedergründungsversuch seiner alten Konstanzer Uhrenfabrik, zum Tarif der Holzarbeitergewerkschaft.[35] Er pendelte per Schiff jeden Tag von Konstanz nach Meersburg, bis zum Mai 1932, als auch diese Firma wieder bankrott machte. Seinen nach der Pleite noch ausstehenden Lohn erhielt unter anderem in Gestalt mehrerer Schwarzwälder Uhrwerke, für die er später noch einen guten Verwendungszweck finden sollte, indem er zwei davon im Mauerwerk des Bürgerbräukellers in München »verschwinden« liess.
Nun war Elser wiederum in prekäre Verhältnisse gestürzt, er siedelte nach Meersburg über und schlug sich, gegen Kost und Logis, mit Reparaturen, Möbelfabrikation und landwirtschaftlichen Arbeiten, die er von seiner Jugend her kannte und konnte, durch. Wie für so viele Arbeiter war auch in nächster Zeit mit einer Besserung der Verhältnisse nicht zu rechnen. Als ihn schliesslich ein Brief seiner Mutter erreichte, die ihn bat nach Hause zu kommen, weil der Vater Schulden aufgehäuft hatte und die Wiesen und Äcker versoff, die noch zum bescheidenen Hausstand der Elsers gehörten, begab sich Elser zurück nach Königsbronn, am See gab es für ihn ja auch keine wirkliche Perspektive nach einer Verbesserung seiner Verhältnisse. Die wurden auch an seinem Heimatort nicht wirklich besser, auch hier musste er sich mehr schlecht als recht durchschlagen, zusätzlich belastet mit den Bürden der elterlichen Misswirtschaft. Bis 1936 arbeitete er hin und wieder in einer örtlichen Schreinerei zu mässigem Lohn, unterbrach aber immer das Arbeitsverhältnis, bevor sein Lohn die Pfändungsgrenze von 24.- RM überschritt, da das Jugendamt sonst Alimente für seinen Sohn eingezogen hätte. Die wollte Elser nicht zahlen, da das Kind von ihm nicht gewollt war. Nebenher konnte er sich eine Werkstatt einrichten und nahm Schreiner- und Reparaturaufträge, quasi als Schwarzarbeit, an.
Kaum in Königsbronn angekommen besucht Georg Elser dort auch politische Versammlungen und lernt bei dieser Gelegenheit den Heidenheimer Kettenschmied und KPD-Parteileiter Josef Schurr kennen, mit dem er, vor der Nazi-Machtübernahme, unter anderem einige »Kleinaktionen« gegen die Nazibande unternimmt. Wie Schurr 1947 – in einem von der Zeitung damals nicht abgedruckten – Leserbrief erklärt, war Elser schon zum Zeitpunkt der Rückkehr nach Königsbronn ein scharfer Nazi-Gegner und attestierte Hitler ein »Verbrechergesicht«. Und, so Schurr weiter, »er war immer stark interessiert an einer Gewaltaktion gegen Hitler und seine Trabanten.« Des öfteren wurde mit Elser in diesem Kreis darüber diskutiert, »was wohl zu machen wäre und unbedingt gemacht werden müsse«. Schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis kommt Josef Schurr »auf den Heuberg«, also in das schon am 21. März 1933 eingerichtete KZ Stetten am kalten Markt[36], und wird dort 5 ½ Monate malträtiert. Elser steht nicht auf den Internierungslisten, er gehört ja offiziell keiner Partei an, und gilt bei vielen im Ort eher als verschlossner Eigenbrötler, dessen ablehnende Haltung gegenüber den Nazis zwar bekannt ist, der aber durch seine fleissige, bescheidene und zurückhaltende Art als eher unbedenklich eingeschätzt wird, zudem ist er Mitglied des örtlichen Zitherklubs, der ja nicht die »Internationale« oder andere Arbeiterlieder im Repertoire hat, und ausserdem im örtlichen Wanderverein.
Wahrscheinlich hat Elser schon sehr früh gelernt, dass mit bestimmten Menschen das Diskutieren keinen grossen Sinn macht und nur ein von vornherein vergebliches Bemühen darstellt, möglicherweise schon als Kind, konfrontiert mit einem jähzornigen und oft alkoholisierten Vater. Trotzdem zeigt er seine ablehnende Haltung offen und bestimmt, besucht keine Nazi-Veranstaltungen, spendet kein Geld für die diversen Sammelaktionen der NS-Gruppierungen, erhebt seinen Arm nicht zum »Hitlergruss«. Über seine Einstellung gegenüber den sich beständig verschärfenden Massnahmen des Regimes gegen die Juden ist so gut wie nichts bekannt[37], auch bei den späteren Verhören bei der Gestapo wird das Thema nicht angeschnitten. Im evangelischen Königsbronn, wie auch in seinem Geburtsort Hermaringen, gab es allem Anschein nach keine jüdischen Bürger, in einigen umliegenden Gemeinden, auch in Heidenheim, schon. Was wir wissen ist, dass sich Elser, trotz der evangelisch-pietistischen Erziehung durch die Mutter, um die konfessionellen Grenzen zwischen Katholiken und Evangelischen z. B. nicht schert, die im damaligen Deutschland noch ein erhebliches Gewicht hatten, insbesondere auf der konfessionell zersplitterten Schwäbischen Alb, wo interkonfessionelle »Mischehen«, wie es damals hiess, verpönt waren und auf erheblichen Widerstand der jeweils konservativen Verwandtschaft und gar der ganzen Dorfgemeinschaften stiess. Der von den Nazis von Beginn an propagierte Antisemitismus diente ja gerade mit dazu, die sich auch im politischen manifestierende konfessionelle Aufspaltung zwischen Protestanten und Katholiken mit der Artikulierung eines »gemeinsamen Feindes« zu überwinden, unter Rückgriff auf alte Ressentiments gegenüber der relativ kleinen Minderheit der Juden. Dieser »antisemitische Konsens« war natürlich all den anderen Glaubensgrüppchen, Esoterikern, Wotanisten, ja selbst den Atheisten gegenüber offen und wurde durch die pseudowissenschaftliche Mär einer »überlegenen arischen Rasse« komplettiert und gleichzeitig säkularisiert.
Im November 1936 intervenierte das NS-Reich im spanischen Bürgerkrieg, und der von Elser schon lange zuvor erkannte Kriegskurs der Nazis wird augenscheinlich. Ob Elser, als er bei Waldenmaier in Heidenheim im Dezember 1936 anheuert, schon die Möglichkeit ins Auge gefasst hat, sich dort die Mittel für seinen späteren Anschlag zu besorgen, kann nicht ausgeschlossen werden, war es doch ungewöhnlich, dass er als leidenschaftlicher Schreiner in einem Metallbetrieb anheuert[38]. Sicher aber ist, dass sich dort für ihn, mit der sich später ergebenden Gelegenheit einen Teil der notwendigen Materialien zu besorgen, allmählich eine konkrete Vorstellung der Machbarkeit ergeben hat. In dieser Firma trifft er seinen alten Freund und Genossen Josef Schurr wieder. Diesen hatte man, nach seinem KZ-Aufenthalt 1934 in diesen Betrieb gesteckt, wo er beständig gegängelt, als Saboteur hingestellt und schikaniert wurde, seitens einiger Kollegen als auch und vor allem der Firmenleitung. Schurr schreibt:
»Zu meinem Erstaunen durfte ich erleben, dass ich nach etwa 5 Jahren meinen alten Freund Georg Elser wiedersah. Es war im Jahre 1937, als Elser bei der gleichen Firma in Arbeit trat. Alsbald nahm ich mit ihm Fühlung auf, um ihn abzutasten und zu prüfen, inwieweit er seinem antifaschistischen Standpunkt treu geblieben war. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass Elser noch radikaler im Kampf gegen den Hitlerfaschismus geworden war, als er es die Jahre vorher gewesen war. Wir gelobten uns aufs Neue gegenseitige Treue mit dem gemeinsamen Wunsch: ›Hitler möge recht bald verrecken.‹
Wir kamen nun abends öfter in meiner Wohnung zusammen, um über den Lautsprecher [des Radioapparats] die Wahrheit über das Weltgeschehen zu erfahren. Wir haben zusammen die Sender vom Westen und Osten, ja selbst den Amerikaner regelmässig abgehört, und es war immer eine neue Kraftquelle für uns. Und so ging es fort bis zum Jahre 1939. Da entschloss sich Elser, nach München zu gehen, um dort in seinem Beruf zu arbeiten.«[39]
1971 meldet sich in der »Heidenheimer Zeitung« Josef Waizel in einem Leserbrief zu Wort und schreibt: »Wenn Elser bei Schnaitheimer Kommunisten auch weiterhin ein- und ausging, dortselbst Anti-Hitler-Flugblätter und Plakate mitnahm und zu nächtlicher Stunde verteilte und anklebte, so blieb er dennoch diesen Leuten gegenüber betreffs seiner Pläne konsequent verschlossen.«, beginnt aber seinen Leserbrief mit der Feststellung »Die vielseitige Behauptung zur Person Georg Elser, er sei ein Kommunist gewesen, ist zwar heute symptomatisch, entspricht aber nicht den historischen Tatsachen.« Waizel versteht unter »Kommunist« KPD-konformer Parteikommunist, sprich Anhänger der vom Stalinismus schon völlig durchseuchten KPD[40], die spätestens mit dem »Hitler-Stalin-Pakt« in ihrer Widerständigkeit vollkommen paralysiert war. Und das war ja Elser zum Glück gerade nicht. Ferner meint Waizel: »Von diesem Zeitpunkt ab reifte in Georg Elser der Plan, unter allen Umständen Adolf Hitler zu beseitigen. Für dieses Vorhaben glaubte er, bei den [›linientreuen‹] Kommunisten als die revolutionärste Vorhut und schärfsten Gegner der Nazis Unterstützung zu finden. Als er sich aber in seinen tollkühnen Plänen von den [›linientreuen‹] Kommunisten im Stich gelassen fühlte, wurde er zum Einzelgänger.«[41] Mit einem Wort, Elser wurde klar, dass er für sein Vorhaben unter den lienientreuen KPD-Leuten keine Mitstreiter für eine solche Unternehmung finden würde. Aber diese betreffend, mit denen er bis 1939 ständig in Kontakt stand, blieb Elser bei der Gestapo ebenso »konsequent verschlossen« und keiner ihrer Namen kam Elser trotz Folter über die Lippen. Auch das ist ein Beweis dafür, dass Elser, selbst unter Zwang und Pein, sehr wohl ein klares Bewusstsein darüber hatte, was er in den Verhören preisgeben kann und was er besser für sich behält.
Im Sommer 1937 lässt Elser sich in die Versandabteilung versetzen, wo er für den Wareneingang zuständig ist, unter anderem auch für die Anlieferungen für die in einer geheimen Sonderabteilung stattfindende Zünderfertigung des 1000 Arbeiter zählenden Betriebs, ein Teil der heimlichen Aufrüstungsaktivitäten des Nazi-Reichs. Hier kann er ein Jahr später – Österreich war mittlerweile (im März 1938) dem Deutschen Reich angegliedert worden – im September 1938 einen Stahlzünder aus einer Sendung der Firma Rheinmetall[42] abgreifen. Zuvor schon hatte er sich über deren Funktionsweise durch naive Fragerei bei den Kollegen Kenntnisse verschafft. Im gleichen Monat reist er für zwei Tage nach Konstanz, vermutlich um dort die Grenze zur Schweiz zu inspizieren. Einen weiteren Monat später, am 8. November 1938, fährt er nach München und baldowert die dortigen Örtlichkeiten aus. Es stellt sich heraus, dass nur der Bürgerbräukeller für einen Anschlag auf Hitler geeignet ist, an dem Ort, an dem Hitler jährlich und zur gleichen Zeit seinen missglückten Putschversuch von 1923 zelebriert, als er, in Nachahmung Mussolinis, zusammen mit Ludendorff[43] einen »Marsch auf Berlin« inszenieren wollte.[44] Für Elser wird klar, dass all seine Vorbereitungen am 8. November des Folgejahres abgeschlossen sein und zur Ausführung kommen müssen, der Kriegskurs Hitlers wird immer offener – am 1. Oktober 1938 hatten deutsche Truppen nach vorangegangenen militärischen Drohgebärden und im schliesslichen Einverständnis Frankreichs und Grossbritanniens das Sudetenland besetzt (das berüchtigte »Münchner Abkommen«). Elser weiss auch, dass er es allein tun muss, niemand soll Mitwisser sein, auch nicht seine kommunistischen Freunde, mit denen er weiterhin verkehrte. Andern gegenüber, die ihn bei seinen Basteleien oder sonstigen damit in Zusammenhang stehenden Aktivitäten bemerken, erklärt er, er arbeite an einer »Erfindung« – was ja nicht ganz gelogen war.[45]
Am 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen die sogenannte Rest-Tschechei, im gleichen Monat kündigt Elser bei der Firma Waldenmaier, nicht ohne sich dort zuvor über 5 Monate hinweg unbemerkt 250 Pressblättchen Schwarzpulver angeeignet zu haben. Da Kündigungen zu dieser Zeit des Arbeitskräftemangels nicht grundlos erfolgen dürfen, gibt er an, gemobbt zu werden. Kurz darauf, im April, fährt er wiederum für eine Woche nach München, um im Bürgerbräukeller Mass zu nehmen und zu fotografieren. Zurück in Königsbronn beginnt er nun an einem örtlichen Steinbruch herumzulungern und hie und da mit Hand anzulegen. Es ist der Chef des Steinbruchs, NS-Ortsgruppenleiter Vollmer[46], der Elser schliesslich einstellt, da auch ihm Arbeitskräfte fehlen. Nun kann sich Elser dort mit der Zeit heimlich industriellen Sprengstoff und Sprengkapseln besorgen, die Sicherheitsvorkehrungen sind gering. Vom dortigen Sprengmeister erfragt und ersieht sich Elser Kenntnisse zur Handhabung und Anwendung der Sprengmittel. Nachdem er alles Notwendige beisammen hat fingiert er einen Arbeitsunfall im Steinbruch und bleibt von da ab zu Hause, meist in seiner Werkstatt, wo er seine Sprengvorrichtung und den Zeitzündmechanismus mit seinen beiden Schwarzwalduhren perfektioniert. Nachdem er sich von seiner nichtsahnenden Liebe Elsa Härlen[47] verabschiedet hat, reist er am 5. August, mit einem sehr grossen abschliessbaren Holzkoffer mit doppeltem Boden, unter dem seine Pläne und Zeichnungen versteckt sind, bepackt, nach München, wo er sich bereits eine Unterkunft besorgt hat. Andere Koffer mit Wäsche und Werkzeug lässt er sich per Bahn nachliefern. Als Grund für seinen Aufenthalt in München gibt er mal an, einen Polierkurs zu besuchen, mal, seine Erfindung zu vollenden – schliesslich ist München ja auch Sitz des Patentamts.
Die weitere Geschichte ist bekannter, in zahlreichen Büchern und Filmen mittlerweile und zuweilen mehr schlecht als recht geschildert: Elser lässt sich des Nachts unbemerkt im Bürgerbräukeller einschliessen und beginnt, die Säule, vor der Hitler sprechen wird, kniend auszuhöhlen und für die Aufnahme seines Sprengapparats samt Sprengstoff im Schein einer abgeblendeten Taschenlampe vorzubereiten. Das macht er so akribisch, dass jeweils Tags darauf in der Gaststätte nichts zu sehen ist von seinen nächtlichen Umtrieben. Den Abraum entsorgt er mit einem Koffer in der Isar. Bei Handwerkern, denen er dafür auch hin und wieder hilft, lässt er sich noch spezielle Teile für seine Zündvorrichtung anfertigen, für seine »Erfindung« natürlich. Die Geldmittel für seinen Münchner Aufenthalt hat er sich zuvor zusammengespart, aber er muss streng haushalten.
Noch während Elsers heimlicher Vorbereitungsarbeit für den Anschlag auf Hitler überschlagen sich die Ereignisse. Am 24. August unterzeichnet der deutsche Aussenminister Ribbentrop und sein sowjetischer Kollege Molotow einen Nichtangriffspakt – neben einem natürlich geheimgehaltenen »Zusatzprotokoll«, in welchem die »Interessensphären« abgegrenzt und die Aufteilung Polens festgelegt wird – welcher Hitlers letzte Bedenken gegenüber dem Krieg gegen Polen zerstreuen. Am 1. September beginnt der deutsche Überfall auf Polen. Am 17. September begann die Sowjetunion ihrerseits die ihr zugedachten östlichen polnischen Landstriche zu besetzen. Am 28. September folgt ein »Grenz- und Freundschaftsvertrag« zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, in der die jeweiligen Interessensphären nachjustiert und Umsiedlungen vereinbart wurden – ca. 130 000 »Volksdeutsche« wurden aus dem sowjetisch besetzten Polen in das Deutsche Reich umgesiedelt.[48] Der von Elser befürchtete Krieg, den er mit seiner Tat ja verhindern wollte, war also schon Wirklichkeit geworden. Für ihn war das sicher ein weiterer Ansporn seine Arbeit fortzusetzen. Der deutsch-sowjetische Pakt war dafür kein Hindernis, Elser war kein Stalinist, auch wenn er später, so jedenfalls wird es berichtet, Sympathien für Thälmann bekundet haben soll.[49] Er fühlte sich nicht den Staatsinteressen der Sowjetunion verpflichtet, sondern allein den Interessen der Arbeiterklasse.
Erst Ende Oktober 1939 hat Elser die Sprengkammer, 70 auf 90 cm, fertig, zeitweilig durch Krankheit unterbrochen, da er sich bei der Aushöhlung der Säule die Knie aufgescheuert hatte. Sein schliesslich fertiger Zündmechanismus kann auf sechs Tage im Voraus eingestellt werden und ist redundant angelegt, zwei Uhren sorgen für Ausfallsicherheit. Damit das Ticken der Uhrwerke nicht gehört wird, montiert Elser noch Korkplatten zur Schalldämmung in seine Vorrichtung. Am 1. und 2. November füllt er die Säule mit dem Sprengstoff, soviel auch nur hineingeht. Zwei Tage später versucht er, die Zündvorrichtung mit den Uhren zu platzieren, doch diese ist etwas zu gross. Einen Tag später hat er sie durch Abschleifen angepasst und kann sie einsetzen und einstellen. Geschafft! Am 6. November besucht Elser seine Schwester Maria in Stuttgart, Textilarbeiterin bei der Fa. Wilhelm Bleyle[50], stellt dort sein Werkzeug ab, und erzählt ihr, dass er in die Schweiz gehe, ohne nähere Angabe der Gründe. Da er inzwischen fast blank ist, gibt ihm die Schwester noch 30.- RM mit auf den Weg. Tags darauf fährt er nochmals zur Endkontrolle nach München, lässt sich wiederum im Bürgerbräukeller nächtens einschliessen und stellt fest, dass alles präzise läuft.
Am frühen Morgen, den 8. November verlässt er durch den Notausgang unbemerkt den Bürgerbräukeller. Die Uhren werden die Zündung am Abend um 21.20 pünktlich auslösen, da ist er sich sicher. Zu diesem Zeitpunkt will er bereits in der Schweiz sein. Mit dem Zug fährt er, 3. Klasse, über Ulm nach Friedrichshafen. Dort geht er noch zum Frisör zwecks Rasur und besteigt gegen 18.30 die Bodenseefähre nach Konstanz. Sicherlich innerlich einerseits aufgewühlt, aber gleichzeitig auch müde und erschöpft, geht Elser in Konstanz wohl zu unaufmerksam zu der von ihm zum illegalen Grenzübertritt vorgesehenen Stelle am 2 Meter hohen stacheldrahtbewehrten Grenzzaun, mit einer Beisszange zum Durchtrennen in der Tasche. Um ¾ 9 an diesem Abend wird er dort, 15 Meter vor dem Zaun, von deutschen Zöllnern angehalten und verhaftet, aufgrund des laufenden Krieges waren die Kontrollen auch an der Reichsgrenze zur Schweiz verschärft worden. Bei seiner Durchsuchung kommen diverse Gegenstände ans Licht: eine Hartwurst, als solche nicht sofort erkennbare Zünderteile, eine mit NSDAP-Stempel versehene unbeschriebene farbige Ansichtskarte vom Innenraum des Bürgerbräukellers, ein verschlossener Umschlag mit Zetteln über die Granaten- und Zünderproduktion, ein geringer Geldbetrag und – unter dem Kragenaufschlag seiner Jacke – eine Anstecknadel des Rotfrontkämpferbundes. Auf die Frage, warum er diese trage, antwortet Elser knapp: »Aus Sympathie«.
Währenddessen schwingt Hitler, gleichentags eingeflogen aus Berlin, im Bürgerbräukeller eine gehässige kriegslüsterne Rede vor seinen Mitputschisten von 1923, direkt unter der unhörbar tickenden Bombe Elsers. Neben ihm sitzen die Grössen des Nazipacks, Goebbels, Himmler, Heydrich, Hess, Ley, Rosenberg etc., nur der aufgedunsene Göring fehlt. Aber Hitler spricht heute nicht so lange wie üblich, Nebel veranlasst den »Führer« seine Rückkehr nach Berlin nicht wie geplant mit dem Flugzeug zu unternehmen, sondern mit einem Nachtzug, der um 21.30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof, speziell zu diesem Zweck bereitgestellt, abfahren muss, damit Hitler am Tag darauf die Planungen des Frankreich-Feldzugs vorantreiben kann, gegen noch zögernde Generäle. Um 21.07 beendet Hitler seine Hassrede, die er eine halbe Stunde früher als sonst begonnen hatte. Mit Hitler verlassen auch die übrigen Nazigrössen den Bürgerbräukeller, die Versammlung ist in Auflösung begriffen als präzise um 21.20 Elsers »Erfindung« zuverlässig – und freilich unpatentiert – ihren Dienst verrichtet: die Explosion bringt Teile des Gebäudes zum Einsturz, neben zahlreichen Verletzten gibt es 8 Tote, 7 Nazis und die Aushilfskellnerin Maria Henle[51]. Der ganze Raum war verfinstert und eingehüllt durch die dichte Explosionswolke aus Staub, die sich erst allmählich lichtete: Da die anvisierten Nazi-Oberen schon dreizehn Minuten zuvor abgerückt waren befanden sie sich leider nicht unter den Getöteten. Und Elser, wenn auch noch nicht als »Attentäter« identifiziert, befand sich bereits in den Händen der Behörden. Der »GröFaZ«[52] erfuhr erst auf der Fahrt nach Berlin, bei einem Aufenthalt in Nürnberg, von dem Anschlag und verdächtigte alsbald den britischen Geheimdienst als Drahtzieher. Dass der Angriff auf ihn aus den Reihen der unter seine Knute gepressten Arbeiterschaft kam, konnte er sich einfach nicht vorstellen.
Leider hat Georg Elser selbst nichts schriftliches hinterlassen, auch kein »Bekennerschreiben« verfasst, wie es später bei Anschlägen aller möglichen Gruppen, Grüppchen und Einzelpersonen so üblich wurde. Er hatte nur sieben Jahre die Schule besucht und war kein Intellektueller, kein Theoretiker sondern ein Praktiker, aber mit einer festen Haltung und einer klaren Überzeugung. Alles was wir davon wissen können stammt allerdings aus zweiter oder dritter Hand, und was seine Ansichten betrifft, so ist man darauf angewiesen, sie aus den Verhörprotokollen der Gestapo herauszudestillieren. Und jeder, der schonmal mit den Praktiken der Polizei zu tun gehabt hatte, der weiss, wie solche Protokolle zustande kommen und wie einem dabei gerne der Mund verdreht wird, Ausdrucksweisen untergeschoben werden, wenn mehr oder weniger auffassungsfähige Staatsdiener versuchen, das Gehörte durch ihre Beamtenhirne hindurch auf Papier zu überführen. Und Elser verhält sich in den Verhören geschickt, ist immer darauf bedacht, niemanden mitzubelasten, lenkt ab auf Nebensächlichkeiten und Unwichtiges, hat Erinnerungslücken. Zudem spricht Elser zumeist nur Schwäbisch, so dass er bei den Verhören in Berlin schwer verstanden wird und man zuerst ins Kanzleideutsch übersetzen muss. Elser wird zunächst von Konstanz nach München überstellt und am 13. November erstmals vernommen, von SS-Obersturmbannführer Franz-Josef Huber[53], der extra aus Wien geholt wurde, und Reichskriminaldirektor Arthur Nebe[54]. Aufgrund seiner aufgescheuerten Knie wird Elser bald als Täter entlarvt und macht am 14. November ein erstes Geständnis (welches nicht erhalten geblieben ist). Daraufhin wird er noch gleichentags zur Gestapo nach Berlin gebracht, wo er zunächst auch gefoltert und geschlagen wird. Am 19. November wird das erste erhaltene Vernehmungsprotokoll erstellt, das letzte am 23. November. Sie wurden erst 1970 von Lothar Gruchmann unter dem etwas verzerrenden Titel »Autobiographie eines Attentäters: Johann Georg Elser« veröffentlicht[55]. Ein Jahr zuvor hatte bereits Anton Hoch einen auf den Vernehmungsprotokollen basierten Artikel publiziert.[56]
Hier interessieren nur die politischen Einlassungen, die man Elser während der Verhöre aus der Nase gezogen hat, ja, ziehen musste, den Elser gibt sich naiv, verstockt und nur das Unbestreitbare preis und hat vor allem keinerlei Bereitschaft, sich auf die politischen Fragen seiner Peiniger einzulassen:
»Persönlich bin ich nie politisch hervorgetreten. Nach Erreichung des wahlberechtigten Alters habe ich immer die Liste der KPD gewählt, weil ich dachte, das ist eine Arbeiterpartei, die sich sicher für die Arbeiter einsetzt. Mitglied dieser Partei bin ich jedoch nie gewesen, weil ich dachte, es genüge, wenn ich meine Stimme abgebe. An irgendwelchen Aktionen, wie Flugblattverteilung, Zettelwerfen, Demonstrationszügen und Schmierereien habe ich mich nie beteiligt. Während meiner ganzen beruflichen Tätigkeit war ich nie im Betriebsrat tätig. Ich war Mitglied der Gewerkschaft des Holzarbeiterverbandes, weil dies der Verband der Arbeiter meines Berufes war und weil man Mitglied dieses Verbandes sein sollte. Mit Ausnahme einer späteren noch zu schildernden Zeit habe ich auch nie an parteipolitischen Versammlungen teilgenommen. Im Jahre 1928 oder 1929 bin ich in Konstanz dem RFB beigetreten. Ich war aber nur zahlendes Mitglied, denn eine Uniform oder irgendeinen Funktionärsposten habe ich nie inne gehabt. Insgesamt war ich auch nur dreimal während meiner ganzen RFB-Mitgliedschaft in einer politischen Versammlung, natürlich der KPD. In den RFB bin ich durch häufiges Zureden eines Arbeitskameraden namens Fiebig[57], der damals, ebenso wie ich, in der Uhrenfabrikation in Konstanz arbeitete und mit mir einige Zeit zusammen in der Inselgasse in Konstanz wohnte, eingetreten. Wenn ich gefragt werde, ob ich gewusst habe, dass die KPD Absicht und das Ziel hatte, in Deutschland eine Rätediktatur oder eine Diktatur des Proletariats aufzustellen, so muss ich sagen, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass ich so etwas mal gehört habe. Aber irgend etwas gedacht habe ich mir dabei bestimmt nicht. Ich dachte nicht anders, als dass man durch eine Stimmabgabe die Mandate der Kommunisten verstärken müsse und dass dann so die Partei mehr für die Arbeiterschaft tun könne. Von einem gewaltsamen Umsturz habe ich nie etwas gehört.
Für das Programm der KPD habe ich mich nie interessiert. Ich kann daher auch nicht angeben, wie sich im Fall des Sieges der KPD die wirtschaftliche Lage umgestellt hätte. In den Versammlungen ist lediglich davon gesprochen worden, dass mehr Lohn gezahlt werden soll, bessere Wohnungen geschafft werden sollen und solche ähnliche Dinge. Die Aufstellung dieser Forderungen hat für mich genügt, um mich kommunistisch zu orientieren.«
»Im Herbst 1938 war ich, wie bereits erwähnt, in der Armaturenfabrik Heidenheim in der Versandabteilung beschäftigt und bei meinen Eltern in Königsbronn wohnhaft.
Nach meiner Ansicht haben sich die Verhältnisse in der Arbeiterschaft nach der nationalen Revolution in verschiedener Hinsicht verschlechtert. So z. B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. Während ich im Jahre 1929 in der Uhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich 50,- RM wöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu dieser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunterstützung und Invalidenmarken nur ungefähr 5, RM betragen. Heute sind die Abzüge bereits bei einem Wochenverdienst von 25,- RM so hoch. Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahre 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfg. bezahlt.
Es ist mir erinnerlich, dass 1929 sogar ein Stundenlohn von 1,05 RM tarifmässig bezahlt worden ist. Aus Unterhaltungen mit verschiedenen Arbeitern ist bekannt, dass auch in anderen Berufsgruppen nach der nationalen Erhebung die Löhne gesenkt und die Abzüge grösser wurden, Beispiele kann ich nicht anführen.
Ferner steht die Arbeiterschaft nach meiner Ansicht seit der nationalen Revolution unter einem gewissen Zwang. Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen. Ich denke hier insbesondere an die Tätigkeit der Deutschen Christen. Weitere Beispiele fallen mir augenblicklich nicht ein. Diese Feststellungen und Beobachtungen habe ich bis zum Jahre 1938 und auch in der Folgezeit gemacht. Ich habe noch im Laufe dieser Zeit festgestellt, dass deswegen die Arbeiterschaft gegen die Regierung ›eine Wut‹ hat. Diese Feststellungen habe ich im allgemeinen gemacht, einzelne Personen, die sich in diesem Sinne geäussert haben, kann ich nicht angeben. Diese Feststellungen habe ich in den Betrieben, wo ich gearbeitet habe, in Wirtschaften und während der Bahnfahrt gemacht, einzelne Personen kann ich mit bestem Willen namentlich nicht angeben. Die Namen dieser Personen sind mir nicht bekannt Ich muss zugeben, dass es zwischendurch auch vorkam, dass bei solchen Unterhaltungen auch einzelne, mir ebenso unbekannte Personen widersprochen haben. Bei den Unterhaltungen über die angeblich schlechten sozialen Verhältnisse habe auch ich mich beteiligt und die Ansicht meiner Kameraden hierüber geteilt. Darüber, wie man diese Verhältnisse beseitigen kann, ist nie gesprochen worden.
Im Herbst 1938 wurde nach meinen Feststellungen in der Arbeiterschaft allgemein mit einem Krieg gerechnet. Ich kann heute nicht mehr angeben, ob dies auf die politischen Ereignisse im Herbst vorigen Jahres allein oder auch auf andere Gründe zurückzuführen war. In der Arbeiterschaft herrschte deswegen grosse Unruhe. Auch ich vermutete, dass es wegen der Sudetenfrage ›schief geht‹, d. h., dass es zu einem Krieg kommt. Nach der Münchener Besprechung kehrte in der Arbeiterschaft wieder Ruhe ein, der Krieg wurde als erledigt betrachtet. Ob weiterhin von einem Krieg unter der Arbeiterschaft gesprochen wurde, kann ich heute nicht mehr sagen.
Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit der Überzeugung, dass es bei dem Münchner Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und sich andere Länder einverleiben wird und dass deshalb ein Krieg unvermeidlich ist, d. h. ich hatte die Vermutung, dass es so kommen wird. Dies war meine eigene Auffassung. Ich kann mich nicht erinnern, dass Arbeitskameraden nach dem Abkommen von München 1938 noch von einer weiteren Kriegsgefahr sprachen.
Ich gebe allerdings zu, dass ich in dieser Zeit ausländische Radiosendungen gehört habe.«
»Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. Ob dies vor oder nach der Septemberkrise 1938 war, kann ich heute nicht mehr angeben. Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Hierzu wurde ich von niemanden angeregt, auch wurde ich von niemandem in diesem Sinne beeinflusst. Derartige oder ähnliche Unterhaltungen habe ich nie gehört. Auch vom Moskauer Sender habe ich nie gehört, dass die deutsche Regierung und das Regime gestürzt werden müssen. Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigte das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ›Obersten‹, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser 3 Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, ›die kein fremdes Land einbeziehen wollen‹ und die für eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.
An bestimmte Personen, die die Regierung übernehmen sollten, habe ich weder damals noch später gedacht. Den Nationalsozialismus wollte ich damals nicht beseitigen. Ich war davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus die Macht in seinen Händen hatte und dass er diese nicht wieder hergeben werde. Ich war lediglich der Meinung, dass durch die Beseitigung der genannten drei Männer eine Mässigung in der politischen Zielsetzung eintreten wird.
Bestimmt kann ich angeben, dass ich nicht im geringsten an eine andere Partei oder Organisation gedacht habe, die nach einer Beseitigung der Führung das Ruder in Deutschland in die Hand genommen hätte. Auch über diesen Punkt habe ich mich mit niemand unterhalten. Der Gedanke der Beseitigung der Führung liess mich damals nicht mehr zur Ruhe kommen und bereits im Herbst 1938 – es war dies vor dem November 1938 – hatte ich auf Grund der immer angestellten Betrachtungen den Entschluss gefasst, die Beseitigung der Führung selbst vorzunehmen. Ich dachte mir, dass dies nur möglich sei, wenn die Führung sich bei irgendeiner Kundgebung befindet. Aus der Tagespresse entnahm ich damals, dass die nächste Zusammenkunft, bei der auch die Führung teilnimmt, sich am 8. und 9. November 1938 in München im Bürgerbräukeller abspielt. Bestimmt kann ich allerdings nicht mehr sagen, ob ich diese Zusammenkunft tatsächlich aus der Zeitung oder sonst irgendwie erfahren habe. Ob mir dies später noch einfällt, kann ich nicht angeben.«
Wenn man den Duktus der Beamten wegstreicht, wenn man berücksichtigt, dass Elser hier nicht aus freien Stücken erzählt, sondern die Aussagen nur nach einseitig interessierter Befragung macht, wenn man bedenkt, dass Elser hier nur das Notwendigste preis gibt und keine Veranlassung sieht mit seinen Drangsalierern zu diskutieren, dann lässt sich seine Motivation folgendermassen bestimmen: er handelt nicht aus persönlichen Interessen, ihm geht es darum, die Verhältnisse der Arbeiterklasse zu bessern und einen Krieg zu verhindern. Ihm ist klar, dass seine Tat weder die NS-Herrschaft sofort beenden wird noch zu einer politischen Umwälzung oder gar Revolution führt, sondern er hofft mit der Beseitigung der Nazispitze den unausweichlichen Kriegskurs zu brechen und darauf, dass sich das Terrorregime etwas abmildert und sich die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse – und möglicherweise auch ihre allgemeine Kampfbedingung – verbessern kann. Durch seine beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, mit seiner Zähigkeit, Entschlossenheit und Verschwiegenheit, ist er persönlich dazu in der Lage dies auszuführen, die Mittel sonstiger proletarischer Widerstandsgruppen – Flugblätter, Briefaktionen, Wandanschriebe etc. – scheinen ihm letztlich ungenügend. Inmitten der allgemein herrschenden Ohnmacht innerhalb der Arbeiterschaft gegenüber dem Terrorregime der Bourgeoisie mitsamt ihrer braunen Lakaien ist die Tat des sich klar als Kommunist verstehenden Elsers[58] nur scheinbar eine »Einzelaktion«, tatsächlich ist sie so etwas wie das letzte Aufscheinen einer selbständigen Bewegung der Arbeiterklasse in Deutschland, eine Art »verkehrter Urknall« derselben, ein – allerdings gewiss nur vorübergehender – Schlusspunkt mit Donnerhall. Von da ab, auch nach dem Ende des unsäglichen Raubkriegs und Mordens, ist es der deutschen Bourgeoisie gelungen, alle Ansätze zu einer Wiederbelebung einer selbständigen – und also notwendig zum Kommunismus tendierenden – Arbeiterbewegung zu ersticken oder wenigstens unterhalb der gesellschaftlichen Wahrnehmungsschwelle zu halten. Ein Teil dieser Bemühungen ist auch, wie die Tat Elsers bewertet und in die offizielle bürgerliche »Gedenkkultur« eingebunden wird – oder wie in der DDR einfach ignoriert.[59]
Elser bleibt noch bis ungefähr Ende 1940 in Berlin im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) gefangen, als Sonderhäftling bewacht und nicht im dortigen Zellenbau verwahrt, sondern vermutlich im Dachgeschoss. Die SS will und soll Elsers Hintermänner herausfinden, sie malträtieren ihn mit Drogen, Schlägen, versuchen gar Hypnose, alles vergeblich. Schliesslich wird er in das KZ Sachsenhausen verlegt, nach dem Krieg will man ihm den Prozess machen. Als »Sondergefangener des Führers« werden für ihn drei Zellen zusammengelegt, eine davon ist einer Doppelwache der SS vorbehalten, eine mit einer Hobelbank versehen. Eine Zither hatte sich Elser dort bauen können, auf der er gerne spielte. In Sachsenhausen musste Elser bis Anfang Februar 1945 bleiben, dann wurde Elser durch die Gestapo in das KZ Dachau überführt, von vier SS-Leuten begleitet. Sein körperlicher Zustand muss erbärmlich gewesen sein, auch war er in Gefangenschaft zum Kettenraucher geworden. In Dachau kam er in den Trakt für die Sonderhäftlinge, bekam auch dort eine Doppelzelle, ein SS-Mann vor der Tür. Am 5. April unterzeichnet Heinrich Müller auf Weisung »von höchster Stelle« den Hinrichtungsbefehl für Georg Elser. Er sollte klammheimlich ermordet werden, während eines Luftangriffs, um dann als Opfer der Bombenangriffe der Alliierten zu gelten. Am 9. April holt man Abends Elser »zum Verhör«, seine Zelle wird noch gleichenabends den französischen Sonderhäftlingen Léon Blum und seiner Frau Jeanne zugewiesen. Ein Verhör gab es natürlich nicht, Elser wurde in die Nähe des Krematoriums geführt und dann von hinten mit einem Genickschuss getötet – von Theodor Bongartz, ehedem Arbeiter, ein gelernten Gipser aus Krefeld, der zum SS-Oberscharführer »aufgestiegen« war.[60]
Vergeblich hatten sich die Nazis bemüht Elser als Handlanger ausländischer Geheimdienste, als Werkzeug des NS-Dissidenten Otto Strasser[61] oder als von jüdischen Organisationen bezahlter Killer zu entlarven. Manche meinten, schon kurz nach dem Anschlag, dieser wäre von den Nazis selbst inszeniert worden. Kaum war der Krieg zu Ende, 1946, meldete sich der ehemalige Freikorps-Kämpfer, langjährige NS-Wähler und schliesslich »geläuterte« Martin Niemöller[62] zu Wort, der in Dachau im gleichen Trakt wie Elser eingesessen hatte: Elser wäre SS-Scharführer gewesen und hätte im Auftrag Hitlers selbst gehandelt. Elsers Zellennachbar in Dachau, der Unternehmer Lothar Rohde[63], stiess ins gleiche Horn. Der Historiker Hans Rothfels beschrieb 1949 in seinem als »Standardwerk« geltenden Buch »Die deutsche Opposition gegen Hitler« Elser als »agent provocateur« übelster Sorte, und diese Auffassung reproduzierte sich munter in den Werken weiterer bürgerlicher Historiker des Westens bis Ende der 1960er-Jahre. In der DDR war Elser unter den sonst so gepriesenen »antifaschistischen Helden« nicht zu finden, er wurde schlicht verschwiegen. Nur in Heidenheim gab es einen Journalisten, Erwin Roth, der Verwandte Elsers und andere Zeitzeugen befragte, unter anderem Elsers Bruder Leonhard und die Mutter. 1956 plubizierte er darüber erstmalig in der »Heidenheimer Zeitung«. Der »Spiegel« lehnte Roths Angebot eines Artikels 1960 desinteressiert ab. Günter Peis veröffentlichte 1959 in der »Bild am Sonntag« seine eigenen Recherchen und Zeitzeugenbefragungen in einer Artikelserie (»Zieh’ dich aus, Georg Elser!«). Der Wind drehte sich erst vorsichtig Mitte der 1960er-Jahre, als, wie oben erwähnt, die Verhörprotokolle öffentlich wurden. 1969 wurde von Rainer Erler ein Fernsehfilm über Elser gedreht (»Der Attentäter«), der sich weitgehend an die Verhörprotokolle hält und bis anhin immer noch die beste filmische Darstellung der Ereignisse ist.[64] Dieser Film regte später den als »Terroristen« verhafteten Peter Paul Zahl an, ein Theaterstück darüber zu schreiben (»Johann Georg Elser – Ein deutsches Drama«), und er nutzte einen Hafturlaub, um in Heidenheim unter anderem Josef Schurr zu interviewen. Die Aufnahmen davon sind leider verloren gegangen, Zahl behauptet aber, sie in seinem Bühnenstück »Wort für Wort« verwendet zu haben, nachdem ihm Schurrs Schwäbisch, das er so gut wie nicht verstand, ins Schriftdeutsche transkribiert worden war.
Mit dem allmählichen Durchbrechen der grossen Lügen- und Schweigemauer um Elser, begann nun die ideologische Verzerrung in der Darstellung von Elser und seiner Tat. Für Joseph Peter Stern, 1978, galt Elser als »Mann ohne Ideologie« und als »Hitlers wahrer Antagonist« mit »simplen moralischen und politischen Vorstellungen«. Der »Mann aus dem Volk« war geboren – als unbewusste Reproduktion der tief verwurzelten Vorstellung des Bürgertums, dass ja die ehrbaren Leute aus dem sogenannten »militärischen Widerstand« oder die »Verschwörer vom 20. Juli« über dem Volk stehen. Überhaupt durfte nun das Attribut »einfach« bei der Erwähnung Elsers nicht mehr fehlen, der »einfache Schreiner« usw. Helmut Ortner, ein erster (und schlechter) Elser-Biograph, macht ihn zum »einsamen Attentäter«. 1986 verwurstete der englische Schauspieler und Autor Stephen Sheppard (1945–2011) Elsers Tat als Vorlage für ein grausiges literarisches Machwerk mit dem Titel »The Artisan« (»Der Handwerker«), welches dann dem Selbstdarsteller Karl Maria Brandauer drei Jahre später als Blaupause zum ebenso entsetzlichen und teils gar grotesken Film »Georg Elser – einer aus Deutschland« diente, bei dem Brandauer auch selbst Regie führte – ohne jegliches Interesse an der wahren Geschichte. Hier wird Elser zum in München lebenden Bajuwaren, der im Kerzenschein und teils im voll besetzten Bürgerbräukeller seinen Sprengapparat einbaut, dort gleichzeitig mit einer Kellnerin anbändelt und sie schwängert und sie in SA-Uniform vor seiner eigenen Bombe errettet, indem er, inzwischen wieder in zivil, mit ihr zusammen im Schnellzug, erster Klasse, nach Konstanz fährt, wo er als bereits identifizierter Täter erwartet wird. Elsers Motiv wird heruntergeschraubt auf den dämlichen Satz: »Einer musste es ja tun«.
Die Uraufführung dieses nahezu unerträglichen Films fand in Heidenheim statt, in Anwesenheit von Elsers Sohn, auf Betreiben des dort 1988 entstandenen rührigen »Georg-Elser-Arbeitskreises«. Auch wenn dort viele Einzelheiten zu Elsers Biografie zusammengetragen werden und der Arbeitskreis die Widerstände in der Heimat Elsers gegen seine Anerkennung als Kämpfer gegen den Faschismus zu brechen half, entgeht auch der Arbeitskreis dem Reduktionsschema auf den Widerstand gegen Hitler und den Krieg nicht ganz, zu sehr ist man auf Detailfragen konzentriert, in denen der klassenkämpferische Elser letztendlich verloren geht – man dies am liebsten gar nicht wahrhaben will. Bei der von Hellmut G. Haasis erstmalig 1999 erschienenen, interessanten, zeitweise wirr gestalteten Biographie wird aus Elser, dem Kommunisten, ein »libertärer Sozialist«, eine Beschreibung, die eher auf den Autor selbst zutreffen mag und dessen etwas verschrobene Vorstellung von Kommunisten reproduziert.[65] Ulrich Renz behauptet in seinem Buch von 2014 »Georg Elser – Allein gegen Hitler« lapidar: »dass Elser Kommunist gewesen sei, liess sich später auch nicht mehr aufrecht erhalten.« Woher er diese Einsicht nimmt, bleibt allerdings offen, scheint ihn und andere aber ungemein zu beruhigen.[66] In diesem Jahrhundert sind es vor allem die Historiker Peter Steinbach und Johannes Tuchel die zu Elser publizieren. Da liest man dann z. B. folgendes: »Elsers Politikverständnis ist stark geprägt von seinem eigenen Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Daher bleibt auch ein erstes und wichtiges Motiv für seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus die Verschlechterung der Lebensbedingungen in den Jahren nach 1933: Die Reallöhne stagnieren, die Arbeitsbelastung steigt. 1937/38 tritt ein anderes Motiv in den Vordergrund: Elser beobachtet die umfangreichen Kriegsvorbereitungen.« Hier ist die Arbeiterklasse und Elsers Klassenbewusstsein schon verschwunden, egoistische Motive werden untergeschoben, der Zusammenhang zwischen der Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter und der Rüstungswirtschaft des NS-Regimes wird gar nicht hergestellt, dass Elser schon vor 1933 klar war, dass Hitler Krieg bedeutet, fällt hier gänzlich unter den Tisch. Hier fallen die Autoren schon geistig weit hinter Elser zurück. Dann meinen sie gar dass Elser »in unnatürlich geschraubter Sprache« etwas bei der Gestapo zu Protokoll gibt, sie kommen gar nicht auf die Idee, dass es nicht Elsers O-Ton ist. Und weiter: »Der konsequente Kriegsgegner Elser ist zum Tyrannenmord entschlossen.« Weil noch während der Attentatsvorbereitung der Krieg gegen Polen beginnt schliessen sie: »Das bestärkt Elser in seinem Vorhaben. Mit seiner Tat will er ›noch grösseres Blutvergiessen‹ – die Ausweitung des Krieges nach Westen [sic!] – vermeiden.« Und natürlich darf nicht das grosse Narrativ fehlen: »Georg Elser hingegen verkörperte den ganz anderen Deutschen – der zugleich ein ganz gewöhnlicher Deutscher war, kein adeliger Offizier, kein Priester oder hochstehender Diplomat, sondern einer von Millionen, einer ›aus dem Volke‹.«[67] Diese Leute leiten die »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« in Berlin und gelten als »fortschrittlich«, weil sie auch Kommunisten einen Platz in der Gedenkstätte einräumen.[68]. An anderer Stelle schreibt Steinbach: »Umso wichtiger ist, sich daran zu erinnern, dass er kein Terrorist war, sondern den staatlich legitimierten Terrorismus, genau ein Jahr nach dem Novemberpogrom von 1938, im Keim ersticken wollte. […] Elser setzte sein Leben ein, weil es Höheres gab als das Überleben in einer Nische.«[69]
Der »staatlich legitimierte Terrorismus« keimte nicht erst »nach dem Novemberpogrom«, den hatte schon die sozialdemokratische Regierung der demokratischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg gegen die revolutionäre Arbeiterklasse ins Feld geführt. Bezogen auf Hitler hätte Elser sein Attentat schon 1923 an gleicher Stelle durchführen müssen, um es »im Keim zu ersticken«, da war er gerade mal 20 Jahre alt und hatte gerade seine Gesellenprüfung hinter sich. Die Novemberpogrome fanden statt, nachdem Elser den Bürgerbräukeller bereits als Anschlagsort inspiziert hatte. Wäre er damals einen Tag länger in München geblieben, hätte er sie persönlich erleben können. Dazuhin überlebte Elser nicht in einer »Nische«, wie dies gutbezahlte Historiker heutzutage zu tun vermögen, sondern war, wie die allermeisten seiner Klassengenossen, dem rigorosen und repressiven Ausbeutungsregime der nazigestützten Kapitalistenklasse unterworfen.
Inzwischen gibt es zahlreiche »Ehrungen« Elsers, in Form von Strassen, Preisen[70], Denkmälern, Gedenkschriften, neuen Filmen[71] usw., und die bürgerliche Gedenkkultur ist sich bei ihrer Einweihung keiner Peinlichkeit zu schade. Elser wird gar zum »deutschen Wilhelm Tell« (Hochhut);[72] »Er [Elser] glaubte an eine bessere Zukunft und eine gerechtere Gesellschaft. Von den höchsten Zielen wurde er dann in die tiefste Niedrigkeit geworfen. […] Georg Elser verkörpert das andere Deutschland, ein Deutschland der Demokratie und der Humanität.« (Böhrnsen);[73] »Europa hatte sich in den 30er Jahren in einen dunklen Kontinent verwandelt. Das Licht der Demokratie flackerte bedenklich. Als Elser den Zünder scharf stellte, waren von den 28 europäischen Staaten nur noch elf demokratisch verfasst. […] Georg Elser handelte als mündiger Bürger aus ethischer und politischer Verantwortung heraus, ohne Rückhalt durch irgendeine Organisation oder Bewegung, einem ungeschriebenen Grundgesetz verpflichtet.« (Malzahn).[74] Der Bundespräsident Steinmaier behauptet gar 2019 am Geburtsort Elsers verschwurbelt: »Das Grundgesetz kennt das Widerstandsrecht, weil es Georg Elser kennt.«.[75] So geht es bis zur Unerträglichkeit weiter. Man versucht Georg Elser zum Vorkämpfer der bürgerlichen Nachkriegsdemokratie zu stilisieren, die, sich nun gezwungenermassen »antifaschistisch« gebärdend, von Beginn an, und heute auch wieder aktiv militärisch, an der Aufrechterhaltung der weltweiten Ausbeutungsordnung beteiligt und vor keinem Menschenopfer zurückschreckt, wenn es nur der Sicherung des eigenen Wohlstands und Profits dienlich ist.[76]
Mit kaum noch zu schlagender widerlicher Dreistigkeit veranstaltet der Reservistenverband der Bundeswehr, die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Bundeswehr-Verband alljärlich die sogenannten »Königsbronner Gespräche«. Der Präsident des Reservistenverbandes Roderich Kiesewetter (CDU) begründet die Wahl des Tagungsortes damit, dass man Elser damit »würdigen« wolle: »Er hat sich, auf sich allein gestellt, zum Kampf gegen ein verbrecherisches System entschlossen. Aussen- und Sicherheitspolitik muss sich immer Werten verpflichtet fühlen, das ist auch Mahnung an unsere heutige Politik.«[77] Heuer (2021) stand der (coronabedingt virtuelle) Kongress diesmal unter dem Motto »Die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft – Chancen und Herausforderungen unter Präsident Biden.« Die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer redet dort der Aufrüstung das Wort und malt die »Bedrohung« durch Russland und China beschwörend an die Wand, wie immer »nukleare Teilhabe« fordernd. Voller Stolz ist sie auf die Entsendung einer Bundeswehr-Fregatte in den Indopazifik, die dort unter der »Werte-Flagge« segelt. Dabei geht es um nichts anderes als der kapitalistischen Konkurrenz auf dem Kontinent wie in Übersee hochgerüstet die eigenen Bedingungen aufzuzwingen. Eine Politik, die schon alle Deutschen Reiche und Republiken, gleich welcher Staatsform, bestens beherrschten und die gewiss nicht – ausser als unverfrorene Verhöhnung – mit Elser in Verbindung gebracht werden kann.
In der Sache geht es den offiziellen und die »demokratische Staatsräson« legitimierenden »Antifaschisten« darum, eben die Kontinuität des Ausbeutungsregimes, sei es nun braun und bluttriefend oder schwarz-rot-gold »moderat« und demokratisch kostümiert, zu verschleiern, wo doch die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik vor allem auch von jenen Unternehmern, Staatsdienern und ideologischen Lakaien gekennzeichnet ist, die zumindest bis zur Niederlage in Stalingrad mehr oder weniger begeisterte Mitläufer oder gar Mittäter des NS-Regimes waren. Was zum Faschismus geführt hatte, und wer dafür verantwortlich war, und wer von ihm profitierte, das wurde – und wird – geflissentlich unter den Tisch gekehrt, das »Tausendjährige Reich« als ein plötzlich hereinbrechendes Unheil verkauft. Schon 1946 schrieb Amadeo Bordiga angesichts ähnlicher ideologischer Manöver der italienischen Bourgeoisie:
»Die Idee, dass der Faschismus anders als alle anderen sozialen und historischen Prozesse betrachtet werden sollte, als eine Krankheit oder, wenn man so will, als eine Abweichung der Geschichte, als eine abrupt geöffnete und abrupt geschlossene Klammer, als ein sich öffnender und schliessender Vorhang für ein abstossendes Spektakel, ist gleichbedeutend mit dem Glauben, dass diese historische Phase nicht ihre Wurzeln in allen Ereignissen hat, die ihr vorausgingen, und dass die Ereignisse, die ihr folgten, nicht von ihr beeinflusst werden können. […] Eine solche Idee kommt schliesslich darauf hinaus, unter dem Vorwand eines antifaschistischen Radikalismus die eigentlichen Ursachen für die Entstehung des Faschismus wiederherzustellen und zu verherrlichen, und ist die reaktionärste Idee, die die Politik dieser Zeit in Umlauf zu bringen vermochte.«
Und er fügt hinzu, dass man eben diesen institutionalisierten Antifaschismus als »das lumpigste und bösartigste Produkt des Faschismus« bezeichnen kann. Und so heisst es in diesem Artikel weiter:
»In den Jahren des Faschismus und in den Kriegsjahren gab es Opposition, Widerstand und Revolten, genauso wie es Kämpfe gab, die von bewaffneten Partisanen in den von den Faschisten und Deutschen gehaltenen Gebieten geführt wurden. Aber während es dem bürgerlichen Politikantismus gelungen ist, diesen Bewegungen seine falschen liberalen und patriotischen Etiketten aufzukleben, müssen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit alle diese grossherzigen Anstrengungen proletarischen Gruppen zugeschrieben werden, die, selbst wenn sie sich in ihrem politischen Bewusstsein nicht von den tausend Lügen des offiziellen Antifaschismus befreien konnten, in ihrem Kampf den Versuch einer Klassenrache, einer autonomen Manifestation revolutionärer Kräfte zum Ausdruck bringen, die dazu neigen, alle feindlichen Kräfte der herrschenden und ausbeutenden Gesellschaftsschichten zu zerschlagen.«[78]
Ganz in diesem Sinne weisen wir alle Entstellungs- und Vereinnahmungsversuche Georg Elsers und seiner Tat von seitens der den Klassenkampf praktizierenden aber ihn verleugnenden Bourgeoisie und deren beflissenen Feder-Halter ab und würdigen ihn als unseren Klassenbruder, als unerschrockenen und beharrlichen Kämpfer seiner Klasse. Und selbst wenn wir zur Zeit nur Wenige sind, bei jedem Gedenken an ihn gilt auch hier unser Schwur stets von neuem: »Genosse, der Kampf geht weiter!« – bis das letzte Ausbeuterregime, unter welcher Staatsform und in welcher ideologischen Kostümierung auch immer, vom Erdball getilgt ist.
K.G.
Anmerkungen:
[prev.] [content] [end]
Die ersten zwei Abschnitte des vorliegenden Artikels basieren im Wesentlichen auf folgender Akte: Коллекция документов спецслужб Германии 1912–1945 гг. (РГАСПИ, Фонд 458, Опись 9) (Dokumentensammlung der deutschen Sicherheits- und Geheimdienste, 1912–1945, RGASPI, Fond 458, Verzeichnis 9)[⤒]
Gemeint ist die Reederei K.I.A.G (Kohlen-Import-AG), im Besitz der Hugo Stinnes Schiffahrt. Sie wurde gegründet, um Kohle aus dem oberschlesischen Bergbau in die westlichen Industriezentren des Reiches zu schaffen. Die Stinnes-Reederei hat heute ihren Sitz in Rostock.[⤒]
Der Internationale Klub der Seeleute in Leningrad war eine von den übrigen Parteisektionen der KP abgetrennter Apparat, zuständig für die Schiffssabotage im Auftrag der sowjetischen Staatssicherheit. Ernst Wollweber, der auch später für die Staatssicherheit in der DDR zuständig war, scheint dort eine führende Rolle gespielt zu haben.[⤒]
Carl Friedrich Goerdeler (1884–1945) wurde im November 1934 von Hitler zum Preiskommissar ernannt (Der Reichskommissar für die Preisbildung war eine Einrichtung im NS-Regime, um die Sicherung volkswirtschaftlich gerechtfertigter Preise in der industriellen Produktion und im Handel durchzusetzen). Diese Funktion hatte er bis Ende 1936 inne. Goerdeler gehörte später zum bürgerlichen Widerstand gegen das NS-Regime. Er sollte nach einem erfolgreichen Attentat (20. Juli 1944), an dessen Planung er massgeblich beteiligt war, das Amt des Reichskanzlers übernehmen. Er wurde am 2. Februar 1945 in Plötzensee durch Hängen hingerichtet. Er stand 1935 in Kontakt mit Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und erwog seinen Eintritt in das Krupp-Direktorium. Nach seiner Wiederwahl als OB von Leipzig 1936 gab er dies Vorhaben jedoch auf.[⤒]
Die Villa Hügel im Essener Stadtteil Bredeney wurde 1870–1873 von Alfred Krupp errichtet und war von 1873 bis 1945 das schlossähnliche Wohn- und Repräsentationshaus der Industriellenfamilie Krupp. Heute ist das Areal ein Austellungsgebäude nebst Parkanlage.[⤒]
Hitlers Reichsregierung hatte am 26. Januar 1937 mit Wirkung vom 1. April 1937 das Gesetz über Gross-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen (Gross-Hamburg-Gesetz) erlassen. Damit wurde das bisherige Staatsgebiet Hamburgs um volkswirtschaftlich wichtige Gebiete aus den benachbarten preussischen Landkreisen und kreisfreien Städten erweitert.[⤒]
Gegründet als Arbeitgeberverband 1907, von den Nazis in die DAF-Struktur eingebunden und im Mai 1939 formell aufgelöst, wurde nach dem Krieg 1952 als selbständiger Arbeitgeberverband neugegründet.[⤒]
Die Firma Fritz Weber & Co. Metallwaren- und Laternenfabrik war ein wichtiger Betrieb der deutschen Waffenindustrie. Weber selbst war Wehrwirtschaftsführer und Mitglied der NSDAP. Es wurden dort schliesslich von mehr als 2300 Arbeitern und Angestellten Kriegsmaterialien gefertigt. Sowjetische und andere Zwangsarbeiter wurden beschäftigt, die aus den in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Zwangsarbeiterlagern beschafft wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb Webers enteignet und in dem Gebäude der Fertigungsbereich 3 der VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik eingerichtet.[⤒]
Weitere Informationen über dieses »frühe« Lager von 1937 in Wietzendorf waren nicht aufzufinden, es ist also unklar, um was für ein Lager es sich hier handelte. Das bekannte und berüchtigte Stalag X D (310) (Stamm- oder Mannschaftslager) in Wietzendorf wurde im Sommer 1941 auf der grünen Wiese am Rande eines Truppenübungsplatzes errichtet. In diesem Wietzendorfer Lager starben zwischen August 1941 und April 1945 mindestens 16 000 sowjetische Kriegsgefangene sowie 30 italienische Militärinternierte und ein französischer Kriegsgefangener.[⤒]
Die A. Riebeck’sche Montanwerke AG wurde 1883 gegründet, gehörte später erst dem Stinnes-Konzern, ab 1925 der BASF, 1926 in die berüchtigte I. G. Farben integriert. Im Geschäftsjahr 1938/39 förderte die Gesellschaft 14 631 000 Tonnen Rohbraunkohle und beschäftigte 10 424 Arbeiter und Angestellte. Während des Kriegs wurden auch hier zahlreiche Zwangsarbeiter ausgebeutet.[⤒]
Die Firma Grün & Bilfinger war einer der Vorläufer der bekannten Bilfinger Berger Bauunternehmung. Die Firma prosperierte während des Dritten Reiches vor allem durch öffentliche Bauaufträge wie der Reichsautobahn und anderen Grossprojekten. Während des Krieges betrieb die Firma eigene Zwangsarbeitslager. Massgeblicher Aktionär nach dem Kriege war die Dresdner Bank, die schliesslich die Verschmelzung mit der Julius Berger Tiefbau AG vorantrieb um ein international konkurrenzfähiges Unternehmen zu schaffen. Jürgen Ponto, der später einem Anschlag der RAF (»Rote Armee Fraktion«) zum Opfer fiel, war einer der Initiatoren dieser Fusion.[⤒]
heute Podjuchy, eine Gemeinde in Polen südlich von Stettin, unweit der Autobahn A6, die damals gebaut wurde.[⤒]
Die Firma heisst heute Heinrich Köhler Baugesellschaft GmbH und hat jetzt ihren Sitz in Trier, gehört noch immer der Familie. Das Unternehmen, ganz in der Tradition der Aufrüstung, prosperierte nach dem Krieg mit dem Bau von Militärbasen für die US-Armee.[⤒]
heute Sieroniowice, im südwestlichen Polen gelegen. Von 1936 bis 1945 hatten die Nazis Schironowitz mit dem Kunstnamen Grünheide »germanisiert«. Das hatte sich wohl noch nicht bis zur SS herumgesprochen.[⤒]
Die Heddernheimer Kupferwerke gehörten zur Vereinigte Deutsche Metallwerke AG (VDM), welche 1930 aus einer durch die Weltwirtschaftskrise 1929 erzwungenen Fusion entstanden war. Die beginnende Aufrüstung der Wehrmacht erhöhte die Nachfrage nach Leichtmetallerzeugnissen sprunghaft. Bis 1939 stieg die Zahl der bei VDM Beschäftigten in mehreren Standorten auf insgesamt 21 000, vor allem durch die Fertigung von Verstellpropellern für Flugzeuge der Luftwaffe. Das Heddernheimer Kupferwerk ist mittlerweile abgerissen.
Unter anderem für das Kupferwerk gab es zwischen April 1942 bis März 1945 das »Arbeitserziehungslager Heddernheim«, insgesamt waren etwa 10 000 Deutsche und Ausländer in dieser Zeit dort unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Die Lagerleitung erwirtschaftete für sich einen Gewinn von 300 000 bis 400 000 Reichsmark, unter anderem durch Kürzung der ohnehin ärmlichen Verpflegung.[⤒]J. S. Fries Sohn, gegründet 1748 als Zinngiesserei, 1973/74 liquidiert. Zwischenzeitlich war es zum führenden Unternehmen der Feuerwehrgerätetechnik avanciert, später kamen Brücken, Krane und anderes hinzu. Während der Nazizeit produzierte das Unternehmen, am Frankfurter Osthafen gelegen, Panzer und U-Boote. Bekannt wurde das Unternehmen auch für die Produktion des Strabokrans, eines transportablen Strassenbockkrans, der im Zweiten Weltkrieg hauptsächlich für die Panzerinstandsetzung an der Front verwendet wurde. Auf dem Betriebsgelände bestand von 1943 bis 1945 ein eigenes Lager für Zwangsarbeiter, wo Belgier, Franzosen, Litauer, Niederländer, Russen und Ukrainer unbekannter Anzahl einquartiert waren.[⤒]
Das »Amt Information« war ein Geheimdienst der DAF. Dieser Nachrichtendienst existierte nur von April/Mai 1934 bis zum Frühjahr 1938. Dann wurde er aufgelöst, da er sich als unfähig erwies, Streiks und Arbeitsniederlegungen zu verhindern und vom sicherheitspolitischen Apparat der SS, dem SD übernommen. Bereits seit Juli 1934 war das »Amt Information« formal dem SD angegliedert. Für das »Amt Information« arbeiteten eine Reihe von betrieblichen Zuträgern und V-Leuten, die je nach Verankerung in den Betrieben genaue Einblicke und Gefährdungseinschätzungen liefern konnten. Ursprünglich hervorgegangen ist das »Amt« aus der NS-Betriebszellenorganisation (NSBO, siehe Anmerkung 19), bzw. dessen Nachrichtendienst, der Informationen über politische Gegner sammelte. 1935 wurde eine Unterabteilung gegründet, die systematisch das gesamte erbeutete Schriftgut der zerschlagenen Gewerkschaften auswerten sollte.
Auf die ganze Organisation der Arbeits- und Arbeitseinsatzverwaltung und den Dschungel an Behörden, Kompetenzen und Organisationen im Dritten Reich kann hier natürlich nicht vertieft eingegangen werden. Einen ganz guten Einblick erhält man unter anderem aus der hochinteressanten Dissertation von Ute Vergin »Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs«, welche im Netz frei verfügbar ist.[⤒]Der Bau des Fliegerhorstes Crailsheim begann 1935 auf einem freien Gelände westlich von Crailsheim, zwischen dem Bahnhof und der Gemeinde Rossfeld. 1938 wurde das Fliegerausbildungsregiment 43 dort stationiert, 1939 eine Flugzeugführerschule eingerichtet. Der Fliegerhorst hat keine bedeutende Rolle während des Luftkriegs im 2. Weltkrieges gespielt.[⤒]
NSBO, »Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation«. Die NSBO bildete sich 1928 aus NSDAP-Betriebsgruppen und wurde am 15. Januar 1931 zur Reichsbetriebszellenabteilung der NSDAP erklärt. Bis zum Ende des Jahres wuchs die Mitgliederzahl auf circa reichsweit 300 000. Die NSBO-Verbände erreichten aber aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Mitgliedszahlen nirgendwo die Tariffähigkeit, Tarifpolitik gehörte nicht zu ihrem Betätigungsfeld. Am 2. Mai 1933 beteiligte sich die NSBO aktiv an der Besetzung der Gewerkschaftshäuser. Wenige Tage nach dem Verbot der Gewerkschaften in Deutschland am 2. Mai 1933 wurde die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) gegründet. Nach der Ermordung Gregor Strassers und weiterer Organisationsmitglieder 1934 wurde der Einfluss der NSBO weiter reduziert. 1935 wurde die NSBO zu Gunsten der DAF aufgelöst.[⤒]
Theo Hupfauer, (1906–1993), seit 1932 NSDAP-Mitglied mit steiler Karriere im NS-Staat. 1941 wurde er zum Burgkommandant der SS-Schule Ordensburg Sonthofen im Rang eines SS-Standartenführers ernannt. Zum Schluss wurde er sogar durch die Ernennung in Hitlers politischem Testament – formal – zum Reichsarbeitsminister. Nach dem Krieg setzte er unbehelligt seine Karriere in der Wirtschaft Westdeutschlands fort.[⤒]
Dies war recht einfach möglich, da bereits 1935 das »Arbeitsbuch« eingeführt wurde, das als rigides Instrument zur Kontrolle der Arbeitskräfte diente und mit der Beschränkung der Freizügigkeit zur Stabilisierung der Löhne und der damit verbundenen Ausgaben führte. Mithilfe dieser Arbeitsbücher, in die berufliche Ausbildung, Beschäftigungen, Familienstand usw. eingetragen wurde, registrierten die Arbeitsämter jede Person und kontrollierten ihren Arbeitseinsatz. Die Vorlage dieses Dokuments bedeutete schon ab 1936 die Zugangsvoraussetzung bei vielen Berufen. Befreit von der Arbeitsbuchpflicht waren nur noch Beamte, gewisse Gruppen von Selbständigen (für Handwerker gab es aber eine Sonderkartei) sowie die freien Berufe.
Nach dem Krieg wurde in der DDR die Praxis des Arbeitsbuchs teilweise bis 1967 beibehalten.[⤒]Siehe dazu auch Günter Morsch, »Arbeit und Brot. Studien zur Lage, Stimmung, Einstellung und Verhalten der deutschen Arbeiterschaft 1933–1936/37« (Europäische Hochschulschriften, Reihe III: 546), Lang, Frankfurt a.M., 1993.
Auch unter der demokratisch kaschierten Diktatur des Kapitals in der Bundesrepublik wird auf ein Konzept der Verunsicherung gesetzt, es gibt weder ein explizites noch für die Arbeiter praktikables Streikrecht, sondern die Voraussetzungen für legale Streiks sind in einem Wust von Gesetzen und Vorschriften versteckt und so gehalten, dass Unternehmer und auch die staatstreuen Gewerkschaften im grossen Ganzen die Kontrolle behalten. Was sich ausserhalb davon rührt wird als »wilder Streik« gebrandmarkt und mit der Keule unternehmerischer Regressforderungen bedroht.
Nun, Tradition verpflichtet ja bekanntlich: massgeblich beteiligt am »Arbeitsordnungsgesetz« (AOG), dem »Kernstück des nationalsozialistischen Arbeitsrechts«, am 20. Januar 1934, war der Jurist Hans Carl Nipperdey (1895–1968). Im Vorwort des Kommentars zu diesem Gesetz erklärte er: »Was vor allem nötig ist, ist die Erziehung zur rechten Gesinnung«. Von 1954 bis 1963 wurde er schliesslich – wohl durch seine Vorarbeiten in der NS-Zeit prädestiniert – zum ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts in Kassel. 1952 hatte er in einem Gutachten zum Zeitungsstreik gegen die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes das Recht auf Schadenersatz von bestreikten Unternehmen begründet. Diese Auffassung setzte Nipperdey dann auch 1958 als Vorsitzender Richter des Bundesarbeitsgerichtes im Urteil gegen den Grundsatz-Streik der IG Metall zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als Richterrecht durch (den Unternehmern wurden 38 Millionen Deutsche Mark Schadenersatz zugestanden).[⤒]Gemeint ist möglicherweise die Chemische Düngerfabrik Rendsburg, 1876 gegründet, 1972 von der BASF übernommen.[⤒]
Vereinigte Jute-Spinnereien und Webereien AG in Billstedt mit reichsweiten Niederlassungen, 1883 gegründet. Sie fertigte aus indischer und pakistanischer Rohjute einfache Spinngarne, die sie zu Transportsäcken, sonstigen Verpackungstextilien, Bindfäden etc. weiterverarbeitete. Später kamen Grundgewebe für Linoleumböden hinzu. Eigentümer der »Jute«, wie sie im Volksmund hiess, waren zunächst hanseatische Handelshäuser und Bankiers. In den 1920er Jahren wurde der Betrieb mehrheitlich (zu ca. 70 %) vom Blumenstein-Konzern übernommen, später vom britischen Bankhaus Ralli Brothers. Deshalb kam die Firma 1940 unter die Zwangsverwaltung des deutschen Reichskommissars für Feindvermögen. Nach dem Krieg wurde die Dresdener Bank zur Hausbank, die 1962 schliesslich Eigentümer wurde. Im gleichen Jahr wurde das Hamburger Werk geschlossen. Auch in diesem Unternehmen wurden während des Kriegs Zwangsarbeiter eingesetzt.[⤒]
So heisst es im Geschäftsbericht der Vereinigten Jute-Spinnereien und Webereien AG für 1937: »Die Bereitstellung der für diese Produktionsausweitung benötigten Arbeitskräfte war bei dem immer stärker sich ausbreitenden Arbeitermangel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Wir waren im grossen Umfang darauf angewiesen, ungelernte Arbeitskräfte auszubilden.«
Der Arbeitskräftemangel veranlasste auch die Firma zu sozialen Verbesserungen. So heisst es dort weiter im Geschäftsbericht: »Unsere Gefolgschaft, die zu Jahresanfang rund 4500 Mitglieder zählte, wuchs bis zum jahresende auf rund 5650 an. Sie konnte fast durchweg in vollen Wochensstunden arbeiten. Um den Gedanken der Werksverbundenheit zu fördern, erweiterten wir die für unsere Firma seit langem bestehenden sozialen Einrichtungen und brachten sie als ›Werkhilfe‹ in eine einheitliche Form, die in unseren sämtlichen Werken nunmehr einen Teil der Betriebsordnung darstellt. Diese ›Werkhilfe‹ umfasst Beihilfen bei Geburten, bei Todesfällen, bei Unglücks- und Notfällen, Ehrengaben bei Dienstjubiläen und eine zusätzliche Altersversorgung. Anspruch auf diese Leistungen ist allen Gefolgschaftsmitgliedern eröffnet, die drei Jahre im Dienste der Firma stehen (›Stammitglieder der Gefolgsschaft‹). Diese geniessen auch einen erhöhten Kündigungsschutz durch Verlängerung der Kündigungsfrist auf mindestens vier Wochen. Als Jahresendgratifikation konnten wir entsprechend dem besseren Jahresergebnis einen gegenüber den Vorjahren wesentlich erhöhten Betrag an die Gefolgsschaft zur Auszahlung bringen.«[⤒]Es handelt sich um die Jacob Wikschtröm Drahtmaschinenfabrik, die Quellenlage zu dieser Firma ist äusserst dünn. Möglicherweise wurde sie von den Allierten nach dem Krieg demontiert. Aktivitäten gab es noch bis 1947 als Jakob Wikschtröm GmbH Maschinenfabrik, Höherweg 278 in Düsseldorf.[⤒]
Zum Mössinger Generalstreik siehe Hans-Joachim Althaus u. a. (Hrsg.): »Da ist nirgends nichts gewesen ausser hier. Das ›rote Mössingen‹ im Generalstreik gegen Hitler. Geschichte eines schwäbischen Arbeiterdorfes.«, Berlin 1982
Fritz Wandel veröffentlichte 1946, gleich seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft, einen »Erlebnisbericht« über seine Zeit in Dachau: »Ein Weg durch die Hölle… Dachau – wie es wirklich war«, Reutlinger Zeitungs-Vertrieb, später Verlag Oertel & Spörer, Reutlingen 1946.
Im Nachkriegsdeutschland gab es zwei »generalstreiksähnliche« Bewegungen. In der Bizone (= amerikanische und britische Besatzungszone) hatten am 12. November 1948 nach Gewerkschaftsangaben über neun Millionen Arbeitnehmer, 72 % der dort 11,7 Millionen Beschäftigten, gegen Preistreiberei der Unternehmer, für Lohnerhöhungen und mehr »Wirtschaftsdemokratie« gestreikt, also vielmehr »Arbeitsruhe« gehalten, denn Kundgebungen, Versammlungen und sonstige Zusammenkünfte waren von der Militärverwaltung nicht genehmigt. Man befürchtete Vorkommnisse wie zwei Wochen zuvor in Stuttgart, als es am 28. Oktober 1948 nach Streiks und Protesten für Preisregulierung und für Lohnerhöhung zu schweren Unruhen gekommen war. Der amerikanische General Clay hatte daraufhin gar ein Ausgehverbot für Stuttgart verhängt. Auch wenn der Bizonen-Streik (in der französischen Besatzungszone war er von vornherein verboten worden) im November 1948 der zahlenmässig grösste Streik in Deutschland seit dem Kapp-Putsch war, war sein Scheitern natürlich vorprogrammiert und so politisch von den steuernden Sozialdemokraten auch vorgesehen: von vornherein auf 24 Stunden beschränkt und ohne wirkliche Aktion, ausgerichtet auf das klassenkollaborationistische Konzept einer so reformistischen wie illusorischen »Wirtschaftsdemokratie«, verlief das ganze, wie Chronisten berichten, »in feiertäglicher Stille«. Also doch noch ein »Generalstreik« durch zu Hause bleiben?
Ganz anderer Natur war das sicherlich mit der Streikbewegung ab dem 17. Juni 1953 in der DDR, wo nicht nur in Berlin und den grösseren Städten der DDR gestreikt wurde, sondern fast flächendeckend, in über 700 Orten, mit über einer Million Beteiligten… bis das Eingreifen von Polizei und Sowjetarmee demn ein Ende setzten…[⤒]Die italienischen linken Kommunisten, die zu dem Zeitpunkt noch die Führung der KPI innehatten, formulierten das schon 1922 in den »Thesen über die Taktik der Kommunistischen Partei Italiens«, den sogenannten »Römer Thesen« im Punkt 39 sehr klar:
»Eine andere Möglichkeit ist, dass die Regierung und die Linksparteien, die sie bilden, das Proletariat zur Teilnahme am bewaffneten Kampf gegen den Angriff der Rechten aufrufen. Dieser Aufruf ist nichts anderes als eine Falle. Darauf reagiert die kommunistische Partei mit dem Aufruf, dass die Bewaffnung des Proletariats die Errichtung der proletarischen Macht und des proletarischen Staates bedeuten muss, d.h. auch die Entwaffnung des überlieferten, bürokratischen und militärischen Staatsapparates, der ja nie den Befehlen einer auf legalem Weg an die Macht gekommenen Linksregierung gehorchen würde, sollte sie das Volk zum bewaffneten Kampf aufrufen und nur die proletarische Diktatur kann den Sieg über die weissen Banden sichern. Daraus folgt, dass gegenüber einer Linksregierung keine Art von ›Loyalltät‹ verkündet oder praktiziert werden darf, im Gegenteil, man muss die Massen mit dem allergrössten Nachdruck darauf hinweisen, welche Gefahr eine Stärkung der Regierungsmacht mit Hilfe des Proletariats gegen den Angriff der Rechten oder einen Putschversuch bedeuten würde: das hiesse lediglich den Apparat befestigen helfen, der (wenn die Kontrolle der bewaffneten Staatsorganisation in den Händen der demokratischen Regierungsparteien bleibt, d.h. wenn das Proletariat die Waffen streckt ohne sie gegen alle Kräfte der bürgerlichen Klasse einzusetzen, um die bestehenden politischen und staatlichen Formen zu stürzen) dem revolutionären Ansturm, wenn sich dieser als einziger Ausweg erweist, entgegentreten wird.«[⤒]1871 gründete Johannes Erhard eine Giesserei mit Armaturenfabrik in Heidenheim. 1904 übernahm der Neffe des Gründers, Ingenieur Josef Waldenmaier, das Unternehmen. Nach dem Tod von Josef Waldenmaier 1934 ging die Geschäftsleitung auf dessen Söhne Erhard und Heinz über. 2001 übernahm der US-amerikanische Konzern Tyco Waterworks das Unternehmen. Seit 2010 gehört es mit anderen einschlägigen Firmen der Armaturentechnik zur neu gegründeten Firma Talis Management Holding, Heidenheim an der Brenz. Wärend des Krieges wurden französische Kriegsgefangene und osteuropäische Zwangsarbeiter in der Produktion eingesetzt.
Erhard Waldenmaier wurde 1946 von den Amerikanern an Polen ausgeliefert und verstarb dort 1947 im Gefängnis. Er hatte auf Verlangen einen polnischen Zwangsarbeiter den Nazis ausgeliefert, was dessen Tod bedeutete.[⤒]Die Schwäbischen Hüttenwerke Königsbronn (SHW) ist einer der ältesten Industriebetriebe in Deutschland, 1365 gegründet. 1906 wird die Eisenverhüttung aufgrund der Konkurrenz aus dem Ruhrgebiet und Lothringen eingestellt und zu einer Giesserei und Maschinenfabrik umgewandelt. Spezialisiert ist das Werk auf Walzen, insbesondere für die Papierindustrie. Zwischen 2013 und 2018 muss das Werk dreimal Insolvenz anmelden und stand 2019 fast vor dem Aus. Die Londoner Investmentgruppe One Square übernahm den Betrieb, auch die Mitarbeiter investierten in das neue Unternehmen. Sie verzichteten auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und 15 Prozent des Lohnes, sind dafür aber zu einem Drittel am Hüttenwerk beteiligt.
Das Unternehmen beutete Tausende vornehmlich aus der Sowjetunion deportierte Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge aus; die SHW unterhielten für diejenigen, die es an Arbeitseifer fehlen liessen, ein eigenes »Arbeitserziehungslager«. Über die in den Firmen herrschenden mörderischen Bedingungen berichtete ein Zeuge, man habe in den Erzstollen der SHW verstorbene Häftlinge »mit dem Erdaushub… auf die Halde gekippt«. In der offiziellen Selbstdarstellungen zur Geschichte des Unternehmens findet man darüber – trotz Belegschaftsbeteiligung – kein Wort.[⤒]Die Dornier-Werke entstanden um 1914 aus den Zeppelin-Werken und wurden im Verlauf des Ersten Weltkriegs selbständig. 1922 entstand die Dornier Metallbauten GmbH (DMB), bei der auch Elser arbeitete. Um im Versailler Vertrag festgelegte Bauverbote von Fluggeräten zu umgehen, wurde ein Teil der Produktion in die Schweiz verlegt. Mit dem Wiederaufrüstungsprogramm der Nazis wurden auch die Dornier-Werke zur Entwicklung und Produktion von Kampfflugzeugen aller Art herangezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg diversifizierte sich das Unternehmen und fertigte auch Autos und Textilmaschinen. Die Flugsparte ging 1985 an Daimler-Benz über, und in der Folge löste sich das Unternehmen allmählich in der DASA (Deutsche Aerospace AG) und EADS (European Aeronautic Defence and Space, heute Airbus SE) auf.
In der Nazi-Zeit expandierte das Dornier-Werk, die Umsätze stiegen von 100 000 Reichsmark 1934 auf 4,4 Millionen RM 1939. Die Do 11 war der erste reguläre Bomber der Luftwaffe, die Do 17, »fliegender Bleistift« genannt, wurde vor allem zur Bombardierung Englands eingesetzt. 1937 belieferten die Dornier Werke die Legion Condor mit Bombern. Natürlich wurden auch in den Dornier-Werken ausgiebig Zwangsarbeiter wärend des Kriegs eingesetzt, darunter auch Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau. Der Unternehmer Claude Dornier (1884–1969) selbst trat 1940 in die NSDAP ein und wurde zum Wehrwirtschaftsführer ernannt.[⤒]Der Rote Frontkämpferbund (RFB) – auch Rotfrontkämpferbund – war ein paramilitärischer Kampfverband der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in der Weimarer Republik. Er wurde Mitte Juli 1924 in Halle/Saale nach Aufhebung des zeitweiligen KPD-Verbots gegründet, am 3. Mai 1929 wurde der RFB vom preussischen Innenminister verboten. Vorläufer waren der Rote Soldatenbund (RSB), am 15. November 1918 vom Spartakusbund gegründet, und die proletarischen Hundertschaften, welche bei den proletarischen Aufstandsversuchen 1923 eine grosse Rolle spielten und danach verboten wurden. 1925 hatte Thälmann die Leitung des RFB übernommen, der bis zu 100 000 Mitglieder umfasste.
Elsers Schwester Anna berichtete nach dem Krieg, ihr Bruder habe Ende der 1920er-Jahre einmal ein grosses Foto mit Konstanzer KPD-Mitgliedern nach Königsbronn mitgebracht. Wahrscheinlicher handelte es sich aber um ein Bild mit RFB-Mitgliedern.
Ein Kriminalmeister Grethe, der nach dem Attentat für die Gestapo in Konstanz ermittelte, berichtete 1964, Elser sei sowohl im RFB, als auch in der KPD Mitglied gewesen. Auch Franz Josef Huber behauptete nach dem Krieg, Elser wäre KPD-Mitglied gewesen. Das ist aber eher unwahrscheinlich, die Trennschärfe zwischen RFB und KPD dürfte bei den Nazis gering gewesen sein. Auch die Befragung Elsers durch die Gestapo (wie in den Verhörprotokollen nachzulesen ist) hätte sicher einen anderen Verlauf genommen, wenn eine Mitgliedschaft Elsers in der KPD nachweislich gewesen wäre.[⤒]Pius Wieler & Söhne. Mechanische Strumpfwarenfabrik, 1898 von Pius Wieler und dessen Bruder Adolf im schweizerischen Kreuzlingen gegründet. Die Firma stellte nach dem Krieg auch Strickwaren her und erlosch um 1990.
Ein weiterer Bruder, David Wieler, lebte in Konstanz und erlitt kurz vor dem Krieg einen Schlaganfall. Obwohl er danach nur noch mühsam gehen und sprechen konnte, wurde der 69-jährige am 22. 10. 1940 nach Gurs (Internierungslager in Frankreich) deportiert, weil er Jude war. Ein zuvor gestelltes Einreisegesuch in die Schweiz wurde von der Thurgauer Fremdenpolizei erst bewilligt, nachdem die Deportation bereits erfolgt war. Im April 1941 konnte er in die Schweiz ausreisen und starb dort 1942.[⤒]Dies geht hervor aus einem Bericht der Schweizer Behörden. Die Gestapo sandte ein Anfang 1940 verfasstes Requisitorial mit 163 Fragen, die meisten zu Hintergründen des Attentats, an die Schweizer Behörden. Am 1. Februar 1940 wurde das deutsche Requisitorial von der Schweizer Polizeiabteilung im Justiz- und Polizeiministerium an die Schweizer Bundesanwaltschaft in Bern weitergeleitet mit der dringenden Empfehlung, bei der Behandlung der Fragen »zurückhaltend und vorsichtig zu sein.« Die Schweizer sandten einen zwölfseitigen Ermittlungsbericht zurück nach Deutschland, wo auch unverfängliche Einzelheiten zu Elsers Arbeit in der Schweiz zu finden sind. Der Gestapo ging es eher darum, mögliche Hintermänner herauszufinden, etwa Otto Strasser. Den hatten die Schweizer Behörden wohlweislich schon am 13. November 1939, 5 Tage nach dem Attentat, nach Frankreich abgeschoben. Eine Verbindung Elsers zu Strasser hat es natürlich nie gegeben.[⤒]
Der Deutsche Holzarbeiterverband war eine zum 1. Juli 1893 in Kassel gegründete freie Gewerkschaft, die bis zur Zerschlagung der Gewerkschaften 1933 bestand. Der Verband gab mit der »Holzarbeiter-Zeitung« ein wöchentlich erscheinendes Mitgliederorgan heraus und verfügte über einen eigenen Verlag. Die Zeitung erschien erstmals im Jahr 1893 mit 26 Ausgaben und zuletzt im Jahr 1933 mit 51 Ausgaben. Bei der Gründung 1893 hatte der Verband um die 22 000 Mitglieder, Höchststand war 1922 mit 434 000 Mitgliedern, 1929 waren es 315 000.
Die Gewerkschaft war vor allem sozialdemokratisch orientiert, in der letzten Ausgabe der »Holzarbeiter-Zeitung« – Hitler war schon an der Macht – konnte man lesen: »Wenn wir heute in Deutschland so schlimme Zustände haben, so nicht deshalb, weil die Sozialdemokraten eine Zeit lang mitregiert haben, schuld daran ist vielmehr die Tatsache, dass sie im Reichstag niemals die Mehrheit hatten.« (Ausgabe 8 vom 25. Februar 1933). Vergessen sollen die Arbeiter wohl zum Beispiel den »Blutmai« 1929, als der sozialdemokratische Polizeipräsident Berlins Karl Zörgiebel, (1871–1961), eine behördlich nicht genehmigte und von der KPD organisierte Maidemonstration in Berlin polizeilich niederschlagen liess, mit mehr als 30 durch den Polizeieinsatz getöteten Demonstranten und unbeteiligten Anwohnern. Nach dem Krieg war er als bewährter antikommunistischer Demokrat am Neuaufbau der Polizei beteiligt, wurde 1945 SPD-Vorsitzender in Mainz und war von 1947 bis 1949 Landespolizeipräsident von Rheinland-Pfalz.
In einem anderen Artikel derselben Ausgabe wird Hitler aus dem Zentralorgan der Nazis, dem »Völkischen Beobachter« zitiert: »Einst waren wir staatlich zerrissen, nun waren wir als Volk getrennt. Heute müssen wir überwinden die Klassen, Stände und Berufe, um aus ihnen wieder ein einheitliches Volk zu machen.« Daraufhin schreibt dieses jämmerliche Sozenblatt tatsächlich: »Mit der Überwindung der Klassen und Stände sind wir sehr einverstanden, dafür kämpft die sozialistische Arbeiterschaft ja schon seit vielen Jahrzehnten.«!!! Anstatt die Nazi-Demagogie zu entlarven rätselt man nun weiter nur darüber, wie Hitler das mit den »Berufen« gemeint haben könnte. Klassenversöhnler unter sich… »Überwindung« statt Abschaffung der Klassen.[⤒]Am 21. März 1933 wurde nahe dem Lager Heuberg auf dem Areal des Truppenübungsplatzes Stetten am kalten Markt das »Konzentrationslager Heuberg« für sogenannte »Schutzhäftlinge« aus Württemberg und Hohenzollern in den Gebäuden eines früheren »Grosskinderheimes« eröffnet. Es war das früheste Konzentrationslager im heutigen Baden-Württemberg. Im »Konzentrationslager Heuberg« wurden zwischen dem 20. März 1933 und November 1933 zeitweise mehr als 2000 Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteigänger des Zentrums und der DDP festgehalten und einer vielfach unmenschlichen Behandlung unterworfen, bis zu seiner Schliessung etwa 3500 Männer, unter anderem der Amtsrichter und nach der Gründung der BRD zum Generalstaatsanwalt ernannte Fritz Bauer, der die Auschwitzprozesse initiierte und zur Ergreifung von Adolf Eichmann beitrug. Da der Heuberg wieder vollständig militärischen Zwecken dienen sollte, planten die Nationalsozialisten bereits im Sommer 1933 die Schliessung des KZs, die Gefangenen wurden schliesslich in andere KZs verlegt.
Das Lager Heuberg und der Truppenübungsplatz wurden 1934 von der Wehrmacht übernommen. 1940 wurde ein Reichsarbeitsdienstlager mit 400 Baracken errichtet. Am 2. Oktober 1942 erliess das Oberkommando der Wehrmacht die Verfügung über die Aufstellung der »Bewährungs- oder Strafbataillon 999«. Bereits zum 15. Oktober 1942 begannen die Einberufungen auf den Heuberg. Zwischen 1943 und 1945 waren unter anderem die »Indische Legion«, die italienische 29. Waffen-Grenadier-Division der SS (italienische Nr. 1) Division »Italia«, die 2. Division der »Russischen Befreiungsarmee« (Wlassow-Armee) und Milizeinheiten der französischen Vichy-Regierung im Lager Heuberg stationiert. Am 22. April 1945 besetzten französische Truppen Stetten am kalten Markt, das Lager und den Truppenübungsplatz nahezu kampflos. Dann wurden 20 000 ehemalige sowjetische Rotarmisten im Lager bis zu ihrer Rückführung in die Sowjetunion einquartiert. Danach benutzten die französischen Streitkräfte das Arsenal, später die Bundeswehr.[⤒]Sein Jugendfreund Eugen Rau (1903-1995) erzählte: »Georg war kein Judenfeind. Ich kann mich noch an eine Äusserung von ihm entsinnen. Er sagte einmal zu mir. ›Warum plagt man die Juden so, warum macht man sie kaputt?‹« (»Interview mit Eugen Rau«, Georg-Elser-Arbeitskreis Heidenheim, 1989)
100 km nördlich von Königsbronn, im württembergisch-fränkischen Creglingen, kam es am 25. März 1933 zum »wohl ersten systematischen Pogrom mit Todesopfern« seit der Machtübernahme der Nazis. Noch bevor es zu ersten reichsweiten Boykottmassnahmen gegen jüdische Geschäfte gekommen war, terrorisierte eine Bande von SA-Schlägern unter der Führung des 25jährigen Fritz Klein aus dem Heilbronner Raum verschiedene Städte in Württembergisch-Franken und liess ihren Hass vor allem an Mitgliedern von KPD, SPD und Gewerkschaftlern aus. Am 25. März 1933, einem Samstag, kam die SA-Terrorgruppe, begleitet von Schutzpolizisten, nach Creglingen, ergriff einen Grossteil der jüdischen Gemeinde beim Gottesdienst in der dortigen kleinen Synagoge, liess die übrigen Juden mit Hilfe der örtlichen Nazis zusammentreiben und schliesslich 16 Männer aufs Rathaus bringen. Zwölf Polizisten und 15 SA-Leute durchsuchten an diesem Samstag vormittag die Häuser der jüdischen Einwohner nach Waffen. Bei den Hausdurchsuchungen wurde nichts gefunden. Weil die SA nun vermutete, die Bewohner hätten ihre Waffen rechtzeitig versteckt, »befragten« Klein und seine SA-Meute die ins Rathaus verschleppten jüdischen Einwohner. Dabei wurden 16 der Menschen mit Polizeiruten (die die Polizei an die SA ausgegeben hatte) derart misshandelt, dass zwei der Verprügelten an den Folgen starben, Hermann Stern (67) und Arnold Rosenfeld (53). Der anwesende Polizeikommissar Halm sah keinen Anlass einzugreifen. Auch die bei dem Verbrechen auf den Strassen anwesenden Creglinger blieben meist passiv, nur einer erhob Protest und konnte tatsächlich seinen jüdischen Nachbarn aus den Händen seiner Verfolger befreien. Eine Reihe von Creglingern äusserte an diesem Morgen allerdings öffentlich Beifall und wünschte einzelnen dieser bedrängten Menschen gar den Tod. In Creglingen, wo seit dem späten Mittelalter Juden wohnten, seit 1799 gab es dort eine Synagoge, kündigte sich an, was später mit System betrieben wurde: die Aussonderung, Misshandlung, Vertreibung und Ermordung der als »jüdisch« klassifizierten Menschen. (siehe Hartwig Behr und Horst F. Rupp: »Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen«, Verlag Königshausen & Neumann, 2. Auflage, Würzburg 2001)
Im nahegelegenen Künzelsau war bereits am 21. März Max Ledermann (65), Tuchhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde, an einem Herzinfarkt nach Misshandlungen durch die SA unter dem Kommando Kleins verstorben.
Fritz Klein, (1908–1966), stammte aus einer Bauernfamilie. Er versuchte zunächst eine Karriere bei der Reichswehr zu machen, musste sie aber wegen eines Unfalls wieder verlassen. 1929 begann er in Dresden eine Kaufmannslehre bei der Cigarettenfabrik Dressler KG[79] und trat dort 1930 der SA bei. Zurück in der Heimat wurde er Vertreter dieser Firma und 1932 zum SA-Standartenführer. 1934 zum SA-Führer in Ravensburg berufen, nach dem »Röhm-Putsch« wurde er aus der SA ausgeschlossen, blieb aber in der NSDAP und wurde später bis Kriegsende Ortsgruppenleiter in der Gemeinde Beuren bei Isny im Allgäu. 1936 übernahm er als Verwalter den Jägerhof bei Isny, der 1941 von den Dornier-Werken übernommen wurde. Da Klein im gleichen Jahr zur Wehrmacht eingezogen wurde, bewirtschaftete unterdessen seine Frau die Anlage. Nach seiner Verwundung vor Leningrad im Winter 1941 war er Dienstuntauglich und wurde 1943 entlassen. Er kehrte nach Isny zurück. Nach Kriegsende wurde er von den französischen Truppen festgenommen und bis Juli 1946 interniert. Ein Haftbefehl, auch wegen der Creglinger Ereignisse, wurde im Oktober 1947 erlassen, dem er sich durch Flucht entzog, bis er im April 1951 doch noch verhaftet werden konnte. Im Oktober 1952 wird er zu 5 Jahren Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt. Sein Anwalt stellt ein Gnadengesuch, in dem es heisst, Kleins »Judenhass« sei ihm auf der SA-Führerschule »künstlich eingeimpft« worden, deswegen hätte er ihn »nicht, zumindest nicht voll zu verantworten«. Im April 1953 wird dem Gnadenersuchen stattgegeben. Bis zu seinem Tod betrieb er eine Wildfabrik und blieb Gastwirt und Hotelier – im Jägerhof.
Hier nur nebenbei bemerkt: Dort im Jägerhof trifft sich seit 1979 alljährlich die »Isny-Runde«, die Crème de la Crème aus Wirtschaft und Politik Deutschlands. Was dort besprochen wird, bleibt im erlesenen Kreis: »›Aber das ist das Einmalige an der Isny-Runde‹, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger, der seit Jahrzehnten zur Stammbesetzung gehört: ›Hier redet jeder mit jedem, auf allen Ebenen, egal was vorher passiert ist, es geht locker zu, ohne die üblichen Förmlichkeiten, eben wie in einer Familie.‹ Es ist ein bisschen wie beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, nur kleiner, beschaulicher und intimer.« (»Esslinger Zeitung«, 30. 11. 2015)[⤒]Elser wird das Attentat in der Schweiz auf den dortigen »NSDAP-Landesgruppenleiter« nicht entgangen sein, welches in der NS-Presse breit ausgetreten wurde. Am 4. Februar 1936 – zwei Tage vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin – hatte David Frankfurter (1906–1982), aus Jugoslawien stammend, bis Ende 1933 in Frankfurt/Main Medizin studierend, den Leiter der Schweizer Auslands-NSDAP Wilhelm Gustloff erschossen und sich danach gleich den Behörden gestellt. Frankfurter wollte damit Widerstand gegen die von ihm selbst auch miterlebten Misshandlungen der jüdischen Bevölkerung ausdrücken. Im Sommer 1945 erklärt er, er hätte ursprünglich vorgehabt, Hitler zu töten. »Das war mein erster Plan, aber er blieb unerreichbar.« (»Welt«, 29. 4. 2013)
Die Schweizer Justiz (der Prozess fand vom 9. bis zum 14. Dezember 1936 statt) sprach Frankfurter politische Beweggründe ab und verurteilte ihn zu 18 Jahren Zuchthaus und anschliessendem Landesverweis. Nach Kriegsende wurde Frankfurter am 1. Juni 1945 freigelassen und aus der Schweiz ausgewiesen.
Die Nazis inszenierten Gustloffs Tod: Sein Leichnam wurde nach Schwerin überführt und 12. Februar 1937 fand dort die Beerdigung mit 35 000 Teilnehmern statt. Dass es nicht zu einem orchestrierten »Ausbruch des Volkszorns« kam, wie dann die Novemberprogrome nach dem Attentat Herschel Grynszpans am 7. November 1938 in Paris, lag daran, dass die Nazis während der Olympischen Spiele alle antijüdischen Aktionen taktisch ausgesetzt hatten.
Kurz vor dem Attentat hatte Gustloff grossspurig im schweizerischen NS-Blatt »Der Reichsdeutsche in der Schweiz« bekundet: »Ich liebe am meisten auf der Welt meine Frau und meine Mutter. Wenn aber der Führer mir befähle, sie zu töten, so würde ich ihm gehorchen!« (»Die Zeit«, Nr. 3 vom 11. 1. 1985)[⤒]Hellmut G. Haasis, »Den Hitler jag ich in die Luft«, S. 52, Edition Nautilus, 2009.[⤒]
Vielleicht waren es ja gerade solche Typen wie Josef Waizel, reine Sprachrohre der »offiziellen Parteilinie«, die Elser von einem KPD-Beitritt abgeschreckt haben.
»Linientreue« war in den offiziellen KP’s seit 1927 eine schwierige Angelegenheit geworden und bedeutete, fast jeden Schwenk der sowjetischen Staatsführung mitzumachen. Es begann mit der Durchsetzung der antimarxistischen These des »Sozialismus in einem Lande« und dem Ausschluss der linken Kommunisten und der Anhänger Trotzkis. Die damit einhergehende forcierte Industrialisierung und Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion sorgte seit 1929 für eine wachsende Unzufriedenheit mit dem neuen Akkumulationsregime Stalins. Um schliesslich alle Widerstände zu brechen begann 1936/37 die »Grosse Säuberung«, die abertausende Kommunisten, darunter viele alte Bolschewiki, das Leben gekostet hat. Darunter waren auch über 250 KPD-Mitglieder, oft auch Arbeiter, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet waren. Schon beim ersten Moskauer Schauprozess vom 19. bis 24. August 1936 wurde das frühere KPD-Mitglied Valentin Olberg (1907–1936) verurteilt und am 25. August erschossen. Dem in Zürich geborenen lettisch-stämmigen Olberg hatte man 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen.[⤒]Siehe »Heidenheimer Zeitung«, 31. 7. 1971[⤒]
Rheinmetall wurde 1889 von vornherein als Rüstungsbetrieb unter dem Namen »Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Aktiengesellschaft« gegründet, um für das Deutsche Reich Munition zu liefern. Bald darauf werden auch Geschütze und Gewehre hergestellt, die Geschütze auch an die USA und die britische Armee geliefert. Ein spezielles Gebirgsgeschütz wird 1909 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika eingesetzt um die nach dem Völkermord an den Herero und Nama besiegelte Ordnung aufrechtzuerhalten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August ist Rheinmetall einer der grössten Rüstungshersteller im Deutschen Reich und beschäftigt am Ende des Krieges fast 50 000 Menschen. Mit Ende des Krieges kam die Rüstungsproduktion zum Stillstand und Rheinmetall musste zahlreiche Mitarbeiter entlassen. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages machten eine Umstellung auf zivile Produkte notwendig. Ab 1921 erlaubten die Bestimmungen der Alliierten wieder die Produktion von Waffensystemen in geringer Stückzahl. 1925 erwarb der deutsche Staat die Mehrheit der Rheinmetall-Aktien. Im April 1933 kaufte Rheinmetall den vor der Liquidation stehenden Lokomotivhersteller Borsig und kam damit in den Besitz eines grossen Werkes in Berlin-Tegel. Die Fusion 1936 führte zur Umbenennung in Rheinmetall-Borsig AG. Im Rahmen der Aufrüstung der Wehrmacht entwickelte und produzierte die Rheinmetall-Borsig AG ab Mitte der 1930er Jahre im Auftrag des Reichskriegsministeriums Waffen und Munition, darunter Maschinengewehre und -kanonen, Panzerabwehrgeschütze, Minenwerfer, Feldkanonen, Flugabwehrkanonen, Eisenbahngeschütze und schliesslich auch Kettenfahrzeuge und Panzer.
Während des Zweiten Weltkriegs waren zahlreiche Zwangsarbeiter in den verschiedensten Rheinmetall-Betrieben zur Arbeit gezwungen. Eine zusammenfassende Darstellung des Gesamtausmasses gibt es bis heute nicht, für einzelne Werke schon.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der DDR wie in der BRD in den Werken zunächst zivile Güter hergestellt. In Westdeutschland wurde die Rüstungsproduktion 1956 im Rahmen der Aufstellung der Bundeswehr wieder aufgenommen, teilprivatisiert und ist inzwischen wieder einer der wichtigsten Rüstungsproduzenten. Um Exportverbote zu umgehen besitzt das Unternehmen Tochterfirmen im Ausland, die in Lizenz produzieren. Rheinmetall ist der grösste deutsche Rüstungskonzern, im Geschäftsbericht 2020 rühmt sich Rheinmetall mit 5,9 Milliarden Euro Umsatz, Export in 137 Länder und 129 Standorten auf insgesamt fünf Kontinenten.[⤒]Erich Ludendorff (1865–1937) war einer der führenden deutschen Generäle im Ersten Weltkrieg. In der Weimarer Republik betätigte er sich in der völkischen Bewegung, beteiligte sich 1920 am Kapp-Putsch und 1923 am Hitler-Putsch. Er gilt als einer der Väter der Dolchstosslegende, die besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg »im Felde unbesiegt« geblieben und hätte erst durch oppositionelle »vaterlandslose« Zivilisten (vor allem Juden, Kommunisten, die Arbeiterbewegung insgesamt) aus der Heimat einen »Dolchstoss von hinten« erhalten. Ludendorff entwickelte schon während dem Ersten Weltkrieg Konzepte von Zwangsarbeit, Deportation, Umsiedlung, Ostbesiedelung etc., die dann von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs umgesetzt wurden.
Trotz seiner Beteiligung am Hitler-Putsch 1923 wurde er freigesprochen aufgrund seiner »Verdienste um das Vaterland«. Danach überwarf sich Ludendorff teilweise mit Hitler und wurde Anhänger und Publizist kruder und antisemitischer Verschwörungstheorien. Zwei Jahre vor seinem Tod veröffentlichte er 1935 ein Pamphlet mit dem Titel »Der totale Krieg«. Gegen seinen ausdrücklichen Willen wurde er mit einem Staatsakt 1937 in München beigesetzt. Ludendorffs Nachkommen wurden 1941 mit einer Dotation an Grundbesitz im Wert von 1 612 000 Reichsmark bedacht.
Das bayrische Landesamt für Denkmalpflege hat die Ludendorff-Villa in Tutzing 2011 unter Schutz gestellt – ein Anwesen, in dem eine rassistische »Glaubensgemeinschaft«, der »Bund für Gotterkenntnis« sitzt, die noch heute die verqueren Ansichten Ludendorffs und seiner Frau verkündet.[⤒]Der Novemberputsch war ein am 8. und 9. November 1923 unternommener Putschversuch der NSDAP unter Hitler und Ludendorff. Mit erwarteter Hilfe aus der rechtskonservativen bayerischen Landesregierung und Verwaltung sollte nach dem Vorbild Mussolinis die Reichsregierung in Berlin gestürzt werden. Das Ziel des Umsturzversuchs war die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und die Errichtung einer »nationalen Diktatur«. Hitler hatte den Putsch bereits für den 29. September 1923 geplant, musste das Vorhaben aber dann aus taktischen Gründen verschieben. Am 30. Oktober 1923 rief er vergeblich im Münchner Zirkus Krone zum Aufstand auf. Bei einer im Bürgerbräukeller in München am 8. November 1923 stattfindenden Versammlung führender Nationalisten betrat 30 Minuten nach Beginn der Veranstaltung Hitler in Begleitung des SA-Kommandeurs Hermann Göring sowie weiterer Nationalsozialisten den Saal, stieg auf einen Stuhl, feuerte mit einer Pistole in die Decke um Aufmerksamkeit zu erlangen, warnte, das Versammlungslokal sei von der SA umstellt, und verkündete, die »nationale Revolution« sei ausgebrochen.
Nach dem vermeintlichen Vorbild des »Marschs auf Rom« der italienischen Faschisten um Benito Mussolini (der in Wirklichkeit im Schlafwagen nach Rom gefahren war, und seine Schwarzhemden per Zug anrollen liess, nachdem ihm die Demokraten bereits die Regierung angetragen hatten) sollten die in Bayern stehenden Reichswehrverbände zusammen mit antidemokratischen Wehrverbänden nach Berlin marschieren und dort die Macht im Deutschen Reich übernehmen. Die bayrische Landesregierung erfuhr davon, erliess einen an die Bevölkerung gerichteten Aufruf gegen den »Preussen Ludendorff« und erteilte für den Fall einer gewaltsamen Ausweitung des Putsches allen regierungstreuen Einheiten der Polizei den Schiessbefehl. Reichspräsident Ebert übertrug noch in der Nacht vom 8. zum 9. November 1923 die vollziehende Gewalt im Reich auf den Chef der Heeresleitung General von Seeckt und initiierte den militärischen Ausnahmezustand. Am 9. November um 12 Uhr marschierten Hitlers Anhänger unter Ludendorffs und Hitlers Führung vom Bürgerbräukeller ab. Ludendorff, ebenso wie Hitler in Zivilkleidung, hatte das Kommando übernommen. Nach etlichen Schiessereien mit der Polizei und 20 Toten konnte der Spuk an der Feldherrnhalle beendet werden. Hitler stand ab Frühjahr 1924 unter Hochverratsanklage vor dem Volksgericht in München und wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt doch schon nach neun Monaten wurde er Ende 1924 »wegen guter Führung« vorzeitig unter Auflagen aus der Haft entlassen. Dort verfasste er Teile des ersten Bandes seiner programmatischen Hetzschrift »Mein Kampf«.[⤒]Während Elser den Bürgerbräukeller auskundschaftete schlich ein Schweizer katholischer Seminarist durch die »Hauptstadt der Bewegung« und unternahm einen dilettantischen Versuch Hitler am 9. November 1938 in München zu erschiessen. Maurice Bavaud (1916–1941) besuchte ein katholisches Gymnasium im Internat eines katholischen Seminars in der Bretagne, um eine Ausbildung zum Missionar zu machen. Nach drei Jahren brach der nun 22-jährige aber überraschend die Ausbildung ab und kehrte im Jahr 1938 zunächst in die Schweiz zurück. Am 9. Oktober reiste Bavaud nach Deutschland, wo er sich auf Grund von Zeitungsmeldungen auf den Spuren Hitlers abwechselnd in München und Berchtesgaden aufhielt, um ihn – bewaffnet mit einer ungeeigneten Kurzwaffe, einer Schmeisserpistole vom Kaliber 6,35 mm – zu töten. Nach vielen vergeblichen Anläufen nahm Bavaud sich vor, Hitler am 9. November 1938 beim Gedenkmarsch zum Hitler-Putsch zur Münchner Feldherrnhalle zu erschiessen, kam aber mit seiner Kurzwaffe nicht nahe genug heran. Auch in den nächsten Tagen konnte Bavaud nicht nahe genug an Hitler herankommen, so dass er aufgab und mit dem Zug nach Paris flüchten wollte. Da sein Geld nicht mehr ausreichte, fuhr er ohne Fahrschein und geriet dabei in eine Kontrolle. Die Pistole und belastende Dokumente trug er noch bei sich. Am 6. Dezember 1938 wurde Bavaud wegen Schwarzfahrens und unbefugten Waffentragens zu zwei Monaten und einer Woche Gefängnis verurteilt. Die Gestapo hakte nach und erwirkte nach einwöchigem Verhör ein Geständnis. Über Bavauds Inhaftierung gelangte nichts an die Presse. Ein Geheimprozess fand am 18. Dezember 1939 vor dem Volksgerichtshof statt. Bavaud gab dort ideologische Motive an, er habe Hitler ermorden wollen, weil der eine Gefahr für die Menschheit, die Unabhängigkeit der Schweiz und den Katholizismus in Deutschland sei.
Der Schweizer Gesandte in Berlin lehnte es ab, Bavaud die übliche konsularische Hilfe zu gewähren. Der Schweizer Legationsrat Kappeler hatte schon am 9. Januar 1940 gegenüber seinen deutschen Kollegen vom Auswärtigen Amt erklärt, dass die Schweiz gegen eine Hinrichtung Bavauds nichts unternehmen werde, und sie keinen Antrag auf Begnadigung von Bavaud stellen werde. Bavaud wurde am 14. Mai 1941 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Bavaud hatte in seiner Haft zuerst behauptet, dass er von seinem Mitseminarist und Freund Marcel Gerbohay angestiftet worden sei. Auf jeden Fall wusste dieser von dem geplanten Anschlag auf Hitler. Das veranlasste die Gestapo, nach der Besetzung Frankreichs, nach Gerbohay zu fahnden. Gerbohay konnte sich zuerst verstecken und wurde erst am 1. Januar 1942, also nach Bavauds Hinrichtung, verhaftet. Auch ihm wurde der Prozess gemacht und er wurde am 1. Januar 1943 zum Tode verurteilt und am 9. April 1943 in Berlin-Plötzensee geköpft.[⤒]Nach dem Attentat Elsers wurde der Besitzer des Steinbruchs Georg Vollmer (1894–?), obwohl NSDAP-Mitglied und ehemaliger Ortsgruppenleiter in Königsbronn, zusammen mit seinem 16-jährigen Sohn Georg, seinem Buchhalter und seinem Sprengmeister Kolb am 15. 11. 1939 verhaftet. Bis zum 19. 4. 1941 war er im Schutzhaftlager Welzheim inhaftiert. Man warf ihm vor, Elser den Zugang zum Sprengstoff im Steinbruch zu leicht gemacht zu haben. Nach dem Krieg erfand Vollmer die verschiedensten Geschichten, die schliesslich 1956 darin gipfelten, dass er vom Anschlag Elsers Kenntnis gehabt und ihm den Sprengstoff ausgehändigt hätte – da klagte er um Wiedergutmachung für seine KZ-Haft und Steuerbegünstigung. Seine Klage wurde abgewiesen.[⤒]
Elsa Härlen, (1911–1994), war Elsers letzte Freundin, eine unglücklich verheiratete Frau, die er 1933 kennengelernt hatte. Ihr Mann war ein jähzorniger Alkoholiker und arbeitete nur 3 Tage in der Woche. 1936 liess sich Elsa Härlen scheiden. Ihr zweites Kind kam 1935 zur Welt und es wird gemunkelt, Elser wäre der Vater. 1935 mietete sich Elser im Haushalt der Härlens ein, bis er von Elsas Ehemann Hermann wegen der Beziehung zu seiner Frau vor die Tür gesetzt wurde. Elser sah Elsa Härlen das letzte Mal in Stuttgart 1939, wo er auch ein Foto von ihr machte, dass er im KZ Sachsenhausen auf seinen Tisch stellte. Nach dem Anschlag Elsers wurde Elsa Härlen – wie auch viele andere Angehörige Elsers – von der Gestapo verhaftet, nach Berlin verfrachtet und dort ausgiebigst von diversen Nazi-Grössen verhört, mehrmals Elser gegenübergestellt. Ein namentlich ungenannter Journalist behauptete, Elsa Härlen hätte ihm erzählt, sie sei auch von Hitler persönlich vernommen worden, sie bestritt das später. Über politische Dinge hat Elser mit ihr – wohl aus gutem Grunde – nicht gesprochen. Sie bezweifelte auch nach dem Krieg die Alleinverantwortung Elsers für den Anschlag und vermutete die Nazis als Anstifter.[⤒]
Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, war zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion am 23. August 1939 geschlossen worden. Stalin, der einen Angriff japanischer Truppen im Osten befürchtete, wollte einen Zweifrontenkrieg vermeiden und sah dabei auch die Gelegenheit, eventuelle deutsche Aufmarschgebiete gegen die Sowjetunion weiter nach Westen zu verschieben. Da die späteren Alliierten der Sowjetunion sich zu diesem Zeitpunkt mit einem Bündnisabkommen zurückhielten und ihre Haltung gegenüber Deutschland zwiespältig war, erschien das Abkommen mit Hitler als greifbare Lösung. Die Laufzeit des Nichtangriffspakts betrug zehn Jahre. In einem geheimen Zusatzprotokoll, dessen Existenz von der UdSSR noch jahrzehntelang bestritten wurde, wurden die Interessensphären abgesteckt. Für NS-Deutschland war damit der Krieg gegen Polen möglich, der auch kurz danach begonnen wurde. Noch vor der Unterzeichnung des Nichtangriffspakts erfolgte am 19. August 1939 der Abschluss eines Handelsabkommens. Am 28. September 1939 (dem Tag, an dem die polnische Hauptstadt Warschau gegenüber den Deutschen kapitulierte) wurde ein Grenz- und Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion geschlossen. Weitere Handelverträge folgten am 11. Februar 1940 und am 10. Januar 1941. Darin verpflichtete sich die Sowjetunion innerhalb eines Jahres zu Lieferungen von Futtergetreide, Erdöl, Baumwolle, Chromerz und Platin im Wert von 500 Millionen Reichsmark zu liefern, das entsprach 52 Prozent der gesamten sowjetischen Exporte. Das Deutsche Reich lieferte im Gegenzug Industriegüter und Kriegsgerät.
Am 5. September 1940 wurde eine deutsch-sowjetische Vereinbarung über die Umsiedlung der Deutschen aus der Nordbukowina und Bessarabien vereinbart. Der überwiegende Teil der 140 000 Bessarabien- und Bukowinadeutschen wurde unter dem Motto »Heim ins Reich« zur Germanisierung polnischer Gebiete angesiedelt. Dies lief ungefähr so ab: der umgesiedelte »Volksdeutsche« wurde in eine zu germanisierende Ortschaft geführt, durfte sich dort ein Haus aussuchen, dann wurden die polnischen Bewohner umgehend auf die Strasse gesetzt und der »Germane« übernahm Haus und Mobiliar.[80]
Auf Ersuchen deutscher Stellen wurde auch die Auslieferung von verhafteten Reichsdeutschen seitens der Sowjetunion wieder aufgenommen, unter den nach Deutschland Ausgewiesenen fanden sich auch zahlreiche zu Lagerhaft verurteilte Kommunisten. Herbert Wehner behauptete nach dem Krieg: »Zu jener Zeit wurden insgeheim viele als Spione, Trotzkisten oder Gestapoagenten verschrieene Personen abgeschoben.«. Allerdings hatte Wehner, der 1937 bis 1941 als Kandidat des Politbüros der KPD im Moskauer »Hotel Lux« lebte, durch die Übergabe von Listen mit Namen Verdächtigter an den NKWD tatkräftig mitgewirkt. (siehe Reinhard Müller, »Herbert Wehner – Moskau 1937«, Hamburg 2004).
Herbert Wehner, (1906–1990), vormals KPD-Mitglied, trat bereits 1946 in die SPD ein und wurde zu einem ihrer führenden Mitglieder mit klarem Bekenntnis zur bürgerlichen Demokratie, Westintegration, Marktwirtschaft, Wiederaufrüstung und NATO-Mitgliedschaft. Die im Westen geforderte Qualifikation als Antikommunist hatte er sich ja schon als Diener Stalins erworben. Auf Wehners Idee geht auch die Umwidmung des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 zum westdeutschen »Nationalfeiertag«, dem »Tag der deutschen Einheit« zurück, nach dem Anschluss der DDR an die BRD wurde dieser Tag zu einem »Gedenktag« herabgestuft.[⤒]So Franz Lechner, einer der letzten SS-Bewacher Elsers in Dachau. Ihm gegenüber soll er auch geäussert haben, dass er kein »eingefleischter Kommunist« sei, sprich, kein »linientreuer« Parteimensch. (Zitiert nach Günter Peis, »Zieh’ dich aus, Georg Elser!«, »Bild am Sonntag«, 27. 12. 1959)[⤒]
Im März 1889 gründete der aus dem vorarlbergischen Feldkirch stammende Wilhelm Bleyle (1850–1915) in Stuttgart eine Garnhandlung mit »Fabrikation und Verkauf von gestrickten Waren«. Zu den ersten Produkten, die die Firma Bleyle herstellte, gehörten gestrickte Matrosenanzüge für Knaben, die zu dieser Zeit sehr populär waren. 1905 betrug der Umsatz des Unternehmens schon eine Million Goldmark, im Jahr 1913 waren es fünf Millionen. 1910 hatte Bleyle zirka 1000 Mitarbeiter, 1918 waren es gut 2000. Nach dem Ersten Weltkrieg produzierte Bleyle ab 1930 neben dem Matrosenanzug vermehrt Damen- und Mädchenkleidung. 1936 beschäftigt das Unternehmen an verschiedenen Standorten rund 6000 Menschen. Während des Kriegs produziert Bleyle als Subunternehmer Luftfilter für das Unternehmen Mahle, welche unter anderem in den deutschen Panzern des Typs Panther und Tiger Verwendung fanden. Aus diesem Zweig entstand die heutige Firma Mann+Hummel, heute einer der grossen Automobilzulieferer mit weltweit 20 000 Beschäftigten. 1938 wurden die Gesellschafter der Fa. Bleyle Max Bleyle und Arthur Weber von einem Stuttgarter Sondergericht wegen eines Devisenvergehens verurteilt, ein beliebtes Mittel der Nazis, um politische Gegner mundtot zu machen. Das Urteil: fünf Jahre Zuchthaus und je eine Million Reichsmark Geldstrafe. Ob die beiden NSDAP-Mitglieder Mann und Hummel, »die bei Bleyle in leitenden Positionen tätig waren, den Prozess angestossen haben, lässt sich nicht klären. Aber sie profitierten davon und wurden selbst Inhaber. Ein Muster, das sich 1939 wiederholen sollte, als sich Mann und Hummel Arisierungen in Wien zu Nutze machten und dort jüdische Firmen übernahmen.« (»Stuttgarter Nachrichten«, 10. 3. 2017) Bei Kriegsende waren bei Bleyle in Stuttgart noch 90 Zwangsarbeiter im Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierte Bleyle Damenbekleidung und Unterwäsche. Ab Anfang der 1980er Jahre geriet Bleyle in eine Krise. Im Jahr 1988 meldete die Wilhelm Bleyle KG Konkurs an. Die Marke »Bleyle« gehört heute der EFC Beteiligungs GmbH mit Sitz in Sindelfingen, deren Lizenznehmer unter diesem Namen Damenunterwäsche und Bettwäsche produzieren.[⤒]
Maria Henle, verheiratete Mutter zweier Kinder, wäre kein Opfer der Bombe geworden wenn Hitler noch geredet hätte, denn dann hätte ein »Ausschankverbot« gegolten. Noch während der NS-Herrschaft, 1941, wurde in München eine unscheinbare Strasse nach ihr benannt – und den anderen Opfern. Inzwischen wurden die Strassen umbenannt.
Die moralisierende bürgerliche Kritik wirft Elser vor, er hätte ja »den Tod Unschuldiger in Kauf genommen«. Abgesehen vom Personal war der Saal des Bürgerbräukellers angefüllt mit ausgesuchten »alten Kämpfern« der Faschistenpartei, die zum Zeitpunkt des Anschlags gerade ihre tausendfachen Mordaktionen im besetzten Polen durchführen liess und im Reich selbst bereits zig klassenkämpferische Arbeiter, Kommunisten und viele andere Menschen hingerichtet oder anderweitig ermordet hatte. Die Nazis führten bereits Krieg im Innern, bevor sie ihn über die Grenzen trugen.[⤒]»GröFaZ« steht ironisch für Hitler, den »Grössten Feldherrn aller Zeiten«, nach einem Ausspruch des willfährigen Generals Wilhelm Keitel, wegen seiner Unterwürfigkeit auch passend »Lakeitel« genannt, nach dem Frankreichfeldzug. Gleichzeitig wird der Abkürzungskult der Nazis verulkt – der Ausdruck »GröFaZ« verbreitete sich vor allem nach der Niederlage der 6. deutschen Armee in Stalingrad.[⤒]
Franz Josef Huber (1902–1975) war ein deutscher SS-Führer und Polizist, zuletzt im Rang eines SS-Brigadeführers und Generalmajors der Polizei. Er war während der Zeit des Nationalsozialismus Leiter der Geheimen Staatspolizei sowie Inspekteur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienst des Reichsführers SS in Wien und dem nördlichen Österreich.
Huber wurde von Heydrich extra aus Wien nach München beordert, um dort die Leitung der Untersuchung des Bürgerbräukellerattentats zu übernehmen. Zurück in Wien war Huber unter anderem Leiter der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« und trug damit die Verantwortung für die Massendeportationen von Juden. Am Kriegsende wurde Huber gefangen genommen, doch bestraft wurde er nie. In einem Spruchkammerverfahren wurde er 1949 in Nürnberg als »Minderbelasteter« eingestuft und erhielt ein Jahr auf Bewährung und eine Geldstrafe von 500 DM. Nächstinstanzlich wurde Huber zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, doch konnte er abtauchen. 1955 wurde auch das Berufungsurteil aufgehoben und Huber lebte unbehelligt in München als engagierter Verteidiger der westdeutschen Nachkriegsdemokratie: von Kriegsende bis 1964 arbeitete er für die US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA). Von 1955 bis zum Ruhestand 1967 arbeitete er auch für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) bzw. dessen Vorläuferorganisation Organisation Gehlen.[⤒]Arthur Nebe (1894–1945) war seit 1937 als Reichskriminaldirektor der Chef des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA), des Amtes V des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), zunächst im Rang eines SS-Sturmbannführers, seit 1941 als SS-Gruppenführer. Schon zur Weimarer Zeit trat Nebe für die NSDAP auf.
Im NS-Staat machte er als Kriminalbeamter Karriere. Er war führend an den Massenverbrechen der SS-Einsatzgruppe B an Juden, Roma, Kommunisten und anderen sowjetischen Bevölkerungsgruppen beteiligt, erprobte die Massentötung durch Giftgas, beschaffte das Giftgas für die Tötung von Behinderten, z. B. bei der »Aktion T4«, verantwortete die Deportation und Vernichtung von Roma und Menschenversuche an KZ-Häftlingen. Undurchsichtig ist sein Verhältnis zum Verschwörerkreis des 20. Juli 1944, zu dem er wohl Kontakte hatte. Arthur Nebe wurde vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt und am 4. März 1945 hingerichtet.[⤒]Lothar Gruchmann (1929–2015 in München), deutscher Historiker und Politikwissenschaftler. Er arbeitete von 1960 bis 1992 als Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München. Von 1962 bis 1968 nahm er Lehraufträge an der Ludwig-Maximilians-Universität München wahr. 1964 hatte er die Verhörprotokolle mehr oder weniger zufällig im Archiv des Bundesjustizministeriums in Bonn gefunden. Das war das einzig verbliebene Exemplar, das vom Justizministerium nicht vernichtet worden war. Er schreibt: »Diese Akten befanden sich in ziemlich ungeordnetem Zustand. Ihr äusserer Zustand war so, dass man alle Viertelstunde das Bedürfnis hatte, sich die Hände zu waschen. In die Akten schien seit dem Zusammenbruch niemand hineingesehen zu haben. Ich fand verschlossene Umschläge mit der Aufschrift: ›Nur auf Weisung des Abteilungsleiters zu öffnen‹. Diese Weisung habe ich mir dann allerdings selbst erteilt.«
Gruchmann überliess die Auswertung erstmal Anton Hoch, der sich schon seit 1962 mit dem Bürgerbräukelleranschlag befasste.[⤒]Anton Hoch (1914–1981) war ein deutscher Archivar und Historiker. Von 1949 bis 1978 leitete er das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München. Hoch belegte 1969 in seinem Aufsatz »Das Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller 1939« den Nachweis der Alleintäterschaft Elsers. Dies war ihm insbesondere durch das 1964 von Lothar Gruchmann entdeckten Gestapo-Protokolls möglich. Zuvor hatten Gruchmann als auch Hoch die Alleintäterschaft Elsers bestritten.[⤒]
Paul Fiebig, ein in Konstanz lebender Schreiner, der am 31. Mai 1927 in Konstanz verstarb, war wohl ein kommunistischer Arbeitskollege Georg Elsers. Es war also für Elser völlig unbedenklich, den Verstrickungen suchenden Beamten diesen Namen preiszugeben, ob es also tatsächlich Fiebig war, der Elser zum RFB brachte, ist fragwürdig aber nicht ausgeschlossen.[⤒]
Oswald Bumke (1877–1950), Psychiater und Neurologe, der nach Berlin geholt wird, um Elser psychologisch zu begutachten, schreibt: Kurz nach dem Anschlag »wurde ich nach Berlin geholt, wo ich den ›Attentäter‹ begutachten musste. Es fehlte ihm nichts. Er wäre Kommunist und Pazifist, erklärte er, und deshalb hätte er Hitler und seine Leute beseitigen wollen, weil sich nur dadurch der Krieg hätte vermeiden oder schnell beendigen lassen.«. (Oswald Bumke, »Erinnerungen und Betrachtungen – Der Weg eines deutschen Psychiaters«, München 1952, S. 181)
Den Begriff »Pazifist« wird Elser im Sinne der Kriegsgegnerschaft verstanden haben, nicht im Sinne von grundsätzlicher und illusorischer »Gewaltfreiheit«. Diese Aussage belegt aber das klare Selbstverständnis Elsers als Kommunist, es ist nicht anzunehmen, dass sich Bumke dies nur ausgedacht hat.
Oswald Bumke hatte sich 1923 für sieben Wochen beim erkrankten Lenin in Moskau aufgehalten. Bumke machte in Moskau auch die Bekanntschaft Leo Trotzkis und Karl Radeks, die er als »Menschen mit Format« bezeichnete. Nikolai Bucharin galt ihm damals als der Gegenspieler Trotzkis und Lenins. In der NS-Zeit war Bumke förderndes Mitglied der SS und gehörte dem NS-Lehrerbund an. Im August 1942 ernannte ihn Hitler zum ausserordentlichen Mitglied des wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens. 1946 wurde Bumke vom Amt suspendiert. 1947 folgte seine Wiedereinsetzung und Emeritierung.[⤒]Tatsächlich stellte die Tat Elsers für die DDR-Geschichtsschreibung ein Problem dar, einerseits, weil Elser eben ausserhalb der stalinistischen KPD-Strukturen stand, und damit deren im Nachhinein gestrickten Legende der »Führerschaft im antifaschistischen Kampf« in Frage stellte, andererseits, weil Elsers Aktion in die Epoche fiel, als Hitler und Stalin – wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen – paktierten und die offizielle Linie der KPD wie der KPdSU darin bestand, diesen Nichtangriffspakt unter anderem als Beitrag zur »Sicherung des Friedens« seitens der Sowjetunion zu verkaufen. Genossen, die offen den Pakt kritisierten, wurden gemassregelt, ausgeschlossen, denunziert (als »Gesatapo-Agenten« z. B.), ermordet, wie etwa Willi Münzenberg (1989–1940), der Ende September 1939 in seinem Artikel »Der russische Dolchstoss« geschrieben hatte:
»Die schwere, untilgbare Schuld der Stalin-Regierung ist es, dem Hitler-System durch den Hitler-Stalin-Pakt erst den Weg zu einem verbrecherischen Krieg gegen Polen frei gemacht und damit den neuen Weltkrieg ausgelöst zu haben.
Es war Romain Rolland, der den oft zitierten Satz prägte: ›Der Frieden ist tödlich für Hitler.‹ Niemals war das Wort so berechtigt, wie in den Augusttagen 1939. Hätte Russland in gleicher Weise wie die Westmächte Polen und Danzig garantiert, dann wäre es nie zu dem Krieg gekommen und das Hitler-System wäre in die schwersten seiner Krisen gestürzt worden. […] ›Der Verräter, Stalin, bist Du.‹« (»Die Zukunft«, Nr. 3, 22. 9. 1939, Paris)
De facto war für Stalin eine solche Garantieerklärung, wie sie Münzenberg vorschlug, gar nicht möglich, stand doch die nicht ganz unbegründete Befürchtung im Raum, dass dann die Sowjetunion – als dann einzige Garantiemacht, die an Polen angrenzte – sofort in einen Krieg mit Deutschland verwickelt gewesen wäre, während Frankreich und Grossbritannien sich als Zuschauer zurückgelehnt hätten… Der am 30. November 1939 von der Sowjetunion begonnene Krieg gegen Finnland offenbarte auch, dass die Rote Armee, geschwächt von den zuvor durchgeführten stalinistischen »Säuberungen«, grosse Defizite hatte und für einen Krieg mit Deutschland nicht ausreichend gerüstet war. Dies führte dann zu einer folgenreichen Unterschätzung der militärischen Stärke der Sowjetunion seitens Hitlers und seiner Generäle – und ihrer verhängnisvollen Vorstellung, man könnte die Sowjetunion innert eines halben Jahres bezwingen.
Zweifellos wäre »der Frieden« für das Nazi-Regime gefährlich gewesen, war es doch von vornherein und mit brachialer kapitalistischer Logik – alles auf Pump und mit der Notenpresse finanziert – auf den Raub- und Vernichtungskrieg ausgerichtet: Zerschlagung der Reste der Arbeiterbewegung, Vereinheitlichung und Disziplinierung der Bourgeoisie, Ausrichtung der Nation auf Krieg und Eroberung fremder Territorien, Industrien, Vermögen und Bodenschätze. Eine längere Verzögerung des offenen Krieges hätte das Dritte Reich wohl unaufhaltsam in den Staatsbankrott und damit zum Zusammenbruch getrieben. Das Deutsche Reich war von den Nazis folglich durch und durch auf Krieg programmiert worden. Ob Elsers Anschlag im Erfolgsfall diesen Kurs brechen, die Fortsetzung des Krieges hätte verzögern, wenn nicht gar verhindern können, bleibt der – stets so verlockenden wie unfruchtbaren – Spekulation anheimgestellt.[⤒]Theodor Bongartz (1902–1945), SS-Oberscharführer, Leiter des Krematoriums im Konzentrationslager Dachau. Bongartz arbeitete als Gipser von 1922 bis 1930 in Krefeld. Nach Ablegung der Meisterprüfung trat er 1928 in die SA und 1932 in die SS sowie NSDAP ein. Ab 1940 gehörte er dem Kommandanturstab des KZ Dachau an und wurde zunächst beim Wachbataillon eingesetzt. Danach leitete er das Krematoriumskommando im KZ Dachau. Bongartz’ Frau nahm sich 1941 das Leben. Nach dem Abmarsch der Häftlinge in fünf Todesmärschen und der Sprengung des Krematoriums ergriff Bongartz, als Wehrmachtssoldat getarnt, am 28. April 1945 mit anderen SS-Männern des KZ Dachau die Flucht vor der anrückenden US-Armee. Er wurde jedoch von US-Soldaten in Württemberg entdeckt und ins Kriegsgefangenenlager von Heilbronn-Böckingen gebracht. Dort starb Bongartz am 15. Mai 1945 an einer Krankheit.[⤒]
Otto Strasser (1897–1977), nach kurzer Mitgliedschaft in der SPD um 1920 gehörte er von 1925 bis 1930 der NSDAP und von 1956 bis 1962 der Deutsch-Sozialen Union an und führte von 1931 bis 1938 die politische Kampforganisation »Schwarze Front«. Während des Kapp-Putsches führte er 1920 eine antiputschistische paramilitärische Gruppe. Strasser trat am 20. November 1925 in die NSDAP ein und baute zusammen mit seinem Bruder Gregor und Joseph Goebbels einen »linken« Parteiflügel auf. Dieser Flügel der NSDAP unterstützte teilweise auch Streiks der sozialdemokratischen Gewerkschaften und trat für eine Anlehnung Deutschlands an die Sowjetunion ein. Trotzdem war der Strasser-Flügel antimarxistisch geprägt. Mitte 1930 trat er aus der Partei aus, der er »Verbonzung« vorwarf.
In dem von ihm 1926 gegründeten »Kampfverlag« versuchte er weiterhin seine verschrobenen Ansichten eines natürlich rassistischen »deutschen Sozialismus« zu propagieren. Am 15. Februar 1933 wurde die »Schwarze Front« von den NS-Behörden verboten, Strasser ging ins Exil nach Österreich, die Tschechoslowakei (wo er einen Auslandssender betrieb) und 1938 in die Schweiz. Nach dem Anschlag Elsers, als dessen Urheber er verdächtigt wurde, tauchte Strasser mit Unterstützung des inoffiziellen Schweizer Nachrichtendienstes »Büro Ha« (Hans Hausamann) unter und gelangte über Frankreich und Spanien nach Portugal, wo er mit Hilfe seines Bruders Paul, der dem Benediktinerorden angehörte, in einem Kloster Unterschlupf fand. 1941 wanderte er mit Hilfe britischer Agenten über die Bermudas nach Kanada aus und konnte erst im März 1955 nach Deutschland zurückkehren, 1934 war er ausgebürgert worden. Die anfänglichen Versuche wieder politisch tätig zu werden scheiterten mehr oder weniger. Noch heute gibt es neofaschistische Gruppierungen die sich auf Strassers vermeintliche Sozialkritik und pseudosozialistische Rhetorik beziehen, um so ihre faktischen Handlangerdienste für die Erhaltung und Verteidigung des Kapitalismus mit einem sozialrevolutionären Anstrich zu kaschieren.
Mit ungemeiner Perfidie hatte Strasser den nach Prag emigrierten Stuttgarter Architekturstudenten Helmut Hirsch (1916–1937) zu einem Anschlag in Deutschland überredet, um »die Deutschen und auch das Ausland aufzurütteln«. Man gab ihm gegenüber vor, dass von seinem Verhalten die zukünftige Behandlung der Juden in einem von der Schwarzen Front revolutionierten Deutschland abhinge. Es war vorgesehen, am 24. Dezember 1936 einen Sprengstoffanschlag auf eine Säule des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg zu verüben. Der Anschlag sollte symbolisch sein, Hirsch wollte keine Menschenleben gefährden. Ein Tag nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde Hirsch bereits am 21. Dezember von der Stuttgarter Gestapo verhaftet, von Spitzeln in Strassers Organisation verraten. Am 8. März 1937 wurde Helle Hirsch wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter erschwerenden Umständen« zum Tode verurteilt und am 4. Juni 1937 in der Strafanstalt Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet. Den Anschlag selbst hätte Hirsch gar nicht ausführen können, da sich der Überbringer der Bombe nach dem Grenzübertritt aus der Tschechoslowakei der Polizei gestellt hatte.[⤒]Martin Niemöller (1892–1984), evangelischer Theologe und führender Vertreter der »Bekennenden Kirche« sowie Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und Präsident des Ökumenischen Rats der Kirchen. Während Niemöller anfänglich dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstand, entwickelte er sich während des Kirchenkampfes und seit 1938 als Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen allmählich zum Gegner des Nationalsozialismus.
Nach dem Abitur schlug Niemöller eine Offizierslaufbahn bei der Kaiserlichen Marine ein, im Mai 1918 wurde er schliesslich Kommandant eines Minen-U-Boots mit dem er zwei Feindfahrten unternahm, drei Dampfer versenkte und Minen vor Marseille legte. 1919 nahm Niemöller seinen Abschied von der Marine, weil er die neue demokratische Regierung ablehnte und 1920 diente er als Bataillonsführer in einem Freikorps, 1923 war er gegen die aufständischen Arbeiter der Roten Ruhrarmee im Einsatz. Von 1919 bis 1923 engagierte sich Niemöller intensiv in diversen rechtsradikalen Organisationen. Zeitgleich studierte er Theologie. Seit 1924 wählte er die NSDAP. Erst mit der Machtübernahme der Nazis entstehen Brüche zur NS-Ideologie, was aber seinem Antisemitismus keinen Abbruch tat, auch wenn er gegen die Anwendung des Arierparagraphen auf evangelische Pfarrer protestierte und sich der »Bekennenden Kirche« anschloss. 1934 kam es zu einer direkten Konfrontation zwischen Hitler und Niemöller und Niemöllers Vorträge und Predigten galten zunehmend als oppositionell. 1935 wurde er zum erstenmal verhaftet, dann erneut am 1. Juli 1937. Am 7. Februar 1938 begann schliesslich der Prozess vor dem Sondergericht in Berlin-Moabit, wo er zu 7 Monaten Haft verurteilt wurde, die er bereits als Untersuchungshäftling verbüsst hatte. Gleich am Ausgang wurde er von der Gestapo erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, als »persönlicher Gefangener« Hitlers. Bei Kriegsausbruch 1939 richtete Niemöller ein Gesuch an Hitler, wieder wie im Ersten Weltkrieg als U-Boot-Kommandant Dienst tun zu dürfen, was Hitler ablehnte. 1941 wurde er in das Konzentrationslager Dachau verlegt, 1945 kam er durch glückliche Umstände frei.
Nach dem Krieg kritisierte Niemöller die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, die Wiederbewaffnung sowie die Rüstungspolitik der Grossmächte. 1954 wandte sich Niemöller radikal pazifistischen Positionen zu, 1957 wurde er zum Präsidenten der Deutschen Friedensgesellschaft gewählt, während des Vietnamkrieges reiste er 1967 nach Nordvietnam. Im Alter griff Niemöller die bundesdeutsche Politik an und unterstützte die ausserparlamentarische Opposition – im Januar 1980 überliess er seine Grabstelle in Berlin-Dahlem dem verstorbenen Rudi Dutschke. Vielfach wurde Niemöller im Kontext der gesellschaftlichen Diskussionen in den 1960er und 70er Jahren eine unkritische Nähe zum »real existierenden Sozialismus« vorgeworfen. Im März 1979 war er Juror des Dritten Russell-Tribunals, das Menschenrechtsverletzungen in der BRD anprangerte.
Niemöller erhielt unter anderem den Lenin-Friedenspreis der UdSSR (1966), das Grosskreuz des Bundesverdienstordens (BRD, 1970), die Deutsche Friedensmedaille der DDR in Gold (1977), was gut veranschaulicht, er war weiterhin nicht nur der »Diener Gottes« sondern vor allem der nützliche Diener aller weltlichen Herrn.[⤒]Lothar Rohde (1906–1985), Hochfrequenztechniker und Industrieller. Rohde war einer der Pioniere des UKW-Rundfunks in Deutschland. 1933 gründete er mit seinem Studienfreund Hermann Schwarz das physikalisch-technische Entwicklungslabor Dr. Rohde und Dr. Schwarz in München. Rohde wurde wegen Funkaktivitäten mit England am 9. September 1944 verhaftet. Er war zunächst im Reichssicherheitshauptamt inhaftiert und wurde dann ins KZ Gross-Rosen überstellt. Dort leitete er im Auftrag der SS ein Projekt zu Agentenfunkgeräten. Schliesslich kam Rohde ins KZ Dachau. Er konnte sich auf abenteuerliche Weise am 26. April 1945 selbst befreien. Nach dem Krieg führte er sein Unternehmen Rohde & Schwarz weiter. Diese Firma hat inzwischen 12 300 Mitarbeiter in über 70 Ländern, hatte 2019 über 2 ½ Milliarden Euro Umsatz. Ein Teil dieses Umsatzes wird über Subunternehmen mit dem Herstellen von sogenannten »Trojanerprogrammen« erzielt, die in verschiedenen Ländern zum Ausspähen der politischen Opposition benutzt werden.[⤒]
Elser wird in dem Film von Fritz Hollenbeck (1929–2021) gespielt. Hollenbeck stammte aus Mecklenburg, sprach also kein Schwäbisch. Um dem Film mehr Authenzität zu verleihen wurde er mit schwäbischem Akzent versehen, mit der Synchronstimme des schwäbischen Schauspielers Robert Nägele.
»Der Schauspieler sah dem Attentäter so ähnlich, dass Georgs jüngerer Bruder Leonhard – zu Gast bei Dreharbeiten – erschrak und wortlos nach Hause ging.«. Später schenkte Leonhard Elser Hollenbeck einen Hobel aus Elsers Werkzeugen. (»Heidenheimer Zeitung«, 12. 8. 2006)[⤒]Siehe Hellmut G. Haasis, »Den Hitler jag ich in die Luft«, Edition Nautilus, 2009.
Haasis schreibt in seinem Webauftritt über seinen politischen Werdegang selbst (Auseinandersetzung – in der Reihenfolge – mit Bordiga, Gramsci, Pannekoek, Gorter, schliesslich diversen Anarchisten) in typisch kleinbürgerlich-pseudorevolutionärer Manier so: »Für die heutigen komplizierten Aktivierungsprobleme [sic!] der abhängig arbeitenden Menschen ist mit den alten Vordenkern nicht mehr viel anzufangen. […] Mit der Zeit ist mir diese Fragerichtung [wie eigentlich eine sozialistische Gesellschaft lebensfähig gemacht werden müsste] abhanden gekommen. Unter anderem auch deshalb, weil ich für solche Publikationen keinerlei Publikum sah. Die deutschen Lohn- und Gehaltsabhängigen sind damals wie auch heute daran nicht sonderlich interessiert, also würden sie mich mit meinen Gedanken und Büchern auf dem Trockenen sitzen lassen.« Wenn also der Berg nicht zum Prophet kommt…[⤒]Ulrich Renz, »Georg Elser – Allein gegen Hitler«, S. 82, W. Kohlhammer, Stuttgart 2016[⤒]
»ZEIT Geschichte«, 24. 11. 2009, Nr. 4[⤒]
So heisst es im Spiegel 1994: »Auf die Kanzler-Wegweisung [Kohl: auch die Motive der Widerständler sind zu bewerten] hat vor allem einer der Ehrengäste gewartet: Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, CSU-Mann und Sohn des Attentäters vom 20. Juli, der seit Jahren seinen Untergrundkrieg um den Untergrund im Dritten Reich führt. In etlichen Eingaben an den Berliner Senat hat er ein politisches Machtwort verlangt, dass Kommunisten in der Berliner Dauerausstellung ›Widerstand gegen den Nationalsozialismus‹, veranstaltet von der ›Gedenkstätte Deutscher Widerstand‹ unter dem Historiker Peter Steinbach, nichts verloren hätten.« (Dieter Wild in »Der Spiegel« 30/1994.)
Stauffenberg junior, wie sein Vater unerschrockener Verteidiger seiner Klassenprivilegien, erkennt gar nicht die Raffinesse, die hinter der »Einreihung« Elsers in das grosse Panoptikum der bürgerlichen »Widerstandskämpfer« steht, nämlich seine abermalige Diffamierung, diesmal nicht als Handlanger der SS sondern als Vorkämpfer der das 3. Reich beerbenden Nachkriegsdemokratie.
Der Senior, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 einen eher dilettantisch ausgeführten Bombenanschlag auf Hitler versuchte, war nur 60 km von Elsers Geburtsort Königsbronn, im schwäbischen Jettingen bei Günzburg geboren und aufgewachsen, allerdings im Schloss dieses alten Adelsgeschlechts im Dienste des Hauses Württemberg. Er machte im Militär Karriere. Seine Gesinnung war entsprechend nationalistisch, rassistisch und voller Sympathie für die nazistische Ideologie. In der Zeit, als Elser seine Bombe im Bürgerbräukeller einbaute, schrieb Stauffenberg seiner Frau während des Polenfeldzugs 1939: »Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.« Erst als die militärische Niederlage nach Stalingrad absehbar war und schliesslich mit der Landung der alliierten Truppen in der Normandie besiegelt, erschien ihm das »Menschenopfer« auch »sinnlos«, es gab ja nun nichts mehr zu holen aber viel zu verlieren für die herrschende Klasse, und somit schien nunmehr ein Staatsstreich gegen die auf den vollständigen Untergang zusteuernden Endsieggläubigen geboten. Grundlage war dafür der unter anderem von Stauffenberg selbst mit ausgearbeitete Operationsplan »Walküre«, der vor allem auf die Niederwerfung möglicher innerer Unruhen der Arbeiter (inklusive der zahlreichen »Fremd«-Arbeiter) ausgelegt war. Etwas modifiziert sollten damit nun auch massgebliche Angehörige der NSDAP, der SS, des Sicherheitsdienstes und der Gestapo dingfest gemacht, das Land einer Militärdiktatur unterworfen werden. Nach dem Scheitern des Anschlags wurde Stauffenberg neben anderen Mitverschwörern gleichen Tags erschossen. Seither ist dieser Mann der gefeierte und amtliche Paradewiderständler, auch der allermeisten bürgerlich-demokratischen Parteien in Deutschland.
Die Putschisten wollten nichteinmal einen sofortigen Waffenstillstand erreichen, sondern träumten noch von einem Verhandlungsfrieden. In einem von ihnen vorbereiteten Aufruf an die Soldaten hiess es: »Soldaten! Noch ist die Stunde nicht gekommen, sich dem Gedanken des Friedens hinzugeben. Noch müssen wir kämpfen, um zu verteidigen und zu retten, was uns teuer ist, bis ein ehrenvoller Ausgang des Krieges gesichert ist.« In einer gleichenfalls vorbereiteten »Regierungserklärung« war weder vom Verbot der Nazipartei die Rede noch von der Wiederzulassung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Stattdessen salbaderte man von einer »völkischen Gemeinschaft« und einer »gerechten Wirtschaftsordnung«: »Es ist das Ziel der gerechten Wirtschaftsordnung, dass jedem der seiner Leistung entsprechende Anteil an den Wirtschaftsgütern zuteil wird. Es handelt sich nicht nur darum, die freie Initiative des Kapitalbesitzes herzustellen und ihn zum Leistungskampf im Wettbewerb zu zwingen. Nein, auch der deutsche Arbeiter muss und wird Gelegenheit erhalten, an der Verantwortung schöpferisch teilzunehmen. Nur können auch wir ihn nicht von der Wirkung der in der Wirtschaft herrschenden natürlichen Gesetze entbinden.« (»Entwurf einer Regierungserklärung« von Generaloberst Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler, Sommer 1944, Rekonstruktion nach Unterlagen der »Gestapo-Sonderkommission 20. Juli 1944« (Abschrift))[⤒]»Bereit zur Gewaltanwendung – aus Verantwortung. Johann Georg Elsers Kampf gegen den Terrorismus an der Macht«, in: »Georg Elser – Ein Attentäter als Vorbild«, S. 44, Edition Temmen, Bremen 2006.[⤒]
Die Stadt München vergibt seit 2013 einen »Georg Elser-Preis«: »Mit dem Georg Elser-Preis wird das Wirken und Handeln von Menschen mit Zivilcourage, die sich für die demokratischen Errungenschaften einsetzen, gewürdigt. Der Preis wird ab 2013 alle zwei Jahre im November als Preis der Landeshauptstadt München verliehen. Er ist mit 5000 Euro dotiert. […] Seine Tat ist heute ein Symbol für zivilen Ungehorsam und Zivilcourage geworden.« Zuvor wurde der Preis von 2001 bis 2011 von den Elser-Initiativen in unterschiedlichen Städten verliehen. Die Gleichsetzung von »Zivilcourage und zivilem Ungehorsam« mit der politischen Aktion Elsers 1939 ist nur ein weiterer Baustein in der bürgerlichen »Gedenkkultur«, mit der die originäre Motivation Elsers bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird.[⤒]
2015 wurde der Film »Elser – Er hätte die Welt verändert« produziert, er lief am 9. April 2015, exakt 70 Jahre nach Elsers Tod, in den deutschen Kinos an, international unter dem Titel »13 Minutes« vermarktet. Die Filmproduktion wurde aus Mitteln der deutschen Filmförderung mit 3 ½ Millionen Euro unterstützt. Oliver Hirschbiegel führte Regie, Elser wird mit Christian Friedel fehlbesetzt.
Auch wenn sich das Drehbuch teilweise an den Verhörprotokollen orientiert und auch sonst auf Elsers Lebensgeschichte zurückgreift, entspricht er nicht wirklich den Geschehnissen, schlimmer noch, er erfindet an etlichen Stellen Dinge dazu und schiebt Elser unbelegte Aussagen unter. Damit ist er ein ideologisierendes Machwerk, dem es trotz aufwendiger Szenerien nicht gelingt, einigermassen authentisch die Atmosphäre aus Elsers schwäbischer Heimat vor und während der Nazi-Zeit einzufangen.
Elser wird zum Beispiel untergeschoben, dass er nach Folterungen bei der Gestapo nach einem Pfarrer verlangt, das ist so fiktiv wie unwahrscheinlich, wie auch der in der Zelle vor einem Kreuz knienden Elser. Zwar war Elser anscheinend nicht gänzlich los von seiner pietistischen Erziehung und glaubte an die Existenz eines Gottes, wie man Aussagen aus den Verhörprotokollen entnehmen kann, doch darin kommt auch sein äusserst distanziertes Verhältnis zur Kirche zum Ausdruck, Gottesdienste besucht er quasi nie, Religion spielt keine sonderliche Rolle. Dass er während der Vorbereitungen des Anschlags in München in Kirchen geht um dort zu beten ist eher als ein Akt der Meditation als ein religiöses Bedürfnis zu verstehen, er macht es, um sich zu beruhigen und einen stillen Ort in der umtriebigen Grossstadt zu finden.
In einer Szene die im KZ Dachau spielt darf ein SS-Mann kolportieren, dass in Dresden bei dem Bombenangriff der Alliierten 100 000 Menschen umgekommen wären. Das entsprach zwar der damaligen NS-Propaganda, ist aber historisch falsch (für alle Luftangriffe 1944/45 auf Dresden werden ca. 25 000 getötete Menschen angenommen – ungefähr die gleiche Zahl, die Warschau an zivilen Opfern während der deutschen Bombardierung 1939 zu beklagen hatte) und deshalb bedenklich, weil die Neonazis noch heute gerne mit diesen falschen Zahlen operieren um die Verbrechen ihrer Vorbilder zu relativieren und »die Deutschen« mehr als Opfer denn auch als Täter darzustellen.
Noch vieles mehr wäre aufzuzählen… Es bleibt zu befürchten, dass dieser schlechte Film künftig weiterhin in Schulen und Bildungsprojekten eingesetzt wird, entsprechendes Material wird von den Machern des Films zur Verfügung gestellt.[⤒]So Rolf Hochhuth (1931–2020) in seinem »Gedicht« von 1987 mit dem Titel »Johann Georg Elser«, ein Vergleich, den er und andere bei verschiedensten Anlässen wiederholten. In diesem »Gedicht« heisst es »Friede oder – Hitler! Ein Tell totalitärer Zeiten, so viel vereinsamter als der des Mythos«. Zum einen wird hier der allein operierende Elser zum Einzelgänger gestempelt, was er nie war, zum anderen zum Mythos degradiert, zu einem – was Tell betrifft, fiktiven – »Nationalhelden«, was Elser sicherlich nicht werden wollte. Darüberhinaus impliziert der Vergleich mit Wilhelm Tell eine historische Verbindung mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaften, zumindest war das die Intention Friedrich Schillers, als er sein gleichnamiges Theaterstück 1804 verfasste. Selbst Hitler bezog sich im zweiten Band seiner Hetzschrift »Mein Kampf« positiv auf das Werk Schillers – bis er es Mitte 1941 verbieten und aus allen Schulbüchern tilgen liess. Mit dem Tell-Vergleich liefert man auch gleich Futter für die abstrakten Theorien des »Tyrannenmords«, auf den sich die mittelmässigen Historiker so gerne stürzen, weil das alles so prima vom konkreten antikapitalistischen Elser ablenkt.[⤒]
So Jens Böhrnsen, SPD, Verwaltungsrichter, von 2005 bis 2015 Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen in »Vorwort des Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen«, »Georg Elser – Ein Attentäter als Vorbild«, S. 7, Edition Temmen, Bremen 2006.[⤒]
Bedenklich flackert hier ein ganz anderes »Licht«: Claus Christian Malzahn, Journalist, 1986 gehörte er zu den Gründern des Lokalteils der »tageszeitung« (taz) in Bremen. 1987 wechselte er als Reporter in die taz-Zentrale nach Berlin. Ab 1993 beim »Spiegel«, unter anderem als »embedded Journalist« 2003 Korrespondent im Irak-Krieg. 2005 warb er für eine CDU-Regierung unter Angela Merkel sowie eine politische Annäherung an die USA unter George W. Bush. Malzahn empfahl eine erneute Umerziehung (Reeducation) des deutschen Volkes und befürwortete 2010 die Verhaftung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange. Konsequenterweise ist er seit April 2010 noch besser eingebettet, als stellvertretender Politik-Chef bei der »Welt«-Gruppe des Axel-Springer-Verlags. Hier zitiert aus: »Hitler-Attentäter Elser – Dreizehn Minuten, die der Weltgeschichte fehlen«, in »Georg Elser – Ein Attentäter als Vorbild«, S. 49, Edition Temmen, Bremen 2006.[⤒]
»Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier«, »Bulletin der Bundesregierung«, Nr. 129-2 vom 5. November 2019.
Das »Widerstandsrecht«, auf das Steinmeier hier rekurriert, wurde 1968 in das Grundgesetz der BRD im Zuge der Verabschiedung der »Notstandsgesetze« aufgenommen und war natürlich nur zur Besänftigung der Kritiker gedacht. Es besagt letztlich nichts anderes, als dass die kapitalistische gesetzliche Grundordnung mit allen Mitteln verteidigt werden darf, was ja gerade die Grundgesetzänderungen 1968 beinhalteten – Einsatz der Bundeswehr im Innern gegen bewaffnete Aufständische, Herr Claus Schenk Graf von Stauffenberg lässt grüssen (siehe dritter Absatz der Anmerkung 68). Beschlossen wurde das Ganze von der Grossen Koalition aus SPD-CDU/CSU unter der Kanzlerschaft Kiesingers, einem NSDAP-Mitglied von 1933–1945, der als Kanzler auch für die Verjährung von NS-Kriegsverbrechen sorgte, er selbst war in der NS-Zeit ab 1940 stellvertretender Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung im Reichsaussenministerium unter Ribbentrop.
Natürlich war Kiesinger einer der so wundersam zahlreichen Widerständler der ersten Stunde: in seinen Memoiren behauptet er, er habe Exzesse verhüten wollen, und sei in die NSDAP eingetreten, um ihre Ideologie zu verändern und dass sein anfängliches Motiv gewesen sei, der antisemitischen Rassenpropaganda entgegenzuwirken. Und das – so wacker wie erfolglos – ganze 12 Jahre lang!!![⤒]Erinnert sei hier nur exemplarisch und für die aktuelle vordergründige Gegenwart (2021) an die täglichen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer oder die beharrliche Weigerung der Bundesregierung einer Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe zugunsten der ärmeren und ärmsten Länder zuzustimmen… aber dieses bodenlose Fass kann hier natürlich nicht aufgemacht werden.[⤒]
»Interview: ›Auch heute brauchen wir Zivilcourage‹«, www.schwaebische.de, 23. 2. 2012.[⤒]
siehe Amadeo Bordiga, »La classe dominante italiana ed il suo stato nazionale« (»Die herrschende Klasse Italiens und ihr Nationalstaat«), bzw. »Die Kommunistische Partei Italiens und die faschistische Offensive (I)«, Anmerkung 1.[⤒]
Die Cigarettenfabrik Dressler KG produzierte Zigaretten, die in der Sturmabteilung (SA) geraucht werden sollten. Dafür wurde der SA ein Anteil am Profit versprochen. Die NSDAP steuerte zur Gründung des Unternehmens 30 000 RM bei, 500 000 RM kreditierte der mit den Nazis sympathisierende Begründer des deutschen Bahnhofsbuchhandels Jacques Bettenhausen. Für die Vermarktung wurde die Zigarettenfabrik Sturm GmbH gegründet. Die SA-Führung versuchte intern durchzusetzen, dass die Angehörigen der SA nur Zigaretten der Zigarettenfabrik Sturm, wie »Sturm«, »Trommler«, »D3«, »Alarm« und »Neue Front« rauchten. Der Konsum anderer Zigaretten wurde für die SA untersagt. Zur Durchsetzung des Gebots wurden oftmals Taschenkontrollen bei den SA-Mitgliedern durchgeführt.
Da die Kooperationspartner der Firma Dressler in der SA mit dem SA-Führer Röhm verbandelt waren, endeten die guten und gewinnbringenden Geschäftsbeziehungen im Juli 1934, als Hitler in der sogenannten »Nacht der langen Messer« Röhm und mindestens 90 andere SA-Leute ermorden liess. Die Firma Reemtsma nutzte die Gunst der Stunde und schloss ihrerseits ein Übereinkommen mit der SA über eine jährliche Zuwendung von ca. 250 000 RM und Zahlung einer einmaligen Ablöse von 150 000 RM. Da die SA-Mitglieder nun nicht mehr genötigt waren die Marken der Firma Dressler zu rauchen, brach der Umsatz ein. Die Firma ging daher 1935 in den Bankrott.
Bei einem Belegschaftstreffens der Sturm-Zigarettenfabrik in den Räumen der Waldschlösschen-Terrasse am 12. 11. 1932 in Dresden war auch ein NS-Parteigenosse Alexis Posse zugegen. Dieser hatte am 7. März 1933 einen spektakulären Auftritt auf der Bühne der Semperoper, als er, gestützt auf die Anwesenheit einer 60-köpfigen SA-Staffel, die Leitung der Oper für abgesetzt erklärte und als kommissarischer Generalintendant die vollziehende Gewalt an beiden Häusern übernahm. Träger der Aktion war die schon Ende 1930 von Posse und Franz Heger, einem Maskenbildner der Semperoper, gegründete »Theaterfachgruppe der NSDAP«, die sich die Befreiung der Staatstheater von der »Beherrschung durch Fremdrassige« zum Ziel gesetzt hatte und im März 1933 mindestens 275 Mitglieder zählte.[⤒]Diese Praxis wurde auch nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Rahmen des »Generalplans Ost« fortgeführt. In und um Zamość, der Geburtsstadt Rosa Luxemburgs, wurden Ende 1942 »insgesamt 100 000 Menschen – meist Bäuerinnen und Bauern – für ein weiteres megalomanes deutsches Siedlungsprojekt vertrieben; viele von ihnen fanden sich in den Konzentrationslagern Auschwitz und Majdanek wieder. Ungefähr 30 000 Kinder waren unter den Deportierten, von denen etwa 10 000 wohl nicht überlebt haben. Das Zamośćer Land wurde zum einzigen Raum, in dem die sogenannte Lebensraumpolitik in den besetzten Gebieten in Ansätzen umgesetzt wurde; in den besetzten Gebieten der Sowjetunion war aufgrund der nur kurzen Besatzungszeit und sich rasch ändernden Frontlinien nicht daran zu denken.« (Dieter Bingen, Simon Lengemann (Hrsg.), »Deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945 – Eine Leerstelle deutscher Erinnerung?«, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2019)
Allerdings wurden auch aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion »Volksdeutsche« ins Reich übersiedelt, auch in das Zamośćer Land, oder vor Ort für die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und für Polizeidienste eingesetzt. Und bei den Entscheidungen über die Behandlung der anderen Bewohner der besetzten Gebiete spielten auch Erwägungen aus dem »Generalplan Ost« eine gewisse Rolle. Erinnert sei hier nur an den »Hungerplan«, mit dem die in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten produzierten Lebensmittel an die deutschen Besatzungstruppen sowie ins Deutsche Reich geliefert werden sollten. Dabei wurde bewusst einkalkuliert, dass infolge des Entzugs von Nahrungsmitteln bis zu dreissig Millionen Menschen in der Sowjetunion verhungern.[⤒]