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DIE ROLLE DER NATION IN DER GESCHICHTE


Content:

Die Rolle der Nation in der Geschichte
Stamm, Nation und Gesellschaft der ganzen Menschheit
Das Proletariat und die nationale Forderung
Einige grosse Lehren aus dem nationalen Zyklus in Europa
Notes
Source


Die Rolle der Nation in der Geschichte

Um der Partei nach dem Zweiten Weltkrieg eine feste und einheitliche Orientierung zu geben, war ein langer Kampf notwendig. Er führte 1952 zu einer Spaltung, in der wir die eigentliche Geburtsstunde unserer Organisation erblicken. Die Einschätzung der Rolle der Rasse und der Nation in der Geschichte[1] war dabei von entscheidender Bedeutung. Neben anderen war sie ein Angelpunkt der notwendigen Orientierung. Und diese war nur möglich auf der Grundlage der von der III. Internationale wiederhergestellten Grundthesen des Marxismus, auf der Grundlage des Beitrags der Kommunistischen Linken Italiens in den Jahren 1920–26 und schliesslich der dynamischen Bilanz der zurückliegenden 25 Jahre, die uns damals vom Schiffbruch der proletarischen Bewegung unter dem trügerischen Banner des »Sozialismus in einem Land« trennten.

Zu Beginn der Nachkriegszeit zeichnete sich ab, dass man »in den Wüsten, die der Krieg hinterlassen hat, und in den Ländern, die infolge der Kriegszerstörungen von der höchsten Stufe der kapitalistischen Entwicklung auf das Produktionsniveau einer Kolonie herabsanken… jahrelang ergiebig« würde investieren können. Eine »masslos fortschreitende kapitalistische Akkumulation« stand vor der Tür. Sicherlich würde die Entwicklung unweigerlich »zu neuen Konflikten und Krisen« führen: »einerseits zu Klassenzusammenstössen, andererseits zu einem Bruch in der Sphäre der bürgerlichen Diktatur und zu neuen imperialistischen Zusammenstössen zwischen den grossen Staatskolossen«. Man konnte aber nicht davon ausgehen, dass »diese komplexe Entwicklung sich von heute auf morgen« vollziehen würde.[2]

Unsere kleine Partei zog sich jedoch nicht in eine Klosterzelle zurück, um dort auf den Tag des Jüngsten Gerichtes zu warten und in Ergebenheit zu beten, dieser schöne Tag möge kommen, an dem der damals völlig vernichtete proletarische Klassenkampf mechanisch und wie durch göttliche Vorsehung wieder einsetzen würde. Ganz im Gegenteil sah sie ihre Aufgabe darin, einen Kampf zu führen, damit diese Wiederaufnahme des Klassenkampfes Früchte tragen könnte. Und das ist heute wie gestern nur mit Hilfe der beharrlichen Wiederherstellung aller Waffen des Kommunismus möglich, Waffen, die von der stalinistischen Konterrevolution zerstört und – schlimmer noch – verdreht, verfälscht, bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden.

Die Kurve der sozialen Bewegung und die Kurve der Partei waren tragischerweise voneinander getrennt worden. Ein solcher Bruch verurteilt die proletarische Bewegung zur Unfruchtbarkeit. Doch damals brodelte der Orient, von revolutionären Bewegungen ergriffen. Hätte die Partei versucht, den Marxismus wiederherzustellen, ohne diese grossartigen Kämpfe zu berücksichtigen, so hätte das Auseinanderklaffen beider Kurven die Partei selbst zum Ersticken gebracht. Politisch völlig machtlos, machte sich unsere kleine Bewegung an die theoretische Wiederherstellung der Waffen der proletarischen Emanzipation, und sie verfolgte dabei mit Begeisterung das »glühende Erwachen der farbigen Völker«, die mit grosser Heftigkeit auf die geschichtliche Bühne eindrangen. Da es aber nicht auf die Unterstützung des Proletariats in den imperialistischen Metropolen und der Klassenpartei zurückgreifen konnte, musste das Proletariat dieser Völker in einem langwierigen und schmerzhaften Prozess erlernen, dass es eigenständige Interessen besitzt, die noch unter den vielfältigen Fahnen der antifeudalen und antiimperialistischen Volksbefreiungsbewegungen verborgen waren.

»War das Bild schon 1920 von einem Brand geprägt, so hat die Lage in weiten Teilen Afrikas und Asiens heute den höchsten Spannungsgrad erreicht. Und es sind nicht die verächtlichen Grimassen hochnäsiger Intellektueller, die diese Kräfte, die sich mit so grossartiger Heftigkeit entfesselt haben, vergessen lassen können«, schrieben wir 1953.[3]

Seit damals sind 25 Jahre verflossen. Die »eruptive Phase« der Bewegungen für nationale Unabhängigkeit und politische Befreiung ist vorbei. Fast ganz Asien und ein Teil Afrikas sind von einem engmaschigen Netz von Staaten überzogen, bei deren Herausbildung die einheimischen Bourgeoisien alle ihre revolutionären Kräfte erschöpft haben. Dieses Erdbeben genügte nicht, um das Proletariat der grossen Metropolen aus seiner Lethargie zu reissen. Es hat aber zumindest zwei Ereignisse von grosser Tragweite zur Folge gehabt: Einerseits hat es das Fundament des europäischen Imperialismus untergraben und damit die sozialen Reserven verringert, mit deren Hilfe der Kampf der ältesten und konzentriertesten Arbeiterklasse während allzu langer Jahrzehnte konterrevolutionär verdrängt und neutralisiert wurde; andererseits hat es in weiten Gebieten der Erde den Boden für die Entwicklung der modernen Produktivkräfte, welche die objektive Grundlage des Kommunismus darstellen, freigeschaufelt und die Arena des direkten Zusammenstosses zwischen Proletariat und Bourgeoisie international erweitert.

Diese jungen proletarischen Klassen sind beseelt von einer revolutionären Energie, die sie durch ihre feurige Beteiligung an den antiimperialistischen Kämpfen gewonnen haben. Doch in den Ländern, wo die Bourgeoisie ihren fortschrittlichen Zyklus abgeschlossen hat, müssen sie unbedingt die »nationale Solidarität« sprengen. Denn in diesen Ländern bildet letztere nicht mehr allein eine Bremse für den Kampf, den sie auf einen bürgerlichen Horizont beschränkt, sie führt auch nicht allein zur Inkonsequenz bei der Durchführung selbst der bürgerlichen Aufgaben, sondern sie bedeutet den Verzicht auf jede weitere historische Entwicklung und zugleich die Unterordnung unter die »nationale« wie internationale herrschende Ordnung.

Es ist also von höchster Bedeutung, heute durch eine Bilanz der antiimperialistischen Bewegung zu zeigen, in welchen geohistorischen Gebieten der national-bürgerliche Zyklus abgeschlossen und in welchen er noch nicht zu ende ist.[4]

Bevor wir eine solche erste Bilanz veröffentlichen, wollen wir hier zur Einführung daran erinnern, wie die heikle Frage der Nation, ihrer Rolle in der Geschichte und ihres Verhältnisses zur antifeudalen Revolution von der marxistischen Theorie betrachtet wird. In einer weiteren Untersuchung werden wir dann die Frage der antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungsbewegungen behandeln.

Stamm, Nation und Gesellschaft der ganzen Menschheit

Die Begriffe »Nation« und »Demokratie« haben je nach den Epochen und Völkern eine unterschiedliche Bedeutung. Will man sie verstehen, so muss man sie mit dem Werkzeug der marxistischen Kritik untersuchen.

Die marxistische Methode ist materialistisch und dialektisch. Sie sucht die Wurzeln der Nation in den Beziehungen zwischen den Menschen, die sich zur Gesellschaft zusammengeschlossen haben, um der Natur ihre Lebensmittel zu entreissen. Als soziales Phänomen, das mit jenen in ständiger Entwicklung befindlichen ökonomischen Verhältnissen verbunden ist, ist die Nation historisch determiniert. Man kann sie erst dann begreifen, wenn man sie in den verschiedenen Phasen der historischen Entwicklung betrachtet, und nicht »im allgemeinen« und »an sich«.

Wie wir in unserer erwähnten Schrift über die Rasse und die Nation als Faktoren in der Geschichte erinnern, eine Schrift, deren Methode und Hauptergebnisse wir hier wiederaufnehmen, stellt die Nation eine menschliche Gemeinschaft dar, die sich von der Stammesgemeinschaft in einer grundlegenden Hinsicht unterscheidet: Der Stamm beruht auf der Blutsverwandtschaft, dem gemeinsamen Ursprung, der gleichen ethnischen und rassischen Zugehörigkeit, während die Nation auf einer gemeinsamen territorialen Zugehörigkeit beruht. Der Dakota und der Irokese gehören unterschiedlichen ethnischen Gruppen, unterschiedlichen Rassen an, da sie aufgrund der Jagd- und der Reproduktionsbedürfnisse der Gattung zu voneinander völlig unabhängigen Blutsgemeinschaften gehörten. Heute arbeiten sie am selben Fliessband mit einem Arbeiter sizilianischen oder irischen Ursprungs und sind Bürger desselben Staates.

Die amerikanische Nationalität, die (wenn man einmal die Diskriminierung bedeutender Minderheiten beiseite lässt) kein anderes Kriterium als die territoriale Zugehörigkeit kennt, ist selbst das Produkt der Verschmelzung von unzähligen Nationalitäten und Völkern aus allen Kontinenten. Dies beweist den relativen historischen Charakter dieses Begriffes, der eines Tages ebenso wie der der Völkerschaft, des Staates oder noch andere »ewige Werte« ins Museum der Vorgeschichte der Menschheit wandern wird. Aber lassen wir einmal die amerikanische Nationalität, die eine Nationalität x-ten Grades ist, beiseite. In der Nationalität ersten Grades ist der gemeinsame ethnische Ursprung noch stark zu spüren. Sie beruht auf der mehr oder minder grossen Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums und der Traditionen, die auf die ethnische Gemeinschaft folgt, mit deren Hilfe die Menschheit ihre ersten Schritte am Anfang einer langen und schwierigen Entwicklung tun konnte[5]. Wenn auch die Nationalität als Erbin der Rasse auftritt, so hängt ihre geschichtliche Entstehung doch mit ökonomischen Ursachen zusammen, die das Verhältnis zwischen den verschiedenen historischen Faktoren verändern.

Engels erklärt im Ursprung der Familie:
»Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Dieses ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, der Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andererseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung«.[6]

Solange die Arbeitsproduktivität niedrig ist, hat die Fortpflanzung das entscheidende Gewicht in der Entwicklung der Gattung, und der Faktor der Rasse stellt den fortschrittlichsten historischen Faktor dar. Er ist aber selbst ein soziales Produkt, auch wenn er als biologisches Phänomen charakterisiert wird, weil er mit der Organisationsform der Familie zusammenfällt. Sobald aber die Menschheit nicht mehr dazu verurteilt ist, stets und ständig den Wanderungen des Wildes zu folgen und hinter der Nahrung herzulaufen, und sobald die Arbeitsproduktivität es ermöglicht, sich vor Ort zu ernähren und mehr Zeit der Vervollkommnung und Vermehrung der Werkzeuge zu widmen, macht sich die »Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, der Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen« selbständig gegenüber der »Erzeugung von Menschen selbst«. Jetzt werden die ökonomischen Faktoren im engeren Sinne entscheidend. Die grossen Fortschritte der Menschheit werden nicht mehr von den Wandlungen der nunmehr in unaufhaltsamer Zersetzung befindlichen Familienformen hervorgerufen, sondern durch die Ausdehnung der wirtschaftlichen Verbindungen, der Arbeitsteilung und vor allem des Austausches bestimmt, der sich aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität ergibt. Die ökonomische Entwicklung bringt die Auflösung des Stammeswesens mit sich, und sie ruft auf der Ebene des sozialen Überbaus zwei miteinander zusammenhängende Erscheinungen hervor: grössere soziale Gemeinschaften und, in ihrem Innern, soziale Klassen.

Eine erste Schlussfolgerung zwingt sich bereits auf: Da die Nation eine soziale Form ist, die sich aus der Entwicklung der ökonomischen Beziehungen zwischen den Völkern ergibt, muss diese sich weiter vollziehende Entwicklung wiederum zur Aufhebung der Nation selbst in einer noch höheren Form der menschlichen Gemeinschaft führen.

Wie wir gesehen haben, entsteht die Nationalität nicht von selbst. Sie ergibt sich aus den sich ausdehnenden wirtschaftlichen Verbindungen und der wachsenden Vermengung der Bevölkerungen. Dieser Entstehungsprozess der Nationalität wird begleitet von der Ablösung der alten Gentilverfassung durch eine territoriale Organisation, den Staat. Da die Gesellschaft aufgrund der in ihr wachsenden widersprüchlichen Interessen von nun an ständig von Explosionen und Zusammenstössen bedroht ist, entsteht der Staat aus der Entwaffnung der Bevölkerung[7]. Und da die widersprüchlichen Interessen, die aus der Entwicklung der Arbeitsteilung entstanden sind, soziale Klassen hervorgerufen haben, befindet sich dieser neue Organismus im allgemeinen in den Händen der ökonomisch stärksten Klasse. Als politischer Staat, als Klassenstaat dient er dazu, die Knechtschaft der ausgebeuteten Klasse aufrechtzuerhalten.

Der Staat trägt wiederum zur Entwicklung der Nationalität bei. Indem er Bevölkerungen unterschiedlichen Ursprungs einem einheitlichen Verwaltungsrahmen unterwirft, begünstigt er, zumindest langfristig und sofern er lebensfähig ist, die Entwicklung von Handel, engeren wirtschaftlichen Beziehungen, gemeinsamen Sprachen und Sitten, kurz, er trägt zur Herausbildung grösserer Nationalitäten bei.

So erlaubte die historisch frühzeitige Herausbildung von grossen Staaten wie in China, Persien, Mesopotamien und Ägypten, riesige Bevölkerungen in einem einzigen Schmelztiegel zusammenzufassen. Die mit den besonderen geographischen Bedingungen zusammenhängende bewunderungswürdige Langlebigkeit des ägyptischen Staates ermöglichte es, im Laufe von mehr als 5000 Jahren verschiedene Rassen aus der Sahara, der arabischen Wüste, dem Sudan und vielleicht sogar aus Eritrea miteinander zu verschmelzen, um sehr früh einen neuen ethnischen Typus und gleichartige Existenzbedingungen zu schaffen. So hat die ägyptische Gemeinschaft nicht nur sehr früh dieselbe Sprache gesprochen, sondern sie ist auch, insbesondere mit der Errichtung des arabischen Reiches, in der Lage gewesen, diese Sprache gemeinsam zu verändern. Der historische Faktor des Staates ist also für die Herausbildung der Nationalität von grosser Bedeutung gewesen. Er hat seine Rolle heute aber noch nicht erschöpft, und dies wird erst dann der Fall sein, wenn er zur Zerschlagung der kapitalistischen Klasse und der bürgerlichen Produktionsverhältnisse benutzt worden ist – wonach die Menschheit sich seiner übrigens nur noch wird zu entledigen haben.

Staat und Nationalität gehen vielfältige historische Verbindungen ein. Damit aber beide zusammenfallen, musste einerseits eine Gesellschaft entstehen, die auf dem aktivsten Moment der gegenseitigen Abhängigkeit, nämlich dem Austausch, beruht und andererseits musste der Staat in die Hände einer herrschenden Klasse fallen, die von diesem Austausch lebt. Mit anderen Worten, die Nationalität, ein historisch determiniertes Produkt, konnte nur in Verbindung mit der Entwicklung des Marktes zu einem aktiven historischen Faktor werden. Auch die Entwicklung und Prosperität der Handelsklasse, die mit dem Austausch zur Ausdehnung der Sprache beiträgt, wird von der Herausbildung einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamer Sitten, d. h. einer Nationalität, bedingt.

Aus dem vorher Gesagten ergibt sich, dass die Kraft und die Intensität des nationalen Faktors je nach den Produktionsweisen völlig unterschiedlich sind. Es ist also ein grotesker und für die Verwüstungen der nationalistischen Ideologie charakteristischer Anspruch, die Vergangenheit der Völker an der Vollkommenheit des von ihnen hervorgebrachten nationalen Überbaus messen zu wollen. Der Marxismus dagegen beurteilt den nationalen Faktor nach seinem Beitrag zur Entwicklung der Produktivkräfte der Menschheit.

Um die These zu vernichten, derzufolge die Antriebskraft der Geschichte ein irgendwie gearteter »nationaler Fortschritt« gewesen sei, genügt es, daran zu erinnern, dass das glänzende und überwältigende nationale Aufblühen der griechisch-römischen Antike unmöglich gewesen wäre ohne die gewaltige Masse von Produktionstechniken, die die ausgedehnten halbbarbarischen Staaten des a-nationalen Orients beharrlich angehäuft hatten. Es genügt, daran zu erinnern, dass, nachdem diese Blütenpracht einmal verwelkt war, die europäische Gesellschaft sich auf sich selbst zurückgezogen und auf ihre produktiven Aufgaben konzentriert hat, um dann auf der Grundlage von dennoch viel grösseren Ressourcen einen sozialen und politischen Überbau hervorzubringen, der das nationale Moment völlig ignorierte. Und bevor das Proletariat die Verfechter des »nationalen Prinzips« wird begraben können, hat die Geschichte sie lächerlich gemacht, denn nicht Europa, sondern der in jahrtausendelanger bürokratischer Starre festgefahrene Orient sollte schliesslich – seinen Lehrmeister darin bei weitem übertreffend – gigantische Nationalstaaten hervorbringen, die morgen der entschieden inter- und übernationalen proletarischen Diktatur gewaltige zentralisierte politische Instrumente in die Hand geben werden.

Aber werfen wir einen Blick auf die grossen sozialen Formen der vorbürgerlichen Vergangenheit zurück, die heute nur noch in Form völlig entstellter Überbleibsel existieren, und vergessen wir dabei nicht, dass der nationale Faktor mit der Ausdehnung und der Intensität der Warenproduktion einhergeht. In den orientalischen Gesellschaften thronten über den fast autarken Bauerngemeinden riesige despotische Staaten, deren Handel ein internationales Ausmass annehmen konnte, aber im Innern auf die Spitze der Gesellschaft beschränkt blieb und niemals in die Dörfer eindrang. Als einfaches passives historisches Produkt erlebte hier die Nationalität ihre grösste Ausdehnung, während sie zugleich als aktiver historischer Faktor die geringste Wirkung hatte.

Im alten Ägypten ist die Dynamik der Herausbildung des Staates mit dem Bedürfnis nach territorialer Ausdehnung und Koordinierung der grossen Bewässerungsarbeiten und mit der Notwendigkeit, die sesshafte Landwirtschaft gegen die Überfälle der Nomaden zu schützen, verbunden. Hier findet man eine der sozialen Formen, die der Auflösung des alten Gemeinwesens durch den Handel und daher der Differenzierung in soziale Klassen am wenigsten Raum lassen, während sie gleichzeitig der Nationalität die geringste Beachtung schenken, um statt dessen die soziale Einheit in der Person des Gott-Königs zu verherrlichen. Am anderen Ende der Skala der antiken Gesellschaften und der Gruppe der asiatischen Staaten entgegengesetzt (denen man die Staaten des vorkolumbianischen Amerika und die kleinen Staaten des Maghreb und Sudan hinzufügen muss, die auf einer noch schwachen und archaischen Entwicklung der sozialen Klassen beruhten) findet man die Staaten Griechenlands und des antiken Italien, von denen Athen als Vorbild gilt[8]. Unter dem Druck der Arbeitsteilung, die durch soziale und geographische Bedingungen begünstigt und durch einen sehr aktiven inneren und internationalen Handel gefördert wurde, hat das kleine Griechenland eine soziale Organisation hervorgebracht, in der das alte arische Gemeinwesen sich in eine territoriale Vereinigung umgewandelt hat, für die es zwar den ethnischen Kern lieferte, deren Grundelemente aber die Existenz des Bauern-Soldaten und die Unterwerfung einer wachsenden Masse von Sklaven bilden.

Das nationale (und nicht mehr allein ethnische) Gefühl, das vom Klassenstaat und vom Gefühl der Klassenüberlegenheit über die a-nationale Masse der Sklaven nicht zu trennen ist, gab den kleinen föderierten Armeen Griechenlands die notwendige moralische Kraft, um den riesigen Armeen Darius’ und Xerxes’ standzuhalten, in denen die Satrapen die fronpflichtigen Bauern wie Vieh vor sich hertrieben. Diese Bauern entstammten einer Unmenge von Völkern und Rassen. Sie waren Hindus, Meder, Syrier und sogar Griechen aus Kleinasien und bildeten einen mächtigen Turm zu Babel, in dem keiner etwas gegen die Griechen zu verteidigen hatte. Aus diesem Grunde schrieben wir:
»Die nationale Solidarität ist jedoch nicht eine reine Illusion, ein von den Privilegierten und den Herrschenden geschaffenes Trugbild. In bestimmten historischen Phasen ist sie eine von wirtschaftlichen Interessen und von den Bedürfnissen der materiellen Produktionskräfte determinierte objektive Tatsache«.[9]
Wenn die antiken Stadtstaaten im Zusammenstoss mit dem »barbarischen Orient« zu gutem Recht die Armen zur »nationalen Solidarität« mit den Reichen aufrufen konnten, so muss man doch bemerken, dass diese Solidarität, die den Klassengegensatz zwischen den Bürgern unter dem Mantel der juristischen Gleichheit verdeckte, innerhalb der Gesellschaft sehr viel weniger gerechtfertigt war als die von den orientalischen Religionen praktizierte Identifizierung der kollektiven Interessen mit dem theokratischen Staat.

Die griechische und römische Antike liefern eine glänzende Ankündigung der Nation, aber eben nur eine Ankündigung. Die antike Polis oder Urbs kennt wohl die territoriale Einheit und die juristische Gleichheit. Letztere existiert aber nur für eine Minderheit von Sklavenhaltern, während die Ausgebeuteten, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, völlig entrechtet sind. Sie werden nicht einmal der menschlichen Gattung zugerechnet und somit auf die Ebene der Tiere herabgesetzt. Sie werden übrigens »beseelte Werkzeuge« genannt, was, ehrlich gesagt, weit weniger heuchlerisch ist als die Gepflogenheit unserer hochzivilisierten Gesellschaft, wo die Ware Arbeitskraft abwechselnd von der erschöpfenden Produktion aufgefangen und dann wieder ohne Reserven auf die Strasse geworfen wird, mit dem einzigen Trost, dass sie dieselben Rechte wie die Kapitalisten besitzt.[10]

Heute gehören in der Tat die modernen Sklaven, die Proletarier, offiziell zur Nation. Aber sobald die »nationale Solidarität« nicht mehr zur Zerschlagung der Fesseln dient, mit denen der vorbürgerliche Staat die modernen Klassen unterdrückte, stellt sie nur noch einen erdrückenden Betrug dar.

Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die Nationalität nicht von der Teilung der Gesellschaft in Klassen zu trennen ist. Jetzt müssen wir weitergehen: Je stärker die Entwicklung der Nation, desto schärfer die durchziehenden Klassengegensätze. Dies liefert uns den Schlüssel für ihre dialektische Aufhebung und erklärt ebenfalls die ewige Unzufriedenheit des bürgerlichen und patriotischen Idealismus, der in der Nation die Eintracht zwischen den Klassen sucht: Sobald die Hindernisse zur Herausbildung der Nation vernichtet sind, zerbricht letztere an den eigenen Widersprüchen und erweist sich als eine überholte Etappe in der Geschichte der Menschheit.

Die römische Nation ging in ihrer Tragweite weit über die griechische Nation hinaus, die von selbst nie über die Organisation in feindlichen Konföderationen hinausgelangte. Die Römer schufen in der Tat auf dem Wege von Gebietserweiterungen und der Einverleibung der ansässigen Bevölkerung ein grosses Reich, das alle Völker miteinander vermischte – so dass zumindest die Italiener, Iberer, und Gallier dieselbe Sprache sprachen – und das im gesamten Mittelmeerraum ein immer einheitlicheres Verwaltungssystem und Rechtswesen einführte.
»Das nationale Moment erreicht hier sowohl den machtvollsten Ausdruck, den es jemals in der Antike gegeben hat, als auch die grösste bis dahin gekannte historische Stabilität.«[11]

Mit dem römischen Reich ist die Antike jedoch weit über das hinausgegangen, was die Produktionsverhältnisse erlaubten, Rom dehnte nicht so sehr seine Nationalität aus, vielmehr löste es sie in seinem Reich auf, wo es alle Nationalitäten abschaffte. Wie Engels vermerkte, bot das
»neugebackene Römertum keinen Ersatz; es drückte keine Nationalität aus, sondern nur den Mangel einer Nationalität«.[12]

Kaum waren die traditionellen Handelswege abgeschnitten, kaum machte sich der Druck der Barbaren an den Grenzen bemerkbar, und schon blieb nur noch ein einziges Land, welches »die ungeheure Menschenmasse des ungeheuren Gebietes« zusammenhielt: der
»römische Staat; und dieser war mit der Zeit ihr schlimmster Feind und Unterdrücker geworden«.[13]

Es sind die Germanen, die die antike Welt von dieser unerträglichen Last befreit haben, und die feudalen Staaten, die sie errichteten, ordneten die Grundbesitzer unabhängig von jeder Nationalität und gemäss den von der germanischen Organisation übernommenen persönlichen Banden in einem hierarchischen System an.

Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des römischen Reichs jedoch
»schieden sich die lateinischen Dialekte der verschiedenen Provinzen mehr und mehr; die natürlichen Grenzen, die Italien, Gallien, Spanien, Afrika früher zu selbständigen Gebieten gemacht hatten, waren noch vorhanden und machten sich auch noch fühlbar«.[14]
Darüber hinaus zeigt Engels, dass die Maas schon im 9. Jahrhundert die Sprachgrenze zwischen dem Deutschen und dem aus dem Lateinischen abgeleiteten Französischen darstellte, welches sich die Neuankömmlinge wie die Franken, die Burgunder und andere Westgothen aneignen mussten[15]. Übrigens kennt jeder Schüler rechts und links des Rheins die folgende Geschichte: Als sich Karl und Ludwig, zwei Enkel Karls des Grossen, dazu entschlossen, sich in Strassburg gegen Lothar, den dritten Enkel, zu verbünden, wurde ihr Bündniseid, obwohl ihr Grossvater versucht hatte, das römische Reich wiederherzustellen, nicht auf Latein, sondern zugleich auf Deutsch und Französisch abgelegt, den beiden Sprachen also, die ihre jeweiligen Soldaten verstehen konnten.

So waren die »Elemente neuer Nationen überall« als passive Elemente des historischen Prozesses vorhanden, aber wie Engels einige Zeilen weiter präzisiert, »war nirgends die Kraft vorhanden, diese Elemente zu neuen Nationen zusammenzufassen«[16], d. h. diese Elemente mit der wirtschaftlichen Antriebskraft der Warenproduktion zu verbinden, um daraus einen Hebel für die Entwicklung, einen subversiven historischen Faktor zu machen. Diese Kraft ist selbstverständlich wo die Bourgeoisie, die im Laufe des Mittelalters, wo die staatliche Organisation auf einer a-nationalen Grundlage entsteht, einen langsamen Aufschwung erlebt[17].

Diese Bourgeoisie entwickelt sich aus einem Merkmal der feudalen Gesellschaft: der Arbeitsteilung zwischen dem von den Grundherren beherrschten Land einerseits und den Burgen und Städten andererseits, wo sich die Handwerker und Händler versammeln und gegen die Ansprüche und die überzogenen Forderungen der Adligen verbarrikadieren. Damit fördern sie gegen die Adligen die Tendenz zum monarchistischen Zentralismus, welcher für den Schutz und die Entwicklung ihrer Tätigkeit unentbehrlich ist. Das molekulare Eindringen des Marktes auf dem feudalen Land war der Sauerstoff der Bourgeoisie Europas, die auf dieser Grundlage mit den grossen Entdeckungen und der Schaffung des Weltmarktes einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Sie benutzt von nun an die Staaten, um sich den Weg zur Kolonisierung der ganzen Welt zu öffnen und die Kontinente der farbigen Völker, deren Reichtümer sich jetzt in den Städten Europas zu dem Profit, der den ersten Lohnarbeitern abgepresst wurde, hinzugesellte, einer systematischen Ausbeutung zu unterwerfen. Aus dieser gewaltigen wirtschaftlichen Macht schöpfte die Bourgeoisie die Kraft, um ihre Forderung nach Herausbildung von einheitlichen Nationalstaaten zu stellen, welche die zentralisierten Staaten, die allen Bürgern die gleichen Rechte gewähren sollen, und die Nationalität miteinander verbinden.

Wir haben den Nationalstaat folgendermassen definiert:
»Damit ein Territorialstaat ein Nationalstaat ist, genügt es nicht, dass sich seine Macht mit Hilfe einer Streitkraft auf das gesamte Territorium erstreckt (…) Es muss auch der Handel mit den Gütern und Arbeitsprodukten auf dem gesamten Territorium und zwischen seinen entfernten Punkten möglich sein. Auf der Ebene des juristischen Überbaus drückt sich dies darin aus, dass die Bürger in allen Bezirken des Staates dieselben Rechte geniessen. Erst dann ist der Staat eine Nation. Für den historischen Materialismus ist die Nation also eine Gemeinschaft, die sich auf einem Territorium organisiert, auf dem ein einheitlicher innerer Markt entstanden ist. Dieses historische Ergebnis geht einher mit einer gewissen Gemeinsamkeit des Blutes, aber vor allem der Sprache (ohne Sprache kann man keinen Handel treiben), der Gebräuche und Sitten...«[18]

Den Leser, der sich durch unsere allgemeinen und damit notwendigerweise abstrakten Betrachtungen nicht hat überzeugen lassen, möchten wir dazu auffordern, die ersten Seiten aus Engels hervorragender Schrift über die »Rolle der Gewalt in der Geschichte« zu lesen.[19]

Wir können hier einige Zitate daraus anführen.
»Seit dem Ausgang des Mittelalters«, schreibt Engels, »arbeitet die Geschichte auf die Konstituierung Europas aus grossen Nationalstaaten hin. […] Mit der Entwicklung des Handels, des Ackerbaus, der Industrie und damit der sozialen Machtstellung der Bourgeoisie hob sich also überall das Nationalgefühl, verlangten die zersplitterten und unterdrückten Nationen Einheit aus Selbständigkeit«.
Engels zählt alle Hindernisse auf, die dem Aufschwung der Industrie in den Weg gelegt wurden, sei es infolge der feudalen Zersplitterung und Bürokratie, sei es, weil sie sich nicht auf einen mächtigen Staat stützen konnte, um im Dschungel der internationalen Konkurrenz zu bestehen.

Er bemerkt dann: »Man sieht hieraus, wie das Verlangen nach einem einheitlichen ›Vaterland‹ einen sehr materiellen Hintergrund besass«. Und nachdem er gezeigt hat, wie der »nebelhafte Drang wartburgfestlicher Burschenschafter« mehr und mehr dem »Begehren des praktischen Kaufmanns und Industriellen« Platz gemacht hat, schlussfolgert er:
»Die deutsche Einheit war eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden. Und die Leute, die sie jetzt forderten […] wussten, dass man recht hoch fordern, aber auch liberal ablassen muss. Sie sangen von ›des Deutschen Vaterland‹, darin auch Steierland, Tirol und ›das Österreich, an Ehren und an Siegen reich‹, […] aber sie waren bereit, auf dieses immer grösser sein müssende Vaterland einen recht beträchtlichen Rabatt für bare Zahlung – 25 bis 30 % – zu bewilligen«.

Dies ist das Schicksal der mit Verspätung entstehenden Nationen. Die Romantik ist bereits verflogen, und vom »Vaterland« bleibt nur noch das, was es in Wirklichkeit ist: ein prosaisches bürgerliches Produkt.

So ist die nationale Forderung mit dem Aufschwung des Kapitalismus und der bürgerlichen Klasse untrennbar verbunden. Schon früh hat die Bourgeoisie den nationalen Faktor als Kampfwaffe benutzt. Und in den Dienst der Gliederung grosser geographischer Gebiete in Nationalstaaten gestellt, hat dieser Faktor eine ausgesprochen revolutionäre Rolle in der Geschichte gespielt. Der Haltung des Proletariats gegenüber der »nationalen Frage« liegt natürlich die Anerkennung der subversiven Kraft zugrunde, die die Verbindung von nationalem Faktor und Staat im entstehenden Kapitalismus darstellt. Hierzu führte z. B. Lenin aus:
»In der ganzen Welt war die Epoche des endgültigen Sieges des Kapitalismus über den Feudalismus mit nationalen Bewegungen verbunden. Die ökonomische Grundlage dieser Bewegungen besteht darin, dass für den vollen Sieg der Warenproduktion die Eroberung des inneren Marktes durch die Bourgeoisie erforderlich, die staatliche Zusammenfassung von Territorien mit Bevölkerung gleicher Sprache notwendig ist, bei Beseitigung aller Hindernisse für die Entwicklung dieser Sprache und ihre Entfaltung in der Literatur. Die Sprache ist das wichtigste Mittel des Verkehrs der Menschen untereinander, die Einheit der Sprache und ihre ungehinderte Entwicklung bilden eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen wirklich freien und umfassenden, dem modernen Kapitalismus entsprechenden Handel, für eine freie und umfassende Gruppierung der Bevölkerung nach jeder der einzelnen Klassen, schliesslich eine Voraussetzung für die enge Verbindung des Marktes mit jedem, auch den kleinsten Unternehmer, mit jedem Verkäufer und Käufer.
Die Bildung von Nationalstaaten, die diesen Erfordernissen des modernen Kapitalismus am besten entsprechen, ist daher die Tendenz (das Bestreben) jeder nationalen Bewegung. Die grundlegenden wirtschaftlichen Faktoren drängen dazu, und in ganz Westeuropa – mehr als das: in der ganzen zivilisierten Welt – ist deshalb der Nationalstaat für die kapitalistische Periode das Typische, das Normale.«
[20]

Aber sobald die Gesellschaft sich in grossen Nationalstaaten organisiert hat, sobald die Nation nicht mehr wie anfangs allein eine ökonomische Voraussetzung des Kapitals ist, sondern zu seiner täglichen Lebensform, zur Hülle der kapitalistischen Staaten geworden ist, sobald jeder dieser Staaten unter dem unwiderstehlichen Druck der ökonomischen Bestimmungen dazu neigt, seine Märkte zu erweitern und die der Nachbarn zu erobern, wenn nicht gar andere, völlig herausgebildete und lebensfähige Staaten unter seine Herrschaft zu bringen, dann hat sich der nationale Faktor unwiderruflich im staatlichen Faktor aufgelöst und er schliesst sich dessen Laufbahn an. Der bürgerliche Staat richtet sich in zunehmendem Masse nur noch gegen die ausgebeuteten Klassen und nicht mehr gegen die alten sozialen Verhältnisse, und die Nation dient nur noch als Fahne, unter der der bürgerliche Staat im Namen der vergangenen nationalen Solidarität die ausgebeuteten Klassen zur Einheit und Opferbereitschaft aufruft, aber nicht mehr zu revolutionären, sondern zu entschieden konservativen Zwecken. Die Schranken des Nationalstaates als bürgerliches Produktionsverhältnis sind für die Produktivkräfte, die sie nur noch mit Gewalt zurückhalten können, zu eng geworden. So schrieben bereits die Begründer des Marxismus im »Manifest der Kommunistischen Partei«:
»An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander«. Und sie fügten hinzu: »Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich«.[21]
Der Kapitalismus muss der sozialen Form, die wirklich dem gesellschaftlichen und internationalen Charakter der Produktivkräfte entspricht, den Platz freimachen: der weltweiten Gesellschaft der vereinten Menschheit.

Das Proletariat und die nationale Forderung

Die marxistische Theorie geht davon aus, dass das Proletariat, auch wenn es inmitten einer Periode nationaler Revolutionen entsteht, im Gegensatz zur Bourgeoisie keine nationale Klasse ist. Der Kapitalismus bringt zwei Klassen hervor: Die Bourgeoisie, die sich im Rahmen der Nation entwickeln und festigen will, und das Proletariat, dessen »Kampf gegen die Bourgeoisie mit seiner Existenz beginnt«[22]. Wenngleich es am revolutionären Umsturz der Feudalordnung interessiert ist, zielt das Proletariat weit darüber hinaus und bedarf der »Revolution in Permanenz«, bis die wichtigsten Länder der Welt gemeinsam die Zerstörung aller bestehenden Eigentumsverhältnisse in Angriff nehmen und die Gesellschaft auf die Höhe einer vergesellschafteten, kollektiven Wirtschaft heben können.

Von Anbeginn erklärt der Marxismus, dass der Kapitalismus dem Proletarier »allen nationalen Charakter«[23] abgestreift hat. Mit Stolz verkündet er:
»Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben«. Und er führt näher aus: »Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muss, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.«[24]
Die Bourgeoisie erblickt in ihm den Endpunkt der historischen Entwicklung; für das Proletariat hingegen liefert er nur die Form, in der es seinen Kampf gegen die Bourgeoisie begonnen hat und in der es die Macht an sich reissen wird, bevor es diese Form selbst überwindet.
»Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden«, erklärt das »Manifest«, das an anderer Stelle hinzufügt: »Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung. In dem Masse, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.«[25]
Das entstehende Proletariat kämpft also für die Nation, es macht aus ihr aber keinen Fetisch. Ganz im Gegenteil. Für das Proletariat stellt sie nicht »sein Vaterland« dar, sondern das der Bourgeoisie, die es im Kampf gegen die alten Klassen und ihre Verteidiger unterstützt.

Man kann in diesem Zusammenhang an das erinnern, was Engels in seinem Brief vom 27. Juni 1893 an Lafargue in bezug auf das Manifest der französischen Arbeiterpartei vom 17. Juni schrieb. Um auf die »Dummheiten der Anarchisten und der boulangistischen Hurrapatrioten« zu antworten, die wie aus einem Munde sprachen und den Sozialismus in dem Sinne für »antinational« und »antipatriotisch« erklärten, dass er die »Nation« und das »Vaterland« leugnen würde, hatte sich die französische Partei »eindeutig für patriotisch«[26] erklärt. Laut Engels hatte die Partei recht, wenn sie dem entgegnete, dass der Sozialismus nicht die nationale Wirklichkeit leugnet, sondern sie überwindet: Aus diesem Grunde ist er internationalistisch und nicht antinational. Dabei bekämpft er aber den bürgerlichen Staat – der den Weg zu einer höheren sozialen Form versperrt – und das nationale Prinzip, d. h. die Erhebung der Nation zu einem Selbstzweck. Engels macht daher folgende Einschränkung:
»Ich will nicht von der Anwendung des Wortes Patriot sprechen, davon, dass Sie sich als die einzigen ›wahren‹ Patrioten hinstellen. Dieses Wort hat einen so engen Sinn – oder besser einen so unbestimmten, je nachdem –, dass ich es niemals wagen würde, mir diese Bezeichnung beizulegen. Ich habe zu Nichtdeutschen als Deutscher gesprochen, ebenso wie ich zu den Deutschen als einfacher Internationaler spreche, und ich glaube, Ihr hättet eine grössere Wirkung erreichen können, wenn Ihr Euch einfach als Franzosen erklärt hättet – was eine Tatsache ausdrückt, eine Tatsache, welche die logischen Folgen, die sich daraus ergeben, einschliesst. Aber lassen wir dies, das ist eine Frage des Stils.«
Was jedoch Engels zu seiner Antwort bewog, war hauptsächlich die Art der Franzosen, »von der Republik als etwas für das Proletariat an sich Wünschenswertem und von Frankreich als dem auserwählten Volk zu sprechen«[26] Die Geschichte hat tragischerweise gezeigt, dass der alte revolutionäre Militante zu recht beunruhigt war. 21 Jahre später sollte der französische Sozialismus im Namen der Verteidigung der französischen Republik als notwendige Voraussetzung für den Übergang der ganzen Menschheit zum Sozialismus (immerhin!) das Proletariat an Händen und Füssen gebunden dem Generalstab des imperialistischen Krieges ausliefern. Die »Frage des Stils« war also zu einer »Frage des Inhalts« geworden, und der Fehler Lafargues war zum Sozialimperialismus und Sozialpatriotismus herangereift. Jawohl, der Marxismus ist antipatriotisch, insofern er leugnet, dass das Proletariat ein patriotisches Prinzip zu verteidigen hätte.

Ausgehend zunächst von dem abstrakten Niveau der Aufeinanderfolge der Produktionsweisen haben wir bisher gezeigt, dass das Proletariat am Kampf für den Nationalstaat als sehr allgemeine historische Forderung ein Interesse hat. Die Gesellschaftsordnungen lösen sich in der Geschichte jedoch infolge von Revolutionen ab. Letztere werden durch den Zusammenstoss zwischen den aufstrebenden Produktivkräften und den sozialen Verhältnissen hervorgerufen, die sich auf einer gewissen Entwicklungsstufe als Hemmnis erweisen. Und – was vor allem wichtig ist – dieser ökonomische Antagonismus drückt sich in einem sozialen Zusammenstoss aus. Wenn dieser seine höchste Zuspitzung erfährt, wird er zu einem politischen Zusammenstoss zwischen verschiedenen sozialen Kräften: jenen, die ein Interesse an der Umwälzung der alten Rechtsverhältnisse haben, welche eine immer unerträglichere Unterdrückung bedeuten, und jenen, die diese Verhältnisse verteidigen und sich zu den aktiven Verfechtern dieser ökonomischen, sozialen und politischen Unterdrückung machen.

Die Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse treibt nicht nur die Kapitalisten dazu, die Zirkulationsfreiheit der Menschen und Waren sowie die Rechtsgleichheit auf dem grösstmöglichen Territorium zu fordern, sondern sie treibt ebenfalls die Vorgänger des modernen Proletariats dazu, diese Forderungen zu stellen, jene freien Arbeiter, die entweder auf der Suche nach einer Arbeit von Stadt zu Stadt irren müssen und dabei von den Zunftregelungen und der allgemeinen Rechtsungleichheit stark behindert werden oder die am Stadtrand zusammengepfercht leben, wo sie aufgrund der behinderten Entwicklung des inneren Marktes ausgehungert werden. So haben also auch die Proletarier ein Bedürfnis nach Rechtsgleichheit und freier Zirkulation der Lebensmittel und der Menschen, und zwar ebenfalls auf dem grösstmöglichen Territorium; und nicht minder haben sie das Bedürfnis nach Abschaffung der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse.

Und gerade weil die breiteste soziale Ebene unter den Bedingungen des entstehenden Kapitalismus im allgemeinen die nationale Ebene ist, sind Freiheit, Gleichheit und nationale Einheit in der bürgerlichen Revolution eng miteinander verknüpft und stehen die »vogelfreien Proletarier« an der vordersten Front des antifeudalen Kampfes. Sie brauchen die bürgerliche Revolution ebenso sehr wie die Bourgeois selbst. Ausserdem ist es für sie – im Gegensatz zu den Bourgeois – nötig, dass sie so radikal wie möglich sei[27].

Dies führt unweigerlich dazu, dass sie sich – auf dem Boden und im Laufe der bürgerlichen Revolution – von den Bourgeois absondern, die früher oder später zu einem Kompromiss mit den alten herrschenden Klassen getrieben werden, deren Erbe sie antreten, auch wenn sie ihnen vorübergehend als Feinde gegenüberstehen.

Das Proletariat macht sich also die nationale Forderung im Laufe der bürgerlichen Revolution zu eigen. Es verfolgt mit ihr aber ein anderes Ziel als die Bürgerlichen. Diese Forderung hat für das Proletariat im wesentlichen einen subversiven, einen »negativen« Charakter: Es geht dem Proletariat nicht darum, »die Nation aufzubauen«, was darauf hinauslaufen würde, das Proletariat den Bedürfnissen der Errichtung des Nationalstaats, des Klassenstaats der Bourgeoisie zu unterwerfen. Es geht ihm vor allem darum, mit dem Abwerfen des feudalen Jochs die Hindernisse für seine eigene Entwicklung als Klasse zu zerstören.

Die Zerstörung der alten sozialen Verhältnisse sichert dem Proletariat in der Tat die grösste – durch den Kapitalismus notwendig gewordene – Bewegungsfreiheit, und sie erleichtert gleichzeitig den vollständigen Zusammenschluss der proletarischen Reihen durch die breite Beteiligung an den antikapitalistischen Kämpfen. Sie schafft den breitesten Boden, auf dem sich die proletarischen Kräfte vereinigen können, sie schaufelt auf die schnellste und radikalste Weise den Boden für den modernen Klassenkampf frei und beschleunigt damit nicht nur die ökonomischen, sondern auch die politischen Bedingungen für die kommunistische Revolution.

Der günstigste Fall ist, dass das Proletariat beim Zusammenbruch des Feudalstaates auf den Nationalstaat verzichten kann, um seinen eigenen Staat zu errichten, der, wenn er auch eine nationale Form annehmen kann, seinem Inhalt nach doch nie national ist, weil er ein Instrument des internationalen Kampfes bildet. Dies ist die Perspektive der doppelten Revolution, die 1848 für Deutschland ausgearbeitet wurde und 1917 in Russland politisch siegreich gewesen ist.

Aber selbst wenn dieser günstigste Fall nicht eintritt, ist das Proletariat an der Konstituierung der Gesellschaft in nationale Staaten interessiert; denn sie ist auch die beste Form, um die nationale Unterdrückung zu bekämpfen, eine Unterdrückung, die die vereinigte Aktion des Proletariats der verschiedenen Länder, die der Marxismus als eine der ersten Bedingungen für die proletarische Emanzipation betrachtet, verhindert. Gewiss ist das völlige Verschwinden der nationalen Unterdrückung nur mit dem Kommunismus möglich. Das Problem liegt aber darin, dass die internationale Vereinigung der Proletarier ohne den Kampf gegen jegliche nationale Unterdrückung unmöglich ist.

Kehren wir wieder zu Engels zurück. Er schreibt:
»Seit dem Ausgang des Mittelalters arbeitet die Geschichte auf die Konstituierung Europas aus grossen Nationalstaaten hin. Solche Staaten allein sind die normale politische Verfassung des europäischen herrschenden Bürgertums und sind ebenso unerlässliche Vorbedingungen zur Herstellung des harmonischen internationalen Zusammenwirkens der Völker, ohne welches die Herrschaft des Proletariats nicht bestehen kann! Um den internationalen Frieden zu sichern, müssen vorerst alle vermeidlichen nationalen Reibungen beseitigt, muss jedes Volk unabhängig Herr im eigenen Hause sein«[28].
Wenn also die Bourgeoisie diese Aufgabe der nationalen Konstituierung so erfüllt, dass so wenig wie möglich nationale Verfolgungen und Reibungen fortbestehen, dann um so besser für das Proletariat! Nebenbei gesagt hat Lenin, der angeblich mit »seiner« völlig neuen Theorie der »Selbstbestimmung« den Marxismus umgeworfen haben soll, diesem keineswegs eine »neue Entdeckung« beschert. Als aufmerksamer Schüler hat er in Wirklichkeit nichts anderes getan, als die traditionelle Position des Marxismus zur nationalen Frage wiederaufzunehmen und sie in allen Einzelheiten zu entwickeln.

Gerade hier muss sich jede ungenügend dialektische Position zwangsläufig das Genick brechen, denn von der »nationalen Frage« bleiben unvermeidlich historische Überreste bestehen. In der Tat wird die Unterdrückung der Nationalitäten, die die Bourgeoisie als Ausbeuterklasse von ihren Vorgängern übernimmt, notwendigerweise zu einem Bestandteil der Klassenunterdrückung, und sie wird erst durch den Kommunismus abgeschafft werden können. Mehr noch, je mehr der Kapitalismus die nationalen Grenzen zu überwinden neigt, um so imperialistischer wird der Nationalstaat und um so üblicher wird die Unterdrückung von kleinen Nationen durch grosse und sogar die Unterdrückung von grossen, durchaus lebensfähigen Staaten durch riesige Staatsungeheuer. Alle diese nationalen Diskriminierungen und Unterdrückungen bringen natürlich besondere Reaktionen hervor[29]. Die pedantischen Doktrinäre und die Philister aller Art rufen die Proletarier dazu auf, sich gegenüber dieser »unreinen« Frage gleichgültig zu verhalten. Sie tun dies unter dem Vorwand, diese Frage würde vom Kampf für den Kommunismus, den sie sich nur im Abstrakten vorstellen können, ablenken. Aber selbst wenn die bürgerliche Revolution abgeschlossen ist und vom wirtschaftlichen Standpunkt die Schaffung von neuen Nationalstaaten in den grossen vollauf kapitalistisch gewordenen Gebieten nicht mehr gerechtfertigt ist, muss das Proletariat unbedingt weiterhin gegen die dort fortbestehende nationale Unterdrückung kämpfen. Es handelt sich hierbei entweder um Nationen, die seit sehr langer Zeit unterdrückt werden und in einem Zustand der ständigen sowohl politischen als auch wirtschaftlichen Unterwerfung gehalten werden, wie dies für Polen und Irland im vorigen Jahrhundert galt und heute noch auf den Ulster zutrifft, oder um fremdstämmige Bevölkerungen, die infolge von Kriegen, diplomatischen Arrangements oder ähnlichem mit Gewalt annektiert wurden. Das Proletariat kann nur dann gegen diese nationale Unterdrückung kämpfen, wenn es gleichzeitig ausdrücklich erklärt, dass die von ihm angestrebte Verschmelzung der Nationalitäten nicht durch Gewalt, sondern allein durch die freie Zustimmung erreicht werden wird. Wie ernst dieses Versprechen gemeint ist, zeigt sich darin, dass das Proletariat des unterdrückenden Landes es sich zur Aufgabe macht, gegen seinen eigenen Staat zu kämpfen, nicht nur weil dieser die Interessen seiner eigenen Bourgeoisie verkörpert und verteidigt, sondern auch weil er die kleineren Nationalitäten unterdrückt und mit Füssen tritt, für die das Proletariat das Recht auf Selbstbestimmung anerkennt. Es geht dabei nicht wie die bürgerliche Ideologie vom Standpunkt der abstrakten Prinzipien aus, sondern vom Standpunkt der Interessen des proletarischen Klassenkampfes, der sich über alle staatlichen Grenzen und über alle Unterschiede der Rassen, Sprachen, Sitten usw. hinweg erstreckt.

Das Proletariat desjenigen Landes, das mit Gewalt innerhalb der Grenzen eines Staates gehalten wird, erhebt seinerseits und aus denselben prinzipiellen Gründen den Bruch mit diesem Staat nicht zur zentralen Forderung, ganz im Gegensatz zur eigenen Bourgeoisie und vor allem Kleinbourgeoisie. Es macht aus der nationalen Forderung, die möglicher-, aber nicht notwendigerweise bis zur Lostrennung gehen kann, ein Kettenglied seines Kampfes zur Zerstörung des unterdrückenden Staates, eines Kampfes, den es in enger Verbindung mit dem gesamten Proletariat dieses Staates führt[30]. Nur so kann sich der Klassenkampf auf beiden Seiten in seinem vollen Umfang entfalten und die lähmenden und verhängnisvollen nationalen Abschottungen sprengen.

Obwohl Marx und Engels vom deutsch-französischen Krieg 1870 den Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs und die Verwirklichung der deutschen Einheit als positives Ergebnis erwartet hatten, schloss die 1. Internationale nicht nur jede proletarische Unterstützung der preussischen Regierung aus, um der Arbeiterklasse im Hinblick auf den möglichen Übergang von einem »Verteidigungskrieg« zu einem Angriffs- und Raubkrieg eine völlige Unabhängigkeit zu sichern. Sie führte auch eine entschiedene Kampagne gegen die Schläge, die Bismarck an Frankreich austeilte, insbesondere gegen die Annexion Elsass-Lothringens, und zugleich trat sie für die aktive Solidarität mit der Pariser Kommune ein, die die Zielscheibe der koalierten französischen und deutschen Bourgeoisien war. Später bekämpften Marx und Engels in Frankreich den Revanchismus und den Chauvinismus, der sich in der Forderung nach der Rückgabe Elsass-Lothringens ausdrückte, und in Deutschland die Unterdrückung dieser dem Reich mit Gewalt einverleibten Provinzen, denen die Partei versprach, dass eine proletarische Regierung in Deutschland ihnen die Freiheit geben würde, der einen oder anderen Nation anzugehören bzw. die Unabhängigkeit zu wählen, während die Arbeiter dieser Regionen gleichzeitig für die Stärkung der deutschen Sozialdemokratie arbeiteten. Andererseits ist der Marxismus im erzbürgerlichen europäischen Gebiet weiterhin für die Unabhängigkeit Irlands eingetreten, als einer notwendigen Voraussetzung, um den Boden für den revolutionären Klassenkampf in Grossbritannien freizulegen und damit die beiden bislang durch den Graben der nationalen Unterdrückung gespaltenen Arbeiterklassen ihre Kräfte im gemeinsamen Angriff gegen den gemeinsamen Feind auf beiden Seiten des St. Georgs-Kanals vereinigen könnten.

An diesem Punkt unserer Untersuchung angelangt, scheint es uns nützlich, uns einen Augenblick bei den Hirngespinsten Stalins aufzuhalten, dessen angebliches Genie dem Marxismus das hinzugefügt haben soll, was ihm bis dahin fehlte, nämlich eine Theorie der Nation. So lautet zumindest die landläufige These, die von den stalinistischen Parteien und später dem Maoismus in allen Ländern verbreitet wurde, freilich dank der Konterrevolution und der Zerstörung der kommunistischen Bewegung und des Marxismus durch die Erbauer des »Sozialismus in einem Land«.

Stalin war immer sehr stolz, in seiner Jugend geschrieben zu haben:
»Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart«.[31]

Über die »psychische Wesensart« wollen wir hinweggehen. Ziel seiner Arbeit war, die Auffassungen des Austro-Marxismus in der Frage der Nationalitäten (die auch in Russland zu Verwüstungen führten) zu bekämpfen. Er bewies zunächst, dass das Proletariat des unterdrückenden Landes sich nicht damit begnügen kann, die »nationale Autonomie« der unterdrückten Nation zu fordern, sondern dass man im Interesse der Vereinigung der Proletarier aller Nationalitäten das »Recht auf Lostrennung« fordern musste. Weiterhin ging es darum, dem »Bund« zu antworten, der mit dem Ziel, eine getrennte Organisation der jüdischen Proletarier zu rechtfertigen, die Existenz einer vermeintlichen »jüdischen Nation« theoretisierte.

Aber Definitionen taugen eben, was sie taugen, und werden zum grossen Teil von den Umständen bedingt. Hier bei Stalin war die Betonung des Territoriums und des gemeinsamen wirtschaftlichen Lebens unentbehrlich für die Polemik gegen den »Bund«; diese verlangte aber nicht die besondere Hervorhebung der Tatsache, dass die Nation notwendigerweise aus gegensätzlichen sozialen Klassen besteht, was wir in »Fattori di razza e nazione« zu zeigen bemüht waren. Dies erklärt allerdings auch, dass jeder dahergelaufene bürgerliche Ideologe die Definition und die Arbeit Stalins, zumindest auf theoretischer Ebene[32], benutzen kann, ohne sich durch den Marxismus zu kompromittieren. Nichtsdestoweniger lag der »wunderbare Georgier«, dem Lenin zu seinem Artikel gratulierte, politisch richtig und vor allem blieb er im Einklang mit der marxistischen Theorie, denn der Artikel erklärte – was viel wichtiger als eine Definition ist –, dass die Nation »eine historische Kategorie einer bestimmten Epoche, der Epoche des aufsteigenden Kapitalismus« ist. Und er erinnerte sogar an die Abschnitte aus dem »Manifest« über das Verschwinden der »nationalen Absonderungen«.

Damals war die bolschewistische Partei eine echt kommunistische Partei, und sie konnte die Energien der Militanten in eine revolutionäre Richtung lenken. Man würde aber vergeblich eine Kontinuität zwischen dem Text von 1913 und Positionen, wie jener 1925 formulierten, suchen:
»Man redet davon (wie das z. B. Kautsky tut), dass in der Periode des Sozialismus eine allgemeinmenschliche Einheitssprache geschaffen werden wird und alle anderen Sprachen absterben werden. Ich glaube kaum an diese Theorie einer allumfassenden Einheitssprache.«

Von der Höhe seiner »theoretischen« Selbstgefälligkeit oder, besser gesagt, die Theorie auf einen platten Empirismus reduzierend, setzte Hochwürden hinzu:
»jedenfalls spricht die Erfahrung nicht für, sondern gegen diese Theorie.«

Und nun das erstaunliche Argument, das auf diese Behauptung folgt:
»Bis jetzt ist es so gewesen, dass die sozialistische Revolution die Zahl der Sprachen nicht vermindert, sondern vermehrt hat, denn sie rüttelt die tiefsten Tiefen der Menschheit auf, stösst sie auf die politische Arena hinaus und erweckt eine ganze Reihe neuer, früher gar nicht oder wenig bekannter Nationalitäten zu neuem Leben«.[33]

Diese einen wirklich aus der Fassung bringende Entdeckung ist zweifelsohne das Produkt der idealistischen Verblendung. Die Revolution soll also durch die Abschaffung der Unterdrückung der kleineren Sprachen »neue Nationalitäten zu neuem Leben erwecken«. Wenn solche Sprachen und Nationalitäten das Licht erblicken, so in Wirklichkeit, weil sie schon wie das Kind im Schosse der Mutter vorhanden waren: Die Revolution bringt in der Gesellschaft nichts hervor, was nicht schon vorher existiert hätte. Sie ist der »Geburtshelfer der Geschichte« und das einzige, was sie tut, ist, das nationale Joch, das ein Hemmnis für die geschichtliche Entwicklung ist, abzuschütteln.

Später, 1929[34], hat Stalin dieses »Erwecken der Nationalitäten« zur Theorie erhoben und zwei Phasen in den Beziehungen zwischen der proletarischen Diktatur und der Nation unterschieden:
»Es wäre falsch zu glauben, dass die erste Etappe der Periode der Weltdiktatur des Proletariats den Anfang des Absterbens der Nationen und nationalen Sprachen, den Anfang der Herausbildung einer einheitlichen, gemeinsamen Sprache bilden werde. Umgekehrt, die erste Etappe, in deren Verlauf die nationale Unterdrückung endgültig aus der Welt geschafft sein wird, wird die Etappe sein, in der die früher unterdrückten Nationen und nationalen Sprachen wachsen und aufblühen werden, die Etappe, in der sich die Gleichberechtigung der Nationen behaupten, die Etappe, wo das gegenseitige nationale Misstrauen verschwinden wird, die Etappe, wo sich die internationalen Bindungen zwischen den Nationen herausbilden und festigen werden. Erst in der zweiten Etappe der Periode der Weltdiktatur des Proletariats wird in dem Masse, wie sich […] eine einheitliche sozialistische Weltwirtschaft herauszubilden anfangen wird, erst in dieser Etappe wird sich etwas in der Art [sic!] einer gemeinsamen Sprache herauszubilden beginnen; denn erst in dieser Etappe werden die Nationen die Notwendigkeit empfinden, neben ihren eigenen nationalen Sprachen eine gemeinsame internationale Sprache zu haben zum Zweck bequemerer Verkehrsverbindungen und einer bequemeren ökonomischen, kulturellen und politischen Zusammenarbeit.«

Eine solche Theorie bedeutet, dass das Proletariat in einem bestimmten Augenblick nicht nur die nationale Unterdrückung bekämpfen, sondern auch ein »positives« nationales Programm aufstellen müsste. Wäre dies aber die Haltung des Proletariats in der ersten Phase seiner Herrschaft, so müsste es dieses Programm logischerweise schon vor der Machteroberung verteidigen.

»Die Losung der Arbeiterdemokratie heisst nicht ›nationale Kultur‹, sondern internationale Kultur des Demokratismus und der Arbeiterbewegung der ganzen Welt. Mag die Bourgeoisie das Volk mit allen möglichen ›positiven‹ nationalen Programmen betrügen. Der klassenbewusste Arbeiter wird ihr entgegnen: Es gibt nur eine einzige Lösung der nationalen Frage (soweit ihre Lösung in der Welt des Kapitalismus, in der Welt der Profitmacherei, der Zwietracht und der Ausbeutung überhaupt möglich ist), und diese Lösung lautet: konsequenter Demokratismus.«[35] Und Lenin fährt fort: »Fortschrittlich ist das Erwachen der Massen aus dem feudalen Schlaf, ihr Kampf gegen jede nationale Unterdrückung, für die Souveränität des Volkes, für die Souveränität der Nation. Daher die unbedingte Pflicht des Marxisten, auf allen Teilgebieten der nationalen Frage den entschiedensten und konsequentesten Demokratismus zu verfechten. Das ist in der Hauptsache eine negative Aufgabe. Weiter aber darf das Proletariat in der Unterstützung des Nationalismus nicht gehen, denn dann beginnt die ›positive‹ (bejahende) Tätigkeit der nach Stärkung des Nationalismus strebenden Bourgeoisie«.[36]
Wenn das Proletariat eine Aufgabe hat, so nicht die Entwicklung der Nationalitäten und der nationalen Kulturen, sondern die der »internationalen Kultur des Demokratismus und der Arbeiterbewegung der ganzen Welt«[37] zu fördern. Und es stützt sich dabei auf »die welthistorische Tendenz des Kapitalismus zur Niederreissung der nationalen Schranken, zur Verwischung der nationalen Unterschiede, zur Assimilation der Nationen, die mit jedem Jahrzehnt immer mächtiger hervortritt und eine der grössten Triebkräfte darstellt, die den Kapitalismus in Sozialismus verwandeln«.[38]

Kehren wir jetzt zur Frage der Weltsprache zurück, mit der der »glänzende« Theoretiker Stalin die Existenz von zwei Perioden in der Diktatur des Proletariats hinsichtlich der nationalen Frage zu beweisen vorgab. In Wirklichkeit bedarf es keineswegs einer vermeintlichen zweiten Periode der Diktatur, damit sich die Tendenz zur Entwicklung einer Weltsprache bemerkbar macht und für die »bequemere Verkehrsverbindung« zwischen den verschiedenen Nationen als notwendig empfunden wird. Es bedarf hierfür nicht einmal der ersten Periode der Diktatur aus dem guten Grund, dass es diese Tendenz schon vor der Machteroberung gibt. In der Tat ist die kommunistische Revolution im internationalen Massstab durch die Tatsache bedingt, dass die Beziehungen zwischen den Nationen zu dicht und zu eng geworden sind, um der Menschheit einen anderen Ausweg als die Überwindung der nationalen Gegensätze zu erlauben. Vor allem können diese Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus zu nichts anderem führen als entweder zu einer immer unerträglicheren nationalen Unterdrückung und einer Aufeinanderfolge zunehmend mörderischer Kriege, oder zur kommunistischen Revolution und der Verschmelzung der Nationen. Mehr noch: Diese Tendenz, die in der Phase des reifen, und um so mehr des senilen Kapitalismus stärker wird und vorherrscht, beginnt tatsächlich mit der Existenz des Kapitalismus selbst, die ja voraussetzt, dass bereits die ersten Grundsteine des Weltmarktes und der Beziehungen zwischen allen Teilen der Welt gelegt sind. Wie es im »Manifest« heisst:
»Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum grossen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füssen weggezogen.«[39]
Hier liegt offensichtlich die Grundlage für die Tendenz zur Entwicklung einer Weltsprache. Und im übrigen, wie sagt man »Imperialismus« in den verschiedenen Ländern, und wie nennt man an den verschiedenen Enden der Welt jene Kraft, die ihn zerschlagen kann, das »Proletariat«? Wenn Stalin seinen Widersachern sagt:
»Dabei vermengen Sie ganz verschiedene Dinge: Die ›Beseitigung der nationalen Unterdrückung‹ mit der ›Aufhebung der nationalen Unterschiede‹, die ›Beseitigung der nationalen Staatsschranken‹ mit dem ›Absterben der Nation‹, mit der ›Verschmelzung der Nationen‹»[40],
so befindet er sich in vollkommenem Widerspruch zum Marxismus, für den die »Aufhebung der nationalen Unterschiede« und die »Verschmelzung der Nationen« ein und dasselbe Phänomen ist, selbst wenn es die »Beseitigung der nationalen Unterdrückung« und die der »nationalen Staatsschranken« voraussetzt.

Einige grosse Lehren aus dem nationalen Zyklus in Europa

Wir haben gesehen, dass der Marxismus seit jeher eine etwaige nationale Natur des Proletariats widerlegt und die Forderung nach dem einheitlichen Nationalstaat als zeitbedingt betrachtet hat. Für das Proletariat gibt es kein nationales Prinzip: Als Faktor in der Geschichte sieht es die Nation in einem einzigen Zusammenhang mit der bürgerlichen Revolution, es ordnet sie dieser Revolution und seinem eigenen Kampfe unter. Dies kennzeichnet die marxistische Theorie. Der bürgerliche Idealismus mag seinerseits in der Tat »zugeben«, dass der nationale Faktor mit der bürgerlichen Revolution verbunden ist, für ihn stellt sie aber die letzte Revolution in der Geschichte der Menschheit dar.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Theoretiker des heutigen kleinbürgerlichen Sozialismus kaum vom bürgerlichen Idealismus. Unter dem Vorwand der Beteiligung der »Volksmassen« hängen sie der antifeudalen Revolution lediglich ein »sozialistisches« Mäntelchen um. Für den Marxismus hingegen bleibt eine radikale Volksrevolution, weiche die Hindernisse für die Entwicklung des Marktes zerstört und die politische Unabhängigkeit erobert, dennoch eine bürgerliche Revolution, selbst wenn wir für sie kämpfen und darauf hinarbeiten, dass das Proletariat sich an ihr stärkt, um die Macht für sich selbst zu erobern. Und wenn letzteres geschieht, verwandelt sich die Revolution wohl in eine proletarische. Ihre Aufgaben im wirtschaftlichen Bereich bleiben dennoch solange bürgerlich, wie sie noch auf die Ausbreitung der Revolution auf die industriellen Spitzenländer warten muss, um dann in Verbindung mit ihnen die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft in Angriff nehmen zu können. Dies war die Auffassung Lenins und der Bolschewiki und ist natürlich nach wie vor unsere Auffassung. Die bürgerliche Theorie behauptet, die bürgerliche Revolution sei nur ein Mittel für die Verwirklichung der »Ideale« der Demokratie, der Nation und anderer vermeintlich ewigen Werte. Hier liegt ihre vollkommen falsche Seite. Für den Marxismus läuft der Prozess gerade umgekehrt. Das Proletariat stützt sich auf den nationalen Faktor und die Demokratie, um die bürgerliche Revolution auf die radikalste Art durchzuführen, da zu hoffen ist, dass sie, wenn sie bis zu Ende geführt wird, die Macht in seine Hände legt. Der kleinbürgerliche Idealismus erblickt in der Nation ein Ideal, das mit allen, gegebenenfalls mit nichtrevolutionären Mitteln zu erreichen ist. Für das Proletariat hingegen ist die nationale Forderung ein Hebel der bürgerlichen Revolution – allein deshalb verdient sie seine Unterstützung. Und in einer Weit, in der gegensätzliche bürgerliche Interessen aufeinanderprallen, kann sich diese Forderung unter Umständen in ein Instrument gegnerischer Kräfte, in ein Instrument der Konterrevolution verwandeln. Doch beziehen wir uns auf die historische Erfahrung.

Äusserst günstige geographische Bedingungen und eine frühzeitige bürgerliche Entwicklung führten in England bereits im 17. Jahrhundert zur Bildung eines modernen Staates. Auf dem europäischen Festland fand die Herausbildung von Nationalstaaten erst später, nämlich 1871, ihren Abschluss. In der Folge gelangte der nationale Faktor in Ost- und Südosteuropa zur Reife. Von hier aus übertrug er seine Bewegung auf Asien – namentlich durch die Revolution von 1905, aber auch mit den Balkankriegen von1912 bis 1913 und schliesslich mit der bolschewistischen Revolution. Diese setzt mit der Festigung der Sowjetmacht 1920 den Schlussstein des nationalen Zyklus im grossslawischen Gebiet. Wir wollen aber die Phase der revolutionären Umwälzungen in Westeuropa von 1789 bis 1871 betrachten, dieselbe Phase, in deren Verlauf der Marxismus seine ersten Kämpfe lieferte. Gerade hier kann man feststellen, was das revolutionäre Proletariat von der bürgerlich-nationalen Bewegung erwarten kann und darf, hier kann man ausserdem verdeutlichen, zu welchem Zeitpunkt sich der Zyklus vollendet, in dessen Verlauf die bürgerliche Forderung nach einem einheitlichen, mit der Nationalität übereinstimmenden Staat einen fortschrittlichen Charakter besitzt. Nun sind die Lehren aus dieser Epoche um so überzeugender, als noch nicht das Proletariat, sondern die Bourgeoisie die historische Initiative hatte, wenngleich der heftige Zusammenstoss mit den feudalen Klassen das Proletariat auf der Grundlage seiner eigenen Interessen zu den heroischen Vorstössen vom Juni 1848 und März 1871 antrieb.

Bei Beginn und Abschluss des nationalen Zyklus haben wir nicht mit einzelnen Ländern zu tun, sondern – und hier liegt eine erste grosse Lehre des Marxismus – mit ganzen geographischen Gebieten, auf deren Konstituierung in grosse Nationalstaaten die Geschichte hinarbeitet (siehe Engels). Das Ziel ist also, grosse Staaten zu bilden, und nicht jede Nationalität mit einem eigenen Staat zu versehen. Dies soll nicht verwundern, denn im Lichte des Marxismus soll der nationale Faktor der Gliederung der Gesellschaft in grosse Staaten dienen, die, wie wir bereits ausführten, den geeignetsten Rahmen für die bürgerliche Entwicklung und den günstigsten Boden für den modernen Klassenkampf liefern.

»Marx« – schrieb Lenin - gehörte nicht zu jenen Pedanten und Philistern der Revolution, die in revolutionären geschichtlichen Augenblicken nichts so sehr fürchten wie eine 'Polemik'. Er überschüttete den 'humanen’ Bürger Ruge mit schonungslosen Sarkasmen und zeigte ihm am Beispiel der Unterdrückung Südfrankreichs durch Nordfrankreich, dass nicht jede nationale Unterdrückung stets ein vom Standpunkt der Demokratie und des Proletariats gerechtfertigtes Streben nach Unabhängigkeit hervorruft.«[41]
Für den Marxismus bilden sich die grossen Nationen durch ihre Wechselbeziehungen und sie verleiben sich alle kleinen Nationalitäten ein, wofür es je nach der Entwicklung der ökonomischen und historischen Beziehungen zu den grossen Nachbarstaaten eine Vielzahl von Formen und Verbindungsmöglichkeiten gibt. In seiner Schrift »Po und Rhein« zeigte Engels, dass sich die Konstituierung Europas aus neuen Staaten,
»sofern sie dauerhaft sein will«, auf die »grossen und lebensfähigen europäischen Nationen« stützen müsste. »Die Volkstrümmer, die sich hier und da noch finden und die einer nationalen Existenz nicht mehr fähig sind, bleiben den grösseren Nationen einverleibt und entweder gehen sie in ihnen auf oder sie erhalten sich nur als ethnographische Denkmäler ohne politische Bedeutung«[42]. Wir sind hier weit entfernt vom vermeintlichen »Nationalitätenprinzip« der Bourgeoisie, demzufolge jede Nationalität ein unergründliches historisches Recht auf einen eigenen Staat hätte[43].

Dieser Prozess der Assimilierung der kleinen Nationalitäten und der Herausbildung von grossen Staaten wird natürlich auch von der Revolution beeinflusst, denn die Anziehungskraft der grossen Nationalitäten auf die kleinen Völker oder gar Volkstrümmer anderer Nationalitäten hängt natürlich vom Radikalismus der Revolution ab. Dadurch wird die untergeordnete Rolle des nationalen Faktors gegenüber dem sozialen Faktor bestätigt. Nehmen wir Grossbritannien als Beispiel. Ausserordentliche geographische Bedingungen erlaubten hier immer wieder die Verschmelzung mehrerer Rassen: Kelten, Römer, Dänen, Sachsen und Normannen. Sie liessen schliesslich drei Nationalitäten – die englische, die walisische und die schottische – ohne grössere Zusammenstösse zusammenleben. Die irische Nationalität konnte aber nicht einverleibt werden. Die Ursache hierfür liegt in der Unterdrückung Irlands, das den drei Nationalitäten der »grossen Insel« als Beute hingeworfen wurde. Diese Unterdrückung verhinderte die Radikalität der Republik der »Rundköpfe« und züchtete eine Klasse von erzreaktionären Grundbesitzern; sie begünstigte schliesslich die Knechtung des englischen Proletariats. Dementsprechend hat der Marxismus seit der Zeit der I. Internationale die Selbstbestimmung Irlands als eine lebenswichtige Frage für die proletarische Bewegung der britischen Inseln auf seine Fahne geschrieben. Im Laufe der französischen Revolution hingegen, die aufgrund der Bedürfnisse des antifeudalen Krieges in Europa die Gleichberechtigung weit vorantrieb, wurden in der revolutionären Glut Nationalitäten wie die baskische, die jenseits der Pyrenäen grosse Probleme stellt, eingeschmolzen. Und dasselbe gilt für Fragmente fremder Nationalitäten, die wie die Korsen kürzlich annektiert worden waren oder sich wie die Elsässer und Lothringer schlichtweg der Revolution anschlossen, obwohl sie deutschsprachig waren. Eine Antizipation dieser Erscheinungen hatte es im Laufe der ersten Welle der europäischen Revolution im 16. Jahrhundert gegeben. Die Revolution war damals in Deutschland und Ungarn geschlagen worden, sie hatte aber in Schottland gesiegt, zur Lostrennung der kleinen holländischen Nation vom Deutschen Reich und zur Bildung der Schweiz, der Mutter aller Republiken, aus Teilen der drei grössten Nationalitäten Kontinentaleuropas – Deutschen, Franzosen und Italienern – geführt.

Dieses Zusammenleben von verschiedenen Nationalitäten, das von der »Achtung vor den Rechten jeder Nationalität«, d. h. von der konsequenten Gleichberechtigung, erleichtert wird, hängt auch vom Druck der Nachbarstaaten ab. Einige Nationalitäten, die zwischen grossen Nachbarn eingeklemmt waren, konnten sich veranlasst sehen, eine sehr ungewöhnliche Form nationaler Verbindung einzugehen. So Österreich-Ungarn, wo der bürgerlich-revolutionäre Zyklus 1867 abgeschlossen wurde. Deutsche und ungarische Nationalität lebten hier in einer Vernunftehe zusammen, die ihnen lieber war, als getrennt der Herrschaft mächtiger Nachbarn ausgeliefert zu sein (später, als die Tschechen an Bedeutung gewannen, wurde sie zu einer Ehe zu dritt, und wenn man die wachsende Rolle der Polen Galiziens berücksichtigt, sogar zu viert). Obwohl er das Recht der Nationalitäten auf Lostrennung verteidigt, macht sich der Marxismus nicht zum bedingungslosen Verfechter des einheitlichen Nationalstaates, und in seiner Auffassung wurde der nationale Zyklus in Europa abgeschlossen, ohne dass die grösste Nationalität des Gebiets – die deutsche – eine staatliche Einheit erreicht hätte; sie blieb in zwei (und heute drei) Staaten geteilt, ganz abgesehen von den in den meisten Ländern Mitteleuropas zersplitterten Minderheiten germanischer Völker.

Spanien verdient, gesondert erwähnt zu werden. Der revolutionäre bürgerliche Zyklus ging hier 1873 zu Ende, obwohl er nur eine Missgeburt zustande gebracht hat. Die nationalen Bewegungen des Baskenlands und Kataloniens traten ihrerseits nicht in der aufsteigenden Phase des Zyklus auf, sondern sind erst um die Jahrhundertwende entstanden. Sie waren Ausdruck der Versuche von bürgerlichen Fraktionen aus den Randgebieten des Landes, mit dem Zentralstaat, zu dessen Tradition Bürokratismus und Nationalitätenunterdrückung gehörten, einfache Reformen auszuhandeln, um eine Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten der jeweiligen Regionen und wirtschaftliche Zugeständnisse zu ergattern. Diese Bewegungen sind zwar Ausdruck einer tatsächlich vorhandenen besonderen Unterdrückung, die vor allem im Baskenland krass zutagetritt und das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht erforderlich macht; sie haben aber keinen historisch fortschrittlichen Charakter und führen vom Standpunkt des Marxismus aus nicht dazu, die Forderung nach dem Nationalstaat zu stellen.

Die Frage, mit der wir uns befassen, betrifft die zeitliche Grenze des nationalen Zyklus, der in Europa zur Zeit der Entstehung des Marxismus bereits seit langem begonnen hatte. Es ist aber auch nützlich zu verfolgen, wie der Marxismus diese Frage im angrenzenden Gebiet, im grossslawischen Gebiet, betrachtete, 1848 sahen Marx und Engels die nationale Forderung der Slawen als reaktionär, ja konterrevolutionär an[44]. In ihrer Sicht waren die Slawen Zentraleuropas und die Südslawen noch nicht in die Gärung der bürgerlichen und demokratischen Revolution geraten. Der Zarismus, dieser wahrhaftige Polizist Europas, war Herr und Meister über dieses Gebiet. Mochte Bakunin auch von einem »demokratischen« und »revolutionären« Panslawismus träumen: Die Forderung des Panslawismus konnte hier nur die trügerische Fahne der Konterrevolution darstellen, um im Herzen Europas gegen die deutsche und europäische Revolution Handlanger zu finden.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als der Kapitalismus Südosteuropa und das unter russischer Herrschaft stehende grossslawische Gebiet umzuwandeln begann, erwartete der Marxismus das Aufkommen der bürgerlichen und somit nationalen Revolution bei den Völkern dieses europäischen Gebiets. In Wirklichkeit fand die Revolution unter den Südslawen lediglich in der Form der Balkankriege statt, die der Marxismus als historisch unleugbar fortschrittliches Ergebnis begrüsste[45]. Für uns eröffnet sich also der national-revolutionäre Zyklus nicht einfach dann, wenn die Forderung nach »nationaler Unabhängigkeit im allgemeinen« gestellt wird, sondern erst wenn die Kräfte der bürgerlichen Revolution in Bewegung geraten und die nationale Forderung auf ihre Fahne schreiben[46].

Mit demselben Kriterium kann man den Abschluss des nationalen Zyklus bestimmen. Für den Marxismus bleibt der nationale Zyklus nicht solange offen, bis die nach nationaler Unabhängigkeit und Einheit von der geschichtlichen Bühne verschwunden sind, sondern er geht vielmehr dann zu Ende, wenn die sozialen Kräfte, welche die geschichtlichen Träger dieser Forderung übergehen. In diesem Fall sind diese Forderungen in der Tat nicht mehr Hebel einer Revolution, die im Interesse des Proletariats lag, sondern sie verwandeln sich in Ansprüche, die mit dem Status quo vereinbar sind und denen das Proletariat seinen Klassenkampf gegen die Bourgeoisie unterzuordnen hätte. Dieser Zeitpunkt tritt ein, wenn die für die Entwicklung der Bourgeoisie unentbehrlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen erreicht sind. Aus sozialen Gründen, die immer offener zutage treten, ist die Bourgeoisie von nun an keineswegs bestrebt, ihre eigene Revolution bis auf die äussersten Konsequenzen und insbesondere bis zur Erreichung des einheitlichen Nationalstaats zu führen; sogar den Kampf, um einen solchen Staat mit revolutionären oder selbst reformistischen Mitteln durchzusetzen, lässt sie fallen.

Der Risorgimento, der Prozess der nationalen Wiedervereinigung Italiens, machte sich zum Beispiel die Risse und Streitigkeiten zwischen den grossen europäischen Staaten zunutze, und es gelang trotz allem, sowohl die Charybdis der restlosen Unterwerfung unter die grossen Staaten Europas, als auch die Skylla eines wirklich radikalen Volkskampfes zu umschiffen. Dies wirft ein klares Licht auf die politische Geschicklichkeit der piemontesischen Bourgeoisie, die trotz einer Reihe von militärischen Niederlagen, trotz mehrfach begangenen Verrates eine historisch fortschrittliche Rolle gespielt hat. Auch Bismarck, den der Marxismus schonungslos bekämpft hat, wurde zum Vollstrecker einer »Revolution von oben«, und die Begründer des kritischen Kommunismus bezeichneten ihn als einen Revolutionär wider eigenen Willen. Doch in der Sicht von Marx und Engels kehrte sich in Westeuropa die Bedeutung der nationalen Forderungen 1870 dialektisch um: Die französische und die deutsche Bourgeoisie gingen in konterrevolutionäre Frontstellung gegen das Proletariat. So schrieb Marx im »Bürgerkrieg in Frankreich«:
»Der höchste heroische Aufschwung, dessen die alte Gesellschaft noch fähig war, ist der Nationalkrieg, und dieser erweist sich jetzt als reiner Regierungsschwindel, der keinen anderen Zweck mehr hat, als den Klassenkampf hinauszuschieben, und der beiseite fliegt, sobald der Klassenkampf im Bürgerkrieg auflodert. Die Klassenherrschaft ist nicht länger imstande, sich unter einer nationalen Uniform zu verstecken; die nationalen Regierungen sind eins gegenüber dem Proletariat!«[47]
Abgesehen von Irland (wo Ulster nach wie vor eine wahre »Kolonie« bleibt), erschöpfte sich also der nationale Zyklus in Westeuropa, obwohl die deutsche Einheit nicht vollständig verwirklicht wurde. In der aufsteigenden Phase der bürgerlich-revolutionären Welle in Europa hatte der Marxismus gemeinsam mit der radikalen Demokratie die Einigung der deutschen Nation auf der Grundlage der Gemeinsamkeit von Sprache und Tradition gefordert. Damit sollten Preussen und Österreich – und mit ihnen alle Kleinstaaten – mit einem Schlag beseitigt werden, um einem grossen Einheitsstaat Platz zu machen. Die Revolution von unten hat jedoch nicht gesiegt. Die Einigung Deutschlands musste mit anderen Mitteln durchgeführt werden, zumal die deutsche Bourgeoisie Österreichs an der mit Ungarn gemeinsam getragenen Herrschaft über Südosteuropa viel zu interessiert war, als dass sie in Abwesenheit einer wirklich radikalen Bewegung bereit gewesen wäre, ihre Privilegien der Einheit des Vaterlands zu opfern. Ohne die Hohenzollern oder die Habsburger[48], deren Zusammenleben in einem einzigen deutschen Staat unmöglich war, vom Thron verjagt zu haben, waren die europäischen Bourgeoisien angesichts der Pariser Kommune »eins gegenüber dem Proletariat« geworden – seitdem konnte die Aufgabe des Proletariats in Europa nicht mehr darin bestehen, für die deutsche Einheit zu kämpfen. Die Vereinigung der Proletarier der verschiedenen europäischen Länder war nicht mehr durch eine bessere Gliederung in Nationalstaaten, sondern allein durch den Umsturz der bestehenden bürgerlichen Staaten, durch die proletarische Revolution voranzutreiben.

Der nationale Zyklus in Europa liefert uns eine weitere grosse Lehre: Der für ein geographisches Gebiet charakteristische historische Kurs kann nicht unabhängig von den Verhältnissen zu den Nachbargebieten betrachtet werden. So stiess die bürgerliche Revolution im europäischen Gebiet nicht allein mit dem hiesigen Feudalismus, sondern auch mit dem Zarismus zusammen, der infolge der geschichtlichen Rückständigkeit des slawischen Gebiets über eine schreckliche konterrevolutionäre Festigkeit, die aus ihm den Gendarm Europas machte, verfügte. Deshalb war die Wiederherstellung der Einheit Polens, dieses der russischen Knute unterworfenen Teils des westlichen Gebiets, der Schlachtruf des gesamten europäischen bürgerlich-revolutionären Zyklus. Deshalb auch seine Forderung nach dem Krieg gegen das feudale Russland, ohne dessen Niederlage die bürgerliche, geschweige denn die kommunistische Revolution nicht endgültig siegen könnte.

Die marxistische Auffassung von der Revolution in Permanenz verlangte also das revolutionäre Bündnis des proletarischen Deutschland, Frankreich und England in einem Krieg »auf Leben und Tod« gegen das barbarische Russland.

Nun wurde die Konstituierung des gesamten westeuropäischen Gebiets in Nationen in einer Epoche vollendet, da das slawische Gebiet auch nicht im Ansatz durch eine revolutionäre Bewegung zersetzt wurde, die imstande gewesen wäre, den Zarismus von innen zu schlagen und zu zerstören. Deshalb musste das Proletariat seine Vernichtung von aussen, durch den Krieg, befürworten, und dies gerade zu dem Augenblick, wo die europäische Bourgeoisie sich bereits beeilte, gegen die Gefahr des Kommunismus den Schutz des Zaren zu suchen. Diese in der Geschichte tatsächlich einzigartige Situation ist heute nicht wiederzufinden. Heute ist der kapitalistische Imperialismus überall der Feind. Er führt zwar – und mit grösserer Wirksamkeit – einen politischen Kampf gegen die bürgerlich-nationalen Revolutionen, anders als der Zarismus kann er aber ihre ökonomischen und sozialen Ergebnisse nicht in Frage stellen. Jene einmalige Lage erklärt auch, warum Engels kurz vor seinem Tode dem Proletariat des schon durchaus bürgerlichen Deutschland noch die Aufgabe zuwies, die deutsche Einheit gegen Russland zu verteidigen:
»Und wenn Frankreich und Russland, miteinander verbündet, Deutschland angriffen, würde dieses seine nationale Existenz, an der die deutschen Sozialisten noch mehr interessiert sind als die Bourgeois, bis zum äussersten verteidigen. Die Sozialisten würden bis auf den letzten Mann kämpfen und nicht zögern, zu den revolutionären Mitteln zu greifen, die von Frankreich 1793 angewandt wurden.«[49]

Diese Perspektive ist um so beachtenswerter, als sie sich an der äussersten Grenze einer ganzen Epoche stellte, ein besonderes Kennzeichen, das mehrfach zur missbräuchlichen Verwendung der Position des alten kommunistischen Führers veranlasste, zu einer Verwendung, die jeglicher historischen Legitimation entbehrt. Nur noch einige Jahre sollten in der Tat verstreichen, damit die Erwartung der Beseitigung des Zarismus lediglich an die russische Revolution selbst und nicht mehr an einen europäischen Krieg geknüpft war und damit Russland aufhörte, der Schutzwall der bestehenden Ordnung in Europa und schliesslich der bürgerlichen Republik zu sein: Die Reaktion behauptete sich nunmehr im Gegenteil allein dank des Bündnisses mit den westlichen Demokratien[50]. Und nur einige Jahre sollten noch verstreichen, damit das kapitalistische Europa die höchste Stufe des Imperialismus und der Kämpfe um die Neuaufteilung der Welt betrat[51]. Die Position von Engels war im Jahre 1892 also richtig. Bei Rosa Luxemburg, die man natürlich nicht im geringsten mit Noske, Scheidemann, Renaudel, Cachin & Co. verwechseln darf, war dies nicht mehr der Fall, als sie 1916, mitten im imperialistischen Krieg, dem Proletariat ein nationales Programm glaubte verleihen zu können. »Dies klingt fast unglaublich, ist aber eine Tatsache«, schrieb Lenin und machte ihr den Vorwurf, »der fortschrittlichen Klasse [vorzuschlagen], sich der Vergangenheit und nicht der Zukunft zuzuwenden«.[52]

Hat der national-bürgerliche Zyklus seine revolutionäre und historisch fortschrittliche Mission einmal ausgespielt, so kann in der Tat von nationalem Programm nicht mehr die Rede sein. Man mag dabei die denkbar besten Absichten haben – das Proletariat wird dadurch lahmgelegt. Man kann nicht »die Geschichte überlisten«[53].

Notes:
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  1. Die Untersuchung der marxistischen Auffassung von Rasse und Nation als Faktoren in der Geschichte bildete den Gegenstand der Generalversammlung von Triest im Jahre 1953. Die Zusammenfassung dieser Versammlung erschien noch im selben Jahr in unserer zweiwöchigen Zeitung »Il Programma Comunista», Nr. 16 (11.–25. Sept.) bis Nr. 28 (6.–20. Nov.). Dieser Text wurde 1976 im Iskra-Verlag, Mailand unter dem Titel »Fattori di razza e nazione nella teoria marxista« veröffentlicht und erschien kürzlich auch in einer französischen Übersetzung [»Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«] im Prométhée-Verlag, Paris. [⤒]

  2. »Die Nachkriegsperspektiven im Lichte der Parteiplattform«, 1946, veröffentlicht auf Deutsch in »Kommunistisches Programm«, Nr. 19, Aug. 1978. [⤒]

  3. »Pressione ›razziale‹ del contadiname, pressione classista dei popoli colorati«, 1953, veröffentlicht auf französisch in »Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, Anhang S. 207. [⤒]

  4. »Zu den zwingenden Aufgaben von heute gehört also eine genaue Untersuchung der historischen und geographischen Grenzen, innerhalb derer Aufstände für die nationale Unabhängigkeit, verbunden mit einer sozialen Revolution gegen die vorkapitalistischen Formen (asiatische Produktionsweise, Sklaverei, Feudalismus) sowie auch die Gründung von modernen Nationalstaaten noch eine notwendige Bedingung für den Übergang zum Sozialismus darstellen (z. B. in Indien, China, Ägypten, Iran usw.)« (»Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 22). Diese Untersuchung muss bestimmen, wo diese Bewegungen heute ihre liberale und demokratische Sprengkraft verloren haben und wo also die Gesellschaft direkt den proletarischen Klassenkampf benötigt, durch den allein die Geschichte nunmehr vorangetrieben werden kann. Eine solche Untersuchung, auf die wir eingangs hinwiesen, ist inzwischen in unserer französischen Zeitschrift »Programme Communiste«, Nr. 83, Juli – Sept. 80 unter dem Titel »La fin de la Phase révolutionnaire bourgeoise dans le ›Tiers Monde‹« erschienen. [⤒]

  5. Wir haben die Nationalität definiert als eine »Gemeinschaft, die nicht nur in einem gewissen Mass auf der Rasse, sondern auch auf der Sprache, der Tradition und den Sitten aller Bewohner eines weiten und feststehenden geographischen Territoriums beruht« (»Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S.86). [⤒]

  6. Engels, »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates«, »Vorwort zur ersten Auflage 1884«, MEW, Bd. 21, S. 27/28. [⤒]

  7. »Der Übergang von der ethnischen Gruppe oder dem ›Volk‹ zur ›Nation‹ kann nur in Verbindung mit dem Auftreten des politischen Staates erfolgen, dessen grundlegende Merkmale die territoriale Abgrenzung und die Organisierung der bewaffneten Macht sind; dieser Übergang setzt also die Auflösung des Urkommunismus und die Herausbildung der sozialen Klassen voraus.« (»Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 67). [⤒]

  8. Für Engels ist die
    »Entstehung des Staats bei den Athenern […] ein besonders typisches Muster der Staatsbildung überhaupt, weil sie einerseits […] einen Staat von sehr hoher Formentwicklung, die demokratische Republik, unmittelbar aus der Gentilgesellschaft hervorgehen lässt, und endlich weil wir mit allen wesentlichen Einzelheiten hinreichend bekannt sind« (»Ursprung der Familie…«, op.cit., S. 116). [⤒]

  9. »Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 75 [⤒]

  10. Mit allen Einschränkungen, die sich durch den sozialen und historischen Abstand aufzwingen, und um sofort auf eine recht heikle Frage zu antworten, können wir sagen, dass die »hebräische Nation« Israels oder die »weisse südafrikanische Nation« oder die »protestantische Nation des Ulster« wohl als »Nationen« betrachtet werden können. Dann aber müssen die Verfechter dieser These, denen wir (allerdings nur vorläufig) diesen Begriff zugestehen wollen, zugeben, dass diese »Nationen« darauf beruhen, dass die grosse Masse – oder wie im Falle Irlands eine Minderheit – der »schwarzen«, »arabischen« oder einfach »katholischen« Arbeiter entrechtet sind. Ohne dies könnten der israelische und der südafrikanische Staat oder die Regierung des Ulster in der Form nicht existieren. Sie müssen also anerkennen, dass es sich nicht um »Nationen« im modernen Sinne des Wortes handelt. Ebensowenig übrigens wie dies für eine »französische Nation« in Algerien gegolten hätte, ein Gedanke, der in den Reagenzgläsern des französischen Kolonialismus gezüchtet wurde und den die Geschichte angebrachterweise fortgefegt hat. Diese Staaten sind also im 20. Jahrhundert ebenso zu bekämpfen wie der Feudalismus und die koloniale Sklaverei, von denen sie übrigens nur die pathologischen und monströsen Überreste bilden. [⤒]

  11. »Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 81. [⤒]

  12. »Die Staatsbildung der Deutschen« in: »Ursprung der Familie…«, op.cit., S. 142 [⤒]

  13. ebenda, S. 143. [⤒]

  14. ebenda, S. 142/143. [⤒]

  15. Engels, »Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie«, MEW Bd. 21, S. 395/396 [⤒]

  16. »Die Staatsbildung der Deutschen« in: op.cit., S. 143 [⤒]

  17. »Aus den der feudalen Organisation zugrundeliegenden ökonomischen Verhältnissen erklärt sich, dass der feudale Produktionstyp eine ganz bestimmte Form des politischen Staates, der aber keinen nationalen Charakter trägt, hervorbringt« (»Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 87). Im grossen und ganzen bringt die Zerstörung des römischen Staates in Westeuropa eine Gesellschaftsordnung hervor, deren abgeschlossene Wirtschaft aus einer Unmenge von gutsherrlichen und selbstgenügsamen Einheiten besteht. Der Feudalstaat entsteht aus der Verschmelzung des Landadels mit den germanischen Gefolgschaften. Er beruht auf persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen, die jetzt nicht mehr allein zwischen dem obersten Lehnsherrn und seinen Vasallen bestehen, sondern auf die kleineren Lehnsherren und ihre Leibeigenen ausgedehnt werden. Theoretisch befindet sich der Kaiser an der Spitze der Pyramide und ihm gegenüber steht der Papst, der sich auf eine zentralisierte Organisation und einen »Universalismus« stützt, der das Gegenstück der feudalen Zersplitterung liefert. [⤒]

  18. »Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste«, S. 88. [⤒]

  19. Engels, »Die Rolle der Gewalt in der Geschichte«, MEW, Bd. 21. Alle folgenden Zitate siehe S. 407 ff. [⤒]

  20. Lenin, »Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen«, LW, Bd. 20, S. 398/399. Lenin tut hier nichts anderes, als Engels wieder aufzunehmen. Dieser schrieb bezüglich der Grenzveränderungen in Europa:
    »…sofern sie Dauer haben, müssen [sie] aber im ganzen und grossen darauf hinausgehn, den grossen und lebensfähigen europäischen Nationen mehr und mehr ihre wirklichen natürlichen Grenzen zu geben, die durch Sprache und Sympathien bestimmt werden…« (Engels, »Po und Rhein«, MEW 13, S. 267) Er nimmt auch Kautsky wieder auf – den Kautsky der guten Tage –, welcher schrieb:
    »Der Nationalstaat ist die den modernen Verhältnissen entsprechendste Form des Staates«
    (zitiert nach Lenin, LW Bd. 20, S. 399/400). Was uns angeht, so stehen wir in völligem Einklang mit der revolutionären marxistischen Tradition, wenn wir schreiben:
    »Die Bildung von Nationalstaaten mit im Prinzip einheitlicher Rasse und Sprache ist die günstigste Bedingung, um die kapitalistische Produktion an die Stelle der mittelalterlichen treten zu lassen, und jede Bourgeoisie kämpft für dieses Ziel, selbst bevor der reaktionäre Adel gestürzt ist. Diese Organisierung in Nationalstaaten (was vor allem in Europa der Fall war) stellt für die Arbeiter eine notwendige Etappe dar, denn man kann nicht zum Internationalismus (der von den ersten Arbeiterbewegungen voll und ganz vertreten wurde) gelangen, ohne die die feudale Epoche kennzeichnende Produktion und Konsumtion zu überwinden.«
    Diese These wird in unserem Artikel »Pour mettre les points sur les i« (»Programme communiste«, Nr. 55, April/Juni 1972) vertreten, der erstmalig 1952 auf italienisch unter dem Titel »Raddrizzare le gambe ai cani« erschienen ist. In der oben zitierten 4. These heisst es weiter, dass »die Epoche der Herausbildung grosser Nationalstaaten in Westeuropa 1870 zu ende geht und dass inzwischen alle auf dieses Gebiet angewandten ›Kriterien‹ auch für den modernen ›Orient‹ gelten.« [⤒]

  21. »Manifest der Kommunistischen Partei«, MEW, Bd. 4, S. 466 [⤒]

  22. »Manifest der Kommunistischen Partei«, MEW, Bd. 4, S. 470 [⤒]

  23. »Manifest der Kommunistischen Partei«, MEW, Bd. 4, S. 472 [⤒]

  24. »Manifest der Kommunistischen Partei«, MEW, Bd. 4, S. 479 [⤒]

  25. »Manifest der Kommunistischen Partei«, MEW, Bd. 4, S. 473 und S. 479. [⤒]

  26. Engels, Brief an Lafargue, MEW, Bd. 39, S. 88–92. [⤒]

  27. »Die Marxisten stehen selbstverständlich der Föderation und der Dezentralisation feindlich gegenüber, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Kapitalismus für seine Entwicklung möglichst grosse und möglichst zentralisierte Staaten verlangt. Unter sonst gleichbleibenden Umständen wird das klassenbewusste Proletariat stets für einen grösseren Staat eintreten. Es wird stets gegen mittelalterlichen Partikularismus ankämpfen, wird stets den möglichst engen wirtschaftlichen Zusammenschluss zu grossen Territorien begrüssen, auf denen sich der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie breit entfalten kann. Eine breite und rasche Entfaltung der Produktivkräfte durch den Kapitalismus erfordert grosse, staatlich zusammengeschlossene und vereinigte Territorien, auf denen allein – alle alten, mittelalterlichen, ständischen, englokalen, kleinnationalen, konfessionellen und sonstigen Schranken niederreissend – die Klasse der Bourgeoisie, und mit ihr auch ihr unvermeidlicher Antipode, die Klasse der Proletarier, sich zusammenschliessen kann.« (Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, LW, Bd. 20, S. 31). [⤒]

  28. »Die Rolle der Gewalt in der Geschichte«, op.cit., S. 407. [⤒]

  29. Lenin verzeichnet als »politische Besonderheit« des Imperialismus die »Verstärkung der nationalen Unterdrückung« (Lenin, »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«, LW, Bd. 22, S. 392). [⤒]

  30. Siehe hierzu Lenin, »Die nationale Frage in unserem Programm«, LW, Bd. 6, S. 455–461. [⤒]

  31. »Marxismus und nationale Frage«, 1913, neu veröffentlicht in der Textsammlung »J. W. Stalin: Der Marxismus und die nationale und koloniale Frage«, die im Verlag Rote Fahne, Köln, 1976 erschienen ist. Die zitierte Definition befindet sich auf der Seite 32. [⤒]

  32. Auf theoretischer Ebene, wohlgemerkt, denn wenn diese Definition in weiten Kreisen der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie aller Kontinente Furore macht, so wird sie von jenen, die Sympathien für die »jüdische Nation« hegen, doch keineswegs geschätzt. So glaubte sich Maxime Rodinson verpflichtet, zu zeigen wie solche »schematischen Definitionen« der Nation, wie die von Stalin gelieferte, dazu dienen können, »ein nationales Faktum zu leugnen» (siehe hierzu »Marxisme et monde musulman«, Paris, Editions du Seuil, 1972, S. 536). Offensichtlich ist es nicht eine solche Definition, was den Stalinismus dazu gebracht hat, das nationale Faktum zu leugnen, sondern vielmehr der Chauvinismus, den er später in allen dem grossrussischen Imperialismus unterworfenen Ländern verschärft hat. Was die Leugnung des jüdischen »nationalen Faktums« angeht, deren Stalin beschuldigt wird, so müssen wir zu seiner Entlastung sagen, dass er in dem betreffenden Artikel lediglich einen mit der marxistischen Tradition völlig im Einklang stehenden Gedanken präzisiert: Die »jüdische Frage» kann nicht durch die Bildung einer unmöglichen getrennten Nation gelöst werden, sondern nur durch den Kampf gegen alle Diskriminierungen der Sprache und der Religion, von denen auch die jüdischen Minderheiten betroffen werden. Der stalinistische Chauvinismus hat sich selbstverständlich sofort von einer solchen Politik entfernt und dabei zugleich die Schaffung eines hebräischen Staates, der dem Zionismus so teuer ist, gepredigt. [⤒]

  33. Stalin, »Über die politischen Aufgaben der Universität der Ostvölker«>, 1925, in op.cit., S. 270. [⤒]

  34. Stalin, »Die nationale Frage und der Leninismus«, 1929, in op.cit., S. 337. Zweifellos um auf die Fragen, die sein 1925 äusserst nüchtern geäusserter Skeptizismus über die »allumfassende Einheitssprache« hervorrief, eine Antwort zu liefern, gibt sich Stalin in diesem Artikel die grösste Mühe, darzulegen, dass er damals nur an die Bedingungen des Sieges des »Sozialismus in einem Land« dachte, dass in der Epoche des Sieges des »Sozialismus auf Weltmassstab« aber alles anders aussehen würde. Die Rechtfertigung ist keinen Pfifferling wert, da der »Sozialismus in einem Land« in den Augen des Marxismus einen Widersinn darstellt. Aber selbst wenn man annimmt, dies bedeute, das Proletariat habe die Macht in einem Land erobert, was durchaus möglich ist, so zerstört Stalin selbst seine eigene Rechtfertigung, wenn er die Phase der »Entwicklung der Nationen« auf die »erste Etappe der Periode der Weltdiktatur des Proletariats« verlegt. Im übrigen hat dieser verstockte Zerstörer der marxistischen Theorie auf seine alten Tage die Entstehung der einheitlichen Weltsprache auf noch später verschoben. In dem Artikel »Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft« hat er in reinster idealistischer Manier die Nationalsprache nicht als Sprache einer Klasse, sondern als Sprache eines Volkes dargestellt, die somit den Revolutionen und der historischen Entwicklung entgleitet. Auf diese Weise hat er die Nationalsprache als eine ewige Erscheinung theoretisiert. Wir haben ein Kapitel von »Facteurs de race et de nation dans la théorie marxiste« der Vernichtung dieses Kuriosums gewidmet. [⤒]

  35. Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, op.cit., S. 6 [⤒]

  36. Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, S. 19/20 [⤒]

  37. Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, S. 9 [⤒]

  38. Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, S. 13 [⤒]

  39. »Manifest der Kommunistischen Partei«, op.cit., S. 466. [⤒]

  40. Stalin, »Die nationale Frage und der Leninismus«, in op.cit., S. 330. Natürlich ist Stalin um Rechtfertigungen nicht verlegen, und nachdem er der Theorie und den Prinzipien nur Verachtung entgegengebracht hat, versucht er noch, seinen Betrug der »zwei Etappen« zu verdecken. Hierfür erfindet er neben den »bürgerlichen Nationen«, deren unvermeidlichen Untergang unter der Diktatur er anerkennt, »sozialistische Nationen«, die ihrerseits von der proletarischen Diktatur geschützt werden müssten (siehe S. 325–330). Hierbei handelt es sich um ein reines Wahngebilde, da das Proletariat nur durch die Verschmelzung der verschiedenen Nationen die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft wirklich in Angriff nehmen kann. Was uns angeht, so sind wir damit einverstanden, die Begriffe Proletariat und Nation für einen Augenblick miteinander zu verbinden. Wie auch im »Manifest« steht, können wir sagen, dass das Proletariat, wenn es die politische Herrschaft erobert, »selbst noch national« ist, aber nur der Form und nicht dem Inhalt nach. Hierbei handelt es sich aber nur um ein vorübergehendes und noch nicht einmal weltweit notwendiges Merkmal. Was den Versuch angeht, dem Sozialismus ein nationales Gewand umzuhängen, so muss man sagen, dass ihm dies ebenso steht wie der Zylinder dem Menschen der zukünftigen Gesellschaft.
    Um auf den letzten noch möglichen Einwand zu antworten, wollen wir jedoch den Fall einer Revolution betrachten, bei der das Proletariat wie in Russland die Macht in einem Gebiet erobert, wo sich gerade die Nationen herausbilden, in einem Gebiet des aufsteigenden Kapitalismus also. Nun gut, auch in dieser Phase gibt es die Tendenz des Kapitalismus, die Nationen miteinander zu verbinden, selbst wenn sie noch nicht das wesentliche, das grundlegende Merkmal ist. Mehr noch, in Russland waren bereits alle Nationen durch die Entwicklung des russischen Imperialismus miteinander verbunden, der im Osten kapitalistische Keime gelegt und also durch die kommunistische Bewegung und ihre Partei miteinander verbundene Arbeitergruppen hervorgebracht hatte. Sobald aber der Zarismus, jenes »Zuchthaus der Völker« zerstört war, konnte sich die Entwicklung des Marktes also theoretisch mit einem Minimum an nationalen Reibungen und auch (vor allem dank des gemeinsamen Staates) mit einem Maximum an Bindungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten vollziehen. Nie hat jemand behauptet, dass die nationalen Unterschiede mit einem Schlage verschwinden können, und gerade ein rückständiges Land wie Russland bildete den Ort, wo dieser Prozess nach der Machteroberung der denkbar längste wäre. Überdies musste der Staat proletarisch bleiben und immer darauf hinzielen, die internationale Kultur in den Vordergrund zu rücken. Der Stalinismus hat das Gegenteil getan. Er hat den europäischen und grossrussischen Nationalismus als offizielle Staatsdoktrin verbreitet und die Myriade von Rassen und Nationalitäten dieses riesigen zwischen zwei Kontinenten liegenden Landes mit Füssen getreten. [⤒]

  41. Lenin, »Die nationale Frage in unserem Programm«. LW Bd. 6, S. 455 [⤒]

  42. »Po und Rhein«, op.cit., S. 267 [⤒]

  43. »Der Grundsatz des bürgerlichen Nationalismus ist die Entwicklung der Nationalität schlechthin, daher die Ausschliesslichkeit des bürgerlichen Nationalismus, daher der ausweglose nationale Hader. Das Proletariat dagegen übernimmt es keineswegs, die nationale Entwicklung jeder Nation zu verteidigen, sondern im Gegenteil, es warnt die Massen vor solchen Illusionen, setzt sich für die vollste Freiheit des kapitalistischen Verkehrs ein und begrüsst jede Assimilation von Nationen mit Ausnahme der gewaltsam durchgeführten oder auf Privilegien gestützten.« (Lenin, »Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage«, op.cit., S. 20). [⤒]

  44. Engels, »Der demokratische Panslawismus«, 14./15. Februar 1848, MEW Bd. 6, S. 270 – 286 [⤒]

  45. Siehe hierzu Lenin, »Die soziale Bedeutung der serbisch-bulgarischen Siege«, LW Bd. 18, S. 390–392 [⤒]

  46. In ihrer Arbeit über Russland hat unsere Partei eine ausführliche Untersuchung der Verhältnisse zwischen dem europäischen und dem grossslawischen Gebiet sowie des Beginns des revolutionären Zyklus in diesem letzteren gemacht. Siehe hierzu »Rivoluzione europea e area grande slava«, dem ersten Teil von »Russia e rivoluzione nella teoria marxista«. [⤒]

  47. MEW Bd. 17, S. 361 [⤒]

  48. In dieser Beziehung ist die Tatsache erwähnenswert, dass 1865, während Nord- und Mitteldeutschland von einem dichten Eisenbahnnetz durchzogen war, die günstigste Verbindung zu Österreich (nämlich die Achse München-Wien) noch über keinen Schienenweg verfügte, was nicht allein dem Unwillen Preussens zuzuschreiben war, sondern auch dem geringen Verkehrsaufkommen, das eine solche Investition nicht rechtfertigte. [⤒]

  49. Engels’ Interview mit »L’Eclair«, 6. April 1892, MEW Bd. 22, S. 537 [⤒]

  50. Lenin schrieb in »Was tun?«:
    »dass die gebildete russische Jugend der neunziger Jahre von einer allgemeinen Begeisterung für die Theorie des Marxismus erfasst war. Einen ebenso allgemeinen Charakter hatten um ungefähr dieselbe Zeit, nach dem berühmten Petersburger Industriekrieg von 1896, die Arbeiterstreiks angenommen« (LW, Bd. 5, S. 384).
    Mit dieser Periode kann man den Beginn jener revolutionären Welle datieren, die bis 1905 anschwoll und später wieder an Kraft gewann, um 1917 zu siegen. Engels starb im August 1895; den Periodenwechsel konnte er nicht mehr registrieren. [⤒]

  51. Wie Lenin bemerkte, trat der Kapitalismus mit dem spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 endgültig in die imperialistische Phase. Siehe hierzu »Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung«, LW Bd. 22, S. 349 ff. [⤒]

  52. Lenin, »Über die Junius-Broschüre«, LW Bd. 22, S. 319 ff. [⤒]

  53. Lenin, »Über die Junius-Broschüre«, LW Bd. 22, S. 324 [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr.27, Januar 1981, S.4–20

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