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DIE INVESTITION DER HABENICHTSE


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Die Investition der Habenichtse
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Auf dem Faden der Zeit

Die Investition der Habenichtse

Krise, Elend, Arbeitslosigkeit. Schuld der Regierung, die ein einfaches Rezept zur Verfügung hat und nicht verwenden will: Die Investitionen. Hier liegt die ganze Politik und politische Ökonomie der unerhörten Parteien, die in Italien »die Arbeiterklasse vertreten.«

Investiere doch, Raubritterregierung! Aber welche Regierung? Dieselbe, die diese Parteien in der antifaschistischen Orgie und in den Willkommensekstasen vor den westlichen Armeen an die Macht gebracht haben. Und warum soll eine solche Regierung nicht investieren wollen? Sehr einfach: Um den besitzenden und monopolistischen Klassen einen Gefallen zu tun! Und wie kann man diesen Klassen das Missvergnügen von Investitionen auf breitem Massstab und einer Steigerung der Produktivität und des nationalen Reichtums bereiten? Noch einfacher: Indem man die Christdemokraten abwählt und die Sozialisten des »Avanti!« und die Kommunisten der »Unità« an die Macht schickt.

Die herrschenden Klassen in Italien und ihre Herren jenseits der Grenzen können wirklich jubeln, wenn sich die politische Vorbereitung des Proletariats zu der niederträchtigen Scheinheiligkeit und zum veralteten Aberglauben, die jene Parteien und Zeitungen verbreiten, entartet hat. Und bloss losschlagen, wenn einer sich erlaubt zu bezweifeln, dass Arbeiterkampf und Sozialismus nicht in den Richtlinien dieser Leute bestehen: Demokratie! Volk! Einheit! Frieden! Produktion! Investition von Kapital!

Gestern

Investitionen…Was ist das denn? Hatten wir schon davon gehört in den Zeiten, wo die Parteien noch nicht so gross und mächtig waren, oder handelt es sich um eine exklusive Neuigkeit, wie der Existentialismus und der Samba?

Man investiert, wenn man Geld in Kapital verwandelt. Wer in der rosigen bürgerlichen Welt zu viel Reichtum hat, wer so viel Geld zusammen gehäuft hat, dass er nicht dazu kommt, es zu verbrauchen – so gross sein Appetit auch sein mag und so gross seine Fähigkeit, Luxussäugetiere um sich zu sammeln, d. h. gegen Geld jene Arbeitskräfte in seinen Dienst zu stellen, für die es in der Tat überhaupt keine Arbeit oder dann nur in Form dieser käuflichen und oft auch schändlichen persönlichen Dienstleistungen gibt was macht er dann? Er investiert.

Er kauft Maschinen, kauft einen Betrieb, kauft Rohstoffe, kauft einsetzbare und produktive Arbeitskräfte, verkauft die neuen Produkte, macht neue Profite, bildet ein anderes Kapital, das er in der Folge investieren wird. Damit verlässt er den Höllenkreis der Sünder, um zum Rang der Wohltäter der Gesellschaft und der nationalen Produktion aufzurücken. Wir wussten allerdings nicht, dass er auch ein Diplom des Gewerkschaftsverbandes erhält. In unserer Naivität von anno dazumal konnten wir noch folgendes begreifen: »Bist Du übermässig reich? Na schön, investiere!« Heute wird in den Wirtschaftshochschulen, deren hoher Rektor Di Vittorio heisst, gelehrt: »Bist Du arm? Verdienst Du nichts? Investiere doch, Du blödes Stück!«

Wir haben schon damit angefangen, Worte vom Meister Karl einzuschieben; fahren wir damit fort, aus jenem Kapitel über die Verwandlung von Mehrwert in Kapital Zitate heranzuziehen.[1] Uns war es nicht vergönnt, über die ersten Schulklassen hinauszugehen, Herr Rektor.

»Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwert aus dem Kapital, jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwert entspringt. Anwendung von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heisst Akkumulation des Kapitals«. D. h. wenn der Kapitalist, statt den ganzen Mehrwert für den eigenen Verbrauch zu vermöbeln, ihn als Kapital anlegt, bildet sich ein Zusatzkapital, das das alte Kapital vergrössert. Also heisst Investition soviel wie Akkumulation.

Akkumulation, Akkumulation. Selbst heute, wo wir doch über die Hochschule des Gewerkschaftsverbandes verfügen, sind wir immer noch bei diesen Entdeckungen des alten Marx. Schüchtern versuchen wir, uns bei den hohen Kalibern der Di Vittorio’schen Ökonomie zu entschuldigen: ›Tschuldigung, Herr Lehrer, aber heut’ morgen geht’s mir nicht so gut…‹. Es war ja nicht mal eine Entdeckung von Marx, denn er zitiert seinen Busen-Feind Malthus, »Definitions in political economy«, London 1827 (so alt gibt’s ja gar nicht): »Akkumulation des Kapitals: Die Verwendung eines Teils der Revenue als Kapital«»Verwandlung von Revenue in Kapital«

Was bedeutet also Investieren? Dass die Möglichkeit der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse auszubeuten, zusätzlich vergrössert wird. Der Gewinn aus einem gegebenen Zyklus der kapitalistischen Produktion wird benutzt für die Organisation eines weiteren Zyklus auf erweiterter Stufenleiter. In den Seiten, die wir hier zitieren, zeigt Marx, wie sich das alles abspielt und wie es sich in den historischen Auseinandersetzungen über die allgemeine Akkumulation und Zirkulation des Kapitals widerspiegelte. Beim Verkauf seiner Erzeugnisse auf dem Markt realisiert der Kapitalist einen Profit. Er erhält nicht nur, was er einerseits für Maschinen und Rohstoffe, andererseits für Löhne vorgeschossen hat, sondern auch einen Mehrwert. Dieser Mehrwert existiert zunächst als Wert eines bestimmten Teils des Bruttoprodukts und verwandelt sich beim Verkauf in überschüssiges Geld. Damit aus ihm ein neues, produktives Kapital entsteht, muss es auf dem Markt wieder in Produktionsmittel verwandelt werden: Lohnarbeiter, Lebensmittel für sie, Maschinen und Rohstoffe; und der Markt muss auch die neuen Produkte aufnehmen.

Mussolini wähnte, alles in Italien von A bis Z zu haben; Di Vittorio verfügt über ein einziges Element: Zwei Millionen Arbeitslose.

Hier genügen uns die Grunddaten des grossen Problems des kapitalistischen »Wirtschaftsbildes«, das heute die ganze moderne Welt umfasst. Alle Austauschakte des vielfältigen Zyklus vollziehen sich in voller Übereinstimmung mit den Gesetzen der Warenproduktion: Gleiche Werte werden gegeneinander ausgetauscht und dennoch liegen Ursprung und Wachstum des ganzen Kapitals in der Aneignung fremder Arbeit.

Der Feldzug für die Akkumulation und Investition ist ein Feldzug für die Ausbeutung der Arbeiter. Da gibt es keine Ausrede, nicht einmal wenn man ein Diplom der besagten Universität besitzt.

»Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Produzenten beschäftigt, so muss dieser erstens fortfahren, das ursprüngliche Kapital zu verwerten und zudem den Ertrag seiner früheren Arbeit zurückkaufen mit mehr Arbeit, als er gekostet hat. Als Transaktion zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse betrachtet, ändert es nichts an der Sache, wenn mit der unbezahlten Arbeit der bisher beschäftigten Arbeiter zuschüssige Arbeiter beschäftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das Zusatzkapital in eine Maschine, die den Produzenten des Zusatzkapitals aufs Pflaster wirft und durch ein paar Kinder ersetzt.«

Marx verwendet hier die Mehrwerttheorie, um den Irrtum der bürgerlichen Wirtschaftsschule aufzudecken, demzufolge ein Kapitalist, der investiert, eine nützliche soziale Funktion erfüllt, da er, wie es im Volksmund heisst, den Erwerbslosen Arbeit und Brot gibt. In Wirklichkeit sieht es aber anders aus: »Eigentum an vergangener unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsendem Umfang. Je mehr der Kapitalist akkumuliert hat, desto mehr kann er akkumulieren.«

Die Widerlegung der kapitalistischen Theorien über die »Abstinenz« (Entsagung) der Kapitalisten und über den sogenannten Arbeitsfonds lassen sich heute gut lesen als eine Widerlegung der Produktionssteigerungspläne der Arbeiterfürer (!!) unserer Zeit, dieses seligen Jahres 1950.

Smith und Ricardo wollten glauben machen, dass der ganze Teil seines Einkommens, den der Kapitalist durch Entsagung seines Genusstriebes nicht verzehrt, sondern als Kapital anwendet, d. h. akkumuliert, sich im Endeffekt gänzlich in variables Kapital, d. h. in Lohn verwandelt und somit von den produktiven Arbeitern verzehrt wird. Sie argumentierten, dass der Kapitalist, der ja dadurch akkumuliert, dass er alles investiert, was er verdient hat (schnallt er ja den eigenen Gürtel immer so eng, wie man heute sagen würde), Produktions- und Lebensmittel (indirekt durch die Zahlung an seine Arbeiter) kauft, die andere Arbeiter produziert haben usw., so dass am Ende des ganzen Kreises sich ja das ganze in Einkommen (Revenue, wie man damals sagte) der Arbeiter verwandelt hätte. Marx vernichtet diesen Trugschluss von Grund auf. Mit dem investierten Gewinn kauft der Kapitalist nur zum Teil Arbeitskräfte. Der Rest wird für noch grösseres konstantes Kapital verwendet, d. h. für Bauten, Werkstätten, Maschinen, Rohstoffe, die weder vom Arbeiter noch vom Kapitalisten verzehrt werden, allerdings aber die Macht, das Privileg und die Unterdrückungskraft der Kapitalistenklasse, die über das Monopol auf die Produktionsmittel verfügt, erhöhen. »Es versteht sich übrigens von selbst, dass die politische Ökonomie nicht verfehlt hat, im Interesse der Kapitalistenklasse A. Smiths Satz auszubeuten: dass der ganze in Kapital verwandelte Teil des Nettoprodukts von der Arbeiterklasse verzehrt wird.« Es versteht sich übrigens auch von selbst, warum der Gewerkschaftsverband Professoren sucht.

Marx sagte aber mehr. Im Laufe der Akkumulation erneuert sich das konstante Kapital auf einer neuen Ebene, auf der Ebene einer fortgeschritteneren Technik, die einen grösseren Einsatz der Maschinenkraft und eine grössere Ergiebigkeit der industriellen Verfahren ermöglicht. Die Kapitalmasse wächst, die Mehrwertmasse wächst, der Anteil des variablen Kapitals im Verhältnis zum konstanten Kapital (zu den gewaltigen Anlagen und Rohstoffmassen) nimmt aber ab, und das führt unter gewissen Umständen sogar dazu, dass der Einsatz von Arbeitskräften insgesamt anstatt zu wachsen, zurückgeht.

Investieren bedeutet also auf jeden Fall die Klassenmacht der Kapitalisten zu erhöhen. Nicht immer bedeutet es aber eine Erhöhung der Beschäftigung und einen Abbau der Arbeitslosigkeit. Das ist eine der Seiten der Wirtschaftskrisen und ihrer periodischen Rückkehr. Dagegen kämpft man nur durch die Vorbereitung der gesellschaftlichen Verfügung über das Kapital, das die Bourgeoisie akkumuliert hat, und zwar nicht, um »mehr Arbeit zu schaffen«, sondern um das Ziel durchzusetzen, mit immer weniger Arbeit einen immer besseren Lebensstandard zu erreichen. Dafür muss aber das System der Lohnarbeit abgeschafft werden, und das ist nur möglich, wenn man die kapitalistische Macht stürzt.

Heute

Der Investitionsplan des Gewerkschaftsverbandes möchte nicht nur die italienischen Industriellen dazu zwingen, weniger zu verzehren und ein Klosterleben zu führen, damit sie so mit einem Teil ihrer Unternehmergewinne neue Betriebe, die ihr Eigentum sein werden, eröffnen. O nein, es gibt noch viel mehr, sonst würde man nur sehr langfristig dazu kommen, die vom Plan vorgesehenen 3000 Milliarden zu investieren. Man will andere Finanzierungsquellen hinzuziehen, darunter die Ersparnisse der kleinen Sparer bei den Sparkassen oder auf den Bankkonten. Es wird auch nicht ausgeschlossen, die Reserven der italienischen Zentralbank an Gold und ehrbaren Währungen flüssig zu machen; schliesslich nimmt man ohne Zögern die wohlbekannten Dollars des E.R.P. und Marshall-Planes an[2]. Hier haben wir wirklich den Fall: Mit allem kann man Suppe machen. Wir sind im Gebiet der transzendentalen Ökonomie: Der Abstand zu Marx und selbst zu Ricardo ist so gross wie der einer Jazzband zu Beethoven.

Eine Inflation der Lira ist nicht zu befürchten, denn für die Kraft der Währung wird man eine noch bessere Garantie als das Gold haben, nämlich den von den neuen allgemeinen und produktiven Anlagen dargestellten nationalen Wertumfang und die Erträge der erstarkten Industrie. Reine Hitler-Schacht-Theorie, autentischer Nationalsozialismus, Währungsreform der Rentenlira[3]. Befolgt man aber in Russland mit der Aufwertung des Rubels eine andere Theorie? Nein. Drüben handelt es sich allerdings nicht um ein Windei – muss man schon sagen. Gold – wenn es darum geht – sonst Eisen und Kohle liegen als Reserve unter der Erde, vom Uran ganz zu schweigen. Auch in Deutschland war es eine ernsthafte Sache. Wenn man die Klassenkräfte der Kapitalisten in einem soliden sozialen und politischen Organismus zusammenrafft, braucht man nicht mehr die freihändlerische Garantie der in Gold konvertierbaren Währung, sondern die zentralen Befehle genügen schon.

Wie dem auch sei, die so mobilisierten Finanzen können zum grössten Teil nur auf ausländischen Märkten alles das zu kaufen finden, was erforderlich ist – ausgenommen natürlich die Arbeitskräfte. Im Ausland wird man jene goldenen Reserven annehmen und den ganzen anderen scheinbaren und fiktiven Reichtum, der von den Spar- und Girokonten dargestellt wird, als Plunder anrechnen. Denn aus denselben Gründen bedeutet dieser Reichtum rein gar nichts, wenn der Wirtschaftsapparat kaputt ist; er bedeutet lediglich, dass die Hungernden untereinander gegenseitig Verpflichtungen haben, die sie trotz niedrigstem Lebensstandard mit weiterer »Entsagung« einhalten wollen, dass also in diesem Schlaraffenland sich die Elenden und Arbeiter zurückhalten, während die Kapitalisten mit ihrer zahlreichen und weitverzweigten Lakaienbande rücksichtslos konsumieren.

Unsere Industriellen machen seit Jahren grossen Wirbel, um neue Maschinen im Ausland zu kaufen, weil ihre eigenen technisch überholt und nicht rentabel genug seien. Das ist eine gute Flause, um an den nationalen und ausländischen Gemeinschaftsfonds nagen zu können. Wie erklärt sich, dass in Deutschland bislang keine neuen Maschinen gebaut sondern ein Teil der vorhandenen vernichtet wurde und die Produktion wächst? Wie dem auch sei, sie werden die Gelder des Gewerkschaftsplans erhalten. Wenn die Geschichte mit der Erneuerung der Anlagen gelogen ist, ist es hingeworfenes Geld; wenn sie wahr ist, kommen leistungsfähigere Maschinen. Leistungsfähigere Maschinen und Anlagen bedeuten weniger beschäftigte Arbeiter bei gleichem Produktionsumfang, und das masslose Windei der »Vollbeschäftigung« wird auch so zusammenschrumpfen. Und wenn man bedenkt, wie die Marktschreier der ökonomischen Wissenschaften auf die Dringlichkeit der 3000 Milliarden hinweisen, damit 900 000 Arbeiter sofort einen Arbeitsplatz erhalten: denn auch wenn man dadurch nicht einmal die Hälfte der heutigen Arbeitslosen beschäftigen wird, so wird doch immerhin durch Lohnzahlungen eine Erhöhung des Jahreseinkommens um über 200 Milliarden sichergestellt…

Lassen wir aber die Diskussion über den allgemeinen Plan (sic!) der italienischen Wirtschaft beiseite.…

Verbleiben wir bei der historisch bedeutsamen Tatsache, dass der Urheber all dieser Planvorschläge für den bürgerlichen Staat, für diesen verfassungsmässigen, mit dem Vatikan und den kapitalistischen Grossmächten verbündeten italienischen Staat die Arbeitergewerkschaft ist. Auch Verrat macht Geschichte.

Im Kurs des Kapitals auf die Akkumulation hat die Bourgeoisie immer auf zwei Hebel gedrückt: Die eigene Abstinenz vom unproduktiven Konsum (und Marx hat uns beigebracht, was davon zu halten ist: »…die Welt lebt nur noch von der Selbstkasteiung dieses modernen Büssers des Wischnu, des Kapitalisten.«) und die Abstinenz der Arbeiterklasse, d. h. die niedrige Entlohnung der Arbeit. Die Verbreitung der ökonomischen Organisationen der Lohnarbeiter in der ganzen Welt stellte sich den Kapitalisten in den Weg. Die revolutionären Marxisten wissen sehr wohl, dass die Akkumulation des Kapitals die Grundbedingung für die sozialistische Revolution ist; sie wissen sehr wohl, dass der Kapitalist »als Fanatiker der Verwertung des Werts (d. h. der Akkumulation des Kapitals) rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen zwingt, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist.« In der Verfolgung dieses immer propagierten revolutionären Ziels haben Marx und alle Marxisten gleichzeitig mit allen ihren Kräften die gewerkschaftlichen Kämpfe um Lohnerhöhungen unterstützt. Bedeuten höhere Löhne aber nicht Verringerung des Mehrwerts, des Profits, der Möglichkeit, neues Kapital zu investieren?

Jawohl! Der Marxismus betrachtet die Sachen nicht als für sich dastehende Einzelgebiete, sondern sieht den Zusammenhang, der zwischen Ökonomie und Politik besteht. So zeigt er, wie die Kapitalisten mit der Akkumulation die Bedingungen ihres eigenen Untergangs schaffen und wie gleichzeitig die Arbeiter durch die Vereinigung die Bedingungen ihrer eigenen Klassenmacht und ihres Sieges herstellen.

Der glorreiche Kampf der Gewerkschaften in der ganzen Welt – wohlverstanden als aktuelle oder potentielle Plattform für den Sprung in den revolutionären politischen Kampf – hatte von jeher eine einzige Bedeutung: Den frontalen Widerstand gegen den frenetischen Kurs der Kapitalisten, die ihre Investitionen auf der Verelendung der Arbeiter aufbauen.

Das ist die Rolle der Gewerkschaft. Wenn sie geschlagen wird, wenn der Streik zerschlagen wird, so heisst das niedrige Löhne: Das Kapital profitiert und investiert. Wenn die Gewerkschaft aber siegt, wenn der Streik Erfolg hat und die Löhne steigen, sieht das Kapital seinen Profit sinken: Die Investitionen gehen zurück.

Im gewonnenen oder verlorenen Kampf standen beschäftigte und arbeitslose Arbeiter Seite an Seite; sie haben verstanden, dass das wahre Schlachtfeld des Kampfes nicht die Fabrik ist, sondern die Strasse, das ganze Land, die Welt, dass das wahre Ziel des Kampfes die politische Macht ist, um zum Sozialismus zu gelangen. Sie haben gelernt, dass es in der modernen Produktion keine persönliche, sondern eine soziale Reserve gibt und dass diese wachsen muss; sie haben aber ebenso gelernt, dass gleichzeitig das Privileg der Kapitalisten, dieser Räuberbande, die über den gesellschaftlichen Reichtum verfügt, bekämpft und vernichtet werden muss.

Es handelt sich um einen Kampf für eine Wirtschaftsordnung, in der es keine Investitionen und Einkommen mehr geben wird, sondern nur die Organisation der Arbeit und des Konsums für die Gesellschaft und durch die Gesellschaft; es handelt sich um einen Kampf gegen die heutige Wirtschaftsordnung, in der penetrante Professoren von Arbeitseinkommen und produktiven Investitionen sabbeln, während in Wirklichkeit das Ziel jeder Investition nicht die Produktion sondern die Ausbeutung ist und jede Revenue Aneignung fremder Arbeit darstellt. Die Arbeiter, ob sie nun beschäftigt sind oder nicht, haben keine Revenue. Die Arbeitergewerkschaft ist ein Feind und Saboteur der bürgerlichen Investition.

Und doch sind es keine Pfaffen oder Freimauerer, die an der Spitze der Gewerkschaften stehen, die die Thesen des Syndikalismus – und sei es die des nicht-marxistischen à la Sorel oder des stockreformistischen – auf den Kopf stellen; Es handelt sich im Gegenteil um Organisationen, die sich Klassengewerkschaften nennen, die sich rot nennen.

Wo haben diese Herrschaften ihre Weisheit her? Wir zitieren für sie: »Die Produktion bildet in ihrer Gesamtheit eine Einheit vom nationalen Standpunkt aus; sie verfolgt einheitliche Ziele, die in dem Wohlstand der Einzelnen und in der nationalen Macht bestehen.«

»Die Solidarität zwischen den verschiedenen Produktionsfaktoren findet im kollektiven Arbeitsvertrag ihren konkreten Ausdruck durch die Aussöhnung der gegensätzlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitern und ihre Unterordnung unter die höheren Interessen der Produktion.«

Das alles entspricht einer Gewerkschaft, die ein rechtlich anerkanntes Organ des bürgerlichen Staates ist; es handelt sich, wenn man es noch nicht gemerkt haben sollte, um den Text der Carta del Lavoro, des faschistischen Arbeitsgesetzes.

In der Sprache des Marxismus bedeutet das, dass unsere »roten« Gewerkschaftsführer dem Beispiel Mussolinis auf dem Weg des ewigen Verrats gefolgt sind und aus der Arbeitergewerkschaft einen Faktor der Akkumulation des Kapitals gemacht haben.

Was sonst die sehr geschickte Annahme von amerikanischem Kapital und amerikanischen Investitionen angeht – wir werden uns schon mal der Theorie der Geschicklichkeit annehmen – so dürften die jüngsten Aussagen des »politischen Kommissars« der USA (er ist es doch eher als Wirtschaftsdelegierter) Zellerbach genügen, um die Sache zu klären.

In einem Bericht an seine Auftraggeber erklärte Zellerbach eben, dass die Lieferungen und Investitionen des E.R.P. und Marshall-Planes nach Italien fortgesetzt werden müssen, da die bisher geleisteten sich als »produktiv« erwiesen. Und in der Tat: Die Christdemokratische Regierung steht fest an der Macht, die »kommunistische« Partei hat einen Mitgliederschwund von 20 % erlitten, und der von Stalinisten geführte Gewerkschaftsverband musste mit der Abspaltung der Christdemokraten und der Sozialdemokraten einen harten Schlag einstecken. Bei solchen Perspektiven wird Zellerbach die Milliarden, die Di Vittorio fordert, hergeben; er wird sie zu Gefälligkeitszinsen investieren. Ach, was sagen wir? Er wird sie als Geschenk für die unterentwickelten Regionen spenden. Nur der politische Massstab erlaubt es zu verstehen, wie das Geschenk zur Investition wird, wie selbst ausserhalb des Josaphattals die Almosen produktiv werden.

Sicherlich: Diese bequemen Finanzmakler des italienischen Kapitals dürfen es nicht wagen, diesen grosszügigen Spender daran zu erinnern, dass er selbst die lokale Wirtschaft mit Besatzungsgeldern in Milliardenhöhe (wieviele?) ausgeplündert hat. Sie können dies den verschiedenen Zellerbachs nicht entgegenhalten, weil dieselben falschen Amlire, die den hiesigen lndustrieapparat in Schwierigkeiten brachten, dieselben falschen Amlire, mit denen Dienstleistungen persönlicher und oft schändlicher Natur ohne Bezahlung gehäuft wurden, auch den Aufbau dieser Parteien und dieses Gewerkschaftsverbandes, dieser würdigen Bannerträger der zum Gipfel der Investitionspolitik gelangten nationalen und produktionsfördernden Politik finanzierten.

Und dann soll die ganze Geschichte angeblich ein geschicktes Manöver nach dem Muster der fünften Kolonne sein, um (und sei es auf dem Rücken des italienischen Arbeitslosen) den US-Imperialismus zum Vorteil Italiens zu sabotieren. Um daran zu glauben, müsste man annehmen, die cleveren und dynamischen amerikanischen Kapitalisten seien noch blöder als die Führer unseres Gewerkschaftsverbandes – aber noch blöder geht’s gar nicht, noch blöder krepiert man.

Notes:
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Vorstehender Artikel erschien 1950 in der Reihe »Auf dem Faden der Zeit« in unserer damaligen italienischen Zeitung »Battaglia Comunista«. Wie heute infolge der Wirtschaftskrise, so stand damals infolge der Nachkriegskrise das Thema »Investitionen« auf der Tagesordnung. Wenn man die Politik der heutigen Arbeitervertreter in Italien oder woanders mit der Politik ihrer Vorgänger vergleicht, so springt ins Auge, dass der Opportunismus immer dasselbe Spiel spielt und dass für den Marxismus dieses Spiel zu jedem Zeitpunkt und in allen seinen Varianten falsch ist. An der Spitze des »kommunistisch geführten« Gewerkschaftsverbands CGIL steht nicht mehr der im Text mehrmals erwähnte Di Vittorio, sondern Lama; heute spricht man nicht mehr von Amlira (amerikanische Besatzungswährung in Italien), sondern schlicht von Dollar oder D-Mark usw. Die Politik der Gewerkschaften blieb dieselbe: Verteidigung der Investitionen oder Forderung und Förderung einer »durchgreifenden Investitionspolitik«; wenn die Kapitalisten selbst noch zögern. Der Artikel zeigt, was der Marxismus unter Investition versteht und was sich hinter den Theorien verbirgt, Investitionen würden zum Wohle der Arbeiterklasse getätigt: nämlich vermehrte kapitalistische Ausbeutung. In einem zweiten Teil wird die Rolle der Arbeitervereinigungen als Kampforganisationen des Proletariats gegen das Kapital erneut hervorgehoben und die Funktion, die die heutigen Gewerkschaften durch jahrzehntelanger opportunistischer Führung erfüllen, angezeigt. 1950, 1977, Italien, England, Deutschland usw.: Möge der Leser anhand dieser kurzen Schrift selber feststellen, wie aktuell und universell der »alte und überholte« Marxismus ist und wie museal die Theorien und Programme, mit denen die Agenten der Bourgeoisie nach wie vor und überall hausieren gehen.

  1. »Das Kapital« Bd. I, MEW 23, S. 605–639. [⤒]

  2. Mit E.R.P.-Dollars sind die Investitionen im Rahmen des European Recovery Program nach dem 2. Weltkrieg gemeint. [⤒]

  3. Anspielung auf die Rentenmark, die von Hjalmar Schacht, dem späteren Minister Hitlers, mit der Währungsreform von 1923 eingeführt wurde. [⤒]


Source: »Kommunistisches Programm«, Nr. 14, Mai 1977

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