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KARL MARX: DAS KAPITAL – KURZFASSUNG VON OTTO RÜHLE (V)


Content:

Inhaltsverzeichnis
I. Ware und Geld
II. Die Verwandlung von Geld in Kapital
III. Die Produktion des absoluten Mehrwertes
IV. Die Produktion des relativen Mehrwertes

14. Absoluter und relativer Mehrwert

15. Grössenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

16. Verschiedene Formeln für die Rate des Mehrwertes

VI. Der Arbeitslohn
VII. Der Akkumulationsprozess des Kapitals

Fremdwörtererklärung und Anhang
Source


Der Produktionsprozess des Kapitals

V. Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwertes

14. Absoluter und relativer Mehrwert

Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses erweitert sich notwendigerweise auch der Begriff der produktiven Arbeit und der ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu. vollziehen. Andererseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert und so für die Ausdehnung des Kapitals arbeitet. Der Begriff der produktiven Arbeit schliesst daher keineswegs bloss ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches Verhältnis der Produktion, ein Verhältnis, das historisch entstanden ist und den Arbeiter zum direkten Erzeugnismittel von Mehrwert stempelt.

Die Verlängerung des Arbeitstages über den Punkt hinaus, wo der Arbeiter nur ein Äquivalent für den Wert seiner Arbeitskraft produziert hätte, und die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital – das ist die Produktion des absoluten Mehrwertes. Sie bildet die allgemeine Grundlage des kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des relativen Mehrwertes. Um die Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige Arbeit verkürzt durch Methoden, vermittels deren das Äquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit produziert wird. Die Produktion des absoluten Mehrwertes dreht sich nur um die Länge des Arbeitstages; die Produktion des relativen Mehrwertes revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit.

Von gewissem Gesichtspunkt aus scheint der Unterschied zwischen absolutem und relativem Mehrwert illusorisch zu sein. Der relative Mehrwert ist absolut, denn er bedingt eine absolute Verlängerung des Arbeitstages über die zur Existenz des Arbeiters notwendige Arbeitszeit. Der absolute Mehrwert ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der Arbeitsproduktivität, welche erlaubt, die notwendige Arbeitszeit auf einen Teil des Arbeitstages zu beschränken. Fasst man aber die Bewegung des Mehrwertes ins Auge, so verschwindet dieser Schein der Identität. Sobald die kapitalistische Produktionsweise einmal hergestellt und allgemeine Produktionsweise geworden ist, macht sich der Unterschied zwischen absolutem und relativem Mehrwert fühlbar.

Setzen wir voraus, dass die Arbeit nach ihrem Wert bezahlt wird, dann stehen wir vor dieser Alternative: Die Produktivität der Arbeit und ihren Normalgrad von Intensität gegeben, ist die Rate des Mehrwertes nur erhöhbar durch tatsächliche Verlängerung des Arbeitstages; andererseits, bei gegebener Grenze des Arbeitstages, ist die Rate des Mehrwertes nur erhöhbar durch relativen Grössenwechsel seiner Bestandteile, d. h. der notwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was seinerseits, soll der Lohn nicht unter den Wert der Arbeitskraft sinken, einen Wechsel in der Produktivität oder der Intensität der Arbeit voraussetzt.

Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen Produktion abgesehen, bleibt die Produktivität der Arbeit an Naturbedingungen gebunden. Die Naturbedingungen zerfallen ökonomisch in zwei grosse Klassen: natürlichen Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit und natürlichen Reichtum an Arbeitsmitteln wie schiffbare Flüsse, Metalle, Kohle usw. Günstige Naturbedingungen lieferten jedoch immer nur die Möglichkeit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwertes oder des Mehrprodukts. Die verschiedenen Naturbedingungen bewirken, dass dieselbe Quantität Arbeit in verschiedenen Ländern verschiedene Bedürfnisse befriedigt, dass also, unter sonst analogen Umständen, die notwendige Arbeitszeit verschieden ist. Diese Bedingungen wirken auf die Mehrarbeit nur als natürliche Grenzen, d. h. durch die Bestimmung des Punktes, wo die Arbeit für andere beginnen kann. In demselben Masse aber, in dem die Industrie fortschreitet, weicht diese Naturschranke zurück.

15. Grössenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

Unter der Voraussetzung, dass die Waren zu ihrem Wert verkauft werden, dass weiter der Preis der Arbeitskraft gelegentlich über ihren Wert steigt, aber niemals unter ihn sinkt, sahen wir, dass die relative Grösse des Mehrwertes und des Preises der Arbeitskraft durch drei Umstände bestimmt wird
1. durch die Länge des Arbeitstages oder die extensive Grösse der Arbeit;
2. durch die normale Intensität der Arbeit oder ihre intensive Grösse, womit eine gegebene Quantität Arbeit in einer gegebenen Zeit verbraucht wird;
3. durch die Produktivität der Arbeit.
Es ist ganz klar, das sehr verschiedene Kombinationen möglich sind.

Die hauptsächlichsten Kombinationen sind folgende:
I. Die Länge des Arbeitstages und die Intensität der Arbeit sind konstant. Die Produktivität der Arbeit ist veränderlich.
II. Der Arbeitstag ist konstant. Die Produktivität der Arbeit ist konstant. Die Intensität der Arbeit ist veränderlich.
III. Die Produktivität und Intensität der Arbeit sind konstant. Die Länge des Arbeitstages ist veränderlich.
IV. Gleichzeitige Veränderungen in Dauer, Produktivität und Intensität der Arbeit.

16. Verschiedene Formeln für die Rate des Mehrwertes

Die Rate des Mehrwertes wird durch die folgenden Formeln dargestellt:

I.

Mehrwert

(m)

=

Mehrwert

=

Mehrwert




Variables Kapital

(v)

Wert der Arbeitskraft

Notwendige Arbeit

Die beiden ersten Formeln stellen als Verhältnis von Werten das Verhältnis dar, das in der dritten Formel als Verhältnis von Zeiträumen, in denen diese Werte produziert wurden, dargestellt wird. Diese Formeln, die einander ergänzen, sind begrifflich korrekt.

In der klassischen politischen Ökonomie begegnen wir den folgenden abgeleiteten Formeln:

II.

Mehrarbeit

=

Mehrwert

=

Mehrprodukt




Arbeitstag

Wert des Produkts

Gesamtprodukt

Hier wird dasselbe Verhältnis ausgedrückt als Verhältnis der Arbeitszeiten, der Werte, in denen diese Arbeitszeiten verkörpert sind, und der Produkte, in denen diese Werte existieren.

In all diesen Formeln (II) ist der wirkliche Grad der Ausbeutung der Arbeit oder die Rate des Mehrwertes falsch ausgedrückt. Lassen wir den Arbeitstag 12 Stunden sein; dann wird der wirkliche Grad der Ausbeutung der Arbeit, wenn man dieselben Voraussetzungen wie bei den früheren Beispielen macht, in den folgenden Proportionen dargestellt:

6 Stunden Mehrarbeit

=

Mehrwert 3 sh.

= 100%



6 Stunden notwendige Arbeit

variables Kapital 3 sh.

Aus der Formel II erhalten wir etwas ganz anderes:

6 Stunden Mehrarbeit

=

Mehrwert 3 sh.

= 50 %



12 Stunden Arbeitstag

erzeugter Mehrwert 6 sh.

Diese abgeleiteten Formeln drücken in Wirklichkeit nur das Verhältnis aus, in dem der Arbeitstag oder der durch ihn produzierte Wert zwischen Kapitalist und Arbeiter aufgeteilt wird. Müssten sie als direkte Ausdrücke des Grades der Selbstausdehnung des Kapitals behandelt werden, würde das folgende irrige Gesetz gelten: Mehrarbeit oder Mehrwert kann niemals 100% erreichen. Da die Mehrarbeit nur ein ohne Rest aufgehender Teil des Arbeitstages oder der Mehrwert nur ein ohne Rest aufgehender Teil des erzeugten Wertes ist, muss die Mehrarbeit notwendigerweise immer kleiner als der Arbeitstag oder der Mehrwert immer kleiner als der erzeugte Gesamtwert sein. Das Verhältnis Mehrarbeit/Arbeitstag oder Mehrwert/erzeugter Wert kann daher niemals die Grenze von 100/100 erreichen und noch weniger steigen auf (100 + x)/100. Wohl aber die Rate des Mehrwertes, der wirkliche Grad der Ausbeutung der Arbeit.

Es besteht noch eine dritte Formel; sie lautet:

III.

Mehrwert

=

Mehrarbeit

=

unbezahlte Arbeit




Wert der Arbeitskraft

notwendige Arbeit

bezahlte Arbeit

Nach der früher gegebenen Erklärung kann man durch die Formel unbezahlte Arbeit/bezahlte Arbeit nicht zu dem Missverständnis verleitet werden, dass der Kapitalist für die Arbeit bezahlt und nicht für die Arbeitskraft. Der Kapitalist bezahlt den Wert der Arbeitskraft und erhält dafür die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine Nutzniessung dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden. Während der einen Periode produziert der Arbeiter nur einen Wert, der dem Wert seiner, Arbeitskraft gleich ist. So erhält der Kapitalist ein Produkt desselben Preises. Während der Periode der Mehrarbeit dagegen erzeugt die Nutzniessung der Arbeitskraft für den Kapitalisten einen Wert, der ihm keinen Gegenwert kostet. In diesem Sinn kann Mehrarbeit unbezahlte Arbeit genannt werden.

Kapital ist daher nicht nur, wie Adam Smith sagt, Kommando über Arbeit. Es ist im wesentlichen Kommando über unbezahlte Arbeit. Jeder Mehrwert, in welcher Form (Profit, Zins oder Rente) er sich später kristallisieren mag, ist in der Substanz die Vergegenständlichung unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimnis der Selbstausdehnung des Kapitals löst sich selbst auf in der Verfügung, die es über eine bestimmte Quantität unbezahlter Arbeit anderer Leute hat.


Source: »Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, Offenbach/M., Bollwerk Verlag, 1949

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