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REDEBEITRÄGE BORDIGAS ZUM VIERTEN WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE


Content:

Redebeiträge Bordigas zum Vierten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1922
Diskussion zum Bericht des Exekutivkomitees der KI (11. 11. 1922)
Diskussion zur Organisation des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (30. 11. 1922)
Notes
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Redebeiträge Bordigas zum Vierten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1922

Diskussion zum Bericht des Exekutivkomitees der KI (11. 11. 1922)

BORDIGA[1]: Der Gen. Sinowjew hat – um sie zu bekräftigen – gewisse Grundsätze in Erinnerung gebracht, die der 3. Kongress aufgestellt hat und die von der italienischen Partei gebilligt werden.

Der erste betrifft die Deutung der Lage des Kapitalismus. Es besteht eine Krise, die nicht vorübergehend ist, die den Verfall des Kapitalismus selbst bedeutet, eine Krise, die man als endgültige Krise bezeichnen kann.

Der zweite Punkt stellt fest, dass es, um in dieser Situation den revolutionären Sieg zu ermöglichen, notwendig ist, dass die Kommunistische Partei ihren Einfluss auf die grossen Massen ausbreitet. Das lässt sich dadurch verwirklichen, dass sie an den Kämpfen für alle konkreten Interessen der Arbeiterklasse teilnimmt.

Die italienischen Kommunisten haben weder in der Theorie, noch in der Praxis eine putschistische Methode unterstützt, noch sich der Illusion hingegeben, die Macht mit einer kleinen revolutionären Partei erringen zu können Sie akzeptieren bloss nicht diese Formel der Mehrheit der Arbeiterklasse, die unbestimmt und willkürlich ist. Sie ist unbestimmt, weil sie uns nicht sagt, ob es sich ausschliesslich um das Proletariat oder auch um halbproletarische Schichten, um alle politischen oder gewerkschaftlichen Organismen handelt. Diese Formel erscheint uns auch in dem Sinne willkürlich, als der revolutionäre Angriff durch die Kräfteverhältnisse auch in einer Lage, in der wir die Mehrheit haben, sehr wohl unmöglich gemacht werden kann; wie es übrigens auch nicht ausgeschlossen ist, dass der Angriff möglich ist bevor wir diese Mehrheit gewonnen haben.

Unsere Ansicht über die Aufgaben der Internationale und den Bericht, den der Gen. Sinowjew vorgelegt hat, ist die, dass die Internationale bis jetzt das grosse taktische Problem nicht auf die glücklichste Art und Weise gelöst hat. Gewöhnlich erkennt man die linke Tendenz an der Zuversicht, die sie in bezug auf einen nahen Ausbruch der Revolution hegt. Nun, ich bin in dieser Hinsicht etwas pessimistischer als der Gen. Sinowjew.

Wenn das Bestehen einer grossen kapitalistischen Krise eine unbedingt nötige objektive Voraussetzung für die Revolution ist, so muss man dennoch feststellen, dass die subjektiven Voraussetzungen für das Bestehen einer starken Kommunistischen Internationale und für ihren Einfluss auf die Massen in gewissem Sinne durch den direkten Einfluss der Krise auf die wirtschaftlichen Arbeiterorganisationen, auf die Gewerkschaften und ähnliche Organisationen, die wir die »ursprünglichen« natürlichen Organisationen der Arbeiterklasse nennen können, und auf die die Entwicklung der objektiven Situation sich unmittelbar auswirkt, gefährdet werden. Die unmittelbarste Art, die Massen zu gewinnen, besteht in einer intensiven gewerkschaftlichen Arbeit. Die wirtschaftliche Krise und die Arbeitslosigkeit machen diese Aufgabe schwieriger. Die Lösung, die die Opportunisten diesem Problem geben, ist die, dass man ein neues kapitalistisches Aufblühen abwarten müsse, ehe man an die Befreiung des Proletariats geht.

In der Tat, wenn man sich an eine klassische Lösung halten möchte, so müsste man in der Tat während der Blüteperiode des Kapitalismus für die revolutionäre Partei den grösstmöglichen Einfluss gewinnen, und im Augenblick des Ausbruchs der Krise die wirtschaftlichen Organisationen auf das Gebiet der revolutionären Aktion mitreissen zu können. Das ist es, was die Opportunisten verhindert haben. Trotzdem hört die Kommunistische Internationale nicht auf, sich die revolutionäre Mobilisierung des Weltproletariats zur Aufgabe zu machen. Dieses Problem steht gegenwärtig unter schwierigen Bedingungen, die aber nicht als unüberwindlich zu betrachten sind. Meines Erachtens wird trotz der Ausnahme, die gewisse Länder momentan bilden, die wirtschaftliche Lage sich im allgemeinen verschlimmern und Arbeitslosigkeit und Rückgang der Gewerkschaften mit sich bringen.

Die Unzufriedenheit wird infolge der Gefahr neuer Kriege nicht nur im Proletariat, sondern auch in den halbproletarischen Klassen wachsen. Diese chaotische Unzufriedenheit in eine Form zu bringen, die für den revolutionären Kampf geeignet ist, das ist das grosse Problem. Die Lösung dieses Problems wird von der Internationale in der Erklärung der Bedingungen selbst, die durch die Offensive des Kapitals geschaffen wurden, gesucht: hieraus entstand die Taktik der Einheitsfront.

Im grossen und ganzen nehmen wir den Geist dieser Taktik an. Die Vorbehalte, die wir machen und die auch die allgemeine Arbeit der Leitung der Internationale betreffen, werden aus einigen Betrachtungen, die wir jetzt anstellen werden, hervorgehen.

Wenn die Eroberung der Massen für uns das Hauptziel ist, so will das doch nicht sagen, dass man sie gezwungenermassen in einer beständigen mechanischen Entwicklung verwirklichen muss, wie auch nicht, dass man in einem gegebenen Moment gezwungenermassen einen Ausweg finden muss, um zu dieser Eroberung in grossen Etappen vorzurücken. Es ist möglich, dass man für eine gewisse Zeit in die Lage versetzt ist, die Partei nicht wachsen zu sehen, aber dass man trotzdem in der Zwischenzeit eine derartige Arbeit leistet, die uns die Sicherheit gibt, dass wir imstande sein werden, uns in einem späteren Moment der Massen zu bemächtigen. Sinowjew hat gesagt, dass gewisse Teile der Internationale ihren Einfluss haben wachsen sehen, trotz einer Abnahme ihrer Mitgliederbestände.

Die Eroberung der Massen soll nicht ausschliesslich im Sinne statistischer Schwankungen gedeutet werden. Sie ist ein dialektischer Prozess. Dieser Prozess wird vor allem durch die Evolution der sozialen objektiven Bedingungen bestimmt und unsere taktische Initiative kann ihn nur in bestimmten Grenzen beschleunigen oder, um deutlicher zu sein, unter gewissen Bedingungen, die wir als vorausgesetzt betrachten. Unsere taktische Initiative, d. h. die Geschicklichkeit der Partei in der Aktion, wirkt sich nur auf die Erscheinungen aus, die sich in der Psychologie des Proletariats entwickeln, wobei ich den Ausdruck »Psychologie« im weitesten Sinne gebrauche, bezogen auf das Bewusstsein, auf den Seelenzustand, auf den Kampfeswillen der Arbeitermasse. Wir müssen uns hier daran erinnern, dass es, wie es unsere gesamte revolutionäre Erfahrung zeigt, zwei Faktoren gibt, die eine erstklassige Rolle spielen: eine vollständige ideologische Klarheit in der Partei und eine strikte und geschickte Beharrlichkeit im Aufbau und in der Organisation. Nun sagen wir, dass es auf dem Weg zur wirklichen Eroberung der Massen, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie neue Schichten des Proletariats um eine Partei, die fähig zur revolutionären Aktion ist, sammelt, ein schlechtes Geschäft ist, wenn wir zulassen, dass diese Bedingungen gefährdet werden, um eine scheinbare Verbesserung in der Partei herbeizuführen. Die Fähigkeit zur revolutionären Aktion bedingt eine Vorbereitung, die niemals improvisiert werden kann und die in den schon erwähnten Faktoren besteht, d. h. in der Klarheit der Doktrin und in der Festigkeit der Organisation.

Nachdem wir dies festgestellt haben, sagen wir, dass wir die Linie der Internationale voll befolgen, wenn sie sich zum Ziel setzt, wie dies zwischen dem 3. und 4. Kongress gemacht wurde (wie es unsere Partei als erste getan hat, sogar schon vor der Rückkehr ihrer Delegation vom 3. Kongress), aus der allgemeinen Erscheinung der kapitalistischen Offensive allen Nutzen zu ziehen, um die Massen der Arbeiterklasse, die sich noch im Gefolge der Sozialdemokratie befinden oder zerstreut sind, mit der Kommunistischen Partei mitzureissen. Wiederholen hier nicht die Analyse der Ursachen und des Charakters der bürgerlichen Offensive, zu der die herrschende Klasse gerade durch die Tatsache gezwungen worden ist, dass die Krise unabwendbar ist. Ein besonderer Punkt der Tagesordnung behandelt diese Frage, und wir werden bei Erörterung des italienischen Faschismus darauf hinweisen können, auf welche Weise die Bourgeoisie die gleichzeitige Anwendung aller ihrer konterrevolutionären Verteidigungsmethoden bewerkstelligt.

Die Unternehmeroffensive lässt politische und wirtschaftliche Forderungen entstehen, die die Allgemeinheit der Arbeiterschaft unmittelbar interessieren, und die der Kommunistischen Partei eine günstige Gelegenheit bieten, die Einheitsaktion der Arbeiterklasse zu unterstützen und durch Tatsachen zu beweisen, dass die anderen proletarischen Parteien unfähig sind, auch nur die unmittelbaren Interessen des Proletariats zu verfechten. Das alles zieht die doppelte revolutionäre Wirkung nach sich, dass dem Plan des Wiederaufbaues des bedrohten Kapitalismus Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden und dass der Einfluss der Kommunistischen Partei auf die Masse erhöht wird. Wir haben gesagt, dass wir in der Anwendung dieser Taktik Grenzen im Auge haben, Grenzen, die an die Notwendigkeit gebunden sind, die anderen Faktoren des Einflusses der Partei auf die Masse und die innere revolutionäre Bereitschaft ihrer Mitglieder nicht zu gefährden. Wir dürfen niemals vergessen, dass unsere Partei kein starrer Mechanismus ist, den wir einfach handhaben, sondern dass sie ein lebendes Wesen ist, auf das äussere Faktoren einwirken, und das durch die Richtung, die wir unserer Taktik geben, verändert werden kann. Deshalb sagen wir, dass die Bildung eines permanenten leitenden Organs aus den Vertretern der verschiedenen proletarischen Parteien im Widerspruch mit dem Prinzip der Taktik der Einheitsfront steht.

Man muss sich selbstverständlich auf eine Ablehnung als auch auf eine Annahme einer gemeinsamen Aktion durch die Opportunisten vorbereiten. Die Verantwortung für die Aktion muss aber einem Organ zufallen, das aus der Arbeitermasse durch Vermittlung ihrer wirtschaftlichen Organisationen hervorgeht, und das im Prinzip durch jede Partei erobert werden kann. Auf diese Weise wird die Kommunistische Partei sich dieses Organ unterstellen können und ein Beispiel geben, indem sie sich an die Spitze der proletarischen Einheitsaktion stellt, nicht aber, indem sie den Massen gegenüber die Verantwortung für die schlechten Folgen der Methoden der Aktion trägt, die von einer nichtkommunistischen Mehrheit der proletarischen Organisationen diktiert werden, denn auf dem Gebiete der Eroberung eines Einflusses auf die Masse und ihre Psychologie muss man mit der Verantwortung und mit den Traditionen der Vergangenheit der Parteien, der politischen Gruppen und der Männer, denen die Massen folgen, rechnen.

 Es handelt sich also keineswegs darum, aus der Zahl der Forderungen der Einheitsfront die politischen Fragen auszuschalten und nur wirtschaftliche zuzulassen, es handelt sich auch nicht darum, im Prinzip, oder ich weiss nicht aus welchem Gefühl der »Sprödigkeit« vorübergehende Unterhandlungen selbst mit den schlimmsten Führern der Opportunisten abzulehnen. Es handelt sich lediglich darum, die Bereitschaft der grösstmöglichen Schicht des Proletariats für die revolutionäre Situation, in der die Aktion ausschliesslich auf dem Gebiet der Methoden der Kommunistischen Partei stattfinden wird, auf die Gefahr hin, das gesamte Proletariat zu einer Niederlage zu führen, nicht aufs Spiel zu setzen, es handelt sich darum, für unsere Partei die volle Möglichkeit zu bewahren, während der Entwicklung der Einheitsfront auf allen Gebieten an der Einreihung der proletarischen Kräfte im eigenen Sinne weiterzuarbeiten. Die Taktik der Einheitsfront würde keinen Sinn haben, wenn die Arbeit der Organisierung der Massen während der Bewegungen, die die Partei innerhalb der Gewerkschaften, der Fabrik usw. schafft, nicht geleistet werden sollte.

Wir behaupten, dass die Gefahr, die Einheitsfront zu einem kommunistischen Revisionismus degenerieren zu sehen, besteht, und um sie zu vermeiden, muss man sich innerhalb dieser Grenzen halten.

Nun zur Arbeiterregierung. Wenn man uns von neuem, wie schon in der Erweiterten Exekutive im Juni, bestätigt, dass sie »die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie« sei, dann sind wir der Ansicht, dass man unter gewissen Umständen zustimmen kann, diese Parole als terminologischen Ersatz für die Diktatur des Proletariats auszugeben. Jedenfalls widersetzen wir uns dem nicht, es sei denn, dass man dieses Bedürfnis, unser wirkliches Programm zu verstecken, als zu opportunistisch bezeichnen könnte. Wenn aber die Parole »Arbeiterregierung« bei den Arbeitermassen den Eindruck hervorrufen soll, dass nicht 1. lediglich eine vorübergehende politische Situation, oder 2. das augenblickliche Verhältnis der sozialen Kräfte, sondern das wichtigste Problem der Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und dem Staat (dieses Problem, auf das wir das Programm und die Organisation der Internationale gegründet haben) anders gelöst werden kann, als durch den bewaffneten Kampf für die Macht und ihre Ausübung in Form der proletarischen Diktatur, dann weisen wir dieses taktische Mittel zurück, weil es für das zweifelhafte Ergebnis einer unmittelbaren Popularität eine Grundbedingung der Vorbereitung des Proletariats und der Partei zu den revolutionären Aufgaben gefährdet.

Man wird vielleicht. sagen, dass die Arbeiterregierung nicht das ist, was wir befürchten, aber da muss ich bemerken, dass ich unzählige Male Erklärungen über das gehört habe, was die Arbeiterregierung nicht ist, aber dass ich erst aus dem Munde des Genossen Sinowjew oder eines anderen erfahren muss, was die Arbeiterregierung eigentlich darstellt.

Wenn es sich darum handelt, objektiv die Verwirklichung eines Übergangsregimes, das der proletarischen Diktatur vorangehen wird, ins Auge zu fassen, dann bin ich der Meinung, dass, wenn der proletarische Sieg nicht eine ganz entscheidende Form annimmt, es eher zu erwarten ist, dass der Prozess über die Schläge der Reaktion hinweg zu bürgerlichen Koalitionsregierungen führt, an denen die Rechte der Opportunisten wahrscheinlich direkt teilnehmen wird, während die Zentristen von der politischen Bildfläche verschwunden sein werden, nachdem sie ihre Rolle als Mitschuldige und Sozialdemokraten ausgespielt haben werden.

In Deutschland sehen wir z. B., dass am Vorabend einer allgemeinen industriellen Krise in der Bewegung der Betriebsräte das Problem Produktionskontrolle auftauchte. Hier sehen wir eine gewisse Ähnlichkeit mit der italienischen Lage im Monat September 1920, die einer grossen proletarischen Niederlage voranging. Wenn eine ähnliche revolutionäre Tatsache entstehen wird, muss die deutsche Kommunistische Partei sich darauf vorbereiten, ohne Ausnahme alle opportunistischen Tendenzen klar zu erkennen, und sogar die bescheidenste Unterstützung für diese Parole der Kontrolle abzulehnen. Entweder wird die Kommunistische Partei von diesem Augenblick an eine selbständige Rolle spielen können, oder es besteht die Möglichkeit, dass eine gegenrevolutionäre Situation sich entwickelt, die eine Regierung vorbereitet, in der der deutsche Faschismus die Verräter der Rechtssozialdemokratie als Mitarbeiter an seiner Seite haben wird.

Aus all dem ergibt sich, dass wir uns weder den Thesenentwurf des Gen. Sinowjew noch die Direktiven der Tätigkeit der Kommunistischen Internationale vollständig zu eigen machen können. Das bezieht sich nicht nur auf die Taktik, sondern auch auf die Arbeit der Bildung internationaler Organisation.

Wir haben gehört, wie Gen. Sinowjew sich über den Mangel an Zentralismus und an Disziplin in unserer internationalen Aktion beklagt. Wir sprechen uns für ein Maximum an Zentralismus und Macht der höchsten Zentralorgane aus.

Aber was den Gehorsam des gesamten Organisationsnetzes der Initiative des leitenden Zentrums gegenüber sichern kann, das ist nicht nur ein feierlicher Schwur der Disziplin, sind keine Verpflichtungen, selbst wenn sie die aufrichtigsten sind.

Es ist auch nicht eine formale und peinliche Anwendung der inneren Demokratie und der Kontrolle seitens der Masse der Organisierten – das führt meistens zur Verwirrung. Die Garantie für die Disziplin muss anderswo gesucht werden, und wir müssen uns mit Hilfe der marxistischen Dialektik erinnern, welcher Art unsere Organisation ist, die weder ein Mechanismus noch eine Armee ist, sondern ein wirklicher einheitlicher Komplex dessen Entwicklung erstens, ein Ergebnis und zweitens, ein Faktor der Entwicklung der historischen Situation ist.

Die Garantie für die Disziplin kann nur in der scharfen Umschreibung der Grenzen liegen, innerhalb deren unsere Aktionsmethoden angewendet werden sollen, in der Klarheit der Programme der wichtigsten taktischen Resolutionen und der Organisationsmassnahmen. Die russische Revolution hat der internationalen revolutionären Bewegung die Grundlagen für die Wiederherstellung ihrer Ideologie und ihrer Kampforganisationen geliefert. Das ist ein nicht abzuschätzender Gewinn, der späterhin in dem Masse, wie das Band zwischen der russischen Revolution und der internationalen proletarischen Bewegung festbleiben wird, seine weiteren Wirkungen erzeugen wird. Wir kritisieren die Tendenz, zuviel Freiheit in den Organisationsmassnahmen und in den taktischen Mitteln, deren Wahl dem leitenden Zentrum überlassen bleiben soll, zu gewähren, gerade weil sie uns von diesen Zielen entfernt. Diese Wahl soll – wir wiederholen es – dem Zentrum und nicht den nationalen Organisationen überlassen bleiben, welche behaupten, die besonderen Bedingungen ihres Milieus besser beurteilen zu können. Wenn aber dieses Recht zu weit gefasst wird und das Zentrum mitunter wenig voraussehend ist, dann werden sich fatalerweise die Fälle von Disziplinlosigkeit häufen, die den Bau und das Ansehen der revolutionären Weltorganisation untergraben werden. Wir sind der Ansicht dass die Organisation der Internationale in ihren Zentralorganen noch weniger föderativ sein soll; sie sollen nicht auf die Vertretung der nationalen Sektionen gegründet sein, sondern aus dem internationalen Kongress hervorgehen.

Es ist ganz selbstverständlich, dass nur die russische Revolution uns den Sitz und den Generalstab der Kommunistischen Internationale geben kann, aber dieser Generalstab soll – um mit Sicherheit die Bewegungen der Weltkräfte zu leiten – in Übereinstimmung mit ihnen die Pläne der proletarischen revolutionären Strategie bestimmen, denen gegenüber kein einziger Fall von Gehorsamsverweigerung erlaubt werden darf.

Beispiele von schlechten Folgen einer zu grossen Elastizität und eines Eklektizismus in der Auswahl der Kampfmittel sind leider vorhanden. Die schlechte Lage der französischen Partei ist das schlagendste Beispiel. Und man muss die ganz auffällige Tatsache erwähnen, dass alle Parteien, die eine absolute Mehrheit der politisch organisierten Arbeiter auf ihrer Seite haben und die ihren direkten Ursprung in den traditionellen sozialdemokratischen Parteien haben, eine Krise durchmachen. Das wird uns durch Frankreich, durch die Tschechoslowakei und Norwegen bewiesen. Wir können nicht umhin zu sagen, dass in gewissem Sinne ein freiwilliger Irrtum begangen wird, der darin besteht, die Internationale der Arbeiterparteien als in ihrem Aufbau viel zu sehr den staatlichen und militärischen Organisationen ähnlich zu betrachten.

Indem man unter allen Umständen entscheidende Mittel finden wollte, um grosse revolutionäre Erfolge zu erlangen, hat man vielleicht einen Weg eingeschlagen, der uns über Krisen hinweg, die ausbrechen, ohne dass irgendeine uns zur Verfügung stehende Kraft sie verhindern könnte, zu sehr von sicheren und festen Ergebnissen entfernt; es ist auch möglich, dass entscheidende Wendepunkte uns überraschen und uns vor schwierige Fragen stellen. Ich behaupte nicht, dass diese Erfahrung in einem gewissen Sinne nicht notwendig gewesen sei; ich erlaube mir nur, hier einen Beitrag zu liefern, der nicht Ergebnis abstrakter Überlegungen ist, sondern aus der Erfahrung einer Partei, die ihren Platz im Kampf an der gemeinsamen Front behauptet, hervorgeht.

Unsere Internationale wird zu oft als etwas betrachtet, das sich ausserhalb der Parteien, die ihr angehören, befindet; manchmal erlauben sich diese Parteien oder Fraktionen dieser Parteien eine polemische Diskussion mit ihr, die oft öffentlich und beleidigend ist. Die Internationale sieht sich dazu gezwungen, innerhalb der Parteien Fraktionen zu schaffen, die sich ihren Anweisungen fügen, was mir absurd und gefährlich scheint.

Wir sehen uns gezwungen, zuviel organisatorische und disziplinarische Fragen zu erledigen, in dem Augenblick, in dem wir feststellen, dass der Gegner eine derartige Reaktion vom Stapel lässt, dass die Unterhandlungen und die ganze Prozedur, die in solchen Fällen nötig sind, praktisch unmöglich gemacht werden.

Ich schliesse mit der Parole die Sinowjew selbst ausgegeben hat: Seien wir eine wirkliche kommunistische internationale Partei, fest zentralisiert, vom Geiste des revolutionären Kampfes durchdrungen!

Ich bemerke noch, dass in einer solchen Partei keine Änderungen im Aufbau und in der Organisation für diese oder jene Gegend vorgenommen werden würden, dass man auf ihren Landeskongressen niemals Delegierte von einem Bezirk sehen würde, die nicht mit den allgemeinen Regeln der Organisation in Übereinstimmung wären.

In der zentralisierten internationalen Kommunistischen Partei werden wir tatsächlich jene unentbehrliche Einheit des Gedankens und der Aktion besitzen, der gegenüber jede Disziplinverweigerung wie Verrat bestraft werden wird.

Diskussion zur Organisation des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (30. 11. 1922)

BORDIGA[2]: Ich habe um das Wort gebeten, um über den Bericht des Gen. Eberlein zur Reorganisierung des Exekutivkomitees der Internationale zu sprechen. In die Kommission berufen, bemerkte ich, dass es sich nicht bloss um die Reorganisierung des Exekutivkomitees und seiner Arbeit, sondern um die Reorganisierung der ganzen Internationale handelt. Es handelt sich um wichtige Fragen, die die tatsächliche Revision der Statuten der Internationale in bezug auf sämtliche Beziehungen zwischen den Sektionen und der Zentrale und die gesamte organisatorische Arbeit der Internationale im allgemeinen bedeuten.

Ich habe die Frage der Notwendigkeit einer Revision der Statuten der Internationale aufgeworfen. Gen. Eberlein sagte aber soeben, dass diese Angelegenheit bis zum nächsten Kongress vertagt sei.

Ich finde den Organisationsentwurf in all seinen Teilen durchaus annehmbar. Er enthält Verfügungen, die, objektiv betrachtet, sehr wichtig sind, insofern sie darauf abzielen, die letzten Überreste der föderalistischen Organisationsmethode der alten Internationale auszumerzen.

Wenn es möglich wäre, in diesem Stadium des Kongresses die Diskussion ein wenig zu erweitern, könnte man die Frage stellen, ob all das, was zur Verwirklichung der tatsächlichen revolutionären Zentralisation erforderlich ist, mit Hilfe einer Reform des Organisationsapparates durchgeführt werden kann.

Ich habe darüber bereits in meiner Rede zum Bericht des Exekutivkomitees einige Worte gesagt. Ich will sie jetzt nicht wiederholen. Ich habe hierzu keine Zeit, ich muss jedoch neuerdings erklären, dass, wenn wir eine tatsächliche Zentralisierung, d. h. eine Synthese der spontanen Kräfte des Vortrupps der revolutionären Bewegung in den verschiedenen Ländern zustande bringen wollen, um die Disziplinskrisen aus der Welt schaffen zu können, die wir jetzt konstatieren, wir den Organisationsapparat zentralisieren, gleichzeitig aber die Kampfmethoden vereinheitlichen und alles, was sich auf das Programm und auf die Taktik bezieht, genau präzisieren müssen. Alle Gruppen und alle Genossen, die der Internationale angehören, müssen wir genau darüber aufklären, was die Verpflichtung des unbedingten Gehorsams bedeutet, die sie eingehen müssen, sobald sie in unsere Reihen eintreten.

Was die internationalen Kongresse anbelangt, so bin ich mit der Abschaffung der imperativen Mandate und der Einberufung der Landeskongresse nach den internationalen Kongressen vollständig einverstanden. Ich gebe ohne Vorbehalt zu, dass dies Massnahmen sind, die den Prinzipien der Zentralisation entsprechen, dennoch aber bin ich der Ansicht, dass wir uns nicht darauf beschränken dürfen, zu erklären, dass im Interesse der richtigen Zentralisation die imperativen Mandate abgeschafft und die internationalen Kongresse vor den Landeskongressen abgehalten werden müssen, sondern dass über die Arbeit und die Organisation der Kongresse noch ernstere Worte gesagt werden müssen.

Wir sind bei den letzten Sitzungen des Kongresses angelangt und müssen zugeben, dass dieser Kongress nicht in jeder Hinsicht Zufriedenstellendes geleistet hat.

Es wurden viele wichtige Fragen untersucht. Wir stehen in den letzten Tagen der Debatten und sehen, dass diese Debatten nicht besonders aktiv waren.

Wir müssen die Frage der Demissionen untersuchen. Ich stimme der Ansicht zu, dass man die Demissionen verhindern müsse. Man könnte aber auch die Regel anwenden, die wir in unserer Partei mit Erfolg angewandt haben, und nie darin besteht, dass sämtliche Demissionen unverzüglich angenommen werden und derjenige, der seine Demission gegeben hat, in den nächsten ein oder zwei Jahren seinen Platz in der Partei nicht wieder einnehmen kann. Ich glaube, dass dieses System zur erheblichen Abnahme der Zahl der Demissionen führen wird. Es ist noch eine Frage vorhanden, die ich trotz des Stadiums, in dem die Arbeiten des Kongresses sich jetzt befinden, unbedingt berühren muss: es ist dies der Vorschlag, der sich auf die zweijährige Frist zwischen den einzelnen Weltkongressen bezieht. Sollte der nächste Kongress mit Arbeit und mit Fragen nicht so überhäuft sein, wie es dieser Kongress war, so wäre es sehr richtig, diesen bedeutenden organisatorischen, finanziellen usw. Aufwand nicht zu wiederholen. Ich werfe jedoch die spezielle Frage des Zeitraums auf, der uns vom 5. Kongress trennt.

Wir sind im Begriffe, Fragen von hoher Wichtigkeit an diesen nächsten Kongress zu verweisen; wir sind im Begriffe, die Aufstellung eines neuen Planes der Kommunistischen Internationale, besser gesagt des ersten Programms der Kommunistischen Internationale, zu vertagen. Wir haben namentlich die Revision der Statuten, d. h. des organischen Bandes, das die Internationale mit ihren Sektionen verbindet, vertagt.

Wir haben nach dem Bericht der Exekutive die Frage der Taktik lange erörtert; die verschiedenen Redner, die nacheinander die Tribüne betraten, haben jedoch das grosse Problem der Taktik der Internationale nicht behandelt. Sie beschränkten sich darauf, einige Bemerkungen des Exekutivkomitees über die Arbeit oder über die Situation dieser oder jener Landessektion zu diskutieren, sehr wichtige Fragen jedoch – wie z. B. die Frage der Arbeiterregierung – wurden in dieser Diskussion nicht geklärt. Der Text wurde einer Kommission überwiesen, die noch zu keinen Ergebnissen gelangt ist. Die Frage ist also noch nicht geklärt, und wir werden hierzu keine Zeit mehr haben. Ich schlage nicht vor, über die Frage der Taktik von neuem eine grosse Debatte zu eröffnen; wenn ich aber an das Programm, an die Statuten, an die Taktik denke, finde ich den Gedanken absurd, den 5. Weltkongress erst in zwei Jahren abzuhalten. Ich behalte mir vor, im Namen der Majorität der italienischen Delegation dem Kongress den Vorschlag zu unterbreiten, den 5. Kongress der Internationale in Anbetracht dessen, dass sehr wichtige Gegenstände aufgeschoben wurden, im Sommer oder im Herbst 1923 abzuhalten

VORSITZENDER: Das Wort hat Gen. Kolarow zur Abgabe einer Erklärung.

KOLAROW (Bulgarien): Wenn Gen. Bordiga im Glauben, die Kommission habe vorgeschlagen, dass der nächste Kongress nicht im nächsten Jahre, sondern erst im übernächsten Jahre stattfinden soll, sich dagegen gewendet hat, so beruht das auf einem Missverständnis. Die Kommission hat in demselben Sinne beschlossen, wie es Gen. Bordiga wollte: zwar sollen in Zukunft die Weltkongresse alle zwei Jahre stattfinden, der nächste Weltkongress muss aber unbedingt nächstes Jahr stattfinden.

BORDIGA: Ich nehme diese Aufklärung mit Freude zur Kenntnis. Das Missverständnis wurde durch die ein wenig zu wörtliche Übersetzung der Rede des Gen. Eberlein verursacht.[3]

Notes:
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  1. auf der vierten Sitzung des IV. Weltkongresses der KI am 11. 11. 1922 [⤒]

  2. auf der siebenundzwanzigsten Sitzung des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale am 30. 11. 1922 [⤒]

  3. Der V. Weltkongress der KI fand dann doch erst zwei Jahre später statt… [⤒]


Source: »Protokoll des Vierten Kongresses der Kommunistische Internationale. Petrograd-Moskau vom 5.November bis 5.Dezember 1922«, Verlag der Kommunistischen Internationale, 1923

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