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DER KLASSENKAMPF KENNT KEINE STAATSGRENZEN


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Der Klassenkampf kennt keine Staatsgrenzen
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Der Klassenkampf kennt keine Staatsgrenzen

»Die Wilden kommen!« mit diesem Schrei aus tiefster Seele hat die »unabhängige« deutsche Presse die Lawine der von den Gewerkschaftszentralen »nicht autorisierten« Streiks kommentiert, die sich zum ersten Mal in der Nachkriegszeit über das Bonner Deutschland ergossen hat, über das Deutschland des »Wohlstands für alle«, des Konsumismus, der Glückseligkeit Marke USA. Was zum Teufel geschieht da bloss? fragten und fragen sich die Päpste der »Grossen Koalition« und der zukünftigen »Kleinen«: die Christlich-Demokraten, die voll Angst an die Exportgeschäfte denken und die Mark nicht aufwerten wollen; die Sozialdemokraten, die voll Entsetzen an das Wiederaufflackern des Klassenkampfes denken und sie aufwerten wollen; die Industriellen, die schon vorher »in den Knochen gespürt hatten«, was da gekommen wäre (angeblich soll einer der Oberhäupter der Thyssen am 18. August an seine Kollegen geschrieben haben: Der Gemütszustand in den Werken lässt das Schlimmste befürchten, es drohen wilde Streiks auszubrechen, sofortige Lohnerhöhungen sind ratsam), aber hofften, der liebe Gott würde schon vorsorgen; Krämer und Abgeordnete,,Minister und Pfaffen, Liberale und Neonazisten, alle fragten sich: Was ist da nur los? Ganz einfach: der Klassenkampf kann zeitweise in Lethargie verfallen, hört aber deswegen nicht auf, wie Marx’s »alter Maulwurf« im Untergrund der bürgerlichen Gesellschaft weiterzuwühlen, umso mehr, als diese vor »Gesundheit« birst.

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Die ganze »Sache« hat an der Ruhr angefangen, genauer gesagt in Dortmund in den Hoeschwerken: über 3000 Metallarbeiter verlangten eine Lohnerhöhung von 30 Pfennig pro Stunde, und sahen sich einem Angebot von zuerst 15 und dann 20 Pfennig gegenüber; sie streikten aus eigener Initiative und gegen den Willen der mächtigen Gewerkschaft. Die Zahl der »Rebellen« stieg rasch auf 23 000, von panischer Angst ergriffen, gewährte die Direktion 30 Pfennig; Parteien und Regierung, vollauf mit dem Wahlkampf beschäftigt, zogen es vor, sich nicht einzumischen. Aber das war nur erst der Anfang: es folgt die Arbeitsniederlegung der Metall- und Bergarbeiter von Duisburg, Mühlheim, Gelsenkirchen usw.; ihrem Beispiel folgen kurz danach die Bergarbeiter an der Saar (ungefähr 32 000), die ebenfalls eine wesentliche Lohnerhöhung fordern und sich in einer Strassenkundgebung Luft machen, in der sie nicht nur gegen die Regierungsautoritäten demonstrieren, sondern auch gegen die Gewerkschaften selbst (siehe »Neue Zürcher Zeitung« vom 10.9.); gleich darauf sind die Klöckner-Werke von Bremen an der Reihe, und dann die von Osnabrück (wo wohlgemerkt der Streik beginnt, als er anderweitig bereits aufgehört hatte), und von da breiteter sich wie ein Ölfleck aus, gegen Süden bis Nürnberg und gegen Norden bis Hannover und Kiel, wo der Arbeitsstillstand länger andauert als an allen anderen Orten: und hier scheint es, jene Gespenster einer ruhmreichen Vergangenheit (1918!, 1919!) wieder auf der gleichen Bühne erscheinen zu sehen, die sie leibhaftig betreten hatten in jenen grossen gesellschaftlichen Stürmen nach dem ersten Weltkrieg.

Die Wahlen standen vor der Tür; und Gewerkschaften und Parteien bangten um eines: wird es ihnen gelingen, die Arbeiter soweit zu bringen, dass sie angesichts der soundsovielten politischen Wahlen zu Gunsten des Wahlzettels auf ihre eigene Waffe, den offenen Kampf, verzichten werden? Andere Branchen, wie die Angestellten des öffentlichen Dienstes und die Textilarbeiter, begannen ungeduldig zu werden: das Beispiel war gegeben, das »Fischlein« (die Bezeichnung ist authentisch) der Hoesch drohte ein Walfisch zu werden.

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Es gelang ihnen, diese herrliche Explosion proletarischer Kampfbereitschaft wieder einzudämmen. Wichtig ist nun aber, ihre richtungweisenden und begeisternden Aspekte hervorzuheben. Erstens handelte es sich so wenig um ein »lokales« und »nationales« Phänomen, dass sofort danach die Eisenbahner und die U-Bahnbediensteten in Frankreich in Streik traten, weiters die Eisenbahner und Industriearbeiter in Argentinien und die Bergarbeiter in Asturien, und gleichzeitig streikten alle Arbeiterbranchen in Italien: der Klassenkampf kennt keine Staatsgrenzen! Zweitens verlangten die deutschen Arbeiter wesentliche Erhöhungen des Tariflohns, und nicht Erhöhung der Leistungslöhne, nicht Erhöhung des Akkordlohns, sie haben sie mit Gewalt und aus eigener Initiative errungen: Proletarier, nehmt euch diese Lehre zu Herzen! Drittens: mehr noch in Deutschland als in Frankreich (wo die linksgerichteten Zeitungen übrigens nicht verschweigen konnten, dass die Gewerkschaftsbonzen weidlich geschwitzt haben, um die Streikenden zu überzeugen, dass sie nun die Arbeit wieder aufnehmen müssten, da sie bereits »genug« erreicht hätten) sind die Gewerkschaftsleitungen entschieden übersprungen worden: sie schwelgten im zuckersüssen Idyll des allgemeinen Wohlergehens, und zusehr lag ihnen das Geschick der von einem sozialistischen Minister gesteuerten nationalen Wirtschaft am Herzen, zu sehr waren sie an die Konventikel mit den Unternehmern gewöhnt, um daran zu denken, nicht fiktive Tariferhöhungen auch nur zu verlangen; die Arbeiter haben den Unternehmern wie den Gewerkschaftsbonzen alles das aufgezwungen, was die einen und die anderen nie hätten geben wollen: notiere es dir, Proletarier, in deinem Gedächtnis! Viertens: Angst macht Beine, und Unternehmer und Bonzen haben sich eiligst daran gemacht, alles zu »gewähren«. Die braven Spiessbürger stellen jedoch fest (siehe »Die Zeit« vom 12.9.), dass »das Verhältnis der gewerkschaftlichen Führungspitzen zu der Basis in den Betrieben gestört ist: die Gewerkschaften leiden an Kontaktschwierigkeiten« (wie sie doch geschickt im Umschreiben sind, die Journalisten Ihrer Majestät des Kapitals: sie nennen »Kontaktschwierigkeiten« so einen Streik wie den der Metall- und Bergarbeiter, mit mehr als 2 Millionen Streikenden, der von einem Ende zum anderen von Deutschland geht!). Und sie fügen hinzu: »Ohne Konzertierte Aktionen, ohne Einbeziehung der Gewerkschaften in die wirtschafts- und sozialpolitische Willensbildung (hört euch mal an, wie sie wie Universitätsprofessoren reden, nur um nicht ganz einfach zu sagen »in die Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit«!) ist eine halbwegs ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung heute nicht mehr möglich. Die deutschen Gewerkschaften sind durch ihr zahlenmässiges Gewicht und ihr Verantwortungsbewusstsein zu einer der tragenden Säulen unserer Gesellschaftsordnung geworden… Ein Ausscheren der Gewerkschaften aus der Konzertierten Aktion – oder wie man nach den Wahlen diese Veranstaltung nennen wird – würde böse Folgen haben«. Unabhängig vom Wahlergebnis wird der »soziale Friede« demnach die Gewerkschaften an der Spitze sehen GEGEN den instinktiven Druck der Arbeiter, und dies auf ausdrücklichen Wunsch der Industriellen. Proletarier, seid auf der Hut!

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Die Streiks in Deutschland öffnen einen Lichtstrahl in der Lage der Arbeiterklasse, und nicht nur der Mitteleuropas. Die Arbeiter haben sich wohl lokal und allein geschlagen, aber in einem geographischen und vor allem wirtschaftlichen riesigen Raum. Es fehlte ihnen eine zentralisierte Leitung: sie müssen – die Notwendikeit wird sie soweit bringen, es zu tun – die Zentralorganisationen der Gewerkschaften sich selbst und dem Klassenkampf zurückerobern. Sie werden die Waffe verallgemeinern müssen, die lokal aber ohne Zersplitterung in Betriebe, Abteilungen oder Branchen angewandt wieder einmal mehr bewiesen hat, ausschlaggebend zu sein: der Streik ohne Ausnahmen. Sie werden die Klassenpartei wieder aufbauen müssen, die sie nicht nur in den täglichen Kämpfen, sondern von denen ausgehend im Endkampf leiten wird.

Dies ist das Problem aller Proletarier aller Länder: die Streiks in Deutschland und Frankreich, Italien, Argentinien und Spanien sind die Anzeichen und Verboten dafür.


Source: »Internationale Revolution«, Nr.3, Dezember 1969, S.30–32

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