IBKL – Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken
[home] [content] [end] [search] [print]


IMPERIALISTISCHER KRIEG ODER BÜRGERKRIEG


Content:

Imperialistischer Krieg oder Bürgerkrieg
Source


Imperialistischer Krieg oder Bürgerkrieg

Der Krieg ist – so schrecklich er auch scheinen mag – an das Überleben der kapitalistischen Produktionsweise gebunden. Wenn die Gesellschaft unter dem akkumulierten Kapital erstickt, eine Verstopfung, die sich aus dem Widerspruch zwischen dem raschen Anwachsen der Produktivkräfte und der engen, an Warenwirtschaft gebundenen Form der Produktionsverhältnisse ergibt, gibt es nur eine Lösung für die Weltbourgeoisie: den Krieg. Heutzutage geht die »Wohltat« des Krieges von 1939–1945 mit der Vernichtung von Millionen von Produzenten und Millionen von Maschinen ihrem Ende entgegen. Der Nachkriegsboom macht den ersten Anzeichen der Krise Platz.

Gewiss sind wir noch nicht an den Punkt gelangt, wo die Intensität der Krise derart spürbar ist, um den Krieg als bürgerliche Lösung oder die Revolution als proletarische Lösung auf die Tagesordnung zu stellen: aber bereits von jetzt an müssen wir gegen die Illusion des Pazifismus ankämpfen. Dieser Illusion zufolge sollte der Krieg auf einige heisse Punkte begrenzt bleiben und der gute Wille der Herren Nixon und Kossygin das Wesentliche der friedlichen Koexistenz garantieren. Der Krieg ist aber keine Frage des guten oder bösen Willens, er entgleitet der Macht der Führer. Wenn er heute auf Nigeria oder auf Vietnam beschränkt ist, so deshalb, weil die ökonomischen Bedingungen für die Entfesselung des dritten imperialistischen Krieges noch nicht reif genug sind. Die Wirklichkeit belehrt uns jedoch durch die lokalen Konflikte und die militärischen Informationen, dass der Krieg seinen unvermeidlichen Charakter bewahrt hat, und dass nichts als die soziale Revolution im Weltmassstab ihn rückgängig machen kann.

Nehmen wir den Nahen Osten. Welche Lösung gibt es? Der status quo ist explosiv und die Rückkehr auf die ihm vorhergehenden Positionen würde zu keiner Lösung führen, da dadurch nur auf eine Situation zurückgegangen würde, die eben gerade im Sechstagekrieg ein mündete. Es gibt keine Lösung, kein Schiedsspruch wird erfolgen und der Konflikt wird zwangsläufig wieder aufflammen, ohne eine andere Perspektive eines definitiven Auswegs zu bieten als die der Vernichtung eines der beiden Gegner. Die bürgerliche Welt hat die Nationen geschaffen und ihr Aufeinandertreffen kann zu keiner anderen Lösung führen als der, dass sie verschwinden. Das Kapital ist jedoch unfähig, die Zerstörung zu beenden, die es damit begonnen hat, dass es durch die Internationalisierung des Austauschs die Basis der zukünftigen Gesellschaft gelegt hat, die alle Grenzen abschaffen wird.

Auch für Vietnam gibt es keine bürgerlichen Lösungen des Problems und die »Frieden für Vietnam« rufenden Kleinbürger sind sehr im Unrecht, wenn sie sich über die Indianer beim Regentanz lustig machen, denn ihr Verhalten entspringt demselben magischen Habitus. Notieren wir dies: gleichgültig, welches die anfänglichen Motive der USA-Intervention in Vietnam gewesen sein mögen, die militärische Aktion hat ihre eigene Logik. Mit anderen Worten: wenn der Willen auch von Gewicht sein kann in der Entscheidung, einen Krieg vom Zaun zu brechen, so entgleitet doch in der Folgezeit die Verkettung der Ereignisse der menschlichen Berechnung. Und genau das hat sich in Vietnam ereignet; dieser Krieg ist vom imperialistischen Standpunkt selbst aus gesehen eine Ungeheuerlichkeit; er widerspricht den »modernen« Unterdrückungsmethoden, d. h. der ökonomischen und vor allem finanzkapitalistischen Beherrschung.

Und dennoch haben es die Amerikaner vollauf mit einem Krieg vom klassischen kolonialistischen Typus mit militärischer Besetzung des Terrains zu tun; dies zeigt noch einmal deutlich, dass es keinen friedlichen Weg im Reich des Kapitals gibt und dass der US-Imperialismus als mächtigster von allen unfähig ist, über Frieden oder Krieg zu entscheiden.

Man wird uns entgegenhalten, dass der »Friedenswille« der Amerikaner nicht echt sei, dass sie ausgekochte Kriegstreiber seien, usw. Aber warum würden sie sich denn in Verhandlungen verwickeln, wo sie doch bereits die ganze Verachtung gezeigt haben, die sie der internationalen öffentlichen Meinung entgegenbringen? Sie tun das nicht etwa, weil sie ihr Gesicht nicht verlieren wollen, oder weil sie (und dies ist eine wahrhaft lächerliche Hypothese) militärisch besiegt sind. Die USA verhandeln, weil dieser Krieg sie heute stört und sie an anderen Fronten schwächt, besonders angesichts des Anwachsens der japanischen und westdeutschen Importe auf ihrem eigenen Gebiet. Was jedoch die unendlich sich dahinziehenden Verhandlungen von Paris zeigen, ist, dass trotz des Friedenswillens von Washington und Hanoi dieser Krieg zu keinem Ende kommt, denn keine Kombination und keine Konzession, wie wichtig sie auch sein mögen, können mit dieser Tatsache fertig werden, die der Krieg in Südostasien ist. Dieser Krieg hat derart tiefgehend die Gesamtheit der Strukturen in diesem Teil der Welt verändert, dass der »Friedenszustand« derart anormal wäre, dass er durch die Wiederaufnahme der Kämpfe durchkreuzt würde. Und dies ist nicht das Verhängnis einer kleinen asiatischen Halbinsel, sondern der Beweis, dass solange die tiefliegenden Wurzeln des Krieges nicht ausgerissen sind, es keinen Frieden geben kann.

Auch das »sozialistische Lager« illustriert die Verbindung des Krieges mit der Warenwirtschaft und ihre grosse Autonomie im Hinblick auf die menschlichen Entscheidungen. Die Intervention in der Tschechoslowakei geht von der tölpelhaften Idee aus, dass man Kapitalien (westdeutsche in diesem Fall) mit Panzern aufhalten könne; aber dieses unangemessene Vorgehen sollte nicht mit Gleichgültigkeit betrachtet werden: es zeigt eine scharfe Verschiebung auf eine europäische Situation hin an, wo sich morgen der Krieg als einziges Lösungsmittel eines Wirrwarrs aufdrängen wird, das niemand gewollt hat. Die UdSSR schickt Kriegsschiffe und U-Boote ins Mittelmeer, um sich der 6. US-Flotte an die Fersen zu heften. Wenn man auch noch nicht so weit ist, die besten Ausgangspositionen zu suchen, so lässt die Präsenz der beiden Superimperialismen doch Platz für unberechenbare Situationen, und zwar bis zu dem Punkt, dass die USA, die wissen, dass ein Sarajewo noch verfrüht ist, sich notfalls eher zurückziehen könnten als das Risiko eines Zwischenfalls einzugehen. Die UdSSR entwickelt hubschraubergeflogene Interventionseinheiten und »Ledernacken«, d. h. sie macht sich bereit für einen lokal begrenzten Krieg vom Typ Vietnam; sie verlässt so ihre ausschliesslich defensive Strategie, um eine angepasstere zu verfolgen, angepasster… zur Entwicklung des russischen Kapitals und seiner expansionistischen Gelüste. Denn nach der Autarkie des Wiederaufbaus entgehen die Russen nicht den Gesetzen des Kapitals und die Imperative einer Konkurrenz mit stärkeren als sie führen die UdSSR dazu, ihre Märkte entdecken zu lassen – mit allen Konsequenzen, die das in Mitteleuropa voraussetzt – um ihre Stellung als zweitrangiger Imperialismus in Indien, in Afrika, usw. zu halten…

Gegenüber der Allmacht der Marktgesetze spürt man, dass jegliche internationale Institution machtlos ist. Wenn die UNO handelt, so tut sie es gemäss der Interessen des Stärksten und auch die Anwesenheit der Volksrepublik China in ihrer Mitte würde daran nichts ändern. Das Fehlschlagen der »pazifistischen« Versuche ergibt sich gewiss aus der Tatsache, dass man den Krieg weder durch Dekret noch durch demokratische Abstimmung für ungesetzlich erklären kann, aber vor allem daraus, dass die UNO ein Versuch ist, dem faktisch bestehenden ökonomischen Internationalismus des Marktes eine politische Form zu geben, während der Markt von den Gesetzen des Dschungels beherrscht wird. Entsprechend bleibt den supranationalen Behörden nichts anderes übrig, als die vollendeten Tatsachen dieses finsteren Kampfes bis auf den Tod zu verzeichnen.

Die einzige Kraft, die nur internationale Interessen hat, ist das Proletariat: die Proletarier haben kein Vaterland. Das heisst, dass das sie ausbeutende Regime auch durch die Nationen vertreten wird, und dass die Kämpfe, die sich diese verschiedenen Nationen auf ökonomischem Gebiet liefern, nicht die Kämpfe des Proletariats sind. Auf diese Weise erscheint der Krieg, der in jedem Lager Bourgeoisie und Arbeiter solidarisiert, als Niederlage des Weltproletariats.

Zweimal ist das Proletariat an seiner historischen Aufgabe gescheitert: eine Produktionsweise aufzuheben, die nur um den Preis darauffolgender riesenhafter Gemetzel überleben kann, zweimal hat sich das Proletariat von der Bourgeoisie erpressen lassen, die ihm sagte, es müsse das Vaterland verteidigen. Der Krieg ist jedoch nicht an diese oder jene Form bürgerlicher Herrschaft, an Faschismus nicht mehr als an Demokratie, gebunden, sondern er entspringt dem Kapitalismus selbst. In der Krise, deren Vorzeichen man sehen kann, muss die Weltpartei des Proletariats wieder aufgebaut werden, die das Proletariat in dem einzigen Krieg führen kann, der sein Krieg ist: Klasse gegen Klasse, Bourgeoisie gegen Proletariat: der Bürgerkrieg.


Source: «Internationale Revolution», Nr. 2, Juni 1969, S.

[top] [home] [mail] [search]